Charlie Und Die Schokoladenfabrik

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  • Words: 27,805
  • Pages: 134
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Roald Dahl, 1916-1990, war Mitarbeiter der Shell Company in Ostafrika, im Zweiten Weltkrieg Pilot bei der Royal Air Force. Er schrieb folgende Kinderb¸cher: ´Danny oder Die Fasanenjagdª (rotfuchs 315); ´Der Zauberfingerª (rotfuchs 422); ´James und der Riesenpfirsichª (rotfuchs 858); ´Sophiechen und der Rieseª (Deutscher Jugendliteraturpreis, rotfuchs 582); ´Hexen hexenª (rotfuchs 587); ´Die Zwicks stehen kopfª (rotfuchs 609); ´Der fantastische Mr. Foxª (rotfuchs 615); ´Matildaª (rotfuchs 855, M‰rz 97); ´Ottos Geheimnisª, 1991; ´Das Konr‰dchen bei den Klitzekleinenª, 1992; ´Die Giraffe, der Peli und ichª, 1993, u.a.

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Roald Dahl

Charlie und die Schokoladenfabrik Deutsch von Inge M. Artl ‹bersetzung der Verse von Hans Georg Lenzen Bilder von Michael Foreman

digitalisiert von Vlad

Rowohlt 3

rororo rotfuchs Herausgegeben von Ute Blaich und Renate Boldt

F¸r Theo

13. ñ15. Tausend Januar 1997 Verˆffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Juni 1995 ´Charlie and the Chocolate Factoryª: Copyright © 1964 by Felicity Dahl and the other Executors of the Estate of Roald Dahl Copyright © 1981, 1987 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Illustrationen: Copyright © 1985 by Michael Foreman Umschlagillustration: Uwe H‰ntsch Umschlaggestaltung: Nina Rothfos rotfuchs-comic Jan P. Schniebel Copyright © 1995 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1090-ISBN 3-499 20778 8

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F¸nf Kinder kommen in diesem Buch vor Augustus Glupsch, ein gefr‰fliger Junge Veruschka Salz, ein verwˆhntes M‰dchen Violetta Beauregarde, ein M‰dchen, das den ganzen Tag lang Kaugummi kaut Micky Schiefler, der den ganzen Tag nur fernsieht und Charlie Bucket, der Held des Buches

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1 Hier kommt Charlie

Diese beiden sehr alten Leute sind der Vater und die Mutter von Herrn Bucket. Sie heiflen Groflvater Josef und Groflmutter Josefine.

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Und diese beiden sehr alten Leute sind der Vater und die Mutter von Frau Bucket. Sie heiflen Groflvater Georg und Groflmutter Georgine.

Das hier ist Herr Bucket. Und das ist Frau Bucket. Sie haben einen kleinen Jungen, der Charlie Bucket heiflt.

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Das hier ist Charlie. Wie gehtís? Wie stehtís? Er freut sich, dich kennenzulernen. Die ganze Familie ñ sechs Erwachsene und Charlie Bucket ñ lebte zusammen in einem kleinen Holzhaus am Rande einer groflen Stadt.

Das Haus war viel zu klein f¸r so viele Leute, und so war das Leben darin f¸r alle miteinander ‰uflerst unbequem. Es gab nur zwei Zimmer und nur ein einziges Bett. In dem Bett durften die vier alten Grofleltern schlafen, weil sie so alt und m¸de waren. 8

Sie waren so m¸de, dafl sie niemals aufstanden. Groflvater Josef und Groflmutter Josefine lagen am einen Ende und Groflvater Georg und Groflmutter Georgine am anderen Ende. Herr und Frau Bucket und der kleine Charlie Bucket schliefen im Zimmer nebenan auf Matratzen, die sie abends auf den Boden legten. Im Sommer ging das noch, aber im Winter war es schrecklich, weil die ganze Nacht eisig kalte Luft ¸ber den Boden kroch. Sie konnten sich kein besseres Haus kaufen. Sie konnten sich nicht einmal ein zweites Bett leisten. Sie waren viel zu arm. Herr Bucket war in der Familie der einzige, der Geld verdiente. Er arbeitete in einer Zahnpastafabrik. Dort safl er den ganzen Tag und schraubte die kleinen runden Deckel auf die Tuben, nachdem sie mit Zahnpasta gef¸llt worden waren. Aber ein Zahnpastatuben-Deckel-Zuschrauber wird schlecht bezahlt. Und ganz gleich, wie schwer er arbeitete und wie schnell er die Deckel draufschraubte, der arme Herr Bucket verdiente doch niemals genug, um auch nur die H‰lfte von allem zu kaufen, was so eine grofle Familie brauchte. Sie hatten nicht einmal genug Geld f¸r anst‰ndiges Essen. Zum Fr¸hst¸ck gab es nur Brot und Margarine, zum Mittagessen Kartoffeln und Kohl und zum Abendessen Kohlsuppe... das war das einzige, was sie sich leisten konnten. Sonntags war es ein biflchen besser. Obwohl sie das gleiche aflen wie an den anderen Tagen, freuten sie sich alle auf den Sonntag, weil dann jeder noch ein zweites Mal nehmen durfte. Die Buckets verhungerten nicht gerade, aber sie hatten alle miteinander ñ die beiden alten Groflv‰ter, die beiden alten Groflm¸tter, Charlies Vater, Charlies Mutter und vor allem der kleine Charlie selbst ñ von morgens bis abends ein gr‰flliches leeres Gef¸hl im Magen. Charlie f¸hlte den Hunger am schlimmsten. Sein Vater und 9

seine Mutter verzichteten oft auf ihren Anteil am Essen und gaben ihn Charlie, aber es war trotzdem nicht genug f¸r einen heranwachsenden Jungen. Charlie sehnte sich verzweifelt nach etwas, was besser den Magen f¸llte und besser s‰ttigte als Kohl und Kohlsuppe. Und am allermeisten sehnte er sich nach... SCHOKOLADE. Jeden Morgen auf dem Schulweg sah Charlie in den Schaufenstern ganze Berge von Schokoladentafeln. Er blieb immer wieder stehen, preflte die Nase an die Scheibe und starrte hinein, bis ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Oft muflte er zusehen, wie andere Kinder Riegel sahniger Schokolade aus der Tasche zogen und wie Brot hinunterschlangen. Das war nat¸rlich die reinste Folter f¸r ihn. Charlie Bucket bekam nur ein einziges Mal im Jahr ein winziges biflchen Schokolade, n‰mlich zu seinem Geburtstag. Seine Eltern sparten monatelang daf¸r, und wenn der grofle Tag kam, schenkten sie Charlie ein kleines T‰felchen Schokolade, das er ganz allein aufessen durfte. Und an jedem wunderbaren Geburtstagsmorgen legte Charlie seine Schokolade in ein Holzsch‰chtelchen und h¸tete seinen Schatz, als w‰re es pures Gold. W‰hrend der n‰chsten paar Tage betrachtete er die Schokolade nur, r¸hrte sie aber nicht an. Wenn er es dann aber schliefllich gar nicht mehr aushalten konnte, ˆffnete er vorsichtig die Verpackung. Er zog das Silberpapier nur an einer Ecke ein winziges biflchen zur¸ck, damit ein winziges St¸ckchen Schokolade herausguckte, und dann knabberte Charlie ein winziges H‰ppchen davon ab... nur gerade genug, um den herrlichen Geschmack auf der Zunge zu sp¸ren. Am n‰chsten Tag knabberte er wieder ein winziges H‰ppchen ab und am ¸bern‰chsten Tag wieder, und so immer weiter. Auf diese Weise brachte Charlie es fertig, dafl seine winzige Tafel Schokolade einen ganzen Monat lang reichte. Aber ich habe euch noch nicht von der furchtbaren Sache erz‰hlt, die den kleinen Charlie mehr als alles andere qu‰lte. Es war noch viel, viel schlimmer als die Schokoladenberge in den 10

Schaufenstern oder mit ansehen zu m¸ssen, wie andere Kinder Schokolade aflen. Es war wirklich die schlimmste Qual, die man sich vorstellen konnte: In dieser Stadt und fast in Sichtweite von dem kleinen Holzhaus, in dem Charlie lebte und seine Eltern lebten, stand eine RIESENGROSSE SCHOKOLADENFABRIK! Stell dir das vor! Und es war nicht einfach nur eine gewˆhnliche grofle Schokoladenfabrik. Es war die allergrˆflte und allerber¸hmteste Schokoladenfabrik auf der ganzen Welt! Es war WONKAS SCHOKOLADENFABRIK, und sie gehˆrte Herrn Willy Wonka, dem grˆflten Erfinder und Hersteller von Schokolade und S¸fligkeiten, der je gelebt hatte. Eine hohe Mauer umgab die ganze Fabrik, und man konnte nur durch ein m‰chtiges eisernes Tor hineingelangen. Aus den Schornsteinen quoll Rauch, und seltsame zischende Ger‰usche drangen tief aus dem Geb‰ude heraus. Und drauflen duftete es kilometerweit nach geschmolzener Schokolade! Was f¸r ein himmlischer Duft! Auf dem Weg zur Schule und wieder nach Hause muflte der kleine Charlie Bucket jeden Tag zweimal an dem eisernen Tor der Schokoladenfabrik vorbeigehen. Und jedesmal ging er ganz, ganz, ganz langsam und reckte die Nase in die Luft und atmete den herrlichen Schokoladenduft tief ein. Oh, wie er diesen Duft liebte! Und wie er sich w¸nschte, er d¸rfte nur ein einziges Mal in die Schokoladenfabrik hineingehen und sich alles ansehen!

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2 Herrn Willy Wonkas Schokoladenfabrik Abends, wenn Charlie seine w‰sserige Kohlsuppe gegessen hatte, ging er zu seinen Grofleltern, um sich von ihnen Geschichten erz‰hlen zu lassen. Danach sagte er ihnen gute Nacht. Die vier uralten Leute waren so runzlig wie getrocknete Pflaumen und so d¸rr wie Bohnenstangen. Den ganzen Tag lang lagen sie in ihrem einzigen Bett, zwei an jedem Ende, mit ihren Nachtm¸tzen auf dem Kopf, und verschliefen die Zeit, weil sie nichts Besseres zu tun hatten. Aber abends, sobald sich die T¸r ˆffnete und Charlie hereinkam und sagte: ´Guten Abend, Groflvater Josef und Groflmutter Josefine, guten Abend, Groflvater Georg und Groflmutter Georgineª... dann setzten sich die vier alten Leute plˆtzlich auf, und ihre hutzeligen Gesichter strahlten vor Freude. Denn sie liebten den kleinen Jungen. Er war der einzige Lichtblick in ihrem Leben, und sie freuten sich den ganzen Tag auf seinen Besuch am Abend. Oft kamen auch Charlies Eltern herein, blieben an der T¸r stehen und hˆrten den Geschichten der alten Leute zu. Und so war die ganze Familie gl¸cklich und zufrieden beisammen, und eine halbe Stunde lang waren Armut und Hunger vergessen. Eines Abends fragte Charlie seine Grofleltern: ´Ist das wirklich wahr, dafl Wonkas Schokoladenfabrik die allergrˆflte auf der Welt ist?ª ´Ob das wahr ist?ª riefen alle vier Grofleltern gleichzeitig. ´Nat¸rlich ist das wahr! Lieber Himmel, hast du das etwa nicht gewuflt? Sie ist ungef‰hr f¸nfzigmal so grofl wie jede andere Schokoladenfabrik!ª ´Und ist dieser Herr Willy Wonka wirklich der beste 12

Schokoladenhersteller auf der Welt?ª ´Mein lieber Jungeª, sagte Groflvater Josef und richtete sich noch ein wenig hˆher in seinen Kissen auf. ´Herr Willy Wonka ist der erstaunlichste, der phantastischste und der auflergewˆhnlichste Schokoladenhersteller, den die Welt je gesehen hat! Ich dachte, jeder weifl das!ª ´Ich wuflte, dafl er ber¸hmt und sehr t¸chtig ist, Groflvater Josef, aber...ª ´T¸chtig!ª unterbrach ihn der alte Mann. ´Er ist weit mehr als t¸chtig! Er ist ein Genie, ein Zauberer! Er kann einfach alles machen, was er will... einfach alles! Stimmt das nicht, meine Lieben?ª

Groflmutter Josefine, Groflvater Georg und Groflmutter Georgine nickten langsam mit dem Kopf und sagten: ´Das stimmt genau! Haargenau!ª ´Habe ich dir denn noch nie von Herrn Willy Wonka und seiner Schokoladenfabrik erz‰hlt?ª fragte Groflvater Josef. ´Nein, noch nieª, antwortete Charlie. ´Lieber Himmel, das ist ja unglaublich! Dann weifl ich wirklich nicht mehr, was mit mir los ist!ª ´Erz‰hlst du es mir jetzt, Groflvater? Bitte!ª ´Ganz gewifl! Setz dich zu mir aufs Bett und hˆre mir gut zu, mein Lieber.ª 13

Groflvater Josef war der ‰lteste von den vier Grofleltern. Er war sechsundneunzigeinhalb Jahre alt, und das ist ungef‰hr so alt, wie ein Mensch nur werden kann. Wie die meisten sehr, sehr alten Leute war Groflvater Josef zart und schwach, und tags¸ber sprach er nur wenig. Doch am Abend, wenn sein geliebter Enkel Charlie zu ihm kam, dann schien Groflvater Josef auf wunderbare Weise wieder jung zu werden. Alle M¸digkeit fiel von ihm ab, und er wurde so lebhaft wie ein Junge. ´Oh, das ist ein Mann, dieser Herr Wonka!ª rief Groflvater Josef. ´Hast du zum Beispiel gewuflt, dafl er persˆnlich ¸ber zweihundert Sorten gef¸llte Schokoladenriegel erfunden hat? Und jede Sorte mit einer anderen F¸llung und s¸fler und sahniger und kˆstlicher als alles, was die anderen Schokoladenfabriken herstellen!ª ´Sehr richtig!ª warf Groflmutter Josefine ein. ´Und er verschickt seine Schokolade in alle L‰nder der Erde, nicht wahr, Groflvater Josef?ª ´So ist es, meine Liebe. Und auch an alle Kˆnige und Staatspr‰sidenten auf der ganzen Welt. Und er stellt nicht nur Schokolade her. O nein! Er hat noch viele andere phantastische Erfindungen gemacht, dieser Herr Wonka! Er hat ein Schokoladeneis erfunden, das Stunden und Stunden kalt bleibt, auch wenn es nicht im Eisschrank steht. Man kann es sogar einen ganzen Vormittag in der Sonne liegen lassen, und es l‰uft trotzdem nicht davon!ª ´Aber das ist unmˆglich!ª sagte der kleine Charlie und starrte seinen Groflvater ungl‰ubig an. ´Nat¸rlich ist das unmˆglich! Es ist vˆllig absurd! Aber Herr Wonka bringt es fertig!ª rief Groflvater Josef. ´Ganz recht! Herr Wonka bringt so etwas fertig!ª stimmten die drei anderen Alten zu und nickten mit dem Kopf. Groflvater Josef fuhr fort, und er sprach sehr langsam, damit Charlie auch ja kein Wort entging: ´Herr Wonka kann 14

t¸rkischen Honig machen, der nach Veilchen schmeckt, und Karamelbonbons, die alle zehn Sekunden die Farbe wechseln, wenn du sie lutschst, und Kaugummi, das niemals den Geschmack verliert, und Luftballons aus Bonbonmasse, die du riesengrofl aufblasen kannst, ehe du sie mit einer Nadel platzen l‰flt und aufschleckst. Er hat ein Geheimrezept, nach dem er wunderschˆne blaue, schwarzgefleckte Vogeleier macht: Wenn du eines davon in den Mund steckst, wird es nach und nach immer kleiner, und plˆtzlich sitzt ein winzig kleines Vˆgelchen aus rosa Zucker auf deiner Zungenspitze.ª Groflvater Josef hielt einen Augenblick inne und leckte sich langsam die Lippen. ´Mir l‰uft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich nur daran denke.ª ´Mir auchª, sagte Charlie. ´Erz‰hl bitte weiter.ª W‰hrend Groflvater Josef erz‰hlte, waren Charlies Eltern leise ins Zimmer gekommen. Sie standen an der T¸r und hˆrten zu. ´Erz‰hl Charlie von dem verr¸ckten indischen Prinzenª, schlug Groflmutter Josefine vor. ´Das gef‰llt ihm bestimmt.ª ´Du meinst, von Prinz Pondicherry?ª fragte Groflvater Josef und begann vor sich hin zu kichern. ´Komplett bekloppt!ª sagte Groflvater Georg. ´Aber sehr reich!ª bemerkte Groflmutter Georgine. ´Was hat er gemacht?ª fragte Charlie ungeduldig. ´Das werde ich dir gleich erz‰hlenª, sagte Groflvater Josef.

3 Herr Wonka und der indische Prinz

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´Prinz Pondicherry schrieb einen Brief an Herrn Wonka und bat ihn, die lange Reise bis nach Indien zu machen und ihm einen kolossalen Palast ganz aus Schokolade zu bauenª, begann Groflvater Josef. ´Und hat Herr Wonka das geschafft, Groflvater?ª ´Nat¸rlich! Und was f¸r einen Palast! Einhundert Zimmer, und alles war aus dunkler oder heller Schokolade gemacht. Die Ziegel waren aus Schokolade, der Zement, der sie zusammenhielt, war aus Schokolade, die W‰nde und die Decken waren aus Schokolade, die Teppiche, die Bilder, die Betten und die Mˆbel ñ alles war aus Schokolade, und wenn man im Badezimmer die Wasserh‰hne aufdrehte, kam heifle Schokolade heraus. Als der Palast fertig war, sagte Herr Wonka zu Prinz Pondicherry: <Es tut mir sehr leid, aber ich f¸rchte, die Pracht wird nicht lange halten. Am besten, Sie fangen sofort an zu essen.> sagte Prinz Pondicherry. Nat¸rlich behielt Herr Wonka recht, denn bald darauf kam ein besonders heifler Tag, und die Sonne brannte auf den Palast herab, und der Palast fing an zu schmelzen und sank dann ganz langsam in sich zusammen. Und als Prinz Pondicherry von seinem Mittagsschlaf aufwachte, schwamm er schon in einem groflen klebrigen braunen Teich aus Schokoladenbrei.ª

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Der kleine Charlie safl ganz still auf dem Bettrand und starrte seinen Groflvater an. Er hatte die Augen so weit aufgerissen, dafl man das Weifle ringsherum sah. ´Ist das wirklich wahr, Groflvater, oder machst du dich ¸ber mich lustig?ª fragte er. ´Nat¸rlich ist das wahr!ª riefen alle vier Grofleltern auf einmal. ´Das kann dir jeder best‰tigen!ª ´Und ich werde dir noch etwas erz‰hlen, das genauso wahr ist.ª Groflvater Josef beugte sich dicht zu Charlie hin¸ber und senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Fl¸stern. ´Niemand... kommt...jemals... heraus!ª ´Wo heraus?ª fragte Charlie. ´Und... niemand...geht...jemals... hinein!ª ´Wo hinein?ª rief Charlie. ´In Herrn Wonkas Schokoladenfabrik, nat¸rlich!ª ´Groflvater, was meinst du damit?ª 17

´Ich meine die Arbeiter, Charlie.ª ´Arbeiter?ª ´In jeder Fabrik gibt es Arbeiterª, sagte Groflvater Josef, ´und jeden Morgen und jeden Abend strˆmen sie zum Fabriktor hinein und heraus... nur in Wonkas Schokoladenfabrik nicht! Hast du schon jemals auch nur einen einzigen Menschen dort hineingehen oder herauskommen sehen?ª Der kleine Charlie sah seine vier Grofleltern langsam und der Reihe nach an, und alle vier schauten ihn an. Ihre l‰chelnden Gesichter wirkten freundlich und gleichzeitig ganz ernsthaft. In keinem war irgendein Anzeichen daf¸r zu entdecken, dafl sie sich ¸ber Charlie lustig machten. ´Nun, hast du schon mal jemanden hineingehen oder herauskommen sehen, oder nicht?ª fragte Groflvater Josef. ´Ich... ich erinnere mich nicht, Groflvater. Jedesmal, wenn ich an der Fabrik vorbeikomme, ist das eiserne Tor geschlossenª, stotterte Charlie. ´Siehst du!ª sagte Groflvater Josef. ´Aber es m¸ssen doch Leute dort arbeiten...ª ´Keine gewˆhnlichen Leute, Charlie.ª ´Was f¸r welche?ª ´Das ist es ja gerade... Da sieht man wieder, wie gescheit dieser Herr Wonka ist.ª ´Charlie, es ist Zeit zum Schlafengehenª, sagte seine Mutter von der T¸r her. ´Bitte, Mutter, ich mufl nur eben noch hˆren...ª ´Morgen, Liebling.ª ´Ja, morgen abend erz‰hle ich dir den Rest der Geschichteª, sagte Groflvater Josef.

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4 Die geheimnisvollen Arbeiter Am n‰chsten Abend erz‰hlte dann Groflvater Josef die Geschichte weiter. ´Weifl du, Charlie, es ist noch gar nicht so sehr lange her, da haben Tausende von Menschen in Herrn Wonkas Schokoladenfabrik gearbeitet. Aber eines Tages hat Herr Wonka plˆtzlich alle seine Leute bis auf den letzten Mann entlassen und ihnen gesagt, sie m¸flten nach Hause gehen und kˆnnten nie wieder bei ihm arbeiten.ª ´Aber warum?ª fragte Charlie. ´Wegen der Spione.ª ´Spione?ª ´Ja. Die anderen Schokoladenfabrikanten waren neidisch auf Herrn Wonka, weil er die wunderbarsten S¸fligkeiten herstellte. Deshalb schickten sie Spione aus, um ihm seine Geheimrezepte zu stehlen. Die Spione lieflen sich als gewˆhnliche Arbeiter in Herrn Wonkas Fabrik anstellen, und jeder von ihnen fand an seinem Arbeitsplatz heraus, wie die verschiedenen S¸fligkeiten hergestellt wurden.ª ´Und dann sind sie zur¸ck in ihre eigene Fabrik gegangen und haben dort alles verraten?ª fragte Charlie. ´So mufl es wohl gewesen sein, denn mit einem Male verkauften auch die anderen Schokoladenfabriken Eis, das nicht einmal in der Sonne schmolz, und Kaugummi, das niemals seinen Geschmack verlor, und Luftballons aus Bonbonmasse, die man ganz riesengrofl aufblasen konnte, ehe man sie mit einer Nadel platzen liefl und aufschleckte... Und so noch viele andere S¸fligkeiten, die es bis dahin nur bei Herrn Wonka gegeben hatte. Und als Herr Wonka die Plakate der 19

Konkurrenz sah, raufte er sich den Bart und schrie: ª ´Aber er hat sie nicht geschlossen!ª sagte Charlie. ´Doch, er hat sie geschlossen. Er hat allen seinen Arbeitern gesagt, es t‰te ihm sehr leid, aber er m¸sse sie alle entlassen und nach Hause schicken. Dann hat er das Fabriktor zugemacht und eine dicke Kette vorgelegt. Die Schokoladenfabrik lag plˆtzlich still und verlassen da. Die Schornsteine rauchten nicht mehr, die Maschinen drehten sich nicht mehr, und keine einzige Tafel Schokolade und kein einziger Bonbon wurde mehr gemacht. Keine Menschenseele ging durch das Fabriktor, und sogar Herr Wonka war spurlos verschwunden. Monate verstrichen, aber die Fabrik blieb geschlossen.ª Groflvater Josef fuhr fort. ´Die Leute sagten: Dann geschah etwas ‹berraschendes. Eines schˆnen Tages stiegen fr¸h am Morgen d¸nne weifle Rauchs‰ulen aus den Fabrikschornsteinen! Die Leute blieben verbl¸fft auf der Strafle stehen und staunten. <Was ist da los?> riefen sie. Sie liefen alle zu der Fabrik hin und rechneten damit, dafl das grofle Tor weit offen stehen und Herr Wonka seine alten Arbeiter willkommen heiflen w¸rde. Aber das grofle eiserne Tor war noch immer verschlossen, und die Kette hing davor, und Herr Wonka war nirgendwo zu sehen. riefen die Leute. <Wir hˆren die Maschinen wieder laufen! Und auflerdem riecht es hier drauflen nach Schokolade!>ª Groflvater Josef beugte sich etwas vor und legte seine knochige Hand auf Charlies Knie. 20

´Aber das Geheimnisvollste von allem waren die Schatten hinter den Fabrikfenstern, Charlie. Die Leute unten auf der Strafle konnten genau sehen, wie sich kleine dunkle Schatten hinter den Milchglasscheiben bewegten.ª ´Schatten... von wem?ª fragte Charlie schnell. ´Genau das h‰tten die Leute auch gern gewuflt. Sie schrien: Trotzdem bestand kein Zweifel daran, dafl in der Fabrik gearbeitet wurdeª, fuhr Groflvater Josef fort. ´Und die Maschinen haben seit dem Tag nie wieder stillgestanden, und das ist nun schon gut zehn Jahre her. Obendrein sind die Schokoladensorten und die Bonbons mit der Zeit immer noch besser und kˆstlicher geworden. Und klar, wenn Herr Wonka jetzt eine neue wunderbare S¸fligkeit erfindet, kann kein Spion ihm das Rezept stehlen, weil kein Mensch mehr in die Fabrik hineinkommt.ª ´Aber wer macht denn all die Arbeit in der Fabrik, wenn Herr Wonka keinen Menschen hineinl‰flt?ª ´Das weifl niemand, Charlie.ª ´Aber warum fragen die Leute Herrn Wonka denn nicht einfach?ª ´Weil Herr Wonka sich nie mehr sehen l‰flt. Das einzige, was die Fabrik verl‰flt, sind Pakete voller Schokolade und S¸fligkeiten. Sie kommen fertig verschn¸rt und adressiert durch eine Fallt¸r in der Mauer und werden dort jeden Tag von der Post mit Lastwagen abgeholt.ª ´Aber wer arbeitet dann nur in der Fabrik?ª fragte Charlie wieder. ´Mein lieber Junge, das ist das grˆflte Geheimnis in der ganzen Schokoladenbrancheª, sagte Groflvater Josef. ´Wir wissen nur eines von diesen Arbeitern: Sie m¸ssen sehr klein sein. Manchmal, vor allem sp‰t abends, wenn die Lichter 21

brennen, sind Schatten hinter den Fenstern zu erkennen, Schatten von winzigen Leuten, Leuten, die mir hˆchstens bis zum Knie reichen...ª ´Solche Leute gibt es nichtª, sagte Charlie. In diesem Augenblick kam Charlies Vater ins Zimmer gest¸rzt. Er war gerade von der Arbeit in der Zahnpastafabrik nach Hause gekommen und schwenkte aufgeregt die Abendzeitung. ´Habt ihr schon das Neueste gehˆrt?ª rief er und hielt die Zeitung hoch, damit sie alle die riesigen Schlagzeilen auf der ersten Seite lesen konnten: WONKAS SCHOKOLADENFABRIK F‹R EINIGE WENIGE GE÷FFNET!

