[helmut Birkhan] Etymologie Des Deutschen(z-lib.org)

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Längs Band Germanistische Sammlung

Helmut Birkhan

Etymologie des Deutschen

NUNC COCNOSCO EX PARTE

THOMAS J. BATA LI BRARY TRENT UNIVERSITY

Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/etymologiedesdeuOOOObirk

Etymologie des Deutschen

Germanistische Lehrbuchsammlung Herausgegeben von Hans-Gert Roloff

Band 15

PETER LANG Bern • Frankfurt am Main • New York

Helmut Birkhan

Etymologie des Deutschen

PETER LANG Bern • Frankfurt am Main • New York

f?@n$ önlvers^y

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Birkhan, Helmut: Etymologie des Deutschen / Helmut Birkhan. Bern; Frankfurt am Main; New York: Lang, 1985. (Germanistische Lehrbuchsammlung; Bd. 15) ISBN 3-261-03206-5 NE: GT

Bildnachweis: Umschlagseiten Heinrich Vogtherr d. Ä.: Der Turm der Grammatik, Holzschnitt

ISSN 0721-3840 © Verlag Peter Lang AG, Bern 1985 Nachfolger des Verlages der Herbert Lang & Cie AG, Bern Alle Rechte Vorbehalten. Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, in allen Formen wie Mikrofilm, Xerographie, Mikrofiche, Mikrocard, Offset verboten. Druck: Lang Druck AG, Liebefeld

Für Mucki

Inhaltsverzeichnis Vorwort.

11

Abkürzungen.

17

I II III IV

V

VI

VII

VIII

1-9 1-7 1-6 1-21

1-12

1-21.4

1-56

1-33

Die Etymologie und ihr Gegenstand (Allgemeines, Schreibkonventionen).

20

Einführung in das sprachvergleichende und etymologi¬ sche Denken.

25

Rekonstruktion und Konstruktion mittels Vergleich und Analogieschluß.

32

Kurzer Überblick über die Geschichte der Etymologie bis zum Strukturalismus (Etymologie und Mythos, im Kratylos-Dialog, Anomalisten und Analogisten, Etymo¬ logie im Mittelalter, in der Neuzeit bis zum Beginn der Indogermanistik, J. Grimm, A. Schleicher, die Jung¬ grammatiker, Lautgesetz und Analogie, Übergang zum Strukturalismus).

37

Sprachhistorische Grundlagen (Die idg. Sprachen, Glie¬ derung des Germ., Stammbaum, Welle, Entfaltung, Sprachbund, Lautgesetz kontextsensitiv und kontextfrei, Quantität).

53

Überblick über die Phonologie des Idg. und einiger wich¬ tiger Einzelsprachen (Idg. Phoneme, Lautgesetze in der Grundsprache: Schwund der Laryngale, Primärberüh¬ rung u. a. Die wichtigsten Lautgesetze des Ai: 9-11.9, des Gr.: 12-14.8, des Lat.: 15-19, des Abg.: 20-21.4) . . .

69

Überblick über die Phonologie des Germ, mit Blick auf die Entwicklung zum Nhd. (Kurzvokale im Hauptton: 1-9, Langvokale und Diphthonge im Hauptton: 10-25, Die Resonanten im Hauptton: 26-32, Die Konsonanten [ohne Resonanten] außer im idg. Auslaut: 33-48, Kon¬ traktion, Assimilation, Dissimilation, Metathese: 49-52, Die Phonologie nebentoniger und unbetonter Silben: 53-54, Sonderentwicklungen des Got.: 55, Synoptische Darstellung der Lautentsprechungen in den wichtigsten agerm. Sprachen und dem Idg.: 56 [S. 113-121]) ...

87

Wortbildung I: Segmentierung- Wurzel - Determinative - Basis - Ablaut (Terminologie der Wortbildung: 1-4, Determinativ und Wurzelvariante: 5-9, Wurzel und Wurzeltheorie: 10-17, Ablaut: 18-26, Die germ. Ablaut¬ reihen: 27-30, Unregelmäßigkeit des Ablauts: 31-32, Be¬ stimmung der Ablautreihe: 33.122 7

IX 1-21

Wortbildung II: Nomina - Nominalsuffixe - Verba Verbalsuffixe - Präfixe - Reduplikation - Nasalinfix (Nominalflexion: 1-3, Semantische Typen der Nominal¬ bildung: 4-6, Suffixtabellen: 7 [Tabelle a: Vokalische Suffixe: S. 154-155, Tabelle b: Konsonantische Suffixe: S. 155-166, Tabelle c: Kompositionssuffixe: S. 166-168, Tabelle d: Suffixe, die erst ab dem Mhd. begegnen: S. 169-171], Komposition und Kompositionstypen: 8-12, Heteroklisie: 13, Verba, semantische Typen der Verbal¬ bildung: 15-17, Suffixtabellen: 18 [Tabelle e: Vokalische Suffixe: S. 180-182, Tabelle f: Konsonantische Suffixe: S. 182-185, Tabelle g: Präfixe: S. 186-188], Reduplika¬ tion: 20, Nasalinfix: 21).148

X 1-3

Nicht-lautgesetzliche Veränderungen des Wortkörpers (Ellipsen, Dittologie, Pleonasmus: 1-2, Hyperkorrekt¬ heit: 3).190

XI 1-4

Lautsymbolik und Schallnachahmung (Onomatopöie)

195

XII 1-19.27 Semantik (Bedeutungswandel im Wortfeld: 1-2, Denotat und Konnotat: 3, Gründe des Bedeutungswandels 4-6, Typen des Bedeutungswandels, quantitativ/qualitativ, konkret/abstrakt: 7-11, Exkurs zur Sememrekonstruk¬ tion und zur „Grundbedeutung“ der „Wurzel“ im IEW.: 10, transgressiv/remanent, partiell/total: 11-14, Sinn¬ streckung und Bedeutungsspaltung: 15-17, Synästhetischer Bedeutungswandel: 18, Personifikation, Meta¬ phernbildung mit Sonderfällen wie Tiernamen für Ge¬ räte, Schimpfnamen, Scherzbezeichnungen, Holz und Mensch: 19-19,27).199 XIII 1-9

Auswirkungen semantischer Vorgänge auf den Wortkör¬ per (Euphemismus und Sprachtabu: 1, Archaismus: 2, Bifurkationen: 3, Bedeutungsveränderung im Syntagma: 4, Kontamination und Volksetymologie: 5-9.223

XIV 1-13

Etymologie und sprachliche Interferenz I (Lehnbe¬ ziehungen zu Fremdsprachen)-(Morphem- und Semem¬ entlehnung: 1-6, Gründe für Entlehnung: 7, Substrat: 8. Superstrat: 9, Adstrat: 10, Bildungsentlehnung usw.: 11, Wanderwörter usw.: 13).234

XV 1-2

Etymologie und sprachliche Interferenz II (Dialektaler Ausgleich).262

XVI 1-4

Etymologie und sprachliche Interferenz III (Soziolektale Interferenz).264

XVII 1-14

8

Etymologische Verfahrensweisen und Erklärungsprin¬ zipien (Die altertümlichste Wortform und der älteste Beleg: 1, Interne Rekonstruktion: 2, Umgekehrte Rekon-

struktion: 3, Die onomasiologische Fragestellung: 4.1-4.3, Homonymenfurcht: 5, Synonymenschub: 6, Va¬ lenztheorie: 7, etymologie organique: 8, areal norm: 9, etymologie histoire: 10, „Wörter und Sachen“: 11-11.3, Neolinguistik (Areallinguistik): 12, Transformationelle Etymologie: 13, Etymologie-Formeln: 14).269 XVIII

1-11

Die Anwendung der Etymologie (Etymologie und Ge¬ schichte: 1, Linguistische Paläontologie: 2-6, Etymologie und Religionsgeschichte: 7, Etymologie und Sprachwis¬ senschaft: 8, Etymologie und Sprachnormierung: 9, Ety¬ mologie und Philosophie: 10, Etymologie und Werbepsy¬ chologie: 11.289

XIX

1-12

Hinweise für die etymologische Praxis.298

Anhang

Anhang Anhang Anhang Anhang

1: 2: 3: 4:

Die „Schleichersche Fabel".307 Hinweise zur Benutzung von Wörterbüchern 308 Wichtige Alphabete.316 Das Internationale Phonetische Alphabet. . 318

Bibliographie (von R. Schrodt).319 Autoren- und Sachregister (von Ingrid Strasser).330 Wortregister (von Ingrid Strasser).339

9

Vorwort

„Das Finden von Wortgleichungen und Etymologien ist nicht lehrbar; kombina¬ torische Phantasie und Ehrfurcht vor der Bedeutung sind ebenso wichtig wie die Heilighaltung der Lautgesetze.“ Dieser Satz eines bedeutenden Etymologen (Manu Leumann) flößt einem, der darangeht, ein Lehr- und Lernbuch der deutschen Etymologie zu schreiben, nicht gerade Mut ein. Und dennoch, es sei eingestanden, war es gerade das, was mich verlockte, das Angebot, ein solches Buch zu verfassen, anzunehmen. Nun, da es fertig ist, wollen aber doch Zweifel auftauchen, ob ich das gesteckte Ziel auch nur annähernd erreichte. Es fehlt nicht an denen, die da sagen. Etymologisieren sei mehr Kunst als Wissenschaft und es gäbe keine sprachwissenschaftliche Disziplin, in der dem forschenden Subjekt, seinem Ingenium und seiner Willkür, seiner Phantasie und Phantasterei soviel Freiraum offenstehe wie in der Etymologie. Es stand also für mich von Anfang an fest, daß ich für die formale Seite der Etymologie, d.h. Lautgeschichte und Wortbildungslehre, die Voraussetzung bieten müsse, ebenso wie für die Bedeutungsseite, und daß ich daher um die zumindest überblicksarti¬ ge Darstellung dieser Disziplinen keinesfalls herumkäme. Die Alternative, diese Dinge überhaupt nicht selbst darzustellen, sondern lediglich auf Grammatiken und semantische Arbeiten zu verweisen, schien mir aus verschiedenen Gründen gerade in einem Buch, das für Anfänger bestimmt sein sollte, nicht zweckmäßig. Darin haben mich auch aufmunternde Zeilen des Herausgebers dieser Reihe bestärkt. Der dritte Punkt, die kombinatorische Phantasie, ist freilich nicht lehrbar, aber doch regulierbar. Etymologisieren setzt u.a. Wissen von schon geglückten Etymologien voraus, das als Richtschnur für neue Kombinationen dienen kann. Wer viele Etymologien kennt, wird sich bei der Entscheidung, ob die eine oder andere neu erwogene richtig sein könne, leichter tun. Wissen von Etymologien unterstützt aber auch die Assoziationsfähigkeit - und was anderes ist die kombinatorische Phantasie? - bis zu einem gewissen Ausmaß. Damit sei nicht gesagt, daß das Etymologisieren nicht eine bestimmte Begabung verlangte, und schon allein das speziellere Interesse für diese Materie ist, wie ich aus vieljähriger Lehrerfahrung weiß, nicht jedermanns Sache. Immerhin, es stand fest: ebenso wie ich die formale und semantische Seite des Etymologisierens darzustellen hatte, ebenso mußte ich durch Vermittlung von etymologischem Wissen, z.B. aus der Wortgeschichte, den Erfahrungshorizont des angehenden Etymologen zu erweitern suchen, und damit ergab sich auch schon der im wesentlichen dreiteilige Aufbau dieses Buches. Ich mußte versuchen, in einer Einleitung den Gegenstand zu bestimmen, in das etymologische Denken einzu¬ führen und in einem kurzen historischen Überblick die Entstehung und an¬ schließend die Verfahrensweise des Sprachvergleichs darzustellen, auf dem ja Etymologie beruht und der sie voraussetzt. Dann mußten die drei Hauptteile als Kern des Buches folgen (Laut- und Wortbildungslehre, Semantik, Wortge¬ schichtliches). In einem abschließenden Teil sollte der Leser über Prinzipien und methodische Verfahrensweisen des Etymologisierens informiert und, soweit dies 11

in allgemeiner Form möglich ist, zur etymologischen Praxis angeleitet werden. Mehrere Anhänge, die das enthalten, was im Text nicht in Einschüben usw. dargestellt werden konnte, eine Bibliographie und ein Register beschließen das Buch. Im einzelnen ist zu sagen: ich habe mich auch sprachlich bemüht, zunächst sehr einfach in das vergleichende Verfahren einzuführen. Freilich besteht die Gefahr, daß viele Leser durch die in Überfülle vorhandenen Fachausdrücke abgestoßen werden. Deshalb habe ich es als mein Ziel angesehen, diese jeweils bei der ersten Erwähnung zu erklären (oft nur durch eine Paraphrase), sie dann aber später auch variierend zu verwenden, um den Leser an die wuchernde Terminologie, die alle linguistischen Fächer kennzeichnet, zu gewöhnen. Freilich wird hier nicht jeder einverstanden sein. Daß ich etwa freies (autonomes) Morphem, Lexem und Wort als gleichbedeutend verwende, steht im Widerspruch zum linguistischen Idiolekt anderer, geht aber auf eine theoretische Einsicht zurück, nicht etwa auf Unachtsamkeit oder Unkenntnis der oft gemachten Differen¬ zierung. Zumal im ersten definierenden Kapitel häufen sich die Termini. Es ist daher dem Leser vielleicht zu empfehlen, zunächst auf S. 25 (,,Einführung in das sprachvergleichende und etymologische Denken'1) zu beginnen und erst später das erste Kapitel mit der begrifflichen Festlegung der Etymologie nach¬ zuholen. Die Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen und auch den germanischen Sprachenstammbaum habe ich in bewußt traditioneller Manier dargestellt. Obwohl ich natürlich die Problematik des „Westgerm.“ kenne, stehe ich auf dem Standpunkt, daß Begriffe wie „nordseegermanisch", „ingväonisch" usw. für die etymologische Arbeit nicht so wesentlich sind. Natürlich mußte ich auch die übrigen idg. Sprachen in den Sprachvergleich einbeziehen und nicht etwa nur das Lateinische, das dem Germanischen ja gar nicht so nahesteht, wie wir es im akademischen Unterricht aus didaktischen Gründen gerne darstellen. Ich habe mich dafür entschieden, als die „wichtig¬ sten“ indogermanischen Sprachen das Altindische, das Griechische, das Lateini¬ sche und das Altbulgarische in den Vergleich aufzunehmen. Das Altindische durfte wegen seines objektiv hohen Wertes für die Rekonstruktion und seiner unbestrittenen Dignität natürlich nicht fehlen. Griechisch und Lateinisch habe ich aufgenommen, weil hier noch am ehesten Vorkenntnisse beim Leser zu erwarten sind, und Altbulgarisch, um auch Germanisten mit dem Zweitfach Slawistik anzusprechen. Es hat mich eine gewisse Überwindung gekostet, das Kelt., mit dem ich auf Grund eigener etymologischer Arbeit besser vertraut bin, ganz beiseite zu lassen. Bei der Auswahl der Lautgesetze in diesen Sprachen bin ich von den in diesem Buch angeführten Beispielen ausgegangen und habe jene Lautgesetze ausge¬ wählt, die das Verständnis der einzelsprachlichen Erscheinungsform dieser Wur¬ zeln in den genannten Sprachen ermöglichen bzw. erleichtern. Ob ich damit wirklich das Wesentliche erfaßt habe, muß dahingestellt bleiben. Ausgewählt mußte jedenfalls werden, denn es war unmöglich, etwa die extrem komplizierte historische Lautlehre des Lateinischen in extenso darzustellen. Jedenfalls werde ich mich weder über Rezensionen wundern, die mir vorwerfen, des Guten zuviel

12

getan zu haben, noch über solche, die mir Unvollständigkeit der Darstellung vorwerfen. Ähnliches gilt auch für meine Behandlung der Laryngaltheorie. Da sie für rein-innergermanische Etymologien entbehrlich ist, wollte ich sie zunächst nur am Rande erwähnen, ganz beiseite lassen hätte ich sie nicht können. Meine indogermanistischen Kollegen M. Mayrhofer und M. Peters haben mich aber im Verlauf der Arbeit davon überzeugt, daß ich der Laryngaltheorie einen wesentlich breiteren Raum zuweisen müsse, als ich ursprünglich wollte - ja, ich habe mich im Verlauf der Arbeit selbst zu einem (bescheidenen) Laryngalisten entwickelt. Nun sind allerdings in der germanistischen Fachliteratur die etymo¬ logischen Ansätze durchaus „vorlaryngalistisch“. Begriffe wie ,,einsilbig-schwe¬ re Basis“, „Reduktionsstufe“, „ä/o-Ablaut“, die im Licht der Laryngaltheorie nicht mehr haltbar sind, können überall angetroffen werden, eben weil die laryngalistischen Ansätze, die unter Indogermanisten jetzt ziemlich allgemein akzeptiert sind, von den Germanisten zum Großteil noch nicht rezipiert wurden. Daraus ergab sich als Notwendigkeit, einerseits die traditionellen Begriffe einzu¬ führen und zu gebrauchen, andererseits aber doch auch die laryngalistische Sicht, in der sehr vieles einfacher, klarer und regelmäßiger ist als bisher, dem Leser da und dort, wo es eben nötig schien, zu vermitteln. Das betrifft vor allem die indogermanische Wortbildung, insbesondere den Ablaut. Was das Germanische angeht, so habe ich mich auch hier auf die wichtigsten Lautgesetze zwischen dem Indogermanischen und dem Neuhochdeutschen be¬ schränkt. Allerdings ist dieser Teil um vieles ausführlicher als die entsprechenden Abschnitte bei den anderen Sprachen. Ich bin davon ausgegangen, daß in dieser Reihe auch eine historische Phonologie des Deutschen erscheinen wird, aller¬ dings vielleicht nicht so bald. Ist es einmal so weit und sollte dieser Band eine zweite Auflage erleben, so kann er, was die germanische und deutsche Lautge¬ schichte angeht, sicher stark schrumpfen. Von einer phonologisch-strukturalistischen oder einer generativ-phonologischen Darstellung habe ich abgesehen, weil diese Forschungsgebiete für den Etymologen nicht Selbstzweck sind. Er studiert die Lautgesetze nicht um ihrer selbst willen, sondern um sie anzuwenden. Es wird dem Leser vielleicht als Pedanterie erscheinen, daß ich häufig Angaben zur Aussprache (im Internationalen phonetischen Alphabet; s. Anhang 4) nicht nur des Griechischen, sondern auch des Altindischen, ja sogar des Urgermanischen und Indogermanischen mache. Das geschieht nicht etwa, weil ich glaube, daß die phonetische Realisierung exakt oder auch nur einigermaßen exakt feststell¬ bar wäre. Es ist klar, daß uns nur die Phoneme, auf die es ja auch gewöhnlich mehr ankommt, und nicht die Phone zugänglich sind. Aber es scheint mir ein wichtiges merktechnisches Hilfsmittel zu sein, wenn man die Lautungen einiger¬ maßen zu realisieren versucht und die lautphysiologischen Hintergründe eines Lautwandels dadurch aufzuspüren lernt. Was das Griechische betrifft, so transkribiere ich die griechisch geschriebenen Wörter nur anfangs (und zwar in einer dem akademischen Unterricht entspre¬ chenden Aussprache), denn ich rechne damit, daß spätestens ab S. 69ff. der Leser mit dem griechischen Alphabet (s. Anhang 3) vertraut sein wird, wo er auch die für das Verständnis der Sprachgeschichte wichtige „historisch richtige“ Aus13

Sprache erfährt (S. 77ff.); ohne Kenntnis des griechischen Alphabets wird er ohnedies kaum ein etymologisches Wörterbuch benützen können. Auch in der Darstellung der Semantik habe ich mich an traditionelle Begriffe und Beschreibungen gehalten. Es geht in der Etymologie darum, daß der Ler¬ nende bestimmte Typen des Bedeutungswandels kennen und erkennen lernt. Die Theorien oder Modellvorstellungen der eigentlichen semantischen Forschung sind für ihn von geringerer oder überhaupt ohne Bedeutung. Diese außerordent¬ lich wichtigen und interessanten Fragen gehören in den Semantik-Band dieser Reihe. Ähnliches gilt auch für die Wortgeschichte. Die Etymologie hat einen stark integrativen Zug, sie setzt Vieles und sehr Verschiedenartiges an Vorkennt¬ nissen voraus, und so muß der, der sie lehren will, viele Grenzübertretungen begehen, aber weder nimmt er dabei dem Besitzer des Nachbargrundstückes etwas weg, noch braucht er sich allzusehr um die theoretische Fundierung der Nachbarwissenschaft zu kümmern; es genügt, wenn er die Umrisse kennt und einschätzen kann, welche Bedeutung die Nachbardisziplin für seine eigene Ar¬ beit hat. Bei der Wahl der Beispiele versuchte ich, nur möglichst gesicherte zu verwen¬ den, selbst wenn das eine oder andere schon etwas abgegriffen ist. Aus Prinzip habe ich nur an ganz wenigen Stellen eigene Etymologien herangezogen. Es wäre mir unfair erschienen, gerade in einem Lehrbuch Etymologien als Beispiele einzuschleusen, die sich gegenüber der Kritik noch nicht bewährt haben. Dem Leser wird auffallen, daß im Text nur sehr wenige Gelehrtennamen auftauchen und kaum jemals die Urheber von Etymologien genannt werden (eine der wenigen Ausnahmen ist J. Trier, dessen Etymologien so sehr mit seinem Namen verbunden sind, daß ich nicht umhin konnte, ihn zu nennen). Dieses scheinbare Verschweigen der Autoren erklärt sich daraus, daß die hier zitierten Beispiele fast alle allgemein akzeptiert und bewährt sind; ob nun die eine oder andere Etymologie auf F. Kluge oder H. Osthoff, auf G. Müller, M. Mayrhofer, auf A. Walde, J. Pokorny oder gar J. Grimm zurückgeht, ist für den Studierenden im Grunde gleichgültig. Vor allem bei noch lebenden Autoren hätte mich das Zitieren des einen wohl auch zum Zitieren aller anderer verpflichtet. Und natür¬ lich teilen die wenigen Etymologien, an denen ich selber Anteil habe, die allge¬ meine Anonymität. Als Zielgruppe dieses Buches dachte ich an Studierende der Germanistik, viel¬ leicht mit Englisch, Romanistik, Slawistik oder klassischer Philologie als Zweit¬ fach. Das Ziel des Buches ist gar nicht in erster Linie, das Etymologisieren zu lehren, sondern zunächst das kritische Verständnis für etymologische Arbeiten anderer zu wecken, erst in zweiter Linie und als Fernziel habe ich das selbstän¬ dige Auffinden etymologischer Anschlüsse und die Rekonstruktion durch den Leser im Auge. Die Tätigkeit des Etymologen ist so differenziert und komplex und setzt soviel an Erfahrung voraus, daß dieses Buch höchstens dazu den Grundstein legen kann. Dazu kommt, daß die Etymologie unter den sprachwis¬ senschaftlichen Disziplinen die älteste ist und daß, was die nhd. Schriftsprache betrifft, um wieder ein Wort M. Leumanns zu gebrauchen, wohl „der Rahm abgeschöpft“ ist, zumindest im formalen Bereich. In der Wörtergeschichte (his14

toire des mots) bleibt freilich noch viel zu tun. Vielfach unbestellt ist aber der Acker der dialektalen Etymologie (davon haben mich wiederholt Gespräche mit den Verfassern des bair.-österr. Wörterbuches überzeugt), und insbesondere sind die Vorstufen des heutigen Deutsch keineswegs zufriedenstellend etymolo¬ gisch durchforscht. Auf solcherlei Arbeit ist auch die Bibliographie abgestellt, die R. Schrodt auf meine Bitte zusammenstellte und die möglichst zu jedem dialektalen Großraum des Deutschen eine Einstiegsstelle anbieten will. Elisabeth Raffln hat hier mitgewirkt. Das von Ingrid Strasser hergestellte Register inkor¬ poriert, ohne allerdings nur entfernt auf Vollständigkeit zielen zu können, zu einzelnen Stichwörtern bibliographische Hinweise. Ihr und G. Geldner bin ich auch für das mehrfache Durchkorrigieren des Typoskripts besonders dankbar. Den Leser wird es vielleicht verwundern, daß ich in die Bibliographie einige Curiosa aufgenommen habe. Die Etymologie ist mitunter seltsame Wege gegan¬ gen und hat sich auch gelegentlich die Narrenkappe übergezogen. Warum sollte man sich dieser Versuche, die ebenso symptomatisch wie erheiternd sind, nicht erinnern? Soll es wirklich vergessen werden, daß jemand den Namen Zschaetzsch aus Zeus herleitete, daß man aus etymologischen Gründen das Paradies in Pommern suchte und daß man im zärtlichen Gurrlaut ur-ur der Makis die Wurzel für lateinisch auröra ,Morgenröte' fand, ja daß man das bairische pfüat (di Gottl) als gorillasprachliche Entstellung (Pongonisierung) von behüt (dich Gottl) erklärte? - Im übrigen habe ich von der Nennung noch lebender Autoren, die ihren Werken nach in die Kategorie der Curiosa zu stellen gewesen wären, natürlich abgesehen. Das Buch strebt zwar insofern Vollständigkeit an, als alle wesentlichen Katego¬ rien, Aspekte, Methoden und Zielsetzungen des Etymologisierens beispielhaft dargestellt werden sollten. Daß dies gelungen ist, ist wohl kaum zu hoffen. Um einigermaßen in die Nähe des Ziels zu kommen, habe ich ein tabellarisches Inhaltsverzeichnis an eine Reihe bekannter Etymologen (darunter A. Bammesberger, W. Meid, O. Panagl, H. Rix, E. Seebold, G.R. Solta, O. Szemerenyi) verschickt und mich über die Antwort, es fehle nichts Wesentliches, gefreut, Änderungsvorschläge aber beherzigt. Für die Durchsicht der aisl. und ags. Lauttabellen danke ich Edith Marold und H.E. Pinsker. Zu besonderem Dank verpflichtet haben mich freilich die Wiener Indogermanisten M. Mayrhofer und M. Peters. Dieser, weil er in tagelanger Arbeit das Manuskript durchgesehen hat und durch viele Verbesserungen inhaltlich-materieller und didaktisch-darstel¬ lerischer Art am Buche mitbeteiligt ist - jener, weil er mir stets geduldig und freundlich für viele laryngalistische Gespräche zur Verfügung stand. Dennoch: für alle Versehen, die etwa stehengeblieben sind, trage ich allein die Verantwortung.

