Readers Digest Germany Februar 2017@bibliothekde - 685671070

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EX

DEUTSCHLAND

USIVER KL

56 SEITE 

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UC

G

Michaihl ow sc Gorbat B

| FEBRUAR 2017

H AU S

GESUNDHEIT: SO FASTEN SIE RICHTIG

Z

SEITE 48

DRAMA AM BERG: RETTET MEINEN PAPA! SEITE 40

AUF DEM JAKOBSWEG PILGERN FÜR ANFÄNGER SEITE 128

MEDIKAMENTE: WIE VIEL IST ZU VIEL? SEITE 120

EUROPÄER DES JAHRES: RETTER DER MEERE ... 32 KREUZFAHRT AUF CHINESISCH ....................... 88 VERHANDELN FÜR PROFIS ............................ 98 VERLIEBT IN EINEN TINTENFISCH ................. 104 EIN NEUES HERZ FÜR JENS ..............................136

readersdigest.de

Zuallererst

FOTOGRAF IERT VON HEI NZ HEISS

Danke, Herr Gorbatschow Liebe Leserin, lieber Leser, manchmal dauert es, bis man erkennt, was man einem Menschen verdankt. Als Michail Gorbatschow in den 1980er-Jahren für den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan sorgte, die Rehabilitation von Regimekritikern wie Andrej Sacharow ermöglichte und sogar eine einseitige Abrüstung des Ostens in Aussicht stellte, war mir nicht bewusst, dass hier ein Politiker begonnen hatte, Friedensgeschichte WENIGE HABEN DEN zu schreiben. Vermutlich war ich zu FRIEDENSNOBELPREIS jung, sicher war ich zu unpolitisch. SO VERDIENT ERHALTEN Erst mit dem Fall der Berliner Mauer wurde mir klar, was der Staatschef der Sowjetunion eingeleitet hatte: das Ende des Kalten Krieges, der uns an den Rand der Selbstvernichtung geführt hatte. Wenige haben den Friedensnobelpreis so verdient erhalten wie Gorbatschow 1990. Noch heute hat er einen untrüglichen Blick dafür, wo die Politik versagt. Deshalb bin ich stolz, Ihnen ab Seite 56 einen exklusiven Auszug aus seinem neuen Buch präsentieren zu können. Es trägt den Untertitel „Nie wieder Krieg“ und gibt mir noch einmal die Gelegenheit, zu sagen: Danke, Herr Gorbatschow!

Anregende Lektüre wünscht Ihnen Ihr

Michael Kallinger, Chefredakteur

Schreiben Sie mir unter [email protected]

Inhalt FEBRUAR 2017

ARTIKEL

32

RETTER DER MEERE Unser Europäer des Jahres fischt Plastikmüll aus den Ozeanen der Welt

JEDE MINUTE ZÄHLT Charlies Vater stürzt beim Klettern. Kann der 13-Jährige rechtzeitig Hilfe holen?

48

SO FASTEN SIE RICHTIG Nehmen Sie sich eine Auszeit vom Essen

56

„WIR SIND EINE MENSCHHEIT“ Exklusiv: Michail Gorbatschow über den steinigen Weg in eine Zukunft ohne Krieg

64

MEIN NAMENLOSER HELFER

S.

82

DIE WELT DER BÄUME

88

... ist erstaunlich und bezaubernd zugleich

74

DER TERRORIST, DER MICH LIEBTE Eine Journalistin gerät bei ihren Recherchen in tödliche Gefahr

2

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02•2017

32 DER MANN, DER NIE VERGISST Dank seiner Gabe legt er Verbrechern das Handwerk

Ein Fremder wird für unseren Autor zum guten Samariter

68

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KREUZFAHRT AUF CHINESISCH Chinas Mittelschicht erobert die Kreuzfahrtschiffe – mit einigen Anlaufschwierigkeiten

95

ZEIT FÜR HELDEN Warum Frauen Angst vor Spinnen haben und Männer sich vor Kleinkindern fürchten

FOTOS : (TITELSEITE) © GETTY IMAGES/I STOCKP HOTO; (OBEN ) MI CHEL PORRO/G E TTY IMAG E S; (RECHTS) ILLUSTRIERT VON A. RICHARD A LLEN

40

RUBRIKEN

98

„VERHANDELN HEISST ZUHÖREN“ Wie reagiert man auf Aggression? Unser Experte hat erstaunlich friedliche Antworten

104

KOMM IN MEINE ARME! Zwei Tintenfische und ihr Blind Date am Valentinstag

111

DER OSCAR GEHT AN ... Wie gut kennen Sie sich in der Welt der Filme aus? Testen Sie Ihr Wissen mit unserem Quiz!

115

DAS GLÜCK FINDEN Wer seinem Leben einen Sinn gibt, kann sich glücklich schätzen

120

WIE VIEL IST ZU VIEL? Wann Medikamente eher schaden als helfen

Blickwinkel Impressum Leserbriefe Helden Gesundheit

4 8 9 10 14

Warum die Augen manchmal jucken

Lachen Ausgesprochen Leserfragen Gute Nachrichten Im Fokus

21 22 24 26 28

Hollywood-Star Sigourney Weaver über starke Frauen, Mut und Aliens

31 Fakten Wo in Europa sprechen Erwachsene am besten Englisch?

Mehr Lachen Denksport Wortschatz Spruchreif Menschen Gewusst? Vorschau Beck

63 150 153 155 156 158 159 160

Titelgeschichte

128

PILGERN FÜR ANFÄNGER Allein und doch nicht einsam – unsere Autorin findet auf dem Jakobsweg zu innerer Ruhe Mehr Lesen

136

EIN HERZ FÜR JENS Ein Junge kommt mit einem seltenen Herzfehler zur Welt. Die Geschichte eines tapfer erkämpften Lebens

S.

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115

4

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02•2017

FOTOS: © ALAMY STOCK PHOTO

Blickwinkel Die Welt in zwei Bildern

02•2017

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5|

Blickwinkel Bald startet die größte Reisewelle auf unserem Planeten! Wenn der Frühling naht, machen sich Milliarden Zugvögel auf die Reise in ihre Sommerquartiere. Auch wenn es anders aussehen mag, in der Luft kommen sich die Tiere dabei kaum ins Gehege. Anders dagegen am Boden: überfüllte Rastplätze sind keine Seltenheit. Wie im Schutzgebiet Squaw Creek National Wildlife Refuge im US-Bundesstaat Missouri. Hier legen jedes Jahr Hunderttausende Schneegänse einen Zwischenstopp ein, bevor sie sich auf den Weg nach Norden machen.

02•2017

|

7|

Chefredakteur Michael Kallinger Art-Direktor Markus Ward Leitende Redakteurin Doris Kochanek Redaktion Ute Guth, Cornelia Kumfert, Annemarie Schäfer, Jürgen Schinker, Stephanie Winterkorn Grafik Hannah Even Online-Redaktion Cornelia Krappel

Abonnement Der Heftversand erfolgt aus der Schweiz. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werden wir die für die Einfuhr nötigen Erklärungen in Ihrem Namen abgeben. Wir stellen Sie diesbezüglich von allen Verpflichtungen frei. Dieser Service ist selbstverständlich gratis. Einzelverkaufspreis 3,90 €; Jahresabonnement (12 Hefte) 46,90 €. Einsendungen Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Bilder und sonstige Materialien wird keine Haftung übernommen. Eine Rücksendung kann nicht erfolgen.

Büro Chefredaktion Elke Fichter Anzeigen Holger Grossmann Produktion Frank Bodenheimer Vertrieb Melanie Brügge Herausgegeben von Reader’s Digest Deutschland – Verlag Das Beste GmbH, Vordernbergstraße 6, 70191 Stuttgart ISSN 1863-0251 Geschäftsführer Lutz Bode, Karsten Seidel Trusted Media Brands, Inc. President and Chief Executive Officer

Bonnie Kintzer Vice President and Chief Operating Officer, International Brian Kennedy Editor-in-Chief, International Magazines

Raimo Moysa

Copyright © 2016 Reader’s Digest Deutschland – Verlag Das Beste GmbH, Stuttgart Rechte Alle Rechte vorbehalten weltweit. Nachdruck, auch auszugsweise, oder jede andere Art von Wiedergabe, einschließlich Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigung auf CD-ROM, in deutscher oder jeder anderen Sprache nicht gestattet. Druck LSC Communications Europe Sp. z.o.o., ul. Obronców Modlina 11, 30-733 Krakau, Polen. Das Papier ist umweltfreundlich hergestellt.

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Besuchen Sie uns auch im Internet: www.readersdigest.de

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02•2017

Leserbriefe PATENTREZEPT Wie am ersten Tag / Dezember 2016

Das einzige wirklich nützliche Patentrezept für ein langes, glückliches gemeinsames Leben ist eine möglichst tiefe innige Liebe zueinander. JOSEF STEINER, p e r E - Ma i l

INTERESSANTE HINWEISE Diabetes vorbeugen / Dezember 2016

Für Betroffene waren die Erkenntnisse und Hinweise in Ihrem ausführlichen Beitrag über Diabetes sehr interessant. BERNHARD SPERER, W i t t i s l i n g e n

HÖHERE KOSTEN Gesundheit / Dezember 2016

Im Beitrag Was ist das richtige Maß? heißt es einmal „durch Alkohol verursachte Krankheiten kosten die EU bis zu 125 Milliarden Euro pro Jahr“. An anderer Stelle ist von „125 Millionen Euro“ die Rede. Bitte um Auflösung des Rätsels. STEFAN SEUFERT, p e r E - Ma i l

Anmerkung der Redaktion: Korrekt sind Milliarden. Wir danken für Ihren Hinweis – und bitten um Entschuldigung.

GEWONNEN In unserer Dezember-Ausgabe haben wir zehn Flakons der Eau de Toilettes Allegra und Inno verlost. Die Redaktion dankt allen Teilnehmern und gratuliert den Gewinnern: Monika Angrik, Schmalkalden; Helmut Cichon, Hürth; Heinz Dziubanek, Berlin; Christine Heuskel, Herschbroich; Maria Lüders, Polle; Hannelore Mönnecke, Hannover; Theres Obermüller, Kellmünz; Brigitte Pabisch, Wien; Christa Pfänder, Kirchheim; Renate ZiemLungershausen, Hannover

SCHREIBEN SIE UNS! Reader’s Digest, Redaktion Magazin, Stichwort Leserbriefe, Vordernbergstraße 6, 70191 Stuttgart. Oder in Österreich an: Singerstraße 8, 1010 Wien Oder per E-Mail an: [email protected] | [email protected] Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Briefe gekürzt zu veröffentlichen. Bitte geben Sie für Rückfragen möglichst eine Telefonnummer an – auch in der E-Mail.

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FOTOGRAF IERT VON STEFA N H OBMA IER

Michael Hellinger (links) und Norbert Freisleben

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02•2017

Helden Drei Menschen drohen zu ertrinken. Wer kommt ihnen zu Hilfe?

Ins Dunkel tauchen VO N M O N I KA G O E TS C H

NORBERT FREISLEBEN

liebt es, zu schwimmen. Draußen in der Natur. An einem windigen Juninachmittag radelt er darum mit seiner Familie an den Unterschleißheimer See, unweit von München. Der 44-Jährige, der in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei arbeitet, schwimmt hier täglich. Frau und Tochter ist es an diesem Sonntag – bei etwa 20 Grad – zu kalt zum Baden. Sie spazieren lieber um den See. Freisleben geht an seine gewohnte Badestelle. Ein paar Meter weiter bemerkt er eine Gruppe junger Leute. Ansonsten sind kaum Besucher am See. 450 Meter sind es bis zum anderen Ufer. Freisleben watet die rund fünf Meter bis zu der Stelle, an welcher der Grund des Sees plötzlich

steil in die Tiefe stürzt. Mit einem Kopfsprung taucht er ins Wasser. Der 44-Jährige durchquert den See viermal. Hin im Kraulstil, zurück auf dem Rücken, wie immer. Gerade zieht er seine letzte Bahn, als er mit dem rechten Arm auf etwas schlägt. Er stoppt sofort, dreht sich um – und schaut in das Gesicht eines bulligen Mannes. Freisleben entschuldigt sich, weil er glaubt, den anderen am Kopf getroffen zu haben. Da versinkt der Mann vor seinen Augen! Mit zwei Zügen ist Freisleben um ihn herum, packt den Mann, der kurz wieder auftaucht, unter den Achseln. Leblos hängt der Mann in Freislebens Armen. Mit der einen Hand hält der Retter den massigen Leib, mit der anderen paddelt er Richtung Ufer. Der Mann ist schwer, auch im Wasser. Aus den Augenwinkeln ➸ 02•2017

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11|

READER’S DIGEST

sieht Freisleben am Ufer einen hasichtlich Ertrinkenden unterfasst. geren Mann mit einem Handy in der Hört wieder die Schreie. Hand. Er brüllt etwas. Hellinger zögert, begreift dann: Freisleben schwimmt weiter ins Da schwebt noch jemand in Lebensflachere Wasser. „Hier können wir gefahr. Er sprintet lost, holt Taucherstehen“, sagt er zu dem Bündel in sei- brille, Schnorchel und Flossen, rennt nen Armen. Aber der Mann richtet zum Ufer. Ein Mann brüllt auf ihn sich nicht auf. Mit Mühe hält Freisein. „Mann“, „Frau“, „unter Wasser“. leben ihn weiter fest. Hellinger stürzt sich Der Hagere vom Ufer ins Wasser. Freisleben stürzt hinzu. Springt überlässt den GeretteHellinger ins Wasser. Packt mit ten dem Hageren und versucht, etwas folgt Hellinger. an. Zusammen schieben sie den Geretteten Die beiden Helfer zu erkennen. aufs Gras. verstehen sich ohne Das Wasser ist Worte. Freisleben „Frau“, ruft der trüb. Der Dünne, der offensichtschwimmt, Hellinger lich kaum Deutsch Retter taucht schnorchelt in Bahnen spricht immer wieder, parallel zum Ufer. Er ins Ungewisse versucht, etwas zu „Mann“. Er zeigt auf den See. Da begreift erkennen. Doch der Freisleben. Er hat zwar See ist aufgewühlt. An ein Menschenleben gerettet. Aber seiner tiefsten Stelle misst er mehr es sind noch zwei weitere in Gefahr. als zehn Meter. „Wir müssen Hilfe rufen“, sagt er. Der Hellinger taucht ins Ungewisse. Fremde reicht ihm sein Handy. Freis- Weiter unten ist die Sicht klarer. Er leben wählt den Notruf 112. sieht etwas. In zwei Meter Tiefe – ein 100 Meter weiter ist Michael Helheller Fleck. Er steigt hoch, atmet tief linger im Haus der Wasserwacht mit ein, taucht noch mal. Am Boden liegt ehrenamtlichen Aufgaben beschäfein Mensch. Hellinger steigt auf, holt tigt. Dienst hat der ausgebildete ein letztes Mal Luft. Taucht. Zieht Rettungsschwimmer an diesem den leblosen Körper nach oben. Tag nicht. Er hört Schreie. Nicht Im Rettungsgriff schleppt Hellinungewöhnlich am See. Eltern rufen ger den Mann Richtung Ufer. Jemand nach ihren Kindern, Kinder rufen schwimmt ihm entgegen und hilft einander zu. Aber diese Schreie sind ihm, den Körper aus dem Wasser zu anders. Verzweifelter. Der 28-Jährige tragen. Hellinger beatmet den Vertritt hinaus auf die Terrasse. Sieht unglückten, macht eine Herzdruckeinen Mann im See, der einen offenmassage – wieder und wieder. Er 12

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weiß: Es ist noch jemand im Wasser. Aber er muss hierbleiben, er muss das Leben unter seinen Händen retten. Er weiß auch: die Rettungstaucher müssen gleich da sein. Polizei und Rettungswagen treffen ein. Die Rettungssanitäter übernehmen den Patienten. Gleich darauf sind auch Notarzt, ein ADACHubschrauber, eine Tauchstaffel und die Schnelleinsatztruppe der Wasserwacht vor Ort. In acht Meter Tiefe bergen Taucher der Feuerwehr rasch die dritte Person. Eine junge Frau. Sie wird wiederbelebt und ins Krankenhaus gebracht. Später stellt sich heraus: Sie ist Mitte 20, stammt aus Polen, genau wie die beiden Männer. Keiner konnte schwimmen. Aus Übermut ging die Frau dennoch baden und versank. Ihre Freunde folgten ihr, um ihr zu helfen. Allem Einsatz zum Trotz konnten die Ärzte das Leben der Frau und des Mannes, den Hellinger vom Seegrund barg, nicht retten. Freisleben steht noch eine Weile am See, in kurzer Hose, Sandalen und in einem Anorak der Wasserwacht. Dann fährt er mit dem Fahrrad nach Hause, wo seine Frau und seine Tochter auf ihn warten. Für ihren mutigen Einsatz ehrt das Land Bayern Freisleben und Hellinger später mit der Rettungsmedaille. Aber als Helden, sagen sie, fühlen sie sich nicht. „Wir haben einfach gehandelt“, erklärt Freisleben. Seit dem Unglück ist Rettungsschwimmer Hel-

Heute warnt ein Schild in mehreren Sprachen vor der Gefahr

linger noch aufmerksamer. Er geht jetzt immer mal hin zu Menschen, die am Ufer feiern und macht ihnen klar, wie gefährlich der See für Nichtschwimmer ist. Freisleben zieht weiterhin täglich seine Bahnen, bis weit in den Herbst hinein. Im Sommer hat er eine merkwürdige Begegnung. Am Ufer steht ein Mann. Bullig, schwer. Er grüßt Freisleben. Der erkennt ihn sofort – und freut sich: Es ist der Pole, den er aus dem Wasser gezogen hat. 02•2017

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Gesundheit Was steckt hinter Bindehautentzündung und Co.?

Das hilft, wenn Ihre Augen jucken VO N SA M A N T H A R I D E O U T

GERÖTETE UND juckende Augen, die nicht aufhören zu tränen, können einen wahnsinnig machen. Gereizte Augen gehören zu den häufigsten Beschwerden, weshalb ein Augenarzt aufgesucht wird. Eine mögliche Ursache ist eine allergische Reaktion. Verwenden Sie etwa seit Kurzem neue Kosmetik-

produkte (Creme, Make-up, Seife)? Bestimmte Inhaltsstoffe können zu einer Bindehautreizung führen. Auch Pollen, Hausstaubmilben und Tierhaare sind eventuell verantwortlich für das lästige Jucken. Spülen Sie Ihre Augen mit kochsalzhaltigen Augentropfen und meiden Sie – wenn möglich – die auslö-

FOTO: © GETTY IMAGES

durch unzureichende Tränenprosenden Faktoren. Um die Symptome duktion. Auslöser sind das Alter, zu lindern, sind auch AntihistamiLaser-OPs, abschwellende Medikanika in Tabletten- oder Tropfenform mente oder Antidepressiva. hilfreich. Sind Sie KontaktlinsenträAufgrund von Rauch, trockener ger, dann tragen Sie während der Luft oder seltenem Beschwerden lieber Blinzeln verdunstet eine Brille. die Tränenflüssigkeit Auch die Kontaktschneller. Kochsalzlinsen selbst können haltige Augentropfen, Juckreiz auslösen – bekannt als künstlivor allem, wenn sie che Tränen, lindern beschädigt sind, nicht aller die Beschwerden. richtig sitzen, nicht Kontaktlinsenträger Haben Sie zusätzregelmäßig ersetzt weltweit klagen über liche Symptome wie oder unsachgemäß trockene, gereizte Sekretabsonderungen gereinigt werden. und tränende Augen aus den Augen, HalsBei schlecht anschmerzen, sonstige gepassten Linsen Schmerzen oder hat man das Gefühl, Sehstörungen, könnte ein Fremdkörper sei im eine Infektion oder eine weitere ErAuge, und die Sehschärfe schwankt. krankung vorliegen. In diesen Fällen Achten Sie darauf, die Linsen zum sollten Sie zum Arzt gehen. vorgegebenen Zeitpunkt gegen neue „Es gibt viele Ursachen für gerözu tauschen und sie regelmäßig zu tete, juckende und tränende Augen“, reinigen. Beachten Sie dabei die Ansagt die britische Allergie-Beraterin weisungen auf der Verpackung der Holly Shaw, „darunter auch seltene Reinigungslösung. Augenerkrankungen. Deshalb rate Ein weiterer Grund für den Juckich zu einem Besuch beim Arzt.“ reiz sind trockene Augen, verursacht

50%

WEITERE TIPPS BEI TROCKENEN AUGEN Sorgen Sie dafür, dass die Luft im Büro und zu Hause ausreichend feucht ist, und bewegen Sie sich so oft wie möglich im Freien. Arbeiten Sie am Bildschirm, gönnen Sie Ihren Augen regelmäßig kleine Pausen: Dann blinzeln Sie häufiger, und die Bindehaut wird mit genügend Tränenflüssigkeit befeuchtet. RD

02•2017

| 15|

READER’S DIGEST

Hilfreiche Tests für zu Hause VO N J E SS I C A C ASS I T Y

1 MINUTE AUF EINEM BEIN BALANCIEREN

1

Geraten Sie früher ins Wackeln, besteht vielleicht ein erhöhtes Hirnatrophie-Risiko. Bei 30 Prozent der älteren Probanden, die maximal 20 Sekunden auf einem Bein standen, fand man Mikroblutungen im Gehirn, so eine japanische Studie. Das ist ein Hinweis auf ein Schlaganfall- oder Demenzrisiko. Mikroblutungen beeinträchtigen das Gleichgewichtsgefühl, das Gedächtnis und die Entscheidungsfähigkeit.

2

DIE ZEHEN BERÜHREN

Setzen Sie sich mit aufrechtem Rücken hin. Beugen Sie den Oberkörper nach vorn und berühren Ihre Zehen. Gelingt es nicht, ist das ein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für eine Herz-KreislaufErkrankung. Die Arterien sind weniger elastisch, das Herz muss mehr arbeiten, und das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall steigt.

Wie lange brauchen Sie, um zehnmal vom Stuhl aufzustehen und sich wieder hinzusetzen? Erwachsene im mittleren Lebensalter, die 21 Sekunden oder weniger benötigten, hatten ein geringeres Risiko, innerhalb der nächsten 13 Jahre zu sterben, als Probanden, die länger brauchten. Der Test erfordert Muskelkraft, Gleichgewichtsgefühl und Herz-Kreislauf-Fitness bei guter Vitalkapazität. Sind Sie langsamer, kann das auf eine Grunderkrankung hinweisen, bevor erste Symptome auftreten. 16

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02•2017

FOTO: © GETTY IM AGES

AUFSTEHEN UND WIEDER HINSETZEN

3

Wie wirkt sich Ihr Training auf Ihre Gesundheit aus?

ILLUSTRIERT VON CHRISTOPHER DELORENZO

VON LAUREN GELMAN

WENN SIE: IntervallTraining bevorzugen, könnten Sie weniger resistent gegen Insulin sein. Typ-2-Diabetiker, die täglich drei kurze Einheiten hochintensives Training absolvierten, hatten bessere Werte als diejenigen, die ein weniger intensives Kardiotraining durchführten.

WENN SIE: morgens

Ausdauer trainieren, schlafen Sie besser. Eine Studie an der Appalachian-StateUniversität, USA, ergab, dass das Training am Morgen (anders als am Nachmittag oder Abend) die Schlafqualität verbessert.

WENN SIE: täglich spazieren gehen, werden Sie stressresistenter. Teilnehmer einer britischen Studie fühlten sich entspannter und weniger gestresst bei der Arbeit, nachdem sie über zehn Wochen an drei Tagen 30 Minuten lang spazieren gingen.

WENN SIE: 10 000 Schritte am Tag gehen, senken Sie das Risiko eines frühen Todes. Menschen, die ihr tägliches Schrittpensum von 1000 auf 10 000 Schritte steigerten, verringerten das Risiko um 46 Prozent, in den nächsten 15 Jahren zu sterben, so eine australische Studie.

WENN SIE: Krafttraining machen, wird Ihr Bauch flacher. Forscher der Harvard-Universität, USA, fanden heraus, dass Menschen, die täglich 20 Minuten mit Gewichten trainierten, weniger Bauchfett aufwiesen als solche, die gleich lang Kardiotraining absolvierten.

WENN SIE: Yoga üben, können Sie Schmerzen reduzieren. Patienten mit Arthrose oder rheumatoider Arthritis, die dreimal pro Woche Yoga machten, berichteten über 20 Prozent weniger Schmerzen – laut Forschungen der Johns-Hopkins-Universität, USA. 02•2017

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Fallgeschichte aus dem Krankenhaus

Parasiten VO N SY D N E Y LO N E Y

DIE PATIENTIN: Angeline, eine 32-jährige Verwaltungsangestellte DIE SYMPTOME: Schmerzen in der Brust, Fieber, Müdigkeit

IM JAHR 2013 hatte Angeline plötzlich mehrere Tage lang Fieber, ihre Brust fühlte sich eng an und sie war erschöpft. Ihr Arzt stellte fest, dass ihre Lymphknoten geschwollen waren und sie abgenommen hatte. Er überwies sie ans Ottawa Hospital, wo eine Computertomografie und eine Biopsie veranlasst wurden – die Diagnose lautete Lymphdrüsenkrebs (Non-Hodgkin-Lymphom). Die Prognose dieser Krebserkrankung ist gut, sofern sie frühzeitig erkannt wird, vor allem, wenn Patienten unter 60 Jahre sind. Angeline erhielt Medikamente zur Stärkung des Immunsystems, eine Chemotherapie zur Bekämpfung der Krebszellen und Steroide zur Unterstützung der Behandlung. Statt sich besser zu fühlen, war Angeline eine Woche später extrem müde, ihr war übel, und ihre Blut18

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02•2017

werte hatten sich gravierend verschlechtert. Diese Nebenwirkungen der Chemotherapie sind sonst nicht so stark ausgeprägt. Das Fieber stieg in den nächsten Tagen weiter an, und Angeline bekam Atemprobleme. Bakterien in ihrer Blutbahn hatten zu einer Infektion in Lunge und Bauchraum geführt. Die Patientin kam auf die Intensivstation und erhielt Antibiotika, die aber keine Wirkung zeigten. Die Atemprobleme verstärkten sich sogar, und Angeline brauchte ein Beatmungsgerät. Zu diesem Zeitpunkt wurde Dr. Anne McCarthy hinzugezogen. Die Spezialistin für Infektionskrankheiten stellte zunächst einen Hautausschlag auf Angelines Bauch fest. Als sie erfuhr, dass Angeline in Haiti aufgewachsen war, dachte sie sofort an Strongyloides stercoralis. Das sind

ILLUSTRIERT VON TRACY WA LKER

DIE ÄRZTIN: Dr. Anne McCarthy, Vorsitzende des Beratungskomitees für Reise- und Tropenmedizin und Professorin für Medizin an der Universität von Ottawa, Kanada

READER’S DIGEST

eine Strongyloidase ausgelöst, die in Zwergfadenwürmer, die in Südostasien, in Südafrika und in der Karibik 50 bis 90 Prozent aller Fälle zum Tod führt. Es dauerte noch eine Weile, bis vorkommen. die Behandlung beginnen konnte, da Die Larven sind etwa so groß wie die entsprechenden Anti-Parasitenein Senfkorn und werden über kontaminierte Böden auf den Menschen Medikamente in Kanada nicht zugelassen sind, wohl aber in den USA. übertragen. Sie durchdringen auch Zum Glück erhielt Dr. McCarthy unverletzte Haut (beim Barfußdie Erlaubnis vom kanadischen Gehen) und wandern durch den Gesundheitsministerium, die Mittel Körper in den Dünndarm, wo sie einzusetzen. Angeline Eier ablegen. musste zwar fast einen In Angelines Fall war Monat lang auf der Inder wellige Ausschlag tensivstation bleiben, in der Magengegend Man kann aber dank der Medider entscheidende Hinjahrelang kamente wurde sie weis. Ein solcher Ausmit den vollständig geheilt. Anschlag kann bei betrofschließend wurde die fenen Patienten überall Würmern des Nonauftreten. Das Ergebnis infiziert sein, Behandlung Hodgkin-Lymphoms einer Stuhlprobe war ohne es zu fortgesetzt. eindeutig: „Die Larven Wie die meisten sind überall.“ merken Menschen hatte AngeMan kann jahrelang line keine Ahnung von mit Zwergfadenwürihrer Fadenwurm-Erkrankung. mern infiziert sein, ohne es zu merSelbst Ärzte wissen oftmals wenig ken. Angeline hatte lediglich leichte über diese Parasiten. Die Leiterin des Magen-Darm-Probleme gehabt, Beratungskomitees, Dr. McCarthy, ansonsten war sie gesund gewesen – entwickelte Leitlinien für Ärzte. Sie abgesehen von ihrer jüngsten Krebsrät, folgende Fragen routinemäßig in diagnose. „Strongyloidase ist eine ihren Fragenkatalog aufzunehmen: schlafende Krankheit“, erklärt Dr. Wo sind Sie geboren? Wo haben Sie Anne McCarthy. „Sie richtet relativ gelebt? Waren Sie für sechs Monate wenig Schaden an, bis sie eine Geleoder länger verreist? „Es gibt Begenheit dazu erhält.“ handlungsmöglichkeiten für StronDen genauen Zusammenhang gyloidase. Wenn man den Patienten kennt man bis heute nicht, aber gleich zu Beginn die richtigen Fragen Steroide stimulieren Parasiten dazu, stellt, haben sie eine Chance zu sich schneller zu reproduzieren. In überleben“, erklärt die Spezialistin. Angelines Fall hatten die Steroide 02•2017

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READER’S DIGEST

Neues aus der Welt der Medizin Manche Therapeuten setzen bei der Behandlung von Alkoholikern auf Abstinenz – also den völligen Verzicht auf Alkohol. Andere meinen, Betroffene könnten lernen, kontrolliert und weniger zu trinken. Für eine schwedische Studie erfassten Wissenschaftler kürzlich den Behandlungserfolg bei 201 alkoholabhängigen Patienten. Alle folgten seit jeweils zweieinhalb Jahren einer der beiden Therapien. Dabei zeigte sich: 90 Prozent der Teilnehmer, die mit ihrem Therapeuten vereinbart hatten, ganz auf Alkohol zu verzichten, erreichten ihr Ziel. Bei denjenigen, die sich für kontrollierten Alkoholkonsum entschieden hatten, gelang dies nur 50 Prozent.

Fleischallergie nach Zeckenbissen In Zeckengebieten weltweit tritt vermehrt eine neue Allergie gegen rotes Fleisch auf. Diese kann zu Symptomen wie Nesselsucht bis hin zu einem lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock führen. Vermutlich bringen manche Zeckenbisse das menschliche Immunsystem dazu, ein bestimmtes Kohlehydrat, das sogenannte Alpha20

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02•2017

GAL, das im Fleisch vieler Säugetiere vorhanden ist, als Bedrohung zu betrachten. Die Allergie lässt sich mithilfe eines Blut- oder Hauttests feststellen. Betroffene sollten rotes Fleisch wie Schwein und Rind meiden.

Verhältnis zu Kollegen beeinflusst Gesundheit Eine Analyse von 58 Studien aus 15 Ländern zeigt, dass Menschen, die sich mit ihrem Arbeitsplatz stark verbunden fühlen, tendenziell gesünder sind und ein geringeres BurnoutRisiko haben. Am meisten profitiert die Gesundheit des einzelnen Mitarbeiters, wenn auch die Kollegen sich mit dem Team und dem Unternehmen identifizieren.

Heilt Nasenknorpel Schäden im Kniegelenk? Knorpelschäden im Knie plagen viele Menschen und sind schwer zu therapieren. Forscher aus Basel sind nun einer innovativen Behandlungsmethode auf der Spur. Sie entnahmen Patienten Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand und züchteten diese zu funktionsfähigem Gewebe. Anschließend ersetzten sie damit beschädigte Knorpel im Knie der Betroffenen – mit Erfolg. Die Methode soll nun weiter getestet werden.

FOTO: © ADA M VOORHES; STY LIST: ROBIN FI NLAY

Abstinenz – einfacher als weniger Alkohol trinken

ILLUSTRATION : © HERM AN® VON JI M UNGER, GEN EHM IGT VON LAUGHI NGSTOCK L ICE NSING INC. , CANADA.

Lachen

„Ich würde schon gern noch einmal in die Flitterwochen fahren ..., aber mit wem?“ DER HANDWERKER hämmert einen

Nagel ins Kirchendach und trifft dabei versehentlich seinen Daumen. Er schreit auf und flucht: „Verdammt, daneben!“ Aus dem Inneren der Kirche mahnt der Pfarrer: „Aber, aber. Im Hause des Herrn sollten Sie doch nicht fluchen.“ „Warum?“, entgegnet der Handwerker spöttisch. „Werde ich sonst vom Blitz getroffen?“ „Wer weiß das schon“, antwortet der Pfarrer.

Wenige Augenblicke später rast ein gewaltiger Blitz durch das Kirchendach und trifft den Pfarrer tödlich. Da ertönt eine gewaltige Stimme aus dem Himmel: „Verdammt, daneben!“ KIRA AITKINS, G r o ß b r i t a n n i e n

AUS DEM Protokoll bei Gericht:

„Was hat Sie an jenem Tag Ihr Mann als Erstes gefragt, als er aufwachte?“ „Er sagte: ‚Wo bin ich, Susanne?‘“ „Und warum hat Sie das so sehr verärgert?“ „Weil ich Sybille heiße.“ Z. M. 02•2017

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Ausgesprochen

Berufswechsel? Ich wäre gern ...

… Gartenarchitektin. Ich glaube, das würde mir sehr gefallen. LISBETH

Otta, Norwegen

… Rentner, weil ich es genieße, Zeit zu haben. WIM SEGEREN

Ma d e , Ni e d e r l a n d e

… Philosoph, denn ... JEAN-PIERRE GREGORI

Seichamps, Fra n kr e i c h

… Unternehmer. Ich arbeite nicht gern für andere. MANUEL PICAGO

G u a rd a , P o r t u g a l

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02•2017

… Vollzeitmutter. Bin ich jetzt auch – es ist der beste Job. VIKI CASTAN

Castellón, Spanien

… Millionär. Dann kann ich andere meine guten Vorhaben umsetzen lassen.

… Psychiater, denn nichts ist so interessant und herausfordernd wie das menschliche Gehirn.