5 Die Goldenen Eintrittskarten ´Soll das etwa heiflen, dafl tats‰chlich Leute in die Fabrik hinein d¸rfen?ª rief Groflvater Josef. ´Lies uns vor, was darunter steht... schnell!ª Charlies Vater strich die Zeitung glatt. ´Also gut, hˆrt zu.ª

Abendzeitung Willy Wonka, der weltber¸hmte Schokoladenfabrikant, den seit zehn Jahren niemand gesehen hat, gab heute folgende Erkl‰rung ab: 22

Ich, Willy Wonka, habe beschlossen, f¸nf Kindern ñ nur f¸nf und keinem einzigen mehr ñ zu erlauben, in diesem Jahr meine Schokoladenfabrik zu besichtigen. Ich werde diese f¸nf Auserw‰hlten selbst durch die Fabrik f¸hren und ihnen alle Geheimnisse und Zauberk¸nste zeigen. Nach der Besichtigung meiner Fabrik erh‰lt jedes Kind genug Schokolade und S¸fligkeiten f¸r sein ganzes Leben. Haltet also Ausschau nach den Goldenen Eintrittskarten! F¸nf Goldene Eintrittskarten, auf goldenem Papier gedruckt, sind unter der normalen Verpackung von f¸nf gewˆhnlichen Schokoladentafeln verborgen. Diese f¸nf Schokoladentafeln kˆnnen ¸berall sein: in jedem Gesch‰ft in jeder Strafle in jeder Stadt in jedem Land der Welt... eben ¸berall, wo Wonkas S¸fligkeiten verkauft werden. Und nur die f¸nf gl¸cklichen Finder dieser f¸nf Goldenen Eintrittskarten d¸rfen meine Schokoladenfabrik besichtigen und sehen, wie es darin jetzt aussieht. Ich w¸nsche euch allen viel Gl¸ck bei der Suche. Willy Wonka

´Der Mann ist verr¸cktª, murmelte Groflmutter Josefine. ´Er ist ein Genie!ª rief Groflvater Josef. ´Stellt euch doch nur mal vor, was jetzt passiert! Die ganze Welt wird, nach diesen f¸nf Goldenen Eintrittskarten suchen! Alle Leute werden nur noch Wonka-Schokolade kaufen, in der Hoffnung, eine Eintrittskarte zu finden! Und Herr Wonka macht ein Riesengesch‰ft! Oh, wie aufregend, wenn wir auch eine Goldene Eintrittskarte f‰nden!ª ´Und soviel Schokolade und S¸fligkeiten, wie man nur bis ans Ende seines Lebens essen kann ñ und alles umsonst!ª seufzte Groflvater Georg. ´Mir m¸flten sie einen ganzen Lastwagen voll liefern!ª sagte Groflmutter Georgine. ´Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denkeª, sagte Groflmutter Josefine. ´Unsinn!ª sagte Groflvater Josef. ´Charlie, stell dir mal vor, wir w¸rden eine Tafel Schokolade auspacken... und auf einmal k‰me eine glitzernde Goldene Eintrittskarte zum Vorschein! W‰re das nicht wunderbar?ª ´Ja, Groflvater. Aber es besteht gar keine Hoffnung. Ich 23

bekomme blofl einmal im Jahr eine Tafel Schokoladeª, antwortete Charlie traurig. ´Oh, man kann nie wissen, mein Lieberª, meinte Groflmutter Georgine. ´Du hast n‰chste Woche Geburtstag. Du hast genausoviel Chancen wie jeder andere.ª ´Das w‰re zu schˆn, um wahr zu sein. Ihr werdet es erleben: Die Kinder, die die f¸nf Goldenen Eintrittskarten finden, gehˆren zu denen, die sich sowieso jeden Tag Schokolade kaufen kˆnnen. Unser Charlie dagegen bekommt nur einmal im Jahr welche. Es besteht also nicht die geringste Hoffnungª, sagte Groflvater Georg.

6 Die beiden ersten gl¸cklichen Finder Gleich am n‰chsten Tag wurde die erste Goldene Eintrittskarte gefunden. Der Gl¸ckliche war ein Junge, der Augustus Glupsch hiefl. Die Abendzeitung brachte auf der Titelseite ein grofles Bild von ihm: Augustus Glupsch war neun Jahre alt und unwahrscheinlich fett ñ er sah aus, als w‰re er mit einer Autoreifenluftpumpe aufgeblasen worden. Sein ganzer Kˆrper schien nur aus Fettw¸lsten zu bestehen, die ¸berall hervorquollen, und sein Gesicht wirkte wie ein schwabbeliger Klumpen Teig, aus dem zwei winzige Rosinenaugen in die Welt sp‰hten. Die Zeitung berichtete, die Stadt, in der Augustus Glupsch wohne, tobte vor Begeisterung. Fahnen flatterten aus allen Fenstern, die Kinder hatten einen Tag schulfrei bekommen, und es wurde ein Umzug zu Ehren des ber¸hmten Jungen vorbereitet. 24

Seine Mutter sagte den Reportern: ´Ich wuflte, dafl Augustus eine Goldene Eintrittskarte finden w¸rde! Er iflt jeden Tag so viel Schokolade, dafl es einfach unvermeidlich war! Essen ist seine Lieblingsbesch‰ftigung, m¸ssen Sie wissen. Das ist das einzige, wof¸r er sich interessiert. Aber besser, als wenn er ein Rowdy w‰re, der mit Luftgewehren herumknallt, nicht wahr? Ich sage immer, schliefllich w¸rde der Junge ja nicht so viel essen, wenn er die Nahrung nicht brauchte. Auflerdem sind es ja auch Vitamine, nicht wahr? Es wird ein Erlebnis f¸r ihn sein, Herrn Wonkas wunderbare Schokoladenfabrik zu besichtigen! Wir sind alle m‰chtig stolz auf ihn!ª ´Was f¸r eine widerliche Frauª, sagte Groflmutter Josefine. ´Was f¸r ein ekelhafter Junge!ª sagte Groflmutter Georgine. ´Jetzt sind nur noch vier Goldene Eintrittskarten ¸brig. Ich bin blofl neugierig, wer die erwischtª, sagte Groflvater Georg. Plˆtzlich kaufte das ganze Land, die ganze Welt wie verr¸ckt Schokolade, und alle Leute suchten fieberhaft nach den kostbaren vier Goldenen Eintrittskarten. Erwachsene Frauen kauften gleich zehn Tafeln Wonka-Schokolade auf einmal und rissen noch im Gesch‰ft die Verpackung auf. Kinder nahmen einen Hammer, zertr¸mmerten ihr Sparschwein und rannten 25

mit einer Handvoll M¸nzen in den n‰chsten Laden. Ein ber¸chtigter Gangster raubte eine Bank aus und gab seine ganze Beute noch am gleichen Nachmittag f¸r WonkaSchokolade aus. Als die Polizei bei ihm erschien, um ihn zu verhaften, safl der Gangster in seinem Wohnzimmer auf dem Fuflboden zwischen Bergen von Schokoladentafeln und schlitzte die Verpackung mit einem langen Dolch auf. Im fernen Ruflland behauptete eine Frau namens Charlotte Russe, sie habe die zweite Goldene Eintrittskarte gefunden, doch diese Karte erwies sich als geschickte F‰lschung. In England erfand der ber¸hmte Wissenschaftler Professor Faul eine Maschine, die f¸hlen konnte, ob unter der Verpackung eine Goldene Eintrittskarte steckte ñ man brauchte die Tafel gar nicht erst auszuwickeln. Die Maschine hatte einen mechanischen Arm, der blitzschnell hervorschofl und nach allem griff, was das geringste biflchen Gold enthielt. Mit dieser Maschine schien es nun wirklich kein Problem mehr zu sein, die Goldenen Eintrittskarten zu finden. Aber als der Professor seine Maschine in der S¸flwarenabteilung eines groflen Kaufhauses vorf¸hrte, schofl der mechanische Arm nach der Goldf¸llung im Backenzahn einer Herzogin, die vorn in der ersten Reihe stand. Es gab eine peinliche Szene, und die empˆrten Zuschauer zertr¸mmerten die Maschine. Am Tag vor Charlies Geburtstag verk¸ndeten die Zeitungen, dafl die zweite Goldene Eintrittskarte gefunden worden sei. Gl¸ckliche Finderin war ein kleines M‰dchen namens Veruschka Salz. Sie lebte mit ihren reichen Eltern weit weg in einer groflen Stadt. Die Abendzeitung brachte auch von ihr ein grofles Bild: Veruschka safl zwischen ihren strahlenden Eltern, schwenkte die Goldene Eintrittskarte ¸ber dem Kopf und strahlte ¸ber das ganze Gesicht.

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Ihr Vater, Herr Salz, erkl‰rte den Reportern genau, wie die zweite Goldene Eintrittskarte gefunden worden war: ´Meine kleine Tochter hat zu mir gesagt, sie m¸flte einfach eine von den Goldenen Eintrittskarten haben. Na, und da bin ich eben sofort in die Stadt gefahren und habe in s‰mtlichen Gesch‰ften s‰mtliche Tafeln Wonka-Schokolade aufgekauft, die ich erwischen konnte. Tausende, Hunderttausende! Ich hab sie auf Lastwagen verladen und in meine eigene Fabrik bringen lassen. Ich bin n‰mlich im Erdnuflgesch‰ft, wissen Sie, und ich besch‰ftige ungef‰hr hundert Frauen, die die Erdn¸sse enth¸lsen, ehe sie gesalzen und gerˆstet werden. Das machen diese Frauen den ganzen Tag lang: Sie sitzen da und enth¸lsen Erdn¸sse. Ich hab ihnen gesagt: , hab ich zu ihnen gesagt, <jetzt ist Schlufl mit den Erdn¸ssen, jetzt kommt die Schokolade an die Reihe!> Und ich hab s‰mtliche Arbeiterinnen in der Fabrik von morgens bis abends die Verpackung von den Schokoladentafeln abreiflen lassen... im 27

Akkord, versteht sich. Aber nach drei Tagen hatten wir das Ding immer noch nicht gefunden! Oh, es war schrecklich! Meine kleine Veruschka wurde mit jedem Tag aufgeregter. Jedesmal wenn ich nach Hause kam, rief sie: <Papa, hast du meine Goldene Eintrittskarte? Ich will meine Goldene Eintrittskarte haben!> Und dann warf sie sich auf den Fuflboden und lag stundenlang da und schrie und trat um sich. Es war wirklich beunruhigend. Ich konnte es nicht mit ansehen, dafl mein kleines M‰dchen so ungl¸cklich war, und ich habe mir geschworen, dafl ich so lange suchen w¸rde, bis ich ihr geben konnte, was sie haben wollte. Na, und am vierten Tag, gegen Abend, war es endlich soweit. Eine von meinen Arbeiterinnen schrie: Und ich sagte: und raste nach Hause und gab sie meiner lieben kleinen Veruschka, und jetzt ist sie zufrieden, und wir sind wieder eine gl¸ckliche Familie.ª ´Das Gˆr ist sogar noch schlimmer als der fette Jungeª, sagte Groflmutter Josefine. ´Der w¸rde eine anst‰ndige Tracht Pr¸gel guttunª, meinte Groflmutter Georgine. ´Ich finde, es ist nicht fair, dafl der Vater alle Schokolade gekauft hatª, murmelte Charlie. ´Findest du nicht auch, Groflvater?ª ´Er verwˆhnt seine Tochter, und so etwas nimmt meistens ein bˆses Ende. Du wirst noch an meine Worte denken, Charlieª, sagte Groflvater Josef. ´Es ist Zeit zum Schlafengehen, mein Lieblingª, sagte Charlies Mutter. ´Morgen ist dein Geburtstag ñ da stehst du sicher fr¸h auf, um dein Geschenk auszupacken.ª ´Eine Tafel Wonka-Schokolade!ª rief Charlie. ´Ja, nat¸rlich, mein Junge, nat¸rlich.ª ´W‰re es nicht einfach groflartig, wenn ich die dritte Goldene Eintrittskarte darin f‰nde?ª sagte Charlie. ´Pack die Schokolade hier bei uns aus, damit wir alle 28

zuschauen kˆnnenª, sagte Groflvater Josef.

7 Charlies Geburtstag ´Viele Gl¸ckw¸nsche zum Geburtstag!ª riefen alle vier Grofleltern im Chor, als Charlie am n‰chsten Morgen zu ihnen ins Zimmer kam. Charlie l‰chelte aufgeregt und setzte sich auf die Bettkante. Er hielt sein Geschenk, sein einziges Geschenk, vorsichtig in beiden H‰nden. WONKAS WUNDER-WEICH-CREMEF‹LLUNG stand auf der Verpackung. Die vier alten Leute, zwei an jedem Ende des Bettes, setzten sich auf und starrten wie gebannt auf die Tafel Schokolade in Charlies Hand. Auch Charlies Eltern kamen ins Zimmer. Sie standen am Fuflende und beobachteten Charlie. Es wurde ganz still im Raum: Alle warteten darauf, dafl Charlie endlich sein Geschenk auspackte. Charlie betrachtete seine Schokoladentafel. Er strich langsam und z‰rtlich mit den Fingerspitzen dar¸ber, und das gl‰nzende Einwickelpapier knisterte vernehmlich in dem leisen Zimmer. Dann sagte Charlies Mutter mit sanfter Stimme: ´Du darfst nicht zu entt‰uscht sein, mein Liebling, wenn du nicht das darin findest, was du zu finden hoffst. So viel Gl¸ck kann man einfach nicht erwarten.ª ´Mutter hat rechtª, sagte Charlies Vater. ´Schliefllich gibt es auf der ganzen Welt nur noch drei Goldene Eintrittskarten, die noch nicht gefunden worden sindª, sagte Groflmutter Josefine. 29

´Denk daran, dafl du auf jeden Fall eine ganze Tafel Schokolade hast, mein Jungeª, sagte Groflmutter Georgine. ´Ja! Wonkas Wunder-Weich-Creme-F¸llung!ª rief Groflvater Georg. ´Das ist die beste von allen! Die wird dir schmecken!ª ´Ja, ich weifl!ª fl¸sterte Charlie. ´Denk einfach nicht mehr an die Goldenen Eintrittskarten, und freu dich ¸ber deine Schokoladeª, sagte Groflvater Josef. Sie wuflten, dafl es geradezu l‰cherlich war, darauf zu hoffen, dafl ausgerechnet in dieser Tafel Schokolade eine Goldene Eintrittskarte steckte, und sie versuchten vorsichtig, Charlie auf die Entt‰uschung vorzubereiten. Sie wuflten aber auch, dafl trotz allem eine einzige, winzige Chance bestand... Es muflte eine Chance bestehen. Diese Tafel konnte ebensogut eine Goldene Eintrittskarte enthalten wie jede andere. Und deshalb waren die Grofleltern und auch Charlies Eltern in Wirklichkeit genauso aufgeregt und gespannt wie Charlie, obwohl sie so taten, als w‰ren sie ganz ruhig. ´Pack sie lieber gleich aus, sonst kommst du noch zu sp‰t zur Schuleª, sagte Groflvater Josef. ´Dann hast duís hinter dirª, meinte Groflvater Georg. ´Bitte, mach sie endlich auf, Charlie. Ich werde schon ganz nervˆsª, sagte Groflmutter Georgine. Ganz langsam zog Charlie an einer Ecke des Einwickelpapiers. Die Grofleltern beugten sich im Bett vor und reckten ihre mageren H‰lse. Und plˆtzlich... als ob er die Spannung nicht l‰nger aushalten kˆnnte... rifl Charlie das Papier mit einem Ruck in der Mitte auf...und eine hellbraune Schokoladentafel fiel auf seine Knie. Von einer Goldenen Eintrittskarte war nichts zu sehen. ´Da kann man nichts machen. Genau damit haben wir schliefllich gerechnetª, sagte Groflvater Josef munter. Charlie blickte auf. Vier freundliche alte Gesichter 30

beobachteten ihn. Er l‰chelte sie an ñ es war ein kleines, trauriges L‰cheln. Und dann zuckte er die Achseln, nahm die Schokoladentafel und hielt sie seiner Mutter hin. ´Beifl mal ab, Mutter. Wir teilen. Ihr sollt alle davon probieren.ª ´Das kommt gar nicht in Frage!ª sagte seine Mutter. ´Nein, nein! Wir w¸rden nicht im Traum daran denken! Die Schokolade gehˆrt dir ganz allein!ª sagten die Grofleltern. ´Bitte!ª Charlie hielt Groflvater Josef die Schokolade hin... Aber weder er noch sonst jemand liefl sich dazu bewegen, auch nur ein winziges St¸ckchen abzubeiflen. ´Es ist Zeit f¸r die Schule, Lieblingª, sagte seine Mutter und legte den Arm um Charlies magere Schultern. ´Du muflt jetzt gehen, sonst kommst du zu sp‰t.ª

8 Zwei weitere Goldene Eintrittskarten werden gefunden Am gleichen Tag verk¸ndete die Abendzeitung, dafl nicht nur die dritte, sondern ebenso auch die vierte Goldene Eintrittskarte gefunden worden sei. ZWEI GOLDENE EINTRITTSKARTEN GEFUNDEN... NUR NOCH EINE ‹BRIG... schrien die Schlagzeilen. ´Jetzt lies uns vor, wer sie gefunden hatª, sagte Groflvater Josef, als sich nach dem Abendessen die ganze Familie im Zimmer der Grofleltern versammelt hatte. Charlies Vater hielt die Zeitung ganz dicht vors Gesicht. Er hatte schlechte Augen und konnte sich keine Brille leisten. 31

´Die dritte Goldene Eintrittskarte wurde von Violetta Beauregarde gefunden. Es herrschte grofle Aufregung in der Familie Beauregarde, als unser Reporter erschien, um die gl¸ckliche junge Dame zu interviewen. Fernsehkameras surrten, Blitzlichter blitzten, und Menschen dr‰ngten und schubsten, um etwas n‰her an das ber¸hmte M‰dchen heranzukommen. Das ber¸hmte M‰dchen selbst stand im Wohnzimmer auf einem Stuhl und wedelte mit der Goldenen Eintrittskarte. Sie sprach sehr laut und sehr schnell zu den versammelten Leuten, aber sie war nur schwer zu verstehen, da sie st‰ndig wie besessen auf einem St¸ck Kaugummi kaute.

Sie rief:
Kaugummi nicht leben. Ich kaue den ganzen Tag lang. Aufler bei Tisch. Da nehme ich meinen Kaugummi ein paar Minuten aus dem Mund und klebe ihn mir solange hinters Ohr. Ich w¸rde mich, ehrlich gesagt, nicht wohl f¸hlen, wenn ich nicht den ganzen Tag einen Kaugummi zwischen den Z‰hnen h‰tte. Meine Mutter sagt immer, das ist nicht damenhaft, und sie behauptet, es sieht h‰fllich aus, wenn bei einem jungen M‰dchen dauernd der Unterkiefer rauf und runter geht wie bei mir, aber das finde ich nicht. Auflerdem geht ihr Unterkiefer auch den ganzen Tag lang rauf und runter, weil sie dauernd an mir herummeckert! > begann Frau Beauregarde, die sich in der anderen Ecke des Zimmers auf das Klavier gerettet hatte, um nicht von der Menge zertrampelt zu werden. schrie Violetta Beauregarde und wandte sich wieder den Reportern zu.
mit teuren Handschuhen. O ja, ich bin nat¸rlich begeistert, dafl ich Herrn Wonkas Fabrik besichtigen darf. Und hinterher schenkt er mir, wenn ich das richtig verstanden habe, genug Kaugummi f¸r mein ganzes Leben! Ist das nicht einsame Klasse?> ´Gr‰flliches M‰dchen!ª sagte Groflmutter Josefine. ´Abscheulich!ª stimmte Groflmutter Georgine zu. ´Sie wird noch mal ein schlimmes Ende nehmen, bei all dem Kaugummi, das sie kaut, ihr werdet schon sehen.ª ´Und wer hat die vierte Goldene Eintrittskarte, Vater?ª fragte Charlie. ´Momentª, sagte Charlies Vater und kniff die Augen zusammen. ´Ah, ja, hier steht es: <Ein Junge namens Micky Schiefler fand die vierte Goldene Eintrittskarte.>ª ´Wahrscheinlich noch so eine ¸ble Typeª, murmelte Groflmutter Josefine. ´Bitte, unterbrich nicht, Groflmutterª, sagte Charlies Mutter. Charlies Vater las weiter: ´Auch bei Familie Schiefler wimmelte es schon von aufgeregten Besuchern, als unser Reporter eintraf. Aber Micky Schiefler, der gl¸ckliche Gewinner, schien sich f¸r das alles nicht zu interessieren. <Seht ihr nicht, dafl ich gerade fernsehe, ihr Idioten?> sagte er ‰rgerlich.

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Der neunj‰hrige Junge safl vor einem riesigen Fernsehger‰t und sah sich einen Film an, in dem eine Bande Gangster eine andere Bande Gangster mit Maschinenpistolen zusammenschofl. Micky selbst hatte nicht weniger als achtzehn Spielzeugpistolen in allen Grˆflen an G¸rteln um sich herumh‰ngen. Hin und wieder sprang er auf und verknallte ein paar Runden Schieflpl‰ttchen mit der einen oder anderen dieser Waffen. Als jemand ihm eine Frage stellte, schrie Micky Schiefler:
aufeinander losgehen, zack, zack! Mann, das ist ein Ding! So was mache ich sp‰ter auch mal! Das ist das Leben. Irre! Toll!> ´Das gen¸gt mir!ª sagte Groflmutter Josefine in scharfem Ton. ´Das kann man ja nicht mit anhˆren!ª ´Das finde ich auchª, sagte Groflmutter Georgine. ´Benehmen sich heutzutage alle Kinder so wie diese... diese vier Gˆren, von denen wir da gehˆrt haben?ª ´Nat¸rlich nichtª, sagte Charlies Vater und sah die beiden Groflm¸tter l‰chelnd an. ´Manche benehmen sich so... ziemlich viele sogar. Aber l‰ngst nicht alle.ª ´Jedenfalls ist jetzt nur noch eine Goldene Eintrittskarte ¸brigª, sagte Groflvater Georg. ´Jaª, schniefte Groflmutter Georgine. ´Und genauso sicher, wie wir morgen abend wieder Kohlsuppe essen werden, genauso sicher wird diese allerletzte Goldene Eintrittskarte von irgendeinem f¸rchterlichen, verzogenen kleinen Biest gefunden, das sie gar nicht verdient.ª

9 Groflvater Josef setzt alles auf eine Karte

Als Charlie am n‰chsten Tag aus der Schule nach Hause kam und zu seinen Grofleltern ins Zimmer ging, war nur Groflvater Josef wach. Die anderen drei schnarchten laut. ´Pssst!ª fl¸sterte Groflvater Josef und winkte Charlie zu sich. Charlie schlich auf Zehenspitzen zum Bett. Der alte Mann l‰chelte verschmitzt, suchte mit der Hand unter dem 36

Kopfkissen herum und zog plˆtzlich einen uralten ledernen Geldbeutel darunter hervor. Er hielt die Bettdecke wie zum Schutz ein wenig hoch und st¸lpte den Geldbeutel um. Ein einziges silbernes Zehn-Cent-St¸ck fiel heraus. ´Das ist mein heimlich gespartes Geldª, fl¸sterte Groflvater Josef. ´Niemand weifl etwas davon. Und jetzt versuchen wir beide noch einmal, die letzte Goldene Eintrittskarte zu finden. Du muflt mir dabei helfen.ª ´Willst du dein Geld wirklich daf¸r ausgeben, Groflvater?ª fl¸sterte Charlie. ´Nat¸rlich! Ich bin genauso versessen auf diese Goldene Eintrittskarte wie du!ª sprudelte der alte Mann aufgeregt heraus. ´Steh nicht herum und ¸berlegís dir nicht zu lange! Nimm das Geld und lauf zum n‰chsten Laden und kauf die erstbeste Tafel Wonka-Schokolade, die dir in die Finger kommt. Bring sie mir auf dem schnellsten Wege, dann packen wir sie zusammen aus.ª Charlie nahm die kleine Silberm¸nze und schl¸pfte aus dem Zimmer. Nach f¸nf Minuten war er wieder da. ´Hast du sie?ª fl¸sterte Groflvater Josef. Seine Augen funkelten vor Aufregung. Charlie nickte und hielt ihm die Tafel Schokolade hin. WONKAS KNUSPER-NUSS-‹BERRASCHUNG stand auf der Verpackung. ´Fein!ª Groflvater Josef setzte sich im Bett auf und rieb sich die H‰nde. ´Jetzt setz dich dicht neben mich, damit wir sie zusammen auspacken kˆnnen. Bist du bereit?ª ´Ja, ich bin bereit.ª ´Gut, dann reifl die erste Ecke auf, Charlie.ª ´Nein, du muflt sie auspacken, Groflvater; du hast sie bezahltª, sagte Charlie. Die Finger des alten Mannes zitterten schrecklich, als sie nach der Schokoladentafel griffen. ´Im Grunde genommen besteht nicht die geringste Hoffnung, dar¸ber bist du dir doch 37

klar?ª fl¸sterte er und kicherte leise vor sich hin. ´Ja, das weifl ichª, sagte Charlie. Sie sahen einander an und stieflen beide ein leises, nervˆses Lachen aus. ´Aber eine winzig kleine Chance, dafl es die richtige ist, haben wir trotzdem, nicht wahr?ª sagte Groflvater Josef. ´Ja, nat¸rlich. Jetzt mach sie auf, Groflvater.ª ´Immer mit der Ruhe, mein Junge, immer mit der Ruhe. Mit welcher Ecke soll ich anfangen?ª ´Mit der da. Reifl sie ein biflchen auf, aber nicht so weit, dafl wir schon etwas sehen kˆnnen.ª ´So?ª fragte Groflvater Josef. ´Ja, und jetzt noch ein kleines St¸ckchen.ª ´Mach du weiter. Ich bin zu nervˆsª, sagte Groflvater Josef. ´Nein, Groflvater. Du muflt es selber machen.ª ´Na, gut... Also los!ª Und Groflvater Josef rifl das ganze Papier auf einmal ab. Beide starrten auf das, was da vor ihnen lag. Eine Tafel Schokolade... und sonst gar nichts. Plˆtzlich ging ihnen auf, wie komisch das Ganze war, und sie brachen beide in Gel‰chter aus. ´Was ist denn hier los?ª Groflmutter Josefine war plˆtzlich aufgewacht. ´Nichtsª, sagte Groflvater Josef. ´Schlaf nur weiter.ª

10 Die Familie Bucket verhungert beinahe In den beiden darauffolgenden Wochen wurde es sehr kalt. 38

Zuerst kam der Schnee. Eines Morgens, als Charlie sich gerade f¸r die Schule anzog, sanken plˆtzlich grofle dicke Flocken vom stahlgrauen Himmel herab. Am Abend lag der Schnee schon ¸ber einen Meter hoch rund um das kleine Holzhaus, und Charlies Vater muflte den Weg von der Haust¸r zur Strafle freischaufeln. Nach dem Schnee kam eisiger Sturm, der mehrere Tage hintereinander tobte, ohne jemals aufzuhˆren. Und wie bitterkalt es war! Alles, was Charlie ber¸hrte, schien aus Eis zu bestehen, und jedesmal, wenn er vor die T¸r trat, traf ihn der Wind wie ein Messerstich. Eiskalte Luft drang durch alle Fensterritzen und T¸ren in das kleine Haus ein, und es gab drinnen keine einzige Stelle, an der es nicht st‰ndig zog. Die vier alten Grofleltern lagen stumm und zusammengekr¸mmt im Bett. Die Aufregung um die Goldenen Eintrittskarten war l‰ngst vergessen. In Charlies Familie dachte niemand mehr an etwas anderes als daran, wie sie sich w‰rmen und genug zu essen beschaffen sollten. Bei grofler K‰lte bekommt man leider meistens sehr groflen Hunger. Man denkt viel ˆfter als sonst an kˆstliche dampfende Fleischsuppen und heiflen Apfelstrudel und andere gute Sachen, die einen von innen aufw‰rmen. Und meistens bekommen wir auch, was wir uns w¸nschen ñ und wissen gar nicht, wie gut es uns geht. Aber Charlie bekam niemals, was er sich w¸nschte. Seine Eltern waren daf¸r zu arm, und je l‰nger die K‰lte dauerte, um so hungriger wurde er. Die beiden Tafeln Schokolade ñ die vom Geburtstag und die zweite, die Groflvater Josef gekauft hatte ñ waren l‰ngst aufgeknabbert, und Charlie bekam nur dreimal am Tag w‰flrigen Kohl. Dann wurde die w‰flrige Kohlsuppe noch d¸nner, denn die Zahnpastafabrik machte plˆtzlich Pleite und muflte von einem Tag zum andern schlieflen. Nat¸rlich versuchte Charlies Vater sofort, eine andere Arbeit zu finden, aber er hatte kein Gl¸ck. Er konnte sich nur mit Schneeschaufeln auf den Straflen ein 39

biflchen Geld verdienen. Und das reichte nicht, um auch nur ein Viertel der Lebensmittel zu kaufen, die sieben Menschen brauchten. Die Lage war wirklich verzweifelt. Zum Fr¸hst¸ck gab es jetzt f¸r jeden nur noch eine einzige Scheibe Brot und mittags oft nur eine gekochte Kartoffel. Wenn das so weiterging, w¸rden sie am Ende wirklich verhungern. Und jeden Tag muflte der kleine Charlie auf dem Weg zur Schule an Herrn Wonkas Schokoladenfabrik vorbei. Und jedesmal reckte er seine kleine, spitze Nase in die Luft und atmete den herrlichen Schokoladenduft tief ein. Manchmal blieb er ein paar Minuten lang regungslos vor dem groflen eisernen Tor stehen und schluckte die gute Luft herunter, als kˆnnte er davon satt werden. An einem eiskalten Morgen steckte Groflvater Josef den Kopf unter der Decke hervor und sagte: ´Das Kind mufl mehr zu essen bekommen. F¸r uns Alte ist es nicht schlimm, wenn wir hungern m¸ssen... Aber ein Junge, der noch w‰chst! So geht das nicht weiter! Er sieht schon klapperd¸rr aus!ª ´Wir kˆnnen gar nichts tunª, murmelte Groflmutter Josefine ungl¸cklich. ´Er weigert sich, etwas von unserer Portion zu essen. Wie ich hˆre, wollte seine Mutter ihm heute morgen ihre Scheibe Brot auf den Teller legen, aber er hat das Brot nicht anger¸hrt und darauf bestanden, dafl sie es selber afl.ª ´Es ist ein lieber kleiner Kerl, und er hat etwas Besseres verdient als dieses Lebenª, sagte Groflvater Georg. Das grausam kalte Wetter hielt an. Charlie wurde jeden Tag magerer. Sein Gesicht war erschreckend blafl und spitz. Die Haut spannte sich so straff und durchsichtig ¸ber den Wangen, dafl man die Form der Knochen darunter sah. Wenn das so weiterging, w¸rde er bald krank werden und sogar in Lebensgefahr schweben. Um seine Kr‰fte zu schonen, ging Charlie morgens zehn Minuten fr¸her aus dem Haus, damit er langsam zur Schule gehen konnte und nicht rennen muflte. In den Pausen blieb er in 40

der warmen Klasse sitzen und ruhte sich aus, w‰hrend die anderen Kinder drauflen herumtobten und Schneeballschlachten machten. Er bewegte sich nur noch ganz langsam und vorsichtig. Er war sonst zu schnell erschˆpft.