Obwohl das Manuskript für dieses Lehrbuch bereits Anfang 1980 vorlag und das Buch erst heute erscheint, hat sein Inhalt nichts an Aktualität verloren. Freilich sind inzwischen mehrere Werke einschlägigen Inhalts erschienen, von 15

denen ich noch die für das Thema der deutschen Etymologie wichtigsten in die Bibliographie aufnehmen konnte (s. die Nummern [11], [25a], [25b], [25c], [130a], [156a]). Bei den Arbeiten von Theodora Bynon [11] und P. Ramat [130a] handelt es sich um ausgezeichnete Einführungen in den jeweiligen Themenkreis, die meine eigene Darstellung an den entsprechenden Stellen auf das Willkommenste er¬ weitern und ergänzen. Das posthume Werk J. Triers steht ganz im Umkreis der spezifischen ergologischen „Wörter-und-Sachen“-Forschung dieses großen Ety¬ mologen und bestätigt meine Einschätzung seines Forschungsansatzes in dessen positiven und negativen Aspekten (S. 282ff.). Das Buch von E. Seebold [25a] kommt meiner eigenen Arbeit sicher am nächsten, macht sie aber keineswegs überflüssig. Das muß auch Seebold geahnt haben, da er nach Zusendung meines tabellarischen Inhaltsverzeichnisses (s.o. S. 15) mich mit keiner Silbe daraufhinwies, daß auch er an einer Einführung in die deutsche Etymologie arbeite. Es ist wohl verständlich, daß gerade für mich, der ich ja gewissermaßen „Partei“ bin, eine möglichst objektive Stellungnahme zu Seebolds Werk nicht ganz leicht ist und an dieser Stelle wohl auch von mir nicht erwartet wird. Eine vergleichende Bewertung wird Aufgabe von Rezensionen sein. Nur soviel sei gesagt: Abgesehen von gewissen frappierenden Einzelübereinstimmungen-auch Seebold (S. 101) entnimmt zur Veranschaulichung eines Wanderwortes das Beispiel Ingwer von A.S.C. Ross (vgl. S. 260f.) - und einem in manchem ver¬ gleichbaren Aufbau beider Werke - es ist in der Sache selbst und im Einfüh¬ rungscharakter der Darstellung begründet, daß die Gedankengänge vielfach sehr ähnlich sind -, unterscheidet sich Seebolds Arbeit von meiner durch detail¬ liertere Einzelanalysen, die zu spannenden Wortgeschichten auswachsen können und auf Schritt und Tritt den erfahrenen Kenner der Materie verraten. Dagegen steht in meinem Buch das Systematische wohl stärker im Vordergrund, sicher jedenfalls die indogermanistische formale Seite (in Lautlehre, Wurzeltheorie, Wortbildung durch Ableitung usw.). In diesem Sinne scheint mir ein Leser meines Buches für das Verständnis von Seebolds „Untersuchungsbeispiele: Hirn und Horn“ (S. 158ff.) mitsamt der dort ausgebreiteten differenzierten Argumen¬ tation besser gerüstet als einer seiner viel stärker im Allgemeinen verbleibenden Einführung. Gewiß ist Seebolds Buch auf weite Strecken leichter lesbar als meine mit Beispielen und „Fallstudien“ reicher befrachtete Arbeit, die dadurch aller¬ dings dem Leser mehr „Erfahrung“ vermittelt, was ich für sehr wesentlich halte (S. 302). Es wird so sein, daß jedes der Bücher seine Meriten hat und sie nicht als Konkurrenten, sondern als gegenseitige Ergänzung und Korrektiva verstanden werden sollten. Bemerkenswert bleibt aber, daß, all jenen zum Trotz, die der diachronischen Linguistik ihr baldiges Ende Vorhersagen und wohl auch wünschen, innerhalb so kurzer Zeit zwei Bücher auf den Markt kommen können, die gerade dem Herzstück der vergleichenden, diachronischen Linguistik gewidmet sind: der Etymologie. H. Birkhan

16

Abkürzungen

a abair. abg. Abi. abret. abrit. acech. acorn. ad. aDe adj. adv. afries. afrz. agr. ags. ahd. ai. air. aisl. akelt. Akk. aksl. akymr. alat. alem. alb. an. anfrk. angl. anglo-fries. äol. ap. apreuß. ar. arab. arm. aruss. as. aschw. athemath. att.

alt altbairisch altbulgarisch Ablativ altbretonisch altbritisch alttschechisch altcornisch altdeutsch abgetönte Dehnstufe Adjektiv; adjektivisch Adverb; adverbial altfriesisch altfranzösisch altgriechisch angelsächsisch althochdeutsch altindisch altirisch ausländisch altkeltisch Akkusativ altkirchenslawisch altkymrisch altlateinisch alemannisch albanisch altnordisch altniederfränkisch anglisch anglo-friesisch äolisch altpersisch altpreußisch arisch arabisch armenisch altrussisch altsächsisch altschwedisch athematisch attisch

av. aVo aztek.

avestisch abgetönte Vollstufe aztekisch

bair. balt. bret. bulg.

bairisch baltisch bretonisch bulgarisch

cech. corn.

tschechisch cornisch

D, D

Diphthong dänisch Dehnstufe dialektisch dorisch deutsch

dän. De dial. dor. dt. E„ e. eig. EN engl.

Etymologie, etymologisch eigentlich Eigenname englisch

färing. f(em). finn. F1N FN fries. frk. früh ne frz.

färingisch feminin(um) finnisch Flußname Familienname friesisch fränkisch frühneuenglisch französisch

gall. Gen. germ. GN got.

gallisch Genitiv germanisch Göttername gotisch griechisch

gr.

17

halem. hd. hebr. heth. holl. homer. hpreuß. Hs(s).

ein beliebiger Laryngal hochalemannisch hochdeutsch hebräisch hethitisch holländisch homerisch hochpreußisch Handschrift(en)

i.a. illyr. Imp. Impf. Ind. ind. Inf. ion. ir. iran. isl. ital. italien.

im allgemeinen illyrisch Imperativ Imperfekt Indikativ indisch Infinitiv ionisch irisch iranisch isländisch italisch italienisch

jidd. Jt.

jiddisch Jahrtausend

K, K

kelt. keltiber. kent. Komp. Konj. kroat. kymr.

jeder Nichtvokal = Konsonant keltisch keltiberisch kentisch Komparativ Konjunktiv kroatisch kymrisch

lat. lett. lgb. lit. luw. LV Lw.

lateinisch lettisch langobardisch litauisch luwisch Lautverschiebung Lehnwort

H

18

m(ask.) MA md. me. mfr. mgr. mhd. mind. mir. mit. mnd. mnl. mpers.

maskulin(um) Mittelalter mitteldeutsch mittelenglisch mittelfränkisch mittelgriechisch mittelhochdeutsch mittelindisch mittelirisch mittellateinisch mittelniederdeutsch mittelniederländisch mittelpersisch

N, N

nalem. nd. ne. nfrk. ngr. nhd. nind. nir. nisl. nl. nnl. Nom. Nom.ag. norw. np.

Nasal niederalemannisch niederdeutsch neuenglisch niederfränkisch neugriechisch neuhochdeutsch neuindisch neuirisch neuisländisch niederländisch neuniederländisch Nominativ Nomen agentis norwegisch neupersisch

od. Obj. ON ostiran. ostmd.

oberdeutsch Objekt Ortsname ostiranisch ostmitteldeutsch

Pal. Part. Pass. pelasg. Perf. pers. phon. phryg.

Palatal(isierung) Partizipium Passiv pelasgisch Perfektum persisch phonetisch phrygisch

PI. PN poln. portug. Präs. Prät.

Plural Personenname polnisch portugiesisch Präsens Präteritum

Re roman. rotw. run. russ.

Reduktionsstufe romanisch rotwelsch runisch russisch

S s. sächs. sbkr. schott. schwed. sem. serb.

Schwundstufe siehe sächsisch serbokroatisch schottisch schwedisch semitisch serbisch Singular slawisch slovenisch slovakisch siehe oben sogenannt spanisch spätlateinisch siehe unten Substantiv süddeutsch

Sgslaw. slov. slovak. s.o. sog. span. spätlat. s.u. Subst. südd.

thrak. TN toch. türk.

thrakisch Tiername tocharisch türkisch

ung. urgerm. urgr. urind. urital. urlat. urn. urslaw.

ungarisch urgermanisch urgriechisch urindisch uritalisch urlateinisch urnordisch urslawisch

KV

ved. venet. VG vgl. vlt. VN Vo Vok.

Vokal vedisch venetisch Vernersches Gesetz vergleiche vulgärlateinisch Volksname Vollstufe Vokativ

westfr. westiran. wruss. Wz(n)

westfränkisch westiranisch weißrussisch Wurzel(n)

zig. Zs(s).

zigeunerisch Zeitschrift(en)

19

I

Die Etymologie und ihr Gegenstand

1 Die Etymologie (E.) ist ein Zweig der historischen (dia¬ chronischen) Sprachwissenschaft (Linguistik) und zugleich ihre Grundlage. Sie beschäftigt sich mit der Herleitung bedeu¬ tungstragender sprachlicher Elemente (Einheiten, Zeichen). 2

Diese sprachlichen Elemente sind:

(1) Lexikoneinträge, d.h. was sich im Wörterbuch als Stich¬ wort (Lemma) findet. Solche Lemmata sind einerseits einfache Wörter (Lexeme) wie Trüffel, Gespenst, wollen, neun. Sie heißen auch freie (autonome) Morpheme, andererseits auch feste Wortverbindungen (Kompositionen, Composita) wie Rüsselkäfer, Gartenzwerg, dann auch Wortgruppenlexeme wie der alte Fritz, das goldene Wiener Herz und Idiome (syntagmatische Verbindun¬ gen) wie jemandem das Wasser abgraben. Wenn ich im folgenden der Kürze halber gewöhnlich nur von der E. von Wörtern, freien Mor¬ phemen oder Lexemen spreche, so ist dies deshalb zulässig, weil die etymologische (e.) Erklärung von Wortverbindungen, Wortgruppen¬ lexemen und Idiomen über die Erklärung der sie konstituierenden freien Morpheme gehen muß. Die Lexikoneinträge lassen sich, da ja immer wieder neue Wörter, Wortverbindungen, Wortgruppenlexeme und Idiome gebildet werden, ohne weiteres vermehren, sie bilden eine „offene Liste“. (2) Dagegen bilden die grammatischen (d.h. frei nicht vor¬ kommenden) Morpheme, die sich nicht ohne weiteres vermehren lassen, eine „geschlossene Liste“. Auch die grammatischen Morpheme, die als Affixe bezeichnet werden, ergeben eine „geschlossene Liste“. Sie bilden einen Bestandteil der Wörter und werden je nach ihrer Stellung im Wortkörper des freien Morphems als (a) Präfixe (wie ent- in ent-laufen. Bei- in Bei-lage), (b) Infixe (im „Wortinneren“ wie -n- in we-n-den [S. 189]; vgl. lat.7?n-dö ,spalte‘ gegenüber der infixlosen Form fidi .spaltete1) und (c) Suffixe (wie -t in geh-t, -er in Neun-er, -al in later-al) genannt. Die Affixe können auch kombiniert (wie in Ge-wa-n-d-i-heit [1 = Präfix, 2 = Infix wie in we-n-den, 3, 4 = Suffixe]), Prä- und Suffixe auch in Häufung (Konglutination) auftreten (wie in Ver-ge-bühr-ung-en).

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Bei der E. der Morpheme sind drei Möglichkeiten gegeben: (1)

Das Wort ist eine (junge) Neubildung (Neologismus) wie

Fewa, das aus Fe(in)wa(sehmittel) gekürzt ist. In diesem Fall sind

Bildungsweise und -umstände zu bestimmen. 20

(2) Das Wort ist aus einer fremden Sprache übernommen. Die e. Erklärung hat die Herkunftssprache, die Entlehnungszeit und -umstände festzustellen. (3) Das Wort ist autochthon, d.h. aus der ältesten erschlie߬ baren Vorstufe ererbt (Erbwort, Stammwort). In diesem Fall ist das Wort anhand der Belege durch die historischen Sprachstufen zu¬ rückzuverfolgen, es sind seine Veränderungen zu erklären und seine Ausgangsform in der ältesten vorhistorischen Sprachstufe, die wir kennen, zu rekonstruieren (S. 32ff.). Diese älteste (rekonstruier¬ te) Sprachstufe, von der das Deutsche (Dt.), aber auch eine ganze Reihe anderer Sprachen abstammen (S. 48, 69ff.), nennt man Indoger¬ manisch (Idg.) oder Indoeuropäisch (Indo-European, Indo-Europeen). 4 Die nach bestimmten Rekonstruktionsregeln, die uns noch beschäftigen werden (S. 32ff., 87f.), erschlossene idg. Urform z. B. von dt. Vater lautet idg. Später. Wir schreiben also: dt. Vater < idg. Später oder auch: idg. * pater > dt. Vater. Das Sternchen (Asterisk[us]) besagt, daß die damit bezeichnete Form vom Etymologen rekonstruiert (und nicht belegt) ist. Der Operator < ist zu lesen: „kommt von, stammt aus“, der Operator > ist zu lesen: „wird zu, entwickelt sich zu“. Der Opera tor : meint „entspricht e.“ oder auch nur „vergleiche“, behauptet aber nicht den direkten genetischen Zusammenhang. So könnte man unter der Voraussetzung, daß Dt. und Lat. urverwandt sind, aber nicht etwa das Lat. eine Vorstufe des Dt. ist, nur schreiben: lat. pater: dt. Vater. Für das Frz., das ja auf das Lat. zurückgeht, ist hingegen zu schreiben: lat. pater > frz. pere. Liegt hingegen ein Fremd¬ oder Lehnwort (Lw.) vor, so sind natürlich die Operatoren > , < berechtigt: lat. pater > dt. Pater bzw. dt. Pater < lat. pater. Manchmal erlauben die Rekonstruktionsregeln bzw. die Belegsituation keine ge¬ nauere Aussage über die Qualität eines erschlossenen Lautes, man kann dies durch ein Kreuzchen x zum Ausdruck bringen (z.B. *bhork*-; S. 126, §8). Um ganz korrekt zu sein, hätten wir freilich zu schreiben: dt. Vater < ... < idg. *pster, denn das idg. *p3ter hat bis zu dt. Vater einen langen Weg von etwa vier Jt.n zurückgelegt: idg. *p3ter > urgerm. *J'aöar > ahd. fatar > mhd. vater [vator] > nhd. Vater [fa:tsr]. Da aber niemand damit rechnen wird, daß nhd. Vater direkt aus dem Rekonstrukt idg. *p3ter entlehnt wurde, ist die verkürzen¬ de Schreibweise nhd. Vater < idg. *p3ter zulässig.

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Ergänzungen und Erläuterungen:

Daß die E. sich auch mit gebundenen Morphemen zu befassen hat, liegt in ihrer Definition (...Herleitung bedeutungstragender ... Elemente...). Ein Vergleich von Wahrheit, Falschheit, Lauheit... mit den Grundwör¬ tern wahr, falsch, lau... zeigt nicht nur die Bedeutungsdifferenzierung durch das Suffix -heit, sondern auch die einheitliche Richtung der Bedeutungsdifferenzierung, indem nämlich aus den Adj. Abstraktbezeichnungen gebildet werden. So konnte auch Goethe zu groß Großheit bilden, und das bisher nicht vorhandene Abstraktum + Reichheit würde sicher verstanden. (Mit einem Kreuz + seien solche Un-formen bezeichnet!). Verfolgt man -heit e. zurück, so zeigt sich denn auch, daß dieses Suffix auf ein eigenes Lexem zurückgeht, das in got. haidus ,Art und Weise4, aisl. heiör ,Würde4, ahd. heit ,Stand, Rang4 noch belegt ist. Im Falle von -schaft (in Gewerkschaft, Herr¬ schaft.. .) existiert sogar heute noch das mit dem Suffix formal identische autonome Morphem Schaft (vgl. Lanzenschaft...), doch wird der be¬ deutungsmäßige (semantische) Zusammenhang nicht mehr gefühlt (Dissoziierung). Es gibt auch den umgekehrten Fall, daß nämlich die durch Affixe erweiterte Form geläufig, das unabgeleitete Grundwort aber nicht mehr erhalten ist: die in Gesellschaft und un-wirsch erhaltenen Grund¬ wörter seil und wirsch existieren heute nicht mehr. So wie bei -heit läßt sich z.B. auch bei den Suffixen -tum (Reichtum, Altertum...) und -e {Größe, Güte...) nach der E. fragen. Das gilt auch für diejenigen Suffixe, die als Endungen bezeichnet werden. Gerade bei den Verbalendungen zeigt sich, daß sie oft aus Pronomina (also freien Morphemen) hervorge¬ gangen sind, die, ganz wie das Suffix -heit an das Adjektiv lau, an das „eigentliche44 Verbum angetreten sind. Allerdings ist dieser Tatbestand nicht mehr so leicht zu erkennen. So läßt sich die Endung -n in ahd. {ich) tuo-n auf idg. *-mi zurückführen, worin man gewöhnlich eine Pronomi¬ nalform der 1. Pers. Sg. (vgl. mir, mich, lat. mihi...) sieht. Das frühne. -t in {thou) goes-t ,du gehst4 geht ebenso auf ein suffigiertes fu zurück wie das -t in mhd. {du) gibes-t > nhd. {du) gibs-t auf suffigiertes du und nhd. (dial.) -te in denks-te < denks-t-du.

6 Die E. kann zeigen, daß formal identische Affixe ursprünglich nicht identisch waren: das Präfix ent- in ent-laufen, {sich) enl-blößen... enthält den Begriff des Trennens, der aus dem des Entgegenwirkens entstanden ist. So läßt sich dieses Präfix mit Ant- in Ant-wort, Ant-litz (< ahd. ant-lizzi eigentlich .was einem entgegen sieht') verbinden. Vergleichen wir dieses ent- mit dem Präfix der Verba des Beginnens entstehen, entflammen..., so zeigt sich die bedeutungsmäßige Unvereinbarkeit beider, ln der Tat ergibt die e. Rückfüh¬ rung, daß hier noch im Mhd. ein anderes Präfix vorlag {in-, en- in mhd. en22

bloezen ,entblößen1, en-brinnen ,entbrennen1...), das erst im Nhd. mit dem älteren ent- zusammenfiel.

7 Da die Affixe, wie sich in vielen Fällen zeigen läßt, oft aus ehe¬ mals freien Morphemen entstanden sind, kann man nur insofern von einer „geschlossenen Liste“ sprechen, als ihr Bestand im Vergleich zu denen der freien Morpheme nur relativ geringfügigen Schwankungen unterworfen ist. Immerhin sterben gewisse Affixe ab (wie -aster in Poet¬ aster, Kritik-aster...), während andere neu aus freien Morphemen ent¬ stehen können. Ein freies Morphem, das sich im Durchgangsstadium zum Affix befindet, nennen wir ein Affixoid (Präfixoid, Suffixoid). Ein solches Präfixoid ist z.B. das weitgehend von der konkreten Be¬ deutung dissoziierte scheiß- in scheiß-autoritär, scheiß-liberal, schei߬ repressiv ..., das zu einem deteriorativen (bedeutungsverschlechternden) Präfix werden könnte, dessen Funktion nur in der Verstärkung (Elativierung) des im Grundwort vorhandenen unlustbetonten Gehaltes dient. Als Suffixoid kann man -fritze (= der PN Fritz) in Bildungen wie Bummel-fritze, Film-fritze, Nörgelfritze... ansehen. 8 Aus der Definition der E. als „Herleitung bedeutungstragender... Elemente“ folgt, daß sprachliche Zeichen ohne eigene Bedeutung nicht Gegenstand der E. sind. Die durch Minimalpaare (minimal pairs) wie heiter : Reiter, Hose : Rose bestimmten Phoneme /h/ und /r/ sind zwar bedeutungsdifferenzierend, haben aber selbst keine Bedeutung. Lexikalisiert (also als eigene „Wörter“ z. B. in dem Satz „Deine R und H sind undeutlich geschrieben“) können sie etymologisiert werden. Ebenso sind die Phoneme /au/ und jo:/, wenn sie lexikalisiert erscheinen (als Interjektionen au(weh)! und o(h)\), Gegenstand der E.

9 Die oben erwähnten Neubildungen (Neologismen) erweitern ständig die „offene Liste“ der freien Morpheme. Viele Bildungen sind „durchsichtig“ (motiviert) wie etwa Umweltschutz, Baummörder ,einer, der leichtfertig Bäume (= „Lungen der Großstadt“) fällt4, Notwehr¬ spezialist ,Gesetzesbrecher, der seine Morde als Notwehr hinzustellen pflegt4, Tunerkapazität, Sit-in (danach Love-in usw.). Diesen Bildungen läßt sich mit den e. Methoden ohneweiters beikommen. Anders ist es bei vielen Firmen- und Warennamen, den Buchstabenwörtern (Akronymen) wie Agfa < A(ktien)g(esellschaft) f(ür) A(nilinfahrikation) und den verhältnismäßig seltenen willkürlichen Benennungen wie Syphilis (von G. Fracostoro 1530 nach einem Flirten Syphilus in seinem Lehrgedicht über die Krank¬ heit so benannt) oder Gas (von dem belgischen Chemiker J.B. van Helmont im 17. Jh. nach griech. xdog ,Chaos4 gebildet). Die Benennung von Waren mit Namen, die unterschwellig wirkend über bestimmte 23

Assoziationen zum Erwerb des Produktes stimulieren sollen, reicht in die Werbepsychologie hinüber und ist e. noch kaum untersucht. Die verschiedenen Typen der Neologismen können in dieser Einfüh¬ rung nur ganz am Rande behandelt werden.

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II

Einführung in das sprachvergleichende und etymologische Denken

1 Die „Herleitung bedeutungstragender sprachlicher Elemente“ wird in der e. Praxis gewöhnlich in zwei Forschungsansätzen durchgeführt, die leider nur selten so miteinander kombiniert werden (können), daß nicht der eine oder andere Ansatz im Übergewicht wäre. Der eine Ansatz, der schon vorgestellt wurde, fragt vor allem nach der Herkunft eines Wortes (wofür es grundsätzlich die schon genannten drei Möglich¬ keiten gibt). Diese Forschungsrichtung wird etymologie origine genannt. Die andere Forschungsrichtung beschäftigt sich vorwiegend mit der Geschichte des Wortes (d.h. seiner Verwendung) im Verlauf der historisch faßbaren Sprachperioden. Sie geht unter dem Terminus histoire des mots (S. 280f.). Die folgenden Abschnitte (bis S. 198) beschäftigen sich überwiegend mit der etymologie origine, und es wird nur jener Teil der geschichtlichen Veränderung der Morpheme mitbe¬ rücksichtigt, der die formale Seite betrifft, also die Veränderungen in der (äußeren) Erscheinungsform des Wortkörpers (d.h. der Phonemkette, die das Morphem konstituiert), nicht die seiner Bedeutung. 2 Die „Herkunfts-E.“, von der nunmehr zunächst die Rede sein wird, stellt zwei miteinander eng zusammenhängende Fragen: (1) Sind zwei gegebene Wörter verwandt? (2) Auf welche Ausgangsform (im Sinne der drei Möglichkeiten s.o. S. 20f.) geht ein gegebenes Wort zurück? Eine dritte Fragestellung, die der „umgekehrten Rekonstruk¬ tion“, die man zur Absicherung der formalen Rekonstruktion heran¬ ziehen kann, werden wir später (S. 272f.) kennenlernen. Zur Frage (1): Jedem wird auffallen, daß es lat. Wörter gibt, die nhd. Wörtern formal recht ähnlich und in der Bedeutung gleich sind, obwohl wir sie unserm Sprachgefühl nach nicht für Entlehnungen (wie lat. religiön- > nhd. Religion, um 1600) halten. Solche Wortpaare sind z.B.: est : ist, in : in, mäter : Mutter, fräter : Bruder, pater : Vater, tres : drei, septem : sieben, octö : acht, longus : lang, mürus : Mauer, mülus : Maul (der), vinum : Wein, vehere : (be)wegen, nebula : Nebel... Man muß in einem solchen Fall fragen, ob diese Wortpaare nicht hinsichtlich ihrer Herkunft ur¬ sprünglich identisch sind und ob nicht die formale Ähnlichkeit bei gleicher Bedeutung überhaupt auf Verwandtschaft der bei¬ den Sprachen weist. Oder handelt es sich nur um Zufall? Denn „Ähn25

lichkeit“ ist doch ein vager und dehnbarer Begriff. Ob alle Leser septem und sieben als „ähnlich“ empfinden, bleibt schon dahingestellt. Wie stichhältig der Eindruck der Ähnlichkeit ist, läßt sich dadurch über¬ prüfen, daß wir uns eine Liste von Phonem-Entsprechungen anlegen und sehen, ob sich für sie eine Ratio finden läßt. Wir sollten freilich unsere Vergleiche auf ein möglichst großes Material (Corpus) von solchen Wortpaaren stützen, also auch habere : haben, hortus : Garten und vieles andere miteinbeziehen, wenn hier auch Zweifel auftauchen dürften, z. B. ob duo : zwei in die Liste aufgenommen werden soll. Wenn wir von den lat. Endungen, für die es im Dt. offenbar keine Äquivalente gibt (longus : lang), absehen, so lassen sich immerhin gewisse „Umset¬ zungsregeln“ aufstellen, z.B.: lat. st : nhd. st; lat. m, n, r, l: nhd. m, n, r, l; lat. ü : nhd. au; lat. o : nhd. a usw. Aber vieles bleibt unregelmäßig: lat. t entspricht einmal nhd. t (ist, Vater), einmal tt (Mutter) und einmal d (Bruder, drei). Umgekehrt hat das Lat. einmal F (vlnum), einmal e (tres), wo das Nhd. nur ei hat. Diesen Unregelmäßigkeiten kommen wir nur zum Teil bei, wenn wir das Vergleichs-Corpus erweitern, denn z.B. die Einbeziehung von hortus : Garten und habere : haben liefert zwar einen weiteren Beleg für lat. o, r, t : nhd. a, r, t, bringt uns aber andererseits in Schwierigkeiten, denn lat. h, das in nhd. (be) wegen und Garten einem g zu entsprechen scheint, entspricht in habere : haben offenbar einem nhd. h\ 3 Wir müssen freilich noch etwas bedenken: Es ist ein immer und überall geltendes Gesetz (panchronisches Gesetz, ein Universale), daß sich „lebende“ Sprachen verändern. Um uns dies vor Augen zu führen, brauchen wir nur einen älteren dt. Text, z.B. aus der Barockzeit, her¬ zunehmen. Hier gibt es orthographische Verschiedenheiten, solche des Wortschatzes, aber auch solche der Lautform, z.B. heißt es etwa er gebeut, wo wir er gebietet sagen. Wenn wir aber einen Text von ca. 1200 ansehen, so mutet uns dieser schon recht fremd (viell. mundartlich) an, und wenn wir gar in das 9. Jh. zurückgehen, so erscheint uns das Ahd. schon als eine Fremdsprache. Wir sind von der Hypothese ausgegangen, daß das Lat. und Nhd. (genetisch) verwandt sein könnten. Daraus folgt nun aber zwingend, daß wir die älteste uns zugängliche Vorstufe des Nhd. mit dem Lat. verglei¬ chen müssen, denn nur so können wir den Sprachwandel inner¬ halb des Dt. als „Störfaktor“ einigermaßen ausschalten. Setzen wir in der obigen lat.-nhd. Wortliste an Stelle der nhd. Wörter deren ahd. Vorstufen, so ergeben sich z.B.: mäter : muoter, frditer : bruoder, mürus: müra, mülus : mül, vlnum : win... Im Falle von mürus, mülus und vlnum sind, abgesehen von den Endungen, die ahd. mit den lat. Formen 26

gleichlautend. Bei muoter und bruoder zeichnet sich jetzt eine regel¬ mäßige Entsprechung lat. ä : ahd. uo gegenüber dem Nhd. ab, wo lat. ä bald nhd. [u] (Mutter), bald nhd. [u:] (Bruder) entsprach. Wenn wir nun noch lat. pater : ahd. fater vergleichen, dann zeigt sich auch, daß als Entsprechung für lat. t nur ahd. d (bruoder) und t {muoter, fater) in Frage kommen, nicht aber tt (nhd. Mutter). Wenn wir also einerseits unser Corpus erweitern, andererseits die ältesten Sprachstufen zum Vergleich heranziehen, natürlich auch die des Lat., so ergeben sich schon recht stabile Entspre¬ chungsregeln. Angenommen, wir hätten zunächst das lat. Äquiva¬ lent von ahd. naht ,Nacht" nicht in unser Corpus aufgenommen, so könnten wir jetzt auf Grund des ahd. Wortes das lat. Wort „errechnen": wegen lat. vtnum : wln, in : in... müßte es mit n- beginnen. Darauf müßte entweder a folgen (wie in pater : fater) oder o (wie in longus : lang). Dann müßte ct folgen (wie in octö : aht). Es ergeben sich also zwei lat. Phonemketten, nämlich *nact- und *noct-, von denen die zweite wahr¬ scheinlicher ist, weil es bei einem großen Vergleichs-Corpus viel mehr Fälle vom Typus lat. o : ahd. a als lat. a : ahd. a gibt. *noct- ist also wahrscheinlicher, aber *nact- nicht unmöglich. Wir sind mit unserer „Konstruktion“ dem lat. nox, noct-is ,Nacht4 recht nahe gekommen. Wir können solche Gegenproben als Kriterium der Richtigkeit unserer Entsprechungsregeln ansehen. Natürlich gibt es bei diesem Vergleichsverfahren allerlei Fehlerquel¬ len, z.B. den Fall, daß zwei Wörter einander nur zufällig ähnlich sind. Aber je größer das Corpus ist, desto weniger fallen solche Zufälle ins Gewicht. Wir beobachten, daß in vielen Dutzenden von Vergleichs¬ paaren lat. h einem dt. g entspricht (wie in vehere : (be)wegen), und wir können nach demselben Verfahren wie noct- : naht erschließen, daß das ahd. Äquivalent von lat. host-is ,Feind" gast lauten muß. Der Leser wird sich vielleicht über die Bedeutungsdifferenz ,Feind" - ,Gast" wundern. Aber so naheliegend es ist, daß wir bei unseren Vergleichen von der ältesten Form des Morphems ausgingen, so naheliegend ist es auch, daß wir die älteste faßbare Bedeutung der Morpheme zugrunde legen, und hier belehren uns Varro {de lingua Latina 5,3) und Cicero {de officiis 1,37) darüber, daß hostis ursprünglich jeder Fremde (im Gegen¬ satz zum civis Römänus also ohne römisches Bürgerrecht) war. Auch im älteren Dt. konnte gast in analoger Weise als ,Fremder" verwendet werden, ja ganz wie im Lat. auch zur Bezeichnung des fremden Kriegs¬ volkes, des Feindes dienen. Auf Grund dieser Überlegung können wir nunmehr host-is : Gast in unser Vergleichs-Corpus aufnehmen, und wenn es zuvor auf Bedeutungsgleichheit gegründet war, so läßt es sich nun erweitern, wenn es uns gelingt, die Bedeutungsdif27