PAUL HARDY

Ha s s e l t , B e l g i e n

YEONG CHONG SEN

Ip o h , Ma l a y s i a

… Floristin. Davon habe ich schon immer geträumt. KONSTANZE

Me e ra n e , D e u t s c h l a n d

… Reiseleiterin. Wer möchte nicht gern fürs Reisen bezahlt werden? ROTESSA JOYCE DIAZ

Singapur

… Geigerin. So könnte ich Arbeit mit Vergnügen und Schönheit kombinieren. ALIA,

Ljubljana, Slowenien

… Bettentester. Ich faulenze eben sehr gern. WILLIAM WALSH Bundaberg,

Au s t ra l i e n

… Fotografin, denn man kann kreativ sein und wird fürs Reisen bezahlt. CORINNE LIESCHING Zürich, Schweiz

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Fragen LESER FRAGEN, EXPERTEN ANTWORTEN

Woher kommt die Redewendung „Der Teufel ist ein Eichhörnchen“? MONIKA B., p e r E - Ma i l Die Redewendung ist eine Warnung, dass es auch bei vermeintlich einfachen Situationen böse Überraschungen geben kann. Da Eichhörnchen so „übernatürlich“ schnell und gewandt sind, dass sie an Bäumen sogar kopfüber klettern können, und natürlich wegen ihrer roten Farbe, wurden sie schon im Mittelalter mit dem Teufel assoziiert. Auch in zahlreichen Sagen steckt der Teufel nicht im Detail, sondern im vermeintlich possierlichen Nager, um arme Sünder zu täuschen. Und in der germanischen Mythologie ist ein Eichhörnchen mit Namen Ratatosk (Rattenzahn) für das Säen von Zwietracht zuständig. MICHAEL KRUMM, L ektor u. Buchautor

Wie lange hält sich Sauerstoff in einem unbenutzten Raum? CHRISTA WIDMANN, p e r E - Ma i l

Luft besteht aus rund 78 Prozent Stickstoff, knapp 21 Prozent Sauerstoff und 1 Prozent Spuren verschiedenster weiterer Gase. Diese Zusammensetzung schwankt auch nicht 24

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– nur der Wasseranteil kann sich ändern –, sondern bleibt in einem unbenutzten Raum auf unbestimmte Zeit so. Der Eindruck von abgestandener Luft hat nichts mit dem Sauerstoffgehalt oder dessen Haltbarkeit zu tun. In Zimmern stehen gewöhnlich Möbel, hängen Gardinen, liegen Teppiche. Sie geben in geringem Maße Stoffe an die Luft ab. Diese reichern sich an, wenn man in einem Raum die Fenster längere Zeit nicht öffnet. Außerdem leben auf und in Möbeln Bakterien und andere Kleinstlebewesen. Sie zersetzen von Menschen

ILLUSTRIERT VON NI LS F LI EGNER; FOTOS: © PRIVAT

Vorsicht!

hinterlassene Haare und Hautschuppen, wodurch es zu Gerüchen kommen kann. Diese nimmt man aber erst wahr, wenn ein Raum längere Zeit nicht gelüftet wird. BIRGER PISTOHL, Verband der Chemielehrer Bayeris cher Gymnasien

Warum prallen Vögel nicht aufeinander, wenn sie zum Beispiel am Futterhäuschen schnell hin- und herfliegen oder in Schwärmen ihre Flugrichtung ändern? HELMUT PFEFFER, p e r E - Ma i l

Beim Gedränge am Futterhaus kann das durchaus schon mal vorkommen. Aber selbst dort können sich die Vögel meist ausweichen. Die Gründe sind ein guter Rundumblick und die schnelle Reaktionszeit. Am besten lässt sich das bei solchen Arten beobachten, die in großen Schwärmen unterwegs sind, etwa Stare oder Wattvögel. Fast wie eine synchrone Masse bewegen sie sich durch die Luft, was eine präzise Organisation erfordert. Im Schwarm folgen die Vögel einfachen Regeln. Sie orientieren sich an bis zu sieben der sie umgebenden Nachbarn, mit denen sie kommunizieren und zu denen sie

DIE EXPERTEN

Michael Krumm Lektor und Buchautor, Hamburg

Birger Pistohl Erster Vorsitzender, Verband der Chemielehrer Bayerischer Gymnasien, Deggendorf

Eric Neuling NABU – Naturschutzbund Deutschland, Berlin

einen möglichst gleichbleibenden Abstand halten. Verändert sich ein Tier, passen sich alle anderen an. Und sie reagieren dabei sehr schnell. Innerhalb von nur 15 Millisekunden breiten sich Flugmanöver von einem zum anderen Vogel aus. ERIC NEULING, NABU – Naturs chutzbund D euts chland

SCHICKEN SIE UNS IHRE FRAGEN Schicken Sie die Briefe an Reader’s Digest, Redaktion Magazin, „Leserfrage“, Vordernbergstraße 6, 70191 Stuttgart oder in Österreich an Singerstraße 8, 1010 Wien Oder per E-Mail an [email protected] Unter readersdigest.de/de/guter-rat/leserfragen finden Sie weitere Expertenantworten und können Ihre Fragen stellen. Wir bitten um Verständnis, dass wir nur eine Auswahl der eingesandten Fragen beantworten können. 02•2017

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Gute Nachrichten POSITIVES AUS DER GANZEN WELT VO N TIM H ULS E

Neues Wassertaxi

sionsfreies Taxi erfinden könnte, weil sie sich Sorgen um die Luftverschmutzung machen“, sagt Thébault.

Eis mit Extrawirkung GESUNDHEIT Fitter und gesünder

dank Eiscreme? Das ist für viele ein Traum. Nun könnte er vielleicht schon bald Wirklichkeit werden. Der in Rom lebende Wissenschaftler Valerio Sanguigni erforscht Nahrungsmittel, die Antioxidan-

„Es ist mein Herzenswunsch, Migranten und Flüchtlingen zu helfen, die nach Europa kommen.“ GEORGE SOROS, U S - a m e r i k a n . In v e s t o r u n d Mu l t i m i l l i a rd ä r,

s p e n d e t e 3 8 0 Mi l l i o n e n Eu r o a n F l ü c h t l i n g s o r g a n i s a t i o n e n

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FOTOS: © SEA BUBBLES

UMWELT Immer mehr Menschen leben weltweit in Metropolen mit großen Verkehrsproblemen. Um den Dauerstau auf den Straßen zu reduzieren sind gute Ideen gefragt. Eine davon: Wasserstraßen (wieder) nutzen. In Paris beispielsweise soll auf der Seine ab dem kommenden Frühjahr ein umweltfreundliches Wassertaxi zu Testfahrten starten. Erfinder des „Sea Bubble“ ist der Rekordsegler Alain Thébault. Das Elektromobil soll mithilfe von vier Tragflügeln über die Wasseroberfläche schweben. Den Strom liefern Solarzellen, bis zu vier Passagiere finden im Sea Bubble Platz. „Auf die Idee brachten mich meine Töchter. Sie fragten, ob ich nicht ein emis-

tien enthalten. Diese schützen vor Krankheiten, wie zahlreiche Studien belegen. Ein Großteil der „Superfoods“ verlieren jedoch schnell ihre antioxidative Wirkung. In Nüssen, Kakaobohnen und grünem Tee bleibt diese deutlich länger erhalten. Auch niedrige Temperaturen sind hilfreich. Zusammen mit einer Gelateria entwickelte Sanguigni Haselnuss-, Schoko- und Grüntee-Eissorten und testete ihre Wirkung. Den Teilnehmern der Studie wurde vor und nach dem Eisverzehr Blut entnommen. Mithilfe eines Ergometers überprüfte Sanguigni die Leistung der Probanden. Die Ergebnisse zeigten, dass das Eis die Gefäßfunktion und die körperliche Leistungsfähigkeit verbessert hatte. „Wer sagt, dass gesunde Lebensmittel nicht lecker sein dürfen?“, fragt Valerio Sanguigni.

GUTES BEISPIEL RETTERIN IN DER NOT Sonia Congrave war besorgt, als eine Stammkundin ihres Cafés im englischen Southend plötzlich fortblieb. Die 87-jährige Doreen Mann war zehn Jahre lang regelmäßig gekommen, um Tee zu trinken und Kuchen zu essen. Aus Angst, dass der alten Dame etwas zugestoßen sein könnte, alarmierte Congrave die Polizei. Wie sich herausstellte, konnte die ältere Dame nicht mehr aus ihrer Badewanne steigen. Glücklicherweise hörten die Polizisten ihre Hilferufe durch die Haustür und befreiten sie aus ihrer misslichen Lage, in der sie vier Tage lang ausgeharrt hatte. „Ohne Sonia würde ich vermutlich immer noch dasitzen“, sagt Mann.

Sonne statt Kohle

FOTO: © SWNS.COM

ENERGIE Laut einem Bericht der

Internationalen Energieagentur übersteigt die Stromerzeugungskapazität von erneuerbaren Energiequellen erstmals die von Kohle. Es ist das Ergebnis weltweiter Bestrebungen, Wind-, Wasser- und Solarkraft zu nutzen. So wurden im Jahr 2015 weltweit rund eine halbe Million Solarzellenpaneele installiert. QUELLEN: The Local (Frankreich), 27.10.2016.

„Ich bin nur froh, dass es ihr gut geht“, meint Congrave. Sie hat Doreen Mann ein Mobiltelefon gekauft für den Fall, dass sie noch einmal in Schwierigkeiten gerät.

The Local (Italien), 26.10.2016. BBC News, 26.10.2016. Good News Network, 22.10.2016

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Im Fokus Hollywood-Star Sigourney Weaver über starke Frauen, Mut und Außerirdische

„Ich glaube an Aliens“ VO N D I E T E R OSSWA L D

Reader’s Digest: Frau Weaver, wir könnten das Gespräch gern auf Deutsch führen … 28

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Sigourney Weaver: Ich wünschte, das wäre so. In der größten Film-Datenbank der Welt (www.imdb.com) steht aber doch, Sie könnten Deutsch? Das ist eine komplette Lüge, ich weiß nicht, wie diese Information dorthin gelangt ist. (Lacht). Ich hatte für einige Zeit ein deutsches Kindermädchen, aber die sprach nie Deutsch mit mir. Lediglich ein paar Zahlen hat sie mir beigebracht: Eins, zwei, drei, vier, fünf – mehr kann ich nicht. In Ihrem neuen Film spielen Sie erstmals eine Großmutter. Was hat Sie an dieser Rolle gereizt? Ich bin sehr glücklich über dieses Projekt, weil ich den Roman so außergewöhnlich finde. Diese Rolle war für mich eine ziemliche Herausforderung. Nicht nur, weil ich mit einem britischen Akzent spre➸

FOTO: © JAY L. C LEN DENIN /LOS A NGELES TI M ES/CONTOUR BY GETTY IMAG E S

SIE IST DIE MUTTER aller Science-Fiction-Heldinnen: Vor mehr als 35 Jahren wurde Sigourney Weaver in Alien als mutige Raumfahrerin Ripley zur Kultfigur. Ihr komödiantisches Talent zeigte die heute 67-Jährige in Die Waffen der Frauen und Ghostbusters. Glänzende Kritiken bekam sie für dramatische Rollen in Der Eissturm und Gorillas im Nebel. Demnächst steht sie für die Fortsetzungen des pompösen Spezialeffekt-Spektakels Avatar von Titanic-Regisseur James Cameron vor der Kamera. Doch zunächst kommt Weaver in Sieben Minuten nach Mitternacht auf die Leinwand. In dieser Romanverfilmung spielt sie eine Großmutter, deren alleinerziehende Tochter sterbenskrank ist.

READER’S DIGEST

chen muss, sondern meine Figur ist zunächst ziemlich unangenehm und wird erst zum Ende sympathisch. Solche Entwicklungen einer Rolle gefallen mir ausgesprochen gut. Waren Sie als Mutter ähnlich streng mit Ihrer Tochter wie die Figur, die Sie hier spielen? Ich glaube nicht, dass ich so streng war, aber das musste ich auch gar nicht sein. Meine Tochter und ich sind fast immer derselben Meinung – auch wenn sich das vermutlich ungesund anhört. Man kann die Mutter im Film aber gut verstehen. Als sie von der Krankheit ihrer Tochter erfährt, möchte sie mit ihren Ratschlägen ja nur helfen. Ich glaube, so würden die meisten Eltern reagieren. Wie wichtig sind Schnittmengen mit einer Figur für Sie? Ich muss schon auf eine gewisse Weise mit der Rolle verschmelzen können, das ist das Rohmaterial eines Schauspielers. Ich muss eine Figur glaubhaft machen, was bei einer Geschichte wie dieser einen schon ganz schön mitnehmen kann. Sie sind bekannt für die starken Frauen, die Sie spielen. Wie stark sind Sie jenseits der Leinwand? Ich halte mich nicht für besonders mutig. Ich schreie schon laut, wenn ich nur eine Spinne entdecke. Ich wäre also nicht die geeignete Person für eine Raumfahrt-Mission. 30

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SIGOURNEY WEAVER wurde 1949 als Susan Alexandra Weaver in New York City geboren. 1979 gelang der Schauspielerin – die sich mittlerweile Sigourney nannte – der Durchbruch mit ihrer Rolle im Science-Fiction-Film Alien. Seitdem brilliert sie in unterschiedlichsten Genres. Weaver ist eine der wenigen weiblichen Stars, die auf eine fast 40-jährige Karriere zurückblicken können. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter. RD

Konnten Sie von der Power-Frau Ripley nichts fürs eigene Leben lernen? Wie die meisten Schauspieler kann auch ich eine Rolle wieder hervorholen. Ich bin einmal im Aufzug stecken geblieben und dachte: „Mein Gott!“ Dann überlegte ich: „Was würde Ripley machen?“ Also habe ich tief durchgeatmet, bis wir gerettet wurden. Wenn ich Hilfe brauche, kann ich mich also schon an Ripley wenden! (lacht) Glauben Sie eigentlich an Aliens? Ich glaube absolut an Aliens und ebenso an UFOs. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir die Einzigen in dieser Welt sind und es ansonsten keine Ergebnisse der kreativen Kräfte in diesem Universum gibt – das wäre doch ziemlich enttäuschend. Ich möchte furchtbar gern noch ein Alien treffen, bevor ich sterbe – ein echtes natürlich!

Fakten

Fremdsprachenkenntnisse Wo sprechen Erwachsene am besten Englisch? (internationaler Index EF EPI; Skala von 1 bis 100) 1.

Niederlande

2.

Dänemark

3.

Schweden

72 71 70

4. Norwegen

68

5.

Finnland

6.

Luxemburg

66

7.

Österreich

62

8.

Deutschland

61

Polen

61

63

10. Belgien

60

Schweiz

60

12. Portugal

59

Tschechien

59

Serbien

59

15. Ungarn

58

ILLUSTRATION: © GETTY IM AGES

Rumänien

58

17. Slowakei

57

18. Bulgarien

56

Spanien

56

Bosnien-Herzegowina

56

21. Italien

54

Frankreich 23. Russland 24. Ukraine

54 52 50

Quelle: Education First www.ef.edu/epi/

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EUROPÄER DES JAHRES 2017

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Plastik verschmutzt die Weltmeere und tötet Meerestiere. Boyan Slat hat eine Idee, wie dieses Problem gelöst werden könnte

Retter derMeere FOTO: © MI CHEL P ORRO/GETTY IMAGES

VO N DAV I D T H O M AS

MIT 22 JAHREN ist unser „Europäer des Jahres“ so jung, dass er noch bei seiner Mutter lebt. Wer dem schlaksigen Mann mit Dreitagebart und wuscheligem Haarschopf im niederländischen Delft begegnet, könnte ihn leicht für einen Studenten der Technischen Universität 02•2017

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READER’S DIGEST

halten. Und das war er auch, bevor er sein Leben vor vier Jahren völlig umkrempelte. In einem YouTube-Video ist er am Steuer einer Hochseejacht zu sehen. Mit dem Wind in den Haaren wirkt er eher wie der Sänger einer Boygroup. Tatsächlich ist er der Gründer einer gemeinnützigen Organisation: The Ocean Cleanup (etwa: Säuberung der Meere, www.theoceancleanup.com). „Wir können das Meer wieder sauber kriegen“, erklärt Slat überzeugt. Das Ziel von Ocean Cleanup ist es, das Meer mit innovativer Technik von Kunststoffabfällen zu befreien, die derzeit im sogenannten großen pazifischen Müllwirbel und in anderen Regionen der Weltmeere treiben. Für den 22-jährigen Umweltschützer ist moderne Technik kein Feind. „Meiner Ansicht nach ist die Technik der stärkste Katalysator für Veränderungen, den wir haben. Sie gibt uns ganz neue Bausteine an die Hand und eröffnet jede Menge Möglichkeiten.“

READER’S DIGEST EUROPÄER DES JAHRES

Seiner Ansicht nach besteht „weltweit eine Tendenz zu Projekten mit geringen Risiken und geringer Wirkung. In den 1950er- bis 1970er-Jahren gab es viele kühne Großprojekte wie das Apollo-Weltraumprogramm. Wenn wir das nächste Jahrhundert über leben wollen, müssen wir wieder so mutig werden.“ Die Herausforderung ist groß. Jedes Jahr gelangen etwa fünf bis 14 Millionen Tonnen Plastik ins Meer. Die Meeresschutz-Organisation Ocean Conservancy warnt, dass schon im nächsten Jahrzehnt auf drei Kilo Fisch in den Weltmeeren ein Kilo Kunststoffabfälle kommen könnte. Plastik nimmt Giftstoffe aus dem Wasser auf. Wird es von Tieren gefressen, können diese erkranken und sterben. In winzige Partikel zersetzt, kann das Plastik in die Mägen von Fischen geraten, die vielleicht später auf unseren Tellern landen. 267 verschiedene Tierarten leiden nachweislich unter dem Müll im Meer, weil sie sich darin verheddern oder ihn zu sich nehmen – darunter Seevögel, Schildkröten, Seehunde und Wale.

Jedes Jahr zeichnen die Chefredakteure der europäischen Ausgaben von Reader’s Digest Menschen aus, die Vorbildliches leisten, um unsere Welt besser zu machen. Eine Liste aller Preisträger finden Sie unter www.readersdigest.de

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OCEAN CLEANUP will große, V-förmig angeordnete schwimmende Fangarme zu Wasser lassen, die in Tiefen bis zu 4000 Metern im Meeresboden verankert werden. Diese

FOTO: © THE OCEAN CLEANUP

Im Juni 2016 führte Ocean Cleanup einen Test in der Nordsee durch

100 Kilometer langen Barrieren sollen Plastikmüll abfangen, wenn er von Meeresströmungen angetrieben wird, und ihn an die Spitze des „V“ leiten, wo er in schwimmenden Türmen gelagert wird. Dort kann er von Schiffen auf genommen und zur Wiederverwertung an Land gebracht werden. Slat zieht eine Tüte voll blauer Plastikpellets hervor, die er als Rohmaterial für neue Produkte an Hersteller verkaufen möchte. „Plastik ist nicht das Problem“, stellt er klar. „Es ist ein tolles Material, das wir immer verwenden werden. Wir sollten es bloß nicht wegwerfen.“ Slats Projekt wurde von der Zeitschrift Time zu den 25 besten Erfindungen des Jahres 2015 gezählt. Die niederländische Regierung fand es ebenfalls gut und sagte einen Zuschuss von 500 000 Euro für ein Versuchsprojekt in der Nordsee zu. Um-

weltministerin Sharon Dijksma: „Wir möchten solche tollen Innovationen fördern, um unser aller Bewusstsein dafür zu stärken, wie wir mit knappen Rohstoffen umgehen.“ Die Zentrale von Ocean Cleanup liegt im 18. Stock eines Delfter Bürogebäudes. In dem lichtdurchfluteten Großraumbüro ist alles weiß: Wände, Stühle und die im Zickzack angelegte Bar, an der die Mitarbeiter gemeinsam Mittag essen. Hier sind rund 40 der insgesamt 60 Mitarbeiter der Organisation tätig. Arbeitssprache ist Englisch, das hier aber in vielen verschiedenen Einfärbungen gesprochen wird. Die meisten Mitarbeiter sind Niederländer, doch es kommen auch einige aus Frankreich, Dänemark, Deutschland, Italien, Brasilien und anderen Ländern. Das Altersspektrum reicht von 18 bis 55 Jahre. 02•2017

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Slat hat kein eigenes Büro, sondern beiter multinationaler Unternehmen setzt sich einfach an einen freien Ar- beim Standortwechsel nach Holland. beitsplatz, wenn er einen Computer „Sie hat uns geholfen, Mitarbeiter für braucht. Der junge Mann spielt mit Ocean Cleanup anzuwerben“, bericheinem Kugelschreiber, während er tet ihr Sohn stolz. eifrig die Mission seines UnternehBoyan Slat hat keinen Hochschulmens schildert. Er steht dabei immer abschluss – aber nicht, weil er nicht wieder auf und geht durch den Raum. intelligent genug wäre. Während „Es wird uns nie gelingen, auch das seine Schulkameraden Disneyfilme letzte Kilo Müll aus dem Meer zu fi- anschauten, habe er sich „mehr für schen, doch wir wollen die Grundrechenarten möglichst schnell möginteressiert“, sagt Slat. lichst viel davon entfer„Mit zwei Jahren habe „Vermutlich nen“, sagt Slat. „Unser ich mir einen Stuhl geneige ich technischer Maßstab baut. Später bastelte ich sind 50 Prozent innerdrei Baumhäuser mit von Natur halb von zehn Jahren, Seilbahn. Ich hatte imaus zu aber wir möchten viel mer irgendein Projekt, Besessenheit“, und bis heute gibt es mehr schaffen. Irgendwann erreichen wir für mich nichts Schösagt 90 Prozent. Das sind neres, als eine Idee zu Boyan Slat Hunderttausende Tonhaben und zu sehen, über sich nen.“ Ocean Cleanup wie sie umgesetzt wird.“ will seine ersten groMit 16 machte Slat ßen Projekte Ende 2018 eine einschneidende in Betrieb haben. Zur Finanzierung Erfahrung. Er fuhr mit seiner Famiwurden bisher mehrere Millionen lie nach Griechenland in den Urlaub Euro eingeworben, anvisiert werden und absolvierte dort einen Tauchkurs. 15 Millionen Euro. „Ich hatte erwartet, im Wasser herrWie wurde Slat zum Chef eines so liche Dinge zu sehen, doch ich sah ehrgeizigen Unterfangens? Er wurde nur eine Müllhalde auf dem Meeresim Juli 1994 in Delft geboren. Seine El- boden. Ich dachte: ‚Wieso räumt hier tern leben mittlerweile getrennt. Sein keiner auf?‘“ kroatischer Vater ist Künstler und lebt Zusammen mit einem Klassenheute an der Adria. „Früher habe ich kameraden befasste er sich auf dem ihn besucht, doch jetzt habe ich dafür Gymnasium im Rahmen eines naturkeine Zeit mehr“, sagt Boyan Slat. wissenschaftlichen Projekts mit dieSeine Mutter, halb Engländerin, ser Frage. „Ich las immer wieder, das halb Niederländerin, berät die Mitar- sei unmöglich. Dieses Dogma führte 36

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FOTOS: © AP P HOTO/SCRIP PS I NSTITUTION OF OC EANOGRAP HY; (PELLETS) RAIMOND

dazu, dass niemand sonst das Problem anpacken wollte. Doch mich motivierte es.“ Trocken fügt Slat hinzu: „Vermutlich neige ich von Natur aus zu Besessenheit.“ Auch während seines Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität musste er immer daran denken. „Ich saß in einer Vorlesung, lernte etwas über Metallermüdung in Flugzeugbauteilen und dachte: ‚Wie kann ich das anwenden, um das Meer sauber zu kriegen?‘“, sagt Slat. Ausgerechnet einer derjenigen, die das Vorhaben grundsätzlich für unmöglich hielten, lieferte schließlich den entscheidenden Anstoß. „Ich sah ein Video über einen Ozeanografen, der das Wechselspiel der Kräfte im Meer erklärte. Er zeigte in einer Animation, wie sich das ganze Plastik bewegte, und erklärte, das sei ein weiterer Grund, weshalb wir es nicht entfernen könnten. Ich fragte mich, ob man das nicht eher nutzen könnte. Warum die Ozeane durchstreifen, wenn sie uns den Abfall sozusagen zutreiben? Das war die Grundidee.“ IM OKTOBER 2012 hielt der damals 18-jährige Slat einen Vortrag an der Universität in Delft. „Erst kam die Steinzeit, dann die Bronzezeit und jetzt befinden wir uns mitten in der Plas-

Müll aus dem Meer lässt sich zu Pellets (kleines Bild) verarbeiten, aus denen neue Produkte hergestellt werden können

tikzeit … Wenn wir einen Keks kaufen, bekommen wir eine Plastikverpackung, eine Kunststoffschale, eine Pappschachtel und etwas Plastikfolie dazu. Das alles stecken wir in eine Plastiktüte. Das ist aber kein gefährlicher Atommüll – es ist nur ein Keks!“ Der Vortrag war eine Mischung aus handfesten Informationen über die Verschmutzung durch Plastikabfälle sowie Slats Ausführungen zu seiner Idee und ihren wissenschaftlichen Grundlagen, gewürzt mit ewas Humor. Eine Videoaufnahme von seiner Präsentation erschien auf YouTube – zunächst ohne größere Wirkung. Er ließ sich nicht entmutigen und beschloss, die Idee weiterzuverfol02•2017

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gen. Mit Zustimmung seines Dekans Kim Martini veröffentlichten eine ausließ er das Studium ruhen. Anfang führliche Kritik an der Machbarkeits2013 wurde sein Vortrag dann von studie von 2014. Sie lobten zwar Slats Nachrichten-Blogs aus den USA auf- gute Absichten und bescheinigten gegriffen und praktisch über Nacht ihm, dass die Dynamik hinter Ocean verbreitete sich das Video viral. Cleanup durchaus Veränderungen „Plötzlich erhielt ich 1500 E-Mails herbeiführen könnte, gelangten jeam Tag. Ich rief ein paar Freunde doch zu dem Schluss, dass das Prozusammen, und wir setzten uns mit jekt in seiner „aktuellen Darstellung“ unseren Laptops auf mein Bett und keine praktikable Lösung sei. s o n d i e r t e n s i e.“ Er 2016 setzte Dr. Marwurde von mehr als tini hinzu, sie hätten 400 Medienanfragen w e i t e rh i n „s c hw e r„In einem überschwemmt, und wiegende Vorbehalte“ Monat es kamen auch Geldwegen der „beträchtsammelten angebote. Menschen lichen Fehlinterpretaaus aller Welt boten tion der Ozeanografie, wir mehr ihre Hilfe an. Über eine Ökologie, Technik und Plastik als Crowdfunding-Website Verteilung des im Meer bei allen warb Slat zunächst treibenden Abfalls“ Expeditionen 90 000 US-Dollar ein durch Ocean Cleanup. seit 1972“, und erstellte 2014 eine Slat sagt dazu nur: sagt Slat Machbarkeitsstudie. „Es ist nicht meine Slat erntete auch kriAufgabe, diese Leute zu tische Reaktionen von überzeugen. Wenn in Aktivisten und Wissenschaftlern. Im einem Jahr die erste Anlage im Meer Juli 2013 stellte Stiv Wilson, damals ist, werden wir ja sehen.“ stellvertretender Leiter der MeeresWährenddessen beschafft Ocean schutzgruppe „5 Gyres Institute“, fest: Cleanup sich weiteres Kapital. Als „Die Hindernisse für die Säuberung jüngster Gewinner des globalen Umvon Wirbeln sind so groß, dass die weltpreises der Vereinten Nationen, Idee in der wissenschaftlichen Welt des Champions of the Earth Award, mehrheitlich nicht ernst genommen wirbt Slat Führungskräfte an, die seine wird – das Meer ist riesig, das Plastik, Väter sein könnten. Sie steigen ein, das abgesammelt werden würde, na- weil sie an ihn und seine Ideen glauhezu wertlos, und das Meeresleben ben. So wie der 47-jährige Allard van würde leiden.“ Hoeken, der zu Ocean Cleanup kam, Die US-amerikanischen Forsche- nachdem er zwei Jahrzehnte lang in rinnen Dr. Miriam Goldstein und Dr. der Offshore-Technik tätig war. 38

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„Ich verstehe, warum Außenstehende sagen, das [Ocean Cleanup-] System ‚wird nicht funktionieren‘“, räumt van Hoeken ein. „Der Ozean zerstört mit der Zeit alles. Die Herausforderungen sind enorm. Doch ich bin überzeugt, dass das System funktioniert.“ Und über Boyan Slat sagt er: „Ich bin seinetwegen hier. Es ist so inspirierend, mit ihm zu arbeiten.” VOR RUND 18 MONATEN schickte Ocean Cleanup 30 Segeljachten aus, die im Pazifik 30 Tage lange mit Netzen nach Plastik fischten. „In diesem einen Monat sammelten wir mehr Plastik als bei allen ähnlichen Expeditionen seit 1972 zusammen“, berichtet Slat. Außerdem führte Cleanup eine Luftbildvermessung durch, die bis zu 80 Meter tief ins Wasser vordrang, sodass man die Umrisse von Abfällen erkennen konnte. 2016 testeten sie das Reinigungssystem mit einem Prototypen in der Nordsee. Dabei gab es Probleme mit den Draht seilen, die die schwimmenden Barrieren zusammenhalten: Probleme, die damals gelöst wurden, wie Slat betont. Sie haben auch nach-

gewiesen, dass es möglich ist, Plastikabfälle aus dem Meer zu recyceln und zu neuen Produkten zu verarbeiten. „Der Knackpunkt kommt, wenn die erste komplette Anlage im Meer in Betrieb geht“, erklärt Slat. „Das bereiten wir gerade vor. Es wird irgendwo im Pazifik stattfinden. Wir denken an einen Standort in Japan.“ Was treibt Slat an? Möchte er reich oder berühmt werden? „Es geht mir bestimmt nicht ums Geld“, sagt er. „Ich will einfach ein Problem gelöst sehen, und niemand sonst kümmerte sich darum.“ Boyan Slat hat sich ganz und gar Ocean Cleanup verschrieben. „Sobald ich aufwache, fange ich an, daran zu arbeiten – und wenn ich wach werde, merke ich, dass ich mich sogar im Schlaf damit beschäftigt habe.“ Freizeit hat er höchstens in den 20 Minuten, die er jeden Abend vor dem Schlafengehen liest. Dennoch sagt er: „Wenn es jemand anderem gelingt, das Meer zu säubern – schön. Hauptsache, es wird überhaupt gemacht. Wenn das jemand schafft, könnte ich mich nach einer Freundin umsehen, mehr Bücher lesen ... und mir ein neues Problem suchen.“

TRAURIG Das Meer ist salzig wie die Träne, die Träne ist salzig wie das Meer. Das Meer und die Träne sind sich durch die Einsamkeit verwandt. Das Meer hat sie schon, die Träne sucht sie. KARL GUTZKOW,

dt. Schriftsteller (1811-1878)

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DRAMA

Beim Klettern verletzt sich der Vater von Charlie schwer. Der 13-Jährige steht vor der schwierigsten Entscheidung seines Lebens

JEDE MINUTE ZÄHLT VON KEN MILLER

SO VIEL UNGEBÄNDIGTE NATUR findet man außerhalb Alaskas nur im Naturschutzgebiet „Frank Church-River of No Return Wilderness“ im US-Bundesstaat Idaho. Das Gebiet erstreckt sich über mehr als 9500 Quadratkilometer. Zu den spektakulärsten Attraktionen gehören die Bighorn Crags, eine Reihe zerklüfteter Dreitausender, die von Bergseen eingerahmt sind. An einem dieser Seen packt Charlie Finlayson an diesem Sommermorgen seinen Rucksack für eine lange Wanderung. Der 13-Jährige verstaut eine Wasserflasche und Snacks. Für den Fall, dass er übernachten muss, nimmt er außerdem seinen Schlafsack mit. 40

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Ein Schnappschuss von Charlie in den Bighorn Crags – kurz bevor er mit seinem Vater David zu einer Tour aufbricht

Seinem Vater David lässt er eine weitere Flasche Wasser da. Anschließend füllt er den Kochtopf bis zum Rand mit Wasser aus dem See und legt einen Vorrat an Energieriegeln daneben. Dann bestimmt er per GPS (globales Navigationssatellitensystem) noch einmal seine Position. Er wirft einen letzten Blick zu seinem Vater hinüber, der blass im blutverschmierten Schlafsack liegt. Auf seiner Stirn klafft eine purpurfarbene Wunde, sein Kiefer ist vor Schmerz verzerrt. „Ich mache mich besser auf den Weg“, sagt Charlie. „Viel Glück, Junge“, erwidert David. „Geh es langsam an.“ Draußen vor dem Zelt hält Charlie noch einmal inne und murmelt ein Gebet. „Ich komme mit einem Hubschrauber zurück“, ruft er über die Schulter in Richtung Zelt. ▲▲▲

DAVID FINLAYSON, 52 Jahre alt, ist ein erfahrener Bergsteiger. Er hat schon zahlreiche Berge in Alaska, Europa und Südamerika bezwungen. Kurz nach Charlies Geburt hat sich der angesehene Strafverteidiger von Charlies Mutter getrennt. Der Junge lebt bei ihr in einem Vorort von Boise, Idaho, verbringt aber den Großteil des Sommers mit seinem Vater. David gilt als redegewandt und rastlos, Charlie dagegen ist ruhig und nachdenklich, weshalb sein Vater ihn den „Zen-Meister“ und „Gute-LauneCharlie“ nennt. Aber in einem Punkt 42

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ticken sie gleich, und das ist ihre Begeisterung für die Natur. Als Charlie in die siebte Klasse kam, nahm ihn sein Vater das erste Mal mit zum Klettern. Für den Ausflug im August 2015 hatten sie Vorräte für zwei Wochen eingepackt. Nach einer sechsstündigen Fahrt wanderten sie zwei Tage lang zum Ship Island Lake, einem anderthalb Kilometer langen See mit glasklarem Wasser. Während ihrer ersten Woche unternahmen sie zwei ausgedehnte Klettertouren. Am Montag gegen Mittag hing David im Granitfels gut 250 Meter über dem Boden, auf der Suche nach dem besten Weg nach oben. Charlie stand auf einem Felsvorsprung, rund zehn Meter weiter rechts. Er war durch einen Baum gesichert und hielt das Seil, an dem sein Vater hing. Während David nach dem nächsten Griff suchte, löste sich über ihm ein kleiner Stein. Im nächsten Augenblick hörte David über sich ein lautes Knacken. Doch bevor er reagieren konnte, wurde ihm schwarz vor Augen. Charlie sah, wie sein Vater von einem riesigen Felsbrocken getroffen wurde und stürzte. Sofort zog er am Seil, und die automatische Bremse stoppte Davids Fall. „Dad?“, rief Charlie. „Was ist los?“ Aber er erhielt keine Antwort. ▼▼▼

CHARLIES ZIEL ist der knapp 20 Kilometer entfernte Wanderweg. Dort gibt es eine Hütte, die von Freiwil-

FOTOS: MI T FREUNDLICHER GENEHMI GUNG VON DAVI D FI NLAYSON

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und überlegt: Mitten in der Woche sind hier nur wenige Besucher. Die Chance, dass ihm jemand begegnet, ist gering. Charlie flucht leise, dann geht er rasch zum Hauptpfad zurück. ▲▲▲

„Charlie und ich ticken gleich“, sagt David. „Wir lieben es, draußen zu sein, weit weg von allen anderen.“

ligen betrieben wird. Sie haben ein Funkgerät und können Hilfe holen, hofft Charlie. Zunächst steigt der Weg sanft an, aber Charlie weiß, dass der Pfad eine Höhe von 2865 Metern erreicht, bevor er abfällt und dann erneut ansteigt. Der Weg verzweigt sich in schlecht markierte Nebenpfade, die einen in die Irre führen können. In den umliegenden Wäldern leben Grizzlybären und Berglöwen, weshalb Charlie regelmäßig in die Trillerpfeife bläst, um die Raubtiere auf Distanz zu halten. Nach 1,5 Kilometern erreicht der 13-Jährige einen Weg, der zu einem anderen See führt. Zunächst schlägt er diesen längeren Weg ein. Vielleicht würde Charlie andere Wanderer treffen, die am See zelten. Doch nach einigen Hundert Metern stoppt er

DAVID HING 15 METER unterhalb von seinem Sohn. Er konnte ihn nicht sehen – und Charlie ihn nicht. Eine Minute verging, bevor David antworten konnte: „Bist du da, Charlie?“ „Ja, ich bin hier! Bist du verletzt?“ Davids Helm war verbeult, und sein Schädel pochte – wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung. Sein linker Arm und sein linkes Bein konnte er nicht bewegen: Das Schienbein hatte das Fleisch durchbohrt, Blut tropfte auf die Felsen unter ihm. Sein ganzer Körper schmerzte. David drohte, wieder ohnmächtig zu werden. „Ich glaube, ich habe mir einiges gebrochen“, rief er. „Was soll ich tun?“, rief Charlie außer sich. „Kannst du mich sieben Meter hinunterlassen? Da ist ein Vorsprung.“ Vorsichtig gab Charlie mehr Seil. Als David den Vorsprung erreicht hatte, rief er seinem Sohn zu, er bräuchte seinen Rucksack, darin sei ein ErsteHilfe-Kasten. Doch der Rucksack verfing sich immer wieder in den Ästen. Erst nachdem Charlie den Sicherungspunkt neu justiert hatte, gelang es ihm, den Rucksack hinabzulassen. David hatte das Gefühl, als gehöre der Körper nicht zu ihm. Mit der rech02•2017

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ten Hand rieb er sein Bein mit antibiotischer Creme ein. Er bedeckte die Verletzung mit Kompressen und legte einen Tapeverband an. Er wollte nicht, dass sein Sohn die offene Wunde sah. Anschließend wies er Charlie an, sich zu ihm abzuseilen. Als er unten war, wickelten sie mehr Tape um das Bein und zurrten den Verband so fest sie konnten. „Sag mir, dass alles gut wird“, flehte Charlie, während er versuchte, seine Angst in den Griff zu bekommen. „Das wird schon“, beruhigte ihn David, der selbst unsicher war. „Aber wir müssen vom Berg runter.“ Sein Plan war, Charlie solle ihn eine halbe Seillänge hinunterlassen und auf dieselbe Höhe absteigen. Dann würde er einen neuen Sicherungspunkt anbringen, und sie würden das Ganze wiederholen. Dank des Windensystems konnte der 40 Kilogramm leichte Junge den 90-Kilo-Mann bewegen. Dennoch erwies sich die Vorgehensweise als äußerst mühsam für beide. David war schwindelig, außerdem war ihm übel. Jedes Mal, wenn seine linke Körperhälfte den Fels streifte, hielt er den Schmerz kaum aus. Immer wieder musste er mit nur einer Hand einen Haken in den Fels schlagen, während Charlie 50 Meter Seil entwirren und durch den Sicherungspunkt führen musste. Stunden vergingen. David stand oft am Rande einer Ohnmacht. „Wenn ich das Bewusstsein verliere, musst du den Weg 44