Eines Nachmittags, als Charlie durch den eisigen Wind von der Schule nach Hause ging und der Hunger ihn schlimmer qu‰lte als je zuvor, fiel sein Blick plˆtzlich auf ein St¸ck Papier, das im Rinnstein im Schnee lag. Das Papier war gr¸nlich und kam Charlie irgendwie bekannt vor. Er trat vom B¸rgersteig herunter und b¸ckte sich, um es sich n‰her anzusehen. Es steckte halb im Schnee, aber Charlie sah trotzdem sofort, was es war... Es war eine Dollarnote! Charlie sah sich schnell um. Hatte jemand den Geldschein gerade verloren? Nein, das war unmˆglich, weil er ja halb im Schnee vergraben lag. Die Leute hasteten vorbei, die H‰nde in den 41

Taschen, den Mantelkragen hochgeschlagen, und ihre Schritte knirschten im Schnee. Niemand sah sich suchend nach einem verlorenen Geldschein um. Niemand achtete auf den kleinen Jungen, der im Rinnstein hockte. Gehˆrte dieser Dollar also ihm? Durfte er ihn nehmen? Charlie zog den Geldschein vorsichtig aus dem Schnee. Er war feucht und schmutzig, aber sonst ganz in Ordnung. EIN GANZER DOLLAR! Charlie umklammerte das Geld mit seinen verfrorenen Fingern und starrte darauf. Er hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf. Mit diesem Dollar konnte er sich ETWAS ZUM ESSEN KAUFEN. Charlie wandte sich um und steuerte auf den n‰chsten Laden zu. Er brauchte nur ein paar Schritte ¸ber den B¸rgersteig zu gehen. Dort war ein Laden, der Zeitungen und Schreibpapier und allen mˆglichen Krimskrams verkaufte, darunter S¸fligkeiten und Tabakwaren. Charlie wollte sich eine schˆne Tafel Schokolade kaufen und sie sofort bis auf den letzten Kr¸mel aufessen, gleich hier. Und dann wollte er schnurstracks nach Hause gehen und den Rest des Geldes seiner Mutter geben.

11 Das Wunder Charlie betrat den Laden und legte die feuchte Dollarnote auf die Theke. ´Eine Tafel Schokolade bitte ñ Wonkas Wunder-Weich42

Creme-F¸llungª, sagte er, denn er dachte daran, wie gut ihm seine Geburtstags-Schokolade geschmeckt hatte. Der Mann hinter dem Tresen war dick und wohlgen‰hrt. Er hatte volle Lippen und rosige Backen und einen kurzen Hals, der ¸ber dem Hemdkragen wie ein Gummiring hervorquoll. Er drehte sich um, nahm eine Tafel Schokolade aus dem Regal und gab sie Charlie. Charlie rifl das Papier auf und machte einen Riesenbissen. Und noch einen... und noch einen... Oh, was f¸r eine Wohltat, sich den Mund mit s¸fler Schokolade, mit etwas Festem und Nahrhaftem vollzustopfen! ´Na, das scheint dir ja zu schmeckenª, sagte der Ladenbesitzer freundlich. Charlie nickte nur. Er hatte den ganzen Mund voll Schokolade. Der Ladenbesitzer legte das Wechselgeld auf die Theke. ´Langsam, lafl dir Zeit, mein Junge. Du kriegst Bauchweh, wenn du die Schokolade hinunterschlingst, ohne zu kauenª, sagte er. Aber Charlie konnte nicht langsam essen. Er verschlang die ganze Tafel in kaum einer halben Minute. Danach war er ganz aufler Atem, aber auch so gl¸cklich wie schon sehr lange nicht mehr. Er streckte die Hand aus, um das Wechselgeld zu nehmen. Plˆtzlich hielt er inne. Charlie war gerade grofl genug, um auf den Tresen sehen zu kˆnnen. Er starrte auf die kleinen Silberm¸nzen... neun silberne Zehn-Cent-M¸nzen. Sicher machte es nichts aus, wenn er noch eine davon ausgab... nur eine einzige? ´Ich glaube... ich nehme noch eine Tafel Schokoladeª, sagte er leise. ´Die gleiche Sorte wie eben, bitte.ª ´Warum nicht?ª Der dicke Ladenbesitzer griff wieder hinter sich und legte noch eine Tafel auf den Tresen. Charlie rifl das Papier auf... und plˆtzlich... unter dem Papier blitzte ihm etwas Goldenes entgegen. Charlie glaubte, das Herz bliebe ihm stehen. ´Eine Goldene Eintrittskarte!ª rief der dicke Ladenbesitzer 43

und sprang beinahe einen halben Meter hoch in die Luft. ´Du hast die letzte Goldene Eintrittskarte erwischt! Nein, so was! Nun seht euch das einmal an, alle miteinander! Der Junge hat Wonkas letzte Goldene Eintrittskarte gefunden! Da ist sie! Er h‰lt sie in der Hand!ª

Der Ladenbesitzer schrie so, dafl drauflen die Leute verwundert stehenblieben. ´Er hat die letzte Goldene Eintrittskarte gefunden, hier in meinem Laden! Jemand mufl sofort bei der Zeitung anrufen und Bescheid sagen. Sei vorsichtig, Junge! Pafl auf, dafl du die Eintrittskarte nicht beim Auspacken zerreiflt! Das Ding ist was wert!ª Nach wenigen Sekunden umringten mindestens zwanzig Leute Charlie, und immer mehr Menschen dr‰ngten von der Strafle herein. Alle wollten die Goldene Eintrittskarte und den gl¸cklichen Finder sehen. ´Wo ist sie? Halt sie hoch, damit wir sie alle sehen kˆnnen!ª rief jemand. ´Da ist sie! Er hat sie in der Hand! Man sieht das Gold blitzen!ª rief ein anderer. ´Ich mˆchte blofl wissen, wie der das fertiggebracht hat!ª schimpfte ein grofler Junge ‰rgerlich. ´Ich habe wochenlang jeden Tag zwanzig Tafeln gekauft ñ alles umsonst!ª 44

´Stellt euch mal die S¸fligkeiten vor, die er jetzt sein Leben lang umsonst bekommt!ª sagte ein anderer Junge neidisch. ´Er kannís gebrauchen, der arme, magere kleine Kerlª, sagte ein junges M‰dchen lachend. Charlie hatte sich noch nicht von der Stelle ger¸hrt. Er hatte nicht einmal die Schokolade ganz ausgepackt und die Goldene Eintrittskarte herausgenommen. Er stand einfach nur da und hielt seine Schokolade mit beiden H‰nden fest, w‰hrend die Menge um ihn herum schob und schrie und mit den Armen herumfuchtelte. Charlie war vˆllig benommen. Ein eigenartiges, schwebendes Gef¸hl ¸berkam ihn, als w¸rde er gleich wie ein Ballon in die Luft aufsteigen. Seine F¸fle schienen den festen Boden nicht mehr zu ber¸hren. Das Herz schlug ihm bis zum Halse. Da wurde ihm bewuflt, dafl eine Hand leicht auf seiner Schulter lag, und er sah auf. Ein grofler Mann stand neben ihm, beugte sich ¸ber ihn und fl¸sterte: ´Hˆr zu, ich kaufe dir die Eintrittskarte ab. Ich gebe dir f¸nfundzwanzig Dollar daf¸r. Was sagst du dazu? Und auch noch ein neues Fahrrad. Einverstanden?ª ´Sind Sie verr¸ckt?ª schrie eine Frau, die ebenfalls dicht neben Charlie stand. ´Ich w¸rde ihm f¸nfhundert Dollar f¸r diese Eintrittskarte geben! Verkaufst du sie f¸r f¸nfhundert Dollar, junger Mann?ª ´Jetzt reichtís aber!ª br¸llte der dicke Ladenbesitzer, schob sich durch die Menge und nahm Charlie energisch beim Arm. ´Laflt den Jungen in Ruhe! Platz da, laflt ihn hinaus!ª Er bahnte Charlie einen Weg zur T¸r und fl¸sterte ihm zu: ´Lauf lieber schnell nach Hause, ehe jemand an das Ding rankommt. Renn den ganzen Weg, und bleib nicht stehen, bis du gl¸cklich zu Hause angelangt bist. Verstanden?ª Charlie nickte. ´Weiflt du was?ª Der Ladenbesitzer sah Charlie l‰chelnd an. ´Ich habe das Gef¸hl, du kannst dieses Gl¸ck brauchen. Ich 45

freue mich, dafl du die letzte Eintrittskarte erwischt hast. Alles Gute, mein Junge!ª ´Vielen Dank!ª sagte Charlie, und dann rannte er los, so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Als er an Herrn Wonkas Schokoladenfabrik vorbeirannte, winkte er und rief: ´Ich komme dich besuchen, ich komme dich besuchen, bald!ª F¸nf Minuten sp‰ter war Charlie zu Hause.

12 Was auf der Goldenen Eintrittskarte steht Charlie schofl durch die Haust¸r und schrie: ´Mutter... Mutter... Mutter...!ª Seine Mutter war gerade im Zimmer der Grofleltern und brachte ihnen die Abendsuppe. ´Mutter!ª Charlie st¸rzte wie ein Wirbelwind ins Zimmer. ´Hier! Ich hab sie... ich hab sie... Da, sieh mal! Die letzte Goldene Eintrittskarte! Sie gehˆrt mir! Ich habe Geld gefunden, und ich habe mir zwei Tafeln Schokolade gekauft, weil ich solchen Hunger hatte, und in der zweiten Tafel war die Goldene Eintrittskarte, und dann sind alle Leute in den Laden gekommen und wollten sie sehen, und der Ladenbesitzer hat mir rausgeholfen, und dann bin ich den ganzen Weg bis nach Hause gerannt, und hier bin ich! Das ist die f¸nfte Goldene Eintrittskarte, UND ICH HABE SIE GEFUNDEN!ª Charlies Mutter stand wie erstarrt da. Die vier Grofleltern, die aufrecht im Bett saflen und ihre Suppenteller auf den Knien hielten, lieflen alle miteinander klappernd die Lˆffel fallen und dr¸ckten sich stocksteif in ihre Kissen. 46

Etwa zehn Sekunden lang herrschte vˆllige Stille im Raum. Niemand wagte zu sprechen oder sich zu bewegen. Es war wie ein Zauber. Dann sagte Groflvater Josef ganz leise: ´Du machst Witze, nicht wahr, Charlie?ª ´Nein!ª schrie Charlie, sprang zum Bett und hielt Groflvater Josef die schˆne grofle Goldene Eintrittskarte hin. Groflvater Josef beugte sich so weit vor, dafl er beinahe mit der Nase auf die Goldene Eintrittskarte stiefl. Die anderen beobachteten ihn gespannt und warteten auf sein Urteil. Dann hob Groflvater Josef langsam den Kopf, schaute Charlie an, und ein strahlendes L‰cheln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Seine Wangen rˆteten sich, seine Augen wurden riesengrofl und blitzten vor Freude und Aufregung. Der alte Mann holte tief Luft, und plˆtzlich, ohne jede Warnung, schien etwas in ihm zu explodieren. Er warf die Arme in die Luft und schrie: ´Huuuuuuuuurrrrrraaaaaaaaaaaaaaaa!ª Seine lange, knochige Gestalt richtete sich hoch auf, sein Suppenteller flog Groflmutter Josefine ins Gesicht, und mit einem gewaltigen Satz sprang der alte Mann von ¸ber sechsundneunzig Jahren aus dem Bett und veranstaltete im Nachthemd einen Freudentanz. Dabei war er seit zwanzig Jahren nicht mehr aufgestanden. ´Huuurrrraaaa!ª schrie er. ´Dreimal Hurra f¸r Charlie! Hoch soll er leben, hurra!ª Die T¸r ˆffnete sich, und Charlies Vater kam herein. Man sah ihm an, wie m¸de und verfroren er war. Er hatte den ganzen Tag lang in der Stadt Schnee geschaufelt. ´Was ist denn hier los? Seid ihr ¸bergeschnappt?ª rief er. Sie brauchten nicht lange, um ihm alles zu erz‰hlen. ´Das glaube ich nichtª, sagte Charlies Vater. ´So etwas ist einfach unmˆglich.ª ´Zeig ihm die Eintrittskarte, Charlie!ª rief Groflvater Josef, der immer noch wie ein Derwisch in seinem Nachthemd herumtanzte. ´Zeig deinem Vater die f¸nfte und letzte Goldene 47

Eintrittskarte auf der Welt!ª

´Ja, zeig sie mirª, sagte Charlies Vater und liefl sich auf einen Stuhl sinken. Charlie gab ihm das kostbare Dokument. Die Goldene Eintrittskarte war wunderschˆn. Sie schien tats‰chlich aus schierem Gold zu bestehen, das so d¸nn wie Papier ausgewalzt worden war. Auf die eine Seite war in pechschwarzen Buchstaben Herrn Wonkas Einladung gedruckt. ´Lies uns alles ganz genau vorª, bat Groflvater Josef und kletterte endlich wieder ins Bett. Charlies Vater hielt sich die schˆne Goldene Eintrittskarte dicht vor die Augen. Seine H‰nde zitterten ein wenig, und er schien ganz ¸berw‰ltigt von der groflen Neuigkeit zu sein. Er holte ein paarmal tief Luft. Dann r‰usperte er sich und sagte: ´Also gut, ich lese vorª: Guten Tag und herzlichen Gl¸ckwunsch zu Deiner Goldenen Eintrittskarte! Viele wunderbare ‹berraschungen erwarten Dich! Ich lade Dich ein, einen ganzen Tag lang mein Gast zu sein. Ich werde Dich durch meine Fabrik f¸hren und Dir alles zeigen. Nach dem Besuch f‰hrt Dich ein riesengrofler Lastwagen nach Hause, der bis oben hin mit genug 48

S¸fligkeiten f¸r ein paar Jahre beladen ist. Wenn Du das alles aufgegessen hast, brauchst Du nur mit Deiner Goldenen Eintrittskarte zu mir zu kommen, und ich gebe Dir alle Schleckereien, die Du nur haben willst, Dein ganzes Leben lang. Aber das ist noch l‰ngst nicht die grˆflte ‹berraschung, die Dich bei mir erwartet. Du kannst Dir nicht einmal im Traum die phantastischen, fabulˆsen, geheimnisvollen, unglaublichen Dinge vorstellen, die Du bei mir sehen und erleben wirst. Ich erwarte Dich am 1. Februar Punkt zehn Uhr am Fabriktor. Komm keine Minute zu sp‰t! Du darfst Deine Eltern mitbringen oder sonst jemanden aus Deiner Familie, der auf Dich aufpaflt und daf¸r sorgt, dafl Du nichts anstellst. Und vergifl Deine Goldene Eintrittskarte nicht, denn sonst darfst Du nicht herein. Willy Wonka

´Der 1. Februar... das ist morgen!ª rief Charlies Mutter. ´Heute ist doch der 31.Januar, nicht wahr?ª ´Tats‰chlich!ª rief Charlies Vater. ´Ich glaube, du hast recht!ª ´Du hast die Eintrittskarte gerade noch rechtzeitig gefunden!ª rief Groflvater Josef. ´Und jetzt d¸rfen wir keine Minute verlieren! Du muflt sofort mit den Vorbereitungen beginnen! Du muflt dir das Gesicht waschen, die Haare k‰mmen, die H‰nde schrubben, die Z‰hne b¸rsten, die Nase putzen, die Fingern‰gel schneiden, die Schuhe putzen, das Hemd b¸geln und vor allem den Schmutz von den Hosen b¸rsten! Mach dich fertig, mein Junge! Du muflt dich f¸r den groflen Tag deines Lebens vorbereiten!ª ´Reg dich nicht so auf, Groflvater!ª sagte Charlies Mutter. ´Und bring den armen Jungen nicht durcheinander. Wir m¸ssen versuchen, ganz ruhig zu bleiben. Und zuallererst m¸ssen wir uns ¸berlegen... wer geht mit Charlie in die Fabrik?ª ´Ich!ª rief Groflvater Josef und sprang wieder aus dem Bett. ´Ich begleite ihn! Ich passe auf ihn auf! ‹berlaflt das alles nur mir!ª Charlies Mutter l‰chelte Groflvater Josef an, dann wandte sie sich an Charlies Vater: ´Meinst du nicht, dafl du auch mitgehen 49

solltest, mein Lieber?ª ´Hmmm...ª machte Charlies Vater und ¸berlegte einen Augenblick. ´Nein... ich glaube nicht, dafl ich mitgehen sollte.ª ´Aber du muflt.ª ´Warum, meine Liebe?ª antwortete Charlies Vater freundlich. ´Nat¸rlich w¸rde ich sehr gern mitgehen. Es wird bestimmt interessant. Aber ich finde, Groflvater Josef hat es am meisten verdient, denn er weifl schon jetzt mehr von der Schokoladenfabrik als wir alle miteinander. Er soll nat¸rlich nur mitgehen, wenn er sich ganz wohl f¸hlt...ª ´Hurra!ª schrie Groflvater Josef, packte Charlie bei den H‰nden und tanzte mit ihm durchs Zimmer. ´Er scheint sich wirklich wohl zu f¸hlenª, sagte Charlies Mutter lachend. ´Ich glaube, du hast recht. Am besten ist, wenn Groflvater Josef mitgeht. Ich kann ganz bestimmt nicht mit und die alten Leute den ganzen Tag lang allein lassen.ª ´Herrlich, herrlich!ª br¸llte Groflvater Josef. ´Dem Himmel sei Dank!ª In diesem Augenblick klopfte es laut an der Haust¸r. Charlies Vater ˆffnete, und im n‰chsten Augenblick dr‰ngte ein Schwarm von Reportern und Fotografen ins Haus. Sie hatten den gl¸cklichen Finder der f¸nften Eintrittskarte aufgestˆbert, und jetzt wollten sie alles ganz genau wissen, um am Morgen eine grofle Geschichte dar¸ber auf der ersten Seite ihrer Zeitung zu bringen. Stundenlang herrschte vˆlliges Chaos in dem kleinen Haus, und es mufl fast Mitternacht gewesen sein, als Herr Bucket die Zeitungsleute endlich los wurde und Charlie schlafen gehen konnte.

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13 Der grofle Tag Am Morgen des groflen Tages schien strahlend die Sonne, aber der Boden war noch immer mit weiflem Schnee bedeckt, und die Luft war sehr kalt. Eine riesige Menschenmenge hatte sich vor dem eisernen Tor zur Schokoladenfabrik versammelt und wartete auf die f¸nf gl¸cklichen Besitzer der Goldenen Eintrittskarten. Es war kurz vor zehn Uhr, und es herrschte ungeheure Aufregung. Die Leute dr‰ngelten und schrien, und Polizisten bildeten eine Kette und versuchten, sie vom Fabriktor fernzuhalten. Dicht vor dem Tor standen die ber¸hmten f¸nf Kinder. Aufler Charlie hatten alle ihre Eltern mitgebracht, und das war ein Gl¸ck, denn sonst w‰ren sie wahrscheinlich schon jetzt vˆllig aufler Rand und Band geraten. Sie hatten es so eilig, in die Schokoladenfabrik zu gelangen, dafl ihre Eltern sie mit Gewalt zur¸ckhalten muflten, damit sie nicht ¸ber das Tor kletterten. ´Geduld, Geduld!ª mahnten die V‰ter. ´Es ist noch nicht zehn Uhr!ª Groflvater Josefs grofle, hagere Gestalt ¸berragte alle anderen. Der kleine Charlie stand ganz still und brav neben ihm und hielt seine Hand fest. Er hˆrte die Rufe der Leute, die sich nur wenige Schritte von ihm entfernt vor der Polizeikette dr‰ngten. ´Das da ist Violetta Beauregarde! Ich erinnere mich an ihr Bild in der Zeitung!ª rief jemand. ´Sieh dir das an! Sie kaut immer noch Kaugummi... wahrscheinlich das gleiche gr‰flliche St¸ck, auf dem sie schon drei Monate lang rumkaut!ª ´Und wer ist der fette Junge?ª 51

´Augustus Glupsch nat¸rlich!ª ´Genau!ª ´Ein m‰chtiger Brocken!ª ´Wahnsinnig!ª ´Der Junge mit dem Cowboybild auf der Windjacke, das ist sicher der Fernsehfanatiker...ª ´Micky Schiefler. Er mufl verr¸ckt sein! Sieh dir die Pistolen an, die er ¸berall an sich rumh‰ngen hat!ª ´Ich will Veruschka Salz sehen! Ich will ihren Vater sehen, der eine halbe Million Schokoladenriegel aufgekauft hat und sie dann in seiner Fabrik hat ˆffnen lassen, bis sie eine Goldene Eintrittskarte gefunden haben. In der Zeitung stand, er kauft ihr alles, was sie will! Sie braucht blofl danach zu schreien, und schon kriegt sieís!ª ´Unglaublich, nicht wahr?ª ´Empˆrend!ª ´Ich will Veruschka Salz sehen!ª ´Da dr¸ben links ist sie... das kleine M‰dchen in dem Mantel aus Silbernerz!ª ´Und wo ist Charlie Bucket?ª ´Na, direkt vor deiner Nase! Der magere kleine Kerl neben dem alten Mann, der genauso klapperd¸rr ist.ª ´Warum hat er bei der K‰lte keinen Mantel an?ª ´Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich kann er sich keinen leisten.ª ´Er wird sich eine Lungenentz¸ndung holen!ª Charlie dr¸ckte Groflvater Josefs Hand, und der alte Mann schaute zu ihm hinab und l‰chelte. Irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchenuhr zehnmal. Die Menge verstummte plˆtzlich. Die Kinder hˆrten auf herumzuhopsen. Alle Augen waren auf das Fabriktor gerichtet. Die rostigen Angeln quietschten laut, als sich die beiden groflen eisernen Torfl¸gel langsam ˆffneten. ´Da ist er!ª rief jemand. ´Da ist er!ª 52

14 Herr Willy Wonka Herr Willy Wonka stand ganz allein in dem groflen offenen Fabriktor. Und wie klein er war! Er hatte einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf. Er trug einen Frack aus wunderschˆnem, pflaumenblauem Samt. Seine Hose war flaschengr¸n. Seine Handschuhe waren perlgrau. Und in der Hand trug er einen eleganten Spazierstock mit einem goldenen Knauf. Er hatte einen kleinen, pechschwarzen Spitzbart. Und seine Augen... seine Augen waren ungewˆhnlich lebhaft und strahlten wunderbar. Ja, sein ganzes Gesicht leuchtete vor Frˆhlichkeit und guter Laune. Und wie gescheit er aussah! Wie flink er sich bewegte. Er machte unentwegt kleine ruckartige Bewegungen mit dem Kopf, und seinen blitzenden, funkelnden Augen entging nichts. Er wirkte mit seiner Lebhaftigkeit wie ein Eichhˆrnchen ñ wie ein flinkes, gescheites altes Eichhˆrnchen in einem Park. Plˆtzlich machte er ein paar komische kleine Tanzschritte im Schnee, breitete die Arme aus, l‰chelte den Kindern zu und rief: ´Willkommen, meine kleinen Freunde! Willkommen in der Schokoladenfabrik!ª Seine Stimme klang so hell wie eine Flˆte. ´Kommt bitte einer nach dem anderen mit euren Eltern herein und zeigt mir eure Goldene Eintrittskarte und sagt mir euren Namen. Nun? 53

Wen kann ich als ersten begr¸flen?ª

Der dicke Junge trat vor. ´Ich bin Augustus Glupsch.ª ´Augustus, mein lieber Junge, ich freue mich, dich kennenzulernen!ª rief Herr Wonka, ergriff Augustusí Hand und sch¸ttelte sie so heftig, dafl Augustusí Fettw¸lste wackelten. ´Ich bin erfreut! Entz¸ckt! Und das sind deine Eltern? Wie reizend! Treten Sie ein, treten Sie ein!ª Herr Willy Wonka war offensichtlich genauso aufgeregt wie seine G‰ste und die Zuschauer vor dem Tor. ´Ich heifle Veruschka Salz.ª ´Meine liebe Veruschka! Guten Tag, guten Tag! Es ist mir ein Vergn¸gen! Du hast einen sehr interessanten Namen, wirklich! Und wie bezaubernd du in deinem Nerzmantel aussiehst! Ich freue mich, dafl du Zeit hattest, herzukommen! Es wird ein aufregender Tag werden, und ich hoffe, es gef‰llt 54

dir... Oh, es gef‰llt dir bestimmt! Herr Salz... Frau Salz? Sehr erfreut, sehr erfreut, Sie kennenzulernen! Ja, die Goldene Eintrittskarte ist ganz in Ordnung! Gehen Sie bitte hinein.ª Dann traten Violetta Beauregarde und Micky Schiefler hervor, zeigten ihre Goldene Eintrittskarte und lieflen sich von dem vor Energie strotzenden Herrn Wonka fast die Hand absch¸tteln. Und ganz zum Schlufl fl¸sterte eine leise, aufgeregte Stimme: ´Charlie Bucket.ª ´Charlie, nein, so etwas! Du bist der Junge, der seine Eintrittskarte erst gestern gefunden hat, nicht wahr? Ja, ja, ich habe es heute morgen in der Zeitung gelesen. Gerade noch rechtzeitig, mein lieber Junge! Das freut mich f¸r dich! Und das ist dein Groflvater? Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Sir! Wirklich, sehr erfreut! Gut, ausgezeichnet, sind jetzt alle da, alle f¸nf Kinder? Ja. Wunderbar. Dann folgt mir bitte! Die Besichtigung beginnt! Aber bleibt schˆn beisammen! Geht nicht allein irgendwo hin! Ich mˆchte keinen von euch verlieren, ehe die Besichtigung noch richtig angefangen hat! Nein, auf gar keinen Fall!ª Die Menge drauflen dr‰ngelte und johlte noch immer. Charlie warf einen letzten Blick zur¸ck. Dann schlofl sich das grofle, eiserne Tor klirrend. Die Welt drauflen war ausgesperrt. ´So, da w‰ren wir!ª Herr Wonka trippelte vor der Gruppe her. ´Durch die grofle, rote T¸r, bitte! Hier drinnen ist es schˆn warm, nicht wahr? Ich mufl die Fabrik gut heizen, wegen meiner Arbeiter! Meine Arbeiter sind an ein sehr heifles Klima gewˆhnt! Sie kˆnnen K‰lte nicht aushalten. Sie w¸rden umkommen, wenn sie bei dem Wetter hier hinaus m¸flten! Sie w¸rden glatt erfrieren.ª ´Aber was sind denn das f¸r Arbeiter?ª fragte Augustus Glupsch. ´Immer schˆn eins nach dem andern, mein lieber Junge!ª Herr Wonka sah Augustus l‰chelnd an. ´Nur Geduld! Du wirst 55

alles zu sehen bekommen. Seid ihr alle drinnen? Gut. W¸rdest du bitte die T¸r hinter dir schlieflen? Vielen Dank!ª Charlie Bucket zog die T¸r hinter sich zu und fand sich in einem endlos langen Korridor wieder, der ¸berhaupt niemals aufzuhˆren schien. Auflerdem war er so breit, dafl man leicht mit einem Auto h‰tte hindurchfahren kˆnnen. Die W‰nde waren blaflrosa gestrichen, und ein weiches, angenehmes Licht beleuchtete alles. ´Wie schˆn und warm!ª fl¸sterte Charlie. ´Und was f¸r ein wunderbarer Duft!ª antwortete Groflvater Josef und atmete tief ein. Alle Wohlger¸che der Welt schienen hier beisammen zu sein: der Geruch von frisch gerˆstetem Kaffee und gebr‰untem Zucker und geschmolzener Schokolade und Pfefferminz und Veilchen und gemahlenen Haseln¸ssen und Apfelbl¸ten und Zitronenschalen... Und aus der Ferne, aus dem Herzen der groflen Schokoladenfabrik, tˆnte ein dumpfes Brausen her¸ber, als drehten sich die R‰der einer Riesenmaschine in halsbrecherischem Tempo. ´Meine lieben Kinder, das hier ist der Hauptkorridorª, sagte Herr Wonka und erhob die Stimme ¸ber den L‰rm. ´H‰ngt bitte eure M‰ntel und M¸tzen an die Haken dort dr¸ben und folgt mir dann. Alle fertig? Gut! Dann gehtís weiter!ª Herr Wonka trippelte den Korridor entlang; seine pflaumenblauen, samtenen Frackschw‰nze flatterten hinter ihm, und seine Besucher eilten ihm nach. Es waren eigentlich ziemlich viele Besucher, wenn man sie alle zusammenz‰hlte: f¸nf Kinder und neun Erwachsene ñ vierzehn Personen im ganzen. Deshalb gab es ein ziemliches Gedr‰nge, als sie den Korridor hinunterliefen und versuchten, mit der flinken, kleinen Gestalt vor ihnen Schritt zu halten. ´Kommt nur! Beeilt euch ein biflchen!ª rief Herr Wonka. ´Wir kommen heute nie und nimmer durch die ganze Fabrik, wenn ihr so trˆdelt!ª 56