ferenz verglichener Wörter plausibel zu erklären. Auf Grund der Ausweitung des Corpus ergibt sich somit eine neuerliche zahlen¬ mäßige Absicherung der Entsprechungsregeln. Nun zeigt es sich, daß die „Gleichung“ lat. habere : ahd. haben ,haben1 eigentlich eine Ungleichung ist, die sich zu Unrecht in unser Vergleichs-Corpus eingeschlichen hat. Denn lat. h- muß ahd. g- entsprechen (wie in Garten, Gast, [be-]wegen), d.h. das Äquivalent zu lat. hab-ere müßte ahd. *gab- lauten. Hätten wir nur einige wenige Fälle von lat. h : ahd. g, so könnte man vermuten, daß lat. h eben manchmal ahd. g, manchmal aber ahd. h entspricht. Je größer jedoch die Belegzahl für lat. h : ahd. g ist, desto unwahrscheinlicher wird der Ansatz lat. h : ahd. h, der nur durch den einen Beleg habere : haben gestützt werden könnte. Um zu überprüfen, wie aussagekräftig die abgeleiteten Entspre¬ chungsregeln für die Verwandtschaftshypothese sind, können wir eine Gegenprobe z.B. am Türk, vornehmen. Das obige Vergleichs-Cor¬ pus sieht nun so aus: nhd. ist: türk. -dir/-der, in : -de/-da, Mutter : and, välide, Bruder : kardü§, Vater : de de, ata, drei : üq, sieben : yedi, acht : sekiz, lang : uzün, Wein : §arap, (be)wegen : oynatmäk... Es wird auf Grund dieser Liste, auch wenn sie noch so sehr verlängert würde, niemand imstande sein, das türk. Wort für ,Nacht\ nämlich gece, aus¬ zurechnen. Man könnte allerdings eine Liste mit schlagenden nhd.-türk. Glei¬ chungen aufstellen. Sie würde etwa so aussehen: nhd. Marmelade : türk. marmelät, Maschine : mäkina, Champion : §ampiyön, Stenographie : istenografi... Niemand wird verkennen, daß jene Wörter, die wirklich, allerdings sehr weitgehend, übereinstimmen, im Türk, junge Kul¬ turentlehnungen aus europäischen Sprachen sind. In seinem autochthonen Wortschatz (Mutter, Bruder, Vater, drei...) hat das Türk, nichts, was uns die Aufstellung von Entsprechungsregeln zum Dt. oder auch zum Lat. erlauben würde, und ist daher als nicht verwandt mit dem Dt. oder Lat. anzusehen. Das Dt. und Lat. aber, für deren Wortglei¬ chungen sich Entsprechungsregeln angeben ließen,, sind miteinander verwandt (wie immer man sich auch die Verwandtschaft im konkreten vorstellen mag). 4 Gegen die Aussagekraft der lat.-dt. Gleichungen im Sinne einer genetischen Verwandtschaft der beiden Sprachen könnte man nun allerdings einwenden, daß die übereinstimmenden Wörter aus dem Lat. ins Dt. entlehnt seien, aber eben schon in so früher Zeit, daß sie unserm heutigen Sprachgefühl nicht mehr als Fremdwörter er¬ scheinen. Dagegen ist ganz allgemein zu sagen, daß die Zahl der Wort¬ gleichungen so groß ist und daß sich viele Wörter darunter befinden, die 28

i.a. nicht leicht entlehnt werden, daß wir mit der Annahme auch sehr weitgehender Entlehnung seitens der Vorstufen des Nhd. nicht auskommen. Es werden nämlich keineswegs alle Teile des Wortschatzes gleich leicht entlehnt (S. 236, 241) - gewöhnlich beschränken sich die Entleh¬ nungen auf zivilisatorische und kulturelle Neuerungen. Wollte man auch die Wortgleichungen im Bereich der wichtigsten Verba, der Verwandt¬ schaftsnamen, der Zahlwörter, der Pronomina usw. (die es ja tatsächlich gibt) nach Art der Lehnwörter aus dem Lat. herleiten (und nicht etwa nur als mit den lat. Entsprechungen verwandt ansehen), so müßte man das Dt. (und die germ. Sprachen überhaupt) als Fortsetzung des Lat. ansehen, d.h. als eine roman. Sprache betrachten wie das Frz., das Italien., das Span. usw. Dazu sind aber die Übereinstimmun¬ gen der germ. Sprachstruktur (auch in Formenlehre und Syn¬ tax) mit der des Lat. bei weitem nicht ausreichend. Es muß also dabei bleiben, daß das Dt. und das Lat. zwar genetisch verwandt sind, aber nicht etwa so, daß das Lat. die Vorstufe des Dt. i.a. wäre. Das schließt natürlich lat. Entlehnungen ins Dt. nicht aus, und tatsächlich wird ja für drei Morpheme des Vergleichs-Corpus angenommen, daß die dt. Wörter die entlehnten lat. Äquivalente seien. Sichere Entlehnungen sind ahd. müra ,Mauer1 und ahd. mül,Maultier1. Auch bei vinum : win wird dies in der Regel angenommen, jedoch so ganz sicher kann das, seitdem Weinreben für das bronzezeitliche Südschweden archäologisch nachge¬ wiesen sind, heute nicht mehr vertreten werden. Ein Vergleich mit gr. olvo<; ['oinos], arm. gini, arab.-äthiopisch wain, hebr. jajin ,Wein‘ zeigt aber, daß das Wort eine alte Entlehnung aus einer Sprache des mediter¬ ranen oder Schwarzmeer-Gebietes sein dürfte. Wichtig ist dabei, daß wir auf Grund der lautlichen Konstellationen in den Wortkörpern keine Möglichkeit haben, die Entlehnung formal nachzuweisen. Wollen wir wissen, ob Entlehnung vorliegt und ob diese in die republikanische Zeit, die Kaiserzeit oder das frühe M A fällt, so müssen wir uns um die Sachen selbst kümmern und etwa Fragen stellen wie: Seit wann finden sich Maultierknochen? Welche Neuerung im Bauwesen könnte mit der Über¬ nahme des Wortes Mauer verbunden sein? Gibt es noch andere Entleh¬ nungen im Bereich des Weinbaues als das Wort Wein selbst? Wir müssen uns die Realien in Abbildungen, Textzeugnissen, archäologischen Funden usw. ansehen, um die Annahme der Entlehnung begrün¬ den zu können. Das verleiht der E. einen stark interdisziplinärintegrativen Zug, wie ihn sonst keine linguistische Disziplin be¬ sitzt. Natürlich gibt es auch formale Hinweise auf Entlehnung (z.B. S. 234f., 243f., 248f.) - und im Falle von Mauer geht dies aus der alat. Form moiros klar hervor -, aber dennoch wird die Entlehnung durch sachkundliche Recherchen noch zu untersuchen sein. 29

5 Wenn wir auf Grund bedeutungsmäßiger Gleichheit oder „Ver¬ wandtschaft“ (wie bei hostis : Gast) Wortgleichungen aufstellen, so hängt deren Berechtigung jeweils vom Grad der „Stimmigkeit“ mit den Entsprechungsregeln ab. Diese „Stimmigkeit“ nennen wir Rekurrenz. Sie läßt sich aber nicht etwa nach einem einfachen Ver¬ fahren in folgender Weise berechnen: lat. imber : ahd. regen hat von fünf möglichen Lautentsprechungen nur eine (das e in imber), also 20%, dagegen lat. habe-re: ahd. habe -n von vier möglichen immerhin drei (-abe-), also 75%, ist also stimmiger und daher richtiger. Nein, habere: haben ist nicht weniger Ungleichung als imber : Regen, wo auch der Laie die Unvereinbarkeit sofort erkennen wird. Warum dies so ist, läßt sich auf dieser fundamentalen Stufe des Sprachvergleichs noch nicht er¬ klären; es ist eben nicht so, daß alle Phoneme in der Phonemkette des Morphems das gleiche Gewicht haben. Wenn es statt haben + gabön oder +gäbön hieße, würden wohl viele Etymologen die Verbindung mit habere ernstlich erwägen. Den Grund für diese scheinbare Willkür wird der Leser nach dem Studium der Abschnitte VII und VIII dieses Buches verstehen. Wir fassen dahingehend zusammen, daß wir sagen: Eine e. Gleichung ist formal um so besser, je höher ihre Rekurrenz ist, fügen aber hinzu, daß das Ausmaß der Rekurrenz nur auf sehr komplizierte Weise quantifizierbar wäre, die schon aus diesem Grund für die e. Praxis nicht in Präge kommt. 6 Was e. zusammengehört, insbesondere Vorstufen, aber nicht nur diese, sondern auch Entsprechungen (Äquivalente), sofern sie genetisch verwandt sind, in anderen Sprachen und Dialekten, nennen wir Ety¬ ma (Sing.: Etymon). Wir können also sagen: das ahd. Etymon zu nhd. Bruder ist bruoder, das engl. Etymon ist brother, das lat. Etymon ist fräter. Dagegen ist das bedeutungsgleiche gr. aös7.(pö<; [adel'p'os] ebensowenig ein Etymon zu dieser Gruppe wie lat. habere und imber Etyma zu ahd. haben und Regen sind. 7 Ziehen wir aus den angestellten Überlegungen die Summe, so läßt sich sagen: (1) Je höher formale Rekurrenz und Bedeutungsübereinstim¬ mung (semantische Rekurrenz) zwischen zwei verglichenen Morphemen sind, desto berechtigter ist in genetischer Hinsicht der Vergleich. (2) Je höher die formale Rekurrenz, desto eher läßt sich eine semantische Abweichung in Kauf nehmen, allerdings nur dann, wenn sie in einer Erklärung untergebracht werden kann, wie im Falle hostis : Gast. 30

(3) Satz (2) läßt sich nicht ohne weiteres umkehren: auch bei höch¬ ster semantischer Rekurrenz (semantischer Gleichheit) macht ein ent¬ scheidendes Auslassen der formalen Rekurrenz die e. Verbindung un¬ möglich, wie im Falle der Ungleichung habere : haben. Anmerkung: Es gibt viele „verlockende“ e. Verbindungen, die, auf ihre lautliche Rekurrenz überprüft, doch nicht bestehen können: z. B. mhd. gurre schlechte Stute1 (in bair. dial. ['bisgunn] ,zänkische Frauensperson1) : nind. ghora ,Stute1; gr. beoq [t'e'os] : lat. deus, beides ,Gott‘: lat. homo ,Mensch1 : hümänus mensch¬ lich1, engl, build ,bauen1 : nhd. bilden sind nicht e. verwandt. Welch kuriose Übereinstimmungen der Zufall bewirken kann, zeigt die Schein-Gleichung nl. elkaar : baskisch (nicht-idg.!) elkar, beides ,einander1. Dagegen gibt es durch formale Rekurrenz gesicherte e. Verbindungen, bei denen auf den ersten Blick kaum zwei Phoneme übereinstimmen: z. B. lat. plenus ,voir : nhd. voll, lat. läna ,Wolle1 : nhd. Wolle, lat. bis ,zweimaf : lat. duo ,2‘ : nhd. zwei, lat. rosa : apers. gul ,Rose‘ : ags. word,Dornstrauch1.

(4) In der formalen Rekurrenz haben die einzelnen Überein¬ stimmungen innerhalb der Phonemketten sehr verschiedenes Gewicht; ahd. + gabön könnte eher ein Etymon zu lat. habere sein als ahd. haben. (5) Selbst wenn der e. Anschluß gesichert scheint wie bei pater : Vater, mürus : Mauer, religio : Religion, türk, istenografi: Stenographie, müssen wir noch das Alter dieser Übereinstimmungen feststellen. Es kann sich um alte Erbwörter handeln, die auf genetische Ver¬ wandtschaft zweier Sprachen zurückgehen {pater : Vater), es kann sich um sehr alte Entlehnungen handeln {mürus : Mauer), die nicht mehr als solche empfunden werden, es können aber auch verhält¬ nismäßig junge {religio : Religion) oder sehr junge {Stenogra¬ phie : istenografi) Entlehnungen vorliegen. Möglichkeiten der Al¬ tersbestimmung werden wir noch kennenlernen (S. 247ff., 253). (6) Es gibt Bereiche des Wortschatzes, die weniger leicht durch Entlehnungen oder Neubildungen ersetzt werden als andere. Etyma dieses Wortschatzbereiches sind für das Erkennen von Sprachverwandt¬ schaft besonders relevant (S. 236).

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III

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Rekonstruktion und Konstruktion mittels Vergleich und Analogieschluß

Zur Frage (2):

Wie rekonstruiert man die vorauszusetzende Vorstufe eines Morphems? Vergleichen wir zunächst nhd. Wörter mit ihren mhd. Vor¬ stufen: nhd. Weib : mhd. wip, nhd. scheinen : mhd. schinen, nhd. Haus\ mhd. hüs, nhd. Maus : mhd. müs. Wir konstatieren wieder eine „Entsprechungsregel“, nach der den mhd. Monophthongen i, ü die nhd. Diphthonge ei, au entsprechen. Wenn dem immer so ist - und die Belege ließen sich fast beliebig vermehren dann könnten wir, so wie wir die Etyma von lat. hostis und nhd. Nacht im Dt. bzw. Lat. „errechneten“ (S. 27), auch vermuten, daß nhd. aus, sausen, Baum auf die mhd. Etyma *üz [u:s] (zur Schreibung mit -z s. S. 103, § 40), *süsen, *büm zurückgehe, ebenso nhd. Keim, Bein, Seife auf mhd. *kim, *bin, *sife. Da das Mhd. durch eine große Anzahl von Texten bekannt ist, haben wir die Möglichkeit, unsere Prognosen an den Belegen zu überprüfen. Es zeigt sich, daß es zwar üz, süsen, kirn heißt, nicht aber + bum, + bin, + sife, sondern vielmehr boum, bein, seife. Ein genauer Sprachvergleich zeigt, daß ü und ou, i und ei im Nhd. zusammengefallen sind (doch s. S. 60, 62, 262f.) und nhd. au bzw. ei ergeben haben (Phonemzusammenfall, phonemic merger);wir schreiben „mhd. ü, ou > nhd. au, mhd. i, ei > nhd. ei“. Wenn wir nun auf Grund des Nhd. ein mhd. Wort rekonstruieren wollen, so können wir zunächst nicht sicher sein, welche der beiden jeweils vorhandenen Möglichkeiten der Vokalrekonstruktion die rich¬ tige ist. In der Regel können wir uns natürlich im Mhd. leicht vergewis¬ sern, denn es ist so gut und ausreichend belegt, daß man nur sehr selten in die Lage kommen wird, ein mhd. Etymon rekonstruieren zu müssen. Wie aber, wenn das Mhd. nur ganz spärlich belegt wäre? Hier müssen wir erstmals eine dritte, möglichst nahe verwandte Sprache zu Rate ziehen. Dies könnte die Vorstufe des Mhd. sein (Ahd.) oder eine Schwestersprache, wie z.B. das Engl. Sehen wir uns das Ahd. an, so geben dort die Etyma üz, süsen, chimo ,Keim\ bein, saiffa bereits über die für das Mhd. zu erwartende Form der Etyma Aufschluß. Diese Methode wäre allerdings nur unter der Voraussetzung möglich, daß der ältere Sprachzustand besser belegt ist als der jüngere, wofür es allerdings Beispiele gibt. In der Regel ist jedoch der ältere Sprachzustand schlechter bezeugt als der jüngere. Diese Me-

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thode setzt aber auch die Kenntnis der Veränderungen voraus, die die Sprache beim Übergang vom älteren in den jüngeren Zustand erfährt, denn diese müßten natürlich einkalkuliert werden. 2 Wie steht es mit den Etyma in einer Schwestersprache? Es ist selbst¬ verständlich, daß wir eine Sprache wie das Engl, (sein Verwandtschafts¬ verhältnis zum Dt. s. S. 61) nur dann heranziehen werden, wenn der ältere Sprachzustand, z. B. oben das Ahd., oder näher verwandte Spra¬ chen (und Dialekte) nicht herangezogen werden können - etwa weil in ihnen das Etymon ausgestorben ist. Bei einer Sprache des Verwandt¬ schaftsgrades, wie es das Engl, ist, können wir nicht mehr ohne weiteres damit rechnen, daß wir für alle unsere Beispiele auch ein Etymon finden (z. B. ne. bluster, howl, sough, whiz, rush, dash, die alle verschiedene Arten des Sausens bedeuten, haben mit nhd. sausen e. nichts zu tun!). Immer¬ hin können wir vergleichen: aus : out [aut], Baum : beam [bi:m] ,Balken‘, Weib : wife [waifj, Bein : bone [boun], Seife : soap [soup]. Wegen der inkonsequenten Orthographie des Ne. (s. S. 60 u. 295f.) gehen wir im folgenden von der phonetischen Transkription aus und beobachten eine den mhd. Verhältnissen entsprechende Differenz in der ne. Lautform. Wenden wir diese Erkenntnis an und fragen wir, wie unter Einbeziehung des Ne. die mhd. Etyma zu nhd. Haus, Traum, allein, weit zu rekon¬ struieren wären, so müssen wir folgende Proportionen aufstellen: aus : [aut] : üz = Haus : [haus] : x x = hüs Baum : [bi:m] : boum = Traum : [dri:m] : x x = troum Bein : [boun] : bein = (all)ein : [(a'Ooun] : x x = (al)ein(e) Weib : [waif] : wip = weit : [waid] : x x = wit(e) Damit scheiden die ohne den Vergleich mit dem Engl, neben den rich¬ tigen Etyma ansetzbaren Unformen +hous, + trüm, + (al)in(e), +weit(e) aus! Natürlich lassen sich auch andere germ. Sprachen wie Nh, Fries, oder die skandinavischen Sprachen in analoger Weise heranziehen, insbeson¬ dere auch die mit dem Mhd. ja viel näher verwandten dt. Dialekte. Wir überprüfen dies an zwei Dialekten. Ich wähle zuerst das Hpreuß. (ein vor 1945 in Ostpreußen gesprochener ostmd. Dialekt). Setzen wir die hpreuß. Etyma (in phonetischer Schreibung) in die ersten beiden Proportionen ein, so ergibt sich: aus : [aus] : üz = Haus : [haus] : x x = hüs Baum : [bo:m] : boum = Traum : [tro:m] : x x = troum Wir können auch das Bairische in analoger Weise heranziehen. In vielen bair. Dialekten erscheinen aus, Haus, Baum, Traum, Bein, allein, Weib, weit in den Formen [aus], [haus], [ba:m], [tra:m], [böa], [a'löa], [vaip]. [vait]. Auch hier ergeben sich Proportionen wie:

aus : [aus] : üz = Haus : [haus] : x

x = hüs Baum : [ba:m] : boum = Traum : [tra:m] : x x = troum Damit erweist sich der Sprachvergleich (comparative method, verglei¬ chende Methode) als das wichtigste Instrument der formalen Rekon¬ struktion. 3 Freilich ist dieses Verfahren nicht immer so leicht anwendbar wie in diesen Fällen. Wir können z.B. keinen Dialekt heranziehen, in dem, wie im Nhd., mhd. i, ei und mhd. ü, au zusammengefallen sind. Zwei weitere Gründe, warum die vergleichende Methode in dieser simplen Form nicht immer funktioniert, können wir an den Etyma von nhd. schlau und Braut beobachten. Die ne. Etyma sly [slai] und bride [braid] passen nicht ohne weiteres in die Reihe von aus, Haus, Baum, Traum, und dement¬ sprechend werden wir auch beim Ansetzen einer Proportion scheitern. Die Gründe dafür sind: (1) Es gibt eine große Anzahl von nhd. Wörtern, die Entleh¬ nungen aus anderen Sprachen und Dialekten sind, ohne daß man ihnen dies heute noch ansehen würde. Ähnliches gilt auch fürs Ne. Nhd. schlau wurde erst im 16. Jh. aus nd. slü (nnl. sluw) entlehnt. Allem Anschein nach hat das Mhd. dieses Morphem nicht gekannt, obwohl wir es - wenn auch nicht über ne. sly - konstruieren können (**slü; ** bezeichnet hier ein Konstrukt, das zwar keine Unform ist, aber in Wirklichkeit wohl nicht bestanden hat). Ne. sly < me. sleigh, slegh, sieh ist aus an. slcegr ,geschickt, schlau1 entlehnt, also ein skandinavisches Lehnwort und nur sehr indirekt mit nd. slü > nhd. schlau verwandt. (2) Die zum Vergleich herangezogenen Sprachen haben ihre ganz spezifischen Wandlungen mitgemacht. Das hat uns ja schon veranlaßt, auf das Ahd. zurückzugreifen und das Alat. ins Auge zu fassen (S. 29), und auch etwa im Verhältnis von hpreuß. [tro:m], bair. [tra:m] zu mhd. troum konnten wir das Ergebnis dieses Wandels beob¬ achten. Doch hier war die Veränderung sozusagen linear, weil ja jedem mhd. ou hpreuß. [o:] und bair. [a:] entspricht. Im Falle von ne. bride hat aber noch ein weiterer, in diesem Fall speziell ags. Phonemwandel stattgefunden (ags. /-Umlaut) und statt ne. + broude [braud] (wie es wegen mhd. brüt heißen müßte!) zu bride geführt. 4 Aus dem Beispiel schlau : sly können wir ersehen, wie wichtig es ist, vor Beginn der Rekonstruktion die Geschichte des Wortes, sein erstes Auftauchen in den Texten, zu untersuchen. Gleichzeitig führt uns dieses Beispiel die latente Gefahr vor Augen, in der sich die E. immer befindet. Die Tatsache, daß wir das Mhd. so gut kennen, ermöglicht uns den Schluß e silentio, daß es kein mhd. **slü gegeben hat und es daher 34

unsinnig wäre, ein solches herstellen zu wollen. Wenn wir aber eine Sprache nicht so gut kennen - und gar das Idg., das ja überhaupt nicht belegt ist laufen wir immer Gefahr, im guten Glauben ein Morphem zu rekonstruieren, das wohl nie bestanden hat. So gesehen sind viele vermeintliche Rekonstrukte bloße Konstrukte. Es gibt ver¬ schiedene Möglichkeiten, diese Gefahr abzuschwächen (S. 290ff.) völlig umgehen läßt sie sich nicht. Umgekehrt kann natürlich manches, was wir als bloßes Konstrukt anzusehen geneigt sind, wirklich bestanden haben. Es gibt ja auch noch die (sehr schwache) Möglichkeit, daß es doch ein mhd. **slü gegeben hat, das sich vielleicht in einer noch unveröffentlichten Handschrift verbirgt oder das zufällig (!) nicht aufs Pergament gekommen ist. 5 Dem Falle Braut: bride können wir dann beikommen, wenn wir die Bedingungen studieren, unter denen ein zu erwartendes + broude durch bride vertreten wird, was wieder auf Grund von Vergleichen möglichst vieler analoger Fälle möglich ist. So ergibt sich unsere Kenntnis des Sprachwandels in den einzelnen Sprachen aus einer Vielzahl von Vergleichen einerseits mit älteren Sprachstufen, andererseits mit Etyma in anderen Sprachen und Dialekten, aus einem komplizierten Netz von Proportionen unter ständiger Beachtung von mitbestimmenden Faktoren, wie etwa die lautliche Umgebung eines Phonems (was die Kenntnis der Phonetik voraussetzt). Die heutigen sehr differenzierten Vorstellungen über die regelhaft auftretenden Verän¬ derungen in den idg. Sprachen, vor allem in der Lautlehre (historische Phonologie), geht auf die systematisch-beharrliche Vergleichsarbeit von etwa sechs Gelehrtengenerationen zurück. Den Grundstein des Ge¬ bäudes hat der gelegt, der das erstemal pater und Vater verglich. Denn von solchen evidenten Gleichungen ist man ausgegangen. So hat die E. die Erforschung der Sprachgeschichte eingeleitet. Sobald aber die sprachlichen Veränderungen als nicht chaotisch¬ willkürlich, sondern als regelmäßig erkannt waren, konnten, auf der Kenntnis des Phonemwandels aufbauend, weitere, weniger evidente E. gefunden werden: Die Feststellung, daß etwa im Suffix -sam (in selt¬ sam) dasselbe ehemals freie Morphem vorliegt wie im Grundwort von (Ge-)sicht, setzt schon ein ganzes Arsenal von sprachhistorischen Re¬ geln voraus. So sind Sprachgeschichte und E. äußerst eng miteinander verzahnt. Jede der beiden Disziplinen beruht auf der anderen. Die Anwendbarkeit der sprachgeschichtlichen Erkenntnisse auf E., aus de¬ nen sie nicht als Abstraktion gewonnen wurden, ist dabei das Indiz, daß wir uns nicht im Zirkel bewegen.

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6 Eine wichtige methodische Forderung ist dabei, daß jeder ein¬ zelne Schritt der e. Rekonstruktion durch formale und seman¬ tische Parallelen als auch sonst belegt abgesichert werden kann. Eine E., die zu ihrer Erstellung gezwungen ist, einen Sprach- oder Bedeutungswandel anzunehmen, der nur in diesem einen Fall festgestellt werden könnte (adZioc-Annahme), gilt i.a. als „unsolid“. Es ist möglich, daß sie in einzelnen Fällen, bei besonders gelagerten, ganz selten vor¬ kommenden lautlichen Kombinationen dennoch richtig ist, natürlich nur dann, wenn sie nicht durch vergleichbare Gegenbeispiele falsifiziert werden kann. Man wird sie in diesem Fall nicht als „unsolid“, sondern als „ungesichert“ ansehen. Dieser Fall tritt auch dann ein, wenn zwei anscheinend gleich überzeugende E. möglich sind. Solche E. dürfen nicht als hauptsächliche Grundlagen für weitere Schlüsse und Hypothesen verwendet werden.

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IV

Kurzer Überblick über die Geschichte der Etymologie bis zum Strukturalismus

1 Die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung der Wörter ist ein Urinstinkt des Menschen (curiosite etymologique). Das be¬ weisen die über die ganze Welt verbreiteten Mythen und Sagen von der Benennung der Dinge. Oft ist die aus der Namens-E. entwickelte Namensvergabe Gegenstand der Schöpfungsgeschichte (z. B. Mos. I, 1,5,8...). Vor allem die Herkunft der ON als ein Teil der historischen Überlieferung wird und wurde gerne in aitiologischen (erklärenden) Herkunftssagen ausgestaltet. Der ON Kematen (Oberösterreich), der auf mhd. (ze den) kemenaten ,bei den (gemauerten) Wohnräumen (mit Kaminen) = Burganlage1 zurückgeht, wird auf die Worte eines Generals im 30jährigen Krieg zurückgeführt, der, vom Feind bedrängt und auf die Entsatztruppen hoffend, „Wenn s(ie) nur schon kematen (dial. ,kämen1)“ gesagt haben soll. Vor allem an Burgnamen knüpfen sich gerne solche Sagenberichte. Die Erklärung des Namens Achalm (Bergkegel mit Burg¬ ruine bei Reutlingen) verdanken wir L. Uhland: „Ach Allm\“ stöhnt’ einst ein Ritter; ihn traf des Mörders Stoß! „Allmächtiger!“ wollt’ er rufen; man hieß davon das Schloß.