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zurückgehen, so schnell du kannst“, bläute er seinem Sohn ein. „Du wirst nicht ohnmächtig“, munterte Charlie sich und seinen Vater auf. „Wir schaffen das!“ ▼▼▼

JE MEHR SICH DER WEG dem Pass nähert, desto anstrengender ist der Anstieg: Charlies Herz schlägt schneller, seine Angst nimmt zu. Vor seinem geistigen Auge laufen schreckliche Bilder ab: wie sich sein Vater vor Schmerzen windet und seine Augen verdreht. Um sich abzulenken, konzentriert sich der 13-Jährige auf den Rhythmus seiner Schritte. Nach knapp fünf Kilometern glaubt er, Stimmen zu

Landkarte einen Kreis um die Stelle. „Die helfen dir, da hinzukommen, wo du hinmusst.“ Dann machen sich die beiden Männer an den Abstieg. Charlie überschreitet den Pass und geht weiter zum See. Doch als er ankommt, ist niemand mehr dort. Mutlos sinkt er in sich zusammen. ▲▲▲

Charlie sagt, er habe Angst gehabt, allein zu sein und seiner Furcht in die Augen zu blicken

hören. Er bläst in seine Trillerpfeife und ruft: „Hallo! Hört mich jemand?“ „Klar“, antwortet eine Stimme. Charlie rennt die Serpentinen hoch und trifft auf zwei Männer – Jon Craig und sein 19-jähriger Sohn Jonathan. Während er gegen die Tränen ankämpft, erzählt Charlie, was passiert ist. Er zeigt ihnen auf dem GPS-Gerät, wo sein Vater ist. Die Craigs wägen ab, ob sie Charlie begleiten sollen oder ob sie besser dem verletzten Vater zu Hilfe eilen. „Bitte gehen Sie zu ihm“, sagt Charlie nachdrücklich, aber ruhig. „Am Airplane Lake im nächsten Tal lagern drei Gruppen“, sagt Jon Craig zu dem 13-Jährigen und macht auf der

ES DÄMMERTE FAST, als David und Charlie am Fuß der Klippe ankamen. Die Temperatur war unter zehn Grad gefallen. David, nur mit Shorts und einer leichten Goretex-Jacke bekleidet, zitterte vor Kälte und Erschöpfung. „Das reicht für heute“, sagte er. „Hol unsere Schlafsäcke, damit wir nicht erfrieren.“ Die Ausrüstung lag in ihrem Zelt, und das befand sich gut eineinhalb Kilometer unterhalb. Der Weg führte einen steilen Abhang hinab. Charlie holte die Schlafsäcke und packte einen Rucksack mit warmer Kleidung und Energieriegeln. Außerdem füllte er mehrere Flaschen mit Wasser aus dem See. Dann machte er sich auf den Rückweg. Als David die Stirnlampe seines Sohns sah, rief er mit klappernden Zähnen: „Gute-Laune-Charlie!“ Der Junge half David, eine lange Hose und einen Daunenparka anzuziehen. Er lagerte das verletzte Bein hoch, damit die Blutung aufhörte. Bevor er selbst in seinen Schlafsack schlüpfte, gab Charlie seinem Vater noch etwas zu essen. 02•2017

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Charlie hatte Angst, dass sein Vater sterben könnte, weshalb er mit ihm über gemeinsame Reisen, die Sternbilder am Himmel und den Unfall redete. Der 13-Jährige gönnte sich nur kleine Nickerchen. Sobald er aufwachte, schaute er nach seinem Vater. Doch der konnte nicht schlafen – die Schmerzen hielten ihn wach. Er versuchte, sich abzulenken, indem er seine Atemzüge zählte. Weil das Atmen so wehtat, zählte er Sterne. Er hatte eine Chance zu überleben, dachte er. Aber es konnte auch sein, dass er hier starb. Was würde dann aus seinem Jungen? ▼▼▼

IN EINIGER ENTFERNUNG hört Charlie erneut Stimmen. Er bläst in seine Trillerpfeife und ruft. Der Junge lässt sich von seinem Gehör leiten und gelangt durch den Wald zu einem 800 Meter entfernten See. Dort ist ein Ehepaar mit drei Kindern und deren Freund Mike Burt. Mike, ein ehemaliger Marineinfanterist, erkennt an Charlies Stimme, wie ernst es dem Jungen ist. Bis zu der Hütte, von der aus man Hilfe anfordern kann, sind es noch 15 Kilometer. Mike bietet an, die Strecke zu laufen. Charlie könne ihm folgen, um sicherzustellen, dass Hilfe kommt. ▲▲▲

ALS DIE SONNE über dem Lager aufging, atmete Charlie auf, weil sein Vater wach und ansprechbar war. Va46

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Charlie bei seinem Vater im Krankenhaus, ein paar Tage nach dem Unfall. Sie wollen bald wieder klettern

ter und Sohn blieben in ihren Schlafsäcken, bis die morgendliche Kühle verschwunden war. „Gehen wir los, Dad“, sagte Charlie. Vor ihnen lag ein Feld, übersät mit großen Felsbrocken. Sie verstärkten das verletzte Bein mit einem weiteren Verband. Danach schleppte sich David Zentimeter um Zentimeter durch den Hindernisparcours und hinterließ eine Blutspur. Manchmal musste er sich an einer Felsseite hochziehen und die andere hinabrutschen. Landete er auf seinen verletzten Extremitäten, verlor er vor Schmerzen das Bewusstsein. Kam David wieder zu sich, blickte er in Charlies besorgtes Gesicht. „Mir geht’s gut“, sagte er dann und versuchte zu lächeln. Der Junge lief voraus und erkundete den einfachsten Weg. „Nur noch einen halben Meter“, spornte er seinen Vater an. Gegen 16 Uhr erreichten die zwei ihr Lager. David hielt sein Bein in den See, um es zu säubern, dann ver-

band Charlie, dem der blutige Anblick nichts ausmachte, das Bein neu. Abends kochte Charlie – er verputzte sein Pfeffersteak und das Hühnchen im Handumdrehen. Seinem Vater war aber nach wie vor übel. Er bekam nur wenige Bissen hinunter. „Charlie“, sagte David. „Du gehst morgen früh Hilfe holen.“ Bei der Vorstellung, so viele Kilometer von seinem Vater getrennt zu sein, brach Charlie in Tränen aus. „Und wenn ich dich nie wiedersehe?“, jammerte er. „Wir haben keine andere Wahl“, sagte David. In jener Nacht schlief Charlie mit den Armen um seinen Vater geschlungen. David starrte zum Himmel und zählte die Sterne. Kurz nach Sonnenaufgang schulterte Charlie den Rucksack und marschierte los zur knapp 20 Kilometer entfernten Hütte – fest entschlossen, seinen Vater zu retten. ▼▼▼

ALS DAVID AUFWACHT, ist es Abend. Er liegt in einem Streckverband im Krankenhaus in Boise. Die

Ärzte haben seinen Arm und sein Bein fixiert sowie die Wirbelsäule stabilisiert. In nächster Zeit stehen mehrere Operationen an. Wahrscheinlich wird er wieder klettern können. In der ersten Nacht versucht er – trotz des Morphins – sich an seine Rettung zu erinnern. Er weiß noch, wie die Craigs zum Lager gekommen waren. Als sie ihm sagten, sie hätten mit Charlie gesprochen, vergaß er für einen Moment sogar seine Schmerzen. Kurz darauf tauchte eine junge Rangerin namens Rachel auf. Mike Burt hattte sie gebeten, zu David zu gehen und so lange zu bleiben, bis der Helikopter eintreffen würde. Am nächsten Tag sitzt Charlie an Davids Bett. Vater und Sohn umarmen sich, was durch die Infusionsschläuche nicht einfach ist. Der Zen-Meister hatte sein Versprechen gehalten: Er war mit einem Hubschrauber zurückgekehrt. „Ich kenne niemanden, der so stark ist wie Charlie“, sagt sein Vater. „Die Leute sagen immer zu mir: ‚Sie müssen stolz auf ihn sein.‘ Oh ja, wie sehr kann sich niemand vorstellen.“

GROSSES WERK Wer Sonnenstrahlen machen will, der ist ein Quacksalber und kennt weder sich noch die Sonne. Wer aber die Berge und Hügel, die ihr im Wege stehen, abträgt und erniedrigt, der treibt ein wahres Werk und ein sehr großes. MATTHIAS CLAUDIUS,

dt. Dichter (1740-1815)

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Nehmen Sie sich eine Auszeit vom Essen – Körper und Seele zuliebe

So fasten Sie richtig VO N ANK E NO LTE

as erste Mal fastete Birgit Blumenschein noch aus Neugier – dienstlicher Neugier. Die Diätassistentin, die damals schon seit vielen Jahren Patientinnen und Patienten beim Fasten begleitete, wollte wissen, wie ihr selbst eine Auszeit vom Essen bekommt. Der Selbstversuch vor 16 Jahren war ein voller Erfolg: Mittlerweile plant die 48-Jährige, die in Münster eine Praxis für Diät- und Ernährungstherapie betreibt, dreimal im Jahr eine Fastenwoche ein. „Das macht mich je-

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des Mal körperlich und geistig richtig fit. Meine Gelenke werden beweglicher, und ich fühle mich glasklar im Kopf“, berichtet Blumenschein. Der zeitweilige Verzicht auf Nahrung hat eine lange Tradition – und liegt heute wieder im Trend. Gerade in den ersten Monaten des Jahres haben viele Menschen das Bedürfnis nach einem inneren Großreinemachen: Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2014 erwog rund jeder Zehnte in Deutschland, sich von Aschermittwoch bis Ostern – also während der FOTO: © GETTY IMAGES

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Studien belegen, dass Fasten einer ganzen Reihe von Krankheiten wirksam vorbeugen und sie auch gut bekämpfen kann“, sagt Michalsen. So nennen die FastentherapieLeitlinien der Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung mehr als 40 Indikationen: darunter Diabetes Typ 2, Fettstoffwechselstörungen, BluthochSTÄNDIGES ESSEN HAT DIE druck, Herzschwäche, ArterienverNATUR NICHT VORGESEHEN In den westlichen Gesellschaften ist kalkung (Arteriosklerose), Arthrose oder Rheuma, auch die Versuchung groß, Schmerzsyndrome, von morgens bis abends Hauterkrankungen und zu essen. „Doch um den Vielen fällt es Körper zu entlasten, ist nach dem Fasten Allergien. Neue Studien legen es wichtig, ab und zu leichter, sich sogar nahe, dass selbst Nahrungspausen eingesünder zu Krebspatienten profizulegen“, erklärt Profesernähren und tieren könnten: In einer sor Andreas Michalsen, sich mehr zu Studie vertrugen die Chefarzt der Abteilung bewegen. So Probanden nach zweiNaturheilkunde im Imlässt sich das tägigem Fasten die Chemanuel Krankenhaus niedrigere und Professor für kliniGewicht besser motherapie besser. sche Naturheilkunde an halten AUCH DIE SEELE der Charité – UniversiPROFITIERT tätsmedizin Berlin. „Sich ständig Nahrung zuzufüh- Die Auszeit vom Essen hat aber ren ist von der Evolution auch gar nicht nur körperliche Auswirkungen. nicht vorgesehen.“ Schließlich hing „Durch das Fasten hellt sich meistens es früher vor allem von der Jahreszeit die Stimmung auf“, berichtet Michalab, wie viel Nahrung zur Verfügung sen. „Denn es werden zum Beispiel stand. Im Winter war sie naturgemäß vermehrt sogenannte Glückshormone ausgeschüttet.“ Die einen fühlen sich besonders knapp. konzentrierter und klarer – so wie Birgit Blumenschein. Andere erfahren reVERZICHT AUF NAHRUNG gelrechte Hochgefühle. Kein Wunder BEUGT KRANKHEITEN VOR Regelmäßig zu diesem Rhythmus aus also, dass Ärzte mittlerweile Fasten Fülle und Mangel zurückzukehren, auch zur Behandlung von leichten scheint gesund zu sein. „Immer mehr Depressionen und Burnout einsetzen.

traditionellen christlichen Fastenzeit – im Nahrungsverzicht zu üben. Oder zumindest Alkohol oder Süßigkeiten wegzulassen. Mancher nannte dafür religiöse Motive, rund die Hälfte der Befragten aber wollte vor allem ihrem Körper etwas Gutes tun.

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Dazu kommt: Vielen fällt es nach einer Fastenkur leichter, sich gesünder zu ernähren und sich mehr zu bewegen. „Es steigt die Motivation, Veränderungen in Angriff zu nehmen“, betont Michalsen. „Weil die Ernährungsgewohnheiten durchbrochen werden, sich Krankheitssymptome während des Fastens schnell bessern und die Pfunde schmelzen.“ Auch wenn Abnehmen nicht das eigentliche Ziel ist: Das niedrigere Gewicht lässt sich durch eine Umstellung von Lebensgewohnheiten nach

einer Fastentherapie leichter halten oder sogar weiter reduzieren. STREITPUNKT ENTSCHLACKUNG Positive Studienergebnisse und klinische Erfahrungen haben dafür gesorgt, dass das naturheilkundliche Verfahren auch in der etablierten Ernährungsmedizin immer mehr Anerkennung findet. Umstritten allerdings ist die Vorstellung, sich mit dem Fasten zu „entschlacken“, also von Altlasten im Körper zu befreien.

GESUND FASTEN u  Lassen Sie beim Arzt abklären, ob Sie unter einer Erkrankung leiden, die das Fasten ausschließt. Besprechen Sie auch, ob und wie ein Nahrungsverzicht auf eventuell einzunehmende Medikamente wirkt. Das betrifft insbesondere Mittel gegen Bluthochdruck, Diabetes, Rheuma oder Depressionen sowie Gerinnungshemmer und orale Verhütungsmittel. u  Wählen Sie eine Fastenform, die ein Mindestmaß an Nährstoffen und Energie liefert: Etwa 200 bis 500 Kilokalorien am Tag sind Pflicht. u  Eine Begleitung durch einen fastenerfahrenen Arzt oder nichtärztlichen Fastenleiter ist empfehlenswert, bei Vorerkrankungen zwingend.

u  Beginnen Sie mit ein bis zwei Entlastungstagen, an denen nur leicht verdauliche Lebensmittel erlaubt sind. u  Trinken Sie während des Fastens viel: mindestens 2,5 Liter Wasser oder Kräutertees pro Tag. Verzichten Sie komplett auf Alkohol. u  Sorgen Sie sowohl für Bewegung als auch für Ruhezeiten, vermeiden Sie Stress und reduzieren Sie Ihre Arbeitsbelastung so weit wie möglich. u  Gestalten Sie das Fastenbrechen vorsichtig. Klassischerweise beginnt man mit einem geriebenen Apfel. Schließen Sie daran mindestens ein bis zwei Aufbautage an. Steigern Sie den Fettanteil AN langsam.

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Fettreserven an. „Das Fettgewebe ist das größte hormonbildende Organ im Körper – und die Hormone, die es produziert, haben fast nur negative Effekte“, erläutert der Experte. „Sie können die Entstehung von Bluthochdruck begünstigen und die Ausbildung von Diabetes fördern.“ ES GIBT VIELE FORMEN DES FASTENS Heilfasten nach Buchinger, die Schrothkur, die auf den Fuhrmann Johann Schroth zurückgeht, und Fasten nach dem österreichischen Arzt F. X. Mayr – das sind die beliebtesten traditionellen Fastenformen in Deutschland. Gemeinsam ist ihnen, dass es sich jeweils nicht um eine Nulldiät handelt. Während beim Buchinger-Fasten die Patienten ausschließlich flüssige Nahrung in Form von Gemüsebrühe, Obst- und Gemüsesuppen sowie et-

FOTO: © GETTY IMAGES

Kritiker bestreiten, dass sich im Körper „Schlacken“ ansammeln wie Verbrennungsrückstände in einem Ofenrohr. „Richtig ist: Schlacken in diesem Sinne gibt es im Körper nicht“, sagt Dr. Michael Boschmann, Stoffwechselexperte am Experimental & Clinical Research Center, einer Forschungseinrichtung in Berlin. „Richtig ist aber auch: Fasten führt zu einer Reihe positiver Veränderungen im Stoffwechsel.“ Das fängt mit Fetten und Zucker im Blut an – erhöhte Werte lassen sich durch einen Nahrungsverzicht regulieren. Dazu kommt: „Schädliche Zucker-Eiweiß-Verbindungen im Blut, sogenannte AGEs, werden mit dem Fasten verstärkt ausgeschieden. Sie stehen im Verdacht, Arterienverkalkung und Alterungsprozesse zu beschleunigen“, berichtet Boschmann. Und schließlich zapft der Körper während des Fastens vor allem seine

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was Honig zu sich nehmen, folgt bei Mayr nach einer Phase nur mit Tee und Wasser eine Semmel-Milch-Diät. Die Schrothkur setzt auf eine reizarme Kost mit gedünstetem Gemüse und Obst, Reis, Graupen, Hafer und Grieß. „Dadurch, dass die Fastenden eine kleine Menge Kalorien zu sich nehmen, soll verhindert werden, dass zuviel Muskeleiweiß abgebaut wird“, erklärt Professor Michalsen aus Berlin. Denn der Körper plündert auf der Suche nach Energie zwar hauptsächlich Fettdepots, bedient sich bei Nahrungsmangel aber auch am Muskeleiweiß. Eine geringe Menge zu essen, kann zudem typischen Fastenbeschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Kreislaufproblemen vorbeugen. DIE METHODE IST VOR ALLEM GESCHMACKSSACHE Experten wie Diätassistentin Blumenschein und Stoffwechselforscher Boschmann zufolge ist die Wahl der Methode reine Geschmackssache – und auch davon abhängig, wie gut einem das Begleitprogramm zusagt. Bei der Schrothkur haben Manfred Heide* aus Berlin zum Beispiel die nächtlichen Packungen gestört: feuchte Wickel, die den Körper beim Entschlacken unterstützen sollen. Fasten nach Mayr sagt dem 62-jährigen Selbstständigen viel mehr zu. Bereits viermal hat er sich auf Rügen * Name von der Redaktion geändert

WER SOLLTE FASTEN – UND WER NICHT? Fasten hat sich besonders bei folgenden Erkrankungen bewährt: • Stoffwechselerkrankungen • Schmerzsyndrome • chronisch-entzündliche Erkrankungen • Bluthochdruck • atopische Erkrankungen: Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis • begleitend bei psychosomatischen Erkrankungen In folgenden Situationen ist Fasten nicht erlaubt: • Essstörungen • Untergewicht • unkontrollierte Schilddrüsenüberfunktion • Demenz • Leber- oder Niereninsuffizienz • Schwangerschaft oder Stillzeit

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einer zweiwöchigen Kur nach dieser Methode unterzogen. Die Bauchmassagen, die dazugehören, stören ihn nicht. Im Gegenteil: Sie haben ihm gutgetan. Die Tee-Wasser-Phase, die das Fasten einleitet, macht ihn zwar jedes Mal sehr müde. Das legt sich aber, wenn er dann altbackene Dinkelfladen mit Schafsjoghurt kauen darf, eine Abwandlung der ursprünglichen Brötchen mit Milch. Mit den Erfolgen der Kur ist Heide sehr zufrieden. 02•2017

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WENN SIE ZU HAUSE FASTEN WOLLEN Nicht jeder, der fasten möchte, will dazu gleich in eine Klinik. Auch zu Hause können Sie sich ein paar Tage eine Auszeit vom Essen nehmen. Allerdings: Leiden Sie an einer körFASTEN IST MEHR ALS perlichen oder psychischen ErkranVERZICHT AUF NAHRUNG Die positiven Ergebnisse des Fastens kung, sollten Sie dies nicht ohne sind den Experten zufolge nicht nur ärztliche Begleitung tun. Denn die auf den Nahrungsverzicht zurück- Wirkung von Medikamenten kann sich durch die Umstelzuführen, sondern lung des Stoffwechsels auch auf das Begleitbeim Nahrungsverzicht programm in vielen FasÜber längere tenkliniken: Gymnastik, Zeit ein bis zwei enorm abschwächen Wanderungen, Massa- Tage die Woche oder verstärken, sodass gen, Bäder, Meditation, auf Nahrung zu ein möglichst fastenerfahrener Arzt die DoEntspannungsmethoverzichten, den, Coaching und kann dieselben sis anpassen muss. Aber auch gesunden psychotherapeutische positiven Menschen empfiehlt Angebote ergänzen das Wirkungen wie Diätassistentin BlumenFasten. herkömmliche schein, sich vorher beim „Das Heilfasten setzt Fastenarten Hausarzt untersuchen einen tief greifenden haben zu lassen. Auch beim Prozess in Gang, bei Fasten in den eigenen dem sich nicht nur der Körper umstellt, sondern sich auch vier Wänden geht es nicht nur darum, das Bewusstsein erweitert“, meint auf Essen zu verzichten. „Die positiDr. Françoise Wilhelmi de Toledo, die ven Wirkungen können sich nur entzusammen mit ihrem Mann die Klinik falten, wenn Sie für Entschleunigung Buchinger Wilhelmi in Überlingen und ein gesundes Gleichgewicht von am Bodensee leitet. Ihr Mann ist ein Ruhe und Bewegung sorgen“, betont Enkel des Arztes Dr. Otto Buchinger, Blumenschein. der 1935 den Begriff des „Heilfastens“ prägte. Eine Fastenkur gebe gesun- LANGSAM EINSTEIGEN – den wie kranken Menschen Zeit und ACHTSAM AUSSTEIGEN Raum, über das eigene Leben nach- Steigen Sie langsam ins Fasten ein, am zudenken und sich mehr nach innen besten mit einem oder zwei Entlastungstagen (siehe Kasten auf Seite 51). zu wenden.

„Meine Zucker-, Cholesterin- und Harnsäurewerte haben sich deutlich verbessert, mein Blutdruck ist gesunken und ich habe ein paar Kilos verloren“, erzählt er.

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Länger als eine Woche sollten Sie zu Hause nicht auf Nahrung verzichten. Nach dem Fasten ist langsamer Kostaufbau die Devise. Dafür sollten Sie sich bis zu drei Tage Zeit nehmen und dabei auf eine Ernährung mit viel Ballaststoffen und wenig tierischen Fetten achten. Wer zu schnell wieder zu großen Portionen greift, riskiert Übelkeit, gar Erbrechen. Eine Alternative zum einwöchigen Nahrungsverzicht ist das sogenannte intermittierende Fasten: Dabei wird an ein bis zwei Tagen in der Woche nichts gegessen. Über längere Zeit durchgehalten, zeigt diese Methode dieselben positiven Wirkungen wie

herkömmliche Fastenarten. Das belegen Studien. Wer den Nahrungsverzicht ausprobieren will, hat also die Qual der Wahl: Reisfasten, Getreidefasten, Eiweißfasten, Kartoffelfasten, Saftfasten, Heilfasten nach Schroth, Mayr, Buchinger. Die experimentierfreudige Ernährungsfachfrau Birgit Blumenschein hat viele Formen ausprobiert und sich schließlich für das Getreidefasten entschieden. Dreimal im Jahr folgen heute bei ihr nach einem Dinkel-, je ein Hirse-, Reis-, Hafer- und ein gemischter Getreidetag. Birgit Blumenschein: „Letztlich muss jeder seine individuelle Fastenform finden.“

UNGLEICHES DUELL Krümel, der Hund meiner Nachbarin, war gestorben. Da die Dame bereits etwas älter war, überlegte sie, ob sie es verantworten konnte, wieder einen Hund anzuschafen. Doch ohne Tier wollte sie nicht leben, deshalb kaufte sie einen Wellensittich. Danach erfuhr sie, dass jemand ein neues Frauchen für die achtjährige Hündin Dina suchte – und meine Nachbarin konnte nicht anders: Sie nahm Dina bei sich auf. In der ersten Zeit klappte das Zusammenleben reibungslos: Der Vogel sang in und auf seinem Bauer, Dina kuschelte sich auf dem Fußboden in ihre Decke. Eines Tages jedoch hüpfte der Wellensittich auf den Fußboden, und Dina bekam so einen Schreck, dass sie die Flucht ergrif. Ein Fehler – denn ab diesem Zeitpunkt beobachtete der Wellensittich den Hund genau, und wenn Dina ins Zimmer kam, log der Vogel auf den Fußboden und verfolgte Dina, die sich ängstlich verkroch. Meine Nachbarin muss seither den Wellensittich immer auf seinen Bauer scheuchen, damit Dina wieder Ruhe hat. R. JENTSCH, B e r n a u 02•2017

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In einem exklusiven Auszug aus seinem neuen Buch weist Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow uns den steinigen Weg in eine Zukunft ohne Kriege

„Wir sind eine Menschheit“ VO N F R A N Z A LT

MIT SEINER POLITIK der Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) leitete Michail Gorbatschow in den 1980er-Jahren das Ende des Kalten Krieges ein. Im Gespräch mit dem renommierten Journalisten Franz Alt fordert das ehemalige sowjetische Staatsoberhaupt ein weltweites Umdenken, das die Bekämpfung des Terrors, Sicherheit für Europa und Gewaltverzicht als seine Säulen nutzt.

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FOTO: © JAMES HILL/LAIF

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Franz Alt: Durch Ihre Politik von Glasnost und Perestroika und durch Ihren festen Willen zur Abrüstung konnte der Kalte Krieg im 20. Jahrhundert beendet werden. Aber heute ist das Klima zwischen Russland und dem Westen wieder ähnlich frostig wie in den Hochzeiten des Kalten Krieges. Warum erleben wir heute einen Rückfall und keinen Fortschritt? Michail Gorbatschow: Die gegenwärtige Zuspitzung der internationalen Lage ist tatsächlich besorgniserregend. Doch die Abkühlung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen hat nicht heute angefangen. Sie wurzelt in den frühen 1990erJahren. Nachdem wir – durch gemeinsame Anstrengungen von Ost und West – den Kalten Krieg beendet hatten, erwarteten viele, dass diese historische Leistung mit zunehmendem Vertrauen und allgemeiner Verbesserung der Beziehungen zwischen Staaten einhergehen und dass sie auch nachhaltig gesichert würde. Stattdessen verlief die Entwicklung in entgegengesetzter Richtung. Nach meiner Überzeugung fing alles damit an, dass die westlichen Mächte, vor allem die USA, Ereignisse wie den Zerfall der Sowjetunion und die Beendigung der Konfrontationspolitik falsch eingeschätzt haben. Sie haben sich schlichtweg zu den Siegern im Kalten Krieg erklärt. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, noch stärker zu werden und die militärische Überlegenheit noch mehr zu steigern. 58

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Ich glaube, die gegenwärtige besorgniserregende Weltlage gibt meiner Einschätzung recht. Durch die Rückkehr zur Politik der Stärke hat niemand gewonnen, doch verloren haben dabei alle. Was heißt es konkret und praktisch, wenn Sie ein „grundlegendes weltpolitisches Umdenken“ fordern? Wir erleben heute Zeiten der Wirren. Und gerade deshalb, weil wir aus der Vergangenheit nicht lernen, fallen wir immer wieder in die alten Denk- und Verhaltensmuster zurück. Dabei ist es gar nicht so lange her, dass die Welt bereit war, zu einem „neuen Glauben“ zu konvertieren und sich die Leitsätze des Neuen Denkens zu eigen zu machen. Angestoßen hatte dies unser Land mit seiner Perestroika. Doch die Idee an sich ist viel älter.

DURCH DIE RÜCKKEHR ZUR POLITIK DER STÄRKE HAT NIEMAND GEWONNEN, DOCH VERLOREN HABEN DABEI ALLE Mitte des 20. Jahrhunderts nahm das Leben auf unserem Planeten eine drastische Wendung: Die Atombombe wurde geboren, und die Menschheit war plötzlich nicht mehr unsterblich.

AUS: KOMMT ENDLICH ZUR VERNUNFT – NIE WIEDER KRIEG! VON MICHAIL GORBATSCHOW/FRANZ ALT

FOTO: © GETTY IMAGES

Der Erste, der über die Notwendigkeit eines Neuen Denkens im atomaren Zeitalter öffentlich sprach, war Albert Einstein. Von nun an stand das wichtigste universelle Interesse im Vordergrund: Die Erhaltung des Lebens auf der Erde. Mitte der 1980erJahre ähnelte unsere Welt einem mit Sprengstoff voll beladenen Lastwagen, der ungebremst den Berg hinunterdonnerte. Es war notwendig, dass die Hauptakteure einen Schritt von der roten Linie zurücktraten. In Genf erklärten US-Präsident Reagan und ich gemeinsam, dass ein Atomkrieg unzulässig sei und dass es in so einem Krieg keine Sieger geben könne. Anschließend wurde das historische Ziel formuliert, die Atomwaffen vollständig zu vernichten. Der Sinn des Neuen Denkens bestand – kurz zusammengefasst – darin, den Weg zu einer stabileren, sichereren, gerechteren und humaneren Gesellschaft einzuschlagen. Erfolg erzielen kann man dabei ausschließlich durch gemeinsame Bemühungen aller Länder und Völker. Die Leitsätze des Neuen Denkens sind immer noch aktuell. Was können Russland und der Westen jetzt tun, um eine bessere Zukunft auf unserem gemeinsamen Planeten Erde zu finden? Die Weltpolitik braucht eine positive Agenda, sie braucht sie wie die Luft zum Atmen. Ich würde an dieser Stelle zwei Prioritäten setzen: die Terror-

Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus

bekämpfung und die europäische Sicherheit. Jetzt wäre meines Erachtens der geeignete Zeitpunkt, mit der Vorbereitung eines Terrorbekämpfungspaktes zu beginnen. Am besten unter der UNO-Ägide. Was Europa angeht, so ist es an der Zeit, einen neuen großen Vertrag zur Modernisierung des europäischen Sicherheitssystems zuwege zu bringen. Er muss auf der Ebene der Staatsund Regierungschefs beschlossen werden – so, wie es 1975 in Helsinki und 1990 in Paris der Fall war. Eine neue Sicherheitsarchitektur muss her. Es gibt ein russisches Sprichwort: „Unter einem fest auf der Stelle liegenden Stein fließt das Wasser nicht 02•2017

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mehr.“ Wären die Deutschen beispielsweise Ende der 1980er-Jahre untätig geblieben, dürften sie heute noch in einem geteilten Land leben. Sie sind aber auf die Straße gegangen, um ihren Willen zur Einheit lautstark und unmissverständlich kundzutun. Tausende von Menschen zogen durch die Straßen und hielten ihre Spruchbänder hoch: „Wir sind ein Land! Wir sind ein Volk“. Heute sollten wir eine neue, eine äußerst wichtige Botschaft zu unserer Devise erklären und diese hochhalten: „Wir sind EINE Menschheit! Wir leben auf EINEM Planeten!“ Nach dem NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 sagten Sie: „Dieser Gipfel war beinahe eine Kriegserklärung an Russland.“ Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung? 60

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Sie werden mir zustimmen, dass die Spannungen in der Welt seit zweieinhalb Jahrzehnten jetzt den Höchststand erreicht haben. Statt nach einem Ausweg aus der bedrohlichen Lage zu suchen, erging sich der JuliNATO-Gipfel währenddessen in kriegerischer Rhetorik und steigerte das feindselige Klima noch mehr. Und wäre es dabei nur bei der Rhetorik geblieben! Aber nein, es wurde beschlossen, Truppen und militärisches Gerät näher an Russlands Grenzen heranzubringen. Im Volksmund heißt das: Öl ins Feuer gießen. Die NATO-Führung provoziert die eigenen Mitglieder, indem sie in ihnen den militanten Geist anstachelt und Säbelrasseln schmackhaft macht. Sie provoziert Russland, denn es ist offenkundig, dass Russland auf solche

FOTO: © SYGMA VIA GETTY IM AGES

Von links: der indische Premierminister Rajiv Gandhi, Gorbatschow mit Ehefrau Raisa und Sonia Gandhi

Handlungen mit einer harten Antwort reagieren muss. Warum muss Russland hart reagieren? Russland wird immer mehr in die Konfrontation hineingezogen. All das geschieht in einer Situation, in der weltweit der Terrorismus wütet. In der in Syrien Kampfhandlungen stattfinden. In der es nicht gelingt, die Einhaltung des Minsker Abkommens hinsichtlich der Ukraine durchzusetzen. In der auf den Weltmeeren bis an die Zähne bewaffnete Kriegsschiffe und in der Luft mit Raketen bestückte Kampfflugzeuge dauernd unterwegs sind und wir mitbekommen, wie gefährlich nah sie sich mal wieder gekommen sind. Und was, wenn da einer die Nerven verliert und durchdreht? Ich übertreibe nicht. Fast täglich sind wir nur um Haaresbreite von einem – gar nicht kalten – Krieg entfernt. Die reichsten 62 Menschen verfügen über mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit. Wie können wir eine Politik des Gemeinwohls organisieren? Ja, Armut und Rückständigkeit sind nicht einfach nur ein ernstes Problem. Sie sind eine der gefährlichsten globalen Herausforderungen, mit denen die Menschheit heutzutage konfrontiert ist. Mehr noch: In Armut wurzeln praktisch alle globalen Probleme: Umweltverschmutzung, wirtschaftliche Instabilität, Terrorismus, soziale Ausgrenzung, explosionsartige Migration

und viele andere negative Aspekte der Globalisierung. Neulich wurden Zahlen veröffentlicht, denen zufolge 1 Pro zent der Weltbevölkerung mehr Vermögen besitzt als die restlichen 99 Prozent. Eine derart drastische Konzentration an Vermögen untergräbt die Demokratie, stellt den Zusammenhalt der Gesellschaft infrage, durchkreuzt jegliche Perspektive auf gleiche Chancen für alle. Die Massenarmut bremst ihrerseits die wirtschaftliche Entwicklung, verursacht Instabilität, begünstigt Kriminalität und Terrorismus. Die Geschichte lehrt uns, dass dauerhafte positive Veränderungen nur durch Gewaltfreiheit zu erreichen sind. Wie schaffen wir eine bessere Welt ohne Gewalt? Verzicht auf Gewalt ist für mich eine der Grundlagen einer neuen, humanistischen Zivilisation, die die besten Köpfe der Menschheit anstrebten und anstreben. Schon 1986 habe ich mit dem indischen Premier Rajiv Gandhi ein wichtiges Dokument unterzeichnet: die Erklärung von Delhi. Eine ihrer Schlüsselaussagen lautete: „Gewaltfreiheit soll die Lebensgrundlage der menschlichen Gemeinschaft sein“. Ich halte das Prinzip der Gewaltfreiheit für universell. Der Versuch, den Segen der Demokratie mit Waffengewalt aufzuzwingen, löste und löst eine abstoßende Reaktion aus. Heute steht die Welt am Scheideweg. Ich wiederhole hier das, was 02•2017

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ich bei der Jahrtausendwende gesagt habe: „Das 21. Jahrhundert wird entweder ein Jahrhundert der totalen Zuspitzung einer todbringenden Krise oder ein Jahrhundert der moralischen Reinigung und der geistigen Genesung der Menschheit, ihrer allumfassenden Renaissance“. Was ist die Summe Ihrer persönlichen und politischen Erfahrungen? Ich sage etwas, von dem ich auch heute noch fest überzeugt bin: Die höchsten Güter, wenn es um gesellschaftlich-politische Werte geht, waren und bleiben für mich Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese Werte predigten viele, die für die Würde und die Befreiung der Menschen kämpften. Und mein Leben, mittlerweile ein langes Leben, hat mich überzeugt : Bist du ein Mensch, ist es deine Pflicht, für diese Werte einzustehen. Bei allem Respekt, den ich den nationalen Interessen, Besonderheiten und Kulturen zolle, wäre ich glücklich,

wenn uns allen und jedem Einzelnen von uns in der heutigen Welt, die immer globaler wird, eins bewusst würde: Wir leben auf EINEM Planeten, und wir sind EINE Menschheit. Es gibt zwei Wege, zu dieser Einsicht zu gelangen und entsprechend zu handeln – entweder durch Vernunft oder durch die Angst vor einer unvermeidlichen Katastrophe, wenn die Menschheit tatsächlich am Abgrund steht. Geht man den zweiten Weg, so läuft man Gefahr, es im allerletzten Moment doch nicht mehr zu schaffen, zurückzutreten. Ich glaube fest daran, dass meine Mitbewohner des Planeten Erde genug Kraft aufbringen werden, sich für den ersten Weg zu entscheiden. Ich halte mich für einen Optimisten. Ich glaube, Pessimist zu sein heißt, den Lebenssinn verloren zu haben. Dieser exklusive Auszug stammt aus „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg“ von Michail Gorbatschow/Franz Alt, 60 Seiten, Benevento Verlag, Preis: 7 Euro

SEHNSUCHT Wo die Männer versagen, da ruft man nach dem Mann. Der Faschismus, der überall anders, überall in neuer nationaler Vermummung auftritt, weist in allen Ländern diesen einen gemeinsamen Wesenszug auf: die Sehnsucht nach dem Diktator. Die erschlaften Völker suchen nach einem Hirn, das für sie denkt, nach einem Rücken, der für sie trägt. CARL VON OSSIETZKY,

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dt. Schriftst. u. Friedensnobelpreisträger (1889-1938)

ILLUSTRATION : © HERM AN® VON JI M UNGER GENEHM I GT VON LAUGHI NGSTOCK L ICE NSING INC. , KANADA

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„Ist es okay, wenn ich mich am Ohr kratze?“

EIN KLEINER JUNGE ist mit seiner

Mutter beim Kinderarzt und soll geimpft werden. Da fragt ihn der Arzt: „Weißt du denn, wogegen ich dich impfe?“ Antwortet der Kleine: „Na klar, gegen meinen Willen.“

ändern. Lassen Sie den Nebenbuhler nicht durch Gift, sondern durch einen Schuss aus der Pistole sterben.“ Fragt der Autor: „Warum denn das?“ „Damit das Publikum wieder aufwacht!“ L. I.