Bald bog er vom Hauptkorridor rechts in einen etwas schmaleren Flur ab. Dann bog er nach links ab. Dann noch einmal links. Dann rechts. Dann links. Rechts. Und wieder rechts. Und wieder links. Die ganze Fabrik glich einem groflen Kaninchenbau, in dem unz‰hlige G‰nge in alle Himmelsrichtungen f¸hrten. ´Lafl nur ja meine Hand nicht los, Charlieª, fl¸sterte Groflvater Josef. ´Habt ihr bemerkt, dafl alle G‰nge leicht bergab f¸hren?ª rief Herr Wonka. ´Wir gehen unter die Erde! Die wichtigsten R‰ume meiner Fabrik liegen alle tief unter der Erde.ª ´Warum?ª fragte jemand. ´Weil ¸ber der Erde kein Platz mehr ist! Die R‰ume, die wir sehen werden, sind riesig! Grˆfler als Fuflballpl‰tze! Es gibt auf der ganzen Welt kein Geb‰ude, das grofl genug w‰re, um diese R‰ume darin unterzubringen! Aber hier unten gibt es so viel Platz, wie ich mir nur w¸nschen kann ñ ich brauche nur weiterzugraben.ª Herr Wonka bog rechts ab. Er bog links ab. Und noch einmal rechts. Die Flure f¸hrten immer steiler bergab. Plˆtzlich blieb Herr Wonka vor einer gl‰nzenden Stahlt¸r stehen. Seine Besucher dr‰ngten sich um ihn. Auf der T¸r stand in groflen Buchstaben: SCHOKOLADEN-RAUM

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15 Der Schokoladenraum ´Das hier ist ein sehr wichtiger Raum!ª Herr Wonka zog ein Schl¸sselbund aus der Tasche und schlofl die T¸r auf. ´Es ist das Nervenzentrum der ganzen Fabrik, das Herz des ganzen Gesch‰fts! Und so schˆn! Ich bin der Meinung, dafl alle R‰ume in meiner Fabrik schˆn sind. Ich kann H‰fllichkeit in einer Fabrik nicht ausstehen! Jetzt geht hinein! Aber seid sehr vorsichtig, meine lieben Kinder! Verliert nicht den Kopf! Keine Aufregung. Bleibt ganz ruhig!ª Herr Wonka stiefl die T¸r weit auf. F¸nf Kinder und neun Erwachsene dr‰ngten in den Raum... Und welch ein verbl¸ffender Anblick bot sich ihren Augen dar! Sie schauten hinunter in ein liebliches, gr¸nes Wiesental, durch das sich ein breiter, brauner Flufl schl‰ngelte. Etwa in der Mitte des Tales ragte eine steile Felswand auf, ¸ber die ein gewaltiger Wasserfall herabdonnerte, in gischtspr¸hende und wild wirbelnde Strudel hinein. Neben dem Wasserfall ñ und das war der verbl¸ffendste Anblick ñ hingen eine Menge dicker Glasrˆhren von irgendwo hoch oben an der Decke in den Flufl hinunter. Es waren wirklich riesig dicke Rˆhren, mindestens ein Dutzend, und sie saugten das braune, schlammige Wasser aus dem Flufl auf und leiteten es, der Himmel mochte wissen, wohin. Und da sie aus Glas waren, sah man genau, wie die Fl¸ssigkeit gluckernd und blubbernd darin aufstieg. Und ¸ber dem Getˆse des Wasserfalls hˆrte man das ununterbrochene Gluck... Gluck... Gluck der saugenden Rˆhren. H¸bsche B‰ume und Str‰ucher wuchsen am Fluflufer... Trauerweiden, Erlen und Rhododendronb¸sche mit rosa, roten und 58

malvenfarbenen Bl¸ten. Die Wiesen waren mit Tausenden von Butterblumen ¸bers‰t. ´Schaut euch das an!ª Herr Wonka zeigte mit dem goldenen Knauf seines Spazierstocks auf den breiten, braunen Flufl und h¸pfte vor Begeisterung auf und ab. ´Das ist Schokolade! Jeder einzelne Tropfen in dem Flufl ist geschmolzene Schokolade von der besten Qualit‰t! Von der allerbesten Qualit‰t! Genug Schokolade, um s‰mtliche Badewannen im ganzen Land zu f¸llen! Und auch noch s‰mtliche Schwimmb‰der! Ist das nicht groflartig? Und schaut euch meine Rˆhren an! Sie saugen die fl¸ssige Schokolade auf und leiten sie in die anderen R‰ume der Fabrik, wo sie verarbeitet wird. Tausende von Litern in jeder Stunde, meine lieben Kinder, Tausende und Abertausende von Litern!ª Die Kinder und ihre Eltern waren zu ¸berrascht, um auch nur ein Wort sagen zu kˆnnen. Sie waren verbl¸fft und verwirrt, sprachlos. Der Anblick dieser riesigen, unwahrscheinlichen Schokoladenlandschaft warf sie um. Sie standen nur da und staunten. ´Der Wasserfall ist sehr wichtig!ª fuhr Herr Wonka fort. ´Er r¸hrt die Schokolade um und schl‰gt sie und macht sie leicht und schaumig! Keine andere Schokoladenfabrik auf der ganzen Welt l‰flt ihre Schokolade von einem Wasserfall mixen! Aber es ist die einzige richtige Methode! Die einzige! Und was sagt ihr zu meinen B‰umen und zu meinen B¸schen?ª Er zeigte mit seinem Spazierstock darauf. ´Sind sie nicht h¸bsch? Ich habe euch ja gesagt, ich hasse H‰fllichkeit! Und nat¸rlich sind sie alle eflbar! Und jeder besteht aus einer anderen Kˆstlichkeit. Wie findet ihr die Wiesen und die Butterblumen? Meine lieben Kinder, das Gras, auf dem ihr herumlauft, besteht aus einer neuen Sorte Pfefferminz-Zucker, die ich gerade erfunden habe. Probiert mal einen Halm! Bitte, greift nur zu! Es ist wirklich kˆstlich!ª Benommen b¸ckten sich alle, und jeder rupfte sich einen 59

Grashalm aus... blofl Augustus Glupsch rifl gleich ein ganzes B¸schel aus. Und Violetta Beauregarde nahm ihren drei Monate alten Weltrekord-Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn sich sorgf‰ltig hinter das Ohr, ehe sie den Grashalm probierte. ´Schmeckt es nicht wunderbar, Groflvater?ª fl¸sterte Charlie. ´Ich kˆnnte die ganze Wiese aufessen!ª Groflvater Josef lachte vor Begeisterung. ´Ich w¸rde am liebsten wie ein Ochse auf allen vieren laufen und die ganze Wiese abweiden.ª ´Kostet auch einmal eine Butterblume! Die sind sogar noch besserª, rief Herr Wonka. Plˆtzlich quietschte Veruschka Salz laut auf und zeigte aufgeregt auf das andere Fluflufer. ´Seht mal... da dr¸ben! Was ist das?... Es bewegt sich! Er l‰uft! Es ist ein kleiner Mann! Da dr¸ben... am Wasserfall!ª Alle hˆrten auf, Butterblumen zu pfl¸cken, und schauten ¸ber den Flufl. ´Sie hat recht, Groflvater! Es ist wirklich ein ganz kleiner Mann!ª rief Charlie. ´Kannst du ihn sehen?ª ´Ja, ja!ª rief Groflvater Josef aufgeregt. Jetzt schrien alle durcheinander. ´Es sind zwei!ª ´Tats‰chlich!ª ´Es sind noch mehr! Es sind zwei... drei... vier... f¸nf...!ª ´Was machen sie da?ª ´Woher kommen sie?ª ´Was sind das f¸r Leute?ª Kinder und Erwachsene rannten hinunter an den Flufl, damit sie die kleinen M‰nner besser sehen konnten. ´Einfach phantastisch!ª ´Sie reichen mir hˆchstens bis zum Knie!ª ´Sieh dir ihre komischen langen Haare an!ª Die kleinen M‰nner waren nicht grˆfler als mittelgrofle 60

Puppen. Sie unterbrachen ihre Arbeit und starrten nun ebenfalls ¸ber den Flufl. Einer zeigte auf die Kinder, fl¸sterte den anderen etwas zu, und dann brachen sie alle f¸nf in helles Lachen aus. ´Aber das sind doch keine richtigen Menschenª, sagte Charlie. ´Nat¸rlich sind es richtige Menschen. Es sind ein paar von meinen Arbeitern!ª sagte Herr Wonka. ´Es sind UmpaLumpas.ª

16 Die Umpa-Lumpas ´Umpa-Lumpas!ª sagten alle gleichzeitig. ´Ja, ich habe sie aus Lumpaland geholtª, sagte Herr Wonka stolz. ´So ein Land gibt es nichtª, sagte Frau Salz. ´Entschuldigen Sie, meine Dame, aber ñª ´Herr Wonkaª, rief Frau Salz, ´ich bin Erdkundelehrerin...ª ´Dann wissen Sie ja Bescheidª, sagte Herr Wonka. ´Ein 61

schreckliches Land! Nur undurchdringlicher Dschungel mit den gef‰hrlichsten Tieren der Welt. Ich war dort, und ich stellte fest, dafl sie in Baumh‰usern lebten. Sie muflten auf den B‰umen leben, denn da sie so klein sind, h‰tten sie sonst von jedem Tier im Dschungel verschlungen werden kˆnnen. Als ich sie entdeckte, waren die armen Umpa-Lumpas praktisch am Verhungern. Sie muflten sich von gr¸nen Raupen ern‰hren, die scheufllich schmeckten, und die Umpa-Lumpas kletterten den ganzen Tag lang in den B‰umen herum, um nach eflbaren Dingen zu suchen, die sie mit den Raupen zusammen essen konnten, damit die ein biflchen besser schmeckten... zum Beispiel rote K‰fer und Eukalyptusbl‰tter und die Rinde vom Bong-Bong-Baum. Das alles war gr‰fllich, aber nicht ganz so gr‰fllich wie die gr¸nen Raupen. Arme kleine Umpa-Lumpas! Ihr Lieblingsessen sind Kakaobohnen. Aber die gab es dort kaum. Ein Umpa-Lumpa konnte schon von Gl¸ck sagen, wenn er im ganzen Jahr drei oder vier Kakaobohnen fand! Und wie sehnten sie sich nach Kakaobohnen! Sie tr‰umten jede Nacht von Kakaobohnen, und sie redeten den ganzen Tag lang von nichts anderem. Wenn ein Umpa-Lumpa das Wort hˆrt, l‰uft ihm schon das Wasser im Mund zusammen. Nun ist die Kakaobohne, die auf Kakaob‰umen w‰chst, zuf‰llig das Ding, aus dem man Schokolade macht. Ohne Kakaobohnen gibt es keine Schokolade. Die Kakaobohne ist Schokolade. Ich verarbeite jede Woche Milliarden von Kakaobohnen in dieser Fabrik. Nun, und sobald ich entdeckt hatte, wie versessen die Umpa-Lumpas auf Kakaobohnen waren, bin ich in ihr Baum-Haus-Dorf geklettert und habe den Kopf in die H¸tte gesteckt, die dem H‰uptling gehˆrte. Der arme kleine Kerl sah ganz verhungert aus. Er versuchte gerade, eine Sch¸ssel gr¸nen Raupenbrei zu essen, ohne dafl ihm dabei schlecht wurde. , habe ich zu ihm gesagt ñ nat¸rlich nicht auf deutsch und nicht auf englisch, sondern auf umpa62

lumpisch ñ <Meinst du das wirklich ernst?> fragte der H‰uptling der Umpa-Lumpas und sprang auf. , antwortete ich. Der kleine Umpa-Lumpa stiefl ein Freudengeheul aus und schmifl die Sch¸ssel Raupenbrei zum Baumhausfenster hinaus. Und da habe ich sie eben mitgenommen, den ganzen UmpaLumpa-Stamm, M‰nner, Frauen und Kinder. Ich habe sie in groflen Kisten mit Luftlˆchern her¸bergeschmuggelt, per Schiff, und sie sind alle gesund angekommen. Sie sind groflartige Arbeiter, und sie sprechen inzwischen alle unsere Sprache. Sie lieben Tanz und Musik und erfinden immerzu neue Lieder. Ihr hˆrt sie heute im Lauf des Tages bestimmt hin und wieder singen. Aber ich warne euch: Sie sind mutwillig, und es macht ihnen einen Heidenspafl, anderen Leuten Streiche zu spielen. Sie tragen noch immer die gleiche Kleidung wie im Dschungel. Darauf bestehen sie. Wie ihr seht, tragen die M‰nner nur Rotwildfelle. Die Frauen tragen Rˆcke aus Bl‰ttern und die Kinder ¸berhaupt nichts. Die Frauen nehmen jeden Tag frische Bl‰tter und ñª ´Papa, ich will einen Umpa-Lumpa haben!ª schrie Veruschka Salz (das M‰dchen, das immer alles bekam, was es haben wollte). ´Papa, kauf mir einen Umpa-Lumpa! Ich will ihn mit nach Hause nehmen! Hol mir einen von den Umpa63

Lumpas da dr¸ben!ª ´Warte einen Augenblick, Liebling. Wir d¸rfen Herrn Wonka nicht unterbrechenª, sagte ihr Vater. ´Ich will einen Umpa-Lumpa haben!ª kreischte Veruschka. ´Schon gut, Veruschka, schon gut. Aber ich kann ihn dir nicht sofort holen. Hab ein biflchen Geduld. Ich sorge schon daf¸r, dafl du einen Umpa-Lumpa kriegst.ª ´Augustus!ª schrie Frau Glupsch. ´Augustus, mein S¸fler, ich glaube, das solltest du lieber nicht tun!ª Augustus Glupsch hatte sich still und heimlich zum Flufl hinuntergeschlichen, kniete am Ufer und schˆpfte sich mit der hohlen Hand heifle geschmolzene Schokolade in den Mund.

17 Augustus rutscht die Rˆhre rauf Herr Wonka wandte sich um, sah Augustus und rief erschrocken: ´Augustus, bitte, hˆr sofort auf, bitte! Meine Schokolade darf nicht von Menschenh‰nden ber¸hrt werden!ª ´Augustus! Hast du nicht gehˆrt, was Herr Wonka gesagt hat? Komm sofort von dem Flufl da weg!ª rief Frau Glupsch. ´Das Zeug ist toll!ª sagte Augustus, ohne auf seine Mutter und Herrn Wonka zu hˆren. ´Ich brauche blofl einen Eimer, damit ich richtig trinken kann!ª Herr Wonka hopste auf und ab und fuchtelte mit dem Spazierstock in der Luft herum. ´Augustus! Hˆr sofort auf! Du verunreinigst meine Schokolade!ª ´Augustus!ª schrie Frau Glupsch. ´Augustus!ª schrie Herr Glupsch. 64

Aber Augustus hˆrte nicht auf sie und dachte nur an seinen uners‰ttlichen Magen. Er lag jetzt flach auf dem Bauch im Gras, den Kopf ¸ber den Flufl gereckt, und schleckte wie ein Hund mit der Zunge die Schokolade auf. ´Augustus! Du wirst eine Million Leute im ganzen Land mit deinem gr‰fllichen Schnupfen anstecken!ª schrie Frau Glupsch. ´Augustus, sei vorsichtig! Du lehnst dich zu weit r¸ber!ª rief Herr Glupsch, und damit hatte er vˆllig recht. Plˆtzlich ertˆnte ein Schrei, dann ein lautes Platsch, und Augustus Glupsch verschwand kopf¸ber in der braunen Masse. ´Hilfe!ª kreischte Frau Glupsch. Sie wurde leichenblafl und wedelte mit ihrem Regenschirm. ´Hilfe! Er ertrinkt! Er kann nicht schwimmen! Rette ihn, rette ihn!ª ´Ich denke nicht daran, in die Br¸he zu springen! Ich habe meinen besten Anzug an!ª sagte Herr Glupsch. Augustus tauchte wieder auf. Sein ganzer Kopf war mit brauner Schokolade ¸berzogen. ´Hiiilfe! Hiiiiilfe!ª schrie er. ´Rettet mich.ª ´Steh nicht herum! Tu endlich was!ª herrschte Frau Glupsch ihren Mann an. ´Ich bin schon dabeiª, antwortete Herr Glupsch und zog sich langsam sein Jackett aus.

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Inzwischen trug die Strˆmung den Jungen immer n‰her an die ÷ffnung der groflen Rˆhren heran, die in den Schokoladenflufl herabhingen. Und plˆtzlich packte ihn der starke Sog, zog ihn hinunter und dann in die ÷ffnung einer der Rˆhren. Die Zuschauer am Ufer warteten atemlos darauf, ob Augustus wieder auftauchte. ´Da ist er!ª schrie jemand und zeigte nach oben. Und da die Rˆhre aus Glas war, sah man genau, wie Augustus Glupsch darin wie eine Rakete nach oben schofl. ´Hilfe! Mord! Polizei!ª kreischte Frau Glupsch. ´Augustus, komm sofort zur¸ck!ª ´Es ist ein Wunder, dafl er ¸berhaupt durch die Rˆhre gehtª, sagte Herr Glupsch. ´Er bleibt stecken!ª sagte Charlie Bucket. ´Das glaube ich auchª, sagte Groflvater Josef. ´Gleich steckt er fest!ª sagte Charlie. ´Tats‰chlich!ª rief Groflvater Josef. ´Jetzt sitzt er festª, sagte Charlie. ´An allem ist blofl sein dicker Bauch schuldª, sagte Herr Glupsch. ´Er verstopft die ganze Rˆhre!ª rief Groflvater Josef. 66

´Man mufl die Rˆhre zertr¸mmern!ª br¸llte Frau Glupsch und wedelte wieder mit ihrem Regenschirm. ´Augustus, komm sofort herunter, hast du gehˆrt!ª Die Zuschauer unten sahen, wie die Schokolade in der Rˆhre um Augustus herum brodelte und sich dann allm‰hlich unter ihm zu einer festen Masse aufstaute und sich gegen das Hindernis stemmte. Der Druck war gewaltig. Irgend etwas muflte nachgeben. Etwas gab auch nach, und das war Augustus Glupsch. WUMMM! Er flog, wie aus der Pistole geschossen, nach oben und verschwand. ´Er ist weg!ª schrie Frau Glupsch. ´Wohin f¸hrt die Rˆhre? Hilfe! Feuerwehr!ª ´Beruhigen Sie sich, meine Liebe, beruhigen Sie sich!ª sagte Herr Wonka. ´Es besteht keine Gefahr! Nicht die geringste Gefahr! Augustus macht nur eine kleine Reise, das ist alles. Eine hˆchst interessante kleine Reise, und er wird sie gut ¸berstehen. Sie werden schon sehen.ª ´Wie kann er das heil ¸berstehen! Er wird in f¸nf Sekunden zu Karamellen verarbeitet!ª schrie Frau Glupsch. ´Unmˆglich!ª versicherte Herr Wonka. ´Undenkbar! Unvorstellbar! Vˆllig absurd! Er kann niemals zu Karamellen verarbeitet werden!ª ´Und warum nicht, wenn ich fragen darf?ª kreischte Frau Glupsch. ´Weil diese Rˆhre nicht in den Karamellen-Raum f¸hrt, deshalb!ª antwortete Herr Wonka. ´Sie kommt nicht einmal in die N‰he! Diese Rˆhre fuhrt in den Raum, wo ich Negerk¸sse herstelle.ª ´Dann wird er zu Negerk¸ssen verarbeitet! Und morgen kartonweise im ganzen Land verkauft! Oh, mein armer Augustus!ª heulte Frau Glupsch. ´Sehr richtig!ª sagte Herr Glupsch. ´Ich weifl selber, dafl ich recht habeª, sagte Frau Glupsch. ´Da hˆrt der Spafl aber auf!ª sagte Herr Glupsch. ´Herr Wonka scheint nicht dieser Meinung zu sein! Sieh ihn 67

dir an! Er lacht sich kaputt! Wie kˆnnen Sie es wagen, so zu lachen, wenn mein armer Junge gerade durch die Rˆhre gerutscht ist! Sie Ungeheuer!ª Frau Glupsch richtete ihren Regenschirm auf Herrn Wonka, als wollte sie ihn aufspieflen. ´Sie finden das komisch, nicht wahr? Sie finden, es ist ein kolossaler Witz, dafl mein armer Junge in den Raum f¸r Negerk¸sse gesaugt wird?ª ´Es passiert ihm bestimmt nichtsª, sagte Herr Wonka und kicherte leise vor sich hin. ´Er wird zu Negerk¸ssen verarbeitet!ª ´Niemals!ª ´Doch!ª schrie Frau Glupsch. ´So etwas w¸rde ich niemals zulassen!ª sagte Herr Wonka. ´Und warum nicht?ª kreischte Frau Glupsch. ´Weil die Negerk¸sse scheufllich schmecken w¸rdenª, erkl‰rte Herr Wonka. ´Stellen Sie sich einmal vor! Negerk¸sse mit Augustus-Geschmack und Glupsch-‹berzug! Kein Mensch w¸rde sie kaufen!ª ´Ganz sicher w¸rden die Leute sie kaufen!ª sagte Herr Glupsch entr¸stet. ´Mich schaudert es, wenn ich blofl daran denke!ª jammerte Frau Glupsch. ´Mich auchª, sagte Herr Wonka. ´Ich verspreche Ihnen, dafl Ihr lieber Junge in Sicherheit ist.ª ´Wo soll er denn sein, wenn er angeblich in Sicherheit ist? F¸hren Sie mich sofort zu ihm!ª verlangte Frau Glupsch. Herr Wonka drehte sich um und schnalzte dreimal mit den Fingern... klick, klick, klick. Sofort tauchte, wie herbeigezaubert, ein Umpa-Lumpa neben ihm auf. Der Umpa-Lumpa verbeugte sich l‰chelnd und zeigte dabei wunderschˆne weifle Z‰hne. Seine Haut war rosig weifl, sein langes Haar goldbraun, und er reichte Herrn Wonka gerade bis zum Knie. Er trug ein Rehfell, das ¸ber seiner Schulter hing. 68

´Sei so gut und f¸hre Herrn und Frau Glupsch in den Raum f¸r Negerk¸sse und hilf ihnen, ihren Sohn Augustus zu suchen. Er ist gerade durch die Rˆhre hochgerutschtª, sagte Herr Wonka zu dem kleinen Mann. Der Umpa-Lumpa warf nur einen Blick auf Frau Glupsch und fing an zu lachen. ´Bitte, beherrsche dich!ª ermahnte ihn Herr Wonka. ´Frau Glupsch findet die Sache gar nicht komisch.ª ´Das kann man wohl sagen!ª fauchte Frau Glupsch, und sie richtete diesmal ihren Schirm auf den kleinen Umpa-Lumpa. ´Geh hinauf und nimm einen langen Stock mit und r¸hr damit in dem groflen Trog herum, durch den die Schokolade fliefltª, sagte Herr Wonka zu dem Umpa-Lumpa. ´Darin findest du ihn bestimmt. Aber beeile dich ein biflchen, damit du ihn herausfischst, ehe er in den Kochkessel geschwemmt wird. Das w‰re wirklich eine Katastrophe ñ der Schokoladen¸berzug der Negerk¸sse w¸rde vˆllig ungenieflbar sein!ª Frau Glupsch stiefl einen Wutschrei aus. ´Ich mache doch nur Spafl!ª sagte Herr Wonka kichernd. ´Ich habe es wirklich nicht ernst gemeint. Entschuldigen Sie, bitte. Es tut mir leid. Auf Wiedersehen, Frau Glupsch! Auf Wiedersehen, Herr Glupsch! Wir sehen uns sp‰ter wieder...ª Herr und Frau Glupsch liefen hinter dem kleinen UmpaLumpa her. Im gleichen Augenblick begannen die f¸nf UmpaLumpas am anderen Ufer wie verr¸ckt winzige Trommeln zu schlagen und herumzuhopsen und zu tanzen. Sie riefen im Chor: ´Augustus Glupsch... Augustus Glupsch... Augustus Glupsch... Glupsch... Glupsch... ist futsch... futsch... futsch.ª ´Groflvater, hˆr mal!ª rief Charlie. ´Pssst!ª fl¸sterte Groflvater Josef. ´Ich glaube, sie singen uns ein Lied vor!ª ´Augustus Glupsch, der Nimmersatte, 69

der nie genug zu essen hatte. Was er entdeckt von ungef‰hr, das kaut und friflt und knabbert er. Das war ja nicht mit anzusehen und konnte so nicht weitergehen, denn so ein Kerl schafftís nie im Leben, den andern etwas abzugeben, und ist ñ das steht ganz aufler Frage ñ f¸r alle Leute eine Plage. In solchen F‰llen wendet man bei uns die <sanfte Masche> an: Er wird im ganzen zart behandelt und in ein Spielzeugding verwandelt, in einen Ball, ein Schaukelpferd, ein Kˆrbchen, einen Puppenherd ñ kurzum, in eine von den Sachen, die andern Leuten Freude machen. Doch dieser Typ war ¸berm‰flig verzogen, vorlaut und gefr‰flig, ein Groflmaul und ein Bˆsewicht ñ da reichten solche Mittel nicht. Drum riefen wir: <Jetzt wird es Zeit! Der Bengel treibt es gar zu weit! Wir pumpen diese freche Gˆre durch unsre Schokoladenrˆhre!> Nur nicht gezˆgert, immer ran! Hinein mit ihm! Da wird er dann so sonderbare Dinge sehen, dafl ihm die Augen ¸bergehen! ñ Nun macht kein ‰ngstliches Gesicht ñ zu Schaden kommt Augustus nicht, er wird ñ gestehen wir es ein ñ nur nicht mehr ganz der alte sein. Er rutscht durch Rˆhre und Turbine 70

der Schokoladen-Kochmaschine, durch Sahne, Zucker, Milch und Mandeln das wird den Knaben stark verwandeln: Die R‰der knirschen alles klein, die hundert Messer hacken fein ñ wir kochen ihn noch einige Zeit, und schliefllich ist er dann soweit: Der Geiz, die Bosheit und die Galle, die werden ganz allm‰hlich alle. Er kommt! Man glaubt nicht recht zu sehen und meint, ein Wunder sei geschehen! Der Junge, der doch offenbar bisher ein ¸bler Flegel war, ein Vielfrafl und ein Tagedieb, der ist jetzt allgemein beliebt! Vergessen ist der alte Groll, und man betrachtet liebevoll Augustus so, als s‰he man ein St¸ckchen Schokolade an!ª ´Ich habe euch ja gleich gesagt, dafl meine Umpa-Lumpas gern Lieder singenª, sagte Herr Wonka. ´Sind sie nicht reizend? Nat¸rlich d¸rft ihr kein Wort von dem glauben, was sie da eben gesungen haben. Das ist lauter Unsinn!ª ´Machen die Umpa-Lumpas wirklich nur Spafl, Groflvater?ª fragte Charlie. ´Nat¸rlich machen sie nur Spaflª, antwortete Groflvater Josef. ´Es kann nur ein Spafl sein... das hoffe ich jedenfalls.ª

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18 Den Schokoladenflufl hinab ´Jetzt gehtís weiter zum n‰chsten Raum!ª rief Herr Wonka. ´Und macht euch bitte keine Sorgen um Augustus Glupsch. Er wird schon wieder zum Vorschein kommen. So, und den n‰chsten Teil der Besichtigungstour machen wir per Schiff. Da kommt es schon!ª Dunstschwaden stiegen von dem warmen Schokoladenflufl auf, und aus dem Dunst n‰herte sich plˆtzlich ein phantastisches rosa Boot... ein grofles, offenes Ruderboot mit einem hohen Bug und einem hohen Heck, das den Schiffen der alten Wikinger ‰hnelte. Es gl‰nzte und glitzerte, als ob es aus leuchtendrosa Glas best¸nde. Zu beiden Seiten ragten zahlreiche Ruder heraus, und als das Boot n‰her kam, erkannten die Zuschauer am Ufer, dafl die Ruder von lauter Umpa-Lumpas bet‰tigt wurden ñ mindestens zehn hockten an jedem Ruder. ´Das ist meine Privatjacht!ª Herr Wonka strahlte vor Vergn¸gen. ´Ich habe sie aus einem einzigen riesigen rosa Bonbon ausgehˆhlt. Ist sie nicht h¸bsch? Und schaut mal, wie sie die Wellen durchschneidet!ª Die rosa Bonbonjacht glitt ans Ufer. Einhundert UmpaLumpas zogen die Ruder ein und starrten zu den Besuchern hinauf. Aus irgendeinem Grund, den nur sie allein kannten, brachen sie plˆtzlich alle miteinander in schrilles Gel‰chter aus. ´Was ist los?ª fragte Violetta Beauregarde. ´Nichtsª, sagte Herr Wonka. ´Die Umpa-Lumpas finden immer alles komisch und lachen dauernd. Steigt ein, alle miteinander, und beeilt euch ein biflchen!ª Sobald alle Platz genommen hatten, stieflen die Umpa72

Lumpas das Boot vom Ufer ab und ruderten schnell den Flufl hinab. ´He, Micky Schiefler! Leck nicht an meiner Jacht, bitte. Sie wird sonst klebrigª, rief Herr Wonka. ´Papa, ich will auch so eine Jacht haben!ª sagte Veruschka Salz. ´Genau so eine wie die hier von Herrn Wonka, aus rosa Bonbon. Und ich will einen Haufen Umpa-Lumpas haben, damit sie mich herumrudern. Ich will einen Schokoladenflufl haben und...ª ´Eine anst‰ndige Tracht Pr¸gel w‰re das richtige f¸r sie!ª fl¸sterte Groflvater Josef Charlie zu. Sie saflen nebeneinander hinten im Heck. Charlie hielt Groflvaters knochige alte Hand fest umklammert. Alles, was er bis jetzt gesehen hatte ñ der Schokoladenflufl, der Wasserfall, die Rˆhren, die Zuckerwiese, die Umpa-Lumpas, das schˆne rosa Schiff und vor allem Herr Wonka selbst ñ, war so erstaunlich, dafl er sich fragte, ob es nach alldem wirklich noch immer neue ‹berraschungen geben konnte. Wohin fuhren sie jetzt? Was sollten sie jetzt zu sehen bekommen? Und was, um Himmels willen, w¸rde im n‰chsten Raum passieren?