Auch Vor- und Familiennamen werden gerne etymologisiert, wenn auch meist unrichtig (z. B. Degenhart nicht ,der hart mit dem Degen ist1, sondern < ,Degen [= Held] + hart"). Kinder suchen nach e. Erklärungen. Ein 4jähriges Kind sagte: „Ich freu mich schon auf die Volksschule, weil da werd ich endlich folgen lernen.11 und „Gelt, der Montag heißt so, weil da der Mond scheint, aber am Dienstag scheint er ja auch...“ Am Dienstag, so meinte man früher, sei es empfehlenswert, Dienstboten einzustellen. Dort, wo der Dienstag aber Irtag (S. 255) hieß, stellte man lieber die Dienstboten nicht am Irtag ein, weil sie sich sonst leicht irren. Häufig sind Namens-E. in der Heldensage, z. B. in der air. und homer. Sage. In der Od. 19, 406 ff. erhält Odysseus seinen Namen nach öSuaactpevoi; [ody1samenos] .der Zürnende1. Auch in der gr. Tragödie sind E. nicht selten, und Aristophanes (Wolken 73ff.) setzt sie scherzhaft ein, wenn Strepsiädes, um der aristokratischen Neigung seiner Gattin entgegenzukommen, dem Sohn einen typischen auf -I7r7it5ri£iöovt§r|<; [p'eido'nides] (zu tpelSsaOcu [’p’eidest'ai] .sparen1) nimmt, so daß der Sohn end¬ lich ei5iTC7rv5r|(g [p'eidi'pide:s] .Sparrößler, Sparpferding1 heißt. Manglaubt(e) vielfach, daß die Bedeutung des Namens Einfluß auf das Wesen des Namens¬ trägers hat. Bekannt ist die ärgerliche Reaktion Goethes auf Herders Epigramm, in dem er Goethes Namen „etymologisierte“: „Der von Göttern du stammst, von Gothen oder vom Kothe..."" 37

Auch für den religiösen Kult ist die echte oder vermeintliche E. viel¬ fach wichtig geworden. Der Skarabäus verdankt seine Verehrung als Sonnen¬ symbol im alten Ägypten der lautlichen Übereinstimmung zwischen dem Wort für ,Käfer‘ und dem für ,aufgehende Sonneb Auch die volkstümliche christ¬ liche Heiligenverehrung orientierte sich an der E. Seinem Namen zulie¬ be gilt der hl. Augustinus als Patron der Augen\e\Aenden. Der hl. Blasius ist Patron der Windmüller und jener Musiker, die ^/Instrumente spielen. Beim Blasiussegen werden Halsleidende vom Geistlichen „eingeblaselt“, indem er sie anbläst. Natürlich wendet man sich auch bei 5/<35
2 Am ausführlichsten tritt uns zuerst die Frage der E. im platonischen Kratylos-Dialog entgegen. Kratylos verficht die Auffassung, die Sprache sei ein Naturerzeugnis, Hermogenes hingegen meint, sie beruhe nur auf Konvention. Die Argumentation verläuft etwa fol¬ gendermaßen: Wenn die Dinge einen von unserer Vorstellung unabhän¬ gigen Bestand haben, dann muß auch das Benennen der Dinge eine an der natürlichen Beschaffenheit der Dinge zu messende Richtigkeit oder Unrichtigkeit haben. Da die Sprache ein Werkzeug ist, mit dem man bezeichnet, und dem Brauch (nömos) angehört, muß sie von einem Gesetzgeber herstammen, der, ebenso wie der Schöpfer anderer Werk¬ zeuge, der Sachkunde bedarf. Den Dialektikern obliegt es, mit ihrer Kunst die Leistung des Sprachschöpfers zu begutachten. Sokrates zer¬ legt also gr. Wörter und erwägt kritisch, ob sich der Nachweis erbringen läßt, daß bei ihrer Bildung die Kenntnis des Wesens des zu Benennenden maßgebend war. Es folgen E. von Heroen-Namen der gr. Sage. Sokrates übt Kritik am willkürlichen Verfahren der E., daß nämlich da Buch¬ staben eingesetzt, dort hinausgeworfen würden, daß man beliebig den Akzent versetze... Immerhin gelangt man durch dieses Verfahren zu kleinsten Worteinheiten, die sich nicht mehr unterteilen lassen, den „PrimWörtern“. Besteht zwischen Wort und Ding ein Wesens¬ zusammenhang, so muß das natürlich auch für die Primwörter gelten. Sokrates fragt also, ob es nicht die Nachahmung ist, die diese Wesensbe¬ ziehung ausmache, dann müßten die Buchstaben eine natürliche Be¬ deutung haben. Das Rhö (p) z.B. müßte die Bewegung ausdrücken in petv [r'e:n] ,strömen1, poij [r'o'e:] ,Strom4, tpöpo<; ['tromos] ,LauP, tpexeiv ['trek'em],laufen1...; cp, vp, a, £, bezeichnen dann alles Sausende, Schwebende, Schwellende, i das Feine und Durchdringende, k das Glat¬ te und Gleitende. Für einen Sonderbereich des Wortschatzes ist dieser lautsymbolische Ansatz übrigens heute noch vertretbar und seine Rich¬ tigkeit statistisch erwiesen (S. 195). Da es möglich ist. Unwahres zu sagen und Dinge falsch zu benennen, muß es auch gute und schlechte Sprachschöpfung geben. Kratylos muß 38

konzedieren, daß die Möglichkeit, mit Wörtern etwas zu bezeichnen, nicht nur Sache der Ähnlichkeit zwischen Bild und Abgebildetem ist, sondern auch Sache der Konvention, denn in vielen Fällen ist die ge¬ suchte Ähnlichkeit gar zu dürftig - vor allem, wenn man bedenkt, daß es verschiedene Dialekte und Sprachen gibt. Nun kommt der ent¬ scheidende Satz, der für die e. Bemühungen der nächsten zwei Jahrtau¬ sende von größtem Gewicht sein sollte. Sokrates sagt: „Vielleicht meinst du das wohl so, Kratylos, daß, wenn einer ein Wort recht versteht, wie es eigentlich ist, und es ist eben wie das Ding, er dann auch das Ding verstehen wird, da es ja dem Worte ähnlich ist und doch ein und dieselbe Kunst für alles gilt, was einander ähnlich ist?“ Dieser Ansatz spiegelt sich im Namen der E. selbst, denn gxupot; ['etymos] heißt ,wahr, wirk¬ lich4, die eTupokoyla [etymolo'gia] ist also die ,Lehre vom Wahren, Wirklichen4. Sokrates gelingt es leicht, durch Gegenbeispiele den Ansatz, p drücke Bewegung aus, ad absurdum zu führen. Es wäre allerdings auch möglich, daß der Erstbenenner der Dinge sich geirrt hat. Da das System folgerich¬ tig auf diesem Irrtum weiterbaut, ermöglicht es dennoch die Verstän¬ digung. Wie hätten die Erstbenenner etwas erkennen können, wenn sie nicht Worte hatten, mit deren Hilfe sie das Wesen der Dinge erkennen konnten, wenn sie also auch nicht etymologisieren konnten? Es ist zwar möglich, die Dinge durch die Wörter kennenzulernen, weil die Wörter die Nachahmungen der Dinge sein können, aber es ist sicherer, die Dinge selbst zu betrachten als ihre Abbilder. Das Ergebnis der Untersuchung ist dann: Die Sprache beruht auf Konvention und Brauch (nömos). Die sprachbildende Konvention ist aber nicht Sache purer Willkür, sondern es gibt richtige und unrichtige Sprachschöpfung. Diese Gedanken wirken bis in die Gegenwart nach. Einer der Begrün¬ der der neueren Sprachwissenschaft, Ferdinand de Saussure, ist durch sie wesentlich bestimmt. Es ist im „Kratylos44 auch davon die Rede, daß bei Homer Götter und Menschen verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache verwenden. So heißt etwa der Fluß bei Troja in der Menschensprache Skamändros, aber in der Göttersprache Xänthos. Sokrates traut sich nicht zu, die größere Richtigkeit der göttersprachlichen Benennung zu behaupten, und an einer späteren Stelle, wo vom Erstbenenner die Rede ist, heißt es: „... wir wollen nicht nach Art der schlechten Tragödiendichter, die, wenn sie nicht weiterwissen, plötzlich eine Gottheit eingreifen lassen, die Ent¬ stehung der Wörter auf eine von den Göttern erfundene Ursprache zurückführen...44 Dieser Satz, aus dem der sophistische Ra¬ tionalismus der attischen Aufklärung spricht, steht in schärf39

stem Gegensatz zur mittelalterlichen Auffassung von der E. Denn solange die Glaubenswahrheiten als verbindlich gelten und in einer „Buchreligion“ wie dem Christentum die Wörter der Schrift direkt oder indirekt von Gott stammen, muß ihre E. wirklich in engstem Zusammenhang mit dem Wesen der Dinge stehen; die göttliche Autorität bürgt dafür. Deshalb konnte die E. dem ganzen Mittelalter ein mögliches Instrument der Theologie sein. 3 Zunächst lebten die beiden Anschauungen, die vom Natur-((püosi['p'ysei])Charakter der Wörter, vertreten von den Anomalisten, und die vom Konventions-(vö|iü)-['nomo:i] oder Oecmi-f't'esei]) Charakter, verfochten von den Analogisten, nebeneinander her. Die Sophisten betonten die Beliebigkeit des Wortzeichens und dessen konventionellen Gebrauch, die Stoiker hingegen betonten weiterhin die Möglichkeit der Wesenserkenntnis durch E., etwa im Sinne der Meinung des Kratylos. Vertreter dieser stoischen Richtung ist vor allem Chrysippos (281/77-208/04), von dem der Titel eines einschlägigen Werkes, „Etymologikä“, bekannt ist. Der sophistischen Auffassung ist die gr. Homer-Philologie verpflichtet. Das Etymo¬ logisieren bestand darin, daß man archaische, dichtersprachliche Wörter wieder verständlich machte. Daraus erwuchs eine reiche e. Literatur, die in vielen Kombinationen auch noch in byzantinischer Zeit fortlebte: „Etymologicum genuinum“ (Ende 9. Jh.), „Etymologicum Gudianum" (10./11. Jh.), „Etymologi¬ cum magnum“ (1. Hälfte 12. Jh.). Das letztgenannte Werk wurde von den Humanisten viel verwendet.

4 In Rom verfaßte M. Terentius Varro (116-27 v. Chr.) das für die Kenntnis des Alat. und der hellenistischen Sprachtheorien wichtige Werk „De lingua LatinaGleichfalls in augusteischer Zeit legte Verrius Flaccus das umfangreiche Glossar „De verborum significatu“ an, das dann Sextus Pompeius Festus (2. Jh.) in 20 Bücher umarbeitete. Erhal¬ ten ist davon nur ein Auszug, den Paulus Diaconus im 8. Jh. anfertigte. Das Werk des Flaccus und die erste Hälfte der Umarbeitung durch Festus sind jedoch verloren. In diesen Arbeiten finden sich schon eine Reihe richtiger Erklärungen alter Wörter, wie die Herleitung von extemplo ,sofort' von templum, dem Beobachtungsplatz des Auguren, oder die Verbindung von germänus .Bruder' mit germen, -inis .Sprößling, Geschlecht'. 5 Diese e. Tradition lebte durch das Mittelalter weiter und floß mit einer dem stoischen Anomalismus verbundenen e.-theologischen Tradi¬ tion zusammen. Das wichtigste Bindeglied ist das Werk des Bischofs Isidor v. Sevilla (ca. 570-636). Seine „Etymologiae“ bilden eine der 40

wichtigsten wissenschaftlichen Fundgruben für das ganze Mittelalter. Der Verfasser nennt das gewaltige Werk bescheiden „opus de origine quarundam rerum“ und zeigt schon dadurch, wie sehr er Wort und Ding in anomalistischer Tradition gleichsetzt. Die 20 Bücher Origines (wie die Etvmologiae auch heißen) setzen es sich zum Ziel, die Summe des menschlichen Wissens in Worterklärungen darzustellen. Den Beginn bilden die Septem artes liberales (Grammatik, Dialektik, Rhetorik; Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik), dann folgen die Gegenstände der nach antiker und mittelalterlicher Auffassung mechanischen Künste: Medizin, Recht, Zeiteinteilung, Völker, Sprachen, Reiche, Staatswesen, Mensch, Tier, Welt, Erde und Länder, Inseln, Berge, Städte, Gebäude, Steine, Metalle, Landund Gartenwirtschaft, Krieg, Spiele, Schiffe, Baukunst, Speisen, Getränke, häusliche und landwirtschaftliche Geräte. Beispiele für isidorische E. sind: vates: vates a vi mentis appellatos. Varro auctor est. caelum'. caelum quod celat nos secreta. Galli: Galli a candore corporis nuncupati sunt, yäXa enim Grciece lac dicitur.

Oft besteht die etymologia nur aus einer interpretatio: Jerusalem enim visio pacis interpretatur. basiliscus: ßucnkioxot; Grciece Latine interpretatur regulus.

Zu unserer heutigen wissenschaftlichen E. besteht u.a. in zwei Punkten ein wichtiger Gegensatz: (1) Wir suchen heute auch die ursprüng¬ liche Form eines Morphems (mittels Rekonstruktion) festzustellen, nicht nur die ursprüngliche Bedeutung. (2) Die mittelalterliche E. ar¬ beitet auch e contrario (= per antiphrasim), wenn sie die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes festzustellen sucht, indem sie die Negation des Gegen-Begriffs als Motivation zuläßt: lucus: lucus a non lucendo. bellum: bellum a bono (!). Parcae: Parcae quod minime parcant. mane: a maneo per antiphrasim eo quod ipsa diei hora non meinet.

Der Satz Ciceros „etymologia vero est aut vera aut verisimilis demonstra¬ tio., declarans ex qua origine verba descendant“ mußte natürlich im Mittelalter, als man allen Dingen einen mehrfachen Schriftsinn unterleg¬ te, zu einer unerhörten Beliebtheit der E. führen, wenn man nur imstan¬ de war, mit Hilfe von schon bei Augustinus aufgezählten Gesichtspunk¬ ten (Tropen) zwei Wörter dem Klang nach zusammenzubringen. Diese Tropen gehören in die Wortbildungslehre bzw. sind rein semanti¬ scher Art. Manche davon sind heute noch als Typen der Bedeutungs¬ veränderung anerkannt. Solche Tropen sind z.B.: translatio similitudinis: ein Fisch lupus heißt so nach dem Wolf (,lupus), weil er ähnlich gefräßig ist. 41

per efficientiam: homo stammt von humus, weil er aus Erde gemacht

wurde. per effectum: reges a regendo. per id quod continetur: horreum ,Scheune1 von hordeum ,Gerste1. ci toto pars: dicitur capillus quasi capitis pilus. Einen Höhepunkt erlebten diese E. bei Hrabanus Maurus (784-856), z. B. in dem Buch „De natura rerum (de universo)1"". „carcer heißt das, aus dem herauszuge¬ hen wir verhindert sind, carcer heißt er von coercere. Entsprechend der Allegoria heißt carcer die Anfechtungen des gegenwärtigen Lebens, in denen die Auser¬ wählten für jene Zeit geprüft werden, von der der Prophet sagt: Führe meine Seele aus dem Kerker und deinem Namen sage ich Dank (Ps. 141). Manchmal meint carcer aber auch das Gefängnis der Hölle, wie im Evangelium (Matth. V, 25): damit der Richter dich nicht dem Büttel übergebe und du in den Kerker gelegt werdest...“ Manche Wörter, die in der Antike heidnisch erklärt wurden, mußten natürlich in christlicher Zeit uminterpretiert werden (im 12. Jh. bei Hugo v. St. Victor u.a.); z. B. mors wurde in der Antike von Mars abgeleitet, jetzt aber von morsum ,Bissen', weil der Biß Evas in den Apfel den Tod in die Welt gebracht habe. So werden auch mythologische Personen und Gegenstände, ja ganze Mythen uminterpretiert: Theseus = theos suus [— Christus], labyrinthus wird als labor intus, weil man hineingleitet (labi,gleiten') oder weil man darin viel Mühe {labor) hat, verstanden und wird zum Abbild sündiger Weltverstrickung. Nicht alle mittelalterlichen Etymologien sind so theologisch gedacht. Hugo von Trimberg (Renner 1961, I ff.) führt die lautliche Ähnlichkeit von lat. genu .Knie' und genae .Wange' auf die Embryonalhaltung zurück.

Gegen Ende des Mittelalters werden die E. immer kühner. Jede der Empirie nahestehende Fragestellung, wie etwa die des „Kratylos“, wie es denn zu andersartigen Benennungen derselben Dinge in anderen Sprachen komme, oder auch nur die Frage der Wortbildung bleibt außerhalb des Gesichtskreises. Thomas Cisterciensis etymologisiert (1173-1189), wie es heute bei Buchstabenwörtern (Akronymien; S.23,191) angebracht wäre, z.B.flos =f(undens) l(ate) o(dorem)s(uum) oder: f(ructus) l(ibans) o(pera) s(equentis) oder: f(aciens) l(aetum) o(dorem) s(uavitatis). Wie selbstverständlich dieses Verfahren war, zeigt der afrz. Roman de Fauvel, dessen Held (ein allegorisches Wunder¬ tier) ein Akronym trägt, das aus f(latterie) .Schmeichelei' - a(varice) ,Geiz‘ - v(ilenie) .Gemeinheit' - v(ariete) .Unbeständigkeit' - e(nvie) .Neid' l(ächete) .Feigheit' besteht. Heinrich Vrouwenlop erklärt mhd. wip ,Frau' aus w(iinne) - i(rdisch) - p(aradis). Auch Palindrome bekommen einen geheimnisvollen Sinn und werden e. interpretiert: z.B. A-M-O-R : R-O-M-A (mit weitreichenden Deutungen).

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6 In der Humanistenzeit griff man wieder auf die streng philolo¬ gische, analogistische Richtung der antiken E. zurück. Danach zerfiel die ars grammatica in vier Teile: orthographia (Lehre von den litterae ,Buchstaben\ die noch bis J. Grimm [S. 47f.] nicht systematisch von den Lauten geschieden werden), prosodia (Lehre von Silben, Quan¬ titäten, Akzent), etymologia (Lehre von den Wörtern), syntaxis (Lehre von der oratio). Die etymologia beschäftigt sich mit den acht partes orationis: nomen, pronomen, verbum, participium, adverbium, praepositio, coniunctio, interiectio. Das Adj. wurde in der flektierten Form beim Nomen mitbehandelt, in der unflektierten Form (wie auch heute in manchen generativen Grammatiken) als ein Adv. angesehen. Bei der e. Analyse kommt es auf die accidentia an. Diese sind z.B. beim Nomen: comparatio, genus, numerus, figura, casus, declinatio, species. Bei der figura unterschied man, ob das Nomen ein Simplex oder zusammengesetzt sei, bei der species, ob es ein nomen primitivum oder ein nomen derivatum sei. In ähnlicher Weise wurde auch beim Verbum unterschieden. Die Vierteilung der Grammatik hält sich bis J. Chr. Gottsched (1700-1766).

7 In der Frage der figura vermag auch der „ungebildete gemeine Mann“ zwischen Simplex und Compositum zu unterscheiden; anders in der Frage der species. Wie man hier vorging, erhellt das Werk von Joh. Clauberg (1622-1665) „Ars etymologica Teutonum e Pliilosophiae fontibus derivata“ (1663), das schon deshalb interessant ist, weil die Gelehr¬ ten des 17. und 18. Jh.s an dem Büchlein die Sicherheit der Methode, mit der sein Verfasser etymologisierte, rühmten. Clauberg leitete suchen von sehen ab, fluchen von flehen und zechen von ziehen. Er beobachtete das Vorgesetzte s in spreiten : breiten (S. 128, § 13; 137), das er auch in anderen Wortpaaren wie sprechen : brechen, stumm : dumm wiederfinden wollte. Er bemühte sich dabei, den Lautveränderungen einen bestimmten Sinn zu unterlegen (dies ist ein anomalistischer Zug): u in suchen und fluchen soll das Dunkle bezeichnen (S. 224f.), x soll non raro vehementiae causa stehen. Auf diese Weise näherte sich Clauberg den Primitivwörtern, die, wie Platons Primwörter, als nicht mehr zerlegbar galten. Eine lat. Wz. kann entweder eine radix primitiva sein oder selbst aus einer anderen Sprache stammen und dann, wie lat. pater, das man aus griech. Trairip herleitete, selbst wieder die Matrix (,Gebärmutter1) anderer Wörter bilden, z.B. des nomen derivatum paternus.

Wenn es möglich ist, ein Wort aus einer anderen Sprache herzuleiten, dann ist die zeitliche Priorität des Wortes in der Gebersprache selbstver¬ ständlich und für den Etymologen problemlos. Was aber, wenn es sich um Primitivwurzeln der eigenen Sprache handelt? Da war doch zu fragen, was den Primitivwurzeln vorausgegangen sein mochte. Auch dieser Gedanke ist vom Prinzip her heute noch aktuell. Damals aller43

dings landete Ph. von Zesen (1619-1689) bei einer mystisch-symboli¬ schen Lehre, die die ganze Sprache auf vier den Elementen zugeordnete Vokale und vier Konsonanten zurückführte (a, e, u, o; b, d, /, 5). 8 Auf der Suche nach der Sprache Adams (lingua Adamica) war man natürlich früh auf das Hebr. gestoßen. Das für die sem. Spra¬ chen so charakteristische System der Wz.-Radikale mit ihren verschiede¬ nen Vokalisierungsmöglichkeiten wurde demgemäß zum Vorbild ver¬ schiedener Wz.-Theorien. Eine solche bildete z. B. der Pfarrer Fr. K. Fulda (1724-1788) in seinem Werk „Sammlung und Abstammung ger¬ manischer Wurzel-Wörter, nach der Reihe menschlicher Begriffe“ (1776) aus. Bei ihm besteht der Urkern der Wörter aus dem Wz.-Vokal und, soweit vorhanden, dem davorstehenden Konsonanten, der Regent heißt. Der Wz.-Vokal selbst ist von unbestimmter Qualität. So bilden z. B. i (von ich) und du (= du) Wörter erster Ordnung, sog. Ur-Wz.n, die im Ad. häufiger gewesen seien, wie die F1N auf -a (das Fulda richtig als ,Wasser1 versteht) zeigen. Wörter zweiter Ordnung oder „nackte“ Wz.-Wörter entstehen, wenn die Ur-Wz. durch einen an den Wz.-Vokal antretenden Konsonanten, den sog. Minister, erweitert werden. Bei¬ spiele für solche „nackte Wz.-Wörter“ wären etwa ich und lob. Durch Anfügen eines Konsonanten vor dem Regenten oder hinter dem Mini¬ ster entstehen Wörter dritter Ordnung. Der vor den Regenten tretende Konsonant wandelt z.B. das nackte Wz.-Wort luz zum „angekleideten Wz.-Wort“ Bliz, der hinter den Minister tretende Konsonant das nackte Wz.-Wort lus zum angekleideten Lust. Treten an die Wz.-Wörter dritter Ordnung noch unbetonte Silben, so ergeben sich Wörter vierter Ord¬ nung. Am Beginn der Sprache stehen die bloßen Vokale; wenn die ersten Regenten und Minister auftreten, so ist die Sprache ins „Knabenalter" gekommen. Jede weitere Konsonantenzunahme bedeutet dann eine wei¬ tere Verfeinerung. Fulda hat auch Beobachtungen über das Verhältnis des Hd. zum Nd. gemacht: „Der HochTeutsche zeichnet sich vornemlich vom NiederTeutschen darinn aus, daß er immer sein ganzes Maul voll haben; fast iedem Wort besondere Kraft und Nachdruk geben; und allenthalben zischen und rasseln mus. Er entstaltet die Einfalt und natürliche Regelmäßigkeit der Teutschen Sprache, nach dem allge¬ meinen Schiksal der Sprachenverbesserung, indem er sie poliren will.“ Diese Zeilen finden sich in Fuldas Abhandlung „Über die beiden Hauptdialekte der Teutschen Sprache: Eine Preisschrift welche von der königlichen Societät der Wissenschaften zu Göttingen. den 9len November 1771 ist gekrönet worden“, einem Werk, das in so hohem Ansehen stand, daß es Joh. Chr. Adelung (1734-1806) seinem „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wör¬ terbuches der hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der ober44

deutschen, Leipzig 1774“ beilegte. In der ersten Auflage übernahm Adelung noch eine große Anzahl Fuldascher E., von denen sich Adelung allmählich immer mehr distanzierte. In der Ausgabe von 1811 heißt es dann: „Ich sage nichts von der Etymologie, so fern sie sich mit der entferntem Ableitung und Verwandtschaft der Wörter beschäftiget; denn ob ich gleich jetzt nicht mehr den hohen Begriff von derselben und ihrem Nutzen habe, von welchem ich bey der ersten Bearbeitung eingenommen war, so habe ich doch ... nichts davon weglas¬ sen mögen, weil doch viele Leser immer noch Geschmack an dergleichen Unter¬ suchungen finden.“

9 Auch die sprachpuristischen Ideale des philanthropischen Pä¬ dagogen Joachim H. Campe (1746-1818) bedienten sich e. Verfahren, wenn durch „innere Entlehnungen“ (S. 237ff.) Fremdlinge im dt. Wortschatz ausgemerzt werden sollten. In seinem „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. 1801-1804“ finden sich Erklärungen, wie z. B. diese (zu Kleinod für frz. bijou > dt. Bijou): „Dieses deutsche Wort ist aus Klein und dem veralteten Od ,das Gut‘ zusammengesetzt.“ 10 Ein Umschwung, der allerdings der E. mehr als ein Jahrhundert vorrangiges Interesse sichern sollte, trat mit der methodischen Konsoli¬ dierung der vergleichende Sprachwissenschaft ein. Deren Anfänge gehen auf humanistische Tastversuche zurück, die zunächst auf die lingua Adamica zielten. Hieher gehört der „Mithridates“ („Über den Unter¬ schied der Sprachen“) von 1555 des Conrad Gesner (1516-1565). In dieser Zusammenstellung von Sprachproben (von Äthiopisch bis Rotw. [S. 264f.]) wird zwar die Meinung verfochten, daß bis auf das Hebr. alle Sprachen vermischt und verderbt seien, aber erstmals wird auch die Zusammengehörigkeit der roman. und germ. Sprachen erkannt. Hieronymus Megis(s)er (1553-1618) gab 1603 in seinem „Thesaurus polyglottus“ bereits Wörter aus 400 Sprachen und Dialekten an und entwarf schon eine recht gute Gliederung des Germ. Eine weitere Zu¬ sammenstellung dieser Art stammt von Joseph Justus Scaliger (1540-1609), der die Sprachen nach dem Wort für ,Gott" in Deus-, Theos-, Godt- und 5ogc-Sprachen einteilte. Die Godt-Sprache ist die dt. (= germ.), in der er nach dem Kriterium der 2. Lautverschiebung (2. LV) Water- und Wasser-Sprachen unterschied (S. 63, 103ff.). Das Got. erkannte Scaliger zwar als eine Godt-Sprache, stellte es dann aber doch mit dem Lappischen, Ung., Ir. und Baskischen in eine uneinheitli¬ che Splittergruppe. Es galt ihm (1605) noch als lebende Sprache. 11

1710 verfaßte G.W. Leibniz (1646-1716) das Werkchen „Brevis

designatio meditationum de originibus gentium, ductis potissimum ex 45

indicio linguarum“, das in unserem Zusammenhang aus mehreren Grün¬ den interessant ist. Einerseits bedient sich Leibniz als erster des Sprachvergleichs und damit der E. als Indiz für die Rekon¬ struktion großer Wanderbewegungen der Völker in einer Zeit vor jeder historischen Quelle. Er begründet damit die Forschungs¬ richtung der „linguistischen Paläontologie“ (S. 290ff.). An¬ dererseits findet sich hier das erstemal die Annahme einer Urspra¬ che, die aus gleich- oder ähnlichlautenden Wörtern (wie Khan, König, king, können oder chinesisch ma ,Pferd\ kelt. +ma [richtig: *markä\ ,Pferd1, dt. Mähre, Marschall [< marescalcus .Pferdeknecht1]) abgeleitet wurde. Im Anschluß an die Bibel nimmt Leibniz zwar an, daß die Völker Kolonien eines Urvolkes seien, aber die Dominanz des Hebr. als lingua Adamica besteht nicht mehr. Nach Gen. 9, 18 ff. teilt Leibniz die Spra¬ chen der Welt in einen semitischen, hamitischen und japhetitischen Zweig, wobei die semitische und hamitische Gruppe in eine aramäische Gruppe zusammengefaßt werden. Das, was den japhetitischen Nord¬ sprachen gemeinsam schien, nannte Leibniz im Anschluß an die frühe antike Ethnographie kelto-skythisch. Aus dieser westwärts wandernden Gruppe entstanden die nachmaligen europäischen Völker, z.B. die auf den Balkan ziehenden Skythen wurden unter ägyptischem und phönizischem Einfluß zu Griechen usw. Die anomalistische Konzeption der Lautbedeutsamkeit interpretierte Leibniz lautphysiologisch¬ psychologisch, wenn er schreibt: „...wir empfinden sicher bei der Aussprache des K [in König, können, Khan...] eine starke Anspannung der Kraft, wenn nämlich der Luftstrom mit Druck herausgepreßt wird...“. Was den Sprachvergleich betrifft, so erkannte Leibniz bereits, daß es e. verwandte Wörter gibt, die dennoch nicht in einem einzigen Laut übereinstimmen (wie frz. cou .Hals1 : dt. Hals). Damit entfernte sich der Sprachvergleich zum ersten Mal von der bloßen Zusammenstellung auffallender, aber oft auch trügerischer semantischer Übereinstimmungen (lat. habere : dt. haben). 12 Als erster scheint Sir William Jones (1746-1794), seit 1783 Judge at the High Court in Kalkutta, die Beobachtung der genetischen Verwandtschaft speziell des Aind. mit den europäischen Sprachen gemacht zu haben. Die Annahme der sprachlichen Urver¬ wandtschaft lag also schon in der Luft, als zu Beginn des 19. Jh.s neue Impulse die Entstehung der Indogermanistik einleiteten. Der eine ging von Fr. Schlegels Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1805) aus. Sie trägt den vielsagenden Untertitel „Ein Beitrag zur Be¬ gründung der Altertumskunde“ und richtete nun endgültig das Augen¬ merk auf Indien, gleichsam als Wiege der Menschheit, dessen 46