RAINER STIBANE, B a d Kr o z i n g e n

FRAGT DER junge Bühnenautor

den Regisseur: „Und, wie gefällt Ihnen mein neues Stück?“ „Ganz gut, ich würde aber die Mordszene am Ende des ersten Akts

DER GAST ruft den Oberkellner und beschwert sich: „Das Cordon bleu habe ich auch schon mal besser gegessen.“ Der Ober: „Aber bestimmt nicht bei uns.“ B. W. 02•2017

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Bei schlechtem Wetter steckt unser Autor am Flughafen fest. Da erhält er ganz unverhofft Hilfe

Mein namenloser Helfer

D

IE B OEING 747 der Swiss Air landete um 6.30 Uhr auf dem Züricher Flughafen. Durch das Fenster erkannte ich die schneebedeckte Landebahn. Es war Anfang Februar 1993. Draußen herrschte finstere Nacht, als ich mich auf den Weg zum Transferschalter machte. Ich wollte nach Lugano weiterfliegen und die letzten 30 Kilome-

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ter zu meinem Arbeitgeber in Luino, Italien, mit dem Auto zurückzulegen. Am Check-in-Schalter bat ich um einen Fensterplatz für den Flug nach Lugano. Die Dame am Schalter meinte, es gäbe in der einmotorigen Propellermaschine mit je einer Sitzreihe links und rechts des Gangs nur Fensterplätze für die maximal zwölf Passagiere. Ich schluckte nervös.

FOTO: © FOTOLIA.COM

VO N P. V. R . R AO

Das wacklige kleine Flugzeug erinnerte mich an eine fliegende Rikscha. Mutig ging ich mit zehn weiteren Passagieren an Bord. Während die Maschine zur Startbahn rollte, machte der Pilot eine Durchsage: „Sehr geehrte Reisende, der Flughafen Lugano war in den letzten vier Tagen wegen starken Schneefalls gesperrt. Wir werden heute versuchen, dort zu landen.

Sollte das nicht gelingen, fliegen wir Sie nach Venedig!“ Sofort hob ich die Hand, um meinen Unmut kundzutun: Ich wollte unter keinen Umständen nach Venedig, lieber blieb ich in Zürich. Vier weiteren Fluggästen ging es genauso. Die Flugbegleiterin und der Kapitän beratschlagten kurz miteinander. Dann wendete der Pilot das Flugzeug und 02•2017

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Flughafenmitarbeiter stellte uns Gutscheine aus, um erster Klasse mit dem Zug nach Lugano zu reisen – ohne zusätzliche Kosten. Bob lotste mich vom Flughafen zum Bahnhof. Als er sah, dass ich Mühe mit meinem Gepäck hatte, bot er mir wieder seine Hilfe an. Das nächste Problem war, dem Fahrer, der am Flughafen von Lugano auf mich warten würde, mitzuteilen, dass ich am Bahnhof ankommen würde. Mobiltelefone gab’s damals noch nicht. Außerdem war SonnES WAR NOCH DUNKEL, tag, bei meinem Arund ich fühlte mich beitgeber wäre sowieso leicht benommen. EiObwohl er niemand erreichbar. ner der Passagiere formich nicht Doch Bob sprang mir derte mich auf, ihm zu kennt, nimmt auch diesmal bei: Er folgen. Er war Schweitätigte mehrere Anrufe, zer, um die 50 und zuder Mann die bis er schließlich die vorkommend. Da ich Mühe auf sich, Flughafenmitarbeiter in seinen Namen bis heute mich über die Lugano darum bitten nicht kenne, nenne ich Grenze zu konnte, dem Fahrer mitihn einfach Bob. Ich fahren zuteilen, er möge mich schloss mich ihm an am Hauptbahnhof statt und schleppte meine am Flughafen abholen. schweren Taschen mehr als 300 Meter über das Rollfeld. Bob schien ein Vielreisender zu NACHDEM ICH in der ersten Klasse sein; jedenfalls kannte er sich auf dem Platz genommen hatte, atmete ich Flughafengelände gut aus. Wir betra- endlich auf. Ich lehnte mich zurück ten den Terminal durch einen Hinter- und genoss die dreistündige Zugfahrt eingang. Über verwinkelte Korridore nach Lugano. Die Eisenbahnstrecke und mehrere Treppen gelangten wir schlängelte sich durch die malerische endlich in die beleuchtete Halle. Schweizer Landschaft, die immer Am Informationsschalter stell- wieder im dichten Schneegestöber ten wir uns ans Ende einer langen verschwand. Schlange. Als wir an der Reihe waIch war neugierig darauf, mehr über ren, schilderte Bob unsere Lage. Der meinen Reisebegleiter zu erfahren, rollte zurück. In einiger Entfernung zum Flughafengebäude blieben wir stehen. Aus dem Schneefall hatte sich ein Schneesturm mit Regen und Graupel entwickelt. Nachdem uns die Crew beim Aussteigen geholfen hatte, harrten wir durchnässt und frierend bei minus sechs Grad neben dem Flugzeug aus. Der Pilot war ebenfalls ausgestiegen und lud unsere Koffer und Taschen aus dem Gepäckraum.

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aber wir sprachen kaum miteinander. Wir waren beide erschöpft. Außerdem hatte Bob im Flugzeug eine Bekannte getroffen, die im selben Zug saß. Mit ihr unterhielt er sich nun. Gegen 15 Uhr erreichten wir Lugano. Beim Aussteigen fiel uns sofort auf, dass der normalerweise belebte Bahnhof wie leer gefegt war. Auch mein Fahrer war nirgends zu sehen. Am Taxistand warteten einige wenige Fahrzeuge. Bob winkte seiner Frau und seinen beiden Töchtern zu, die ihn abholten. Ich bedankte mich bei Bob und sagte: „Auf Wiedersehen“. Bob bedeutete mir jedoch zu warten: Er wollte mir ein Taxi besorgen, das mich nach Luino brachte. Mir verschlug es fast die Sprache angesichts so viel Hilfsbereitschaft. Dann murmelte ich leise „Danke“ und wartete. K E I N E R D E R TA X I FA H R E R war bereit, bei dem schlechten Wetter die weite Strecke über die Grenze zu fahren. Mit einem italienischen Fahrer, der schließlich doch eingewilligt hatte, führte Bob plötzlich eine hitzige Diskussion in fließendem Italienisch. Dann zerrte er wütend mein Gepäck aus dem Taxi und verstaute es in seinem Auto. Bob erklärte mir, dass der Taxifahrer eine exorbitant hohe

Summe gefordert hatte, umgerechnet rund 500 US-Dollar. „Kommen Sie, ich bringe Sie hin“, sagte er zu mir, noch immer in Rage. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und stimmte zu. Obwohl er mich nicht kannte, nahm dieser Mann die Mühe auf sich, meinetwegen bei furchtbarer Witterung 60 Kilometer (30 in jede Richtung) über die Grenze zu fahren! Er hatte schon mehr als genug für mich getan; es wäre nur verständlich gewesen, wenn er nach der langen Reise lieber mit seiner Familie nach Hause gefahren wäre. Während unserer Fahrt nach Luino erfuhr ich, dass Bob viele Jahre in Asien und in Singapur für eine Bank gearbeitet hatte. Er kannte die für Inder geltenden Devisenbeschränkungen und vermutete richtig, dass ich wenig Bargeld dabei hatte. Als er mich an meinem Hotel in Luino absetzte, dankte ich ihm überschwänglich. Ehe ich ihn nach seinem Namen fragen konnte, was ich die ganze Zeit über hatte tun wollen, winkte er mir fröhlich zum Abschied und fuhr in Richtung Lugano davon. Bis heute ist er für mich ein unbekannter Samariter geblieben. Der Autor ist 82 Jahre alt und genießt seinen Ruhestand in Bangalore, Indien.

Nach „lieben“ ist „helfen“ das schönste Zeitwort der Welt. BERTHA VON SUTTNER,

österr. Schriftstellerin (1843-1914)

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Sie erstaunen und bezaubern uns. Eine Reise in ...

DieWelt der

Bäume

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FOTO: © DAVI D SOANES/GETTY I MAGES

Diese Buchenreihe in Nordirland wird „Dark Hedges“ (dunkle Hecken) genannt

FOTOS: (PA NZERKI EF ER) © OLI VER KONTER; (EUKALY PTUS) © M .M. SW EET/G E TTY IMAG E S; (M IS CHWA LD) © NICK BRUNDLE/GETTY IM AGES; ( BONN) © ANDRE DI STEL /G E TTY IMAG E S

Die Panzerkiefer namens Adonis steht in Griechenland und ist mit 1075 Jahren wohl der älteste Baum in Europa (oben); RegenbogenEukalyptus auf Hawaii (rechts); Kirschblüte in Bonn (rechte Seite); herbstlicher Mischwald bei Skanderborg in Dänemark (unten)

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FOTOS: (JACARANDAS) © DEN DENAL81/GETTY IM AGES; ( DRACHENBLUTBÄUM E) © RHONDA G U TE NBE RG /G E TTY IMAG E S; (JOSUA BÄUME) © M ICHA EL MA RQUAND/GETTY IMAGES; (A FFENBROTBÄUM E) © PATRICK E OCHE

Jacarandas in Südafrika (linke Seite); Drachenblutbäume im Jemen (oben links); Josuabäume in Kalifornien (oben rechts); Affenbrotbäume auf Madagaskar (unten). Der Wald, der ursprünglich um die Riesen herumstand, wurde gerodet

Eine Journalistin gibt sich im Internet als konvertierte Muslimin aus und gerät in tödliche Gefahr

Der

Terrorist, DER MICH LIEBTE VO N A N N A E R E L L E *

S

alam alaikum (sei gegrüßt), Schwester. Du hast mein Video angeschaut. Bist du Muslimin?“ Es war 22 Uhr an einem Freitag im April 2014. Ich saß auf dem Sofa meiner Einzimmerwohnung in Paris, als ein Terrorist aus Syrien über Facebook Kontakt zu mir aufnahm. Ich hatte mich mit europäischen Dschihadisten (Anhänger des heiligen Krieges) im Islamischen Staat beschäftigt und versuchte zu verstehen, was einen Menschen dazu bewegt, alles aufzugeben und für diese Sache den Tod in Kauf zu nehmen. Wie viele Journalisten hatte ich ein fiktives Facebook-Konto angelegt, um aktuelle Ereignisse im Auge behalten zu können. Mein Profilfoto war ein Bild der Prinzessin Jasmin aus dem Disney-Zeichentrickfilm Aladdin. Ich hatte angegeben, in Toulouse * Name von der Redaktion geändert

ILLUSTRIERT VON JAN FEINDT

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zu leben, einer Stadt im Südwesten von Frankreich. Bei diesem FacebookAccount hieß ich Mélodie. Mélodies Alter: 20 Jahre. Während meiner Nachforschungen hatte ich auf YouTube viele Propagandavideos gefunden, voller Bilder von Folterungen und in der Sonnenglut nebeneinander aufgereihten verbrannten Leichen. Was diese Videos besonders unerträglich machte, war das jungenhafte Gelächter, das sie begleitete. An jenem Freitagabend stieß ich auf das Video eines französischen Dschihadisten, der Mitte 30 zu sein schien. Der Mann in dem Video trug einen Kampfanzug und eine Ray-Ban-Brille. Er nannte sich Abu Bilel. Angeblich befand er sich in Syrien, und im Kofferraum seines Gelände wagens sah man neben der kugelsicheren Weste ein Maschinengewehr. Später sollte ich erfahren, dass Abu Bilel die letzten 15 Jahre als Vertrauter des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi den bewaffneten Dschihad in die ganze Welt getragen hatte. Schon bald nachdem ich das Video geteilt hatte, gingen drei Privatnachrichten an Mélodie ein – alle von Abu Bilel. „Hast du vor, nach Syrien zu kommen?“, fragte er in einer davon. „Wa-aleikum as-salam (sei ebenfalls gegrüßt). Ich hätte nicht geglaubt, dass ein Dschihadist mit mir sprechen würde“, antwortete ich. „Hast du nicht wichtigere Dinge zu tun? LOL.“ In meiner Nachricht erzählte ich ihm, 76

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dass ich zum Islam konvertiert war. Ich baute absichtlich Rechtschreibfehler ein und verwendete das Vokabular eines Teenagers. „Natürlich habe ich viel zu tun! Aber hier ist es elf Uhr abends und die Kämpfe sind für heute beendet. Lass uns über Skype miteinander reden.“ Skypen kam gar nicht infrage! Ich schlug vor, ein andermal zu reden. Abu Bilel verstand. Er würde sich morgen wieder für Mélodie bereithalten, wann immer sie wollte. „Du bist konvertiert, also solltest du dich auf deine Hidschra (Auswanderung) vorbereiten. Ich werde für dich sorgen, Mélodie.“ Er wusste nicht das Geringste über dieses Mädchen und bereits jetzt lud er sie ein, sich ihm im blutigsten Land der Welt anzuschließen. ALS WIR DAS NÄCHSTE MAL mit-

einander Kontakt hatten, fragte mich Bilel: „Hast du einen Freund?“ „Nein, habe ich nicht“, antwortete ich als Mélodie. „Aber meine Mutter wird gleich nach Hause kommen. Ich muss meinen Koran verstecken und ins Bett gehen.“ „Schon bald wirst du nichts mehr verstecken müssen, Inschallah (so Gott will)! Ich möchte dir helfen bei dem Leben, das dich hier erwartet. Aber bevor du schlafen gehst: Kann ich dein fester Freund sein?“ Ich beendete den Facebook-Chat. Wir hatten in einem Zeitraum von zwei Stunden 120 Nachrichten ausgetauscht.

AUS: DANS LA PEAU D’UNE DJIHADISTE VON ANNA ERELLE; © 2015 ÉDITIONS ROBERT LAFFONT, S.A., PARIS

An jenem Montag eilte ich zu der Mélodie betrachtete, glühten Bilels Zeitschriftenredaktion, für die ich Augen. Nach seinem Tag an der Front freiberuflich arbeite. Der mich be- machte er einen gepflegten Eindruck. „Salam alaikum, meine Schwester“, treuende Redakteur war der Meinung, dass es sich um eine einzigartige Ge- sagte er. Ich lächelte. „Es ist verrückt, dass legenheit handelte, doch er warnte mich auch vor den Gefahren. Er bat ich mit einem Mudschahed in Syrien mich, vorsichtig zu sein und stellte spreche. Als hättest du besseren Inmir den Fotografen André zur Seite. ternetzugang als ich hier in Toulouse!“ „Syrien ist fantastisch. Wir haben Ich sollte Bilels Bitte, mit ihm zu skypen, nachkommen und André würde hier alles. Maschallah (wie Gott will), glaube mir: Es ist das Paradies auf ErFotos davon machen. Eine andere Redakteurin lieh mir den! Viele Frauen träumen von uns. einen Hidschab (Schleier) und eine Wir sind die Krieger Allahs.“ „Aber in deinem Paradies sterben Dschellaba (langes, schwarzes Gewand). Ich war froh, sie tragen zu täglich Menschen ...“ „Das stimmt, und jeden Tag kämpfe können. Der Gedanke, dass ein Terrorist wissen würde, wie ich aussehe, ich dafür, dass das Töten aufhört. Unbegeisterte mich nicht. Vor allem ser Feind hier ist der Teufel. Sag mal, deshalb nicht, weil der betreffende trägst du den Hidschab jeden Tag?“ Mélodie lieferte eine Antwort, die Mann jederzeit in sein Heimatland sich auf Aussagen von heimlich zum Frankreich zurückkehren konnte. Gegen sechs Uhr abends traf An- Islam konvertierten Mädchen stützte, dré in meiner Wohnung ein. Ich zog denen ich in meinen Jahren als JourMélodies bodenlange Dschellaba nalistin begegnet war. „Ich ziehe mich über Jeans und Pulli. Dann streifte morgens ganz normal an. Dann verich meine Ringe ab und bedeckte abschiede ich mich von meiner Muteine Tätowierung an meinem Hand- ter, und wenn ich aus dem Haus bin, gelenk mit Make-up. Ich setzte mich ziehe ich meine Dschellaba und meiaufs Sofa und André positionierte sich nen Hidschab über.“ „Ich bin stolz auf dich. Du hast eine hinter mir im toten Winkel. Zu meiner Sicherheit sollte Bilel meine Telefon- schöne Seele. Und auch von außen nummer nicht erfahren, deshalb hatte bist du sehr hübsch.“ Bilel musterte Mélodie eine eigene. Zudem hatte ich Mélodie mit lüsternem Blick. Plötzlich durchbrachen kräftige Männerfür sie ein Skype-Konto angelegt. Wie eine Kirchenglocke klang der stimmen die Stille. „Kein Wort!“, befahl Bilel. „Ich Skype-Klingelton durch den Raum. Ich atmete tief durch, drückte dann auf die möchte nicht, dass dich jemand sieht Taste und da war er. Als er die junge oder hört! Du bist mein Juwel.“ 02•2017

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Ich lauschte dem Gespräch und konnte zwei weitere Männerstimmen heraushören. Sie begrüßten Bilel auf Arabisch, wechselten dann aber ins Französische. Sie lachten viel und beglückwünschten sich damit, „sie abgeschlachtet“ zu haben. In der Ferne flatterten die schwarzen Fahnen des IS. Die anderen Männer hatten Respekt vor Bilel. Mein Gesprächspartner schien einen höheren Rang zu bekleiden als sie. Eine

Für Bilel war bereits alles entschieden: Mélodie würde zu ihm kommen. „Ich weiß nicht genau, ob ich wirklich gehen möchte ...“ „Hör zu, Mélodie. Man wird sich hier gut um dich kümmern. Und wenn du einwilligst, mich zu heiraten, werde ich dich wie eine Königin behandeln.“ Ihn heiraten?! In einer Art Überlebensreflex beendete ich hastig die Skype-Sitzung. Ich zog den Hidschab bis zum Hals herunter und drehte

„Wenn du einwilligst, mich zu heiraten, werde ich dich wie eine Königin behandeln.“ Minute später verabschiedete er sich von seinen Kampfgenossen. „Oh, du bist noch da! Und noch immer so schön ...“ „Wer waren die beiden?“ „Kämpfer, die Hallo sagen wollten. Aber egal, erzähle mir von dir! Was hat dich dazu gebracht, dem Weg Allahs zu folgen?“ Ich begann zu stottern. Ich hatte nicht die Zeit gehabt, für Mélodie eine Lebensgeschichte zu erfinden. „Einer meiner Cousins ist Muslim, und es fasziniert mich, welchen inneren Frieden ihm seine Religion gibt. Er hat mich zum Islam geführt“, sagte ich. „Weiß er, dass du nach Syrien kommen möchtest?“ 78

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mich zu André um, der genauso entsetzt war wie ich. Wie sollte ich auf Bilels Antrag reagieren? André schlug vor zu erklären, dass Mélodie, die ja noch unverheiratet war, nicht allein nach Syrien reisen wollte. Falls sie sich überhaupt dazu entschließen würde. Bilel rief erneut an. „Meine Freundin Yasmine ist Muslimin“, sagte ich. „Ich könnte sie bitten, mich zu begleiten, aber sie ist erst 15.“ „Hier erwartet man von Frauen, dass sie heiraten, wenn sie 14 Jahre alt werden. Wenn Yasmine mitkommt, werde ich ihr einen guten Ehemann suchen.“ „Ich muss aufhören. Meine Mutter kommt nach Hause.“

„Ich werde morgen nach den Kämpfen wieder hier sein, wie immer, um sieben. Inschallah ... Gute Nacht, mein Baby.“ Mein Baby? Nachdem Bilel öffentlich verkündet hatte, er beabsichtige Mélodie zu heiraten, wurde die Liste ihrer Facebook-Freunde immer länger. Mädchen fragten Mélodie, was die sicherste Reiseroute nach Syrien sei. „Soll ich einen Vorrat an Damenbinden mitnehmen oder kann man die dort auch kaufen?“; „Wenn ich in Syrien ohne Ehemann ankomme, ist es wahrscheinlich keine gute Idee, die Aufmerksamkeit dadurch auf mich zu ziehen, dass ich String-Tangas dabei habe. Aber werde ich sie dort auch kaufen können?“ Ich war perplex, wie sehr diese Mädchen, die den Tod in Kauf nahmen, auf ganz profane Dinge fixiert waren. Um sein Vertrauen zu gewinnen, verwendete ich viel Zeit darauf, Bilels Spiel der Verführung mitzuspielen. Niemand, nicht einmal André, hatte eine Vorstellung davon, welchen Grad an kontrollierter Schizophrenie mir diese Täuschung abverlangte. „Oh, da bist du ja, meine Frau!“, sagte er eines Nachts. „Gute Neuigkeiten. Ich habe mit dem Kadi (Richter) in ar-Raqqa (wichtigstes Bollwerk des IS in Syrien) gesprochen. Er freut sich darauf, uns trauen zu können.“ Ich war wie vom Blitz getroffen und wusste erst nicht, was ich sagen sollte. „Wie laufen Hochzeiten bei euch ab?“

„Eigentlich sind wir ja bereits verheiratet.“ „Wie bitte?“ „Ich dachte, ich hätte dir oft genug gesagt, dass ich dich heiraten will. Ich habe den Richter gebeten, die Papiere fertig zu machen. Wir sind jetzt offiziell getraut! Du gehörst jetzt mir.“ FAST EIN MONAT war mittlerweile vergangen. André machte sich Sorgen, dass das Risiko für mich immer größer würde, je länger wir Mélodie weiter existieren ließen. Zusammen mit den Redakteuren planten wir das Ende des Projekts. Ich hatte Bilel gesagt, Yasmine und ich würden zu ihm nach Syrien kommen. Er wies mich an, nach Amsterdam und von dort aus nach Istanbul zu reisen. Dann würde er mir weitere Anweisungen schicken. „Du bist mein Juwel und ar-Raqqa ist dein Palast. Du wirst wie eine Prinzessin behandelt werden“, versicherte er mir. Ich würde also wirklich nach Istanbul reisen, aber André (nicht Yasmine) würde mich begleiten. Der Plan war einfach: Bilel hatte mir mitgeteilt, eine ältere Frau – „Mutter“ genannt – würde uns dort treffen. André sollte für den Artikel heimlich Fotos von „Mutter“ machen. Während diese nach Yasmine und Mélodie Ausschau hielt, würden André und ich in das nahe der syrischen Grenze gelegene Kilis weiterreisen. Diese Stadt wurde von der Türkei kontrolliert und wäre für uns sicherer als andere Orte. 02•2017

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uns mit Mutter getroffen D or t sollte die G ehaben?“ schichte enden, mit „Oh, es wird euch nied e r vo n h i nt e n f o t o mand abholen.“ grafierten Mélodie, die „Aber das war der Plan“, über die Grenze nach er widerte ich, und in Syrien blickt. Die Journameiner Stimme schwang listin würde am Tor zur echte Angst mit. „Du hast Hölle anhalten, und Mé„Du hast mir gesagt, dass wir dort eine lodie würde hindurchgeversprochen, Frau treffen würden. Du hen. Wir wollten die Sadass wir hast mir versprochen, che endlich abschließen. dass wir in sicheren HänEin paar Tage später in sicheren war ich in einem HotelHänden sein den sein würden.“ „Hör zu“, seine Stimme zimmer in Amsterdam, würden“, wurde hart. „Du hältst a l s Bi l e l ü b e r Sky p e sage ich als jetzt den Mund und lässt Kontakt zu mir aufnahm. mich reden. Wenn du am Mélodie zu „Salam alaikum, mein Flughafen von Istanbul Schatz. Bist du wirklich Abu Bilel ankommst, kaufst du zwei in Amsterdam? Ich kann Tickets nach Urfa.“ es kaum glauben. Ich bin Urfa? Der Ort war vom der glücklichste Mann Islamischen Staat infiltauf Erden. Ich liebe dich. Erzähl mir von eurer Reise. Wie hast riert. Da hinzufahren, war Selbstmord. „Alles, was ich mir wünsche, ist, dass du für die Tickets bezahlt?“ „Ich habe die Bankkarte meiner du dich an dein Versprechen hältst.“ „Ich bin hier derjenige, der die BeMutter geklaut.“ „Du bist so stark, meine Frau! Falls fehle gibt. Von jetzt an wirst du den du die Bankkarte noch hast, kannst Mund halten. Weißt du nicht, wer ich du ein paar Sachen für mich kaufen.“ bin? Ich befehlige täglich 100 SoldaWas bringt man einem Mann mit, ten. Ich habe dir noch nicht einmal der im einen Atemzug darüber redet, ein Viertel der Wahrheit erzählt!“ Nachdem das Gespräch beendet Leute zu enthaupten, und im nächswar, riss ich mir den Hidschab vom ten beteuert, wie sehr er dich liebt? Kopf und rief die Chefredakteurin „Was möchtest du haben?“ „Eau de Cologne! Ich mag besonders an, die mich anwies, die Geschichte Égoïste von Chanel. Oder was Feines abzuschließen. Sie erzählte mir, dass gerade erst zwei in die Region Urfa von Dior“ „Okay. Können wir über morgen entsandte französische Journalisten sprechen? Was passiert, nachdem wir nach zehnmonatiger Gefangenschaft 80

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in den Händen des IS freigekommen Aussage. Laut seiner Akten hat Bilel waren. Am nächsten Morgen flogen drei Ehefrauen, die alle bei ihm in wir nach Hause zurück. Syrien leben. Er ist Vater von mindesMélodie schickte Bilel eine Nach- tens drei Jungen unter 13 Jahren. Die richt vom Flughafen und sagte ihm, beiden Ältesten kämpfen schon an dass ein „komischer Mann“ die Mäd- der syrischen Front. chen ausgefragt hätte. Yasmine und Ich hatte nie wieder Kontakt zu Mélodie glaubten, man beobachte sie. Bilel. Doch kürzlich fand ich im InterDeshalb hätten sie beschlossen, nach net ein Video, das mich mit Mélodies Frankreich zurückzukehren, bis sich Schleier auf meinem Sofa zeigt. Bilel ein günstigerer Zeitpunkt bot. muss es aufgenommen haben. Im Video kommt der Teufel als Zeichentrickfigur vor. Und es enthält WIEDER DAHEIM schrieb ich alles auf, was Bilel mir alles verraten hatte: zweisprachige Untertitel in FranzöEinzelheiten zur Struktur des IS oder sisch und Arabisch: „Meine Brüder zum Umgang mit neuen Rekruten. auf der ganzen Welt, ich verkünde Eine Woche später veröffentlichte eine Fatwa (Rechtsgutachten) gegen die Zeitschrift meinen Artikel unter diese unkeusche Person, die den Alleinem Pseudonym. Aus Angst, dass mächtigen verachtet hat. Falls du sie die Terroristen meine Identität her- irgendwo siehst, folge dem islamiausfinden könnten, zog ich aus mei- schen Recht und töte sie. Sorge dafür, ner Wohnung aus und änderte zwei- dass sie einen langsamen und qualvollen Tod stirbt. Sie ist unreiner als mal meine Telefonnummer. Nach der 254. Befragung durch die eine Hündin. Vergewaltige, steinige Polizei hörte ich auf zu zählen. Ein auf und töte sie. Inschallah.“ Ich glaube nicht, dass ich mir das die Terrorismusbekämpfung spezialisierter Richter wollte ebenfalls meine noch einmal anschauen werde.

ÜBER DIE FURCHT Die Menschen werden jenes Ding verfolgen, vor dem sie am meisten Angst haben. LEONARDO DA VINCI,

ital. Maler u. Bildhauer (1452-1519)

Das älteste und stärkste Gefühl ist Angst, die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten. H. P. LOVECRAFT,

US-amerikan. Schriftsteller (1890-1937)

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Der Mann, der nie vergisst VO N TIM H ULS E

AUSTIN CABALLERO konnte seinen kriminellen Machenschaften jahrelang unbehelligt nachgehen. Als Ladendieb hatte er sich auf kleine Boutiquen in den wohlhabenden Stadtvierteln Londons spezialisiert und dort Schmuck und Designerkleidung im Wert von mehr als 117 000 Euro gestohlen. „Er war gut“, gesteht der Kriminalpolizist Eliot Porritt von der Londoner Polizeibehörde. „Er hat die Mitarbeiter in ein Gespräch verwickelt, und sobald sie ihm den Rücken zukehrten, hat er irgendetwas mitgehen lassen. Manchmal haben sie erst zwei, drei Tage später 82

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FOTO: © THE F IN ANCIA L TIM ES LTD 2016/AN NA GORDON

Dieser Mann merkt sich jedes Gesicht. Dank seiner Gabe werden Verbrecher überführt

Eliot Porritt, SuperRecognizer bei der Londoner Polizei

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bemerkt, dass etwas aus der Auslage fehlte. Dann riefen sie die Polizei. Doch da war er schon längst über alle Berge, sodass er uns stets einen Schritt voraus war.“ Caballero wäre vermutlich immer noch im Geschäft, wenn es nicht Menschen wie Porritt gäbe. Er gehört einem Team aus sogenannten SuperRecognizern (vom Englischen to recognize: erkennen) an, die seit Mai 2015 in der Zentrale des New Scotland Yard in London tätig sind und im vergangenen Jahr auch die deutsche Polizei in Köln unterstützt haben. Sie erscheinen wie Superhelden aus einem Comic-Heft, und tatsächlich grenzen ihre Fähigkeiten ans Übermenschliche. Sie können sich Gesichter merken und diese wiedererkennen, auch wenn sie nur teilweise oder stark verschwommen zu sehen sind. Ein Mitglied der Einheit sah vergangenen Sommer ein Foto des damals noch unbekannten Caballero in der digitalen Polizeidatenbank mit Tatverdächtigen. Er beschloss nachzuprüfen, ob der Mann auch von anderen Überwachungskameras erfasst worden war. Nach nur einem Wochenende hatte er zehn weitere Bilder in der Datenbank entdeckt. Zehntausende Bilder später, hatte Porritt rund 40 Treffer gelandet. Caballero war also ein Wiederholungstäter. Mit einem Aufruf in den Medien bat man die Öffentlichkeit um Mithilfe. Kurze Zeit später wurde Caballero 84

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gestellt und wegen Diebstahls in 40 Fällen sowie schwerer Körperverletzung mit rassistischem Hintergrund verurteilt. Derzeit verbüßt er eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten. „Einige Fotos von Caballero stammten bereits aus dem Jahr 2012“, erzählt Porritt. „Vermutlich dachte er sich, ‚Ich habe all diese Taten verübt und keiner hat sich deswegen je bei mir gemeldet, also bin ich damit durchgekommen.‘ Aber damit ist nun Schluss. Wir identifizieren nach und nach alle Kriminellen, die jahrelang unter dem Radar durchgeschlüpft sind, weil ihre Aufnahmen in Überwachungsvideos nie miteinander abgeglichen wurden.“ GEGRÜNDET WURDE die Super-Recognizer-Einheit nach den heftigen Unruhen in London im Sommer 2011. Damals gab es bei der Londoner Polizei noch kein systematisches Verfahren zur Auswertung einer großen Zahl von Überwachungsbildern. Deshalb wurde eine computergestützte Bilddatenbank erstellt, die nach verschiedenen Kriterien, wie Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, Kleidung und Frisur, durchsucht werden konnte. „Ich habe erstmals 2011 von SuperRecognizern gehört“, erklärt der leitende Polizeibeamte Paul Smith, der die siebenköpfige Einheit aufgebaut hat und diese heute leitet. Außerdem führt er ein Netzwerk aus rund 170 weiteren Super-Recognizern an, das so-

wohl aus Polizisten als auch aus zivilen Mitarbeitern besteht. „Als wir anfingen, die Datenbank zu nutzen, wurde klar, dass einige Beamte Personen identifizieren konnten und zwar nicht nur einmal, sondern vier-, fünf- oder sechsmal – und das immer wieder.“ Porritt wusste nichts von seiner besonderen Gabe, bis Smith ihn auf die

und gesagt: ‚Das ist ein und dieselbe Person.‘ Die anderen fragten dann: ‚Bist du dir sicher?‘, und ich erwiderte: ‚Seid ihr blind?!‘“ „Wir Super-Recognizer können uns auch an Gesichter erinnern, die wir vor Jahren gesehen haben. Eine durchschnittliche Person kann sich 20 bis 50 Prozent der Gesichter merken,

FOTO: © THE FIN ANCIA L TIM ES LTD 2016/AN NA GORDON

Ein Durchschnittsmensch kann sich 20 bis 50 Prozent der Gesichter merken, die er sieht. Super-Recognizer merken sich 90 Prozent Liste der Super-Recognizer setzte. Der heute 37-Jährige nahm 2008 den Polizeidienst auf. Schon als Kind hatte er davon geträumt, die Welt ein bisschen zu verbessern. Nachdem er im Rahmen einer zivilen Tätigkeit die Ermittlungen in einem Fall von Kindesmissbrauch unterstützt hatte, wurde ihm klar, dass er Polizist werden wollte. „Ich konnte mir schon immer gut Gesichter merken, aber als Kind habe ich mir nie etwas dabei gedacht, wenn Erwachsene sagten, ‚Du meine Güte, wie kannst du dich daran noch erinnern?‘“, sagt er lachend. „Erst durch meine Arbeit in der Super-RecognizerEinheit habe ich gemerkt, dass die meisten Leute andere Menschen nicht so sehen, wie ich sie sehe. Früher habe ich mir zwei Fotos angesehen

die sie sieht, aber Wissenschaftlern zufolge merken wir uns 90 Prozent.“ NUR 1 BIS 2 PROZENT der Weltbevölkerung verfügt über diese spezielle Fähigkeit, die in wissenschaftlichen Tests belegt werden kann. Sie wurde bei allen Mitgliedern der Super-RecognizerEinheit nachgewiesen. „Seit die Einheit im Mai 2015 einberufen wurde, haben wir mehr als 1800 Personen identifiziert“, so Porritt. „Damit konnten über 900 Fälle abgeschlossen werden.“ Porritt und seine Kollegen sind regelmäßig bei Großveranstaltungen zugegen und helfen, bekannte Straftäter zu identifizieren. „Einige Mitarbeiter waren bei der Veranstaltung Notting Hill Carnival in London, wo sie sich eine Liveübertragung ansahen“, er02•2017