´Herrlich, nicht?ª sagte Groflvater Josef und l‰chelte Charlie zu. Charlie nickte nur und l‰chelte auch. Herr Wonka safl auf der anderen Seite neben Charlie. Plˆtzlich b¸ckte er sich, holte von irgendwo am Boden des 73

Bootes einen groflen Becher hervor, f¸llte ihn im Flufl mit Schokolade und gab ihn Charlie. ´Hier, trink. Das wird dir guttun. Du siehst ja halb verhungert aus, mein Junge.ª Charlie setzte den Becher vorsichtig an die Lippen und trank langsam. Er sp¸rte, wie die warme, sahnige Schokolade in seinen leeren Magen lief, und das wunderbare Gef¸hl der S‰ttigung schien sich in seinem ganzen Kˆrper auszubreiten, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Charlie war selig. ´Schmeckt es dir?ª fragte Herr Wonka. ´O ja, herrlich!ª sagte Charlie. ´Vielen Dank, Herr Wonka.ª Herr Wonka f¸llte den Becher noch einmal und gab ihn Groflvater Josef. ´Trinken Sie auch. Sie sehen klapperd¸rr aus. Was ist los? Hat es bei Ihnen zu Hause in der letzten Zeit nichts zu essen gegeben?ª ´Nicht viel.ª Groflvater Josef trank und leckte sich die Lippen. ´Das ist die beste, sahnigste Schokolade, die ich je im Leben getrunken habe!ª ´Sie wird nur so sahnig, weil sie von unserem groflen Mixer, dem Wasserfall, ger¸hrt wirdª, erkl‰rte Herr Wonka. Das Boot glitt sehr schnell den Flufl hinab, der immer schmaler wurde. Eine dunkle Tunnelˆffnung tauchte vor ihnen auf... ein grofler runder Tunnel, der wie eine riesige Rˆhre aussah... und der Flufl verschwand darin. Das Boot ebenfalls! ´Schneller!ª befahl Herr Wonka, sprang auf und fuchtelte mit dem Spazierstock herum. ´Mit voller Kraft voraus!ª Die Umpa-Lumpas legten sich in die Riemen, das Boot schofl in den pechschwarzen Tunnel, und alle Passagiere quietschten vor Schreck. ´Wie kˆnnen sie sehen, wohin sie rudern?ª rief Violetta Beauregarde in der Dunkelheit. ´Sie sehen es nicht! Sie rudern einfach so!ª antwortete Herr Wonka und br¸llte vor Lachen. Dann sang er:

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´Hier ist niemand, der versteht, wohin diese Reise geht, und zum Fragen istís zu sp‰t ñ wie ihr wohl inzwischen seht ñ da kein Lichtstrahl mehr verr‰t, ob man sich im Kreise dreht! Wenn man sich das eingesteht, ist es besser, man verr‰t, dafl man einfach nicht versteht, wohin...ª ´Er ist ¸bergeschnappt!ª schrie ein Vater entsetzt, und die anderen Eltern stieflen ebenfalls erschreckte Schreie aus. ´Er ist verr¸ckt!ª ´Bekloppt!ª ´Besoffen!ª ´Er hat einen Dachschaden!ª ´Einen Vogel!ª ´Einen Sonnenstich!ª ´Bei ihm sind alle Schrauben los!ª ´Er ist durchgedreht.ª ´Er ist wahnsinnig geworden.ª ´Nein, ist er nicht!ª sagte Groflvater Josef. ´Licht an!ª schrie Herr Wonka. Lichter flammten auf, und der ganze Tunnel war plˆtzlich strahlend hell beleuchtet. Charlie erkannte, dafl das Boot tats‰chlich durch eine riesige Rˆhre schwamm, deren runde W‰nde schneeweifl und sauber gl‰nzten. Der braune Schokoladenflufl strˆmte sehr schnell durch die Rˆhre. Die Umpa-Lumpas ruderten wie verr¸ckt, und das Boot schofl in wildem Tempo dahin. Herr Wonka hopste im Heck auf und ab und trieb die Umpa-Lumpas an, immer noch schneller zu rudern. Es machte ihm offensichtlich einen Heidenspafl, in einem rosa Bonbonboot auf einem braunen Schokoladenflufl 75

durch einen weiflen Tunnel zu sausen. Er lachte und klatschte in die H‰nde und warf immer wieder einen Blick auf seine G‰ste, um zu sehen, ob sie sich genauso groflartig am¸sierten wie er. ´Sieh mal, Groflvater! Da ist eine T¸r in der Tunnelwand!ª rief Charlie. Dicht ¸ber dem Schokoladenflufl war tats‰chlich eine gr¸ne T¸r in der Tunnelwand. Im Vorbeifahren konnten sie gerade noch das Schild darauf lesen: LAGERRAUM NUMMER 54... SƒMTLICHE CREMES SAHNE-CREME, VEILCHEN-CREME, KAFFEE-CREME... ANANAS-CREME... VANILLE-CREME... NOUGAT-CREME... HAAR-CREME... ´Haarcreme?!ª schrie Micky Schiefler. ´F¸llen Sie Ihre Schokolade mit Haarcreme?ª ´Schneller rudern!ª rief Herr Wonka. ´Wir haben jetzt nicht die Zeit, dumme Fragen zu beantworten.ª Das Boot flog an einer schwarzen T¸r vorbei. LAGERRAUM NUMMER 71... SCHLAFR÷CKE... SƒMTLICHE GR÷SSEN ´Schlafrˆcke!ª rief Veruschka Salz. ´Wozu brauchen Sie Schlafrˆcke? F¸r die Umpa-Lumpas etwa...? Hi... hi!ª ´Nein, f¸r die ƒpfel, nat¸rlich. ƒpfel tragen niemals etwas anderes als einen Schlafrock. Wufltest du das etwa nicht?ª antwortete Herr Wonka. ´Schneller rudern, bitte!ª Auf einer gelben T¸r stand: LAGERRAUM NUMMER 77... SƒMTLICHE 76

BOHNENSORTEN KAKAO-BOHNEN... KAFFEE-BOHNEN... SOJA-BOHNEN... WEISSE BOHNEN... BOHNEN F‹R DIE OHREN... ´Wo gibtís denn so was!ª rief Violetta Beauregarde. ´Oh, das wirst du doch wohl wissen! Hast du nie Bohnen in den Ohren? Schneller rudern, bitte! Wir haben keine Zeit f¸r lange Debatten!ª Aber f¸nf Sekunden sp‰ter kam eine leuchtendrote T¸r in Sicht, und Herr Wonka hob seinen Spazierstock mit dem goldenen Knauf und kommandierte: ´Haaaalt!ª

19 Der Erfindungsraum Als Herr Wonka ´Halt!ª rief, stemmten die Umpa-Lumpas die Ruder in den Flufl und bremsten scharf. Das Boot hielt an, und die Umpa-Lumpas lieflen es langsam vor die rote T¸r gleiten. Darauf stand: ERFINDUNGSRAUM PRIVAT ñ ZUTRITT VERBOTEN! Herr Wonka zog einen Schl¸ssel aus der Tasche und lehnte sich ¸ber den Bootsrand, um aufzuschlieflen. ´Das ist der wichtigste Raum der ganzen Fabrik! Hier drinnen kochen und brutzeln alle meine neuesten und geheimsten Erfindungen! Was w¸rden all die schlechten 77

Fabrikanten auf der Welt daf¸r geben, wenn sie sich nur einmal hier drinnen drei Minuten umsehen d¸rften! Und jetzt hˆrt gut zu! Ihr d¸rft in diesem Raum nichts anfassen, gar nichts, habt ihr verstanden? Versprecht ihr mir, dafl ihr nichts anfaflt?ª ´Ja, ja. Wir r¸hren ganz bestimmt nichts an!ª riefen die Kinder. ´Bis jetzt hat noch nie jemand aufler mir diesen Raum betreten, nicht einmal ein Umpa-Lumpaª, sagte Herr Wonka, ˆffnete die T¸r und stieg aus dem Boot in den Raum. Die vier Kinder und die Erwachsenen kletterten hinter ihm her. ´Nichts anfassen!ª mahnte Herr Wonka noch einmal. ´Und nichts umstoflen.ª Charlie sah sich staunend in dem groflen Saal um. Hier sah es aus wie in einer Hexenk¸che! ‹berall standen grofle K¸chenherde, auf denen es in schwarzen Eisentˆpfen kochte und blubberte. Kessel summten, Pfannen zischten, eigenartige Maschinen ratterten und rasselten, Rˆhren liefen unter der Decke und an allen W‰nden entlang. Und der ganze Raum war von Rauch und Dampf und kˆstlichen D¸ften erf¸llt. Herr Wonka war plˆtzlich noch viel lebhafter als vorher. Man sah ihm an, dafl er sich am liebsten in diesem Raum aufhielt. Er h¸pfte zwischen den Maschinen und Tˆpfen herum wie ein Kind zwischen seinen Weihnachtsgeschenken und wuflte nicht, was er sich zuerst anschauen sollte. Er hob den Deckel von einem groflen Topf und schnupperte, dann lief er weiter zu einem Fafl voll klebrigem gelbem Zeug, steckte den Finger hinein und probierte. Er hantierte an den Hebeln und Knˆpfen einer Maschine herum, er schaute besorgt durch die Glast¸r eines enormen Backofens und rieb sich endlich zufrieden die H‰nde und kicherte entz¸ckt. Zum Schlufl trat er an eine kleine Maschine, die dauernd ph... ph... ph... machte, und bei jedem ph... fiel eine dicke, gr¸ne Murmel in einen Korb, der davor auf dem Boden stand. Jedenfalls sah es wie eine Murmel aus. 78

´Immerw‰hrende Dauerlutscher!ª verk¸ndete Herr Wonka stolz. ´Etwas ganz Neues! Ich erfinde sie f¸r Kinder, die nur wenig Taschengeld bekommen. Auf einem immerw‰hrenden Dauerlutscher kˆnnen sie lutschen und lutschen und lutschen und lutschen und lutschen, und er wird niemals kleiner!ª ´Wie Kaugummi!ª rief Violetta Beauregarde. ´Nein, nicht wie Kaugummiª, antwortete Herr Wonka. ´Kaugummi ist zum Kauen, aber wenn du versuchst, einen von diesen Dauerlutschern zu kauen, dann brichst du dir s‰mtliche Z‰hne aus. Sie schmecken herrlich! Und sie wechseln jede Woche einmal die Farbe! Sie werden niemals kleiner! Sie lˆsen sich nie auf... Jedenfalls nehme ich das an. Ich lasse gerade einen immerw‰hrenden Dauerlutscher im Test-Labor nebenan pr¸fen. Ein Umpa-Lumpa lutscht schon seit beinahe einem Jahr ununterbrochen darauf herum, und das Ding ist noch immer genauso grofl und genauso gut wie zu Anfang. Und jetzt kommt und schaut euch das hier an!ª Herr Wonka lief durch den Saal und blieb vor einem groflen Kessel stehen, in dem eine z‰he, rˆtliche Masse blubbernd kochte. Der kleine Charlie konnte gerade in den Kessel schauen, wenn er sich auf die Zehen stellte. ´Das ist Haar-Toffee! Man braucht blofl ein ganz kleines St¸ckchen davon zu essen, und eine knappe halbe Stunde sp‰ter w‰chst einem eine funkelnagelneue pr‰chtige, dichte und seidige M‰hne auf dem Kopf! Und obendrein auch noch ein Schnurrbart und ein Backenbart!ª

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´Ein Bart! Wer will schon einen Bart haben!ª sagte Veruschka Salz. ´Er w¸rde dir sicher gut stehen, aber leider ist meine Mischung noch nicht fertig zum Gebrauchª, antwortete Herr Wonka. ´Sie ist immer noch zu stark und wirkt deshalb zu gut. Ich habe sie gestern an einem Umpa-Lumpa ausprobiert: ihm ist sofort ein ellenlanger schwarzer Bart aus dem Kinn geschossen, und der Bart wuchs so schnell, dafl er bald wie ein dicker haariger Teppich auf dem Boden lag. Schliefllich muflten wir den Rasenm‰her nehmen, um den Bart zu stutzen. Aber bald habe ich die richtige Mischung heraus! Und dann brauchen kleine Jungen und M‰dchen nie mehr mit kahlem Kopf herumzulaufen!ª ´Aber, Herr Wonkaª, sagte Micky Schiefler. ´Kleine Jungen und kleine M‰dchen haben niemals einen...ª ´Bitte keine Widerrede, mein liebes Kind, bitte keine Widerrede! Das ist reine Zeitverschwendung!ª sagte Herr Wonka. ´Und jetzt kommt bitte alle hier entlang. Ich zeige euch jetzt etwas, worauf ich wirklich schrecklich stolz bin. Aber Vorsicht! Stoflt bitte nichts um! Geht nicht zu nahe heran!ª

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20 Die grofle Kaugummi-Maschine Herr Wonka f¸hrte seine Besucher zu einer gigantischen Maschine, die wie ein Berg aus gl‰nzendem Metall genau in der Mitte des Erfindungsraums stand. Ganz oben aus der Maschine sprossen wie Blumenstengel Hunderte und Aberhunderte von d¸nnen Glasrˆhrchen, die sich alle nach unten neigten und wie in einem dicken Straufl ¸ber einem riesigen runden Zuber hingen, der so grofl wie eine Badewanne war. ´Los gehtís!ª sagte Herr Wonka und dr¸ckte drei verschiedene Knˆpfe an der Maschine. Eine Sekunde sp‰ter ertˆnte ein m‰chtiges Rumpeln, die ganze Maschine fing an, furchterregend zu wackeln, Dampf zischte ¸berall heraus, und plˆtzlich lief eine Fl¸ssigkeit durch all die Hunderte von kleinen Glasrˆhrchen und sprudelte in den groflen Zuber. Und in jeder einzelnen Glasrˆhre hatte die Fl¸ssigkeit eine andere Farbe ñ alle Farben des Regenbogens und noch eine Menge mehr liefen gurgelnd und gluckernd in den Zuber. Es war ein herrlicher Anblick. Als der Zuber beinahe voll war, dr¸ckte Herr Wonka wieder auf einen Knopf. Sofort hˆrte die Fl¸ssigkeit auf zu flieflen... und das Rumpeln hˆrte auf. Statt dessen ertˆnte lautes Surren. Ein Riesenquirl r¸hrte in dem Riesenzuber herum und mischte all die bunten Fl¸ssigkeiten wie einen Kuchenteig. Nach einer Weile begann die Mischung zu sch‰umen. Sie wurde immer schaumiger, und dann wurde sie erst blau... dann weifl... dann gr¸n... dann braun... dann gelb... und zum Schlufl wieder blau.

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´Jetzt paflt mal auf!ª sagte Herr Wonka. Klick machte die Maschine, und der Quirl hˆrte auf zu quirlen. Und jetzt saugte die Maschine die ganze schaumige blaue Masse aus dem Zuber wieder in sich hinein. Dann war sie einen Augenblick ganz still... Und dann waren ein paar eigent¸mliche polternde Ger‰usche zu hˆren... Wieder tiefe Stille. Und plˆtzlich gab die Maschine ein gewaltiges, gr‰flliches ƒchzen von sich. Im gleichen Augenblick flog unten an der Seite eine winzige Schublade auf, nicht grˆfler als die Schublade an einem Zigarettenautomaten, und in dieser Schublade lag ein kleiner d¸nner Streifen graue Pappe. So sah es jedenfalls aus. Die Kinder und die Erwachsenen starrten auf 82

das kleine, graue Ding. ´Ist das alles?ª fragte Micky Schiefler ver‰chtlich. ´Das ist alles!ª antwortete Herr Wonka und blickte voller Stolz auf das unscheinbare kleine, graue Ding. ´Wiflt ihr nicht, was das ist?ª Alle schwiegen. Plˆtzlich stiefl Violetta Beauregarde, das Kaugummi-M‰dchen, einen begeisterten Schrei aus. ´Das ist Kaugummi!ª ´Du hast recht!ª rief Herr Wonka und klopfte Violetta Beauregarde anerkennend auf die Schulter. ´Das ist Kaugummi... der verbl¸ffendste und fabulˆseste und sensationellste Kaugummi der Welt!ª

21 Auf Wiedersehen, Violetta ´Dieser Kaugummi ist meine neueste, meine grˆflte, meine faszinierendste Erfindung!ª fuhr Herr Wonka fort. ´Es ist eine Kaugummi-Mahlzeit! Es ist... es ist... es ist... also, dieses winzig kleine St¸ckchen Kaugummi ist eine ganze Mahlzeit mit drei G‰ngen!ª ´So ein Unsinn!ª knurrte einer der V‰ter. ´Mein Herr, dieser Kaugummi wird die Welt ver‰ndern, wenn ich ihn erst in den Gesch‰ften verkaufe! Dieser Kaugummi bedeutet das Ende aller K¸chen und aller Kocherei! Man braucht nicht mehr auf den Markt zu gehen und einzukaufen und Lebensmittel nach Hause zu schleppen! Es gibt keine Messer und Gabeln mehr, keine Teller, keinen Abwasch, keinen Abfall, kein Durcheinander in der K¸che 83

mehr! Blofl noch ein kleines St¸ckchen Wonkas ZauberKaugummi, mehr braucht man nicht zum Fr¸hst¸ck, Mittagessen und Abendbrot! Dieses St¸ck Kaugummi hier, das ich da gerade fabriziert habe, ist Tomatensuppe, Rinderbraten und Blaubeerkuchen, aber nat¸rlich kann ich praktisch jedes Gericht, das ihr haben wollt, machen.ª ´Wie meinen Sie das... Tomatensuppe, Rinderbraten und Blaubeerkuchen?ª fragte Violetta Beauregarde. ´Wenn du diesen Kaugummi kaust, ist es genauso, als ‰flest du diese Sachen richtigª, erkl‰rte Herr Wonka. ´Es ist einfach phantastisch! Du f¸hlst geradezu, wie du das Essen hinunterschluckst! Du schmeckst es regelrecht! Und du wirst sogar richtig satt davon!ª ´So etwas ist unmˆglichª, sagte Veruschka Salz. ´Es ist genau das richtige f¸r mich. Hauptsache, es ist Kaugummi, auf dem ich rumkauen kann!ª Violetta Beauregarde klaubte sich ohne Zˆgern ihren Weltrekord-Kaugummi aus den Z‰hnen und klebte ihn sich hinters Ohr. ´Herr Wonkaª, sagte sie, ´darf ich Ihren Zauber-Kaugummi mal probieren? Dann sehen wir ja, was damit los ist.ª ´Violetta, lafl den Unsinnª, sagte ihre Mutter. ´Wieso Unsinn? Ich will den Kaugummi ausprobieren!ª sagte Violetta hartn‰ckig. ´Mir w‰re es lieber, du w¸rdest ihn nicht probierenª, sagte Herr Wonka freundlich. ´Er ist noch nicht ganz so, wie ich ihn haben mˆchte. Es m¸ssen noch ein paar Kleinigkeiten daran verbessert werden...ª ´Ach, Quatsch!ª sagte Violetta. Und ehe Herr Wonka sie daran hindern konnte, nahm sie blitzschnell den Kaugummi aus der kleinen Schublade und steckte ihn sich in den Mund, und ihre kr‰ftigen, gut trainierten Kiefer mahlten sofort los. ´Nein! Nicht!ª sagte Herr Wonka. ´Phantastisch!ª sagte Violetta mit vollem Mund. ´Es ist tats‰chlich Tomatensuppe! Heifl und sahnig. Kˆstlich! Ich 84

f¸hle, wie sie mir die Kehle hinunterrinnt!ª ´Hˆr auf! Der Kaugummi ist noch nicht fertig entwickelt! Er mufl noch verbessert werden!ª sagte Herr Wonka. ´An der Suppe kann nichts mehr verbessert werden! Sie ist einfach toll!ª antwortete Violetta. ´Spuck den Kaugummi aus!ª sagte Herr Wonka. ´Jetzt ver‰ndert sich der Geschmack! Jetzt kommt der zweite Gang dran!ª verk¸ndete Violetta. Sie kaute und grinste zugleich ¸ber das ganze Gesicht. ´Der Rinderbraten ist zart und saftig, und es gibt Pommes frites dazu! Hmmm... guuuut!ª ´Wie interessant! Du bist ein gescheites M‰dchen, Violettaª, sagte Frau Beauregarde. ´Kau weiter, kau weiter, Liebes! Heute ist ein grofler Tag f¸r die Familie Beauregarde! Unsere Violetta ist der erste Mensch auf der Welt, der eine komplette Kaugummi-Mahlzeit zu sich nimmt!ª sagte Herr Beauregarde. Alle standen stumm da und sahen zu, wie Violetta den Zauber-Kaugummi kaute. Der kleine Charlie Bucket beobachtete hingerissen, wie Violettas wulstige Lippen sich gleichm‰flig bewegten. Groflvater Josef, der neben ihm stand, staunte auch. Herr Wonka rang die H‰nde und sagte immer wieder: ´Nein, nein, nein! Der Kaugummi ist noch nicht in Ordnung! Er ist noch nicht fertig zum Essen! Hˆr lieber auf zu kauen!ª ´Blaubeerkuchen mit Schlagsahne!ª rief Violetta. ´Junge, Junge... einsame Klasse! Genau, als ob ich ihn richtig ‰fle! Genau, als ob ich grofle Bissen von dem besten Blaubeerkuchen der Welt kaute und runterschluckte!ª ´Lieber Himmel, M‰dchen! Was ist denn mit deiner Nase los!ª rief Frau Beauregarde plˆtzlich und starrte Violetta an. ´Na, was soll schon sein?ª sagte Violetta. ´Lafl mich nur essen.ª ´Sie wird blau! Deine Nase wird so blau wie eine Blaubeere!ª schrie Frau Beauregarde. 85

´Deine ganze Nase ist purpurrot!ª sagte Herr Beauregarde. ´Spinnt ihr oder was?ª fragte Violetta und kaute unbeirrt weiter. ´Deine Backen... sie werden auch blau! Dein Kinn, dein ganzes Gesicht wird blau!ª schrie Frau Beauregarde. ´Spuck sofort den Kaugummi aus!ª befahl Herr Beauregarde. ´Hilfe! Erbarmen! Das M‰dchen wird ¸berall blau und purpurrot! Sogar ihr Haar! Violetta, du wirst ganz violett! Violetta, was ist los mit dir?!ª jammerte Frau Beauregarde. ´Ich habe dir ja gesagt, dafl der Kaugummi noch nicht ganz fertig entwickelt ist!ª seufzte Herr Wonka und sch¸ttelte betr¸bt den Kopf. ´Nichts haben Sie gesagt! Aber jetzt schauen Sie sich mal meine Tochter an!ª Alle starrten auf Violetta. Was f¸r ein f¸rchterlicher Anblick! Gesicht, Hals, H‰nde, Arme, Beine... ihr ganzer Kˆrper und sogar ihr dichter, lockiger Haarschopf waren jetzt blaurot, genau die Farbe von Blaubeersaft! ´Beim Nachtisch geht es immer schiefª, seufzte Herr Wonka. ´Daran ist der Blaubeerkuchen schuld. Aber eines Tages kriege ich das schon noch hin... Sie werden es erleben.ª ´Violetta, du schwillst an!ª schrie Frau Beauregarde. ´Mir wird schlechtª, sagte Violetta. ´Violetta, du schwillst an!ª schrie Frau Beauregarde wieder. ´Mir ist ganz komisch!ª keuchte Violetta. ´Das wundert mich nicht!ª sagte Herr Beauregarde. ´Lieber Himmel, M‰dchen, du bl‰hst dich auf wie ein Luftballon!ª kreischte Frau Beauregarde. ´Wie eine Blaubeere!ª bemerkte Herr Wonka. ´Rufen Sie einen Arzt!ª verlangte Herr Beauregarde. ´Piksen Sie eine Nadel in sie hinein!ª schlug ein anderer Vater vor. ´Hilfe! Retten Sie meine Violetta!ª Frau Beauregarde rang 86

die H‰nde. Doch sie war nicht mehr zu retten. Ihr Kˆrper schwoll jetzt so schnell an, dafl Violetta sich binnen einer Minute in einen riesigen runden blauen Ball verwandelte ñ in eine RiesenBlaubeere. Das einzige, was von Violetta Beauregarde ¸brigblieb, waren winzige Arme und Beine, die aus der SuperBlaubeere herausragten, und ihr Kopf, der wie ein Stecknadelkopf auf diesem Monstrum von Ballon safl.