Schrift- und Kunstsprache, das Sanskrit (S. 54), weitgehend mit der Ursprache der europäischen Völker gleichgesetzt wurde. Für die Sprachwissenschaft im engeren Sinn lieferte der Niederländer Lambert ten Kate (1674-1731) schon 1710 in dem Werk „Gemeenschap tussen de gottische spraeke en de nederduytsche“ durch für seine Zeit sehr exakte e. und phon. Untersuchungen Anstöße, die ihn zum Vorläufer des Dänen Rasmus Chr. Rask (1787-1832) und J. Grimms werden ließen. Rask stellte als erster in seiner 1814 von der dänischen Akademie gekrönten Preisschrift (gedruckt 1818) „Undersögelse om det gamle Nordiske eher Islandske Sprogs Oprindelse“ die Regelmäßigkeiten von Buchstabenentsprechungen zwischen antiken und germ. Spra¬ chen fest, insbesondere die germ. Lautverschiebung (1. LV) wurde in den Umrissen schon richtig erkannt. Allerdings ging Rask von der Annahme aus, daß das Gr. die Grundlage des Germ. sei. 13 Etwa zur gleichen Zeit hatte Fr. Schlegels Freund Franz Bopp (1791-1867) in seinem Werk „Über das Conjugationssystem der Sans¬ kritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ (1816) die nach üblicher Auffas¬ sung erste indogermanistische Arbeit im engeren Sinn ge¬ schrieben. Es ist hier kein Anlaß, auf seine Deutung der Konjugation, nach welcher das Verbum gleichsam ein eigener Satz in nuce ist, einzuge¬ hen - übrigens ist nicht alles überholt (S. 22, § 5); was Bopps Arbeit so bedeutsam machte, ist der von ihm zum ersten Mal in großem Stil durchgeführte Vergleich, der von nun an zur unveräußerlichen Methode der Indogermanistik wurde. 14 Freilich, die historische Komponente tritt erst in der Deutschen Grammatik von Jacob Grimm (1785-1863) hervor. In der 1822 entstan¬ denen 2. Auflage befaßte Grimm sich erstmals auch mit der „Lehre von den Buchstaben“ (= Lautlehre) und formulierte das als „germanische (oder: erste) Lautverschiebung“ bekannte Gesetz (S. 98f.), das in der nicht-deutschsprachigen Literatur unter seinem Namen bekannt ist. Wie weit hier Grimm auf den Schultern Rasks steht, bzw. wie weit es sich um eine unabhängig gemachte Entdeckung handelt, ist nicht in allen Punkten klar und hier von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist die vergleichende Methode mit dem historischen Aspekt, die die Möglichkeit solider e. Arbeit eröffnete. Das enge Wechselverhältnis, das zwischen E. und Sprachgeschichte besteht (S. 35, 295), zeigt sich in dieser ersten Phase der vergleichenden Sprachwissenschaft auf einem weithin unbestellten Feld, das hier voll Entdeckerfreude zum ersten Mal unter den Pflug genommen wird, am fruchtbarsten. Aller47

dings haftete der Grimmschen Formulierung der 1. LV noch ein ent¬ scheidender Fehler an, indem sie nämlich im „TAM-Ring“ Aspiraten (Mediae aspiratae; S. 70, § 4) und Spiranten (Frikative; S. 98, § 34) zusammenwirft einer Erklärung zuliebe, die man als „strukturalistisch" ansehen könnte, und es blieb eine Reihe von Ausnahmen bestehen, die in den folgenden Jahrzehnten immer mehr als scheinbare Ausnahmen erkannt wurden, da sich zeigte, daß auch sie von sprachlichen Gesetz¬ mäßigkeiten gesteuert werden: die „Primärberührung“ (S. 74, § 8), das „Grassmannsche Gesetz“ (S. 76, § 11.4), das „Bartholomaesche Gesetz“ (S. 76f„ § 11.5) und das „Vernersche Gesetz“ (VG), das 1876 den „grammatischen Wechsel“ erklärte. Auch die Umlaute finden sich in der „Deutschen Grammatik“ schon weitgehend richtig erklärt (sie heißen z.T. auch „Brechungen“). Die Konzeption des „Rück-Umlautes“ (S. 109) war allerdings irrig. Zwar hielt Grimm das Germ, letztlich für einen Nachkommen des Ind., aber dennoch bewunderte er die Kraft und Urtümlichkeit der „deutschen“ Sprache und vertrat im übrigen ein „demokratisches Prin¬ zip der Wörter“, das sich auch in der totalen Kleinschreibung sinnfällig ausdrückt. 15 Im Jahr 1823 wurde auch das Wort „indogermanisch“ als .Gesamt¬ heit aller verwandter Sprachen von der südlichsten bis zur nördlichsten' geprägt. Es erscheint zuerst in dem Werk „Asia polyglotte des Welt¬ reisenden und Orientalisten Jul. H. Klaproth (1783-1835), der auf Leibnizens Spuren mit diesem Werk die Verwandtschaft aller asiatischen Sprachen an Hand von Wortgleichungen nachweisen wollte. Der dane¬ ben kursierende Terminus „indoeuropäisch“ (s. S. 21) ist sachlich des¬ halb nicht gerechtfertigt, da keineswegs alle Sprachen Europas idg. sind. Grimm verwendete „deutsch“ an Stelle von Germ. Er schreibt darüber in der „Deutschen Grammatik“ (1819): „Ich bediene mich, wie jeder sieht, des ausdrucks deutsch allgemein, so daß er auch die nordischen sprachen einbegreift. Viele würden das wort germanisch vorgezogen und unter seine allgemeinheit das deutsche und das nordische als das besondere gestellt haben. Da indessen nordische gelehrte förmliche einwände dawider thun, daß ihr volksstamm ein germanischer sey, so soll ihnen die theilnahme an diesem seit der römerzeit ehrenvollen namen so wenig aufgedrungen sein, als der von ihnen vorgeschlage¬ ne allgemeine .gothisch' gebilligt werden kann...“

16 In dieser Phase des Aufblühens der historischen Sprachwis¬ senschaft läßt sich auch sehr deutlich die immer weiter um sich greifende Übertragung der vergleichenden Methode auch auf nicht¬ germanische Sprachen beobachten: 1833 1852 Bopps „Vergleichende 48

Grammatik I-III“, 1836-1842 Diez’ „Grammatik der romanischen Sprachen I III“, 1853 Zeuss’ „Grammatica Celtica“, 1852-1875 Miklosichs „Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen I-IV“. Einen Abschluß erhielt diese Phase durch A. Schleichers „Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen“ (1861). Für A. Schleicher sind die Sprachen Naturorganismen, und das Leben der Sprache unterscheidet sich „durchaus nicht wesentlich von dem aller anderen lebenden Organismen, der Pflanzen und Thiere. Es hat wie diese eine Periode des Wachstums und eine Periode des Alterns..Die Sprachentfaltung ist immer in prähistorischer Zeit, daher nicht zu beobachten, der Sprachverfall hingegen kann beobachtet werden, denn er geht mit der äußeren Geschichte Hand in Hand. „Je reicher und gewaltiger die Geschichte, desto rascher der Sprachver¬ fall.“ Schleicher verweist auf das Engl., dessen Verfall schon sehr weit fortge¬ schritten sei. Den Grund für die sprachlichen Veränderungen sieht Schleicher in der Trägheit; die Trägheit der Sprechorgane erkläre die Tatsachen der Lautge¬ schichte.

Das Verhältnis der Einzelsprachen zueinander dachte sich Schleicher unter dem vitalistischen Bild des Stammbaums (s. S. 64f.). Dabei bildet das Germ, mit dem Balt. und Slaw. einen Zweig, einen zweiten die kelt. und ital. Sprachen, einen dritten das Indo-iran. (= Ar.), das Gr. steht dazwischen. Diese Konzeption, die auf der Annahme beruht, daß größere Ähnlichkeit auch genetische Nähe bedeutet, ist heute weitge¬ hend modifiziert bzw. überhaupt aufgegeben (s. S. 64f.). Mit Schleichers Compendium war die Forschung zu einem vorläufigen Abschluß ge¬ kommen: die Triebfedern des Sprachwandels schienen aufgehellt, die Verwandtschaftsverhältnisse durch das Stammbaumschema geklärt, und die Tatsachen des Lautwandels schienen so weit gesichert, daß Schleicher es wagen konnte, eine kleine Fabel ins Idg. zu übersetzen (s. Anhang 1). 17 In den 70er Jahren des vorigen Jh.s trat unter den Leipziger Schü¬ lern Fr. Zarnckes und A. Leskiens jedoch eine neue Gruppe auf, die unter dem Namen „Junggrammatiker“ bekannt wurde. Die wich¬ tigsten, dem Etymologen immer wieder begegnenden Namen sind: K. Brugmann, B. Delbrück, H. Osthoff, K. Verner, A. Bezzenberger, H. Collitz, H. Paul, W. Braune, E. Sievers, O. Behaghel und F. de Saussure (in seiner ersten Phase). Neben vielen Einzelerkenntnissen, unter denen die des Vernerschen Gesetzes (VG, 1876) und die, daß das Ai. nicht so altertümlich ist. wie man angenommen hatte (Osthoff, Brugmann), die folgenschwersten waren, ist dieser Abschnitt der historischen Linguistik in erster Linie 49

durch den strengen, dem des Naturgesetzes nahestehenden Begriff des „Lautgesetzes“ geprägt. „Es stellt sich immer deutlicher heraus, daß die Lautgesetze der Sprachen geradezu blind, mit blinder Naturnot¬ wendigkeit wirken, daß es Ausnahmen von ihnen oder Verschonungen durch dieselben schlechterdings nicht gibt“ (Osthoff). 18 Um dies aufrechterhalten zu können, mußte neben dem (quasi¬ naturgesetzlichen) Lautgesetz ein weiteres Prinzip, das Freiheit läßt, eingeführt werden, nämlich das der „Analogie“: „Wenn eine Form a über eine Form b siegt und sie verdrängt, so haben a und b ein Element v: gemeinsam, das sie von ähnlichen und zunächst verwandten Formen unterscheidet (also: a = x + a, 6 = x+ß -* b = a), die tatsächliche Über¬ macht von a und die Verdrängung von ß durch a beruht auf der Häufigkeit des Gebrauchs“ (W. Scherer). Da die Analogie bzw. die Annahme „analogischen Ausgleichs“ (es ist natürlich immer anzugeben, in bezug auf was!) in der E. eine außerordentlich wichtige Rolle spielt, sei das Prinzip, nach dem man sie sich wirkend dachte (und denkt), an einem Beispiel veranschaulicht. Warum heißt es nhd. (ich) war gegenüber mhd. (ich) was? Ein Lautgesetz kann nicht zugrunde liegen, weil ja sonst auch mhd. gras zu nhd. +Grar, mhd. nase zu nhd. + Nare usw. werden müßte. Veran¬ schaulichen wir uns den Ind. Prät. von ,sein‘ im Mhd. und Nhd.: Sg.

PI.

1 2 3 1 2 3

was

war

wcere

warst

was

war

wären

waren

wäret

wart

wären

waren

Gehen wir von der md. Form wärest (statt klassisch-mhd. wäre) aus, so können wir sagen: wa

r-

a — x+a

Mvg b=x+ ß

—> wa-r->a = b

Das Verhältnis der ^-Formen zu den /-Formen ist 2 : 4, daher wird -szugunsten von -r- unterdrückt und das Paradigma analogisch ausgegli¬ chen. Anmerkung: Diese Rechnung stimmt natürlich nicht ganz, weil die einzelnen Personalformen verschieden häufig verwendet werden. Die 3. Sg. wird wesent¬ lich häufiger gebraucht als die 1. oder 2. Sg. Der PI. im ganzen ist seltener gebraucht als der Sg. Es ist aber auch noch zu bedenken, daß die -/--Formen im Konj. (ich wcere...) verwendet wurden. Im Grunde wäre hier eine statistische Erhebung an einem möglichst repräsentativen Text-Corpus nötig. Doch hat in 50

diesem Fall das Übergewicht der r-Formen sicher ausgereicht, um die .s-Formen aus dem Feld zu schlagen und das Paradigma zu vereinheitlichen. Auf das Pro¬ blem der Vokalquantität wurde hier der Einfachheit halber nicht eingegangen.

Bereits ein Blick auf das Engl., wo bis heute nicht ausgeglichen wurde {was : were), zeigt, daß die Analogie nicht immer wirksam zu sein braucht. Wenn also die Lautgesetze als ausnahmslos gesehen wur¬ den, so forderte ebendiese Annahme auch die Konzeption des „analogi¬ schen Ausgleichs“, der nun zur Erklärung des augenscheinlich Un¬ berechenbaren im Sprachwandel dienen mußte. 19 Am Ende der junggrammatischen Periode befinden sich Sprachvergleich und Sprachgeschichte auf ihrem Höhe¬ punkt, so sehr, daß H. Paul sich eine andere Sprachwissenschaft als die historische überhaupt nicht vorstellen konnte. Die idg. Einzelspra¬ chen können als weitgehend durchforscht gelten. In den meisten Sprachzweigen existieren bereits umfangreiche e. Wörterbücher. Ja, man hatte auch schon versucht, den Wortschatz nicht mehr belegter Sprachstufen zu rekonstruieren; auch ein idg. Wörterbuch entsteht. Die E., vor allem die formale Rekonstruktion, feiert zunächst Triumphe, gerät jedoch vor allem infolge der Lehre von den Wz.-Determinativen (S. 125ff.) bei manchen Forschern in Mißkredit und dadurch in eine gewisse Krise. Immerhin verdanken wir die großen Arbeiten zur germ. E. von F. Kluge, H. Hirt, S. Feist, F. Holthausen, A. Torp, Hj. Falk, E. Hellqvist u.v.a. dem positivistisch-junggrammatischen Forscherethos. Wie sehr sich auch rein äußerlich das Bild vom Idg. geändert hatte, obwohl sich seine Rekonstruktion noch immer vorwiegend am Ai. und Gr. orientierte, läßt sich vielleicht damit am besten veranschaulichen, daß wir der idg. Fabel (s. S. 49) in der Rekonstruktion A. Schleichers je¬ ne Form der Rekonstruktion gegenüberstellen, wie man sie am Ende der junggrammatischen Periode durchgeführt hatte (H. Hirt; s. Anhang 1). 20 Die Linguistik ist in vielen Punkten über den junggrammatischen Ansatz längst hinausgekommen. Heute wird kaum ein Linguist die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze (im Sinne Osthoffs) unbesehen ak¬ zeptieren. Der Lautwandel erfaßt längst nicht alle sprachlichen Gebilde oder zumindest nicht in gleicher Weise. Er wirkt z. B. vielfach nicht bei EN, er wirkt nicht auf allen Stilebenen einer Sprache, er kann durch expressive Erscheinungen verändert werden. Onomatopoetische Bildun¬ gen (S. 195ff.), Lallwörter u.dgl. haben eigene Gesetzlichkeiten. Wenn wir die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze weiterhin sinn¬ voll vertreten wollen, so müssen wir eine ganze Reihe von Zusätzen 51

machen, indem wir etwa die Sprache, für die der Lautwandel gelten soll, hinsichtlich gesellschaftlicher Bedingtheit, dialektaler Interferenzen (S. 262f.), der Stilebene, dem Fehlen oder Vor¬ handensein einer schriftsprachlichen Norm usw. definieren. Auch dann noch wird man heute i.a. die Lautgesetze als eine Sache der Statistik ansehen, nämlich ihre „Ausnahmslosigkeit“ als ein bloßes Ergebnis der Belegsituation relativieren (als Verhältnis der „günstigen" zu den „ungünstigen“ Fällen). Es zeigt sich dann, daß z.B. der urgerm. «-Umlaut (S. 88, § 3) sehr oft, aber keineswegs immer eintritt. Man kann zwar immer noch hoffen, für jene Fälle, in denen er ausbleibt, eines Tages eine Regel aufstellen zu können, aber von quasi-naturgesetzlicher Ausnahmslosigkeit i.a. kann nicht die Rede sein.

21

G. v. der Gabelentz hatte 1891 zwischen Rede, Sprache und Sprachvermögen unterschieden, ein Gedanke, den F. de Saussure in der be¬ rühmten Trichotomie parole, langue, langage aufgriff. Parallel zum Verhältnis langue : parole bildete man nun die (emisch-etische) Dichoto¬ mie Phonem : Phon (Laut) und unterschied am Lautwandel eine phonetische Phase, in der zunächst Allophone herrschen, und eine phonemische Phase, in der die Allophone phonematisiert sind und als Phoneme erscheinen. Da für frühere Sprachzustände die phonetische Realisierung im einzelnen notgedrungen offen bleiben muß, können wir nur versuchen, den Lautwandel (die Lautgesetze) als Phonemwandel zu verstehen. Die phonetische Realisierung spielt jedoch bei der Entlehnung eine Rolle, weil man sich bei der Übernahme fremdsprachiger Wörter wohl zunächst an deren phoneti¬ sche Lautgestalt und nicht an deren Phoneme (in der phonematischen Struktur der Fremdsprache) hält. Die strukturalistischen Schulen in Genf, Prag, Kopenhagen und Amerika, deren Forschungsinteresse an¬ fangs rein synchronisch war, verloren die per definitionem immer dia¬ chronische E. aus den Augen. Auch die spätere metachronische Rich¬ tung des Strukturalismus, die eine phonologische Beschreibung des Lautwandels und eine Typisierung (in Phonemverschiebung, -Zusam¬ menfall, -Spaltung, -schwund, Diphonemisierung und Monophonemisierung) erarbeitete, hat keinen direkten Berührungspunkt mit der e. Arbeit. Dagegen hat der Strukturalismus im Bereich der Semantik, der bei J. Trier zur Ausbildung der Wortfeldtheorie (S. 200) führte, auch für die E. außerordentlich weitreichende Folgen gehabt. Die nachstrukturalistischen Richtungen der modernen Linguistik, vor allem die sog. „Grammatikmodelle“, haben, wenn überhaupt, nur am Rande auf die E. eingewirkt (S. 286f.). 52

V

Sprachhistorische Grundlagen

1 Es wäre in einem Lehrbuch der dt. E. nicht angebracht, wollte man die Forschungsgeschichte weiterzeichnen und den Leser zu den heute gesicherten Ergebnissen dadurch hinführen, daß man ihre schrittweise Erforschung noch einmal rekapituliert. Hier und in den folgenden Ab¬ schnitten (bis S. 198) sollen in möglichst kurzer und schematisierter Form die formalen Voraussetzungen für das Etymologisieren geboten werden. Die Frage der phonologischen Beschreibung, die nach den Ursachen des Phonemwandels und die Kasuistik seiner Chronologie können dabei ganz in den Hintergrund treten. Ich begnüge mich vielmehr damit, hier die wichtigsten Fakten bzw. jene Theorien und Hypothesen, die als „akzeptiert“ gelten können, darzustellen und auch dies nur in Umrissen. Das Nachlesen in den ausführlichen Einzelgrammatiken (S. 320ff.) kann dem Etymologen nicht erspart bleiben. 2

Die idg. Sprachen:

Das Germ, ist eine idg. Sprache. Die idg. Grundsprache läßt sich zwar rekonstruieren, aber doch bei weitem nicht so eindeutig, daß man in allen Fällen sagen könnte, ob ein idg. Etymon, und wenn ja, welches einem einzelsprachlichen Erbwort entspricht. Ob überhaupt ein grundsprachliches Etymon vorlag oder nicht, muß zunächst von der Sache her entschieden werden. Das idg. Etymon von nhd. Fahrrad rekonstruieren zu wollen, wäre schon deshalb sinnlos, weil das Fahrrad der Jungsteinzeit nicht bekannt war. Liegen die Dinge nicht so einfach, und dazu kommt noch, daß sich ja auch die Bedeutung im Laufe der Jahrtausende ändern konnte, so haben wir als wichtigstes Kriterium für das Vorhandensein oder Fehlen eines idg. Etymons das Zeugnis der übrigen idg. Sprachen. Fehlt den anderen Sprachen ein Etymon, so ist anzunehmen, daß es sich um eine Neubildung (mit den ererbten Affixen) handeln wird. Es ist aber auch der Fall möglich, daß ein idg. Wort eben (zufällig) nur in einer einzigen Sprache noch er¬ halten ist. Um dies annehmen zu können, sollten besondere Bedin¬ gungen, wie etwa extreme Altertümlichkeit der Wortbildung, bestimmte kulturgeschichtliche Voraussetzungen, erfüllt sein. Leichtfertig wird man mit einem solchen Fall nicht rechnen. Hat das zu etymologisierende Wort in anderen Sprachen Etyma, so beweist dies noch nicht, daß das Wort schon grundsprachlich vorhanden war. Es kann auch auf Grund ererbter Möglichkeiten in den Einzelsprachen sekundär entstanden sein (S. 290f.). Hier ist auch zu fragen, ob es nicht etwa zwei benach¬ barte oder typologisch besonders nahe verwandte Sprachen sind. 53

die ein bestimmtes Etymon gemeinsam haben. Anders liegt der Fall, wenn es zwei Sprachen wären, die sich räumlich in Extrem¬ position zueinander befinden (etwa Ai. und Air.). Hier könnte die Gemeinsamkeit u.U. als ein Indiz hohen Alters des Etymons gewertet werden (S. 284ff.). Aber selbst in jenen Fällen, in denen wir ein grund¬ sprachliches Etymon annehmen dürfen, führen die Rekonstruktionen aus den Einzelsprachen oft genug zu zwar sehr ähnlichen, aber eben doch nicht ganz identischen Rekonstrukten. Ein Grund liegt darin, daß wir uns das Idg. nicht als eine völlig einheitliche Sprache, wie etwa unsere genormte Schriftsprache, vorstellen dürfen, sondern als dialektal und nach Sozialgruppen gegliedert. Daß es solche So¬ zialgruppen mit bestimmten Funktionen gab, dürfen wir etwa den reli¬ gionsgeschichtlichen Forschungen von G. Dumezil entnehmen. Es gibt noch andere Gründe für die Uneinheitlichkeit der Rekonstrukte (S. 66, 125ff.). Dazu kommt noch, daß, wie erwähnt, bei der Erschließung der Grundsprache besonders das Gr. und Ar. herangezogen wurden (S. 46 f.). Würde man das Idg. auf der Grundlage des Heth. erschließen, so würde das Ergebnis wohl ziemlich anders aussehen. Um die angemessen¬ ste Rekonstruktionsgrundlage zu erhalten, müßte man die relative Altertümlichkeit der einzelnen Sprachen kennen. Hier gehen die Meinungen stark auseinander. Auch die Gliederung der Indogermania ist noch nicht völlig zufriedenstellend geklärt, da es bei der Abgrenzung der Untermengen innerhalb einer Obermenge auf die Auswahl und Gewichtung der Übereinstimmungen oder Divergenzen ankommt. 3 Man unterscheidet folgende Tochtersprachen bzw. -sprachgruppen des Idg.: 3.1 Indoiranisch oder Arisch: (1) Ind.: Die ältesten Sprachformen sind das Mitanni-Ind. (Mitte 2. Jt. v. Chr. bezeugt) als Sprache der herrschenden Oberschicht des Mitanni-Reiches in Kleinasien und das Ved. In ihm sind die religiösen Hymnen der Veden (z.B. RgVeda) und die prosaische Erklärungsliteratur der Brähmanas, Äranyakas und Upanisaden verfaßt. Auch das Ved. gehört dem 2. Jt. an. Das Sanskrit ist die Kunst- und Schriftsprache etwa seit dem 6. Jh. v. Chr. mit vielen literarischen (epischen, dramatischen) und wissenschaft¬ lichen (philosophischen, grammatischen) Texten. Ved. und Sanskrit zusammen bilden das Ai. Die Angabe „ai." oder „aind.“ in der linguisti¬ schen Literatur bezeichnet gewöhnlich Zugehörigkeit zum Sanskrit. Ist das Wort ved., so wird dies eigens bezeichnet (S. 77, § 11.9). In der mind. Phase unterscheidet man die Volkssprache Prakrit und die Schrift und Kunstsprache Päli, die Sprache des Buddhismus in Südindien. Aus den mind. Prakritdialekten entstanden die nind. Sprachen und 54

Mundarten; eine davon lebt als Romani auch bei den europäischen Zigeunern weiter. (2) Iran.: Die ostiran. Sprache des Av. ist durch das Awesta (religiöse Literatur um das Reformwerk Zarathustras) seit etwa 700 v. Chr. bekannt. Die westiran. Sprache des Ap. setzt mit Keilschrift¬ texten ein und ist etwa zwischen 520-350 v. Chr. belegt. Darauf folgt das Mpers. oder Pehl., das etwa bis 900 n. Chr. reicht und aus dem das Np., dem auch das Kurdische angehört, hervorgeht. Das Ostiran, lebt heute in Afghanistan (Pashto), den Dialekten des Pamirgebietes und dem Ossetischen im mittleren Kaukasus weiter. Auch die Sprachen der Skythen und Sarmaten, nur durch einzelne Eigennamen bekannt, gehör¬ ten dem Iran. an. 3.2 Tocharisch: Texte dieser Sprache wurden in Innerasien (Turkestan) gefunden. Sie gehören zwei Dialekten (toch. A = osttoch., toch. B = westtoch.) an, die bis ins 7. Jh. n. Chr. als Verkehrssprache im Gebrauch waren. 3.3 Armenisch: Seit dem 5. Jh. durch die Bibelübersetzung des Mesrop als (Alt)arm. bekannt. Seit dem 15. Jh. erscheint das Neuarm., das noch heute als West- und Ostarm. weiterlebt. 3.4 Phrygisch und Thrakisch: Das Verhältnis dieser ausgestor¬ benen Sprachen zueinander ist umstritten, noch mehr das des Phryg. zum Arm. Das Phryg. wurde in Kleinasien (Phrygien), dem Herkunfts¬ gebiet des Kultes der Muttergottheit Kybele gesprochen. Es ist durch Inschriften spärlich bezeugt. Das Thrak. war einst weitverbreitet, es herrschte noch in der Römerzeit auf der Balkanhalbinsel, in Bulgarien und Rumänien. Es ist nur durch Eigennamen, Glossen (Pflanzennamen) und zwei kurzen, nicht sicher gedeuteten Inschriften bekannt. Ein thrak. Dialekt, das Dakische, hat im Rumänischen Spuren hinterlassen. 3.5 Het hi tisch: Durch viele Tausende von keilschriftlichen Ton¬ täfelchen ist das Keilschrift-Heth. besonders im 15. und 14. Jh. v. Chr. in Zentralanatolien bezeugt. Daneben gibt es zwei weitere, dem Heth. nahestehende Sprachen, das Luwische und das Paläische. Das schon vor dem Keilschrift-Heth. bekannte, wenn auch nicht entzifferte Hieroglyphen-Heth. gilt als eine dem Luw. verwandte Sprachform. Späte Nachkommen des um ca. 1200 v. Chr. verschwindenden Keilschrift-Heth. sind das Lykische und Lydische (um etwa 500 v. Chr. inschriftlich bezeugt). Das Heth., das in Phonologie und Morphologie gegenüber dem rekonstruierten Idg. außerordentlich große Eigen¬ ständigkeit zeigt, ist erst am Beginn des 20. Jh.s als idg. Sprache erkannt worden, weshalb es gerade in der junggrammatischen Blütezeit 55

der indogermanistischen Forschung noch nicht aufscheint. Seine Erfor¬ schung erfordert soviel Spezialkenntnisse - die Hethitologie ist eine eigene Forschungsrichtung daß es selbst in e. Wörterbüchern, die lange nach seinem Bekanntwerden entstanden, noch kaum berücksich¬ tigt ist. Es wird vermutlich noch lange dauern, bis das Heth. mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie die anderen idg. Sprachen von der e. Forschung herangezogen werden kann. Wie weit es speziell für die germ. E. von Bedeutung ist, läßt sich noch in keiner Weise absehen. Bisher gilt es vor allem als Kronzeuge für die Laryngaltheorie (S. 77ff.). Wertvoll ist es aber vor allem auch deshalb, weil es schlagend eine Reihe von Rekonstruktionen (z.B. der Labiovelare; S. 70f.) bestätigt, die lange vor seiner Entzifferung vorgenommen wurden, und damit die Richtigkeit des Rekonstruktionsverfahrens überhaupt beweist. Trotz der Neuerungen bewahrt es auch viele altertümli¬ che Züge, wie etwa Heteroklitika (S. 175f.). 3.6 Griechisch: Seit etwa 1400 v. Chr. in der Silbenschrift Li¬ nea r-B von Knossos, Pylos, Mykene... bezeugt. Die abweichende, vor allem auf Kreta heimische Schrift Linear-A ist noch nicht zur allgemeinen Zufriedenheit entziffert. Auch das Linear-B. das Mitte dieses Jh.s entziffert wurde, hat, wie das Heth., kaum Eingang in die germanist. E. gefunden. Das Agr. (gewöhnlich „gr.“ bezeichnet) ist seit dem 8. Jh. v. Chr. (Homerische Epen) als hom. bekannt. Es glie¬ derte sich in eine Vielzahl von Dialekten, die in eine jonisch-atti¬ sche, eine achaeische und eine dorisch-nordwestgr. Gruppe zusammen¬ gefaßt werden können. Das Hom. ist eine Kunstsprache, die aber vor¬ wiegend auf dem Altjon. beruht. Im att. Dialekt Attikas und seiner Hauptstadt Athen ist die große Mehrzahl der agr. Texte (Literatur, Wissenschaft) verfaßt. Aus dem Att. entwickelte sich unter dem Einfluß anderer Mundarten die hellenistische Umgangssprache (Koi¬ ne), die auch die Sprache des Neuen Testaments ist. Auf die Koine geht das Ngr. zurück, das sich sekundär in Dialekte gliederte und sich lautlich sehr veränderte, während die ngr. Schriftsprache der Koine noch sehr nahe steht. 3.7 Vorgriechisch: Eine vielleicht schon vor dem Gr. vorhandene idg. Sprache, deren lautliche Eigenarten man aus Ortsnamen der Ägäis und der Balkanhalbinsel, aber auch aus einer Anzahl im Gr. fortleben¬ der Lehnwörter (Substrat; S. 240ff.) erschließen zu können glaubt. Die Einzelheiten sind sehr umstritten. Das Vorgr. wird auch Pelasgisch genannt.