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zählt er. „Sie bemerkten zwei konkurrierende Banden nebeneinander und konnten eine schwerwiegende Auseinandersetzung verhindern.“ Außerdem waren zehn SuperRecognizer am Fall Alice Gross beteiligt. Die Jugendliche war im August 2014 im Westen Londons verschwunden. Die Spezialisten leisteten einen

vesternacht, in der es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen und Diebstählen durch vermutlich hauptsächlich nordafrikanische Flüchtlinge gekommen war. Es war das erste Mal, dass die Einheit einer ausländischen Polizeibehörde Amtshilfe leistete. „In jener Nacht wurden 1546 Straftaten verübt, darunter 532 sexuelle

erheblichen Beitrag beim Auffinden der Leiche, die der Mörder unter Ästen in einem Fluss versteckt hatte. „Uns war ein winziges Flackern einer Stirnlampe aufgefallen. Dieses Detail war den Polizeibeamten entgangen, als sie das Bildmaterial der Überwachungskameras zuerst untersucht hatten“, erinnert sich Porritt. „Es war ein Hinweis darauf, dass der Verdächtige zurückgekehrt war, um die Leiche besser zu verstecken. Man hatte die Gegend bereits abgesucht, aber aufgrund unserer Hinweise wurde eine erneute Suche anberaumt, und man fand das Mädchen.“ ANFANG LETZTEN JAHRES unterstützten Porritt und ein Kollege die Kölner Polizei bei den Ermittlungen zur Sil86

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Übergriffe“, berichtet Kriminaloberrat Thomas Schulte, Leiter der zuständigen Kriminalinspektion. „Es war dunkel, weshalb die Qualität der Über wachungsvideos sehr schlecht war. Scotland Yard hat sich bei uns gemeldet und Hilfe angeboten. Ich hatte schon von den Super-Recognizern gehört und war sofort interessiert.“ „Wir waren zwei Wochen in Köln“, so Porritt. „Man hatte bereits drei Polizisten ausgewählt, die viele Identifizierungen vorgenommen hatten und eindeutig Super-Recognizer waren. Wir haben sie geschult. Als wir ankamen, hingen Bilder von zehn oder 20 Leuten an der Wand. Als wir wieder gingen, war die Wand voller Verdächtiger.“ „Ich war überrascht, wie erfolgreich sie waren“, gesteht Schulte und sagt,

FOTO: © MA RKUS BOEHM/AFP/GETTY IMAGES

Porritt hilft der Kölner Polizei bei den Ermittlungen zu sexuellen Übergriffen und Diebstählen in der Silvesternacht 2015

dass man darüber nachdenke, Super-Recognizer-Einheiten GESICHTSERKENNUNG auch in Deutschland einzuMIT NEUER TECHNOLOGIE führen. „Wir denken immer nur über technische Lösungen Intelligente Türklingel Die elektronische nach, aber dieser Fall hat geTürklingel Chui aus den USA besitzt eine integrierte Kamera und kann darauf prozeigt, dass der menschliche Vergrammiert werden, die Gesichter von stand auch sehr interessant ist.“ Freunden und Familienmitgliedern zu Kürzlich erwarb das USerkennen und diese einzulassen. Militär 500 sogenannte „X6Erkennung von Gesundheitsproblemen Spionagebrillen“, mit denen der Wissenschaftler der Universität Oxford in Träger ein Gesicht in Echtzeit Großbritannien haben ein Programm entmit einem Foto aus einer Comwickelt, das Gesichter auf Familienfotos puterdatenbank abgleichen scannt und potenzielle Gendefekte erkennt. kann. GesichtserkennungsÜberwachung von Online-Kursen Mittlersoftware hat ihre Berechtigung weile gibt es eine Technologie zur „biometund kommt immer häufiger rischen Benutzer-Authentifizierung“, die zum Einsatz, doch die Supernicht nur die Identität von Online-StudierenRecognizer zeigen, dass das den bestätigt, sondern anhand der Kopfmenschliche Gehirn zumindest haltung und des Augenblinzelns auch zum jetzigen Zeitpunkt klare feststellen kann, wie aufmerksam sie sind. Vorteile bietet. Interaktive Autos Automobil- und Com„Fast alle von uns erkannten puterindustrie arbeiten derzeit an einer Bilder, die zu einer VerurteiTechnologie, mit der ein Auto den Fahrer erkennen und bestimmte Einstellungen lung geführt haben, wären von automatisch anpassen kann. Wenn beieiner Gesichtserkennungssoftspielsweise ein Jugendlicher am Steuer ware nie aufgegriffen worden“, sitzt, könnten die Eltern die Geschwindigerklärt Porritt. „Die Software keit des Autos begrenzen lassen. RD benötigt perfekte Bedingungen. Aufnahmewinkel, Lichtverhältnisse, Bildschärfe und „Wir sind immer aufmerksam“, Gesichtsausdrücke können die Arbeit meint Porritt, der schon oft dankbar der Software beeinträchtigen. Hier ist war, dass so wenige Menschen seine das menschliche Gehirn im Vorteil.“ Gabe teilen – etwa eines Nachts, als er Und im Gegensatz zu einem Gerät an der Bushaltestelle wartete und hören Super-Recognizer nie auf zu neben ihm ein Mann stand, den er arbeiten und entdecken Kriminelle – einmal verhaftet hatte. „Zum Glück oder auch Promis – sogar in ihrer hat er mich nicht erkannt“, erklärt er Freizeit. lachend. 02•2017

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Kreuzfahrt auf Chinesisch

Animationsprogramm an Bord der „Costa Atlantica“ 88

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Chinas Mittelschicht entdeckt den Kreuzfahrttourismus – mit Anlaufschwierigkeiten für Passagiere und Veranstalter VO N C H R I STO P H E R B E A M

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von der chinesischen Küste erklärt Küchenchef Daniel Martinez auf dem Kreuzfahrtschiff Costa Atlantica: „Was für einen Asiaten der Reis, ist für uns das Brot.“ Die acht chinesischen Gäste an meinem Tisch hören aufmerksam zu, als ein Besatzungsmitglied das ins Mandarin übersetzt. Mein Tischnachbar, ein Manager aus der Provinz Shaaxi, hat sein Brot kaum angerührt. Die marinierten Sesamshrimps, die Mascarpone-Mousse in kalter Tomatensuppe, die Linguine mit Hummersoße, der Sambal-Kabeljau und der glasierte Schweinebauch sind ebenfalls nicht nach seinem Geschmack. Auf meine Frage, ob ihm das Essen schmecke, gesteht er: „Ganz ehrlich? Es ist grauenhaft.“ Wie für die meisten der 2635 Passagiere an Bord – 98 Prozent davon aus China – ist es auch für ihn die erste Kreuzfahrt. Er hat für sich und seine Großnichte, eine Medizinstudentin, eine Suite für 4000 Dollar gebucht. Bisher ist er nicht so begeistert. Sein Hauptkritikpunkt: Die versprochene Vorzugsbehandlung ist ihm nicht gut genug. „Geld spricht seine eigene Sprache“, erklärt er. 2015 gingen eine Million Chinesen auf Kreuzfahrt – im Vergleich zu 11 Millionen Amerikanern und 6,5 Millionen Europäern. Von 2012 bis 2015 wuchs die Zahl um insgesamt 66 Prozent. In Sanya, Schanghai, Tianjin und Xiamen wurden Kreuzfahrtterminals 90

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gebaut, mindestens vier weitere sind in Planung. Kreuzfahrtgesellschaften wie Costa Crociere, der die Atlantica gehört, erobern China. Die Schiffe selbst sind dabei das geringere Problem. Die Herausforderung ist eine andere: Veranstalter müssen das Reisen neu erfinden – vom Speisenangebot bis zur Inneneinrichtung muss alles an die Wünsche einer rasch reicher werdenden Gesellschaft angepasst werden. Um zu erfahren, wie Chinesen eine Kreuzfahrt erleben, habe ich eine sechstägige Tour auf der Atlantica gebucht, die von Schanghai aus nach Japan und Südkorea führt. A M W U S O N G KO U International Cruise Terminal machen sich mehr als 2000 Passagiere bereit, an Bord zu gehen. Familien bugsieren ihre sperrigen Rollkoffer an mir vorbei. Ein kleines Mädchen mit geblümter Jacke schreit wie am Spieß. Im Wartebereich stehen rund 50 Reiseleiter, die jeweils für ein paar Dutzend Passagiere zuständig sind. Unser Gruppenleiter überreicht jedem eine „Costa Card“, mit der die Passagiere ihre Einkäufe an Bord ganz bequem bezahlen können. Dann bummeln wir durch den Duty-FreeLaden auf der Suche nach Zigaretten, Parfum und hochwertigen Reisgarern. Die chinesischen Einfuhrzölle sind noch immer so hoch, dass der Duty-Free-Einkauf für Chinesen eine besondere Attraktion darstellt.

AUS: BLOOMBERG BUSINESSWEEK (APRIL/MAI 2015); © BLOOMBERG LP

FOTOGRAF IERT VON KA XIAOX I

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WEI TAGE nach Ablegen

Im Uhrzeigersinn von oben links: Gäste mit farbenfrohen Cocktails; Crew-Mitglieder an Deck; Selfieshooting im Hafen; Gäste entspannen im Whirlpool

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Wer die Atlantica betritt, durchschreitet quasi ein Portal. Auf der einen Seite liegt China, auf der anderen eine Mischung aus Italien und Las Vegas, Vergangenheit und Zukunft, Luxus und Kitsch. Auf dem Einstiegsdeck ist die Begrüßung durch den Kapitän in vollem Gange. Eine Live-Band spielt, CrewMitglieder in Seemannsuniformen tanzen zu einem aktuellen Hit. In dem ganzen Trubel merke ich gar nicht, wie das Schiff ablegt. AM SELBEN ABEND sehe ich mir eine

Revue an. Das Publikum reagiert sehr verhalten. Als ein lasziver Striptease zu You Can Leave Your Hat On damit endet, dass die Tänzerinnen nur in Slips und Hüten dastehen, runzelt die Dame neben mir irritiert die Stirn. Kreuzfahrtdirektor Giovanni Azzaro erklärt mir, chinesisches Publikum würde seine Anerkennung eben anders zeigen. „Mädchen in Bikinis sind sie nicht gewöhnt“, meint er. „Aber wir kriegen immer gute Kritiken.“ Die Show des folgenden Abends kommt besser an. Das Publikum applaudiert bei jeder Nummer. Für chinesische Kreuzfahrten setzt Costa mehr auf Akrobatik als auf Kabarett. Man wolle Fettnäpfchen vermeiden, erklärt Azzaro. Wir wollen den Gästen etwas Neues anbieten und gleichzeitig nicht taktlos sein.“ Am Morgen stehe ich früh auf, um den Tai-Chi-Kurs nicht zu verpassen. Ich versuche, die Bewegungen 92

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des Lehrers nachzumachen, gerate aber immer wieder aus dem Gleichgewicht, weil das Schiff schlingert. Den anderen ergeht es ähnlich. Die Kreuzfahrtunternehmen möchten den chinesischen Kunden bieten, was diese sich wünschen, doch nicht alles lässt sich auf einem Schiff gleich gut umsetzen. Den ersten Versuch, von Schanghai aus Kreuzfahrtschiffe zu betreiben, hatte Costa 2005 unternommen. Die Regierung befürchtete zunächst, es wären Glücksspielschiffe. Erst nachdem Costas Manager das Konzept einer Kreuzfahrt erklärt hatten – gutes Essen, Unterhaltung, ein familienfreundliches Umfeld – zeigten sich die Behörden zugänglicher. BEIM MITTAGESSEN geht es zu wie im Tollhaus. Die zwei Selbstbedienungsrestaurants sind gerammelt voll. Bei Kreuzfahrten mit chinesischen Gästen, so Hoteldirektor Marco Civitella, ist das Mittagessen die am stärksten frequentierte Mahlzeit. „Die Chinesen essen sehr früh“, verrät er. Sie essen auch schneller und bestellen weniger Alkohol. Als er 2010 zum ersten Mal nach China kam, erzählt Civitella, orderten ganze Gruppen nur einen Cocktail. Der wurde dann herumgereicht, damit jeder einen Schluck nehmen und ein Foto machen konnte. Inzwischen trinken die Gäste seiner Erfahrung nach mehr Wein, verwenden seltener Essstäbchen und

finden mehr Geschmack am italienischen Essen. Dennoch wählen rund 60 Prozent der Gäste bei den Menüs die asiatische Option. Besonders beliebt ist der Chef’s Table, bei dem die Köche das Essen vor den Augen der Gäste zubereiten. „Chinesen zeigen gern, wie wichtig sie sind “, sagt Civitella. Diese Erkenntnis – dass sich chinesische Touristen eher mehr als weniger Klassenunterschiede wünschen – schlägt sich auch in den Preisen nieder. Tickets kosten zwischen 1162 US-Dollar (rund 1100 Euro) – etwa ein Viertel des durchschnittlichen ver fügbaren Jahreseinkommens eines Chinesen – und 6456 Dollar. Am Pool lerne ich Frankie Wu kennen, einen Analysten aus Hongkong, der in der Luxusgüterbranche arbeitet. Er hätte gern, dass Kreuzfahrten mehr an das Kastensystem von früher erinnern. „Wer Geld hat, möchte anders behandelt werden“, sagt er. Auf dem Weg zum Theater durchqueren die Gäste eine Halle voller Duty-Free-Läden. In einer „Einkaufsmodenschau“ führen Models Artikel vor, die an Bord zu kaufen sind. Nächste Etappe ist das Kasino mit Spieltischen und Automaten. Am Baccara-Tisch sehe ich, wie manche Spieler auf jedes Blatt 500, 1000 oder sogar 2000 Dollar setzen. WIR ERREICHEN FUKUOKA, eine Ha-

fenstadt im Süden Japans. Festlandsausflüge außerhalb Chinas stellen ein

gewisses Risiko dar. Emigrationswillige Chinesen setzen sich manchmal einfach von einer Reisegruppe ab. Berücksichtigt man noch die Sprachbarriere, ist eine chinesische Reisegruppe in Japan sozusagen ein ständig drohender diplomatischer Zwischenfall. An der Gedenkstätte für die Opfer der Atombombe in Nagasaki beispielsweise erklärt ein chinesischer Kreuzfahrttourist laut und

AM BACCARA-TISCH IM KASINO SETZEN MANCHE SPIELER AUF JEDES BLATT 500, 1000 ODER SOGAR 2000 DOLLAR vernehmlich, dass die Amerikaner Helden seien, weil sie die Atombombe abgeworfen haben. Nach einem Zwischenstopp an einer heißen Quelle und einem japanischen Essen vom Grill kommt unsere Gruppe zur Sache: Shopping ist angesagt. In einer Apotheke decken sich die Chinesen mit allem Möglichen ein, von Feuchtigkeitscremes über Kühlauflagen für die Stirn bis hin zu einem Mittel gegen Kater. Wie die Kreuzfahrtschiffe hat sich auch die Apotheke ganz auf chinesische Touristen eingestellt. Die Abteilungen sind in Mandarin ausgeschil02•2017

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dert, und etwa die Hälfte der Mitarbeiter, die mir begegnen, sind Chinesen. „Zurzeit ist ‚Made in Japan‘ angesagt“, erklärt mir der Verkäufer Xia Zhishui. „Die Leute vertrauen chinesischen Medikamenten nicht.“ Tagelang klappern wir ein DutyFree-Geschäft nach dem anderen ab. Die endlosen Einkaufsbummel machen deutlich, dass Shoppen für viele das Beste an der Reise ist. Aber nicht

DIE ENDLOSEN EINKAUFSBUMMEL MACHEN DEUTLICH, DASS SHOPPEN FÜR VIELE DAS BESTE AN DER REISE IST jedem gefällt das eng getaktete Programm. Zhu Hai Bin beispielsweise erklärt, er wäre lieber auf eigene Faust mit seiner Frau unterwegs als in der Reisegruppe. Der 35-Jährige sagt, er wird künftig individuell reisen. AM LETZTEN MORGEN steuert das

Schiff Schanghai an. Trotz der Klagen über das geringe Angebot an chinesischen Gerichten scheinen die

meisten Gäste recht zufrieden. Ich bin erschöpft. Die sechs Tage waren alles andere als erholsam. Aber ich gehöre ja auch nicht zur Zielgruppe. Viele Mitreisende sagen, sie würden wieder eine Kreuzfahrt machen. Ich beschließe, den Manager aufzusuchen, den ich beim ersten Abendessen kennengelernt habe. In seiner Kabine bietet er mir weißen Tee an, den er aus einer neuen Thermoskanne ausschenkt. Er erzählt mir von seiner Kindheit in der ländlichen Provinz Shaanxi. „Meine Familie hatte nichts zu essen“, berichtet er. Trotz der Entbehrungen war er früher ein loyaler Kommunist. „Alle verehrten Mao wie einen Gott“, sagt er. Ich frage ihn, wie er seinen früheren Glauben an Mao mit seinem Hang zu VIP-Reisen in Einklang bringt. „Es muss Klassenunterschiede geben“, erklärt der Mann. „Gäbe es keine Schichten, hätte niemand ein Motiv, hart zu arbeiten.“ Und die Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind? „Die existiert nur im Kopf.“ Als ich später seine Großnichte per E-Mail nach ihren Eindrücken frage, schwärmt sie in den höchsten Tönen. „Es war so romantisch“, schreibt sie mir. „Das Schiff kam mir vor wie eine exotische Insel der Ruhe. Ich hoffe, ich kann das irgendwann wiederholen.“

Ein Fisch fängt nach drei Tagen an zu stinken. Ein Gast geht einem nach drei Tagen auf die Nerven. AUS CHINA 94

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I LLUSTRI ERT VON AN DREW JOY NER

Haben Sie Angst vor kleinen oder großen Tieren?

Zeit für

Helden VO N N U RY V I T TAC H I 02•2017

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DIE FRAUEN IN MEINEM LEBEN

machen den Eindruck, als könne sie nichts erschüttern, fangen aber sofort an zu kreischen, sobald sie nur eine Ameise erblicken. Glücklicherweise bin ich ein Mann ohne Furcht und kann ein solches Krabbeltier mit bloßen Händen entfernen. Ich will nicht sagen, dass Männer in dieser Hinsicht grundsätzlich besser sind. Bei einer Gartenparty sah ich neulich ein verdrecktes, übel riechendes Kleinkind auf die Erwachsenen zu-

Bezug zur Natur verloren haben. Als ich eines Morgens in die Bahn stieg, fiel mir auf, wie ein Fahrgast einfach so von seinem Handy aufblickte. Das war schon ziemlich beängstigend. Ich meine, wer macht das denn heutzutage noch? Im Büro entdeckte ich später diverse Zeitungsausschnitte, die klar belegten, dass mangelnde Vertrautheit mit der Natur ein echtes Problem darstellt. Ein Mann in Yunnan, China, zog mehrere Jahre lang zwei „Hunde“

KLEINE KINDER FÜRCHTEN SICH NICHT. IHRE FURCHTLOSIGKEIT IST DER HAUPTGRUND FÜR ELTERLICHEN STRESS rennen, in der Hand eine große Spinne. Die Frauen rannten kreischend vor der Spinne davon – und die Männer vor dem schmutzigen, stinkenden Kind. Kleine Kinder fürchten sich überhaupt nicht vor Ungeziefer. Ihre extreme Furchtlosigkeit ist sogar der Hauptgrund für elterlichen Stress. Meine Kinder fielen häufig von Bäumen, bis ich ihnen Folgendes erzählte: Wenn sie im echten Leben stürben, würden sie auch in Runescape, ihrem Lieblingscomputerspiel, sterben. Seitdem sitzen sie immer brav neben ihrer Mutter auf der Bank. Tatsache ist, dass wir modernen Menschen durch die Technologie den 96

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groß, ohne zu realisieren, dass er sein Zuhause mit zwei asiatischen Schwarzbären geteilt hatte. Leider verriet der Redakteur des Artikels nicht, wie der Besitzer schließlich davon erfuhr. Aber ich vermute mal, er überraschte sie eines Tages aufrecht sitzend, wie sie mit Honig verschmierte Menschen verspeisten, die gerade picknicken wollten. Der entsetzte Mann brachte seine „Hunde“ in eine Art Rettungsstation. Wahrscheinlich waren die Tiere eine Sensation, weil sie als einzige Bären der Welt mit dem Schwanz wedeln, Männchen machen und Stöckchen holen konnten!

In einem anderen Artikel las ich von Touristen in einem Safaripark in China. Sie waren in einem kleinen Bus gefangen, weil das Tor der Ausfahrt sich nicht öffnen ließ. Die Tiere hofften wohl auf eine leckere Mahlzeit. Die Besucher im Bus durchlebten hingegen 45 dramatische Minuten, konnten aber einmalige Aufnahmen von wilden Tieren machen, wie sie sich ihre Mäuler leckten, Zähne fletschten und Krallen ausfuhren. In Großbritannien rief ein Mann einen Schlangenfänger, weil in seinem Computergehäuse angeblich eine gefährliche Schlange schlief. Das seltsame Tier hatte rote und schwarze Flecken, was ein eindeutiges Indiz für ein besonders giftiges Exemplar war. Der Schlangenfänger eilte dem Mann zu Hilfe und öffnete vorsichtig das Gehäuse des Geräts. Zum Vorschein kam ein rot-schwarzes Elektrokabel. Es mochte durchaus gefährlich sein, aber doch unwahrscheinlich,

dass es Menschen angreifen oder sogar beißen würde. Wer weiß, womöglich gibt es bereits einen Computer-Spezialisten, der gerade an einer App (Anwendungs-Software) arbeitet, die einem Kabel solche Fähigkeiten verleiht. Da wir gerade von seltsamen Tieren reden: Wir sahen reichlich solche Exemplare, als ich mit meiner Familie in Australien Urlaub machte. Ich erklärte meinen Kindern, dass Gott die Kängurus und Schnabeltiere erschuf, um eine Wette zu gewinnen. Weil er sie nicht mehr finden konnte, musste er sie hier lassen. So gelangte ich meinerseits zu einer wichtigen Erkenntnis: Man kann seinen Kindern nicht früh genug Unterricht in Naturwissenschaften erteilen. Aber jetzt muss ich mich sputen. Mir fällt gerade ein, dass der Hund, den wir aus dem Tierheim geholt haben, Honig mag – ich muss nach Hause, um meine Kinder zu zählen.

Mein fünfjähriger Großnefe hat panische Angst vor Hunden. Eines Tages wurde er von seinem Kindergarten-Freund nach Hause eingeladen, er wollte ihm seinen Hundewelpen zeigen. In der Hofnung, dass so ein süßes Hundebaby dem Kleinen keine Furcht einlößt, sagte seine Mutter zu. Doch mit ihrer Einschätzung lag sie völlig daneben. Ihr Sohn traute sich vor lauter Angst die ganze Zeit nicht aus dem Kinderzimmer. Beim Abschied fragte die Mutter seines Freundes: „Kommst du uns denn mal wieder besuchen?“ Hölich antwortete er: „Ja, sehr gern, wenn ich erwachsen bin.“ SILKE HELM , Hamburg 02•2017

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„Verhandeln heißt zuhören“ VO N M A R T I N TZS C H AS C H E L

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PHOTO/ILLUSTRATIONFOTO CREDIT : ©

P HOTO/ILLUSTRATION CREDI T

Wie reagiert man auf Aggression und Vorwürfe? Verhandlungsexperte William Ury hat erstaunlich friedliche Antworten

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FOTO : © GU ILLAUM E M ÉGEVAN D

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illiam Ury hält gelegentlich Vorträge vor Studenten und anderen Interessierten. Bei diesen Gelegenheiten erzählt er gern folgende Geschichte: Ein alter Mann im Nahen Osten hinterlässt seinen drei Söhnen 17 Kamele. Der älteste soll die Hälfte der Tiere bekommen, der mittlere ein Drittel, der jüngste Sohn ein Neuntel. Die Erben verhandeln und finden keine Lösung. Schließlich gehen sie zu einer weisen Frau. Auch sie denkt lange nach. „Ich weiß nicht, wie man die 17 Kamele aufteilen kann“, sagt sie, „aber ich kann euch ein Kamel geben.“ Nun haben die drei Söhne 18 Ka­ mele: Der älteste bekommt die Hälfte, also neun, der zweite erhält ein Drit­ tel, also sechs, und der jüngste Sohn bekommt ein Neuntel, also zwei Ka­ mele. 9 plus 6 plus 2 ergibt 17. Ein Ka­ mel bleibt also übrig – die drei Söhne geben es der weisen Frau zurück. So ist es in vielen Verhandlungen, erklärt William Ury: Zunächst ist keine Lösung in Sicht – wenn man aber ei­ nen Schritt zurücktritt und die Situa­ tion mit frischem Blick von außen be­ trachtet, kann das neue Perspektiven eröffnen.

hierfür geboren sein muss. Heute weiß ich, dass man lernen kann, Lösungen zu finden. Jedem stehen geeignete Techniken zur Verfügung.

Frage: Die Geschichte mit den Kamelen ist faszinierend. Aber kann man in schwierigen Verhandlungen immer eine so gute Lösung finden? William Ury: Als ich vor vielen Jahren anfing, als Berater für Verhandlungen zu arbeiten, hieß es noch, dass man

Aber verhandeln heißt doch, den anderen umzustimmen. Sicher. Aber um das zu können, muss ich ihn zunächst einmal verstehen.

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Die werden ja sicher nicht immer befolgt. Gibt es in Verhandlungen typische Fehler? Es gibt zwei klassische Fehler. Der eine ist, dass man sanft zu den Men­ schen sein will und es dann auch in der Sache ist, dass man zu schnell nachgibt. Der andere Fehler besteht im Gegenteil: Weil man hart in der Sa­ che sein will, meint man, es auch als Mensch sein zu müssen. Und dann vergisst man den Respekt, die Zuwen­ dung und mehr. Das heißt also, ein erfolgreicher Verhandler ... ... trennt deutlich die Menschen, mit denen er zu tun hat, von den Proble­ men, um die es geht. Was muss ein guter Verhandler noch können? Das Wichtigste ist die Fähigkeit, sich in die Lage seines Gegenübers zu ver­ setzen, und nicht nur die eigenen Pro­ bleme und Ziele zu sehen.

Sie haben viele unterschiedliche Konflikte erlebt. Existiert ein gemein-

GEKÜRZT AUS: P.M. (09/2016); © MARTIN TZSCHASCHEL/P.M./PICTURE PRESS

Ihre Gegner tun, um Ihsamer Nenner, ein Monen glaubwürdig zu tiv, das allen zugrunde WICHTIG IST DIE signalisieren, dass sie liegt? Die Wurzel fast aller FÄHIGKEIT, SICH bereit sind, sich zu änIN DIE LAGE dern?“ Konflikte ist, dass sich SEINES Menschen ausgeschlosWie reagierte der Präsen fühlen. Sie empfinGEGENÜBERS den die schmerzhafte ZU VERSETZEN, sident darauf? Wunde, nicht angenom- UND NICHT NUR Er war überrascht und musste nachdenken. men zu werden. Jeder DIE EIGENEN will geliebt werden und ZIELE ZU SEHEN Dann meinte er, sie sollten aufhören, ihn öfdazugehören. Das gilt fentlich als „Affen“ zu zum Beispiel für die Palästinenser, für die Israelis, für Putin bezeichnen. Und sie könnten aufhören, im Fernsehen Generäle aufin Russland. treten zu lassen, die den Sturz der Und für Hugo Chávez, den ehemali- Regierung forderten. gen Präsidenten Venezuelas. In Ihrem neuen Buch schildern Sie, wie Sie mit Und das brachte die Wende? ihm im Auftrag der Vereinten Natio- Unerwartet war jetzt ein konstruktiver Prozess in Gang gekommen, der Benen verhandelt haben. Das war 2003. In der Hauptstadt Cara- ginn vom Ende der politischen Krise. cas gab es Streiks, große Demonstrati- Wir saßen über zweieinhalb Stunden onen für und gegen ihn, ein Bürger- zusammen, ich hatte jedes Zeitgefühl krieg drohte. Ich traf mich mit Hugo verloren. Hätte ich Chávez mit RatChávez und schlug ihm nach einer schlägen überschüttet, was ich eigentWeile vor, einen Dialog mit der Oppo- lich vorhatte, hätte er das Gespräch sicher nach wenigen Minuten abgesition zu beginnen. brochen. Was er ablehnte. Er war empört: Mit denen soll ich ver- Sie plädieren dafür, nicht hart zu verhandeln? Das seien Verräter und sie handeln und auf Sieg zu setzen, sondern eine Situation anzustreben, von hätten versucht, ihn umzubringen. der beide Seiten profitieren. Funktioniert das denn immer? Was taten Sie? Ich machte eine Pause. Dann sagte ich Vielleicht nicht immer, weshalb ich Chávez, dass ich gut verstehen könne, empfehle, sich vor jeder Verhandlung dass er diesen Menschen nicht ver- einen Plan B zu überlegen. Wenn ich traue. Und fragte ihn: „Was könnten mein Ziel nicht erreichen kann, was 02•2017

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ist die zweitbeste Alternative? Doch die angestrebten Win-win-Situationen sind viel häufiger möglich, als man glaubt. Und selbst wenn man sie nicht erreicht, kann man meist eine Loselose-Situation vermeiden, bei der beide Seiten nur verlieren und vor Gericht ziehen, einen Krieg anfangen oder eine familiäre Beziehung zerstören. Was machen Sie, wenn eine der beiden Parteien aggressiv ist oder kaum zuhört? Da macht man am besten das, was ich „auf den Balkon gehen“ nenne. Das heißt, man geht innerlich aus der Verhandlung, betrachtet sich selbst mit Abstand, blickt von oben auf die Lage. Man reagiert also nicht auf das, was der andere gerade gesagt hat? Genau. So soll vermieden werden, dass die Situation eskaliert. Und stattdessen? Versucht man, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Was sind seine Gründe, nicht kooperieren zu wollen? Warum ist er wütend? Hat er Angst? Fühlt er sich verletzt? Vielleicht will er nur kämpfen und so das meiste für sich herausholen. In diesem Fall kann man versuchen, die Spielregeln zu verändern. Ist man da nicht der Dumme? Es genügt einer, um damit anzufangen. Wenn Sie attackiert werden und 102

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WILLIAM URY Von Haus aus ist der US-amerikanische Verhandlungsexperte Sozialanthropologe. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er – neben seiner Tätigkeit als Dozent an der Harvard Universität – als international gefragter Vermittler, auch in Kriegs- und Krisengebieten. In seinem neuesten Buch Wissen, was ich will, und erfolgreich verhandeln (DVA, 19,99 Euro) zeigt der heute 63-Jährige, dass man in Verhandlungen oft gegen die eigenen Interessen handelt – und wie man das ändert. RD

dabei dennoch freundlich und respektvoll bleiben, steigt die Chance erheblich, dass der andere sein Verhalten ändert. Respekt zu zeigen, auch wenn man selbst keinen erhält ... ... ist für mich in Verhandlungen der Schlüssel, um die Situation zu verbessern. Gibt es nicht Situationen, bei denen der eine den anderen wertschätzt, ihm zuhört und versucht, seine Position zu verstehen – aber der andere hat einen seelischen Panzer umgelegt und auf Attacke geschaltet? Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man selbst Respekt zeigt, ist die Chance groß, dass die andere Seite es auch macht. Oft kommt jemand mit einer feindlichen Grundstimmung in eine Verhandlung, weil er sich unver-

standen fühlt. Und ist dann ganz überrascht, wenn man ihm wirklich zuhört und seine Lage versteht. Das kann die ganze Stimmung vollkommen zum Positiven verändern. Manchmal nützt die beste Stimmung nichts. Nehmen wir einen Chef und seinen Mitarbeiter, beide mögen sich. Der Mitarbeiter will eine Gehaltserhöhung, der Chef winkt ab – die wirtschaftliche Lage sei nicht rosig. Auch hier kann es helfen, auf den Balkon zu treten und sich zu fragen: Was will ich wirklich? Warum will ich es? Hängt mein Glück tatsächlich von dieser Lohnerhöhung ab? Vielleicht ist es gar nicht das Geld, das ich will – vielleicht ist es Anerkennung? Möglicherweise findet man eine ganz andere Lösung, und der Mitarbeiter darf zum Beispiel an manchen Tagen von zu Hause aus arbeiten. Wie soll man sich verhalten, wenn man nicht der Schwächere, sondern in der stärkeren Position ist? In diesem Fall sollte man erst recht Respekt zeigen. Vor allem, wenn man Wert auf eine langfristig befriedigende Beziehung legt. Der britische Staats-

mann Benjamin Disraeli hat einmal gesagt: „Zu erkennen, wann es eine Gelegenheit zu ergreifen gilt, ist das Wichtigste im Leben – aber fast ebenso wichtig ist es, zu wissen, wann man auf einen Vorteil besser verzichtet.“ Oft verhandeln wir ja nicht mit anderen, sondern mit uns selbst: Soll ich mein Auto verkaufen oder behalten? Soll ich meinen Partner verlassen? Auch hier sollten wir uns von außen betrachten. Beispiel Auto: Brauchen wir wirklich das Geld? Oder hängen wir vielleicht emotional an dem Fahrzeug? Ich habe mal meinem Sohn ein 15 Jahre altes Auto geschenkt und wollte mir ein neues kaufen. Nach zwei Wochen hatte ich noch keins gefunden, und auf einmal wurde mir klar: Ich wollte mein altes Auto wiederhaben. Mein Sohn gab es mir zurück, und ich kaufte ihm ein anderes. Wir sollten unseren inneren Stimmen immer genau zuhören. Besteht nicht das ganze Leben aus Verhandlungen? Schon ein Baby, das schreit, ist instinktiv am Verhandeln: Es feilscht um Zuwendung.

PLÄDOYER Die Welt braucht ofene Herzen und geistige Aufgeschlossenheit, und das erreichen wir nicht durch starre Systeme, mögen sie nun alt oder neu sein. BERTRAND RUSSELL, brit. Philosoph (1872-1970) 02•2017

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Valentinstag im Aquarium von Seattle

Komm VO N SY M O N TG O M E RY

in meine

Arme!

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dass das diesjährige Paar Gefallen aneinander findet, beziffert die Biologin mit „etwa 50:50“. Vielleicht werden sie einander ignorieren. Vielleicht wird ein Krake den anderen angreifen. In einem Jahr tötete das Weibchen das Männchen und begann, es zu verspeisen. Ein anderes Mal konnte ein Krake die Barriere überwinden, die die beiden Hälften des Aquariums voneinander trennt. So kam es bereits in der Nacht vor dem geplanten Blind Date zur Paarung. Eigentlich sollte Krakensex überaus vielfältig sein, schließlich schlagen sechs Herzen im Gleichtakt, schließlich stehen insgesamt 16 Arme zur Verfügung. Tatsächlich jedoch beschränken sich die meisten Oktopusarten auf eine von zwei Stellungen bei der Paarung – entweder liegt das Männchen oben oder sie vergnügen sich auf Distanz.

KRAKENSEX SOLLTE ÜBERAUS VIELFÄLTIG SEIN, SCHLIESSLICH STEHEN INSGESAMT 16 ARME ZUR VERFÜGUNG wenn Oktopus-Woche ist, sind es am Wochenende bis zu 6000 Gäste. „Schon komisch, sich vorzustellen, dass die alle kommen, um zwei Tieren bei der Paarung zuzusehen“, sagt Kathryn Kegal, Leiterin der Abteilung für Wirbellose. Die Wahrscheinlichkeit, 106

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Diese Form der „Paarung auf Abstand“ klingt wie der perfekte sichere Sex: Das Männchen streckt den Arm, der sein Geschlechtsorgane enthält, so weit aus, bis er das Weibchen erreicht. Einige Arten können sich auf diese Weise paaren, ohne dass die

AUS: THE SOUL OF AN OCTOPUS; © 2015 SY MONTGOMERY, VERLAG SIMON & SCHUSTER, LONDON

FOTOS: (VORI GE SEI TE) GETTY IMAGES; (TENTAKEL) ISTOCK; ( RECH TS) SE ATTL E AQUARIU M

erzförmige rote Lichter sind über das Oberteil des zweiteiligen 12 000-LiterAquariums drapiert. An den gläsernen Seitenwänden kleben rote Herzen, im Wasser treibt ein Strauß Plastikrosen, zusammengehalten von einem roten Satinband. Um elf Uhr hat sich bereits eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Ein Mann erzählt mir, seine Freundin und er hätten die letzten vier Valentinstage hier verbracht – beim jährlichen Octopus Blind Date im Aquarium von Seattle, USA. An einem normalen Samstag oder Sonntag im Winter kommen bis zu 1000 Besucher zum Aquarium, aber

Rain, der männliche Pazifische Riesenkrake, kurz vor der Paarung

Tiere dazu die Sicherheit ihrer jeweiligen Höhle verlassen müssen. Kegal hat hohe Erwartungen an die beiden Pazifischen Riesenkraken Rain und Squirt. Rain, das Männchen, bringt 30 Kilogramm auf die Waage. Er sei ein „wirklich sanfter und umgänglicher Oktopus“, sagt sie. Rain hat in den vergangenen zwei Wochen sogenannte Spermatophoren abgesondert – Spermienpakete, die durchsichtigen, ein Meter langen Würmern ähneln. Das zeigt, dass er am Höhe punkt seiner Geschlechtsreife steht – dem leider kurz darauf sein Tod folgen wird. Squirt, das Weibchen, ist deutlich kleiner, bringt es auf 20 Kilogramm und ist eher schüchtern. Als sie das erste Mal in dem Wassertank ausgestellt wurde, grub sie sich eine Höhle, was für Kraken eher ungewöhnlich ist. Ihr Hobby, vor allem nachts: Gläser öffnen.