´Beim Nachtisch geht es immer schiefª, sagte Herr Wonka bek¸mmert. ´Zwanzig Umpa-Lumpas haben diesen Kaugummi ausprobiert, und alle zwanzig haben sich in Blaubeeren verwandelt. Sehr peinlich, wirklich! Ich begreife einfach nicht, wie so etwas mˆglich ist.ª ´Aber ich will keine Blaubeere als Tochter haben!ª br¸llte Frau Beauregarde. ´Sorgen Sie auf der Stelle daf¸r, dafl Violetta wieder so aussieht wie vorher!ª Herr Wonka schnalzte mit den Fingern, und sofort tauchten 87

zehn Umpa-Lumpas neben ihm auf. ´Seid so gut und rollt Fr‰ulein Violetta ins Boot und bringt sie sofort in den Saftraum, bitteª, sagte Herr Wonka zu ihnen. ´In den Saftraum? Was wollen Sie da mit ihr anfangen?ª rief Frau Beauregarde. ´Sie entsaften, nat¸rlichª, antwortete Herr Wonka. ´Wir m¸ssen sofort den Saft aus ihr herauspressen. Mal sehen, wie sie danach aussieht. Nur keine Sorge, meine liebe Frau Beauregarde. Wir bekommen sie schon wieder hin, und wenn es das letzte ist, was wir auf dieser Welt zustande bringen. Es tut mir sehr leid, wirklich...ª Die zehn kleinen Umpa-Lumpas rollten bereits die riesige Blaubeere zu der T¸r, hinter der die rosa Bonbonjacht auf dem braunen Schokoladenflufl wartete. Herr und Frau Beauregarde eilten hinterher. Alle anderen standen noch immer starr und stumm da und schauten ihnen nach. ´Groflvater, hˆr mal!ª fl¸sterte Charlie. ´Die Umpa-Lumpas singen wieder!ª Hundert helle Stimmen schallten laut und klar vom Schokoladenflufl her¸ber: ´Verehrte Freunde, liebe Leute, es macht wahrhaftig keine Freude, den kleinen Strolchen zuzuschauen, die unaufhˆrlich Gummi kauen. Das will schon beinah soviel heiflen wie Nasebohren, N‰gelbeiflen. Drum sagen wir es geradheraus: Das Gummikauín zahlt sich nicht aus. Zuerst ist es wie Zuckerlecken ñ am Ende bleibt man darin stecken. Es scheint, ihr wiflt nicht, was vordem mit Fr‰ulein Bickeloh geschehen: Die hatte wirklich Tag und Nacht 88

kaugummikauend zugebracht. Sie kaute, wo sie ging und stand, auf Bergeshˆhín, am Meeresstrand, sie kaute, wenn sie B¸cher las und wenn sie in der Wanne safl, ob in der Kirche, im Cafe, bei Regen, Hagel oder Schnee. Wenn sie mal keinen Gummi hatte, dann kaute sie die Kokosmatte, den rechten Daumen eines Negers, die Schuhe eines Schornsteinfegers, und einmal bifl sie ihrem Klaus ein St¸ckchen aus der Nase raus. Vom vielen Kauen ward sie schiefer, gewaltig wuchs ihr Unterkiefer. Ihr Kinn, das war ihr weit voraus, sah wie ein Geigenkasten aus. An jedem Tag verbrauchte sie an f¸nfzig P‰ckchen Kaugummi. Doch dann stiefl Fr‰ulein Bickeloh ein Ungl¸ck zu ñ und das kam so: Sie ist um elf zu Bett gegangen und hat zu lesen angefangen. Sie las und kaute dabei viel wie ein nervˆses Krokodil, und als sie schliefllich schlafen wollte und auf die linke Seite rollte, nahm sie den Kaugummi heraus und knipste ihre Lampe aus. Sie schlief auch ein, doch regte sich der Kiefer und bewegte sich und klappte auf und klappte ab, obwohl es nichts zu kauen gab. Wie schrecklich klirrte das Gebifl 89

in absoluter Finsternis! Es schnappte zu mit groflem Knalle wie eine starke B‰renfalle und ˆffnete sich wieder weit mit wachsender Geschwindigkeit, bis dafl der Rachen unverwandt weit aufgerissen offenstand: Da lag das Fr‰ulein in den Kissen, und ihre Zunge war zerbissen! Sie war und blieb von da an stumm und kam ins Sanatorium. Drum trachten wir bei andern Kindern das Allerschlimmste zu verhindern und geben uns die grˆflte M¸he, dafl ihnen nicht das gleiche bl¸he. Vielleicht geht es noch einmal gut mit Violettas ‹bermut!ª

22 Den Flur entlang ´Ja, ja, zwei ungehorsame Kinder sind schon verschwunden, und drei brave kleine Kinder sind noch ¸brigª, seufzte Herr Wonka. ´Verlassen wir lieber den Saal, ehe wir noch jemanden verlieren!ª ´Herr Wonka, wird Violetta Beauregarde jemals wieder so, wie sie war, oder mufl sie f¸r immer eine Blaubeere sein?ª fragte Charlie Bucket besorgt. ´Sie wird im Handumdrehen entsaftet!ª erkl‰rte Herr 90

Wonka. ´Meine Umpa-Lumpas rollen sie in die Saftpresse, und sie kommt so d¸nn wie eine Bohnenstange wieder heraus!ª ´Ist sie dann immer noch ganz blau?ª fragte Charlie. ´Nein, keine Spur!ª versicherte Herr Wonka. ´Dann ist sie purpurrot! Ein schˆnes, leuchtendes Purpurrot... von Kopf bis Fufl! Da kann man nichts machen. Das kommt davon, wenn man den ganzen Tag diesen widerlichen Kaugummi kaut!ª ´Wenn Sie Kaugummi so widerlich finden, warum machen Sie dann welchen in Ihrer Fabrik?ª fragte Micky Schiefler. ´Ich w¸nschte, du w¸rdest etwas deutlicher sprechen. Ich verstehe kein Wort von dem, was du da sagstª, antwortete Herr Wonka. ´Jetzt weiter, weiter! Immer mir nach! Wir gehen wieder durch die Flure.ª Herr Wonka trippelte bis zum anderen Ende des Erfindungsraums und ˆffnete eine kleine Geheimt¸r, die hinter Herden und Rˆhren verborgen war. Die letzten drei Kinder ñ Veruschka Salz, Micky Schiefler und Charlie Bucket ñ und die f¸nf Erwachsenen folgten ihm. Sie waren wieder in einem endlos langen rosa Korridor, von dem ungez‰hlte andere rosa Flure abzweigten. Herr Wonka lief voraus, bog links und rechts und rechts und links ab, und Groflvater Josef sagte: ´Halt dich gut an meiner Hand fest, Charlie. Es w‰re schrecklich, wenn man sich hier drinnen verliefe.ª ´Keine Zeit mehr f¸r Bummelei! Wir kommen niemals durch, wenn wir weiter so trˆdeln!ª sagte Herr Wonka und rannte immer weiter durch endlose rosa Flure. Sein schwarzer Zylinder safl hoch oben auf seinem Kopf, und seine pflaumenblauen Frackschw‰nze flatterten wie Wimpel hinter ihm her. Sie kamen an einer T¸r vorbei. ´Keine Zeit, da hineinzugehen! Weiter, bitte, weiter!ª Jetzt gab es immer mehr T¸ren: Beinahe alle zwanzig Schritte kam eine T¸r, und auf jeder stand etwas geschrieben, und aus jeder drangen eigenartige, klappernde Ger‰usche 91

heraus. Kˆstliche D¸fte entwichen durch die Schl¸ssellˆcher, und manchmal quoll sogar ein biflchen bunter Dampf aus den Ritzen hervor. Groflvater Josef und Charlie muflten beinahe im Trab laufen, um mit Herrn Wonka Schritt zu halten. Trotz aller Eile konnten sie im Vorbeigehen die Schilder an einigen der T¸ren lesen: ESSBARE KOPFKISSEN AUS ZUCKERWATTE ´Eine tolle Masche, diese Zucker-Kopfkissen!ª rief Herr Wonka im Vorbeilaufen. ´Die Leute werden sich darum reiflen, wenn sie erst einmal in den Gesch‰ften verkauft werden!ª ABLECKBARE TAPETEN l F‹R KINDERZIMMER stand an der n‰chsten T¸r. ´Herrlich, diese ableckbaren Tapeten! Es sind Bilder von Fr¸chten darauf... Bananen, ƒpfel, Apfelsinen, Weintrauben, Ananas, Erdbeeren, Schniefbeeren...ª ´Schniefbeeren?ª fragte Micky Schiefler. ´Unterbrich mich bitte nicht!ª sagte Herr Wonka. ´Auf dieser Tapete sind also Bilder von Fr¸chten, und wenn man das Bild einer Banane ableckt, dann schmeckt das nach Banane. Wenn man das Bild einer Erdbeere ableckt, schmeckt es auch nach Erdbeere. Und wenn man das Bild einer Schniefbeere ableckt, schmeckt es genau wie eine echte, frische Schniefbeere...ª ´Aber wie schmeckt eine Schniefleere?ª fragte Micky Schiefler. ´Du murmelst schon wieder! Sprich das n‰chste Mal bitte etwas lauter und deutlicher!ª sagte Herr Wonka. ´Weiter gehtís. Lauft bitte ein biflchen schneller!ª HEISSES EIS F‹R KALTE TAGE stand an einer T¸r. ´ƒuflerst n¸tzlich im Winter! Heifles Eis w‰rmt einen wunderbar auf, wennís drauflen friertª, erkl‰rte Herr Wonka. ´Ich mache auch heifle Eisw¸rfel f¸r heifle Getr‰nke. Heifle 92

Eisw¸rfel machen heifle Getr‰nke noch heiflerª, sagte Herr Wonka. K‹HE DIE SCHOKOLADEN-MILCH GEBEN stand auf der n‰chsten T¸r. ´S¸fle Tierchen! Ich liebe meine kleinen K¸he!ª schw‰rmte Herr Wonka. ´Ich will die K¸he sehen!ª sagte Veruschka. ´Warum m¸ssen wir an all diesen interessanten R‰umen vorbeirennen, warum d¸rfen wir nicht hinein?ª ´Wir gehen schon noch in einen Raum hinein; sei bitte nicht so furchtbar ungeduldig!ª vertrˆstete Herr Wonka sie. LUFTBALLON-BRAUSE stand an der n‰chsten T¸r. ´Ein fabelhaftes Getr‰nk! Wenn man es trinkt, dann f¸llt es einen mit Blasen, und die Blasen enthalten eine besondere Sorte Gas, und das Gas ist so unglaublich erhebend, dafl es dich glatt vom Boden hochhebt, wie einen Luftballon! Und dann gehst du hoch, bis du mit dem Kopf an die Decke stˆflt... und da bleibst du dann schwebenª, erkl‰rte Herr Wonka. ´Und wie kommt man wieder runter?ª fragte Charlie. ´Ganz einfach. Du brauchst nur zu r¸lpsenª, antwortete Herr Wonka. ´Du gibst einen lauten, langen, unversch‰mten R¸lpser von dir, dann kommt dir das Gas hoch, und du kommst runter. Aber du darfst die Luftballon-Brause niemals im Freien trinken! Ein alter Umpa-Lumpa hat einmal drauflen im Hof davon getrunken und ist buchst‰blich davongeflogen. Wir haben ihn nie wiedergesehen. Sehr traurig!ª ´Er h‰tte r¸lpsen sollenª, meinte Charlie. ´Nat¸rlich h‰tte er r¸lpsen sollenª, meinte Herr Wonka. ´Ich stand unten im Hof und habe mir die Lunge aus dem Hals geschrien: Aber er hat nicht ger¸lpst. Ich weifl nicht, ob erís nicht konnte oder aber nicht wollte. Wahrscheinlich war er einfach zu gut erzogen. Inzwischen mufl er auf dem Mond gelandet sein.ª 93

VIERECKIGE BONBONS, DIE RUND AUSSEHEN stand an der n‰chsten T¸r. ´Einen Moment!ª rief Herr Wonka und bremste so scharf, dafl er ins Schlittern geriet. ´Ich bin sehr stolz auf meine viereckigen Bonbons, die rund aussehen. Die mufl ich euch unbedingt zeigen!ª

23 Viereckige Bonbons, die rund aussehen Alle blieben stehen und dr‰ngten sich vor der T¸r, die aus Glas bestand. Groflvater Josef hob Charlie hoch, damit er besser hineinschauen konnte. Charlie sah einen langen Tisch und auf dem Tisch lange Reihen und Reihen kleiner weifler, viereckiger Bonbons. Sie sahen wie Zuckerw¸rfel aus... nur dafl jeder Bonbon ein kleines, komisches rosa Gesicht hatte. Am Ende des Tisches saflen ein paar Umpa-Lumpas und bemalten noch mehr Bonbons mit Gesichtern. ´So, das sind sie! Viereckige Bonbons, die rund aussehen!ª sagte Herr Wonka. ´Ich finde, die sehen gar nicht richtig rund ausª, bemerkte Micky Schiefler. ´Sie sehen viereckig aus, vollkommen viereckigª, sagte Veruschka Salz. ´Sie sind ja auch viereckigª, sagte Herr Wonka. ´Ich habe nie behauptet, dafl sie das nicht seien.ª ´Sie haben gesagt, sie sind rund!ª erwiderte Veruschka Salz. ´Nie im Leben! Ich habe gesagt, sie sehen rund aus\ª ´Aber sie sehen auch nicht rund aus! Sie sehen viereckig 94

aus!ª schrie Veruschka Salz. ´Sie sehen rund aus!ª beharrte Herr Wonka. ´Sie sehen nicht rund aus!ª widersprach Veruschka Salz. ´Veruschka, hˆr nicht auf Herrn Wonka. Er l¸gt dich anª, sagte Frau Salz. ´Du meine G¸teª, sagte Herr Wonka, ´gehen Sie doch zum Teufel!ª ´Wie kˆnnen Sie es wagen, so mit mir zu sprechen!ª schrie Frau Salz. ´Immer nur mit der Ruhe! Und nun passen Sie mal auf.ª Herr Wonka schlofl die T¸r auf... und bei dem Ger‰usch drehten sich plˆtzlich all die Reihen und Reihen von kleinen, viereckigen Bonbons um, um zu sehen, wer da hereinkam. Die winzigen, rosigen Gesichter drehten sich tats‰chlich zur T¸r hin und starrten Herrn Wonka an. ´Nun, was habe ich gesagt!ª rief Herr Wonka triumphierend. ´Die Gesichter sehen rund aus, wenn sie sich herumdrehen! Das kann niemand bestreiten! Es sind viereckige Bonbons, die rund aussehen!ª

´Donnerwetter, es stimmt wirklich!ª sagte Groflvater Josef. ´Kommt bitte weiter!ª Herr Wonka zog die T¸r schon wieder zu. ´Wir d¸rfen nicht trˆdeln!ª CREME-SCOTCH UND CREME-GIN stand an der n‰chsten T¸r. 95

´Das klingt interessanterª, meinte Herr Salz. ´Eine groflartige Mischung!ª versicherte Herr Wonka. ´Die Umpa-Lumpas sind ganz versessen darauf. Sie werden davon noch munterer, als sie sowieso schon sind. Hˆrt mal!ª Lachen und Singen war durch die geschlossene T¸r zu hˆren. ´Die Umpa-Lumpas sind mal wieder betrunkenª, sagte Herr Wonka. ´Creme-Gin mit Soda trinken sie am liebsten. Aber Creme-Scotch verachten sie auch nicht. Kommt bitte weiter! Wir d¸rfen wirklich nicht vor jeder T¸r stehenbleiben.ª Herr Wonka bog links ab, dann rechts. Sie kamen zu einer langen Treppe. Herr Wonka rutschte das Treppengel‰nder hinunter. Die drei Kinder ñ Veruschka Salz, Micky Schiefler und Charlie Bucket ñ machten es ihm nach. Frau Salz und Frau Schiefler (die beiden einzigen Damen in der Gesellschaft) waren inzwischen ziemlich aufler Atem. Frau Salz hatte sehr kurze Beine und war ungeheuer dick, und sie schnaufte wie ein Rhinozeros. ´Hier herum!ª rief Herr Wonka und bog unten an der Treppe wieder links ab. ´Langsamer!ª keuchte Frau Salz. ´Unmˆglich! Sonst kommen wir niemals p¸nktlich dorthin!ª rief Herr Wonka zur¸ck. ´Wohin?ª fragte Veruschka Salz. ´Immer nur mit der Ruhe, das wirst du gleich sehenª, antwortete Herr Wonka.

24 Veruschka bei den Eichhˆrnchen

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Herr Wonka eilte durch den Flur. NUSSRAUM stand an der n‰chsten T¸r. ´Gut, bleiben wir einen Augenblick hier stehen, damit die Damen wieder zu Atem kommenª, sagte Herr Wonka. ´Ihr kˆnnt auch durch das Fenster in der T¸r hineinschauen. Aber geht auf keinen Fall in den Nuflraum hinein! Sonst stˆrt ihr die Eichhˆrnchen!ª Alle blickten durchs Fenster. ´Oh, sieh mal, Groflvater, sieh mal!ª rief Charlie. ´Eichhˆrnchen!ª rief Veruschka Salz. ´Uuuuiiii!ª machte Micky Schiefler. Es war wirklich ein erstaunlicher Anblick. Einhundert Eichhˆrnchen saflen auf hohen Schemeln rund um einen groflen, runden Tisch. Auf dem Tisch lagen Berge und Berge von Waln¸ssen, und die Eichhˆrnchen arbeiteten alle wie verr¸ckt und knackten in unglaublichem Tempo die N¸sse. ´Diese Eichhˆrnchen sind extra darauf dressiert, die Kerne aus den Waln¸ssen zu holenª, sagte Herr Wonka. ´Warum lassen Sie das von Eichhˆrnchen machen und nicht von den Umpa-Lumpas?ª fragte Micky Schiefler. ´Weil die Umpa-Lumpas es nicht fertigbringen, die ganzen N¸sse aus der Schale zu holen. Sie zerbrechen sie immer. Niemand kann jede Walnufl ganz aus der Schale holen. Das ist ‰uflerst schwierig. Nur Eichhˆrnchen kˆnnen das! Und weil ich in meiner Fabrik nur ganze Waln¸sse verarbeite, brauche ich Eichhˆrnchen. Und sie machen ihre Arbeit einfach groflartig! Schaut mal zu, wie sie jede einzelne Nufl zuerst abklopfen, um sich zu vergewissern, dafl sie nicht schlecht ist! Schlechte N¸sse klingen n‰mlich hohl. Dann sparen die Eichhˆrnchen sich die M¸he, erst die Schale aufzuknacken, und werfen die ganze Nufl einfach in den M¸llschlucker! Seht ihr, so wie das Eichhˆrnchen hier dicht vor uns das macht... Ich glaube, es hat eine hohle Nufl erwischt.ª Die Kinder beobachteten, wie das kleine Eichhˆrnchen mit 97

den Pfoten die Nufl abklopfte und dabei lauschend den Kopf auf die Seite legte. Dann plˆtzlich warf es die Walnufl ¸ber die Schulter in ein grofles Loch im Boden. ´Mama, ich will ein Eichhˆrnchen haben!ª rief Veruschka Salz. ´Hol mir eins von den Eichhˆrnchen!ª ´Aber das geht doch nicht, Liebling! Die Eichhˆrnchen gehˆren Herrn Wonkaª, sagte Frau Salz. ´Das ist mir egal! Ich will ein Eichhˆrnchen haben!ª schrie Veruschka. ´Zu Hause habe ich blofl zwei Hunde und vier Katzen und sechs Kaninchen und zwei Wellensittiche und drei Kanarienvˆgel und einen gr¸nen Papagei und eine Schildkrˆte und ein Aquarium voll Goldfische und einen K‰fig voll weifler M‰use und einen d‰mlichen alten Hamster! Jetzt will ich ein Eichhˆrnchen haben!ª ´Ja, ja, meine S¸fle. Mami kauft dir ein Eichhˆrnchen, sobald wir wieder zu Hause sindª, sagte Frau Salz. ´Ich will nicht irgendein Eichhˆrnchen! Ich will ein dressiertes, von denen da!ª Herr Salz z¸ckte seine dicke Brieftasche und sagte herablassend: ´Na, Wonka, wieviel wollen Sie denn f¸r so ein Eichhˆrnchen haben? Machen Sie mir einen Preis.ª ´Die Eichhˆrnchen sind unverk‰uflichª, antwortete Herr Wonka. ´Veruschka kann keines haben.ª ´Wieso kann ich keines haben? Ich kriege immer alles, was ich haben will! Und ich hole mir sofort selbst ein Eichhˆrnchen!ª schrie Veruschka. ´Tuís lieber nicht!ª sagte Herr Wonka. Aber es war schon zu sp‰t. Veruschka hatte bereits die T¸r aufgerissen und st¸rzte in den Nuflraum. Im gleichen Moment unterbrachen die hundert Eichhˆrnchen ihre Arbeit, wandten die Kˆpfe um und starrten den Eindringling mit kleinen, schwarzen Knopfaugen an. Veruschka blieb stehen und starrte sie ebenfalls an. Dann fiel ihr Blick auf ein h¸bsches, zierliches Eichhˆrnchen, das gleich 98

ein paar Schritte vor ihr am Tisch safl. Das Eichhˆrnchen hielt eine Nufl zwischen den Pfoten. ´Du gef‰llst mir!ª sagte Veruschka. Sie wollte nach dem Eichhˆrnchen greifen... doch in der gleichen Sekunde, in der Veruschka die H‰nde ausstreckte, fuhr es wie ein brauner Blitz durch den Raum, und alle hundert Eichhˆrnchen sprangen auf sie los. F¸nfundzwanzig Eichhˆrnchen landeten auf Veruschkas rechtem Arm und hielten ihn fest. F¸nfundzwanzig Eichhˆrnchen landeten auf ihrem linken Arm und hielten ihn fest. F¸nfundzwanzig packten Veruschkas rechtes Bein, und f¸nfundzwanzig hielten ihr linkes Bein fest. Und das letzte Eichhˆrnchen ñ offensichtlich der Anf¸hrer ñ kletterte auf Veruschkas Schulter und fing an, ihren Kopf mit den Pfoten abzuklopfen. ´Hilfe!ª schrie Frau Salz. ´Veruschka, komm sofort heraus! Hilfe! Was machen die Eichhˆrnchen da mit ihr?ª ´Sie pr¸fen, ob sie eine hohle Nufl istª, erkl‰rte Herr Wonka. Veruschka versuchte sich zu wehren, aber die Eichhˆrnchen hielten sie fest, und sie konnte sich keinen Zentimeter r¸hren. Das Eichhˆrnchen auf der Schulter klopfte noch immer ihren Kopf ab. Dann warfen sie Veruschka plˆtzlich mit vereinten Kr‰ften um und schleiften sie ¸ber den Boden. ´Du liebe Zeit, ihr Kopf mufl schrecklich hohl geklungen haben! Sie ist eine taube Nuflª, sagte Herr Wonka. Veruschka schrie und trat um sich, aber das nutzte nichts. Die kleinen Pfoten lieflen nicht locker, und Veruschka konnte nicht entkommen. ´Wohin schleppen sie das arme Kind?ª rief Frau Salz. ´Zum M¸llschlucker, wie alle schlechten N¸sseª, antwortete Herr Wonka.

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´Tats‰chlich!ª Herr Salz starrte durch das Fenster in der T¸r. ´Sie m¸ssen sie retten!ª ´Tut mir leid, Frau Salz. Sie ist schon verschwundenª, erwiderte Herr Wonka. Von Veruschka war nichts mehr zu sehen. ´Wohin ist sie verschwunden? Wohin fuhrt dieser M¸llschlucker?ª Frau Salz kreischte und fuchtelte wild mit den Armen. ´Dieser M¸llschlucker f¸hrt direkt in den groflen Hauptm¸llschlucker, der allen Abfall aus allen Abteilungen der Fabrik aufnimmt... Dreck, der vom Boden zusammengefegt wird, Kartoffelschalen, verfaulte Kohlbl‰tter, Fischkˆpfe und so weiter.ª ´Ich mˆchte blofl wissen, wer in dieser Fabrik Kartoffeln und Kohl und Fisch iflt?ª fragte Micky Schiefler. ´Ich nat¸rlichª, antwortete Herr Wonka. ´Hast du vielleicht gedacht, ich lebe auch nur von Kakaobohnen?ª ´Und... und... und... wohin f¸hrt dieser grofle Hauptm¸llschlucker?ª stotterte Frau Salz. ´In die M¸llverbrennungsanlage nat¸rlichª, sagte Herr Wonka gelassen. Frau Salz sperrte ihren groflen roten Mund auf und fing an zu schreien. 100

´Immer nur mit der Ruhe! Es ist immer noch mˆglich, dafl die Verbrennungsanlage gerade heute nicht brenntª, sagte Herr Wonka. ´Mˆglich...! Meine arme Veruschka! Sie... sie... sie wird gerˆstet... wie eine Bratwurst!ª heulte Frau Salz. ´Du hast vollkommen recht, meine Liebeª, sagte Herr Salz. Und f¸gte hinzu: ´Hˆren Sie mal zu, Wonka. Ich finde, diesmal sind Sie ein biflchen zu weit gegangen. Meine Tochter ist ziemlich verwˆhnt und dickkˆpfig, das gebe ich gern zu, aber das gibt Ihnen noch l‰ngst nicht das Recht, sie in Ihrem M¸llschlucker zu rˆsten. Ich bin wirklich ‰uflerst ungehalten.ª ´Oh, seien Sie bitte nicht ungehalten, lieber Herr Salz! Regen Sie sich bitte nicht unnˆtig auf. Ihre Tochter taucht fr¸her oder sp‰ter bestimmt wieder auf. Vielleicht ist sie ¸berhaupt nicht durch den M¸llschlucker gerutscht... Vielleicht ist sie ja gleich unter dem Eingangsloch steckengeblieben... In dem Fall brauchen Sie ja nur hineinzugehen und sie wieder herauszuziehen.ª Herr und Frau Salz st¸rzten sofort in den Nuflraum und beugten sich ¸ber das M¸llschluckerloch im Boden. ´Veruschka! Bist du da unten?ª rief Frau Salz. Keine Antwort. Frau Salz beugte sich noch weiter hin¸ber. Dann kniete sie sogar nieder und steckte den Kopf in den M¸llschlucker, um besser hineinschauen zu kˆnnen. Ihr gewaltiges Hinterteil ragte wie ein Riesenpilz in die Luft. Es war eine sehr gef‰hrliche Stellung. Sie brauchte nur einen winzigen Stofl, einen sanften Schubs an der richtigen Stelle ñ und genau den gaben die Eichhˆrnchen ihr. Frau Salz verschwand kopf¸ber im M¸llschlucker und kreischte dabei wie ein Papagei. ´Donnerwetter, heute gibt es eine Menge M¸ll!ª sagte Herr Salz, als seine dicke Frau in dem schwarzen Loch verschwand. ´Wie ist es da unten, Angina?ª rief er hinter ihr her und beugte 101

sich ziemlich weit ¸ber das Loch. Die Eichhˆrnchen rotteten sich hinter ihm zusammen... ´Hilfe!ª schrie Herr Salz. Aber da flog er schon kopf¸ber in den M¸llschlucker, genau wie seine Frau und seine Tochter. ´O je! Was wird jetzt aus ihnen?ª fragte Charlie, der alles durch das Fenster in der T¸r beobachtet hatte. ´Vielleicht f‰ngt irgend jemand sie unten aufª, meinte Herr Wonka. ´Aber der M¸llschlucker f¸hrt doch in den M¸llofen?ª fragte Charlie weiter. ´Der M¸llofen brennt nur jeden zweiten Tag. Vielleicht ist heute zuf‰llig der Tag, an dem er nicht angez¸ndet wird... Vielleicht haben sie Gl¸ckª, sagte Herr Wonka. ´Psssst! Hˆrt mal! Die Umpa-Lumpas singen wieder!ª sagte Groflvater Josef. Trommeln erklangen in der Ferne, und die Umpa-Lumpas sangen: ´Veruschka Salz, das freche Ding, kopf¸ber durch den M¸llschacht ging. (Und da wir uns darauf verstehn, den Sachen auf den Grund zu gehn, verschwanden auch die Eltern noch auf gleiche Weise durch das Loch.) Solange ihre Reise w‰hrt, sei Euch inzwischen schnell erkl‰rt: Veruschka kommt in dieser Landschaft zu unerwarteter Bekanntschaft. ñ Da gibt es Sachen, die dem Kind nicht sonderlich sympathisch sind. Ein Kanten Brot, so hart wie Stein (der wird nicht mehr zu essen sein!), ein ranziges St¸ck Schinkenspeck 102