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3.8 Illyrisch: Eine Sprache, deren Träger man längere Zeit mit der Urnenfelder- und Hallstattkultur verband. Über die Ausdehnung des „illyr.“ Siedlungsgebietes, das sich von Irland bis Westfalen und zur Balkanhalbinsel erstrecken sollte, gab es beträchtliche Meinungsver¬ schiedenheiten. Heute nimmt man nicht einmal mehr an, daß das Illyr. auch nur in der ganzen späteren Provinz Illyricum gesprochen wurde, sondern lediglich auf die Balkanhalbinsel beschränkt blieb. Auf die Angabe „illyr.“ in älteren Arbeiten (des Panillyrismus), die noch mit dem riesigen Siedlungsgebiet der Illyr(i)er rechneten, kann man heute dadurch Bezug nehmen, indem man „illyr.“ in Anführungszeichen setzt. Das eigentliche Illyr., nur durch Namen belegt, ist heute eine recht unsichere Größe. Bei dem Hinweis „illyr.“ ist immer Vorsicht geboten. Auch das Verhältnis des Messapischen, in Apulien und Kalabrien durch frührömerzeitliche Inschriften bezeugt, zum Illyr. ist umstritten. 3.9 Alban(es)isch: Die Verbindung des Alb. mit dem Illyr. ist nicht gesichert. Das Alb. ist seit der Neuzeit (16. Jh.) für Albanien und einzelne Gebiete Süditaliens und Griechenlands bezeugt. Es existiert in zwei Dialekten, Toskisch und Gegisch. 3.10 Italisch: Hier bilden das Latino-Faliskische und das Oskisch-Umbrische zwei wichtige Sprachgruppen. Das LatinoFaliskische ist seit etwa 600 v. Chr. bruchstückhaft, seit etwa 200 v. Chr. durch die alat. Literatur, dann durch die des klassischen Lat. be¬ zeugt. Für das Oskisch-Umbrische beginnen die Quellen etwa um 400 v. Chr. mit den Iguvinischen Tafeln. Zum Oskisch-Umbrischen gehören eine Vielzahl von Dialekten, die alle schon in der Antike ausstarben. Das Venetische, einst in Venetien gesprochen, früher dem „Illyr.“ („Veneto-illyr.“) zugeteilt, wird jetzt als eine (dem Latino-Faliskischen nahestehende) ital. Sprache angesehen. Da Veneti ,die Befreundeten1 bedeutet, konnte der Name auch für andere Völker gebraucht werden; es muß hier nicht einmal eine grundsprachlich-idg. Bildung vorliegen. So erklärt es sich, daß auch die Germanen ihre slaw. Nachbarn mit dem Etymon des Namens Veneti bedachten, ohne daß deren Sprache zum ital. Sprachzweig gehörte. Auch in Norddeutschland finden sich Ortsnamen (z.B. Weende bei Göttingen), die vielleicht auf dasselbe Etymon weisen. Es ist sicher unberechtigt, solche Substrate (Nordwestblock; S. 243ff.) als venet. zu bezeich¬ nen, weil damit nur die ital. Sprache gemeint ist. Will man auf solche unberech¬ tigte Zuweisungen Bezug nehmen, so kann man wie im Falle des „Illyr.“ verfah¬ ren und „venet.“ in Anführungszeichen setzen.

Aus der lat. Volkssprache, die sich beträchtlich von der Literatursprache unterschied und Vulgärlatein (Vit.) genannt wird, entstanden die roman. Sprachen (frz., wallonisch, spanisch], portugiesisch], ka57

talanisch, provenzalisch, rätoromanisch, ladinisch, friulanisch, ita¬ lienfisch], sardisch, rumänisch...)- Das Lat., das als lingua franca unter den litterati des Mittelalters im Gebrauch war, heißt mit. Es istz.T. reich mit vernakulären (volkssprachlichen) Elementen durchsetzt. Für die historische Linguistik, insbesondere für die Semantik, und damit auch für die E. sind das Lat. und seine Tochtersprachen von größtem heuristischen Wert, denn wir können hier mehr als 2000 Jahre Sprachentwicklung überschauen. Die Beobachtungen der roman. Sprachwissenschaft (Romanistik) haben in vielen Punkten und gerade auch in der E. Modellcharakter (S. 228, § 5; 235 f., 278, § 5; 280). 3.11 Keltisch: Hier lassen sich zwei Sprachgruppen, das /?-Kelt. (britisch) und das <7-Kelt. (irisch-gälisch = goidelisch) unterschei¬ den. Das Unterscheidungskriterium ist die Entwicklung von idg. kv, die im britischen Zweig zu p führte, während sie in der goidelischen Gruppe zunächst AT, dann im Air. k (geschrieben: c) ergab. Das einst über weite Teile Europas südlich des Mittelgebirges von Ungarn bis zur Atlantikküste und auch in Oberitalien gesprochene Gail., das durch Tausende von Namen, neben Glossen und kurzen Inschrifttexten, nur dem Lautstand nach einigermaßen bekannt ist, scheint, ebenso wie das im 3. Jh. v. Chr. nach Kleinasien übertragene Galatische, eine p-kelt. Sprache gewesen zu sein. Wohl noch in der Hallstattzeit gelangte das Kelt. auf die britischen Inseln, wobei das nicht-idg. Piktische kelt. überschichtet wurde. In Spanien ergab sich die Mischsprache des Keltiber. Mit Ende der Antike ist das Festlandkelt. ausgestorben. Es hat aber viele Spuren in südd. ON hinterlassen. Seit dem frühen MA treten die inselkelt. Sprachen z.T. mit sehr reicher Literatur (Heldensage, Lyrik) hervor. Zum britischen Zweig gehören das Walisische oder Kymr. in Wales, das heute ausgestorbene Corn. in Cornwall und das als Sprache der corn. Kolonisation auf dem Festland entstandene Bret. Zum goidelischen Zweig gehören das Ir. und Schottisch-Gälische sowie das ausgestorbene Manx auf der Isle of Man. 3.12 Baltisch: Das Apr. (seit dem 15. Jh. belegt, um 1700 ausge¬ storben), das Lit. und Lett. bilden einen durch stark konservative Züge gekennzeichneten Sprachenkomplex, den man früher in der Regel, heute nur noch gelegentlich mit dem Slaw. als baltoslaw. Gruppe zusammenfaßt(e). Vor allem das Lit. ist durch eine reiche volkstümliche Literatur (Märchen, Lieder) im wesentlichen seit der Christianisierung der Litauer im 15. Jh. belegt.

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3.13 Slawisch: Das Slaw. wird in drei Gruppen gegliedert: (1) Ostslaw. Dazu gehören das Großruss., das Kleinruss. (= Ukrain. = Ruthenisch) und das Weißruss. im westlichen Ru߬ land und Ostpolen. (2) West slaw. besteht aus Poln. (das z.T. besonders konser¬ vativ ist), Cech., Slowak. sowie aus den kleinen Sprachgemein¬ schaften des Wendischen (S. 57, § 3.10), Sorbischen, Kaschubischen, Slovinzischen und dem ausgestorbenen Polabischen, der Sprache der Elbslawen. (3) Süds 1 aw., zu dem S1 ov., Serb., Kroat. (beide bilden die Mischsprache Serbo-kroatisch), Makedonisch und Bulg. ge¬ hören. Dessen Vorstufe Abg. oder Aksl. (die Wörterbücher verwenden beide Bezeichnungen, oft sogar in ein und demselben Werk) ist die Sprache der Bibelübersetzung durch Kyrill und Methodius (9. Jh.) und damit die ältest bezeugte slaw. Sprache. 3.14 Germanisch: Die Gliederung des Germ, soll, da sie für uns von größter Wichtigkeit ist, in einem eigenen Abschnitt behandelt wer¬ den (S. 60fif.).

4 Anmerkung: Wenn es heute noch keine endgültige Klarheit über die Gliederung der Indogermania (Reihenfolge der Aus¬ gliederung der Einzelsprachen, Intensität des Verwandtschaftsverhält¬ nisses der Einzelsprachen untereinander) gibt, so ist dafür einer der Elauptgründe die große zeitliche Differenz, die zwischen den Erstbelegen der verschiedenen Einzelsprachen besteht. Sie beträgt im Extremfall, wie etwa Mitanni-Ind., Ved., Heth. gegenüber Alb., Lit., etwa 3000 Jahre! Wenn also zwischen Sprachen unterschieden wird, in denen der idg. palatale Verschlußlaut als Sibilant (Zischlaut) erscheint, und solchen, in denen er mit dem Velaren zusammenfiel und als Verschlußlaut erhalten blieb (der dann, wie im Germ., sekundär verändert werden konnte [1. LV; s. S. 98]), so ist dabei zu bedenken, daß Sprachen verschiedener Zeitstufen verglichen werden. Ein bekanntes Gedankenexperiment zeigt, daß diese Einteilung in Ke nt um- (nach lat. centum ['kentum] , 100‘) und Satem-Sprachen (nach av. satam ,100‘) unhaltbar ist: Mit Aus¬ nahme des Logudoresischen in Sardinien und dem Vegliotischen (Dal¬ matien) ist lat. c- in centum in keiner roman. Sprache als Verschlußlaut erhalten geblieben, sondern entweder zur Affricata [ts], [ff], zur sibilantischen Fricativa [s] oder zur interdentalen Fricativa [0] geworden: vlt. cento- > afrz. cent [tsent] > nfrz. [sä], > italien. cento ['tjento], > span. ciento ['Ojento]... Wenn wir die wenigen beharrsamen Dialekte, in denen die Assibilierung nicht eintrat, und das klass. Lat. nicht kennen würden, 59

so müßten wir heute die roman. Sprachen zur Satemgruppe rechnen! Es ist also nicht zulässig, die auch heute in Handbüchern usw. oft vorge¬ nommene Einteilung der idg. Sprachen in Kentum- und Satemsprachen im Sinne einstiger Sprachgemeinschaften zu verstehen. Nach üblicher Auffassung sind Satemsprachen: Ar., Arm., Phryg., Thrak., Alb., Balt., Slaw. Die übrigen Sprachfamilien (Toch., Heth., Gr., Ital., Kelt., Germ.) gehören zur Kentumgruppe. Die Bezeichnung Satem- bzw. Kentumsprachen darf heute wohl nur als abkürzender Ausdruck an Stelle einer Aufzählung dieser Sprachen verwendet werden, nicht aber im Sinne engerer sprachlicher Verwandt¬ schaft. Das Germ., obgleich Kentumsprache, steht in manchen Punkten z. B. der Satemsprache Lit. viel näher als der Kentumsprache Lat. 5

Das Germ. - Vorbemerkung:

Die dial. Feingliederung ist nur für das Hd. angegeben, die beigefügten Zahlen geben das Jh. der Erstbelege an. Ein + nach der Sprachbezeichnung bedeutet, daß die Sprache nur sehr fragmentarisch (durch Inschriften [Eigennamen], Lehnwörter, Glossen usw.) belegt ist. Soweit im Abkürzungsverzeichnis nicht eine andere Auflösung der Abkürzungen vorgesehen ist, ist zum Verständnis der folgenden Abkürzungen -isch anzufügen.

6

Anmerkungen:

6.1 Die ne. Schriftsprache ist reich durchsetzt mit lat. und ro¬ man. (afrz.) Entlehnungen. Nach ihrem germ. Anteil ist sie eine Misch¬ sprache, die skandinavische Lehnwörter enthält, aber vorwiegend aus angl., vielen sächs. und einigen kent. Formen besteht. Die heutige Orthographie verrät noch die ehemalige dial. Zugehörigkeit einzel¬ ner Morpheme: z. B. (angl.) deed ,Tat‘ : (sächs.) mecil .Mahl'. 6.2 Die mhd. Literatursprache bildete sich im 12. Jh. am mittleren Rhein als mfrk. Sprachform aus, die dann im südd. Raum eine überregionale „Koine“ der höfischen Sprache ergab. Die nhd. Schriftsprache ist aus der Ostmd. Kanzleispra¬ che unter Einbeziehung bair. Merkmale (z.B. „Nhd. Diphthon¬ gierung", S. 94, § 21) entstanden (S. 94, § 22). Das Nhd. ist also nicht organisch aus der mhd. Literatursprache hervorgegangen und daher strenggenommen eine Aussage vom Typus „mhd. ... > nhd...." unrich¬ tig, außer in jenen Fällen, in denen die mhd. Form wirklich die Vorstufe jener nhd. Dialektform ist, die im Zuge des überregionalen Ausgleichs (S. 262f.) sich als schriftsprachliche Form durchgesetzt hat. Während mhd. ä im Ostmd. erhalten blieb, so daß mhd. wän bei Luther als wahn erscheint, wurde mhd. a vor n im Bair. und dem größten Teil des Alem. zu [o:] oder [o:] verdumpft, so daß sich das Kompositum mhd. arc-wän in diesen 60

61

°stf™'

südrheinfrk.

nordgerm.

westgerm.

Dialekten zu arc-wön wandelte. Luther schwankt noch zwischen argwahn und argwöhn. Aber im folgenden hat sich Argwohn durchgesetzt. Wir müßten also schreiben mhd. arc-wän > nhd. (bair., alem....) Argwohn. Wir dürften eigentlich nicht schreiben: mhd. ä > nhd. ä (geschr. ah) oder mhd. ä > nhd. ö (geschr. oh), selbst wenn wir hinzufügen, daß dieser Übergang nur vor n stattfindet.

Analoges gilt auch für das Verhältnis des Ahd. zum Mhd., denn in ersterem haben wir nur dial. Formen, in letzterem eine überregionale Literatur- und Schreibsprache. Dennoch ist die Schreibweise „ahd. ... > mhd. ... > nhd. ...“, die sich überall im Fachschrifttum findet, der Einfachheit und Kürze halber auch in diesem Buch beibehalten worden. Der Operator > wäre nun aber nicht mit „wird zu“ aufzulösen, sondern eher mit „entspricht im Sinne des überregionalen Ausgleichs“. Das ist zu bedenken, wenn ich etwa anführe: ahd. pigiht > mhd. biht(e). Dem ist nicht ein Phonem¬ wandel ahd. p > mhd. b zu entnehmen, denn das ahd. Wort gehört einem anderen Dialekt an als sein mhd. Etymon. Vieles hingegen, wie z.B. der Übergang -igi- > ist überregional. 7 Jede - auch eine hypothetische Sprachstufe kann in sich zeitlich gegliedert werden: voridg., frühidg., spätidg., vorurgerm., frühurgerm., späturgerm. ... frühmhd., spätmhd.. frühnhd. ... Eine absolute Datierung ist für die hypothetischen Sprachstufen natürlich kaum möglich. Über die zeitliche Gliederung des dem Ahd. vorausge¬ henden Germ, gibt es keinen Konsens. Gelegentlich läßt man in den Handbüchern auf die urgerm. Periode eine gemeingerm. folgen. Ich halte diesen Terminus für unangebracht und verwende ihn nur im Hinblick auf Morpheme, die allen Sprachen gemeinsam sind (ohne Rücksicht auf ein bestimmtes historisches Stadium). So kann man z.B. sagen, daß das Wort für Vater gemeingerm. ist, weil in allen germ. Sprachen ein Etymon des nhd. Vater existiert(e). Ebenso ist aber auch Gummi ein gemeingerm. Wort, obwohl es erst ab dem Mittelalter als Lehnwort vorkommt; denn alle Sprachen, vom Nisi. (güm[m]i) bis zum Nhd. weisen zumindest in formaler Hinsicht ein Etymon des Wortes Gummi auf. In der englischsprachigen Literatur begegnen die Präfixe proto- .ur-' (ProtoGermanic = ,urgerm.') und pre- ,vor-' (Pre-Germanic). Vielfach findet sich auch die Bezeichnung Primitive-Germanic (PGmc.), die jetzt zugunsten von ProtoGermanic (auch: PGmc.) aufgegeben wird. Eine analoge Terminologie herrscht auch in frz. Arbeiten.

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8

Anmerkung zur Verwandtschaftsdarstellung im Stammbaum:

Bei schematischen Darstellungen der Verwandtschaft wie der obi¬ gen ist zu bedenken, daß die Methode des sprachlichen Vergleichs zuerst von Philologen verwendet wurde und im Grunde nach den Prin¬ zipien der Textkritik vorgeht. Haben wir z.B. drei Handschriften (Hss.) A, B, C und zeigen B und C gemeinsame Neuerungen (Fehler, Textverderbnisse), ohne daß die eine Hs. die Vorlage der anderen wäre, so rechnet der Textkritiker i.a. mit folgendem Verwandtschaftsverhältnis, das in einem Stammbaum (Stemma) dargestellt wird:

*X („Original“, nicht erhalten) *Y

(nicht erhalten; hier entstanden die Fehler, die B und C gemeinsam haben)

B

Vergleichen wir die sprachlichen Veränderungen, was z.B. einem klassi¬ schen Philologen, der vom Begriff der „goldenen“ und „silbernen“ Latimtät ausging, nahe genug liegen mußte, mit Verderbnissen in den Hss., so kann man etwa sagen: got., aisl., ags., afries., as. üt ,ausl läßt sich auf Grund der Belegsituation (Alter des Got.) und der Etyma in anderen idg. Sprachen (z.B. ai. üd ,hinauf1) gegenüber abair., aalem., aostfrk. üz als das Primäre, das Ältere verstehen. Die „Verderbnis“ t > z [s], für die es noch viele andere Beispiele gäbe, ist ein gemeinsamer „Fehler“ der „Vorlage“, aus der die „Hss.“ abair., aalem., aostfrk. stammen. Wir können analog zum Hss.-Stemma oben mit einem Sprachen-Stemma dieser Art rechnen (vgl. schon die analoge Einteilung in Water- und Wasser-Sprachen bei J.J. Scaliger; S. 45):

*Urgerm. (nicht belegt, die Lautform *üt ist aber erschließbar)

wz-Sprache („hd.“ genannt) abair.

aalem.

aostfrk. 63

Die Sonderstellung des Got. erklärt sich daraus, daß es etwa 400 Jahre vor den anderen Sprachen belegt ist. Während die Annahme einer üzSprache als gemeinsame Fehlerquelle vom textkritischen Denkschema gefordert wird, läßt sich über die Filiation der „fehlerlosen Hss.“ (der ///-Gruppe) nichts aussagen; sie können ebensogut jede für sich die „unverderbte“ urgerm. Form *üt bewahrt haben als auch von einer oder mehreren gemeinsamen Zwischenstufen abstammen, womit wir, nach dem Prinzip des geringsten Flypothesenrisikos, jedoch nicht rechnen sollten. Das Verfahren ist schon deshalb höchst anfechtbar, weil wir der Erschließung der Filiation nur einen einzigen Phonemwandel (t > z) zugrunde legten. Gehen wir z.B. vom urgerm. Diphthong ai aus (in *stain-az ,Stein1), so ergibt sich ein anderes Stemma:

urgerm. *stainstain got.

stein ahd.

st an

sten aisl.

aschw.

as.

anfrk.

afries.

ags.

Wenn wir nun aber das Ahd. und das Aisl. auch sonst miteinander vergleichen, dann zeigt sich, daß die beiden Sprachen einander nicht so nahe stehen, daß wir die gleichsinnige Entwicklung urgerm. *stciin- > ahd., aisl. stein(-) auf eine stein-Sprache zurückführen müßten. Das Aisl. steht dem Aschw. nahe, das Ahd. dem As. Wir müssen also damit rechnen, daß gleichsinniger Phonemwandel nicht immer ehemalige sprachliche Gemeinschaft (im Sinne eines „Knotens“ Y im Hss.-Stem¬ ma) voraussetzt. Dann ist auch noch zu fragen, ob nicht morphologische Differenzierungen viel aussagekräftiger sind als solche des Phonemwan¬ dels. Wir könnten auf Grund der Endung der 2. Pers. Sg. Ind. Prät., nach dem Gen. Sg. der mask. «-Stämme, nach der Form des bestimmten Artikels, der Zahlwörter, der fern. /-Stämme usw. gleichfalls nach dem obigen Verfahren Stemmata aufstellen. Bringen wir all diese Stemmata zur Deckung, so ergibt sich der oben angegebene Stammbaum der germ. Sprachen. Dieser wird allerdings heute nicht mehr im Sinne eines Hss.-Stemmas verstan¬ den, d.h. daß Knotenstellen wie „Ostgerm.“, „Westgerm.“, „Urdeutsch", „Anglo-Fries.“ im historischen Sinne wirklich wären, daß es z. ß. die westgerm. Sprache, die anglo-fries. Sprache, die (ur)dt. Sprache gegeben habe, sondern daß es sich um ein logisch-klassifikatorisches System handelt, in dem nach Klasse, Gattung, Art, Unterart unterschieden wird, wie etwa in der Botanik: 64

Einkeimblättrige Gräser

Liliengewächse

Wiesen¬

Fuchs-^^^5^

Türken-

Feuer¬

rispen¬

schwänz

bund

lilie

gras

Orchideen

geflecktes

bleiches...

Knabenkraut

Knabenkraut

So wie es für den Botaniker kein Gras schlechthin gibt, sondern nur „Gräser“ als fiktiven Oberbegriff aller Einkeimblättrigen mit bestimmten charakteristi¬ schen Eigenschaften, und ebensowenig „die“ Orchidee oder „die“ Lilie, eben¬ sowenig muß es ein „Ostgerm.“, ein „Westgerm.“, ein „(Ur)dt.“... gegeben haben; jedenfalls nicht auf Grund des vorliegenden sprachlichen Befundes. Die Frage, ob nun nicht doch z. B. die einzelnen Orchideenarten mit ihren Subspecies von einer einmal vorhanden gewesenen Ur-Orchidee durch Mutation entstanden sind, liegt auf einer anderen Ebene und kann für die linguistische Fragestellung nur entsprechend der Vorstellungen, die man sich überhaupt vom Zustan¬ dekommen des Sprachwandels macht, beantwortet werden.

9 Solange man im Stammbaumschema nach dem Muster der Text¬ kritik dachte, war jeder Knoten im Stammbaum eine reale sprachliche Größe. Historisch stellte man sich die Ausgliederung der Spra¬ chen gewöhnlich im Zusammenhang mit Wanderungen vor. Rechnet man mit der Ausbreitung des Sprachwandels von ei¬ nem bestimmten Zentrum aus, wie die „Wellentheorie“ von Joh. Schmidt (1872), so setzt dies zwar Verkehrsgemeinschaft und Übernah¬ mebereitschaft unter den Sprachen (Dialekten), die an einem bestimm¬ ten Sprachwandel teilhaben, voraus, aber keine genetische Vorform im Sinne des Verzweigungsknotens im Stammbaum. Schmidt verglich die Ausbreitung des Sprachwandels mit Wellen, die von einem bestimmten innovatorischen Zentrum (gleichsam: wo der Stein in das Wasser gewor¬ fen wurde) ausgehen und mit zunehmender Entfernung vom Zentrum immer mehr verebben. Das, was z.B. das Hochdt. charakterisiert, wäre etwa im Alem. entstanden und hätte sich dann über das Bair. und Langobard., nach Norden mit deutlichen Verebbungserscheinungen („Rheinischer Fächer“) über das Md., ausgebreitet. Ein Verzweigungs¬ knoten „Hd.“ hätte dann keine historische Realität gehabt, sondern wäre nur ein logischer Oberbegriff, der alle für das Hd. charakteristi¬ schen Erscheinungen subsumiert. Die heutige Forschung rechnet i.a. mit der Wellentheorie. Näher der Stammbaumkonzeption steht die „Entfaltungs¬ theorie“ von O. Höfler (1955). Sie rechnet mit parallelem Ma¬ nifestwerden latenter Anlagen zum Sprachwandel unabhängig 65

vom Bestehen einer Verkehrsgemeinschaft, ohne allerdings angeben zu können, welcher Art diese Anlagen (physische, psychische, psycho-physische?) sind. Gegenüber der Wellentheorie würde die Entfaltungs¬ theorie gleichsinnige Sprachveränderungen auch dann erklären können, wenn nicht mit Verkehrsgemeinschaft gerechnet werden darf. Sie setzt aber „genetische“ Verwandtschaft der Sprachträger (z.B. zwischen ab¬ gewanderten Teilen eines Stammes und den im Stammesverband ver¬ bleibenden) voraus. Demgegenüber hat die Wellentheorie den Vorzug, auch dann anwendbar zu sein, wenn es sich um gleichsinnige Änderun¬ gen bei nicht oder nur ferne „genetisch“ verwandten Sprachen handelt. Das gilt z.B. für Sprachbünde, wie den balt. oder balkanischen Sprachbund. Der balt. Sprachbund ist z.B. durch einen bestimmten (musikalischen) Akzent gekennzeichnet und umfaßt das Schw., einen Teil des Norw. und Dän., einige nordd. Dialekte, das Lit., Lett. und das Livische. Er erstreckt sich somit über germ., balt. und fmno-ugrische Sprachen (Livisch). Auf Grund solcher Beobachtungen hat man auch das Idg. als einen solchen Sprachbund ansehen wollen, der durch allmähliches Zusam¬ menwachsen ganz verschiedener Sprachen entstanden sei. Für den Ety¬ mologen ist diese Frage schon deshalb von Interesse, weil sich auf diese Weise besonders leicht erklären ließe, wieso sehr viele der bei der Rekon¬ struktion gewonnenen Wurzeln keineswegs gleichmäßig über alle Toch¬ tersprachen verteilte Etyma haben. Wer hier die Vorstellung des Sprachbundes nicht akzeptiert, muß mit weitgehendem Verlust idg. Morpheme in den Einzelsprachen rechnen. Auch verschiedene Spuren dialektaler Gliederung des Idg., ja vielleicht sogar Probleme der Wz.-Determinative (S. 125 ff.) ließen sich im Licht der Sprachbundtheorie leichter verstehen. Andererseits betrifft die Vereinheitlichung in Sprachbünden, soweit bisher beobachtet, nur Einzelheiten wie Intonation, Suffigierung des Artikels usw. Für ein Zusammenwachsen unverwandter oder fern ver¬ wandter Sprachen zu solcher Einheitlichkeit, wie sie doch das Idg. zeigt, scheint es kein Beispiel zu geben. Das erklärt, warum die Mehrzahl der Indogermanisten bis heute bei der Konzeption einer idg. „Ursprache" geblieben ist.

10

Für die e. Arbeit ist die Beachtung der als „regelmäßig“ er¬ kannten Phonemveränderungen (= Lautgesetze) unentbehrlich. Einen vollständigen Überblick über die Entwicklungen vom Idg. zu den Einzelsprachen wird man nur vom Indogermanisten erwarten können. Die Untersuchung der weiteren Entwicklung in den Einzelsprachen selbst, vor allem in den noch lebenden, ist Aufgabe der einzelsprachli¬ chen Sprachwissenschaften (Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawi66

stik, Baltistik, Keltistik [Keltologie], Indologie...). Auch dere. arbeiten¬ de Germanist sollte imstande sein, sich wenigstens ein vorläufiges Bild davon zu machen, ob eine bestimmte, erwogene Entwicklung von der Ursprache in die Einzelsprachen (in ihrer ältest überlieferten Form) möglich ist. Dem dienen die kurzen, stark vereinfachten Angaben zum Phonemwandel in einigen besonders wichtigen Einzelsprachen (ai., gr., lat., abg.), die ich auf die Darstellung der idg. Phonologie folgen lasse. Das Germ. - und hier besonders das Dt. - wird natürlich mit größerer Ausführlichkeit darzustellen sein. In keinem Fall kann dem angehenden Etymologen das Studium der einzelsprachlichen Grammatiken erspart bleiben. Die Aufgabe der phonologischen Darstellung in diesem Buch kann nur die einer allgemeinen Orientierung sein.