Das eigentliche Date beginnt erst um zwölf Uhr, aber ich sichere mir schon um 11.30 Uhr einen Platz. Von oben sieht der Tank aus wie eine liegende „8“, deren Hälften mit einem durchsichtigen Gang miteinander verbunden sind. Dieser Gang ist noch mit einer mit kleinen Löchern versehenen Plexiglas-Barriere versperrt. Die Rückseite bilden Felswände, in denen jeder Oktopus mindestens ein Versteck findet. Auf dem Boden des Aquariums sind Seeigel und Schnecken unterwegs, im Wasser flitzen Grünlinge und kanariengelbe Felsenfische hin und her. Gelegentlich verschwindet eines der Tiere – wird von einem Kraken gefressen. Zunächst hält sich Rain regungslos in der oberen Ecke des Wassertanks auf. Dann verändert er seine Farbe und wird aktiv, kehrt aber wieder in seine Ecke zurück und wechselt zu einem gesprenkelten gräulichen Ton. 02•2017

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„Wenn ich beim Schwimmen so einen Oktopus sehen würde, würde ich vor Schreck erstarren“, sagt ein Teenager, den Arm um seine Freundin gelegt. In ihrem kleineren Tank ist Squirt unterdessen aktiver. Sie zeigt eine wunderbare dunkelorange Färbung. Es ist 11.35 Uhr, und über die Lautsprecheranlage klingt der tiefe Bass von Barry White: Can’t Get Enough of Your Love, Babe. Kathryn Kegal lehnt eine Stehleiter an den Tank. Sie und ihre Mitarbeiterin Katie Metz werden die Barriere zwischen den beiden Wassertanks entfernen. Eine Moderatorin wendet sich an das Publikum: „Unsere Kraken verhalten sich ausgesprochen unvorhersehbar. Wenn Sie keinen freien Blick haben, schauen Sie auf den großen Bildschirm hinter dem weißen Tisch. Unsere Kameras werden dort das Geschehen wiedergeben. In zehn Minuten geht es los!“ Einige Kinder schreien vor Aufregung. Die Musik wird lauter, jetzt singt Roberta Flack „Baby, I Love You!“ Um die Zeit zu überbrücken, zeigt eine Lehrerin ihrer Klasse, wie man zu diesem Lied tanzt. Um 11.55 Uhr meldet sich die Moderatorin erneut: „Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Valentinstag! Wie viele von Ihnen waren schon einmal auf einem Blind Date? Manchmal funkt es, manchmal passiert gar nichts. Wir müssen abwarten.“ Kegal und Metz entfernen die Trennwand. „Unsere Taucherin wird 108

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versuchen, Squirt dazu zu bringen, sich mit Mister Rain zu treffen“, sagt die Moderatorin. Jetzt kommt Squirt in wellenförmigen Bewegungen auf uns zu. Sie ist vor Aufregung knallrot angelaufen. Zielstrebig kriecht sie über den sandigen Boden auf Rain zu. Das Oktopusmännchen ist jetzt nicht mehr grau, sondern rot, aber noch hat es sich nicht bewegt. Auf Squirts „Stirn“ erscheint ein heller weißer Fleck, während sie einen ihrer Fangarme nach Rain ausstreckt. Jetzt ist sie nur noch einen Meter von einem seiner Arme entfernt. Und dann – um 12.10 Uhr – reckt sie ihm einen zweiten und einen dritten Fangarm entgegen. Er fliegt förmlich in ihre Arme. Sie dreht sich nach unten und zeigt Rain ihre verwundbare, weiße Unterseite. Sie umarmen sich, Mund an Mund, während Tausende glänzender, außerordentlich sensibler Saugnäpfe tasten. Beide Oktopusse laufen vor Aufregung rot an. Schließlich umhüllt Rain Squirt völlig, so wie ein Kavalier früher die Dame seines Herzens in einer kühlen Nacht in seinen Mantel hüllte. Wie zwei Amore schauen Kegal und Metz auf die beiden Liebenden hinab. Für die Biologen sind das sehr aufregende und spannende Minuten. Sie wollen, dass die Paarung ein Erfolg wird und keines der Tiere dabei Schaden nimmt. Dass sich Squirt Rain so bereitwillig genähert hat, ist ein gutes Zeichen.

Die sich paarenden Oktopusse bewegen sich nicht mehr, deshalb wandern die ersten Schulklassen wieder ab. Viele der Kinder wirken perplex. Die beiden Tiere bewegen sich nicht, aber Rain wird bleicher. „Kann es sein, dass er ihr wehtut?“, fragt eine der Besucherinnen besorgt. „So etwas ist möglich“, erklärt Metz. „Man kann das nicht kontrollieren.

„Sie sind wunderschön, einfach atemberaubend.“ Seit drei Stunden haben sich die Tiere kaum bewegt. „Sie paaren sich am Valentinstag“, sagt eine Frau zu ihrem Begleiter. „Woher wissen sie denn, dass heute Valentinstag ist?“ Hariana Chilstrom, Biologin des Seattle Aqua-

RAIN FLIEGT FÖRMLICH IN SQUIRTS ARME. BEIDE OKTOPUSSE LAUFEN VOR AUFREGUNG ROT AN Aber sowohl seine Atmung als auch die Tatsache, dass sie nicht zu fliehen versucht, sprechen dafür, dass die Dinge sehr gut laufen.“ „Das ist die sanfteste Paarung, die ich je beobachtet habe“, sagt Kegal. Die beiden Tiere sind völlig ruhig. Rain ist strahlend weiß, die Farbe vollständiger Erfüllung. „Jetzt sind sie bei der Zigarette danach“, frotzelt der Mann hinter mir. Die Schulbusse sind inzwischen weg, die verbliebenen Besucher sind fast ausschließlich Erwachsene, die sich leise unterhalten. „Schau mal, wie weiß er ist.“ „Er sieht glücklich aus.“ „Ja – zufrieden.“ „Sie sind so friedlich.“ „So zärtlich.“

riums, ist inzwischen ebenfalls beim Wassertank eingetroffen. Als das Spermienpaket an das Organ am Ende von Rains Arm wandert, erklärt Chilstrom: „Wenn das Spermienpaket an die Ligula wandert, ist das vergleichbar mit der Ejakulation.“ Beim Männchen setzt der Herzschlag kurz aus, während sich beim Weibchen die Atmung beschleunigt. Genau wie bei uns. „Sie haben dieselben Neurotransmitter wie wir Menschen“, sagt Chilstrom. Einige Tentakel von Rain liegen auf Squirts Gesicht, als ob er sie auf die Wange küssen würde. „Vielleicht ist bald Schluss“, sagt Metz. „Sie trennen sich.“ Squirt drückt sich an die Glasscheibe. Die Haut zwischen ihren Armen ist rosa. Ihr Kopf und ihr Mantel 02•2017

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haben inzwischen eine graue Farbe angenommen. Rain trägt inzwischen auf seiner hellen Haut einige dunkle Flecken. Von Squirt sieht man mittlerweile Gesicht und Auge wieder – beides knallrot. Langsam bewegt sie sich im Tank

„Verstanden“, antwortet ihr Kollege, der die Nachtschicht übernehmen wird. Squirt wird weiß, dann rot – dann beginnen die beiden Kraken, sich gegenseitig durch den Wassertank zu jagen. Sie wirken wie große rote Banner, die im Wind flattern. Squirt beginnt

ES WIRKT, ALS OB SQUIRT RAIN AUS SEINER ECKE VERJAGEN WILL nach oben. Sie ist viel dunkler als Rain, der inzwischen eine hellrote Färbung aufweist. Rain beginnt damit, langsam die Spitzen zweier Arme zu bewegen. Er ist wieder weiß. Squirt liegt nun auf der Seite, Mund und umliegende Saugnäpfe gegen das Glas gepresst. Ihre Arme sind in alle Himmelsrichtungen ausgestreckt. Rain legt seine Arme und seinen Körper um ihren Kopf und ihren Mantel. Squirt läuft leuchtend orange an, als die beiden abrupt voneinander wegzucken. Er schießt nach rechts weg, sie folgt ihm. Aus ihrer Mantelöffnung hängt ein ein Meter langes weißes Spermienpaket. „Das Paar hat sich getrennt“, sagt Chilstrom aufgeregt in ihr Funkgerät.

sich nach links zu bewegen, in Richtung des Gangs. Doch dann dreht sie noch einmal um und hält wieder auf Rain zu. Es wirkt, als ob sie ihn aus seiner Ecke verjagen will. Squirt bewegt sich an der Glasscheibe hoch, um sich in die obere Ecke des Tanks zu quetschen – dorthin, wo Rain ursprünglich gelegen hatte. Rain zieht sich unterdessen in den kleineren Teil des Tanks zurück. „Als er heute Morgen aufgewacht ist, hatte er schönes großes Zuhause ganz für sich allein“, sagt ein grauhaariger Mann, der neben mir steht. „Dann kommt da diese Frau und hat Sex mit ihm. Und nun muss er sich mit einer schäbigen kleinen Wohnung begnügen. Ich wette, jetzt tut ihm die ganze Angelegenheit leid.“

Geduld birgt verborgene Schätze der Seele in sich. PUBLILIUS SYRUS,

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röm. Dichter (1. Jh. v. Chr.)

Der Oscar geht an ... Sie sind die begehrtesten Preise der Filmbranche: Wer räumt dieses Jahr die Oscars ab? Testen Sie, wie gut Sie sich in der Welt des Kinos auskennen VO N S U SA N N E RY T I N A

FOTO: © GETTY IMAGES

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FRAGEN

1.

Der Oscar ist 34 Zentimeter groß, wiegt 3,9 Kilo und ist mit 24-Karat Gold überzogen. Was aber stellt die begehrte Trophäe dar? a) einen antiken Athleten b) einen Ritter mit Schwert c) den griechischen Gott Dionysos

2.

Offiziell heißen die Preise, die dieses Jahr zum 89. Mal verliehen werden, Academy Award of Merit. Woher stammt ihr Spitzname? a) Das war der Vorname des ersten Jury-Präsidenten. b) Schriftsteller Oscar Wilde schrieb das Drehbuch zum ersten Tonfilm. c) Eine Filmarchivarin fand, die Statue sehe aus wie ihr Onkel Oscar.

3.

Welches Gremium entscheidet, wer die Oscars bekommt? a) eine 30-Personen-Jury aus ehemaligen Oscar-Preisträgern b) die rund 7000 Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences c) die Zuschauer der Preisverleihung mittels telefonischer Abstimmung

4.

Die Politik spielt auch in der Unterhaltungsbranche eine Rolle. Worum ging es 2016 in einer stürmischen Debatte im Vorfeld der Oscar-Verleihung?

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a) die im Vergleich zu den männlichen Kollegen geringeren Gagen der Schauspielerinnen b) die mangelnde ethnische Vielfalt der Nominierten c) die Nominierung zu vieler gewaltverherrlichender Filme

5.

Nicht nur die geladenen Gäste sind am Gala-Abend dabei. Wie viele Menschen verfolgen im Schnitt die Preisverleihung am Bildschirm? a) 35 Millionen b) mehrere hundert Millionen c) eine Milliarde

6.

Wer die höchste Auszeichnung im Filmgeschäft erhält, den überwältigen schon mal die Gefühle. Wer schluchzte sich 1999 durch seine Dankesrede? a) Roberto Benigni b) Winona Ryder c) Gwyneth Paltrow

7.

Der Name des Gewinners ist jeweils auf einer Plakette am Fuß der Statue eingraviert. Wessen Name hat man dabei falsch geschrieben? a) Spencer Tracy b) Jennifer Lawrence c) Cate Blanchett

8.

Wenn die Stars über den roten Teppich schreiten, gilt die Aufmerksamkeit immer auch ihrer Garderobe. Was trug die isländische

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Sängerin Björk, die 2001 für den Soundtrack des Filmes Dancer in the Dark nominiert war? a) ein Kleid aus rohem Fleisch b) einen um den Körper geschlungenen Schwan aus Stoff c) einen goldenen Badeanzug

FOTOS: (LINKS) © M OVIES TORE C OLLECTION LTD/ALAM Y STOC K PHOTO; (RE CHTS) © G E TTY IMAG E S

9.

Manches gesellschaftlich heiße Eisen scheint der Jury dann doch zu heiß. Welchen nominierten Film zeichnete die Jury nicht als „besten Film“ aus – und wurde dafür heftig kritisiert? a) Einer flog über das Kuckucksnest, der die unmenschliche Behandlung von Patienten in der Psychiatrie thematisiert b) Brokeback Mountain, in dem es um zwei homosexuelle Cowboys geht c) Platoon, der die Brutalisierung von Soldaten im Vietnamkrieg zeigt

10.

In der Oscar-Nacht werden 24 Preise vergeben. Deshalb müssen sich die Preisträger in ihren

Dankesreden kurz fassen. Wie lang darf jeder maximal sprechen, bevor ihn das Orchester lautstark daran erinnert, dass die Redezeit um ist? a) 45 Sekunden b) 90 Sekunden c) 110 Sekunden

11.

1962 verlieh die Jury Maximilian Schell einen Oscar für seine Rolle in Das Urteil von Nürnberg. Wer war der nächste deutschsprachige Schauspieler, der sich über einen Oscar freuen durfte? a) Christoph Waltz b) Armin Mueller-Stahl c) Diane Kruger

Cate Blanchett gewann einen Oscar für ihre Rolle im Film „Aviator“, der 2004 lief. Co-Star Leonardo DiCaprio musste auf seine Trophäe bis 2016 warten

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ANTWORTEN

1b)

Die Statue stellt einen Ritter dar, der mit seinem Schwert auf einer Filmrolle steht.

2c)

Jake Gyllenhaal und Heath Ledger in „Brokeback Mountain“

3b)

Rund 7000 Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences wählen die OscarPreisträger. Akademie-Mitglied wird man nur durch Einladung.

8b)

Björk trug 2001 einen Stoffschwan. Die exzentrische Robe war ein Entwurf des mazedonischen Designers Marjan Pejoski.

4b)

9b)

5b)

10a)

6c)

11a)

2016 löste die Tatsache, dass die Oscar-Jury nur weiße Schauspieler nominiert hatte, Kritik aus. Die Akademie kündigte für 2017 Änderungen an.

Weil Brokeback Mountain in acht Kategorien nominiert war, aber nur in dreien gewann (Regie, adaptiertes Drehbuch und Filmmusik) warfen viele der Jury vor, Vorurteile gegen Homosexuelle zu hegen.

Nach Schätzungen verfolgen Wer neben Mitstreitern und die Preisverleihung mehrere Familie auch noch dem hundert Millionen Fernsehzuschauer, Yogalehrer oder Hundesitter danken darunter rund 35 Millionen US-Ame- will, muss sich also beeilen. Die kürrikaner. zeste Rede hielt 1963 Patty Duke. Sie sagte genau zwei Worte: „Vielen Dank!“ Gwyneth Paltrow hielt ihre Dankesrede unter Tränen. 2010 nahm Christoph Waltz Sie erhielt die Auszeichnung als beste den Oscar für die beste NeDarstellerin für ihre Hauptrolle in benrolle in Inglourious Basterds entShakespeare in Love. gegen. 2013 erhielt er die gleiche Auszeichnung für seine Rolle in Django Statt Spencer Tracy stand Unchained. Waltz hat seit 2010 zusätzDick Tracy auf der Statue – lich zur deutschen auch die österreichische Staatsbürgerschaft. der Name eines US-Comic-Helden.

7a) 114

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FOTO : © M O V I E S T O R E C O L L E C T I O N L T D / A L A M Y S T O C K P H O T O

Es ranken sich einige Geschichten um den Spitznamen Oscar. Nach einer besonders populären erinnerte die Statue Filmarchivarin Margaret Herrick an ihren Onkel.

I LLUSTRI ERT VON A. RICHARD A LLEN

Wer seinem Leben einen Sinn gibt, führt ein zufriedenes Leben

Das Glück finden VO N E M ILY E S FAH ANI S M ITH

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IM SEPTEMBER 1942 wurde der jüdische Psychiater und Neurologe Viktor Frankl in Wien verhaftet und zusammen mit seiner Frau und seinen Eltern in ein Konzentrationslager deportiert. Drei Jahre später, als das Lager befreit wurde, waren fast alle Familienmitglieder tot, auch seine schwangere Frau. Frankl, der Häftling Nr. 119104, hatte überlebt. Innerhalb von neun Tagen schrieb er seinen 1946 erschienenen Bestseller ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Darin kommt er zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen denen, die überleben und denen, die sterben, darin liegt, ob sie einen Sinn im Lebens sehen. Frankl arbeitete auch im Lager als Therapeut. In seinem Buch berichtete er von zwei selbstmordgefährdeten KZ-Häftlingen. Wie viele andere waren diese Männer verzweifelt. „Beiden versuchte ich zu zeigen, dass das Leben von ihnen etwas erwartete, dass es etwas im Leben gab, das in der Zukunft auf sie warten würde“, so Viktor Frankl. Für den einen Häftling war das sein kleines Kind, das im Ausland lebte, für den anderen – er war Wissenschaftler – eine Buchreihe, die er fertigstellen wollte. Frankl betonte in seinen Aufzeichnungen, „dass man dem Menschen im KZ alles nehmen kann, nur nicht seine Freiheit, sich für eine innere Einstellung zu entscheiden, die jeweilige Situation anzunehmen und seinen eigenen Weg zu gehen.“ 116

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Viktor Frankl beschrieb, dass die Häftlinge im Konzentrationslager, die einen Sinn in ihrem Leben sahen, den grausamen Umständen viel besser trotzten als andere Häftlinge: „Ein Mensch, der sich dieser Verantwortung bewusst geworden ist, die er gegenüber dem auf ihn wartenden Werk oder einem auf ihn wartenden liebenden Menschen hat, wird niemals imstande sein, sein Leben wegzuwerfen. Er weiß um das Warum seines

Ironischerweise lässt das ständige Suchen nach Glück die Menschen sogar unzufriedener werden, so eine aktuelle Studie Daseins, und er erträgt beinahe alle Lebensumstände.“ Ist Viktor Frankls Botschaft heute denn veraltet? Wir streben eher nach dem individuellen Glück als nach dem Sinn des Lebens. So hat eine GallupStudie aus dem Jahr 2012 beispielsweise ein besonderes Stimmungshoch bei der US-amerikanischen Bevölkerung ausmachen können. Dennoch gaben vier von zehn Amerikanern an, keine befriedigende Lebensaufgabe zu haben, unabhängig davon, ob ihre unmittelbaren Bedürfnisse erfüllt wurden oder nicht.

AUS: ATLANTIC (MÄRZ 2014); © 2014 THE ATLANTIC MEDIA CO., THEATLANTIC.COM

FORSCHUNGSERGEBNISSE belegen, dass ein sinnerfülltes Leben Wohlbefinden, Zufriedenheit, geistige und körperliche Gesundheit sowie das Selbstwertgefühl erhöht und das Risiko, an einer Depression zu erkranken, vermindert. Ironischerweise lässt das ständige Suchen nach Glück die Menschen sogar unzufriedener werden, so eine aktuelle Studie. Laut Frankl vereitelte das Streben nach Glück das Glücklichsein. Viele Wissenschaftler warnen sogar vor dem Streben nach Glück als einzigem Lebensziel. In einer im Journal of Positive Psychology veröffentlichten Studie wurden rund 400 Amerikaner befragt, was ihr Leben sinnvoll und/ oder glücklich macht. Das Ergebnis: Glückliche Menschen empfinden Freude, wenn sie

von anderen etwas bekommen. Menschen, die ihr Leben als sinnvoll empfinden, verspüren dagegen Freude beim Geben. „Glück ohne einen tieferen Sinn führt zu einem seichten, egoistischen Leben, in dem Bedürfnisse und Wünsche schnell befriedigt und Schwierigkeiten umgangen werden“, schlussfolgern die Studienautoren. Die Studie ergab auch, dass Menschen, die glücklich sind, das Leben tendenziell als einfach empfinden, in einer guten körperlichen Verfassung sind und sich finanziell vieles leisten können. Ein glückliches Leben definiert sich also durch einen Mangel an Stress oder Sorgen. Doch Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, die sich wohlfühlen können. Auch Tiere sind glücklich,

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wenn ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Was den Menschen jedoch von den Tieren unterscheidet, so Roy Baumeister, Forschungsleiter der Studie und Professor für Sozialpsychologie an der Universität von Queensland in Australien, ist nicht das Streben nach Glück, sondern das Streben nach Sinn. Demnach waren die Studienteilnehmer zufriedener, die angaben, dass der Sinn des Lebens darin bestehe, anderen etwas von sich zu geben. Oder mit den Worten von Martin E. P. Seligman, einem führenden Psychologen unserer Tage: Ein sinnerfülltes Leben bedeutet, „seine größten Stärken und Talente zu nutzen, um zu etwas zu gehören und etwas zu dienen, von dem man glaubt, dass es größer ist, als man selbst.“ Anderen etwas zu schenken, sich um Kinder zu kümmern oder miteinander zu diskutieren, gelten als sinnstiftende Tätigkeiten. Viele Menschen, die ihr Leben als sinnvoll erachten, suchen aktiv nach Aufgaben, auch wenn es auf Kosten ihres eigenen Glücks geht. So gelten Kinder oftmals als Sinn des Lebens. Eltern benötigen allerdings eine gewisse Opferbereitschaft und sind weniger glücklich – auch die Eltern, die an der Studie teilgenommen haben. In der Tat bestätigen die Forschungsergebnisse, so HarvardPsychologe Daniel Gilbert, dass Eltern unzufriedener sind, wenn sie sich mit ihren Kindern beschäftigen, als wenn 118

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sie stattdessen Sport treiben, essen oder fernsehen. EIN SINNVOLLES LEBEN zu führen bedeutet, über den gegenwärtigen Moment hinauszuschauen. Glück wird dagegen im Hier und Jetzt empfunden. Wie alle Emotionen verblasst es schnell. Der Sinn ist hingegen etwas Dauerhaftes. In der Harvard-Studie waren die Teilnehmer, die nur über die Gegen-

So gelten Kinder als Sinn des Lebens. Eltern benötigen jedoch eine gewisse Opferbereitschaft und sind weniger glücklich wart nachdachten, glücklicher. Doch nur diejenigen, die über ihre Zukunft oder vergangenes Leid nachdachten, verspürten einen tieferen Lebenssinn. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2011 bestätigte dies: Menschen, die ein klar definiertes Ziel haben, sind zufriedener – selbst dann, wenn es ihnen schlecht geht –, als diejenigen, die kein solches Ziel verfolgen. Damit sind wir wieder bei Frankls Leben und der für ihn prägenden Erfahrung vor seiner Deportation ins Konzentrationslager. Frankl hatte sich schon in jungen Jahren als Psychiater

in Wien einen Namen gemacht, seine Theorien fanden international Aufmerksamkeit. In seiner Funktion als Chef der Neurologie am Wiener RothschildSpital setzte er jedoch sein eigenes Leben und seine Karriere aufs Spiel: Er stellte jüdischen Patienten, die an einer psychischen Erkrankung litten, falsche Gutachten aus, um sie vor dem Euthanasieprogramm der Nazis zu retten. Als die Bedrohung durch die Nationalsozialisten wuchs, beantragte Frankl ein Visum für die USA, das ihm im Jahr 1941 auch gewährt wurde. Die Nazis hatten bereits begonnen, Juden in Konzentrationslager zu deportieren, vor allem ältere Menschen. Frankl wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis seine Eltern an der Reihe wären. Er fühlte sich verantwortlich für sie und wollte sie nicht allein lassen. Auf der anderen Seite war er frisch verheiratet und besaß ein Visum. In

Amerika hätte er sich auf seinem Gebiet weiter profilieren können. Frankl ging zum Stephansdom, um seine Gedanken zu sortieren und eine Entscheidung treffen zu können. Er war auf der Suche nach einem „Wink des Himmels“. Wieder zu Hause fand er ihn: Auf dem Tisch lag ein Stück Marmor. Es stammte aus den Trümmern einer nahe gelegenen Synagoge, die die Nazis zerstört hatten, erklärte ihm sein Vater. Darin eingemeißelt war eins der zehn Gebote: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Frankl blieb! Frankls Lebensweisheit wurzelt in seinen leidvollen Erfahrungen im KZ. Diese Weisheit ist heute so aktuell wie damals: „Mensch sein deutet immer auf etwas Größeres hin als sich selbst. Mensch sein heißt, sich weiterentwickeln zu können.“ Wenn wir bereit sind, in unserem Leben mehr zu geben als zu nehmen, erkennen wir, dass es Wichtigeres gibt, als das bloße Streben nach Glück.

SCHWARZ-WEISS Neulich holte ich mein Fotoalbum heraus und zeigte meinen beiden Enkelkindern Fotos aus den 1950er-Jahren. Meine Enkel – drei und sieben Jahre jung – interessierte es sehr, wie ihre Oma als Kind ausgesehen und mit welchen Spielsachen sie gespielt hatte. Plötzlich sagte Sarina, die Jüngere: „Oma, wie schade, dass die Welt damals schwarz-weiß war. Jetzt ist sie schön bunt.“ MAJA SEITER ,

Haundorf

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Verschreiben Ärzte die richtige Dosis?

MEDIKAMENTE

WIE VIEL IST ZU VIEL? VO N ANITA BARTH O LO M EW

D

ER FOTOTGRAF UND AUTOR Jan Malý, 61, aus Tschechien, saß an einem Freitagmorgen vor seinem Computer, als plötzlich alles vor seinen Augen verschwamm. „Ich dachte, gleich werde ich ohnmächtig“, erzählt er. Am Tag darauf passierte ihm das Gleiche wieder.

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Wiederholungsrezepte aus, ohne zu kontrollieren, ob ein Patient das Mittel überhaupt benötigt. In der Zwischenzeit hat Jan Malý mit seinem Arzt und einer Ernährungsberaterin seine Ernährung umgestellt und 18 Kilo abgenommen. Sein Blutdruck liegt jetzt ohne Medikamente bei 130 zu 80 mmHg. Malý hat gelernt, dass häufig verschriebene Medikamente mehr schaden als helfen können.

Blutdruckmedikamente Eine Studie aus den USA belegt, dass man die Zahl der Todesfälle, die durch Herzerkrankungen verursacht werden, reduzieren kann, indem man den Blutdruck der Betroffenen reguliert. Problematisch dabei ist, dass die Patienten auch dann noch hochdosierte Medikamente erhalten, wenn sich ihr Blutdruck längst normalisiert hat. Und eine Übertherapie (unnötige Behandlung) speziell bei älteren Personen kann Schwindel, Verwirrung, Stürze und Nierenprobleme auslösen. Diabetiker gehören zu einer besonderen Risikogruppe. Dr. Mattias Brunström von der schwedischen Universität Umeå hat aus der nationalen Datenbank Fälle von Patienten analysiert, die Blutdruckmedikamente einnahmen. Nicht alle Patienten litten an erhöhtem Blutdruck. Er fand heraus, dass die blutdrucksenkenden Medikamente das Risiko, an einer Herzkrankheit oder einem Schlaganfall zu sterben, um 15 Pro-

ILLUSTRATI ON: © SHUTTERSTOCK

Sechs Wochen zuvor hatte der Arzt bei einer Routineuntersuchung festgestellt, dass Malýs bis dahin normaler Blutdruck auf 150 mmHg zu 90 mmHg angestiegen war – 140 zu 90 gilt bereits als hoch. Obwohl solche Werte sich schnell verändern können, verließ sich sein Arzt auf die eine Messung und verschrieb ihm ein blutdrucksenkendes Medikament. Am Sonntagmorgen fiel Malý in Ohnmacht, während er sich sein Frühstück zubereitete. Sein Blutdruck war auf 80 zu 40 gesunken – weit unter den Normalwert. Eine Stunde zuvor hatte er seine Arznei eingenommen. Jan Malý gehört zu einer Gruppe von Menschen, denen Medikamente eher schaden, anstatt zu helfen. Mittlerweile fordern einige Forscher, dass Ärzte die Dosierung vieler Medikamente besser kontrollieren sollten. Dr. Cara Tannenbaum, Ärztin für Geriatrie und Professorin für Pharmazie an der Universität Montreal, Kanada, sagt, eine zu hohe Medikamentendosis stelle für ältere Menschen ein großes Problem dar. „Mit zunehmendem Alter arbeiten Leber und Nieren, die die Abfallprodukte im Körper beseitigen, weniger effizient“, erläutert sie. Das heißt, eine Dosis, die vor zehn Jahren richtig war, kann heute zu hoch sein. Und manchmal erhält der Patient auch das falsche Medikament. Zu häufig prüfen die Ärzte nicht, ob die Medikamente gut vertragen werden, beziehungsweise stellen

zent erhöhten. „Diabetiker verkraften das plötzliche Absacken des Blutdrucks nur bedingt“, erklärt er.

Cholesterinsenkende Statine Der heute 74-jährige Alain Morise aus dem französischen Ort Sylvains les Moulins war immer gesund, seine Cholesterinwerte lagen im Normbereich. Weil er rauchte und Rauchen das Risiko einer Herzerkrankung vergrößern kann, verschrieb ihm sein Hausarzt ein cholesterinsenkendes

Die Statine sollen die Bildung von Cholesterin-Plaques in den Blutgefäßen verhindern. Ältere Personen, die keine Anzeichen von Plaque-Bildung aufweisen, haben fast keinen Nutzen davon. In den USA werden Statine für Menschen mittleren bis höheren Alters empfohlen, bei denen nur eine 7,5-prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie problematische Cholesterin-Plaques entwickeln. Dr. Ronald Krauss vom Kinderkrankenhaus am Oakland Forschungszen-

OFT VERSCHREIBT DER ARZT VORBEUGEND STATINE, DABEI IST DER NUTZEN ZWEIFELHAFT Medikament, ein Statin. An einem Tag im September 2013, er nahm die Statine bereits zehn Jahre lang, konnte er sich plötzlich nicht mehr bewegen – seine Muskeln waren wie erstarrt. Der Einsatz von Statinen hat in Europa drastisch zugenommen. In Großbritannien und in der Slowakei beispielsweise nehmen bis zu 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung das Arzneimittel – so ein Bericht der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aus dem Jahr 2013. Viele Menschen nehmen Statine vorbeugend gegen eine Krankheit, die sie vielleicht niemals bekommen.

trum in Kalifornien meint: „Patienten bekommen mit größerer Wahrscheinlichkeit Diabetes“. Alain Morise wurde nach seiner Muskelstarre ins Krankenhaus gebracht. Ein Rheumatologe vermutete sofort, dass seine Medikamente die Ursache der Symptome seien. Dies bestätigte eine Biopsie. Erst kurz zuvor hatte man Statine in Verbindung gebracht mit autoimmunen Muskelerkrankungen wie der nekrotisierenden Myositis, einer seltenen entzündlichen Erkrankung der Muskulatur, die bei Alain Morise vorlag. Morise nahm 30 Kilo ab. „Alle Knochen standen hervor“, erzählt seine 02•2017

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Frau Marie-France. Monatelang musste er regelmäßig ins Krankenhaus. Die Ärzte verschrieben Kortison, um die überschießende Immunreaktion zu dämpfen. Es dauerte 18 Monate, bis Alain Morise endlich wieder gehen konnte – wenn auch nur kurze Strecken. Neben der selten auftretenden nekrotisierenden Myositis hat man Statine auch mit anderen Muskelbeschwerden in Verbindung gebracht, angefangen von starken Schmerzen bis hin zu einer Schädigung des Herzmuskels. Außerdem besteht bei Frauen zwischen 50 und 75 Jahren ein bis zu 48 Prozent größeres Risiko, dass Statine einen Diabetes auslösen können. Das ist das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2012. Professor Eliano Pio Navarese von der Cochrane Heart Group in London, einem unabhängigen globalen Netzwerk aus Wissenschaftlern und Ärzten, ist der Autor einer Meta-Analyse (Kombination der Ergebnisse mehrerer Untersuchungen) aus dem Jahr 2013 über die Auswirkung von Statinen. Er bestätigt, dass das Risiko, Diabetes zu entwickeln, für korpulente Menschen oder Menschen im prädiabetischen Stadium besonders hoch ist. Für Patienten mit hohem Cholesterinwert, die keine Statine nehmen können, gibt es neue Medikamente, die sogenannten PCSK9-Hemmer. Sie senken den Cholesterinspiegel ebenfalls wirkungsvoll und verursa124

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chen anscheinend nicht dieselben Probleme wie Statine, erklärt Professor Navarese.

Insulin bei Diabetes Werden die Blutzuckerwerte bei älteren Patienten oft zu stark gesenkt? Das zumindest lässt eine Analyse der Daten von US-Senioren vermuten. Dr. Jeremy Sussman und sein Team von der Universität von Michigan, USA, gingen der Frage nach, ob Ärzte die Therapie bei älteren Diabetikern anpassen, wenn die Blutdruck- und die HbA1c-Werte sehr niedrig sind. Der HbA1c-Wert gibt Auskunft darüber, wie gut der Blutzucker eingestellt ist. Je älter die Studienteilnehmer waren, desto seltener profitierten sie von einer aggressiven Behandlung. Werden sie mit mehr Insulin therapiert als nötig, können sie eine Hypoglykämie entwickeln. Im Blut ist dann zu wenig Glukose (Zucker), was zu Verwirrungszuständen, zu Stürzen, zu Ohnmachtsanfällen oder sogar zum Tod führen kann. Dr. Sussman stellte 2015 in seiner Studie fest, dass die Insulindosierung nur selten angepasst wurde, selbst, wenn der Blutzuckerspiegel deutlich unter den empfohlenen Werten lag. Ein HbA1c unter 6 Prozent ist nach seiner Aussage gefährlich. In seiner Studie lag der sichere Bereich zwischen 6,5 und 7,5 Prozent. „Wenn man älter wird, können schon geringe Abweichungen gefährlich werden“, erklärt Dr. Sussman.