(das warf man, weil es schlecht war, weg). Und ebenfalls da unten liegt ein Schellfischkopf, der ¸bel riecht, verdorbener K‰se, Katzendreck, ein gr¸nbepelztes Eflbesteck und anderes Zeug ñ du liebe Zeit! Das stinkt ja kilometerweit! In diesen schmutzigen Verein, da rutscht Veruschka jetzt hinein. Das kommt davon, wenn man nicht folgt und einsam durch die Gegend strolcht! Nun fragt ihr wohl: Ist das gerecht? Ist denn Veruschka wirklich schlecht? Und hat sie das, was sie erduldet, tats‰chlich ganz allein verschuldet? Sie ist doch solch ein wilder Besen nicht gleich von Anfang an gewesen! Wer hat das Kind denn so verzogen und so verwˆhnt und so verbogen? Wie kam Veruschka mit der Zeit zu Eigensinn und Bockigkeit? ñ Der Herr Papa, die Frau Mama, die waren gleich zu Anfang da, die lieflen alles so geschehn! ñ Dergleichen kann man ˆfter sehn. Drum ist es richtig, wenn die beiden dasselbe wie Veruschka leiden.ª

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25 Der grofle gl‰serne Fahrstuhl ´So etwas habe ich noch nie erlebt! Die Kinder verschwinden wie die Kaninchen!ª sagte Herr Wonka. ´Aber macht euch keine Sorgen! In der W‰sche geht immer alles wieder heraus!ª Herr Wonka betrachtete die kleine Gruppe. Nun waren nur noch zwei Kinder ¸brig ñ Micky Schiefler und Charlie Bucket ñ und dazu drei Erwachsene: Mickys Eltern und Groflvater Josef. ´Sollen wir weitergehen?ª fragte Herr Wonka. ´O ja, bitte!ª riefen Charlie und Groflvater Josef wie aus einem Mund. ´Mir tun bald die F¸fle weh. Ich w¸rde lieber fernsehenª, sagte Micky Schiefler. ´Wenn ihr m¸de seid, nehmen wir den Fahrstuhl. Er ist gleich dort dr¸ben, kommt!ª Herr Wonka lief ¸ber den Flur zu einer Doppelt¸r. Sie ˆffnete sich von allein. Die beiden Kinder und die Erwachsenen traten ein. ´Welchen Knopf wollen wir zuerst dr¸cken? Ihr d¸rft w‰hlenª, sagte Herr Wonka. Charlie Bucket sah sich voller Verwunderung um. Das war der verr¸ckteste Fahrstuhl, den er je gesehen hatte. ‹berall waren Knˆpfe! Alle vier W‰nde und sogar die Decke waren mit Reihen von kleinen durchsichtigen Knˆpfen besetzt. Es muflten tausend Knˆpfe an jeder Wand sein und noch einmal tausend an der Decke! Und neben jedem einzelnen Knopf befand sich ein winziges Schild, auf dem stand, in welchen Raum man gelangte, wenn man diesen Knopf dr¸ckte. ´Das ist kein gewˆhnlicher Fahrstuhl, der einfach nur rauf 104

und runter f‰hrt!ª verk¸ndete Herr Wonka stolz. ´Dieser Fahrstuhl f‰hrt vorw‰rts und r¸ckw‰rts und seitw‰rts und schr‰gw‰rts ñ wohin ihr wollt. Er f‰hrt in jeden einzelnen Raum der ganzen Fabrik, ganz gleich, wo er sich befindet. Man braucht nur den richtigen Knopf zu dr¸cken, und... zing... gehtís los!ª ´Phantastisch!ª murmelte Groflvater Josef. Seine Augen gl‰nzten vor Begeisterung. ´Der ganze Fahrstuhl besteht aus dickem, durchsichtigem Glas!ª fuhr Herr Wonka fort. ´Fuflboden, W‰nde, Decke, T¸r... alles ist aus Glas, damit man hinaussehen kann!ª ´Aber es gibt doch gar nichts zu sehenª, sagte Micky Schiefler. ´Ihr beide d¸rft jeder einen Knopf dr¸ckenª, sagte Herr Wonka zu Charlie und Micky Schiefler. ´Aber beeilt euch ein biflchen! In jedem Raum wird etwas Kˆstliches und Einmaliges fabriziert.ª Charlie las die Schildchen neben einigen Knˆpfen: KANDIS-ZUCKER-BERGWERK ñ 3000 Meter tief KOKOSNUSS-EIS-SCHLITTSCHUHBAHN ERDBEERSAFT-PISTOLEN TOFFEE-BƒUME, die man in seinem eigenen Garten anpflanzen kann ñ alle Grˆflen KNALL-BONBONS f¸r deine Feinde LEUCHT-LUTSCHER, die man im Bett im Dunkeln iflt SPEZIAL-PFEFFERMINZ f¸r den Jungen von nebenan ñ er hat davon einen Monat lang gr¸ne Z‰hne KARAMELLEN F‹R ZAHNL÷CHER ñ kein Besuch beim Zahnarzt mehr ZUNGENLEIM f¸r geschw‰tzige Eltern WEDEL-BONBONS, die vor Vergn¸gen in deinem Bauch wedeln, wenn du sie geschluckt hast UNSICHTBARE SCHOKOLADE, die man in der Schulklasse essen kann 105

BLEISTIFTE MIT ZUCKER‹BERZUG, ebenfalls zum Lutschen in der Klasse LIMONADE F‹R SCHWIMMBECKEN REGENBOGEN-DROPS ñ wenn man sie lutscht, kann man in sechs verschiedenen Farben spucken... ´Entschlieflt euch endlich!ª rief Herr Wonka. ´Wir kˆnnen nicht den ganzen Tag hier warten!ª ´Gibt es in diesem groflen Kasten denn keinen einzigen Fernsehraum?ª fragte Micky Schiefler. ´Nat¸rlich gibt es einen Fernsehraum. Diesen Knopf hier m¸flte man dr¸ckenª, sagte Herr Wonka. Auf dem Schildchen neben dem Knopf stand FERNSEHSCHOKOLADE. ´Endlich das richtige f¸r mich!ª schrie Micky Schiefler und dr¸ckte schon den Daumen auf den Knopf. Ein gewaltiges Sausen ertˆnte. Die T¸r rasselte zu, und der Fahrstuhl brauste wie eine Rakete los. Aber er fuhr seitw‰rts! Und alle Passagiere verloren das Gleichgewicht und purzelten zu Boden. Nur Herr Wonka nicht, denn er hielt sich an einer Lederschlaufe fest, die wie in einer Straflenbahn von der Decke herabhing. ´Steht auf, steht auf!ª rief er lachend. Aber gerade als sie sich wieder aufrappelten, nahm der Fahrstuhl eine Kurve, und sie flogen wieder alle um.

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´Hilfe!ª schrie Frau Schiefler. ´Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, meine Liebe?ª fragte Herr Wonka hˆflich und half ihr auf. ´So... hier ist eine Lederschlaufe, halten Sie sich daran fest. Haltet euch alle an einer Schlaufe fest! Die Reise ist noch l‰ngst nicht zu Ende!ª Groflvater Josef kam schwankend wieder auf die Beine und erwischte eine Lederschlaufe. Der kleine Charlie, der nicht so hoch hinaufreichen konnte, schlang die Arme um Groflvater Josefs Beine und hielt sich daran fest. Der Fahrstuhl sauste weiter. Man f¸hlte, wie er jetzt einen steilen, schr‰gen Kurs nahm, als schˆsse er einen sehr hohen Berg hinauf. Plˆtzlich sackte er kerzengerade wie ein Stein ab, als h‰tte er den Gipfel erreicht und fiele auf der anderen Seite 107

hinunter. Charlie hatte das Gef¸hl, sein Magen rutsche ihm bis in den Hals hoch. ´Hoppla, jetzt gehtís erst richtig los!ª rief Groflvater Josef vergn¸gt. ´Das Seil ist gerissen! Wir st¸rzen ab!ª quietschte Frau Schiefler. ´Beruhigen Sie sich, meine Liebeª, sagte Herr Wonka und t‰tschelte beruhigend ihren Arm. Groflvater Josef schaute zu Charlie hinunter, der sich noch immer an seine Beine klammerte, und fragte: ´Alles in Ordnung, Charlie?ª Charlie nickte: ´Ich finde es toll, Groflvater! Genau wie auf einer Achterbahn!ª Durch die Glasw‰nde des Fahrstuhls sahen sie im Vor¸bersausen seltsame, wunderbare Dinge: Da war ein riesiger Kannenschnabel, aus dem braunes z‰hes Zeug tropfte... Ein gewaltiges, gezacktes Gebirge aus Bruchschokolade, auf dem Umpa-Lumpas herumkletterten ñ alle angeseilt ñ und mit Spitzhacken grofle Brocken heraushackten... Eine Maschine, aus der ñ wie ein Schneesturm ñ weifler Puderzucker spr¸hte... Ein See voll warmer, dampfender Karamelcreme... Ein Umpa-Lumpa-Dorf mit winzigen H‰usern, in dem zehn Zentimeter grofle Umpa-Lumpa-Kinder auf der Strafle spielten... Jetzt schofl der Fahrstuhl wieder ¸ber eine ebene Strecke. Charlie hˆrte, wie drauflen der Fahrtwind heulte. Eine Kurve... noch eine... bergauf... bergab... eine Kurve. ´Mir wird schlecht!ª schrie Frau Schiefler und wurde gr¸n und gelb im Gesicht. ´Oh, bitte nicht!ª sagte Herr Wonka. ´Was wollen Sie denn dagegen machen?!ª sagte Frau Schiefler. 108

´Dann nehmen Sie lieber das daª, sagte Herr Wonka, nahm seinen schˆnen schwarzen Zylinder vom Kopf und hielt ihn Frau Schiefler wie eine Sch¸ssel hin. ´Halten Sie diesen gr‰fllichen Fahrstuhl an!ª befahl Herr Schiefler. ´Tut mir leid, das kann ich nicht. Er h‰lt erst an, wenn wir angekommen sind. Ich hoffe blofl, dafl nicht gerade jemand den anderen Fahrstuhl benutztª, sagte Herr Wonka. ´Welchen anderen Fahrstuhl?ª ‰chzte Frau Schiefler. ´Eben den anderen, der auf demselben Gleis in die entgegengesetzte Richtung f‰hrt.ª ´Du heiliger Bimbam! Soll das heiflen, dafl es einen Zusammenstofl geben kann?ª schrie Herr Schiefler. ´Bis jetzt habe ich immer Gl¸ck gehabtª, sagte Herr Wonka. ´Jetzt wird mir wirklich schlecht!ª versicherte Frau Schiefler. ´Bitte nicht ausgerechnet jetzt! Wir sind gleich da! Bitte, ruinieren Sie mir meinen Zylinder nicht!ª Im n‰chsten Augenblick quietschten tats‰chlich die Bremsen. Der Fahrstuhl wurde langsamer und blieb dann stehen. ´Das war eine Fahrt!ª sagte Herr Schiefler und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweifl vom Gesicht. ´Nie wieder!ª japste Frau Schiefler. Die Fahrstuhlt¸ren glitten auseinander. ´Einen Moment, bitte!ª sagte Herr Wonka. ´Hˆrt mir bitte gut zu. Ihr m¸flt in diesem Raum ganz besonders vorsichtig sein. Hier gibt es verschiedenes, was gef‰hrlich werden kann, und ihr d¸rft nicht damit herumspielen.ª

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26 Der Fernseh-Schokoladen-Raum Die Familie Schiefler, Charlie und Groflvater Josef traten aus dem Fahrstuhl in einen Raum, in dem es so gleiflend hell war, dafl sie die Augen zusammenkniffen und geblendet stehenblieben. Herr Wonka gab jedem eine dunkle Brille und sagte: ´Setzt sie schnell auf. Und nehmt sie hier drinnen auf gar keinen Fall wieder ab! Dieses Licht ist schlecht f¸r die Augen, ihr kˆnnt davon blind werden!ª Mit der dunklen Brille auf der Nase konnte Charlie sich bequem umschauen. Er befand sich in einem langen, schmalen, weifl get¸nchten Raum. Sogar der Fuflboden war weifl, und nirgendwo war auch nur das winzigste Staubflˆckchen zu entdecken. Grofle Lampen hingen von der Decke und tauchten den Raum in hartes, bl‰ulichweifles Licht. In der Mitte war der Raum kahl und leer. Aber an dem einen Ende stand eine riesige Kamera auf R‰dern, und eine ganze Schar von Umpa-Lumpas schw‰rmte um sie herum, ˆlte Gelenke, regulierte Hebel und Knˆpfe und polierte die grofle Linse. Diese Umpa-Lumpas waren alle hˆchst ungewˆhnlich gekleidet. Sie trugen leuchtendrote Astronautenanz¸ge, komplett mit Schutzhelmen und Gesichtsmasken... jedenfalls sahen sie genau wie Weltraumfahrer aus, und sie arbeiteten in vˆlligem Schweigen. Ein eigent¸mliches Gef¸hl der Gefahr beschlich Charlie, w‰hrend er sie beobachtete. Die Sache hier war irgendwie gef‰hrlich, und die Umpa-Lumpas wuflten das offensichtlich. Hier schwatzten und lachten und sangen sie nicht miteinander, sondern kletterten in ihren roten Weltraumanz¸gen lautlos und vorsichtig auf der groflen, schwarzen Kamera herum. 110

Am anderen Ende des Raumes, etwa f¸nfzig Schritt von der Kamera entfernt, safl ein Umpa-Lumpa ñ ebenfalls im roten Astronautenanzug ñ an einem schwarzen Tisch und starrte auf ein grofles Fernsehger‰t. ´Das ist der Testraum f¸r meine allerneueste und grˆflte Erfindung: Fernseh-Schokolade!ª verk¸ndete Herr Wonka und h¸pfte vor Begeisterung auf und ab. ´Aber was ist Fernseh-Schokolade?ª fragte Micky Schiefler. ´Lieber Himmel, Kind, unterbrich mich nicht dauernd!ª erwiderte Herr Wonka. ´Fernseh-Schokolade ist Schokolade, die es im Fernsehen gibt. Ich selber mag Fernsehen nicht. Gegen ein biflchen Fernsehen ist ja vermutlich nichts einzuwenden, aber viele Kinder starren den ganzen Tag lang in die Glotze und...ª

´Wie ich!ª unterbrach ihn Micky Schiefler. ´Sei still!ª sagte Herr Schiefler. ´Vielen Dank!ª sagte Herr Wonka. ´Und jetzt erkl‰re ich euch, wie meine einmalige Fernsehkamera funktioniert. Aber vorher eine Frage. Wiflt ihr, wie gewˆhnliches Fernsehen funktioniert? Sehr einfach. Eine grofle Filmkamera fotografiert irgend etwas, und dann werden diese Fotos in Millionen winzige St¸ckchen aufgesplittert, die so klitzeklein sind, dafl man sie gar nicht mehr sehen kann. Und diese klitzekleinen St¸ckchen werden mit Elektrizit‰t in die Luft geschossen, und da fliegen sie dann herum, bis sie plˆtzlich auf irgendeine 111

Fernsehantenne auf irgendeinem Dach stoflen. Dann rutschen sie durch den Draht hinunter, der in das Fernsehger‰t f¸hrt. Dort werden sie durcheinander gesch¸ttelt und ger¸ttelt, bis jedes einzelne von den Millionen klitzekleinen St¸ckchen wieder an seinem richtigen Platz sitzt ñ genau wie bei einem Puzzle ñ, und dann erscheint das Foto auf dem Bildschirm.ª ´Eigentlich funktioniert es ein biflchen andersª, bemerkte Micky Schiefler. ´Ich bin auf dem linken Ohr ein biflchen schwerhˆrigª, sagte Herr Wonka. ´Entschuldige bitte, wenn ich nicht alles verstehe, was du sagst.ª ´Ich habe gesagt: Eigentlich funktioniert es ein biflchen anders!ª br¸llte Micky Schiefler. ´Du bist ein sehr netter Junge, du redest nur zuvielª, erwiderte Herr Wonka. ´Wo waren wir stehengeblieben? Ach so... also, als ich zum erstenmal Fernsehen sah, ist mir eine fabelhafte Idee gekommen. Ich habe mir gesagt: Wenn man Fotografien in Millionen klitzekleine St¸ckchen zerlegen und durch die Luft schicken und dann wieder zusammensetzen kann, warum soll ich das dann nicht auch mit Schokolade kˆnnen? So dafl am anderen Ende eine Tafel Schokolade herauskommt, die man essen kann...ª ´Unmˆglich!ª sagte Micky Schiefler. ´So, meinst du? Na, dann will ich dir mal was zeigen!ª rief Herr Wonka. ´Ich werde jetzt eine Tafel von meiner allerbesten Schokolade vom einen Ende dieses Saales zum anderen schicken... per Fernsehen! Alles fertig machen, bitte. Bringt die Schokolade!ª Sofort marschierte ein halbes Dutzend Umpa-Lumpas herein. Sie schleppten auf den Schultern die grˆflte Tafel Schokolade, die Charlie je gesehen hatte. Sie war ungef‰hr so grofl wie die Matratze, auf der er zu Hause schlief. ´Es mufl eine grofle Tafel Schokolade sein, weil alles, was man per Fernsehen sendet, immer viel kleiner herauskommt, 112

als man es hineingetan hat. Sogar beim ganz gewˆhnlichen Fernsehen kommen grofle Leute auf dem Bildschirm nie grˆfler als ein Bleistift heraus, nicht wahr? Also dann... alles bereit? Halt! Moment! He, du da... Micky Schiefler! Geh ein paar Schritte zur¸ck! Du bist zu nahe an der Kamera! Aus dem Ding kommen gef‰hrliche Strahlen! Sie kˆnnen dich in einer Sekunde in Millionen klitzekleine St¸ckchen zerlegen! Deshalb tragen meine Umpa-Lumpas diese Weltraumanz¸ge... um sich vor den Strahlen zu sch¸tzen. Gut... so istís besser, Micky Schiefler. Also dann... Kamera abfahren!ª Einer der Umpa-Lumpas ergriff einen groflen Hebel und zog ihn herunter. Ein blendender Blitz zuckte auf. ´Die Schokolade ist weg!ª schrie Groflvater Josef und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er hatte recht. Die ganze riesige Tafel Schokolade hatte sich in Luft aufgelˆst! ´Sie ist unterwegs!ª rief Herr Wonka. ´Sie fliegt jetzt in Millionen klitzekleinen St¸ckchen ¸ber unseren Kˆpfen durch die Luft! Schnell, kommt mit!ª Herr Wonka lief zu dem groflen Fernsehger‰t, und seine G‰ste liefen hinter ihm her. ´Paflt auf, gleichkommt sie!ª Der Bildschirm flimmerte und wurde hell. Und plˆtzlich erschien mitten auf dem Bildschirm eine kleine Tafel Schokolade. ´Nimm sie!ª rief Herr Wonka aufgeregt. ´Nehmen? Das geht doch nicht! Es ist doch blofl ein Bild auf dem Bildschirm!ª sagte Micky Schiefler und lachte. ´Charlie, nimm du sie dir! Greif zu und nimm sie dir!ª Charlie streckte die Hand aus, ber¸hrte den Bildschirm mit den Fingerspitzen, und plˆtzlich hielt er wirklich und wahrhaftig eine Tafel Schokolade in der Hand! Er war so verbl¸fft, dafl er sie beinahe fallen liefl. ´Ifl sie auf!ª rief Herr Wonka. ´Los, beifl hinein und ifl sie 113

auf! Es ist genau die gleiche Tafel Schokolade wie vorhin! Sie ist unterwegs blofl kleiner geworden, das ist alles!ª ´Einfach phantastisch!ª meinte Groflvater Josef atemlos. ´Das ist... das ist... ein Wunder!ª ´Stellt euch doch mal vor: Ihr sitzt zu Hause vor eurem Fernsehapparat, und plˆtzlich kommt eine Werbesendung, und eine Stimme sagt: ESST WONKA-SCHOKOLADE, DIE BESTE SCHOKOLADE DER WELT! WENN SIE ES NICHT GLAUBEN, DANN VERSUCHEN SIE DOCH MAL EIN ST‹CK WONKA-SCHOKOLADE... GLEICH JETZT!... Und ihr streckt einfach die Hand aus und nehmt euch die Schokolade aus dem Fernsehapparat! Was sagt ihr dazu?ª ´Kolossal!ª rief Groflvater Josef. ´Das wird die Welt ver‰ndern!ª

27 Micky Schiefler wird per Fernsehen gesendet Micky Schiefler war noch begeisterter als Groflvater Josef, als er sah, dafl man richtige Schokolade durchs Fernsehen senden konnte. ´Herr Wonka, kˆnnen Sie auch andere Dinge auf die gleiche Art und Weise durch die Luft senden? Zum Beispiel Flocken f¸rs Fr¸hst¸ck?ª rief er. ´Um Himmels willen, sprich mir nicht von Flocken, ich kann Flocken nicht ausstehen!ª antwortete Herr Wonka. ´Weiflt du, woraus Fr¸hst¸cksflocken gemacht werden? Aus den geringelten kleinen Sp‰nen, die du im Bleistiftspitzer findest!ª ´Aber kˆnnten Sie auch Fr¸hst¸cksflocken durchs Fernsehen 114

senden, wenn Sie wollten?ª fragte Micky Schiefler. ´Nat¸rlich!ª ´Und Leute? Kˆnnten Sie einen richtigen lebendigen Menschen auf diese Art von einem Ort zum andern senden?ª wollte Micky Schiefler wissen. ´Einen Menschen! Bist du verr¸ckt?ª erwiderte Herr Wonka. ´Geht es oder geht es nicht?ª fragte Micky Schiefler. ´Lieber Himmel, Kind, ich weifl nicht... Ich vermute, es geht... Ja, warum eigentlich nicht?... Aber ich w¸rde es wahrscheinlich nicht riskieren... Wer weifl, was dabei herauskommt...ª Aber Micky Schiefler war schon unterwegs. Als Herr Wonka sagte: ´... Ich vermute, es geht... Ja, warum eigentlich nicht?ª machte Micky Schiefler auf dem Absatz kehrt und st¸rzte zu der Kamera hin. Im Laufen rief er: ´Seht mich an! Ich bin der erste Mensch auf der Welt, der durchs Fernsehen gesendet wird!ª ´Halt! Nein, nein, nein!ª schrie Herr Wonka. ´Micky! Halt! Komm sofort zur¸ck! Du wirst in eine Million St¸ckchen zersplittert!ª rief seine Mutter. Aber Micky Schiefler war nicht mehr zu bremsen. Die Umpa-Lumpas liefen rechts und links davon, als Micky Schiefler sich auf die Kamera st¸rzte. ´Wiedersehn, bis nachher!ª schrie er, packte den Hebel, rifl ihn herunter und sprang vor die grofle Linse. Es gab einen gewaltigen Blitz. Und dann tiefe Stille. Frau Schiefler wollte auch zur Kamera laufen... aber nach ein paar Schritten blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie stand da und starrte... und starrte... und starrte... und dann schrie sie: ´Er ist weg, er ist weg!ª

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´Lieber Himmel, er ist tats‰chlich weg!ª rief jetzt auch Herr Schiefler. Herr Wonka trat zu Frau Schiefler hin und legte sanft die Hand auf ihre Schulter. ´Wir kˆnnen nur das Beste hoffenª, sagte er. ´Wir kˆnnen nur hoffen, dafl Ihr kleiner Sohn bei dieser Reise keinen Schaden nimmt.ª ´Micky! Wo bist du?ª Frau Schiefler hielt sich den Kopf mit beiden H‰nden. ´Das kann ich dir genau sagen! Er fliegt, in eine Million klitzekleine St¸ckchen aufgesplittert, ¸ber unseren Kˆpfen durch die Luft!ª antwortete Herr Schiefler. ´Sprich nicht davon!ª jammerte Frau Schiefler. ´Wir m¸ssen den Bildschirm beobachtenª, sagte Herr Wonka. ´Ihr Sohn kann jeden Augenblick durchkommen.ª Herr und Frau Schiefler, Groflvater Josef und Charlie und Herr Wonka versammelten sich vor dem Fernsehger‰t und starrten angespannt auf den Bildschirm. Nichts r¸hrte sich. ´Er braucht aber elend lange f¸r das kurze St¸ck Weg!ª sagte Herr Schiefler und wischte sich die Stirn. ´Hoffentlich bleibt nichts von ihm zur¸ckª, murmelte Herr Wonka. 116

´Was meinen Sie damit?ª fragte Herr Schiefler scharf. ´Ich mˆchte Sie ja nicht beunruhigen... aber es kommt manchmal vor, dafl nur ungef‰hr die H‰lfte von den klitzekleinen St¸ckchen den Weg in das Fernsehger‰t findet. Ich weifl auch nicht wieso, jedenfalls kommt dann nur eine halbe Tafel Schokolade heraus ñ das ist uns erst letzte Woche bei unseren Versuchen passiertª, sagte Herr Wonka. Frau Schiefler stiefl einen Schreckensschrei aus. ´Wollen Sie damit sagen, dafl von Micky vielleicht nur die H‰lfte wieder auftaucht?ª ´Hoffen wir, dafl es die obere H‰lfte ist!ª sagte Herr Schiefler. ´Immer nur mit der Ruhe! Es geht schon los!ª sagte Herr Wonka. ´Achten Sie auf den Bildschirm!ª Der Bildschirm begann zu flimmern. Ein paar Wellenlinien erschienen. Herr Wonka drehte an einem Knopf, und die Wellenlinien verschwanden. Langsam, langsam wurde der Bildschirm immer heller. ´Da kommt er!ª schrie Herr Wonka. ´Und ist er heil und ganz?ª fragte Frau Schiefler. ´Das kann ich noch nicht erkennenª, antwortete Herr Wonka. Tats‰chlich tauchte Micky Schieflers Bild auf der Mattscheibe auf, zuerst ganz schwach, dann von Sekunde zu Sekunde klarer. Er stand da, winkte den Zuschauern zu und grinste vom einen Ohr bis zum anderen. ´Er ist ein Zwerg geworden!ª rief Herr Schiefler entsetzt. ´Micky, ist dir auch nichts passiert? Fehlt auch kein St¸ckchen von dir?ª schrie Frau Schiefler. ´Wird er nicht noch etwas grˆfler?ª rief Herr Schiefler. ´Sag etwas, Micky! Sprich mit mir! Sag mir, dafl dir nichts fehlt!ª jammerte Frau Schiefler. Ein d¸nnes Stimmchen, so leise wie das Piepsen einer Maus, 117

drang aus dem Fernsehger‰t. ´Hallo, Mama! Hallo, Papa! Schaut mich genau an! Ich bin der erste Mensch auf der Welt, der durchs Fernsehen gesendet wurde!ª ´Schnell, nehmen Sie ihn heraus!ª befahl Herr Wonka. Frau Schiefler griff zu und nahm die winzige Gestalt aus dem Bildschirm. ´Hurra!ª rief Herr Wonka. ´Er ist heil und ganz. Es ist ihm nichts passiert!ª ´Das nennen Sie nichts passiert?!ª fauchte Frau Schiefler und zeigte mit dem Finger auf den klitzekleinen Jungen, der auf ihrer linken Handfl‰che herumlief und mit seinen Pistolen in der Luft herumfuchtelte. Micky Schiefler war nur noch zwei oder drei Zentimeter grofl, nicht einmal so lang wie ein Streichholz. ´Er ist geschrumpft!ª sagte Herr Schiefler. ´Nat¸rlich ist er geschrumpftª, sagte Herr Wonka. ´Was haben Sie erwartet?ª ´Wie schrecklich!ª jammerte Frau Schiefler. ´Was machen wir nun?ª