11 Die Gründe des Lau twandels, der zum Phonemwandel (durch Phonematisierung) führen kann, brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Zur Typologie des Lautwandels sei auf die Unter¬ scheidung je nach phonotaktischen Bedingungen (Bedingun¬ gen der lautlichen Nachbarschaft) hingewiesen. Demnach gibt es Laut¬ wandel, der in allen Fällen ohne Rücksicht auf die lautliche Nachbar¬ schaft, also „spontan“ oder „kontextfrei“, auftritt, jedenfalls für den heutigen Beobachter, und solchen, der je nach lautlicher Nachbar¬ schaft, also „kombinatorisch“ oder „kontextsensitiv“, auf¬ tritt. Ob aller „spontaner“ Lautwandel einst kontextsensitiv war und nach und nach generalisiert wurde (z.B. im analogischen Ausgleich; S. 50f.), ist noch ungeklärt. In einigen Fällen hat man bei der Unter¬ suchung eines gerade vor sich gehenden Lautwandels eine Ausweitung zum kontextfreien Lautwandel beobachtet. 12

Vielfach besteht die Kontextsensitivität eines Lautwandels darin, daß er von der Quantität der Lautumgebung (Silbe, Vokal, Konso¬ nant) abhängig ist. Die Silbe, von der noch unten (S. 128 ff.) zu handeln sein wird, kann lang oder kurz sein. Sie ist lang, wenn (1) sie einen langen Vokal (V) enthält (Naturlänge; sie „ist natura lang“), z.B. *pöd-, (2) sie Kurzvokal (V) + mehr als einen Konsonanten enthält (Posi¬ tionslänge; sie „ist positione lang“). Die Unterscheidung wird dem Leser aus der antiken und/oder ad. Metrik vertraut sein. Die halbvokalischen Zweitelemente von Diphthongen (S. 69f.) gelten dabei als Konso¬ nanten, so daß peit-, pent-, pelt-, peHt- (S. 130IT.) ebenso positione lang sind wie pest- oder pekt-. Während die Unterscheidung von Lang- und Kurzvokal einsichtig sein dürfte, ist die zwischen langem und kurzem Konsonanten dem Dt. völlig fremd. Ein langer Konsonant ist gewöhn¬ lich das Ergebnis von Gemination (Verdoppelung; S. 101 ff.); in der 67

nhd. Schriftsprache sind jedoch alle geminierten Konsonanten verein¬ facht. Das -mm- in nhd. kommen [’koman] dient nur zur Bezeichnung der Vokalkürze. Seine Artikulation ist nicht länger als die des -m- in kamen fkaiman]. Im Schw. hingegen ist das -mm- in komma ['komm] vielleicht etwas länger als das -m- in komik. Am deutlichsten sind die Geminaten im Italien, zu beobachten: in Spaghetti [spa'get:i] gegenüber z. B. ätono ['atono] ist die Längung des Verschlusses, d.h. die akustische Pause, deutlich zu merken. Der Terminus Gemination kann aber auch Inten¬ sivierung der konsonantischen Artikulation, bzw. die NacheinanderArtikulation zweier gleicher Konsonanten meinen, was jedoch für die germ. Sprachgeschichte von geringer Bedeutung ist.

68

VI

1

Überblick über die Phonologie des Idg. und einiger wichtiger Einzelsprachen

Als idg. Phonemsystem wird angenommen:

Vokale:

Monophthonge Diphthonge

kurz lang kurz

i, e, a, o, u, 9 i, e, a, o, u ei, ai, oi, oi (?) eu, au, ou, ou (?)

lang

ei, ai, oi eu, äu, öu

Zur Aussprache: Die Diphthonge sind wirklich als Verbindung von e + i, e + u... zu sprechen, also: [ei], [ai], [oi], [oi], [eu], [au], [ou], [au], [e:i], [a:i] usw. Keinesfalls soll ei wie [ae] in nhd. heiter und eu wie [ao] in nhd. heute gesprochen werden. Der Zweitteil der Diphthonge wird gelegentlich auch als i, u ge¬ schrieben. Nicht alle Langdiphthonge sind rekonstruierbar. Sofern sie gesichert sind, wie äi, öi, sind es meist gebundene Morpheme (Kasus¬ endungen). Das idg. a, wie dt. [a] in bühnensprachlichem ['za:gan] zu sprechen, heißt mit einem Terminus der hebr. Grammatik Schwa. Dieses Schwa indogermanicum (primum) ist gewöhnlich Ergebnis der Reduktion (Schwächung) eines Langvokals. Auf Grund gewisser Ablautprobleme (S. 132), die jedoch jetzt laryngalistisch (S. 133) gesehen werden, hat man auch mit weiteren Reduktionsvokalen wie e, o und dem helleren Schwa indogermanicum secundum (geschr. o, oder b „Jerj“ [S. 84]) gerechnet. Die Reduktion der Langdiphthonge soll bi bzw. bu ergeben haben, die aber einzelsprachlich als fbzw. ü erscheinen. Fast ebenso problema¬ tisch ist die Annahme der Diphthonge di, du. die überall ai, au ergeben haben sollen.

2

Halbvokale: i [j], u [w]

Hh H2, H3 (s. 71 ff.)

In der englischsprachigen Literatur, z.T. auch in der deutschen und französischen, wird oft aus drucktechnischen Gründen für iy (im Dt. j) und für u w (im Dt. veraltet v; s. S. 307 in Schleichers Fabel, Anhang 1) geschrieben. Ich behalte die Schreibung / und ubei, um den Leser an das fremdartige Schriftbild, wie es ja auch die großen Wörterbücher bieten, zu gewöhnen, außerdem aber auch um der Aussprache des bilabialen u [w] als dt. w [v] vorzubeugen.

69

3

Nasale: n, m

Liquide: r, l

Sie gelten gewöhnlich als Konsonanten, können aber auch als Zweit-Element in „Diphthongen“ (z.B. en, el, om, or) vokal ische oder halbvokalische Geltung haben (S. 138, § 24). Silbische Nasale und Liquide kurz lang

n, rp; r, 1 Hh EL, H3 (S. 134, §21) n, m; r, I

Die silbischen Nasale und Liquide (zur Aussprache vgl. man etwa cech. FN wie Vlk und Drdla) können wie ein Vokal silbentragend und akzentuiert sein; idg. *mr-tö-m ,Tod4 und *ul-nä ,Wolle1 sind zwei¬ silbig! Diese Phoneme haben in den Einzelsprachen sehr charakteristi¬ sche Veränderungen erfahren und gewöhnlich Sproßvokale hervorge¬ bracht, die meist vor den unsilbisch werdenden Nasalen und Liquiden zu stehen kamen: idg. *kldo- ,Gespaltenes4 > urgerm. *hulta- ,Holz‘. Die Vielfalt der Sproßvokale zeigt sich z.B. im idg. Vernei¬ nungspräfix (n-privativum) *n- > ai. a-, vor Vokalen an- (a-mrta- un¬ sterblich4), > gr. ö-, vor Vokalen äv- (ayvcoiog ,unbekannt4; sog. Alpha privativum in Wörtern wie A-theist, an-organisch...), > lat.cn- > in-(infans,Kind4 = ,nicht sprechend4), > gemeingerm. un- (nhd. un-schön, ne. un-even) usw. Man hat die Vielfalt dieser Sproßvokale auch zur Gliede¬ rung der Indogermania heranziehen wollen. Der Sproßvokal heißt mit einem Ausdruck der ai. Grammatiker Svarabhäkti-Vokal; es be¬ gegnen aber auch die Termini anaptyktischer und epenthetischer Vokal. Den Lautwandel selbst nennt man gewöhnlich Vokalanaptyxe oder -epenthese. Zu den langen silbischen Nasalen und Liquiden n, m, f, / S. 73, § 63.

4

Nur konsonantische Phoneme:

Occlusivae (Verschlußlaute):

labial dental palatal velar labiovelar

Mediae aspiratae

Mediae (purae)

Tenues (purae)

Tenues aspiratae

bh

b

ph

dh

d

P t

f

th

g’h

g

k’

k'h

gh g^h

g

k (t/i kV iqV)

kh (qh)

g-

kuh (q-h)

Die aspirierten Phoneme sind Verschlußlaute mit Behauchung; ph ist also nicht etwa als [f] wie in Telephon zu sprechen, sondern wie das P- bei pathetischer Aussprache des Wortes Pate, also [p']. Die nichtaspirierten Tenues (Tenues purae) sind wie die stimm70

losen Verschlußlaute im Italien, oder Frz. zu sprechen. Die Palatalität, hier durch ’ ausgedrückt (z.B. k’, g’h...), wird sonst meist durch hochgestelltes Böglein (z.B. k, gh...) bezeichnet. Die Schreibung q für k ist heute seltener geworden. In der Literatur wird die labiovelare Media aspirata bald g~h, bald ghv geschrieben. An sich ist dies gleichgültig, solange durch Hochstellen des u zum Ausdruck kommt, daß es sich um einen Labiovelar handelt. Schreibt man jedoch ghig so muß dies als velare Media aspirata + u verstanden werden (etwa in einer auf -gh endenden Wz., an die ein -u-Suffix tritt). Das ist allerdings etwas völlig anderes als ein Labiovelar, bei dem die velare Artikulation gleichzeitig mit der Lippenrundung erfolgt. Die Labiovelare sind also als gerundete Velare [gr], [g], [k], [kr], nicht etwa wie das dt. qu [kv] oder das engl, qu [kw] zu sprechen. 5

Frikative (Reibelaute) und Spiranten (Hauchlaute): 5

(z)

(ß)

H,

H2

H3

z ist kein eigenes Phonem, sondern Allophon des /s/ vor stimmhafter Konsonanz. Die Annahme eines /> beruht auf wenigen, schwer zu vereinbarenden einzelsprachigen Formen, in denen es nur nach k’ und k gestanden haben soll. Es wird heute kaum noch angesetzt. 6 Die „Laryngaltheorie“ wurde 1879 von F. de Saussure be¬ gründet und von H. Möller durch Vergleich mit ähnlichen Erscheinun¬ gen verbessert und weitergeführt. Möllers Versuch, auf diese Weise die Urverwandtschaft der sem. mit den idg. Sprachen aufzudecken, wird heute wohl allgemein abgelehnt, die Laryngaltheorie jedoch von sehr vielen, wenn nicht den meisten Indogermanisten akzeptiert. 6.1 Sie rechnet mit einem oder mehreren „Laryngalen“ (eigent¬ lich nur Kehlkopfreibelauten wie dt. [h] und sein stimmhaftes Pendant [fi], dann aber auch mit gutturalen Reibelauten wie [x] und [y] und dem laryngalen Okklusiv - engl, glottal stop, dt. Knacklaut [?]), die in der idg. Grundsprache oder der vorausliegenden frühidg. Periode vorhanden gewesen wären. Solche Laute gibt es in vielen Spra¬ chen der Welt (z.B. in Kaukasus-Sprachen). Die „Laryngale“ haben in gewissen Einzelsprachen Reflexe hervorgebracht, in anderen sind sie allerdings kaum oder gar nicht greifbar. Als graphisches Symbol der Laryngale schreibt man heute meist H (Hh H2, H3...) oder 9 (dh a2, 3?...). Man rechnet z.B. damit, daß die Laryngale unter Ersatzdeh¬ nung und Umfärbung der lautlichen Nachbarschaft geschwunden 71

seien. Viele der spätidg. Langvokale z.B. sind aus frühidg. Di¬ phthongen (Kurzvokal e + Laryngal) entstanden: e < eHh ä < eH2, ö < eH3; die anlautenden Kürzen e, a, o werden aus anlauten¬ dem Laryngal + e erklärt: e- < H7c, a- < H2e, o- < H3e. 6.2 Die „Laryngalisten“ stützen ihre Theorie vor allem durch das Heth., wo ein als h umschriebenes Keilschrift Zeichen häufig dort steht, wo man auf Grund des Sprachvergleiches H2 erwarten müßte. Abgesehen vom Heth. scheint der Laryngal nirgendwo in den Einzel¬ sprachen überlebt zu haben, jedoch gibt es eine Reihe indogermanist. Probleme, die unter Zuhilfenahme der Laryngaltheorie lösbar sind: die Ablaute der schweren Wz.n (S. 130ff.), die „attische Reduplikation“, die „prothetischen Vokale im Gr. und Arm.“ (gr. daxfip, arm. astl : lat. stella [< *sterla\, ahd. Stern). Auch für die oben angeführte vierte Konsonantenreihe der Tenues aspiratae werden die Laryngale verantwortlich gemacht: th < tH, ph < pH... Die Tenues aspiratae erscheinen als solche nur im Ar. und könnten dort eine Neuerung sein. Da im Gr. th und dh in & [f ], ph und bh in cp [p'j, kh, k’h, gh, g’h in x [k'j zusammengefallen sind, muß schon das Idg. die Tenues aspiratae besessen haben; sie werden in der Grundsprache aus Tenues + Laryngal des Frühidg. entstanden sein. Ein schlagendes Beispiel dafür ist: av. pantä (Nom. Sg.) .Pfad" < spät¬ idg. *pontäs < frühidg. **ponteH2s (der Laryngal folgte nicht unmittelbar auf dies blieb daher erhalten!), dagegen paQö (Gen. Sg.) < spätidg. *pnthas < frühidg. **pntH2-es (S des Diphthongs eH2 [S. 134]; der Laryngal folgte unmit¬ telbar auf -t und wandelte dies zu th\).

Da die sehr seltenen Tenues aspiratae im Germ., wie in den meisten Einzelsprachen, mit den Tenues (t, p, k’...) zusammengefallen sind und ihre Entstehung in frühidg. Zeit fällt, ist die Frage für die dt. E. von geringer Bedeutung. Die Laryngaltheorie mehr am Rande zu lassen, ist im Falle der dt. E. schon deshalb berechtigt, weil es keine Erscheinungen in der germ. Sprachentwicklung gibt, die die Annahme zugrundeliegen¬ der Laryngale erzwingen. Was man hier anführte („goto-nord. Ver¬ schärfung“ [S. 111], das e2 [S. 92, § 12] usw.), läßt sich auch anders erklären. Die germanistische diachronische Linguistik hat die Laryngal¬ theorie bisher so gut wie nicht zur Kenntnis genommen: keine der großen Standardgrammatiken nimmt, wenn sie auf das Idg. eingeht, auf sie Bezug. Auch in den neueren e. Wörterbüchern finden sich keine laryngalistischen Ansätze. Um nicht den Anfänger in der E. durch einen allzu abrupten Kontinuitätsbruch zu verunsichern, verwende ich in Hin¬ kunft die „spätidg.“ laryngallosen Ansätze, werde jedoch bei der Dar¬ stellung der Wz.-Theorie (S. 128ff.) und des Ablauts (S. 132ff.) auf die 72

Laryngaltheorie zurückkommen. Dabei gilt, auch wenn es nicht eigens erwähnt wird: alle durch * oder ** bezeichneten laryngalhaltigen Ansät¬ ze sind „trühidg.“, die in den Wörterbüchern und Grammatiken vor¬ kommenden traditionellen Ansätze „spätidg.“. 6.3 Idg. rj, m, f, /, deren Länge man heute meist auf ehemaligen Laryngal zurückführt (< nH, mH, rH, 1H), sind in den meisten Einzelsprachen mit den Kürzen zusammengefallen. Im Aind., Gr., Lat. ist ihre Entwicklung jedoch anders:

frühidg.

spätidg.

gr-

f {Hj fH2 fH3

f f

ap, pr), pä, pco,

l JHj \h2 1H3 rp VH, ipH2 ipH3 V pHj pH2 qh3

r r 1

J J J m w m m n 0

P P n 0

pa epe apa opo

aX, Xa Xr), eXe Xä, aXa X(ü, 0X0 a, ap pr), gpe pä, apa pco, opo a, av vt], eve vä, ava v©, ovo

ai.

lat.

r

or

> Ir, ür

germ.

> ur

)> rä

. r

ol > ul

> ir, ür

> ul

> lä .

a, am

em

> än

> mä

'

> um

.

a, an

J\

en > nä

ü

> un

.

Beispiele: spätidg. *g'ijtös (< **g’nH/tös) > gr. -yvipccx;, ai. jätäh, alat. gnätus (> lat. nätus), urgerm. *kundaz ,geboren' > himinakunds ,vom Himmel stam¬ mend'; spätidg. *grnom ( < **grH2nom) > lat. gränum, urgerm. *kurna- > ahd., nhd. körn; spätidg. *strtös (< **strH3tös) > gr. orpcoTÖc;, lat. strätus ,hinge¬ streut'; spätidg. *ulnä (< **uloH:neH2) > gr. (dor.) Xavoq, ai. urnä, lat. läna, urgerm. *uulnö > *uolla (S. 88, § 2f.; 102, § 37.2) > ahd. wollet > nhd Wolle. Die zweite Möglichkeit der Vertretung im Gr. -sve- usw. z. B. in spätidg. *g'[ttis (< **g’nH/-) > gr. yevsau;, lat. näti-o; ob gr. evs oder vrg eps oder pp scheint vom Akzent abhängig.

Wie sehr die Laryngaltheorie das Bild des Idg. verändert, läßt sich aus der im Anhang 1 angefügten laryngalistischen Übersetzung der „Schleicherschen Fabel“ ersehen (S. 308).

73

7

Idg. b muß sehr selten gewesen sein und im Anlaut so gut wie ganz gefehlt haben (S. 243, § 8.3). In jüngster Zeit (1973) haben V. Ivanov und Th. Gamkrelidze aus dieser Tatsache und aus sehr beachtenswerten sprachtypologischen Überlegungen den Schluß gezogen, daß das rekonstruierte idg. Okklusiv-System völlig umstrukturiert werden müsse. An Stelle der Tenues wären Tenues aspiratae (mit stellungsbedingten Tenues-Allophonen), an Stelle der sonst rekon¬ struierten Mediae seien „glottalisierte“ Tenues zu setzen, die Mediae aspiratae hätten stellungsbedingt nichtaspirierte Medien als Allophone neben sich. „Glottalisiert“ heißt: mit Verschluß der Stimmritze (Glottis) artikuliert, d.h. es wird nur die im „Ansatzrohr“ oberhalb der Stimmritze befindliche Luft, vor allem die im Mundraum, bei der Explosion herausgestoßen. Solche glottalisierte Rei¬ hen gibt es in Kaukasus-Sprachen, und gerade dort fehlt auch das glottalisierte p im Phonemsystem (aus lautphysiologischen Gründen). Gamkrelidzes Okklusivensystem sieht also so aus (die konventionell angesetzten Okklusiven in Klam¬ mern: ° = Glottalisierung): (b) (d)

bh/b (bh) dh/d {dh)

(g)

gh/g

(gh)

ph/p (P) tht (0 kh/k (k)

(ph) (th) (kh)

Gamkrelidzes System, das zu einer Revision des bisher rekonstruierten Idg. führen müßte, wird bisher von der Mehrheit der Indogermanisten wohl (noch?) kühl bis ablehnend aufgenommen. Es wäre auch zu fragen, wie es sich zur laryngalistischen Erklärung der Tenues aspiratae (S. 72) durch J. Kurylowicz (1935) verhält. Wenn schon für die Grundsprache Tenues aspiratae angenom¬ men werden, so fällt ein Teil von Gamkrelidzes sprachtypologischer Argumenta¬ tion weg. Der Germanist wird die Entscheidung der Indogermanisten, wie sie sich in Zukunft zur Gamkrelidze-(Ivanov-)schen Theorie verhalten werden, abwarten müssen. Es wurde auch vermutet, daß die Mediae aspiratae eine ar. Neuerung und aus idg. stimmlosen oder stimmhaften Frikativlauten entstanden seien (also: ar. dh < \) oder ö). Doch hat sich die u.a. von A. Walde und E. Prokosch vertretene Auffassung nicht durchgesetzt.

8

Neben der Laryngalentwicklung und den möglicherweise mit der Glottalisierungstheorie im Zusammenhang stehenden Lautgesetzen ist der „Primäre Berührungseffekt“ als ein schon idg. Vorgang hier zu erwähnen: Vor einer Tenuis oder s wird eine Media (pura) zur Tenuis (= PrimBer.); z. B. idg. *reg'~ ,gerade richten, lenken“ + to- > *rek'to- > av. rästa (s. S. 81), gr. öpsxtöq, lat. rectus (e statt e durch „Lachmanns Regel“ [?]), got. raihts [rsxts], ahd. reht > nhd. recht, Recht; frühidg. H2ueg-s vermehren, zunehmen“ > *(a)ueks- > ai. vaksäyati, got. wahsjan, nhd. wachsen. Konsequenterweise: d+1 > tt (so im Ai. erhalten), doch erscheint statt dessen lat., kelt., germ. 55, aber slaw., gr. st (S. 86, § 21.3). Der Ausdruck „Primärberührung““ ist vor allem in der germanist. Linguistik üblich.

74

Weitere schon idg. Erscheinungen, wie s-mobile, Wz.-Varianten und -Determinative sind im Zusammenhang mit der Wortbildung behandelt. 9 Altindisch: Vokalismus:

Anmerkung: Die Länge der aus den Diphthongen ai und au stammenden e und 5 wird, da es keine Kurzvokale gibt, mit denen sie verwechselt werden könnten, nicht bezeichnet: ai. e und ai. o sind also immer Langvokale.

10 Die Halbvokale, Nasale und Liquide bleiben zunächst unverändert, [j] wird y, [w] wird v geschrieben. Konsonantismus:

idg.

ai.

p

t

k’ k kV ph th (k’h)

Y A

kh k^h b

d

g’ g gV bh dh g’h gh gVh s

p

t

s

k

c ph th

kh

f>

d j

phon. [p

t

£

k tj p' t'

k'

b

d d3 g

g

bh dh h

gh

s

s

b' d'

g'

s

g]

fi

Zur Transkription der ai. Laute: i, alveolo-palataler stimmloser Reibelaut [£] wird in frz. Grammatiken und Wörterbüchern mit p wiedergegeben, s, retroflexer(= „cerebraler“ = „cacuminaler“ = „lingualer“) stimmloser Reibelaut [§] wird in engl. Grammatiken und Wörterbüchern durch sh bezeichnet.

11 Charakteristische Lautgesetze des Ai. 11.1 „Palatalgesetz“: k und g und gV, gh und g^h > ai. c [tj], / [d3], h [h], wenn sie vor F, y [j], a (aber nur wenn < idg. e) standen; idg. *k^e ,und‘ > *ke > ce > ca (Palatalisierung vor idg. e), dagegen 75

ohne Palatalisierung: idg. *k^od ,was' > ai. kad, lat. quod, urgerm. *huat > ahd. (h)waz > nhd. was. Das Palatalgesetz beweist, daß der ai. Vokalismus gegenüber dem lat. und gr. jünger ist und daß es daher unberechtigt war, ihn für die Ursprache zu beanspruchen (s. S. 49 und Schleichers Fabel [Anhang 1]). 11.2 Entstehung der „Cerebralen“. Diese mit zurückgekrümmter Zun¬ genspitze und nach unten durchgebogener Mittelzunge ähnlich den „emphati¬ schen“ Lauten des Arab. realisierten Phoneme bilden eine eigene Reihe neben der Dentalreihe.

(a) r, l + Dentale (t, d, th, dh, n, s) > Cerebrale /, d, th, dh, n, s, [t, 4’ t\ 4^ iß f>] mit oder ohne Erhaltung des davorstehenden Liquids. (b) „ruki-Regel“: 5 wird nach r, u, o (< au), k, i, e (< ai) > s. Das Lautgesetz hat also vor der Monophthongierung von au und ai gewirkt. (c) Assimilation: s (z) + Dentale t, d, th, dh, n > s (z) + Cerebrale /, d, th, dh, n. In der Verbindung zd(h) schwindet z unter Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals: idg. *ni-zd-os ,Ort zum Niedersitzen = Nest' > *nizda- (nach Regel (b)!) > *nizda- > ai. räda- (Ersatzdehnung des /!) : nhd. Nest. (d) s (< idg. k') + t > st; idg. *ok’töu ,8‘ > ai. astau : got. ahtau, nhd. acht. 11.3

Idg. / kann als ai. / oder r erscheinen: idg. *mel- ,Fleck' > ai. mala-,Schmutz...' : ahd. mäl > nhd. Mal; aber auch idg. *ghel- .gelber Farbton' > ai. har-i- .goldig, gelb' : lat. helvus, ahd. gelo, nhd. gelb. 11.4 Das „Graßmann sc he Gesetz“ (= Aspiratengesetz = Hauchdissimilation): Eine idg. Aspirata verliert im Anlaut einer Silbe ihren Hauch, wenn die Silbe mit einer Aspirata schließt oder die folgende mit einer Aspirata beginnt. Dieses Gesetz wirkt sich vor allem in der Reduplikation aus: ai. dadhämi .ich setze' statt + dhadhämi zu ai. dhä- < idg. *dhe- .setzen, machen'. Das Graßmannsche Gesetz herrscht auch im Gr.: xiOr|gi (ti-t'emi) ,ich setze' statt +9idr|pi (tri-tremi); nicht hingegen im Germ.: ahd. teta ,er tat' < idg. *dhedhet. 11.5 Das „Bartholomaesche Gesetz“: Media aspirata + Tenuis > Media + Media aspirata: z. B. zu ai. labh- .fassen' : labdha,gefaßt' < *labh-to-. Es ist umstritten, ob das Bartholomaesche Gesetz nicht auch im Germ. Spuren hinterlassen hat. Es wird z. B. angeführt: idg. *kugli-ti-s .Denken' > *kugdhis > got. (ga-)hugds, ahd. (gi-)huct .Gedächtnis'. Diese Erscheinung deutet vielleicht darauf hin, daß das Vorgerm, das erste Stadium des Bartholomaeschen Gesetzes, die Assimilation z. B. gh + t > ghdh, noch mitmachte, jedoch nicht mehr 76

den zweiten Schritt (Dissimilation ghdh > gdh), den ich als einen Spe¬ zialfall des Graßmannschen Gesetzes ansehen möchte.

11.6

dd(h) > d:d(h) > zd(h). Der eingeschobene Übergangslaut ;

verdrängt den ersten Dental und schwindet selbst unter Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals (ähnlich wie 2c!). Auch hier hat das Vorgerm, offensichtlich den ersten Teil des Lautgesetzes mitge¬ macht: idg. *mad-do- > *mad:do- > *mazdo- > ai. meda(s)- ,Fett' (e < az) zu idg. *mad-,triefen1 (lat. madeo ,triefe'); aber vorgerm. *mazdo > ahd. mast ,Mast‘. 11.7

Nasal + s, s, s, h > ms, ms, ms, mh. Der Anusvära m bezeichnet die Nasalierung des Vokals, auf den er folgt: idg. *ang’hos- ,Beklemmung' > ai. arinhas- [alias] : lat. angor ,Enge der Kehle, Angst' : ahd. angus-t > nhd. Angst. 11.8 Auslautend -s und -r > -h (Visarga): idg. *poterrp (Akk. Sg.) > ai. pitaram ,(den) Vater', aber idg. Später (Voc. Sg.) > pitah ,(oh) Vater!' fpitah], idg. *ek'^o-s > ai. äsva-h ,Pferd' : lat. equus.

11.9 Der Sanskrit-Akzent ist ähnlich dem lat. festgelegt: er liegt auf der vorletzten Silbe (Paenultima), wenn diese natura oder positione lang ist (S. 67); ist sie kurz, auf der drittletzten Silbe (Antepaenultima). Im Unterschied zum Lat. kann er aber auch die viertletzte Silbe treffen, wenn sie Wz.-Silbe ist und Antepaenultima und Paenultima kurz sind. Dagegen war der ved. Akzent frei, d.h. für jede Form individuell bestimmt, und muß daher eigens bezeichnet werden. Da er in sehr vielen Fällen mit dem gr., balt. und slaw. zusammenstimmt, ist anzunehmen, daß er den idg. Akzent fortsetzt. Für die germ. E. ist er von großer Wichtigkeit, weil die idg. Akzentuierung lautliche Spuren (VG; S. 99f.) hinterlassen hat: ved. pitär- ,Vater' : urgerm. *fadar > ahd. fater, aber ved. bhratar-,Bruder': urgerm. *bröpar > ahd. bruoder. Vgl. auch zum Akzent u. S. 100.