DAS SOLLTEN SIE NICHT ZUSAMMEN EINNEHMEN STATINE

+ NAHRUNGSMITTEL/NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL: Grapefruitsaft,

Niacin

+ MEDIKAMENTE: Digoxin, Antikoagulantien, Colchicin INSULIN

+ NAHRUNGSMITTEL/NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL: Alkohol (bzw. Konsum einschränken), Aloe, Chrom, Bockshornklee, Ginseng, Gurmar (Gymnema sylvestre), Coenzym Q10, Vanadium + MEDIKAMENTE: Blutdrucksenker

PROTONENPUMPEN-HEMMER

+ MEDIKAMENTE: Tacrolimus, Clopidogrel, antiretrovirale Mittel: Aidsmedikamente BERUHIGUNGSMITTEL

+ NAHRUNGSMITTEL/NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL: Alkohol

+ MEDIKAMENTE: Antidepressiva wie Zoloft und Fluoxetin, Benzodiazepine wie Diazepam, Alprazolam, Lorazepam, Clonazepam BLUTDRUCKMEDIKAMENTE

+ NAHRUNGSMITTEL/NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL: Lakritz, Kalium, Arginin, Johanniskraut, Dong Quai (Chinesische Engelwurz) + MEDIKAMENTE: Lithium, Insulin, orale Antikoagulantien, Nicht-steroidale Entzündungshemmer RD

Protonenpumpen-Inhibitoren Carin Aarts, 56, aus Sint-Michielsgestel, Niederlande, hatte wegen ihrer Verdauungsstörungen seit vielen Jahren Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) eingenommen. Sie hemmen die Produktion von Magensäure. Seit Kurzem litt Aarts an Kopfschmerzen und Bluthochdruck. Erst 2014 stellte sich bei einem Arztbesuch heraus, dass das Medikament einen extremen Magnesiummangel verursacht hatte und dadurch ihre Herzfunktion gefährdete. Die Hemmer werden häufig verschrieben bei Magengeschwüren, Blutungen im Magen-Darm-Trakt, übermäßiger Magensäureproduktion oder bei Reflux. Letzteres funktioniert so effektiv, dass die Beliebtheit weltweit extrem zugenommen hat: 2013 betrug der Umsatz mit ProtonenpumpenInhibitoren in Europa schätzungsweise 118 Millionen Euro. Magensäure ist nötig, um Vitamine und Mineralstoffe aufzuspalten, damit der Körper sie aufnehmen kann. Wer diese Medikamente jahrelang einnimmt, kann schwere Mangelerscheinungen entwickeln. Dr. Jeroen de Baaij vom Medizinischen Zentrum der Radboud-Universität in den Niederlanden stellte fest, dass „etwa 10 bis 15 Prozent der Menschen, die solche Hemmer einnahmen, an Magnesiummangel litten“. Für Menschen ab 65 stellen PPIs ein besonderes Risiko dar. Langfristige Mangelerscheinungen können die 02•2017

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WIE VIELE SIND GENUG? DIE ANZAHL unterschiedlicher Tabletten, die Sie einnehmen, steht in direkter Beziehung zur Wahrscheinlichkeit möglicher Nebenwirkungen“, sagt Dr. Clara Tannenbaum. Dies liegt daran, dass Arzneimittel nicht in Kombination miteinander geprüft werden. Hüten Sie sich vor der sogenannten „Verschreibungskaskade“. Das heißt, ein Medikament verursacht Nebenwirkungen, die man als neues Symptom interpretiert – Hautrötungen oder Übelkeit – und dagegen bekommt man eine neue Pille. Wenn Sie täglich ein Dutzend Tabletten einnehmen, sind das zu viele, findet Dr. Tannenbaum. Dann ist es an der Zeit, ein klärendes Gespräch mit Ihrem Arzt zu führen. RD

Knochen schwächen. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2016 bringt die Hemmer zudem in Verbindung mit einem erhöhten Demenzrisiko. Die Protonenpumpen-Inhibitoren blockieren die Aufnahme von Vitamin B12. Problematischer ist aber die Tatsache, dass der Körper den Säureverlust kompensiert, indem er mehr säureproduzierende Zellen bildet. Wer das Medikament absetzt, leidet häufig an schlimmeren Verdauungsbeschwerden als zuvor. Nachdem Aarts mit Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus eingeliefert worden war, bekam sie auf der kardiologischen Intensivstation 126

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intravenös Magnesium verabreicht. Die Ärzte vermuteten die Protonenpumpen-Inhibitoren als Ursache. Als sie das Medikament jedoch absetzten, waren die Verdauungsbeschwerden und Schmerzen stärker als je zuvor. Carin Aarts braucht die Hemmer weiterhin, muss aber zusätzlich Magnesium einnehmen, was andere Risiken mit sich bringt: Der Mineralstoff kann abführend wirken und starken Durchfall verursachen. Für Menschen, die gelegentlich Verdauungsbeschwerden oder SäureReflux haben, gibt es eine gesündere Alternative. Verzichten Sie auf die Nahrungsmittel, die die Probleme auslösen. Meist sind das Kaffee, Alkohol und sehr fetthaltige und stark gewürzte Speisen. Falls ein säurebindendes Medikament nötig ist, sollte man einen Histamin-2-Blocker einnehmen, aber nur kurzzeitig. Bevor Sie Protonenpumpen-Hemmer absetzen, lassen Sie sich von Ihrem Arzt beraten.

Beruhigungsmittel Einige der neueren Mittel gegen Schlaflosigkeit können kognitive Störungen auslösen, einschließlich einer Amnesie. Aus diesem Grund versah die australische Arzneimittelzulassungsbehörde im Februar 2008 ein Medikament mit folgendem Warnhinweis: Das Mittel kann „mit potenziell gefährlichen komplexen, schlafassoziierten Verhaltensweisen in Verbindung gebracht werden …“

Die Medikamente wirken bei Frauen wohl stärker, ebenso bei älteren Menschen ab 80. Für diese Gruppe erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, tagsüber in einen Unfall verwickelt zu werden, sofern sie am Vorabend das Medikament eingenommen haben. Darüber hinaus ist das Risiko zu stürzen, höher. Außerdem können diese Mittel nach relativ kurzer Zeit (eine Woche) die Schlaflosigkeit verschlimmern, sobald man sie absetzt. Eine 2015 veröffentlichte taiwanesische Studie stellte fest, dass sich die Gefahr einer Demenzerkrankung bei älteren Menschen durch solche Arzneimittel offenbar erhöhte. Die beste Alternative ist eine kognitive Verhaltenstherapie, die mit Einstellungen, Gedanken und Überzeugungen arbeitet. Eine Meta-Analyse früherer Studien aus dem Jahr 2012 bestätigte, dass diese Therapie besser wirkte als Schlafmittel.

„Ärzte müssen bei jedem Patienten Vor- und Nachteile einer Therapie abwägen“, sagt Dr. Clara Tannenbaum. „Und sie müssen die Dosierung regelmäßig überprüfen.“ Sie empfiehlt, einmal jährlich eine Neubewertung aller Medikamente vorzunehmen, welche die Patienten einnehmen. Bei jedem neuen Medikament sollte man das bereits nach drei Monaten tun. Für Patienten gilt: Lassen Sie nie ohne medizinische Beratung ein Medikament weg oder ändern Sie die Dosierung. Bestehen Sie darauf, dass Ihr Arzt oder Apotheker Sie eingehend über die Risiken und Vorzüge eines Arzneimittels aufklärt. Und denken Sie daran, zu fragen, ob die Dosierung noch angemessen ist, wenn Sie älter werden. Als Patient sollten Sie regelmäßig mit Ihrem Arzt reden, damit die Medikamente, die Sie einnehmen, Ihnen auch guttun.

ALTERSGERECHT? Ich war mit meinem fünfjährigen Sohn Rafael im Auto unterwegs und musste an einer roten Ampel anhalten. Während wir auf Grün warteten, betrachtete Rafael die Werbeplakate an einer Straßenbahnhaltestelle. „Schade“, seufzte er plötzlich, „dass dieses Theater nur für alte Leute ist.“ „Welches Theater?“, fragte ich. „Na das!“, antwortete er und deutete auf ein Werbeplakat mit einer weißen Maske. „Phantom der Opas!“ KATJA JAFFAN , R o s t o c k 02•2017

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Der Camino de Santiago de Compostela hat nichts von seiner Magie eingebüßt

Pilgern für

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FOTO: © FABRIZIO TROIAN I/ALA MY

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AS S DAS WET TE R zu dieser Jahreszeit ungemütlich sein konnte, wusste ich. Dass es aber schneien würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Eisige Böen ließen meine Ohren am zweiten Tag auf dem Jakobsweg fast erfrieren, meine dünne Jacke bot kaum Schutz. Vor mir teilte sich der Weg gabelförmig. Mit tränenden Augen suchte ich die weiße Landschaft ab nach dem Zeichen, das mir die Richtung weisen würde. Dann entdeckte ich den kaum handtellergroßen Wegweiser, der mir Sicherheit gab: ein kleiner gelber Pfeil in einem Obelisken. 250 000 Pilger gehen den Camino de Santiago de Compostela jedes Jahr – und ich war eine von ihnen. Vermutlich wanderten bereits um 1000 v. Chr. heidnische Wallfahrende diese Wege. Die ersten christlichen Pilger machten im neunten Jahrhundert die Wallfahrt zu Ehren des Apostels Jakob, dem Nationalheiligen Spaniens. Seine Gebeine liegen der Legende nach unter dem Dom der nach ihm benannten Stadt Santiago begraben. Wer heute den Jakobsweg entlanggeht, tut das eher aus weltlichen Gründen. Das galt auch für mich. Schon mein ganzes Erwachsenenleben glaubte ich, ich müsse jeden Moment ausfüllen mit Arbeit, Reisen, Hobbys oder Sozialkontakten. Mein Geist kam nie zur Ruhe, was schließlich unterschiedlichste Ängste auslöste. Ich wusste, ich muss einen Gang zurückschalten. Das

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kostete meinen ganzen Mut, denn diesen Weg musste ich allein schaffen. Es gibt mehrere Routen nach Santiago de Compostela. Ich hatte mich für die beliebteste entschieden: El Camino Francés, den französischen Jakobsweg. Die Strecke von Roncesvalles im Süden Frankreichs bis Santiago beträgt rund 800 Kilometer. Ich hatte acht Tage Zeit und beschloss daher, nur das letzte Viertel des Weges zu gehen und in dem Dorf Villafranca del Bierzo zu starten. An einem grauen Morgen im April setzte mich ein Bus am Ortsrand von Villafranca ab. Meine Füße steckten in nagelneuen Wanderschuhen, auf dem Rücken trug ich einen kleinen Rucksack und im Geldgürtel bewahrte ich meinen wichtigsten Besitz auf: einen leeren Pilgerausweis, der mit Stempeln der aufgesuchten Herbergen gefüllt werden sollte. Neben der Bushaltestelle betrat ich eine Kneipe, wo ich auf einen sehr kleinen, alten Mann traf, der gerade Servietten faltete. „Entschuldigen Sie bitte“, fragte ich ihn auf Spanisch und kam mir ziemlich töricht vor, eine solche Frage zu stellen. „Wo ist der Camino?“ Er lächelte und führte mich vor die Tür. „Sehen Sie das rote Kreuz auf der anderen Straßenseite?“ fragte er. „Biegen Sie nach dem Kreuz links ab, dann sind Sie auf dem Weg, der Sie nach Santiago führt.“ Es nieselte, als ich der schmalen Straße den Berg hoch folgte. Nur wenige Autos fuhren vorbei. In der Land-

FOTO: © AGE FOTOSTOCK/ALAM Y

Pilger auf dem „Camino de Santiago“ nahe Castrojeriz. Dieser Ort ist einige Hundert Kilometer vom Startpunkt unserer Autorin entfernt

schaft entdeckte ich überall Zeichen des nahenden Frühlings. Die niedrigen Mauern, die sich links und rechts der Landstraße hinzogen, waren von dickem Moos und blass-rosafarbenen Sukkulenten bedeckt. Just in dem Moment, in dem ich die Anhöhe erreichte, brach die Sonne durch die Wolken. Ich war allein. Da breitete sich ein intensives Gefühl der Ruhe in mir aus, und ich stieß einen langen Seufzer aus. Ich wanderte weiter, bis ich in den kleinen, aus Natursteinhäusern bestehenden Ort Pereje kam. An der Außenmauer einer Taverne lehnte eine Frau. Ich ging hinein und bestellte einen Café con leche. Während der nächsten Tage verlieh mir die Aussicht auf einen solchen süßen Milchkaffee frischen Schwung.

Als ich meinen ersten Café con leche schlürfte, zwängte sich ein Mann mittleren Alters durch die Tür. Er ließ sich an der Theke auf einen Barhocker neben mir plumpsen. Ich drehte mich zu ihm und lächelte ihn an. „Woher kommst du?“, fragte ich. „Deutschland!“, antwortete er mit einem Lächeln, das meinem in nichts nachstand. Ich stellte ihm Fragen, doch er unterbrach mich. „Wenig Englisch, sehr wenig“, sagte er. Ich nickte und spürte, es war nicht abweisend gemeint. Als ich gehen wollte und meine Sachen zusammensuchte, tippte er mir auf die Schulter. „Buen Camino!“, wünschte er mir. „Buen Camino!“, antwortete ich. Diese beiden spanischen Wörter 02•2017

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FOTO: © LI A GRAI NGER

bekamen Obdach in Scheunen, Kirchen oder den Wohnhäusern der Einheimischen. Heutzutage trifft man fast alle fünf Kilometer auf eine Albergue, eine nur mit dem nötigsten ausgestatteten Herberge. Die erste ihrer Art, in der ich übernachtete, war die Albergue German Confraternity de Faba, in der mich die blonde Pensionärin Ellen Zierott begrüßte. Sie nahm die fünf Euro Gebühr entgegen und erklärte mir die Regeln: Wanderstiefel im Vorraum ausziehen, Licht aus um 22 Uhr, und um Punkt acht Uhr morgens mussten Autorin Lia Grainger an ihrem ersten Tag, alle die Herberge verlassen haben. Da die Schlafenszeit näherrückte, kurz bevor sie La Faba erreicht lief ich rasch die Straße hinunter in kannte jeder Pilger – sie waren so eines der beiden Lokale und schlang einen Teller Nudeln in mich hinein. etwas wie ein Erkennungszeichen. Ich hatte mir vorgenommen, rund Wieder zurück schlüpfte ich unter die 29 Kilometer bis O Cebreiro zu wan- dünne Fleecedecke. Das Licht ging dern, ein Ort hoch auf dem Berg ge- aus, und Sekunden später erfüllte viellegen. Mein Plan war, den offiziellen stimmiges Schnarchen den Raum. Ich Stationen des Jakobswegs zu folgen, verfluchte mich, dass ich Ohrstöpsel zwischen 18 und 37 Kilometer pro vergessen hatte, schlief aber kurz daTag. Das Gelände war sehr unter- rauf erschöpft ein. „Guten Morgen!“, sagte eine gut aufschiedlich: von schlammigen Bergpfaden bis zu Wegen, die einer Land- gelegte Stimme. Ich brauchte einen Moment, bis ich Ellen erkannte. straße folgten. „Guten Morgen!“, erklang die verDoch bereits am ersten Nachmittag, es dämmerte schon, stellte ich fest, schlafene, aber fröhliche Antwort im dass O Cebreiro noch fünf Kilometer Chor. Ich schaute auf die Uhr: sieben Uhr. entfernt war. Also erklomm ich den steilen Anstieg zu dem winzigen Berg- Zeit, aufzubrechen. Ich trat in den dunklen, frostigen bauerndorf La Faba, um mir einen Morgen hinaus. Die Pilger, mit denen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Jahrhundertelang haben Pilger un- ich mich am Abend zuvor im Lokal ter freiem Himmel übernachtet oder unterhalten hatte, sagten, es gebe

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Schnee (O Cebreiro liegt 1296 Meter hoch), doch ich hatte das nicht ernst genommen. Es war schließlich April. Aber innerhalb von drei Stunden änderte sich das Wetter, und der Wind peitschte die Bäume hin und her. Vor mir tauchte ein Ort auf: O Cebreiro. Die erste Tür, die offen stand, betrat ich. In der Taverne glühten Kohlen in einem riesigen Kamin. Ich zog mir einen Stuhl neben einen Mann mit blauen Augen und weißem Bart. „Einen Caldo Gallego“, sagte der Mann zur Bedienung. Er drehte sich zu mir um. „Der ist hier sehr gut.“ Daraufhin bestellte ich das gleiche. Uns wurde ein typisch galizischer Eintopf mit Schweinefleisch, weißen Bohnen und Kohl in einer schlichten, braunen Keramikschüssel serviert, dazu deftiges Brot. Wir unterhielten uns. Günter kam aus Deutschland und war zum dritten Mal hier. Ich traf überraschend viele Deutsche. Später erfuhr ich den Grund: der Bestseller Ich bin dann mal weg von Hape Kerkeling. „Leute haben Probleme“, sagte Günter in holprigem Englisch. „Sie kommen zum Camino, und die Probleme gehen weg.“ In dem Augenblick riss jemand die Tür auf und brachte einen Schwall kalter Luft mit. Herein kam ein anderer Deutscher, der zufälligerweise ebenfalls Günter hieß. Er war jünger und bestellte auch einen Caldo. „Ich bin Erfinder“, sagte er, als ich ihn fragte, was ihn auf den Jakobsweg

trieb. „Haben Sie je eine aufblasbare Kinoleinwand gesehen? Das war meine Idee.“ Dann erzählte er, dass die Geschäfte mit seinen Erfindungen gut liefen, bis seine Partner ihn um seinen Firmenanteil betrogen. „Damals war ich am Boden zerstört. Ein Jahr lang lag ich nur auf dem Sofa herum“, berichtete er. Eines Tages griff er zu einem Buch, das seine Frau gerade las. Es stammte aus der Feder des brasilianischen Schriftstellers Paulo Coelho und hieß Auf dem Jakobsweg – Tagebuch einer

Jahrhundertelang haben Pilger unter freiem Himmel übernachtet. Heute findet man alle fünf Kilometer eine Herberge Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Dieser Reisebericht verhalf dem Camino in den 1980er-Jahren zu einem Comeback. „Zehn Tage wanderte ich auf dem Jakobsweg“, erzählte Günter. Heute war einer der letzten Tage seiner sechsten Pilgerreise. Er war davon überzeugt, er habe es dem Camino zu verdanken, dass er seine Depression überwand und nach Jahren vergeblicher Versuche endlich ein Kind zeugen konnte. Ich war zutiefst gerührt von seiner eindringlich erzählten Geschichte. 02•2017

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Wir aßen unseren Eintopf auf und gingen wieder hinaus in den Schnee. Die beiden schritten voran. Bald nahm ich sie nur noch als verschwommene Gestalten wahr, bis sie schließlich ganz verschwanden. Als ich nachmittags meinen heiß ersehnten Café con leche schlürfte, traf ich auf den Schweizer Hans-Peter. Ich war erschöpft, aber Hans-Peter hatte Lust auf ein Schwätzchen. „Kalt da draußen, nicht wahr?“ Ich stimmte ihm zu. Meine Wangen glühten feuerrot. Die Kathedrale von Santiago, das Ziel des Camino de Santiago de Compostela „Hier“, sagte Hans-Peter und hielt mir eine Tube Vaseline hin. Mittags machte ich Rast in einem Ich rieb mir das Gesicht ein. „Wollen wir ein Stück zusammen Café am Wegesrand und schnürte müde die beiden Folterinstrumente gehen?“, fragte Hans-Peter lächelnd. „Schau hier“, sagte er beim Gehen auf. Ich wusste genau, dass ich keine und wies auf ein glatt geschliffenes Wahl hatte: Ich musste weiterwanStück Fels auf dem Weg hin. „Dieser dern. In diesem Moment konnte ich Stein ist durch die Füße von Millionen mir vorstellen, dass religiös motivierte von Menschen abgewetzt worden, die Pilger den Schmerz als Zeichen ihrer vor uns hier gegangen sind. Könige, Hingabe betrachteten. Mir gaben sie Priester, Päpste.“ Er hielt inne. „Kannst das Gefühl, etwas geleistet zu haben. du dir einen König vorstellen, wie er Deshalb schnürte ich die Schuhe wiediesen Pfad entlanggetragen wurde?“ der zu und machte mich auf den Weg. Im Laufe der nächsten Tage entwiDas konnte ich. Wir näherten uns ckelte ich Überlebensstrategien: Jedem verschlafenen Nest Triacastela. Am nächsten Tag bereitete mir den Morgen wartete ich, bis fast alle das Gehen ziemliche Schwierigkei- die Herberge verlassen hatten. Dann ten – ich hatte meine Wanderstiefel bereitete ich mich auf den Tag vor. vor meiner Reise nicht eingelaufen. In diesen ruhigen Momenten breiDie Umgebung war atemberaubend tete sich in meinem Geist eine unschön: grüne Felder, sanftes Son- gewohnte, erholsame Stille aus. Das nenlicht. Doch ich konnte an nichts Leben hier folgte einem wunderbar anderes denken als die stechenden einfachen Rhythmus: aufwachen, Schmerzen in meinen Achillessehnen. wandern, essen, schlafen. 134

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FOTO: © DOSFOTOS /GETTY

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Mit rund vier Kilometer pro Stunde hatte ich mein Tempo gefunden. Morgens war mir eher nach Alleinsein, nachmittags tat ich mich gern mit jemandem zusammen, auf dessen Lebensgeschichte ich neugierig war. Von diesen Geschichten gab es viele. Da war Andreas, ein hochgewachsener junger Mann, der direkt vor seiner Haustür in Freiburg losgegangen war. „Ich mag es, interessante Leute zu treffen und mich in schöner Natur aufzuhalten“, erzählte er mir. „Aber ich liebe es auch, zu wandern. Ich brauche das geradezu.“ Und da war die junge Finnin, die davon träumte, als Matrosin zur See zu fahren, der junge Rumäne, der sich auf dem Camino hoffnungslos verliebt hatte, und das ältere, chinesische Ehepaar, das in Manhattan wohnte. Noch nie in meinem Leben war ich so allein gewesen und hatte mich gleichzeitig anderen so freundschaftlich verbunden gefühlt. Auch auf den letzten 20 Kilometern bis nach Santiago begleitete mich dieses eigenartige, wundersame Gefühl. Endlich kam die Stadt in Sichtweite, dann die Kathedrale, ein fast 1000 Jahre altes romanisches Bauwerk von epischen Ausmaßen – über die Jahr-

hunderte um Stilelemente aus Gotik, Renaissance und Barock erweitert. Beim Näherkommen geriet ich in einen Strom von Pilgern, die sich umarmten, weinten, lachten und beteten. Ich hatte es geschafft. Doch als mir meine Compostela, die Pilgerurkunde, überreicht wurde, mischte sich eine tiefe Traurigkeit in meine Begeisterung. Dieser lieb gewonnene, einfache Rhythmus würde der Hektik meines chaotischen Lebens weichen. Doch dann erinnerte ich mich an etwas, das mir Andreas noch am Morgen gesagt hatte. „Es geht nicht um den Jakobsweg“, hatte er gesagt. „Es geht darum, in deinem täglichen Leben den unzähligen gelben Pfeilen zu folgen.“ Ich begriff, dass ich den Camino in meinem Innern mitnehmen konnte: seine Einfachheit, seine Freundlichkeit und Offenheit Fremden gegenüber. Die „gelben Pfeile“ hatte ich verinnerlicht. Sie hatten ihren Platz in meinem Bauchgefühl, meinem Herzen. Sie würden mir den Weg weisen. Ich nahm mir noch am selben Tag vor, dass ich im Jahr darauf den Camino Francés vom Anfang bis zum Ende gehen würde – mit eingelaufenen Stiefeln.

SCHLECHT ZU FUSS? Ich finde schon das Gehen eine unnatürliche Bewegungsart – Tiere laufen, aber der Mensch sollte reiten oder fahren. GOTTFRIED BENN,

dt. Schriftsteller (1886-1956)

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MEHR LESEN

Ein

Herz für

Jens

Jens kommt mit einem seltenen Herzfehler zur Welt. Die Geschichte eines tapfer erkämpften Lebens VO N ANNETT P Ö P P LE IN

DIE TAGE NACH JENS’ GEBURT waren wunderbar. Der Weih-

nachtsfrieden, die Harmonie, das Losgelöstsein von allen Terminzwängen. Ich verspürte eine unendliche Dankbarkeit. Jens war ein unkompliziertes Baby. Wenn er an meiner Brust getrunken hatte, schnell und gierig, versank er unmittelbar in tiefen Schlaf und wachte erst zur nächsten Mahlzeit wieder auf. Diese Effizienz kannte ich bereits von meinen Zwillingen. Jodie rechts, Pauline links, fünf Minuten pro Nase, fertig. Man holt sich genau das, was man braucht. 136

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FOTO: © ARCTIC IMAGES/ALAMY STOCK PHOTO

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DIE HEBAMME stattete uns täglich einen Besuch ab. „Brrr, hier ist es aber kalt! Machen Sie nie das Fenster zu?“ „Ja, sorry. Ich denke immer, ich muss ersticken, wenn ich zu lange in einem geschlossenen Raum bin. Aber Sauerstoff ist doch gut für Babys.“ Die Hebamme riet mir, Jens’ kalte Fingerchen und Zehen gut unter meiner Bettdecke zu verstecken. Der erste Tag im neuen Jahr. Sonnig und warm. Jens’ erster Ausflug in den Wald. Stock und Stein konnten ihn nicht stören in seinem Schlaf, sodass ich regelmäßig seine Wange kitzelte, um mich zu vergewissern, ob er noch atmete. Es beruhigte mich, wenn er daraufhin die Nase rümpfte. Draußen dämmerte es, als meine Töchter und ich es uns auf dem Wohnzimmerboden gemütlich machten. Jens lag auf meinem Schoß, schlafend. „Buch vorlesen, Mama!“ Mein Gott, da saßen die beiden, selbst noch in den Windeln und doch schon die Großen! „Mama, macht Jens da?“ Jodie schaut fragend auf ihren Bruder. Jens spuckt. Nichts Ungewöhnliches für ein Baby. Ich blicke in Jens’ Gesicht. Sehe die Schweißperlen auf der Stirn, seine Haare sind klatschnass. Das Blau seiner Augen verdreht sich himmelwärts. Seine Haut wird fahl, grün. Ich brülle wie von Sinnen nach meinem Mann: „Kees, ruf den Notarzt an, SOFORT. Sag, ein Kind stirbt!“ Während ich meinem Mann Instruktionen gebe – „Wähle 110 ... ein 138

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Neugeborenes mit Herzstillstand ... es ist kritisch ... Adresse ... mach das Licht draußen an!“ – reiße ich Jens die Kleider vom Leib, alle Fenster auf. Atme, Jens, atme! Ich höre einen Notarztwagen vorfahren. Ich höre Menschen die Stufen zur geöffneten Haustür hochlaufen. Ich lege mein regloses Kind auf den Esszimmertisch. Der Notarzt spricht ruhig und bestimmt, während er Jens untersucht. Jens scheint sich zu erholen. Er atmet, sein Herz schlägt, ein wenig Farbe ist in sein Gesicht zurückgekehrt. War meine Reaktion übertrieben? Hatte er sich vielleicht nur an der Milch verschluckt? „Wir bringen ihn jetzt in die Kinderklinik. Zur Sicherheit. Sie wollen bestimmt mitfahren?“ Ich fahre mit, natürlich. Während die Tür des Rettungswagens zugezogen wird, sehe ich Kees mit Jodie und Pauline in der Haustür stehen. Sie schauen uns nach, als wir davonfahren. Das Martinshorn geht an. Ich darf Jens vom Krankenwagen ins Klinikgebäude tragen. Die Oberärztin kommt. Während ich berichte, was zu Hause passiert ist, untersucht sie Jens. „Ich muss ihn mit auf Intensiv nehmen“, sagt sie. „Warten Sie am besten hier im Gang.“ Die Dame an der Pforte leiht mir ein paar Münzen. Ich rufe Kees an. Dann setze ich mich auf einen der Plastikstühle im Gang und warte. Wie spät ist es? Acht Uhr, neun Uhr?

AUS: DAS HALBE HERZ. EINE ÜBERLEBENSGESCHICHTE; © 2012 DTV, VERLAGSGESELLSCHAFT MÜNCHEN

EIN GROSSER MANN kommt auf mich zu. Er hat ein Röntgenbild in der Hand. „Wir wissen leider immer noch nicht genau, was mit Ihrem Kind ist. Auf dem Röntgenbild hier sieht sein Herz sehr groß aus. Wir warten auf den Herzspezialisten. Der wird einen Ultraschall machen.“ Es liegt etwas Beunruhigendes in seinem Blick. Einige Zeit später kommt die Ärztin wieder. Sie wirkt nervös. Gehetzt. Einer dieser Feiertage, wo sie allein auf Station ist und sich um zehn Notfälle gleichzeitig kümmern muss. „Ich habe

Wie oft werde ich die Handbewegungen noch sehen, die nun folgen? 200 Mal, 500 Mal? Ich sehe, wie die Ärztin mit entsetzt aufgerissenen Augen den Monitor anstarrt. „Oh Gott, oh Gott“, höre ich immer wieder. „Sie hatte recht“, sagt der Kardiologe. „Ihr Kind muss sofort in eine Herzklinik. Es ist ein Herzfehler der komplizierteren Sorte. Das muss operiert werden.“ Jens liegt immer noch reglos in seinem Glasbettchen. Die Ärztin telefoniert. „Ja, den Hubschrauber. Kom-

ICH GEHE ZU JENS UND STREICHLE SEINE HAND. DER KLEINE ENGEL. ICH BIN VERRATEN UND VERKAUFT AN DIESES BABY einen Ultraschall vom Herzen gemacht, aber ich bin keine Spezialistin. Ich hoffe nur, dass sich mein Verdacht nicht bestätigt.“ Irgendwann bittet man mich in ein Zimmer. Ich sehe Jens in einem Glasbettchen liegen. Die zwei Schläuche der Sauerstoffbrille sind an seinen Wangen festgeklebt. Er sieht so friedlich aus. So winzig. Ein stämmiger Mann ist gerade dabei, ein Ultraschallgerät neben Jens zu platzieren. „Ich werde jetzt einen Herzschall von Ihrem Kind machen. Ich hoffe mal nicht, dass sich die Diagnose der Frau Kollegin bestätigt.“ Die Ärztin stellt sich vor das Glasbettchen.

men Sie mit dem Hubschrauber.“ Die Ärztin legt den Hörer auf und stellt sich neben mich. „Es tut mir so leid für Sie!“ Zwischenzeitlich ist Kees eingetroffen. Wir sitzen auf grauen Plastikstühlen, unfähig einzuordnen, was geschehen ist. Gegen vier Uhr morgens trifft das Team der Herzklinik ein. Es besteht aus einem sehr korrekt wirkenden Oberarzt, einem Assistenzarzt und einer kleinen, schwarzhaarigen Krankenschwester. „Guten Tag, Beckmann. Sie sind die Eltern? Wir verlagern Ihr Kind jetzt in den Transportinkubator und fahren 02•2017

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dann ins Kinderherzzentrum.“ Das Team verschwindet hinter der Tür. Eine weitere Stunde vergeht. Die Tür öffnet sich. Der Oberarzt sieht angestrengt aus. „Sie wissen vielleicht, dass bei Babys im Mutterleib die Herzscheidewand noch nicht geschlossen ist. Das Baby atmet sozusagen über die Nabelschnur. Nach der Geburt muss es sein Blut über die Lunge selbst mit Sauerstoff anreichern. Deswegen muss sich die Scheidewand schließen. Dann hat das Kind zwei getrennte Blutkreisläufe. Rechts kommt das verbrauchte Blut über Venen ins Herz und geht von dort über die Lungenschlagader in die Lunge. Links kommt sauerstoffreiches Blut aus der Lunge ins Herz und geht über die Aorta in den Körper.“ „Wenn, wie bei Ihrem Sohn, die Aorta aus der rechten statt aus der linken Herzkammer entspringt, hat der Verschluss der Scheidewand zur Folge, dass das Blut, das aus der Lunge ins Herz zurückfließt, nicht mehr wegkann. Es staut sich in die Lunge zurück, die Lunge wird überflutet und der Körperkreislauf bricht zusammen. Bei Ihrem Kind ist gestern der Zeitpunkt gekommen, wo sich die Scheidewand geschlossen hat.“ Dr. Beckmann hält einen Moment inne. „Wir hatten gerade eine sehr kritische Situation. Als wir Ihren Sohn in den Transportinkubator umlagern wollten, ist er dekompensiert – sein Herz hat versagt. Es hat lange gedauert, ihn zurückzuholen.“ 140

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Ein letzter, ernster Blick von Dr. Beckmann. „Ihr Sohn hatte großes Glück. Zu Hause hätte er diese Nacht nicht überlebt.“ Wie konnte es bloß geschehen, dass Jens in meinen Armen einen Tod auf Raten starb, während ich mich dem Trugschluss hingab, er sei kerngesund? Der Gedanke, dass er drei Wochen lang stumm um Hilfe gerufen hatte mit seiner Kurzatmigkeit, seinen ewig kalten Händen und Füßen und seinen vorschnell beendeten Stillmahlzeiten und ich das nicht bemerkt hatte, war wie ein Faustschlag ins Gesicht. GEGEN SECHS UHR erreichten Kees

und ich die kinderkardiologische Intensivstation. Der Professor nahm uns in Empfang. Ein großer, feingliedriger Mann mit weißem Haar. Er hatte eine sanfte Stimme. „Man kann den Herzfehler Ihres Sohnes nicht heilen. Man kann lediglich in mehreren Operationsschritten versuchen, Ihrem Sohn ein einigermaßen lebenswertes Leben zu ermöglichen. Ihr Sohn wird jedoch nie ein Herz haben, mit dem er alt werden kann. Irgendwann wird er ein Spenderherz brauchen.“ Pause. „Sie können sich selbstverständlich dafür entscheiden, Jens nicht operieren und alles seinen natürlichen Verlauf nehmen zu lassen. Ich denke, Jens wird uns den Weg zeigen, den er gehen will.“

FOTO: M IT FREUNDLI CHER GEN EHM IGUNG VON A NN ETT PÖP P LEI N

Jens’ neues Herz ist ein Geschenk, das mit nichts zu bezahlen ist

Natürlicher Verlauf. Unglaubliche drei Wochen hatte Jens nach seiner Geburt durchgehalten. Wie viel Lebenswillen musste ein Baby besitzen, wenn es fähig war, so lange zu „kompensieren“ angesichts einer Umwelt, die seine leisen Hilferufe nicht wahrnahm? Jens wollte leben, da war ich mir sicher. Der weißhaarige Professor erklärte uns, dass Jens in drei Schritten operiert werden solle. Alle drei Operationen sollten möglichst innerhalb der ersten zwei Lebensjahre stattfinden. ZWEI WOCHEN NACHDEM Jens ins Herzzentrum eingeliefert worden war,

wurde er erneut operiert. Über Wochen, Monate, Jahre verstand ich nur einen Bruchteil dessen, was vor sich ging. Was mit meinem Sohn geschah, was all die Kurven und Schlangenlinien auf den Monitoren zu bedeuten hatten, die unzähligen Ultraschall- und Röntgenbilder, die Werte der Blutanalysen, die Intensiv-Maschinerie, die oft von einer Sekunde zur nächsten Alarm schlug und ein hektisches Team von Schwestern und Ärzten zusammenkommen ließ. Die kinderkardiologische Intensivstation sollte zu unserer zweiten Heimat werden. Manchmal kamen wir auf Bestellung, wenn ein Herzkatheter anstand. Meistens jedoch flüchte02•2017

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ten wir dorthin. Wir kamen mit dem Notarztwagen, wir kamen nachts, wir kamen mit Herzrhythmusstörungen, mit Influenza A und Lungenentzündungen. OBWOHL KEES und ich unserem weißhaarigen Professor vertrauten, ließ uns der Gedanke nicht los, dass es womöglich irgendwo auf der Welt eine bessere Klinik geben könnte als seine. Im Internet war ich auf das Herzkinderforum gestoßen, in dem sich Eltern austauschten, deren Ba-

stellen, dass jemand dafür die Kosten übernehmen würde. Nach nervenaufreibenden Stunden am Verhandlungstisch des Direktors unserer Krankenkasse bekamen wir unsere vorläufige Kostenzusage für England. Wir flogen nach England. Der Chirurg schickte uns wieder nach Hause. „Ich glaube, es wäre sinnvoll, noch ein, zwei Jahre mit der Operation zu warten. Jens’ Geschichte ist so komplex, und es gab so viele Komplikationen. Im Moment ist er stabil. Wir sollten ihm die Zeit gönnen, sich

JENS WEISS GENAU, DASS ANDERE KINDER VIEL MEHR KÖNNEN ALS ER. TROTZDEM BEKLAGT ER SICH NIE. ER FÜHLT SICH WOHL bys man zur Operation nach England überwiesen hatte. Sollten wir auch den Sprung über den Teich in Erwägung ziehen? Nach gründlicher Überlegung beschlossen wir, Jens in Birmingham, England operieren zu lassen. Unser Entschluss basierte auf dem Weltruf des dortigen Chirurgen als Linksherz-Spezialist und auf einer simplen Milchmädchenrechnung: Jens würde dort die besten Chancen haben, wo man die meiste Erfahrung beim Operieren komplexer Herzfehler seines Kalibers hatte. Um Jens in Birmingham operieren lassen zu können, mussten wir sicher142

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ein wenig zu entwickeln. Das Risiko ist einfach zu groß. Wir hören voneinander.“ Also vorerst keine Operation. Erst mal verschnaufen. Auch gut. Mit zweieinhalb Jahren tat Jens seine ersten wackligen Schritte. Es war seltsam anzuschauen: Was andere Kinder mit zwölf Monaten scheinbar instinktiv lernen, nämlich einen Fuß vor den anderen zu setzen, bedurfte bei Jens einer sorgfältigen Planung. Ein Schrittchen ohne die stützende Hand seiner Physiotherapeutin erforderte unendlich viel Geduld und Motivation. Als es endlich klappte, freute sich Jens wie ein Schneekönig.