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´Wir kˆnnen ihn so nicht zur Schule schicken! Er wird ja sofort zertreten und zermalmt!ª sagte Herr Schiefler. ´Er kann ¸berhaupt gar nichts mehr tun!ª sagte Frau Schiefler. ´O doch! Ich kann immer noch fernsehen!ª piepste Micky Schiefler. ´Nie im Leben mehr!ª br¸llte Herr Schiefler. ´Ich schmeifle den Kasten auf der Stelle aus dem Fenster, wenn ich das Haus betrete. Ich habe genug vom Fernsehen!ª Als Micky Schiefler das hˆrte, bekam er einen Wutanfall. Er stampfte auf der Hand seiner Mutter herum, versuchte, sie in die Finger zu beiflen, und br¸llte wie am Spiefl. ´Ich will fernsehen! Ich will fernsehen! Ich will fernsehen! Ich will fernsehen!ª ´Gib ihn mal herª, sagte Herr Schiefler, und er steckte den klitzekleinen Micky in die Brusttasche seiner Jacke und stopfte sein Einstecktuch dar¸ber. Das Quietschen und Piepsen drang durch den Stoff, und die Tasche beulte und bewegte sich, w‰hrend der w¸tende kleine Gefangene zu entkommen versuchte. ´Oh, Herr Wonka, wie kann er wieder wachsen?ª jammerte Frau Schiefler. ´Hmmmm...ª Herr Wonka strich sich den Bart und starrte nachdenklich an die Decke. ´Ich gebe zu, es ist ein biflchen kompliziert. Aber kleine Jungen sind ‰uflerst gelenkig und elastisch. Sie dehnen und strecken sich wie verr¸ckt. Ich schlage also vor, wir stecken ihn in eine Spezialmaschine, mit der ich sonst die Elastizit‰t von Kaugummi pr¸fen lasse. Vielleicht kriegen wir ihn damit wieder so hin, wie er vorher war.ª ´Oh, vielen Dank, Herr Wonka!ª sagte Frau Schiefler. ´Bitte sehr, nicht der Rede wert, meine Liebeª, sagte Herr Wonka. ´Was meinen Sie, wie weit er sich dehnen l‰flt?ª fragte Herr 119

Schiefler. ´Wer weifl? Vielleicht Meilenª, sagte Herr Wonka. ´Es wird sich zeigen. Nat¸rlich wird er dabei schrecklich d¸nn. Alles, was man auseinanderzieht, wird d¸nn.ª ´Sie meinen, wie Kaugummi?ª fragte Herr Schiefler. ´Genau.ª ´Wie d¸nn wird er dabei?ª fragte Frau Schiefler besorgt. ´Keine Ahnungª, antwortete Herr Wonka. ´Aber das ist ja auch egal, weil wir ihn ja schnell wieder herausf¸ttern. Wir brauchen ihm nur eine dreifache Portion von meiner wundervollen Super-Vitamin-Schokolade zu geben. Sie enth‰lt grofle Mengen von Vitamin A, Vitamin B, Vitamin C, Vitamin D, Vitamin E, Vitamin F, Vitamin G, Vitamin I, Vitamin J, Vitamin K, Vitamin L, Vitamin M, Vitamin N, Vitamin O, Vitamin P, Vitamin Q, Vitamin R, Vitamin T, Vitamin U, Vitamin V, Vitamin W, Vitamin X, Vitamin Y und Vitamin Z! Die einzigen beiden Vitamine, die sie nicht enth‰lt, sind das Vitamin S ñ weil einem davon schlecht wird ñ und das Vitamin H, weil einem davon Hˆrner aus dem Kopf wachsen wie den Ochsen. Daf¸r enth‰lt diese Schokolade aber auch noch ein wenig von dem seltensten und geheimnisvollsten Vitamin auf der Welt... dem Vitamin Wonka.ª ´Und wie wirkt das?ª fragte Herr Schiefler mifltrauisch. ´Davon wachsen seine Zehen, bis sie so lang wie seine Finger sind.ª ´Um Himmels willen!ª rief Frau Schiefler entsetzt. ´Seien Sie nicht dumm. Das ist ‰uflerst n¸tzlich. Dann kann er mit den F¸flen Klavier spielen.ª ´Aber Herr Wonka...ª ´Keine unnˆtigen Debatten, bitte!ª Herr Wonka drehte sich um und schnippte dreimal mit den Fingern. Sofort erschien ein Umpa-Lumpa. ´Halte dich genau an dieses Rezeptª, sagte Herr Wonka und gab dem Umpa-Lumpa ein St¸ck Papier, auf das er in aller Eile ausf¸hrliche Anweisungen geschrieben hatte. ´Der 120

Junge steckt in der Jackentasche seines Vaters. Jetzt ab mit dir! Auf Wiedersehen, Frau Schiefler! Auf Wiedersehen, Herr Schiefler! Und machen Sie bitte nicht so besorgte Gesichter! Es wird alles wieder gut!ª Die Umpa-Lumpas an der schwarzen Kamera am anderen Ende des Raumes schlugen schon leise ihre kleinen Trommeln und fingen an, sich alle im selben Rhythmus zu wiegen. ´Jetzt singen sie wieder!ª sagte Herr Wonka. ´Man kann es ihnen, f¸rchte ich, nicht abgewˆhnen.ª Der kleine Charlie nahm Groflvater Josefs Hand, und so standen die beiden ganz allein neben Herrn Wonka in dem langen, leeren, hell erleuchteten Saal und hˆrten sich das Lied der Umpa-Lumpas an: ´F¸r den, der Kinder gerne hat, gibt es noch einen guten Rat ñ der w‰re: Laflt sie niemals an den Fernseh-Flimmerkasten ran! (Am besten w‰rís, in allen F‰llen den Kasten gar nicht aufzustellen.) Doch vielfach achtet man nicht drauf und l‰flt den Dingen ihren Lauf: der halbe Tag, die halbe Nacht wird vor dem Bildschirm zugebracht. Nat¸rlich zieht es Kinder immer zu jeder Art von Bildgeflimmer. Wenn sich nur irgendwas bewegt, schon sind sie davon angeregt und sind bereit, sich voll Vertrauen den grˆflten Blˆdsinn anzuschauen. Es staunt das Kind, es starrt und stiert und ist schon ganz hypnotisiert. ñ Es treten ñ viel scheint nicht zu fehlen ñ ihm fast die Augen aus den Hˆhlen. 121

O ja, dann sind sie und , sie klettern nicht aufs Fensterbrett und streiten nicht und sind nicht wild ñ sie starren unverwandt aufs Bild. Da kann Mama die Haushaltssachen in aller Ruhe fertig machen und kann die freie Zeit benutzen zum Tellerwaschen, Schuheputzen... Doch habt ihr niemals recht bedacht, was das aus euren Kindern macht? Die Sinne nehmen schweren Schaden, und der Verstand wird ¸berladen. Die Phantasie wird nicht ge¸bt, die Kraft zu denken wird getr¸bt, und schliefllich wird der Kinderkopf mit lauter Plunder vollgestopft! Was wird, so kˆnnte man sich fragen, denn aber daf¸r vorgeschlagen? Mal angenommen, es gelingt, dafl man das Ding beiseite bringt, damit das Kind nicht fernsehn kann ñ womit besch‰ftigen wir es dann? Die Antwort will uns leicht erscheinen: Was machten sie denn sonst, die Kleinen? Was hielt sie damals denn auf Trab, als es das Fernsehn noch nicht gab? Ihr habtís vergessen? Wifltís nicht mehr? Dann hˆrt noch einmal alle her: Sie lasen n‰mlich! Ja, sie lasen! Von Rittern auf dem gr¸nen Rasen, von Drachen, Kˆnigen und Elfen, von B‰renf‰ngern und von Wˆlfen, von Schmugglern, die mit schweren Sch‰tzen bei Nacht durch dunkle W‰lder hetzen, 122

von Kapit‰nen, Segelschiffen, von Inseln und Korallenriffen, von Riesenhaien, Riesenwalen und f¸rchterlichen Kannibalen... So war das ñ fr¸her gab es immer viel B¸cher in dem Kinderzimmer, am Boden und im Kinderbett und oben auf dem B¸cherbrett. Die Kleinen hatten ihre M‰rchen vom Osterhasen und vom B‰rchen, vom Hans im Gl¸ck, der Vogelschule und von der grauen Regenjule, vom Tischleindeckdich und vom Mond, vom Schlofl, in dem Dornrˆschen wohnt, vom Ruprecht und vom Nikolaus, von Onkel Fuchs und Tante Maus. Wie wuflte man in fr¸herer Zeit in M‰rchenb¸chern gut Bescheid! Nehmt unsern Rat! Es ist am besten, ihr trennt euch von den Flimmerk‰sten und an der Stelle, gleich darauf, baut ein Regal f¸r B¸cher auf Verzichtet auf die bˆsen Blicke, Revolver, Messer, Ketten, Stricke, das Schreien, Stˆhnen und das Schieflen. Bald wird das Kind sich neu entschlieflen, die alten Dinge abzustreifen, nach einem schˆnen Buch zu greifen. Und hat es damit erst begonnen, dann haben wir schon halb gewonnen: Es wird von sich aus interessiert ñ was dann allm‰hlich dazu f¸hrt, dafl es die neue Welt entdeckt, die in den schˆnen B¸chern steckt. 123

Es lernt und staunt und ‰ndert sich ñ kaum ist ihm mehr erinnerlich, wieís damals seine Zeit verlor vor dem verr¸ckten Flimmerrohr. PS: Was nun den Micky anbelangt, um den ein jeder von euch bangt: Wir wollen tun, was an uns liegt, dafl er die alte Grˆfle kriegt, mit Sorgfalt, Umsicht und Geduld ñ wenn nicht, hat er alleine schuld.ª

28 Nur Charlie ist jetzt noch ¸brig ´Welchen Raum mˆchtet ihr jetzt sehen?ª fragte Herr Wonka, w‰hrend er wieder in den Fahrstuhl flitzte. ´Kommt weiter! Beeilt euch ein biflchen. Wie viele Kinder sind noch da?ª Der kleine Charlie sah Groflvater Josef an, und Groflvater Josef sah Charlie an. ´Herr Wonka! Nur... nur Charlie ist jetzt noch ¸brig!ª sagte Groflvater Josef. Herr Wonka fuhr herum und starrte Charlie an. Das Schweigen dauerte ziemlich lange. Charlie hielt Groflvater Josefs Hand umklammert. ´Du bist jetzt als einziger noch ¸brig?ª fragte Herr Wonka und tat so, als w‰re er ¸berrascht. ´Jaª, fl¸sterte Charlie. ´Ja...ª

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Plˆtzlich schien Herr Wonka vor Begeisterung zu explodieren. ´Mein lieber Junge, dann hast du gewonnen!ª Er st¸rzte wieder aus dem Fahrstuhl heraus und sch¸ttelte Charlie die Hand, dafl sie beinahe abfiel. ´Herzlichen Gl¸ckwunsch! Ich bin entz¸ckt! Es h‰tte nicht besser kommen kˆnnen! Einfach groflartig! Weiflt du, ich hatte gleich von Anfang an so eine Ahnung, dafl du es sein w¸rdest! Das hast du gut gemacht, Charlie, wirklich gut gemacht! Jetzt f‰ngt der Spafl erst richtig an! Aber wir d¸rfen keine Zeit verlieren! Jetzt d¸rfen wir erst recht keine Zeit verlieren. Wir haben noch eine Menge zu tun, ehe der Tag herum ist! Ein Gl¸ck, dafl wir den gl‰sernen Fahrstuhl haben! Damit geht alles viel schneller! Steig ein, mein lieber Charlie, steig ein! Und Sie auch, Groflvater Josef, steigen Sie ein. Nein, nein, nach Ihnen! So! Und diesmal w‰hle ich den Knopf, den wir dr¸cken wollen.ª Herrn Wonkas blitzende blaue Augen ruhten einen Augenblick auf Charlie. Jetzt passiert etwas Verr¸cktes, dachte Charlie. Aber er hatte keine Angst. Er war nicht einmal beunruhigt. Er war nur schrecklich aufgeregt. Und Groflvater Josef ebenfalls. Der alte Mann strahlte ¸ber das ganze Gesicht. Herr Wonka reckte sich nach einem Knopf hoch oben an der Glasdecke des Fahrstuhls. Charlie und Groflvater Josef verrenkten sich beide den Hals, 125

um zu lesen, was auf dem Schild daneben stand: HINAUF UND HINAUS Hinauf und hinaus... was soll denn das f¸r ein Raum sein? dachte Charlie. Herr Wonka dr¸ckte auf den Knopf. Die Glast¸r schlofl sich. ´Festhalten!ª rief Herr Wonka. RUMMS! Der Aufzug schofl wie eine Rakete kerzengerade in die Hˆhe. ´Hurra!ª schrie Groflvater Josef. Charlie klammerte sich an Groflvater Josefs Beine, und Herr Wonka griff mit beiden H‰nden nach der Lederschlaufe, die von der Decke baumelte. Der Fahrstuhl stieg und stieg und stieg, immer schnurgerade, ohne Kurven, ohne schr‰ge, steile H‰nge, und drauflen pfiff der Fahrtwind. ´Hurra!ª rief Groflvater Josef noch einmal. ´Hurra! Hoppla, jetzt kommen wir!ª ´Schneller!ª schrie Herr Wonka und trommelte mit der Faust auf die Aufzugwand. ´Schneller, schneller! Wenn wir nicht schneller fahren, kommen wir niemals durch!ª

´Wo durch?ª fragte Groflvater Josef. ´Ah, das werdet ihr gleich sehen! Es juckt mich immer wieder in den Fingern, einmal auf diesen Knopf zu dr¸cken! Ich bin oft in Versuchung geraten, aber ich habe es fast nie getan, weil es mir im letzten Augenblick immer leid tat, so ein 126

grofle Loch in das Fabrikdach zu machen. Aber diesmal ist mir das egal! Diesmal gehtís hinauf und hinaus!ª ´Das ist doch nicht Ihr Ernst?ª rief Groflvater Josef. ´Das meinen Sie doch nicht im Ernst, dafl dieser Fahrstuhl...ª ´Doch, ich meine es im Ernst! Hinauf und hinaus!ª ´Der... der... der Fahrstuhl ist doch aus Glas!ª stotterte Groflvater Josef. ´Er wird in tausend St¸cke zerspringen!ª ´Vielleichtª, meinte Herr Wonka, so vergn¸gt wie immer. ´Aber es ist ziemlich dickes Glas, verstehen Sie?ª Der Fahrstuhl flog immer schneller und schneller und schneller in die Hˆhe. WUMMS... Dicht ¸ber ihren Kˆpfen ertˆnte ein f¸rchterliches Krachen von splitterndem Holz und zerschellenden Dachziegeln. Groflvater Josef schrie: ´Hilfe! Das ist das Ende! Jetzt sind wir erledigt!ª ´Nein, sind wir nicht! Wir sind durch!ª sagte Herr Wonka. Der Fahrstuhl hatte tats‰chlich das Fabrikdach durchstoflen und stieg jetzt wie eine Rakete in den Himmel empor. Das Sonnenlicht strˆmte durch die Glasw‰nde. In f¸nf Sekunden waren sie dreihundert Meter hoch. ´Der Fahrstuhl ist verr¸ckt geworden!ª meinte Groflvater Josef. ´Haben Sie keine Angst, mein Lieberª, sagte Herr Wonka gelassen und dr¸ckte auf einen anderen Knopf. Der Fahrstuhl blieb stehen. Er blieb stehen und schwebte auf der Stelle in der Luft, wie ein Hubschrauber. Er hing ¸ber der Fabrik und der Stadt, die sich schneebedeckt und wie auf einer Ansichtspostkarte unten ausbreitete! Durch den Glasboden konnte Charlie die Straflen und H‰user sehen. Sie wirkten klein und schmal von hier oben. Es war ein unheimliches, furchterregendes Gef¸hl, auf durchsichtigem Glas hoch oben in der Luft zu stehen ñ es war so, als st¸nde man auf nichts. ´Ist alles in Ordnung?ª fragte Groflvater Josef. ´Wie bleibt dieses Ding in der Luft?ª 127

´Bonbon-St‰rke! Eine Million B. S.!ª erkl‰rte Herr Wonka und zeigte nach unten. ´Schaut mal! Da sind die anderen Kinder! Sie gehen nach Hause!ª

29 Die anderen Kindergehen nach Hause ´Wir m¸ssen schnell mal nach unseren kleinen Freunden sehen, ehe wir uns wieder unseren Angelegenheiten widmenª, sagte Herr Wonka. Er dr¸ckte auf einen anderen Knopf, und der Fahrstuhl sank herab, bis er ¸ber dem Fabriktor schwebte. Die anderen Kinder und ihre Eltern standen in einer kleinen Gruppe am Tor. ´Ich sehe blofl dreiª, sagte Charlie. ´Wer fehlt noch?ª ´Wahrscheinlich Micky Schieflerª, meinte Herr Wonka. ´Aber er kommt bestimmt auch gleich. Siehst du die Lastwagen?ª Herr Wonka zeigte auf eine Reihe riesengrofler Lastwagen, die an der Fabrikmauer parkten. ´Wozu sind die da?ª fragte Charlie. ´Hast du vergessen, was auf der Goldenen Eintrittskarte stand? Jedes Kind bekommt nach der Besichtigung genug S¸fligkeiten f¸r sein ganzes Leben. Ein Lastwagen vollgeladen mit Schleckereien f¸r jedes Kind. Aha, da geht unser Freund Augustus Glupsch! Siehst du ihn? Er steigt mit seiner Mutter und seinem Vater in den ersten Lastwagen.ª ´Ist ihm auch wirklich nichts passiert, als er die schreckliche Rˆhre hinaufgerutscht ist?ª fragte Charlie verwundert. ´Nat¸rlich ist ihm nichts passiertª, sagte Herr Wonka. ´Er ist ver‰ndert!ª Groflvater Josef sp‰hte durch die gl‰serne 128

Fahrstuhlwand hinunter. ´Vorher war er so dick, und jetzt ist er d¸nn wie eine Bohnenstange!ª ´Nat¸rlich ist er ver‰ndertª, sagte Herr Wonka lachend. ´Er ist in der Rˆhre steckengeblieben, erinnert ihr euch? Und nat¸rlich muflte er d¸nn werden, damit er weiterrutschen konnte. Da kommt Fr‰ulein Violetta Beauregarde, die grofle Kaugummi-Kauerin! Die Umpa-Lumpas haben sie offenbar tadellos entsaftet. Das freut mich f¸r das M‰dchen. Und wie gesund sie aussieht! Besser als vorher!ª ´Aber sie ist purpurrot im Gesicht!ª sagte Groflvater Josef.

´Ja, da kann man nichts machenª, sagte Herr Wonka. ´Lieber Himmel! Die arme Veruschka Salz! Sie ist von oben bis unten mit Abfall bedeckt und ihre Eltern auch!ª sagte Charlie. ´Und da kommt Micky Schiefler!ª sagte Groflvater Josef. ´Was haben sie denn mit dem gemacht? Er ist beinahe drei Meter lang und d¸nn wie ein Strich!ª ´Sie haben ihn zu lange in der Kaugummi-Zieh-Maschine gestrecktª, stellte Herr Wonka fest. ´Was f¸r eine Pfuscherei!ª ´Wie schrecklich f¸r ihn!ª sagte Charlie. ´Unsinnª, sagte Herr Wonka. ´Er hat Gl¸ck. Alle KorbballMannschaften im ganzen Land werden sich um ihn reiflen. 129

Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr f¸r diese vier dummen Kinder. Ich habe etwas sehr, sehr Wichtiges mit dir zu besprechen, mein lieber Charlie.ª Und Herr Wonka dr¸ckte wieder auf einen anderen Knopf, und der Fahrstuhl stieg wieder zum Himmel auf.

30 Charlies Schokoladenfabrik Der grofle gl‰serne Fahrstuhl schwebte hoch oben ¸ber der Stadt. Herr Wonka, Groflvater Josef und Charlie blickten hinab. ´Ich liebe meine Schokoladenfabrik!ª sagte Herr Wonka. Er machte eine Pause, dann wandte er sich um und sah Charlie sehr ernst an. ´Liebst du sie auch, Charlie?ª ´O ja! Ich finde, sie ist das Schˆnste, was es gibt auf der Welt!ª antwortete Charlie. ´Das freut mich zu hˆrenª, sagte Herr Wonka. Er schaute immer ernster drein und sah Charlie immer durchdringender an. ´Ja, das freut mich wirklich auflerordentlich, und ich werde dir jetzt auch verraten, warum.ª Herr Wonka legte den Kopf auf die Seite, und plˆtzlich waren all die ungez‰hlten kleinen Lachf‰ltchen in seinen Augenwinkeln wieder zu sehen. ´Mein lieber Junge, ich habe n‰mlich beschlossen, dir meine Schokoladenfabrik zu schenken. Sobald du grofl genug bist, um sie zu leiten, gehˆrt die ganze Fabrik dir.ª Charlie starrte Herrn Wonka an. Groflvater Josef ˆffnete den Mund, aber es kam kein Wort heraus. ´Bestimmt!ª Herr Wonka l‰chelte. ´Ich schenke sie dir 130

wirklich. Das geht doch... oder?ª ´Sie... Sie wollen ihm die Fabrik schenken?ª keuchte Groflvater Josef. ´Sicher machen Sie Witze!ª ´Ich mache keine Witze. Ich meine es todernst.ª ´Aber... aber... warum wollen Sie denn Ihre Fabrik verschenken?ª ´Das ist leicht zu erkl‰renª, sagte Herr Wonka. ´Ich bin ein alter Mann. Ich bin viel ‰lter, als Sie vermuten. Ich kann die Fabrik nicht immer leiten. Ich habe keine eigenen Kinder und keine Verwandten. Wer soll die Fabrik ¸bernehmen, wenn ich einmal zu alt bin? Irgend jemand mufl daf¸r sorgen, dafl die Schokoladenfabrik weiterarbeitet. Was soll sonst aus den Umpa-Lumpas werden? Es gibt genug gesch‰ftst¸chtige Leute, die sich darum reiflen w¸rden, meine Fabrik zu ¸bernehmen. Aber solche Leute will ich nicht. Ich will ¸berhaupt keinen Erwachsenen. Ein Erwachsener w¸rde nicht auf mich hˆren und nichts lernen. Er w¸rde alles nach seinem Kopf machen wollen und sich nicht nach meinen W¸nschen richten. Also kann ich als Nachfolger nur ein Kind gebrauchen, ein vern¸nftiges, verst‰ndiges, liebes Kind, dem ich meine kostbaren Geheimnisse anvertrauen kann... solange ich noch lebe.ª ªDeshalb haben Sie sich die Sache mit den Goldenen Eintrittskarten in der Schokolade ausgedacht!ª rief Charlie. ´Genau! Ich habe beschlossen, f¸nf Kinder einzuladen, und das Kind, das mir am besten gef‰llt, sollte der Gewinner seinª, sagte Herr Wonka. ´Herr Wonka, meinen Sie das wirklich und wahrhaftig todernst, dafl Sie diese ganze grofle wunderbare Schokoladenfabrik unserem kleinen Charlie schenken wollen?ª stotterte Groflvater Josef. ´Schliefllich...ª ´Wir haben keine Zeit mehr f¸r Debatten!ª unterbrach Herr Wonka. ´Wir m¸ssen sofort die ganze Familie holen, Charlies Vater und seine Mutter und wer sonst noch da ist! Sie kˆnnen 131

alle miteinander in der Schokoladenfabrik leben und mithelfen, bis Charlie alt genug ist, um die Fabrik allein zu leiten! Wo wohnst du, Charlie?ª Charlie schaute durch die gl‰serne Wand hinunter auf die schneebedeckten H‰user. ´Da dr¸benª, sagte er und zeigte mit dem Finger auf das Haus. ´Da dr¸ben in dem kleinen Holzhaus am Stadtrand, in dem ganz kleinen...ª ´Ich habís gesehen!ª Herr Wonka dr¸ckte wieder auf ein paar Knˆpfe, und der Fahrstuhl sauste hinunter. ´Ich glaube, meine Mutter wird nicht mitkommenª, sagte Charlie traurig. ´Warum nicht?ª ´Weil sie Groflmutter Josefine und Groflmutter Georgine und Groflvater Georg nicht allein lassen kann.ª ´Die m¸ssen eben auch mitkommenª, sagte Herr Wonka. ´Das geht nicht. Sie sind zu alt und gebrechlich, und sie sind schon seit zwanzig Jahren nicht mehr aufgestanden.ª ´Nun, dann nehmen wir das Bett mitsamt den Grofleltern darin mit. In dem Fahrstuhl ist genug Platz f¸r ein Bettª, sagte Herr Wonka. ´Wir kriegen das Bett nicht aus dem Hausª, sagte Groflvater Josef. ´Es geht nicht durch die T¸r.ª ´Immer mit der Ruhe. Nichts ist unmˆglich! Wir kriegen das schon hin! Passen Sie mal aufª, sagte Herr Wonka. Der gl‰serne Fahrstuhl hing schon ¸ber dem Dach des kleinen Holzhauses. ´Was haben Sie vor?ª fragte Charlie. ´Ich gehe hinein und hole alleª, sagte Herr Wonka. ´Wie?ª fragte Groflvater Josef. ´Durch das Dach.ª Herr Wonka dr¸ckte wieder einen Knopf. ´Nein!ª schrie Charlie. ´Halt!ª schrie Groflvater Josef. WUMMS! Der Aufzug krachte schon durch das Dach in das Schlafzimmer der Grofleltern. Staub und zertr¸mmerte 132

Dachziegel und Holzsplitter und Kakerlaken und Spinnen und Ziegelsteine und Zement regneten auf die drei alten Leute herab. Alle drei dachten, das Ende der Welt sei gekommen. Groflmutter Georgine wurde ohnm‰chtig. Groflmutter Josefine verlor ihr Gebifl. Groflvater Georg steckte den Kopf unter die Decke, und Charlies Eltern st¸rzten aus der K¸che herein. ´Hilfe!ª rief Groflmutter Josefine. ´Beruhige dich, meine Liebeª, sagte Groflvater Josef, als er aus dem Fahrstuhl trat. ´Wir sindís blofl!ª ´Mutter, hˆr zu, was passiert ist!ª Charlie rannte in die Arme seiner Mutter. ´Wir d¸rfen jetzt alle in Herrn Wonkas Schokoladenfabrik leben, und wir kˆnnen ihm bei der Arbeit helfen, und er hat die Fabrik mir geschenkt, und... und... und...ª

´Was redest du da?ª sagte Charlies Mutter. ´Sieh dir das Haus an! Ein Tr¸mmerhaufen!ª jammerte Charlies Vater. Herr Wonka sprang aus dem Fahrstuhl und sch¸ttelte Charlies Vater herzlich die Hand. ´Mein lieber Herr Bucket, es 133

freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Hauses. Sie brauchen es von nun an sowieso nicht mehr.ª ´Wer ist dieser Verr¸ckte?ª rief Groflmutter Josefine. ´Er h‰tte uns alle umbringen kˆnnen!ª ´Das ist Herr Willy Wonka hˆchstpersˆnlich!ª verk¸ndete Groflvater Josef. Charlie und Groflvater Josef brauchten eine Weile, bis sie all ihre wundersamen Erlebnisse berichtet hatten. Und auch dann noch weigerte sich die ganze Familie, mit dem Fahrstuhl zur Schokoladenfabrik zu fahren. Herr Wonka, Groflvater Josef und Charlie hˆrten nicht auf ihr Geschrei. Sie schoben das Bett mitsamt den Grofleltern darin einfach in den Fahrstuhl. Danach schubsten sie Charlies Eltern hinein, und dann stiegen sie selbst ein. Herr Wonka dr¸ckte auf einen Knopf. Die Glast¸ren schlossen sich. Groflmutter Georgine stiefl einen Schrei aus. Der gl‰serne Fahrstuhl erhob sich vom Boden und schofl durch das Loch im Dach hinaus, in den Himmel empor. Charlie kletterte auf das Bett und versuchte, die drei alten Leute zu beruhigen, die noch immer vor Angst wie versteinert waren. ´Habt keine Angst, bitte. Es kann nichts passieren. Und wir fliegen zum wunderbarsten Ort auf der ganzen Welt!ª sagte er. ´Charlie hat rechtª, sagte Groflvater Josef. ´Gibt es etwas zu essen, wenn wir dort ankommen?ª fragte Groflmutter Josefine. ´Ich bin halb verhungert. Die ganze Familie ist am Verhungern!ª ´Etwas zu essen?ª sagte Charlie lachend. ´Wartetís nur ab... Ihr werdet staunen!ª

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