DRITTER GEBURTSTAG. Langsam

war es an der Zeit, Jens von mir abzunabeln. Im April 2001 wurde Jens Waldkindergarten-Kind. Er lebte sich gut ein in der kleinen Truppe. Es stellte sich schnell heraus, dass er ein Meister der Anpassung war und die Puppenküchensprache ebenso beherrschte wie das Ritter- und Großbaustellenlexikon. Ein Lebenskünstler auf allen Ebenen, der von Jungen und Mädchen gleichermaßen ins Spiel integriert wurde, zumindest solange man im Sitzen spielte. Mitte Oktober 2001 packte Jens seinen Koffer für England. Nur das Allerwichtigste: Pixie-Bücher, Märchenkassetten, Kuscheltiere, Spielzeugautos. „Ich fliege nach England!“ Jens war so stolz. Am zweiten Tag in Birmingham zog man Jens den OP-Kittel an, band ihm und seinen Kuscheltieren name tags – Plastikarmbänder mit Namen und einstweiliger Adresse – um Handgelenk und Pfoten und karrte sein Bett den Gang entlang Richtung Chirurgie. „Jens wird erst mal ziemlich blau aussehen“, warnte uns Dr. Clark. „Durch die Operation wird zwar das Herz entlastet, aber die Lunge bekommt jetzt weniger Blut als vorher. Sobald Jens’ Herz sich erholt hat, nehmen wir die letzte Operation in Angriff. Nächstes Jahr um die gleiche Zeit – dann wird Ihr Sohn hoffentlich so herumspringen wie unser kleiner Freund hier, der das alles schon hinter sich hat!“

Dabei lächelte Dr. Clark einem fünfjährigen deutschen Jungen zu, der mit einem grünen Tretauto durch die Gänge flitzte und dessen Mutter man einst gesagt hatte, ihr Neugeborenes sei inoperabel, und sie solle es zum Sterben mit nach Hause nehmen. An einem unserer letzten Abende in Birmingham stellte Dr. Clark eine Frage: „An wen soll ich den Arztbrief schicken?“ Der Arztbrief würde an die Klinik gehen, die Jens zukünftig in Deutschland betreuen würde. Manche Antworten werden im Bauch geboren, nicht im Kopf. „Schicken Sie ihn an Professor Leon!“ PROFESSOR LEON war Leiter eines

der vielen deutschen Kinderherzzentren, und sicher nicht des bekanntesten. Es war gut, dass ich aus glaubwürdiger Quelle erfahren hatte, was für eine Koryphäe dieser Professor auf seinem Gebiet war. Ich weiß nicht, ob ich von selbst darauf gekommen wäre. Für mich hatte er mehr Ähnlichkeit mit einem Entertainer als mit einem Medizinprofessor. Jens liebte diesen Mann vom ersten Augenblick an. Die beiden sangen zusammen Weihnachtslieder, während der Professor den Ultraschall machte. „Jens, schau mal, siehst du die Eisenbahn, die hier über den Bildschirm fährt. Husch, husch, husch, die Eisenbahn ...“ „Wo soll denn da eine Eisenbahn sein?“ „Na hier, guck doch!“ 02•2017

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READER’S DIGEST

Im Flur fragte mich Jens: „Mama, meinst du, der Professor Leon lässt das nächste Mal wieder die Eisenbahn für mich fahren?“ Er ließ sie immer fahren. Bei unserem ersten Zusammentreffen hatte Professor Leon noch keine Prognose für Jens gewagt. Man müsse bald einen Herzkatheter machen und dann mit Dr. Clark Kontakt aufnehmen, um den Zeitpunkt für die nächste OP festzusetzen. Arztbrief vom 9. Januar 2002: Bei Jens zeigt sich zur Zeit ein ausreichend stabiler Zustand. Arztbrief vom 13. Februar 2002: In Kontrolluntersuchung festgestelltes Heute bereitet sich Jens (hier mit Mutter Annett) aufs Abitur vor

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Vorhofflattern. Schrittmacher-resistent. Externe Kardioversion. Jens’ Herz hatte begonnen, unkontrolliert zu zucken. Dagegen war sein Schrittmacher machtlos. Man ver abreichte seinem Herzen einen Elektroschock, um es wieder in den richtigen Takt zu zwingen. Arztbrief vom 7. Juli 2002: Zufriedenstellender Allgemeinzustand. Ich denke, dass eine Komplettierung der Kreislauftrennung im Herbst dieses Jahres indiziert ist. Arztbrief vom 23. Dezember 2002: Netter, fünf Jahre alter Junge in deutlich reduziertem Allgemeinzustand. Laut Angabe der Mutter hat Jens eine

schwierige Situation bei hochfieberhaftem Infekt hinter sich, er kann kaum noch stehen. Nach meiner Einschätzung würde ich Jens eher eine Herztransplantation anbieten wollen als eine Kreislauftrennung. Arztbrief vom Januar 2003: Listung für ein Spenderherz bei Eurotransplant. Was habe ich in dem Moment gefühlt, als Professor Leon mir sagte, dass es zu spät sei für eine Kreislauftrennung? War ich verwirrt? War ich schockiert? Ich weiß es nicht mehr. Ich war alles zusammen und gleichzeitig nichts von alledem.

FOTO: © PAULINE BOSSERS

ES WAR KURZ VOR WEIHNACHTEN.

Wie so oft hatten wir meine Schwestern und ihre Familien eingeladen. Auch in diesem Jahr würde es eine Neuigkeit zu berichten geben, die von uns verlangte, Haltung zu bewahren. Während meine Schwestern mit Jodie und Pauline das Weihnachtsessen vorbereiteten – sie gingen mittlerweile in die zweite Klasse und waren schon recht selbstständig geworden – fuhren Kees und ich mit Jens in die Klinik, um alle Untersuchungen und Formalitäten für die Listung bei Eurotransplant hinter uns zu bringen. Es mussten sehr strenge Voraussetzungen erfüllt oder besser: nicht mehr erfüllt sein, um für ein Spenderorgan infrage zu kommen. Dr. Schäfer führte das Aufklärungsgespräch mit uns. Er war der Transplantationsbeauftragte im Kinder-

herzzentrum Gießen und vermittelte uns das Gefühl, an der richtigen Adresse gelandet zu sein. „Unsere Klinik transplantiert die meisten Kinderherzen in Deutschland und steht auch europaweit an der Spitze.“ Das war schon mal beruhigend. „Wie viele Transplantationen machen Sie denn so pro Jahr?“ Eine typische Kees-Frage. „Wenn es gut läuft und wir genug Spenderherzen bekommen, machen wir davon zehn. Eigentlich könnten wir viel mehr machen, wenn wir genug Organe hätten.“ „Wie lange ist denn die Wartezeit für ein Herz?“ „Das weiß keiner. Erwachsene warten durchschnittlich eineinhalb Jahre. Bei Kindern geht es etwas schneller, weil die Konkurrenz auf der Warteliste nicht so groß ist. Das wird alles über Eurotransplant geregelt. Die sitzen übrigens in Holland. Die Krankenhäuser, die ein Organ zu vergeben haben, melden sich bei Eurotransplant. Dort wird in der Datenbank geprüft, zu wem das Organ am besten passt.“ „Die Wartezeit wird zwar berücksichtigt, aber das beste Match gewinnt. Außer man ist auf High Urgency, das ist die höchste Dringlichkeitsstufe, dann rückt man schneller nach. Manchmal müssen wir ein Organ auch ablehnen. Wenn es qualitativ nicht gut genug ist oder der Patient gerade nicht transplantationsfähig ist. Wegen Krankheit zum Beispiel.“ 02•2017

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stand zwischenzeitlich im Zimmer von Jodie und Pauline, aber es dauerte Stunden und viel gutes Zureden bis er dort endlich eingeschlafen war. Die Zwillinge bekamen davon nichts mit, denn ihnen fielen meistens schon während der ersten beiden Schlaflieder, die Kees oder ich ihnen allabendlich vorsangen, die Augen zu. Bald war Fasching. Jens hatte sich bereits alles für die Party zurechtgelegt. Er kam die Treppe zu seinem Zimmer nicht mehr hoch, zählte aber die Nächte, die er noch schlafen musste bis zum Kinderfasching. Am Faschingsdienstag zog ich ihm sein Polizistenkostüm an, schminkte ihm einen dicken schwarzen Schnurrbart unter seine violetten Wangen und fuhr mit meinen drei Kindern in die Turnhalle. Ich trug Jens die ganze Zeit über auf dem Arm und tanzte mit ihm zur Faschingsmusik. Er quietschte vor Vergnügen. Am Abend sagte er zu mir mit leuchtenden Augen: „Mama, die Feier war so schön, ich war noch nie auf einer so schönen Feier!“ DER 7. MÄRZ 2003 war ein sonniger Vorfrühlingstag. Am Nachmittag spielten Jodie und Pauline im Garten. Jens und ich saßen auf der Treppe und zählten die bunten Krokusse, die ihre Köpfe aus der Erde reckten. Plötzlich schaute Jens mich an und sagte: „Mama, mir geht es komisch.“ Dann drehte er die Augen himmelwärts und erbrach. Die Kapitulation

FOTO: © GETTY IMAGES/HEMERA

Wir vereinbarten, dass Jens noch ein letztes Mal mit seinem „alten Herzen“ seine Oma in Holland besuchen durfte, so wie wir das eigentlich für den Jahresausklang geplant hatten. Unsere Kinder liebten ihre Oma und den holländischen Teil der Familie. Kees hatte zwei Brüder mit Töchtern im gleichen Alter wie Jodie und Pauline. Außerdem gab es einen kecken Cousin, der Jens zum Verwechseln ähnlich sah. Die gleichen blonden Haare, die gleichen blauen Augen, das ganze Gesicht voller Sommersprossen. Wie immer taten die paar Tage in Holland unseren Kindern gut. Und wie immer gelang es Jens, eine ganze Kaffeegesellschaft zu unterhalten, obwohl er kaum mehr auf seinen Beinen stehen konnte. Es war diese Gier nach Freude, diese Lust auf das Leben, die Jens immer wieder vorwärtstrieb. Dieses „Ich muss dringend gesund werden, damit ich die nächste Party nicht verpasse!“ Zu Weihnachten hatte er ein lang ersehntes Polizistenkostüm bekommen, mit Handschellen, Knüppel und allem, was dazu gehört. Diese Verkleidung zog er bei jeder Gelegenheit über und zählte die Tage bis Karneval, wo er sie beim Kinderfasching im Gemeindesaal tragen wollte. Ab dem 2. Januar 2003 hieß es warten. Für den Anruf aus Gießen hatte ich mir ein zweites Handy besorgt, das ich Tag und Nacht bei mir hatte. Jens schlief sehr schlecht. Sein Bett

eines geschwächten Körpers vor den grundlegendsten Anforderungen des Lebens. Auf der Intensivstation bot Jens einen jämmerlichen Anblick. In einem kahlen Einzelzimmer stand ein großes Bett, das Gesicht des entkräfteten Jungen darin war dunkelrot und geschwollen, die Augen auf halbmast, neben ihm ein Infusionsbaum größer als er selbst und ein Gewirr aus Kabeln, die an mehreren Stellen in seinem mageren Körper verschwanden. Jens, der sich seinem Naturell ent-

dürfen nicht sehr lange bleiben. Ich denke, das können wir machen, ausnahmsweise. Aber erzählen Sie das bloß niemandem.“ Jodie und Pauline kamen. Und ihr Bruder lachte und lachte und lachte. Er versuchte sich aufzusetzen und packte die gebastelten Geschenke aus, die sie ihm mitgebracht hatten. Er aß den Keks, den sie ihm anboten. Und wollte einen zweiten haben. Jens war zurück! Kinderkrankenschwestern und Geschwister sollten das Bundesverdienstkreuz bekommen!

JENS IST ZURÜCK! GESCHWISTER UND KINDERKRANKENSCHWESTERN SOLLTEN DAS BUNDESVERDIENSTKREUZ BEKOMMEN! sprechend bis dahin nach Kräften bemüht hatte, bei jedem Witz der Ärzte zu grinsen, war das Lachen vergangen. Er hatte sich aufgegeben. Die Intensivschwester fragte, ob es Menschen gebe, die Jens gern noch besuchen kommen möchten. Es war völlig klar, was sie damit meinte. Ja, seine Oma aus Holland, die er so liebte, und seine Schwestern. Doch die beiden waren, wie alle Geschwister unter zwölf Jahren, auf Station VERBOTEN. Die Intensivschwester war im Zwiespalt, man sah es ihr an. Es hätte sie ihren Job kosten können. „Sie sollen über den Balkon kommen“, sagte sie schließlich. „Und sie

DONNERSTAG, 22. MAI 2003 . Ir-

gendwann am Vormittag kam eine der Stationsärztinnen zu uns ins Zimmer. „Können Sie kurz ins Arztzimmer kommen? Wir müssen etwas mit Ihnen besprechen.“ Oh nein, wenn Jens es nicht einmal hören durfte! Die Nachricht konnte nur schrecklich sein. Im Arztzimmer wartete Dr. Schäfer. Die Stationsärztin schaute mir geradewegs in die Augen: „Wir haben ein Angebot.“ Wie fühlt man sich, wenn man so ein „Angebot“ bekommt? Irgendwo in Europa war ein Kind gestorben. Ein Kind, das in einem Krankenhausbett 02•2017

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aus Metall lag. An diesem Bett standen jetzt, in diesem Moment, Eltern, die gerade das Liebste verloren hatten, was ihnen je in ihrem Leben geschenkt worden war. Die Eltern weinten. So wie ich noch nie um Jens hatte weinen müssen. „Bitte sagen Sie es noch niemandem, auch Jens nicht. Unser Explantationsteam muss das Herz erst sichten, bevor endgültig feststeht, dass wir es nehmen. Jens muss zwischenzeitlich für den OP vorbereitet werden. Das heißt, wir müssen sämtliche

„Krieg ich jetzt wirklich mein neues Herz? Mama, da musst du aber gleich den Papa anrufen! Und der muss es den Mädchen sagen!“ Wie um Himmels willen soll ich meine Tränen zurückhalten? „Mama, da brauchst du doch nicht weinen!“ Dr. Glöckner, die Oberärztin und Schwester Maike machen sich mit uns auf den Weg zum OP. Vor der OP-Schranke – der dicken Eisentür, die ich nicht passieren darf – müssen wir warten. „Das Herz ist noch nicht

DURCH JENS HABE ICH GELERNT, DASS UNMÖGLICHES GELINGEN KANN, WENN MAN SICH MIT GANZER KRAFT DAFÜR EINSETZT Blut analysen machen und mit der Immunsuppression beginnen. Das werden einige Medikamente sein, die Jens schlucken muss. Versuchen Sie, irgendeine Ausrede für ihn zu finden.“ Jetzt lachte die Stationsärztin und drückte mir kurz den Arm: „Ist das nicht schön?“ Ich war noch zu perplex, um ihr darauf eine Antwort zu geben. ES MUSS GEGEN 17 UHR SEIN, als

die Schwester ankündigt, dass Jens bald im OP erwartet wird. Jetzt muss ich ihm sagen, dass er gleich ganz fest schlafen und mit einem neuen Herzen wieder aufwachen wird. 148

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unterwegs“, sagt Dr. Glöckner auf ihre bedächtige Art. „Die Chirurgen werden schon mal mit dem Freilegen beginnen. Das wird bei Jens sehr lange dauern. Wir sagen Ihnen Bescheid, wenn wir mehr wissen.“ Sie macht eine Pause. Dann schaut sie mich an. „Wie fühlt man sich jetzt?“ Sie meint diese Frage ernst. Es ist keine Floskel, sondern aufrichtige Anteilnahme. Das spüre ich. „Ich weiß nicht.“ Sie nimmt mich in den Arm. „Ich hoffe für Jens, dass alles gut geht!“ Dann öffnet sich die dicke Eisentür und die drei verschwinden.

ZUM WEITERLESEN

Das neue Herz. Nein, für mich ist dieses Herz kein „Ding“. Dieses Herz ist ein Geschenk, das mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist. Ein Geschenk, das wir von fremden Eltern bekommen haben, für die es untrennbar mit dem schlimmsten aller Verluste im Leben eines Menschen verbunden ist. Ich werde diese Eltern nie kennenlernen. Ich weiß nicht, welche Hautfarbe sie haben und woran sie glauben. Aber ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Tatsache, einem anderen Kind das Leben gerettet zu haben, ihnen ein klein wenig Trost gegeben hat. Arztbrief vom Juli 2003: Am 10. Juli 2003 erfolgte die sehr erfreuliche Entlassung in stabilem Allgemeinzustand nach Hause. Unser gesamtes Schwestern- und Ärzteteam hat sich sehr für Jens und seine Familie gefreut. DAS ALLES IST JETZT 13 Jahre her. Jens ist mittlerweile 19, und das Einzige, was ihn an seine Vergangenheit erinnert, sind die Operationsnarben auf seiner Brust. Er ist groß geworden,

Annett Pöpplein erzählt berührend und bei aller Dramatik auch mit Humor und Selbstironie vom Kampf um das Leben ihres Sohnes Jens. Ihre Geschichte ist zugleich ein Appell, sich der Organspende nicht zu verschließen. Das halbe Herz; dtv premium; 14,90 € (D)/15,40€ (A)

ein schlacksiger Teenager mit feinen Gesichtszügen, zu langen Haaren und diesem Blick, hinter dem sich etwas für die Außenwelt nicht Greifbares zu verbergen scheint. Heute lebt Jens sein Leben mit einer Kombination aus Freude, Ehrgeiz und Einfühlungsvermögen, die seine Mitmenschen verblüfft: und zuweilen verzaubert. All jene, die ihm einst prophezeiten, er würde nie eine normale Schule besuchen, nie seinen Ranzen auf dem Rücken tragen und nie einen Stift zum Schreiben benutzen können, hat er eines Besseren belehrt.

KOMPETENZ Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten. Ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dies geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staat. CHRISTOPH WILHELM HUFELAND,

dt. Arzt (1762-1836)

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Denksport Trainieren Sie Ihre grauen Zellen mit den folgenden Übungen. Die Lösungen finden Sie auf Seite 152.

GEKACHELT Level 1

Wählen Sie das Muster (A-D) aus, das die Reihe unten logisch ergänzt. A

B

C

D

? Level 2

225

Verteilen Sie die Zifern 3, 4 und 5 auf die 16 Felder und beachten Sie dabei: 4

Horizontal: Multiplizieren Sie alle vier Zifern miteinander – das Ergebnis steht rechts neben dem Gitter. Vertikal: Multiplizieren Sie alle vier Zifern miteinander – das Ergebnis steht in der jeweiligen Spalte unterhalb des Gitters.

150

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320

500

144 240

320

180

375

(GEKACHELT, M ULTI PLIKATOREN) MARCEL DAN ESI

MULTIPLIKATOREN

RICHTIGE SPUR

(RICHTIGE SPUR, QUA DRATI SC H) DA RREN RI GBY; (PERSPEKTI VWECHSE L ) MARCE L DANE SI

Level 3

Nina lebt nahe einer der vier U-BahnStationen außerhalb des Innenstadtrings (rot). Bis auf eine Station lassen sich alle Haltestellen mit maximal vier Stopps erreichen. An welcher der vier Endstationen wohnt Nina?

N W

O S

QUADRATISCH Level 3

PERSPEKTIVWECHSEL Level 2

Die Figur unten hat zwei aneinandergrenzende Seiten, die gleich lang sind, sowie zwei gegenüberliegende rechte Winkel. Können Sie mit vier solcher identischen Figuren ein Quadrat legen?

Sie sehen hier drei Ansichten des gleichen Würfels.

Welche der drei Ansichten unten zeigt eine vierte Seite dieses Würfels?

A

B

C

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SUDOKU 7 3 9 5 4 6 1 8 2

2 5 1 6 7 3 4 9 8

9 6 8 4 1 5 3 2 7

3 7 4 9 8 2 6 5 1

5 4 7 2 6 9 8 1 3

1 8 3 7 5 4 2 6 9

6 9 2 1 3 8 5 7 4

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4 1 5 8 2 7 9 3 6

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8 2 6 3 9 1 7 4 5

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Sie haben das Sudoku gelöst in: 10 Minuten: Sie sind ein Experte. 20 Minuten: gar nicht schlecht. 40 Minuten und mehr: Übung macht den Meister.

QUADRATISCH

MULTIPLIKATOREN

RICHTIGE SPUR Die Endstation von Nina liegt am Ende der grünen Linie im Südwesten. Die eine Station, die weiter entfernt ist als vier Haltestellen, liegt auf der blauen Linie, einen Halt westlich vom Schnittpunkt der blauen und der grünen Linie.

GEKACHELT B. Mit jeder Kachel rotiert der Kreis um 45 Grad. Die Punkte befinden sich außerhalb des Kreises, wenn die gekreuzten Linien parallel zu den Kachelseiten sind. Liegen die gekreuzten Linien diagonal, befinden sich die Punkte innerhalb des Kreises.

4

4

5

3

3

225

5

4

5

5

320

5

500

3

4

4

5

3

1

4

4

2

4

3

2 1

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3

oder

PERSPEKTIVWECHSEL C.

240 320 180 375

DENKSPORT: AUFLÖSUNG

5

4 9 7 5 6 4 9 2 2 4 1 6 5 6 3 5 2 9 1 8 9 2 5

Um das Sudoku zu lösen, verteilen Sie die Ziffern von 1 bis 9 so in den leeren Kästchen, dass: • sie in jeder Spalte und jeder Zeile nur einmal vorkommen; • sie in jedem umrandeten Feld ohne Wiederholung enthalten sind. • In den Diagonalen dürfen die Ziffern doppelt vorkommen. SUDOKU Level 2

5 6 7 8

6

Wortschatz Vom gehobenen Begriff bis zum Schimpfwort – mit Fremdwörtern kann man in jeder Lebenslage punkten. Hier eine kleine Auswahl für verschiedene Situationen. Testen Sie, wo Ihre sprachlichen Stärken liegen. VO N BIRGIT S C H E EL

1. attraktiv — A: geldgierig. B: an-

9. Miszellen — A: Brutkäfige. B: Zel-

griffslustig. C: im Gleichgewicht befindlich. D: anziehend.

len für Einzelhaft. C: kleine Beiträge für Zeitungen. D: kranke Körperzellen.

2. banal — A: genesen. B: zahlungs-

10. permanent — A: durchdringend.

unfähig. C: geistlos. D: aufgeregt.

B: anhaltend. C: unerlaubt. D: empfindlich.

3. Clique — A: durch gemeinsame

Interessen verbundene Gruppe. B: bezahlte Beifallklatscher. C: großer Familienverband. D: BaseballMannschaft. 4. diskreditieren — A:

einen Kredit ablehnen. B: vom Glauben abfallen. C: etwas nicht weitersagen. D: in Verruf bringen.

ILLUSTRIERT VON DAVOR BA KARA

5. Epistel — A: langer

Brief. B: oberste Hautschicht. C: Strafpredigt. D: Grabinschrift. 6. Halunke — A: Drogenabhängiger. B: Gauner. C: Rebell. D: Wilderer. 7. infam — A: kindisch. B: nieder-

trächtig. C: unwissend. D: familienfeindlich. 8. Kalamität — A: Notlage. B: Far-

benpracht. C: heißer Imbiss. D: Teil einer Befestigungsanlage.

11. postfaktisch — A: per Luftpost.

13.

B: unmodern. C: computergesteuert. D: von Gefühlen geleitet. 12. Rowdy — A: Hunde-

rasse. B: Raufbold. C: Biersorte. D: Pferdedieb. 13. simultan — A: vernetzt. B: verwandt. C: flüssig. D: gleichzeitig. 14. Tollpatsch — A: kräftiger Händedruck. B: ungeschickter Mensch. C: schmuddeliges Kind. D: Sprung vom Zehnmeterturm. 15. Tortur — A: kurvenreiche Strecke. B: kunstvoll verzierter Kuchen. C: große Anstrengung. D: Krebstier. 16. Vegetation — A: Pflanzenschutz-

mittel. B: nicht willentlich beeinflussbares Nervensystem. C: Pflanzenwelt. D: fleischlose Ernährung. 02•2017

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READER’S DIGEST

Antworten 1. attraktiv—[D] Zu lat. attrahere

10. permanent—[B] Zu lat. permanere „fortdauern“: anhaltend, dauerhaft (permanenter Lärm).

„heranziehen“: anziehend, weil gut aussehend (attraktive Person), verlockend (attraktives Angebot). 2. banal—[C] Franz., urspr. „gemein-

nützig“: geistlos, abgedroschen (Ihr banales Geschwätz langweilt uns). 3. die Clique—[A] Franz.: Gruppe Gleichgesinnter, Freundeskreis, auch abwertend: Klüngel (Cliquenwirtschaft).

13. D

4. diskreditieren—[D] Franz. discréditer, zu lat. dis- „entzwei“ und credere „glauben“: jemanden in Verruf bringen, seinem Ansehen schaden. 5. die Epistel—[A, C] Griech. epistolé „Botschaft“: langer Brief; im Neuen Testament Apostelbrief; umgangsspr. auch: Strafpredigt. 6. der Halunke—[B] Aus tschech. holomek: Gauner, Schurke: auch: Bengel. 7. infam—[B] Lat. infamis „verrufen“,

zu fama „Ruf“: niederträchtig, gemein (infame Behauptung), unverfroren (infame Forderung). 8. die Kalamität—[A] Zu lat. cala-

mitas „Unheil, Schaden“: Bedrängnis, Notlage. 9. die Miszellen—[C] (Meist)

Mehrz.; zu lat. miscere „mischen“: kleinere schriftliche Beiträge, z. B. für (Fach-)Zeitschriften. 154

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11. postfaktisch—[D] Zu lat. post „hinter, nach“ und factum „Tatsache“: im polit. Denken und Handeln v. a. von Gefühlen und nicht von Tatsachen geleitet (z. B. postfaktisches Wählerverhalten). 12. der Rowdy

(Raudi)—[B] Engl.: Raufbold, gewalttätiger Mensch. 13. simultan—[D]

Lat. simul: zugleich, gleichzeitig (die Rede eines ausländischen Politikers simultan – also während er spricht – übersetzen). 14. der Tollpatsch—[B] Zu ungar.

talpas „breitfüßig“ (= Bezeichnung für einen Fußsoldaten): ungeschickte Person, Tölpel. 15. die Tortur—[C] Zu lat. torquere, tortum „(ver)drehen“: alte Bezeichnung für Folter; heute Strapaze, große Anstrengung (Der Aufstieg zum Gipfel war eine Tortur). 16. die Vegetation—[C] Zu lat. vegetus „lebhaft“: Leben und Wachsen der Pflanzen, Pflanzenwelt (z. B. artenreiche Vegetation). RICHTIGE ANTWORTEN

10-8: Befriedigend, 13-11: Gut, 16-14: Ausgezeichnet

Spruchreif WER NICHTS WEISS, MUSS ALLES GLAUBEN. M A R I E V. E B N E R - E SC H E N BAC H ,

FOTO: © ISA FOLTIN /G E TTY IMAG E S

ö s t e r r. S c h r i f t s t e l l e r i n (18 3 0 -1916)

DIE BLUME KEHRT WIEDER ZUR WURZEL ZURÜCK. Z E N -W E I S H E IT

Reif ist, wer auf sich selbst nicht mehr hereinfällt.

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.

H E I M ITO VO N D O D E R E R , ö s t e r r. S c h r i f t s t e l l e r (18 9 6 -19 6 6)

C H R I S TIA N M O R G E N S TE R N ,

d t . S c h r i f t s t e l l e r (18 71-1914)

Ahnungen sind Regungen, die Flügel des Geistes höher zu heben. B E T T I N A VO N A R N I M , dt. Schriftstellerin (17 8 5 -18 5 9)

Gelassenheit gewinnt man nur in der Besinnung auf das Wesentliche. G E O R G M OS E R , d t . B i s c h o f (19 2 3 -19 8 8)

Man kann gar nicht politisch genug sein. Wir müssen uns bewusst sein, was für ein Glück wir haben, dass wir uns einbringen können. IRIS BERBEN,

dt. Schauspielerin

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„Erst dachten wir, den Fleck bekommen wir nie raus – dann haben wir’s doch geschafft.“ MEIN FREUND ist Niederländer, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt, es aber nicht so genau nimmt mit den Artikeln der, die und das. Ich finde das charmant, obwohl ich als Korrektorin bei einer großen Verlagsgruppe arbeite. Aus diesem Grund korrigiere ich ihn auch nicht. Neulich waren wir bei Freunden eingeladen, als eine Bekannte ihn fragte: „Stört es Karla nicht, dass du kein korrektes Deutsch sprichst?“ Er grinste nur und meinte dann: „Nein, ich spreche doch noch nach die alte Rechtschreibung!“ KARLA SCHNIERING, B ra m s c h e

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VOR VIELEN JAHREN stellte mein

Onkel seinen Wagen einmal im Parkverbot ab. Er wollte für den Geburtstag seiner Frau rote Rosen kaufen. Als er zurückkam, hatte die Polizei bereits den Abschleppdienst gerufen. Zögernd erklärte mein Onkel dem grimmig dreinschauenden Beamten, er habe eine dringende Privatangelegenheit erledigen müssen. Der Polizist schaute meinen Onkel lange und durchdringend an, dann sah er die Rosen. Schließlich sagte er, an die Herren des Abschleppdienstes gewandt: „Lasst ihn vom Haken – der hängt schon an einem.“ M. D.

ILLUSTRATION : © HERM AN® VON JI M UNGER GENEHM I GT VON LAUGHI NGSTOCK L ICE NSING INC. , KANADA

Menschen

NEULICH BESUCHTE ich einen Freund im Hospiz, der nicht mehr lange zu leben hatte. Ich bewunderte ihn dafür, dass er sich seinen Humor bis zum Schluss bewahrt hatte. Beim Abschiednehmen hielt ich lange seine Hand und sagte zu ihm, dass ich froh sei, ihn zu kennen und immer habe auf ihn zählen können. Daraufhin lächelte er und meinte, er würde ein gutes Wort für mich einlegen. Nachdem ich mich bedankt hatte, erwiderte er: „Bedanke dich nicht jetzt. Noch weiß ich nicht, mit wem ich reden werde.“ DANIEL KLEIN, K a n a d a

WÄHREND EINER Fahrstunde pas-

sierte mir das, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte: Ich würgte den Motor ab, und das Auto blieb mitten auf einer Kreuzung stehen. „Ist nicht so schlimm, oder?“, sagte ich beschämt zu meinem Fahrlehrer. „Wir haben ja ein Fahrschulschild auf dem Dach.“ „Ja“, antwortete dieser etwas säuerlich, „aber meine Werbung am Auto.“ EVA MAISCH, Neustetten

WIR VERSTAUTEN gerade unsere Supermarkteinkäufe im Kofferraum, als zwei Parkplätze neben uns eine Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm ihren Einkaufswagen zum Auto schob. Um beide Hände frei zu haben, setzte sie ihren Sprössling kurzerhand auf den Boden.

WIR ZAHLEN 50 EURO … für wahre, unveröffentlichte Kurzberichte, die wir in Rubriken wie Menschen oder Menschenskinder veröffentlichen. Es müssen selbst erlebte, humorvolle, kurze Anekdoten sein. An den Originalbeiträgen erwirbt Reader’s Digest alle Rechte. 30 Euro zahlen wir für veröffentlichte Witze in der Rubrik Lachen. Einsendungen versehen Sie bitte mit dem Kennwort Witz & Co. (siehe Seite 8). Bitte geben Sie für das Honorar stets Ihre Anschrift und für Rückfragen Ihre Telefonnummer an. Zuschriften können wir leider nicht bestätigen oder zurücksenden. Durch Ihre Zuschrift erklären Sie zugleich Ihr Einverständnis zur Bearbeitung und Veröffentlichung. Bei einer Veröffentlichung erhalten Sie ein Honorar. Die Veröffentlichung schließt unbefristet die Nutzung in allen bekannten Medien und Vertriebskanälen ein, insbesondere den Abdruck in allen internationalen Ausgaben von Reader’s Digest sowie in Sammelwerken und im Internet.

Der wartete nicht lange, drehte sich auf die Knie und krabbelte in erstaunlichem Tempo davon. Seine Mutter lief ihm nach, hob ihn hoch und setze ihn wieder neben sich. Kurz danach wiederholte sich das Ganze, und mein Partner meinte grinsend: „Binden Sie ihn doch an!“ Schmunzelnd antwortete sie: „Aber er kann noch nicht bellen.“ HELMA KASPARETH, Pfronten

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Gewusst? TESTEN SIE IHRE ALLGEMEINBILDUNG 1. Lastwagen und Pkw sowie Fracht-

schiffe und Lokomotiven werden von Motoren angetrieben, die auch Pflanzenöl als Kraftstoff verwenden können. Wie heißen diese Motoren? 2. Aufgrund seiner eindrucksvollen Lippen wurde 2014 ein fossiles Sumpfschwein nach dem Sänger einer Rockband benannt. Wie heißt der Musiker?

die Füllung des italienischen Cremegebäcks Cannoli verwendet?

7. 2006 ehrte der Dalai Lama einen

fiktiven jungen Reporter, dessen Abenteuer dem Publikum auf der ganzen Welt die Region Tibet näherbrachten. Wie heißt dieser Reporter? 8. Welcher ausgestorbene flug-

unfähige Vogel ist das Wappentier des Inselstaats Mauritius? 9. Aus den Ringen welches

Planeten beginnt sich gerade ein potenzieller neuer Mond zu bilden, den Astronomen „Peggy“ getauft haben?

4. Nachdem das Land im

Jahr 1962 seine Unabhängigkeit erlangte, wanderten mehr als eine Million seiner Einwohner nach Frankreich aus. Welches Land ist gemeint? 5. Wie heißt das größte Wüstengebiet der Erde? 6. Welche ikonische

Figur in New York hat 7,62 Meter lange

10. Wer ließ in den

Sümpfen Floridas und in einem kalifornischen Orangenhain Freizeitparks errichten? 11. 1899 plante der Kaiser 12. Welcher russische Wissenschaftler, der für seine Experimente mit Hunden bekannt ist, erhielt einen Nobelpreis?

welchen Landes einen Einmarsch in die USA, setzte seine Pläne aber nicht um?

ANTWORTEN: 1. Dieselmotoren. 2. Mick Jagger. Das Schwein wurde Jaggermeryx naida genannt. 3. Ricotta. 4. Algerien. 5. Die Antarktis (14 Millionen Quadtratkilometer). 6. Die Freiheitsstatue. 7. Tim aus Tim und Struppi. 8. Der Dodo (auch die Dronte genannt). 9. Saturn. 10. Walt Disney. 11. Deutschlands Kaiser Wilhelm II. soll entsprechende Pläne in Auftrag gegeben haben. 12. Iwan Pawlow erhielt 1904 den Nobelpreis für Medizin. 158

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FOTO: © ISTOC KPHOTO

3. Welcher Käse wird für

Füße (was Schuhgröße 1220 entspräche)?

Vorschau READER’S DIGEST IM MÄRZ

Den Durchblick bewahren

FOTO: © GETTY I MAGES/EYEEM

Unsere Sehkraft ist mit nichts aufzuwiegen. So schützen Sie sich vor den häufigsten Augenleiden.

Verirrt am Polarkreis

Wahrheit oder Dichtung?

Pflegekraft dringend gesucht

Wie jedes Jahr brechen Liisa und Tuomo zu einer Skitour im Norden Finnlands auf. Doch diesmal verlieren sie die Orientierung – bei Sturm und eisiger Kälte.

Einstein hatte schlechte Noten in Mathematik, nach dem Essen sollte man nicht schwimmen, rote Farbe reizt Stiere: Stimmt das? 36 Irrtümer aufgeklärt.

Nur nicht ins Heim! Das ist der Wunsch vieler Senioren, die Hilfe benötigen. So manche Familie setzt in dieser Lage auf Pflegekräfte aus Osteuropa.

D I E NÄC H STE AU S G A B E E R S CH E I N T A M 27. FEBRUAR 2 017 02•2017

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ILLUSTRIERT VON BECK

Becks Welt

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