12

(Alt-)Griechisch:

Vokalismus:

idg.

e

i

o

o

u ap, pa aX, Xa ä r|

i

co ü at et oi au eu ou

a

y

j

o

a s

i

phon. [a e

i

gr.

f

1

a

u ai ei oi au eu ou

a:e:e: i: o: u: ai ei oi au eu ou]

77

Dialektales und zur gr. Schulaussprache: Idg. a > gr. a gilt nur im Dor. und Äol. unumschränkt. Im Ion.-Att. ist idg. ä in den meisten Stellungen > r| geworden; r| ist dann offen zu sprechen. Die Schulaussprache des r| ist meist [e:], die des so fälschlich [oo], Gr. gi wurde im Ion.-Att. [e:] gesprochen. Die Schulaussprache ist [ei]. Gr. ou wurde im Ion.-Att. [u:] gesprochen, wie auch in der Schulaussprache. Schon im Laufe der Antike fielen, wie noch heute im Ngr., rj, ei, oi, ü, i, p, r\, i, T in [i(:)] zusammen, eine Erscheinung, die Itazismus (Ita-zismus, nach der spätgr. Aussprache des klass.gr. r| [s:ta] als [i:ta]) genannt wird und bei der (häufigen) Entlehnung gr. Wörter eine wichtige Rolle spielt. Auf die sonstigen Veränderungen zum Ngr. ist hier nicht einzugehen. Die Entwicklung der idg. Langdiphthonge ist uneinheitlich. Zum Teil sind sie im Agr. erhalten. War i der Zweitteil des Diphthongs, so ist es früh verstummt, aber in der Schreibung als Iota subscriptum (a, 13, cp) oder (gleichwertig) als Iota adscriptum (cu, rp, cm) noch erhalten. Agr. u und ü sind schon in der Antike in vielen Dialekten als [y] und [y:] gesprochen worden.

13 Die Nasale und Liquide bleiben weitgehend unverändert, je¬ doch -m im Wortauslaut > v (desgleichen nach Kurzvokal im Germ.!). 14

Konsonantismus:

>dg.

p t k'

k kV ph th

k’h

kh

k^h

b d g‘

g gV

bh dh

g'h

gh g^h

s

Die Schulaussprache ist z.T. die ngr.: cp als [f], x als [x] oder [<;], 9 als [th] oder [t'] (ngr. aber [0]).

Charakteristische Lautgesetze des Gr. 14.1 Idg. s im Anlaut vor V., im Inlaut zwischen V. und in bestimmten Konsonantenverbindungen > h, das im Inlaut schwand und nur im Anlaut durch ' (Spiritus asper) bezeichnet wird: idg. *septifi> gr. ertia. 78

ai. saptä, lat. septem : got. sibun, nhd. sieben. Ist der Anlaut vokalisch, also kein [h] zu sprechen, so wird dies durch ’ (Spiritus lenis) bezeichnet. 14.2 Sehr differenziert ist die Entwicklung der idg. Labiovelare, die z.T. im Linear-B-Gr. (Mykenisch) noch erhalten sind, im Ion.-Att.:

ÄT, k^h

S~u

g-h

vor dunklen Vokalen

n

vor hellen Vokalen

1

ß 5


vor Konsonanten und in Nachbarschaft von u

X

Y

X

14.3 Im Auslaut gibt es nur -v (< idg. -n, -m; s. § 13), -p (< idg. -r) und -q (< idg. -5). -q ist die im Auslaut verwendete Schreibvariante für sonst übliches a. So wie die stellungsgebundenen Phonemvarianten (z.B. nhd. schriftsprachl. [9] nach i in [ig], aber [x] nach a in [ax]) Allophone genannt werden, so die stellungsgebundenen Graphemvari¬ anten, wie etwa j- und £ in der dt. Kurrentschrift, Allographe. 14.4 Gr. o im Anlaut vor Vokalen steht meist in Fremdwörtern (gr. octxxo<; ,Sack‘ [S. 258]), in echt-gr. Wörtern ist es selten und geht meist auf bestimmte Konsonantengruppen (wie z.B. xF) bzw. auf analogischen Ausgleich zurück. Auch intervokalisch ist es entweder sekundär wie in den „sigmatischen“ (d.h. mit g -[ = Sigma]Suffix gebildeten) Verbalformen restituiert (8(ptkr|oa ,ich liebte1 nach sypacpa, d.h. egrap-sa, ,ich schrieb1) oder aus bestimmten Konsonanten¬ gruppen wie y (s.o. ys-vsou;), og (< 9/; gr. psg(g)oc; < *ps9jo<;: lat. medius; S. 83, § 18.2) u.a. entstanden.

14.5 Das Graßmannsche Gesetz wirkt wie im Ai. (s. S. 76). Da jedoch die Mediae aspiratae und die Tenues aspiratae in Tenues aspiratae (cp, 9, x) zusammengefallen sind, können im Gegensatz zum Ai. nach der Hauchdissimilation nur Tenues (nie Mediae) erscheinen: idg. *bheudh,erwachen, wahrnehmen4 > gr. 7ts69o|uai,nehme wahr4, aber ai. bödhati ,er erwacht, nimmt wahr4. 14.6 Die Halbvokale: idg. i > urgr. j (Jot) ist aber später teils ' [h], teils t, [dz] geworden: idg. *iero-/iöro- Jahr4 > gr. cbpoq, got. jer [je:r], nhd. Jahr, aber idg. *iugöm Joch1 > gr. (J)yöv, ai. yugäm, lat. iugum, got. juk, nhd. Joch. Idg. u > urgr. F (= Vau = Di-gamma) blieb bis in die hom. Zeit erhalten, ist dann aber geschwunden: z.B. idg. *uoida ,ich weiß1 > urgr. *Foi8a > gr. ol5a, ai. veda, got. wait, nhd. (ich) weiß. 79

14.7 Treffen Vokale aufeinander, so treten Kontraktionserscheinun¬ gen ein, für deren Regeln auf die einschlägigen Grammatiken verwiesen wer¬ den muß.

14.8

Die Akzentsetzung und die Hilfszeichen (wie die Spiri¬ tus) stammen zwar erst aus alexandrinischer Zeit (Aristophanes v. By¬ zanz) und wurden um 400 n. Chr. reformiert (Theodosius v. Alexan¬ drien), dennoch setzt der gr. Akzent in vielen Fällen idg. Verhältnisse fort. Beim gr. Akzent, der zugleich Tonhöhen- und Druck¬ stärkeakzent ist, werden drei Typen unterschieden: der steigende Ton (Akut)', der fallende Ton (Gravis)’ und der steigend-fallende Ton (Zirkumflex), der zuerst'’, dann', dann' (so heute) bezeichnet wird. Wo der Akut mit dem ved., slaw., lit. und vorgerm. (S. 99f.) Akzent übereinstimmt, liegt sicher noch der idg. Zustand vor. In diesem Sinn ist auch für die germ. E. die gr. Akzentuierung von größter Wich¬ tigkeit. Umstritten ist die Frage, wie sich der gr. Zirkumflex zum lit. Schleifton verhält und ob in jenen Fällen, wo sie nicht übereinstimmen, das Lit. oder das Gr. die idg. Verhältnisse besser bewahrt hat oder ob schließlich Zirkumflex und Schleifton erst einzelsprachlich entstanden sind. Gewiß ist, daß sowohl im Gr. als im Lit. Zirkumflex und Schleifton vor allem dort stehen, wo alte Vokalkontraktionen vorliegen: idg. *alg-häs (< *alg-hä + es [= Kasussuffix des Gen. Sg.]) > gr. aLcpfjg .des Gewinnes1 = lit. algös .des Lohnes“. Da der Schleifton bzw. Zirkumflex vor allem bei den gebundenen Morphemen (Endun¬ gen) vorkam, wird der Etymologe selten mit seiner Rekonstruktion zu tun haben.

15

Lateinisch:

Vokalismus:

idg.

a

e

i

o

u

9 ippjf

alat.

lat.

a

e

i

o

phon.

[a

e

i

o u

80

u em en ul or

a

e

ä

e

ä

e

a: e:

Die dt. Schulaussprache des Lat. entspricht weitgehend der historischen, wenn man davon absieht, daß die Vokalquantitäten leider vom klassischlat. Standpunkt aus vielfach falsch, d.h. in vlt. oder mit. oder gar dt. Ma¬ nier gesprochen werden; so wird Kurzvokal in offener Silbe vielfach als Lang¬ vokal gesprochen, was für das e. Verständnis (aber auch für das der lat. Metrik) schädlich ist: so heißt es oft [pa:ter], [ro:sa]... statt richtig [pater], [rosa]... Umgekehrt wird in der Schulaussprache vor mehrfacher Konsonanz die Länge zu unrecht gekürzt: [rektus], [nulus]... statt richtig [re:ktus], [nudus]... Lat. ae [ae] wurde schon in vorchristlicher Zeit dialektal als [s:] realisiert. Die diphthon¬ gische Aussprache aber blieb unter den Gebildeten Roms bis ins 3. Jh. n. Chr. üblich. Danach herrschte die monophthongische Aussprache, wie sie an unseren Schulen gelehrt wird. (Als der Name Caesar > urgerm. *kaisar entlehnt wurde, war ae noch Diphthong!)

16 Der Lautwandel, den das Idg. im Lat. erfährt, ist wesentlich kom¬ plizierter, als es auf Grund der obigen Skizze den Anschein hat. Das Lat. hat eine außerordentliche Fülle von kontextsensitiven Lautgesetzen mit¬ gemacht, die hier unmöglich auch nur annäherungsweise vollständig dargestellt werden können. Ich greife hier - wie auch beim Konsonantis¬ mus - nur einige wenige Lautübergänge heraus, die den Anfänger in der E., weil sie gerade in häufig verglichenen Etyma begegnen, erfahrungsge¬ mäß oft verwirren: 16.1 Die „Lachmannsche Regel“: Im Part. perf. wird beim Zu¬ sammentreffen von idg. Media (pura!) mit folgendem t ein vorhergehen¬ der Kurzvokal gedehnt. Es heißt also agere ,treiben4 (< idg. *ag’-) : äctus ,getrieben1, legere ,lesen4 (< idg. *leg’-): lectus ,gelesen4. Daß dies eine Neuerung des Lat. ist, legt die Gleichung rectus = nhd. recht. Recht nahe. Die „Lachmannsche Regel44 ist nicht allgemein anerkannt (s.o. av. rasta S. 74, § 8). 16.2 e + Nasal + Guttural > i + Nasal + Guttural: idg. *penk^e ,54 > lat. quinque (F statt i ist sekundäre Neuerung, auch qu- für p-), gr. TC8VT8, got. fimf (< vorgerm. *pempe), nhd .fünf. o + Nasal -I- Guttural > u + Nasal + Guttural: idg. *ongv-en,Salbe, Schmiere4 > lat. unguen(tum) ,Fett, Salbe4, ahd. ancho, mhd. anke, nhd. dial. Anke ,Butter4. 16.3 e > o vor u-Anlaut der Folgesilbe: idg. *neun > lat. novem, gr. ev-ve(F)a, got. niun, nhd. neun. 16.4

Idg. oi nach wund zwischen / und Labial > alat. ei > lat. T: idg. *uoida (s. S. 79) > lat. vidi’, idg. *loimos ,Schlamm4 > lat. limus ,Kot‘, ahd. leim > nhd. dial. [la:m], nhd. schriftspr. Lehm (mit ostmitteldt. [e:] S. 60, 62, § 6.2 und S. 262f.). 81

17

Die idg. Nasale und Liquide sind erhalten.

Vor o schwindet u überhaupt, wenn es nicht im absoluten Anlaut ( = Wortanfang) steht: idg. *suoid-os ,Schweiß4 > urlat. *soidos > lat. südor, urgerm. *suait- > ahd. sweiz, nhd. Schweiß. Der Halbvokal / ist im Anlaut erhalten. Intervokalisches i ist ge¬ schwunden: idg. *treies ,3‘ > urlat. *tre-es > lat. tres, urgerm. *pris > ahd. dri > nhd. drei, idg., alat. deiuos .Himmelsgott4 > *deios > *deos > deos > lat. deus, urgerm. *tiuaz, aisl. Tyr, ahd. Ziu ,Name des Kriegs-, Rechts- und Himmelsgottes4. Aber Gen. Sg. *deiui > lat. divi: danach zu deus, dei ,Gott4 und divus, dm ,göttlich4 ausgeglichen.

18

Konsonantismus:

idg.

p

t

k’ k kv

lat.

p

t

c

qu

phon.

[p

t

k

k

ph

th k'h kh kvh

b d g’ g gv bh dh g’h gh

gvh s

Das lat. [k], gewöhnlich c geschrieben, hatte bis ins 5./6. Jh. n. Chr. in allen Stellungen, also auch vor hellen Vokalen, den Lautwert einer stimmlosen Okklusiva. Die heute noch oft praktizierte Schulaussprache ['tsitsero] statt [’kikero] Cicero ist mit. Die lat. Lehnwörter im Germ, weisen in ihrer ältesten Schicht noch auf lat. [k] (S. 246). Lat. [w] v wird vom 1. Jh. n. Chr. an immer häufiger als [ß] gesprochen und mit intervokalischem b, das etwa gleichzeitig zur Frikativa [ß] wurde, verwechselt (bibere ,trinken* und vivere .leben*). Auch [j] erfuhr ein analoges Schicksal. Es wird dann teils z(i), di, gi geschrieben. Lat. [h] war nicht so stark gesprochen wie dt. [h]. ln der Volkssprache schwindet es schon in vorchristlicher Zeit.

Charakteristische Lautgesetze des Lat. 18.1

Idg. bh im Anlaut > /, im Inlaut > -b-\ idg. *bherö ,ich trage4 > \2X.fer0, gr. (pepto, got. baira ['bera], ne. bear, nhd. (ge)bäre, ai. bhar-ämi ,ich trage4; idg. *nebh(e)l- .Wolke, Nebel* > lat. nebula (u = Svarabhaktivokal aus /; S. 70), ahd. nebul (u = wie im Lat.; S. 88, § 2) > nhd. Nebel, gr. v£cpeA,r) ,Wolke4. 18.2 Idg. dh im Anlaut > urital. \) [0] > lat. f, im Inlaut in der Nachbarschaft von r, l, v > -b-, in allen anderen Stellungen > d: idg. *dhe-lä .Mutterbrust4, *dhi-lo- .Zitze4 > *felios ,der zur Mutterbrust 82

Gehörige —> Säugling —» Sohn1 > lat.ßlius (e > /"vor / der Folgesilbe assimiliert) und lat. felläre ,saugen1, ahd. tila ,weibliche Brust1; idg. *uerdh- ,Wort‘ > lat. verbum, urgerm. *uurda- (Schwundstufig [S. 125, § 7], mit Svarabhakti u. a-Umlaut [S. 88]) > ahd. wort > nhd. Wort; idg. *medh-io-s ,mittel1 > lat. medius, ai. mädhyah, gr. peaot; (< *peOjo<;), got. midjis ,mittel1, vgl. ahd. mitti > nhd. Mitte. 18.3 Idg. t + t (auch Ergebnis der Primärberührung; S. 74, § 8) > lat. ss, nach Langvokal, Diphthong, Konsonant aber > s\ idg. *uid-tos Partizip von *uid-,sehen1 > urlat. *uissos (/"statt /' nach vidi) > lat. visus, got. (unjwiss, nhd. (ge)wiß, aber ai. vitta-,erkannt1 (S. 98, § 34). Dieser Lautwandel ist dem Lat., Germ, und Kelt. gemeinsam. 18.4 Idg. du wird im Anlaut > b-, im Inlaut -v-: alat. duellum ,Krieg1 > lat. bellum. (Nhd. Duell stammt aus der im Mittelalter wieder hervor¬ gezogenen form duellum, in der man lat. duo ,2‘ zu sehen glaubte [Volks¬ etymologie; S. 229ff.], so daß die Bedeutung ,Krieg1 -> ,Zweikampf1 eingeengt wurde, während mit. bellum ,Krieg1 bedeutete.) Idg. *suäduis ,süß‘ > lat. suävis, as. swöti, ahd. suazi > nhd. süß. 18.5 Idg. g’h und gh im Anlaut vor Vokalen außer u > h; im Inlaut zwischen Vokalen > h; vor und nach Konsonanten > g\ z.B. idg. *g’hiiä-,gähnen1 > lat. hiäre, ahd. giert,gähnen1, mit n-Suffix ahd. ginen > nhd. gähnen', idg. *ueg’h-,fahren1 > lat. veho ,fahre1, ai. vähati,fährt1, ahd. (gi-)wegan, nhd. (be)wegen; idg. *(d)longhos > lat. longus, nhd. lang (der Grund für den Abfall des d- ist nicht sicher bekannt). 18.6 Idg. g’hu- > lat./w-: idg. g’hu- ,gießen1 (Schwundstufe; S. 132) > lat.fu-n-do ,ich gieße1 («-Infix s. S. 20 u. 189), ai. hu- ,ins Feuer gießen, opfern1, Vo (S. 130, § 16.1) idg. *g’heu- in gr. x^F)03 ,gieße\ got. giuta, nhd. gieße (älter: [ich] geuß). 18.7 Kompliziert ist die Entwicklung der Labiovelare: Die fol¬ gende Tabelle deckt den Großteil der Entwicklungen ab:

idg. kV im Anlaut

gy

gVh

qu V

f

im Anlaut vor u im Inlaut nach n

qu

gu

gu

in intervokalischer Stellung

qu

V

V

im Inlaut vor Konsonanten

c

g

g 83

18.8 Idg. -5- wird intervokalisch > -r-. Wo intervokalisches -5- im Lat. erscheint, geht es auf Analogie, Juxtaposition (nisi < ni si), Vereinfa¬ chung eines -ss- (causa < caussa, vJsus < *uissos', § 18.3) oder Dissimi¬ lation (miser statt * mir er) zurück. Dieser Lautwandel VsV > VrV (V = ein beliebiger Vokal) heißt „Rhotazismus“ (nach gr. p ,Rhö‘; vgl. die Wortbildung „Itazismus“; S. 78). Er begegnet auch in den meisten germ. Sprachen (S. 103, § 38; 292): idg. *as- ,brennen, glühen4 > lat. ära ,Brandaltar4 (unrhotaziert in osk. aasai ,in ärä4), ärea ,freier Platz, Tenne, eig. abgebrannte, trockene Stelle4, aisl. arinn .Er¬ höhung, Feuerstätte4, ahd. erin ,Diele, Boden1 > mhd. ern .Hausflur . 18.9 Idg. -zd- > lat. -d- unter Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals wie im Ai. (S. 76, § 11.2): idg. *ni-zd-os > lat. nidus ,Nest4. 19

Es gibt noch eine Fülle phonotaktischer oder/und akzentbedingter mehr oder minder häufiger Lautgesetze, die hier nicht angeführt werden können.

20

Altbulgarisch:

Vokalismus:

idg.

a

e

io

u

e s

? o ö

3

o ip p f l

ä e

I 5 ü ai ei oi au eu ou

abg.

phon.

e

33

a je i

ui

20.1 Zum Vokalismus: (1) Die „Murme 1 vokale44 b (= „Jerj“) [a] und u (= „Jär“) [a] sind für das Urslaw. und Aksl. charakteristisch. Sie sind zentral artikuliert und stehen etwa zwischen [i] bzw. [u] und [a]. Mit den Zeichen der API-Transkription (s. Anhang 2) sind sie nicht exakt zu beschreiben. Sie entstehen auch als Svarabhakti-Vokale aus / > /z>, lb und f > rb, rb. Doch ist b viel häufiger: idg. *mrtis .Tod' > aksl. (sb)mrbtb ,Tod4, lat. mort-is .Todes4, ai. mrtih .das Sterben;, urgerm. *murfxi- (< idg. *mrtom ,Tod") > ahd. mord > nhd. Mord. Ursprüng¬ lich standen die Sproßvokale vor r und / (nach den Formeln tbrt, tblt). Doch ist dieser Zustand nur noch im Aruss. erhalten. In allen anderen slaw. Sprachen ergab sich trbt und tlbt („Liquidametathese44; zur Metathese s. S. 108). 84

20.2 Urslaw. e und o werden vor Nasalen > q und g (Nasalvokale): idg. *g’hombhos > abg. zgbb, ai. jämbhah ,Zahn‘, gr. yöp(po<; ,Pflock4, ahd. kamb > nhd. Kamm (dial. Deminutivform Kampt).

21

Konsonantismus:

Die idg. Konsonanten erfuhren eine ziemlich weitreichende Umgestal¬ tung: 21.1 Idg. s (nicht das aus idg. k’(h) enstandene urslaw. 5!) wird nach /-Lauten (b, /, e [< idg. oi, ai]) und w-Lauten (b, u, y), nach r und k > urslaw. ch, wobei dieses ein davorstehendes k auslöscht: idg. *snusös (fern. o-Stamm!) ,Schwiegertochter4 > abg. snbcha, ai. snusä, gr. vuöq, lat. nurus (zv-Stamm!), ahd. snur > nhd. Schnur (veraltet) Schwieger¬ tochter4. Verhindert wird dieser Lautwandel durch auf das s folgende Konsonanten, meist t und k, ferner, wenn das davorstehende e aus idg. e stammt. 21.2 Palatalisierungen: 1. Pal.: Vor urslaw. e, e (< idg. e), f, £>, / (< idg. F, ei) wird g > z, k > c, ch > s : idg. *kerdhä ,Reihe, Herde4 > urslaw. *kerda > *cerda (1. Pal.!) > abg. creda (mit Metathese), ahd. herta > nhd. Herde; idg. *gerbh-,ritzen4 > urslaw. *gerbbjb > *zerbbjb > abg. zrebijb ,Los4, ahd. kerbcm > nhd. kerben, gr. ypcupco schreibe, ritze ein4 (schwundstufig [S. 132] aus idg. *grbhö). 2. Pal.: Vor /, abg. dz, später wie auch in den anderen Sprachen > z, k > abg. c, ch > abg. (süd- und ostslaw.) 85

s, westslaw. s\ idg. *ghoilos ,heftig, übermütig, lustig4 > abg. dzelb ,heftig4, aruss. zelb, acech. zielo ,sehr4, got. gailjan ,erfreuen4 (denominatives Verb [S. 178] zu urgerm. *gailaz > ahd., nhd. geil); idg. *kailos ,heil, unversehrt4 > abg. celb ,heil, ganz4, got. hails, ahd., nhd. heil; lat. Caesar > got. kaisar > abg. cesarb ,König, Zar4. 3. Pal.: Wenn kein labialisierter V. (y, u, o) folgte und wenn unakzentuiertes i, b, £ voranging, wurden g > abg. dz, später wie auch in den anderen Sprachen > z, k > c, ch > abg. (süd- und ostslaw.) s, westslaw. s: das idg. denominale -ko-Suffix mit /-Bindevokal: vorslaw. *at-ikö-s ,Vater4 (vgl. das ähnlich gebaute got. Att-i-la ,Väterchen4) > *ot-bkb > abg. ot-bcb ,Vater4 vgl. aisl. feö-ga-r ,Vater und Sohn4 < urgerm. *faöriga- : gr. 7iatpixö<; ,väterlich4. 21.3 Da das Urslaw. im Gegensatz zum Idg. nur offene Sil¬ ben kennt, treten eine Reihe von Lautgesetzen auf, die idg. geschlos¬ sene Silben in offene verwandeln. Dabei wird -st- (das aus idg. t + t und als Ergebnis der Primärberührung aus d+1 entsteht) zur folgenden Silbe gezogen. Zu offenen Silben führt auch die Liquidametathese (tbrt > trbt) und der Schwund eines Nasals unter Nasalierung des vorhergehen¬ den V. (s.o. § 20.2). Eine Okklusiva im Silbenauslaut geht gewöhnlich verloren: idg. *plek-t-,flechten4 > abg. pletg ,ich flechte4, ahd. flihtu, lat. plecto ,ich flechte4. 21.4 urslaw.

gemeinslaw. phon.

Weitreichende Veränderungen erfahren die Konsonanten vor /: /

rngkchszbpmud

abg. sbkr. osl. wsl. /’ i

h

z

c

[ t r ii 3 tj

bl’pl ml' vl’ zdz

J

b^p^mX.w^

363

A\

abg. sbkr. osl. wsl.

d

z

dz

st

c

c

c

d’3

3

dz

Jt

t’J

tj

ts ]

Das nach den Labialen erscheinende palatalisierte /' [/(] wird „epenthetisches l44 genannt.

86

VII

Überblick über die Phonologie des Germ, mit Blick auf die Entwicklung zum Nhd.

Vorbemerkung: Das Germ., insbesondere das Dt., erfordert natürlich eine sehr viel genauere Darstellung. Freilich kann, vor allem was die Beispiele betrifft, auch sie nicht völlig erschöpfend sein. Der Leser wird immer auch die Spezialdarstellung der Lautlehre in dieser Serie bzw. für Spezialfragen die einzelnen ausführlichen Grammatiken der germ. Sprachen und Dialekte konsultieren müssen. Hier kann nur ein detaillierter Überblick geboten werden. Durch die den Beispielen zugesetzten eingeklammerten Zahlen ver¬ weise ich auf die durchnumerierten Lautgesetze (Ziffern in Fettdruck) im Text, die sich zum größten Teil auch auf den schematischen Darstellungen finden; also z. B. (3) = a-Umlaut des u (S. 88, § 3). Bestimmte, meist kombinatorische Laut¬ gesetze haben sich allerdings nicht auf den Graphiken darstellen lassen. Auf das Fehlen in der Graphik wird in solchen Fällen durch + nach der Nummer des Lautgesetzes hingewiesen; also z.B. (44)+ = Auslautverhärtung (S. 105, § 44). Da es sich nicht vermeiden läßt, daß die Beispiele immer wieder auch verschie¬ dene Ablautstufen enthalten, ist es sinnvoll, wenn der Leser die S. 132-147 dieses Buches parallel zu den folgenden durchgeht.

Kurzvokale im Hauptton (Idg. > Nhd.): idg. urgerm. späturgerm. ahd.

mhd.

nhd.

Lautgesetze und Beispiele: 1

Zusammenfall von a, o, 9 > a (der auch die Diphthonge mit a, o, 9 als Erstelement betrifft!) findet auch in anderen idg. Sprachen statt (z.B. Lit.). Der Zeitpunkt des Zusammenfalls ist unbekannt, jedenfalls 87

vor aller Überlieferung; z.B. idg. *(d)longhos > urgerm. *langa- > ahd., nhd. lang (S. 83, § 18.5); idg. Später > ahd. fater (S. 21); idg. *ag’ros,Trift1 > urgerm. *akra- > got. akrs, ahd. ackar > nhd. Acker, ai. äjrah ,Flur', gr. dypoq, lat. ager ,Feld, Acker1. Idg. a war erstaunlicherweise verhältnismäßig selten. Ein urgerm. a geht in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auf idg. o zurück. Man wird also beim Etymologisieren immer zuerst Anschluß an idg. o, dann erst an 3 und a versu¬ chen!

2 Bei den silbischen Nasalen und Liquiden fallen, wie schon erwähnt (S. 73), Längen und Kürzen zusammen. Die Quantität läßt sich nur entscheiden, wenn ein ai., gr. oder lat. Etymon vorhanden ist. Der urgerm. Svarabhakti-Vokal u steht zunächst immer vor dem Na¬ sal oder Liquid (vgl. die urslaw. tr,r/-Stellung). Zu scheinbaren Umstel¬ lungen (Metathesen) kommt es nur im Zuge paradigmatischer Analogie (S. 50). Die Zeit des Lautwandels ist unbekannt. In den frühesten Belegen ist er schon vollzogen; z.B. idg. *mntis ,Denken, Meinung' > urgerm. *mundi- > got. (ga)munds ,Andenken1 : ai. matih .Gedanke1, alat. mentis > lat. mens ,Geist1 (sekundäre Dehnung wie in qulnque\ S. 81), abg. pa-mgth ,Andenken1, lit. mintis ,Gedanke1. 3 Innerhalb der urgerm. Periode findet der a- Umlaut statt, der in allen germ. Sprachen, mit Ausnahme der ostgerm., Spuren hinterlassen hat. Ein urgerm. «, ö, e (= ej = ce [«*]) der Folgesilbe senkt urgerm. u > o und urgerm. i (< idg. i) > e. Nasal (N) + Konsonant (K) oder i der Folgesilbe verhindern den Vorgang: uKa > oKa, iKa > eKa, uNa > oNa, iNa > eNa aber: uNKa > uNKa, iNKa > iNKa, uKia > uKia, iKia > iKia. Während der «-Umlaut u > o regelmäßig auftritt, ist i > e sehr unregelmäßig (S. 140). Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt. Ein Sonderfall des «-Umlautes ist vielleicht urgerm. ei > e2 (S. 92). Der «-Umlaut wird auch oft (germ.) («-)Brechung genannt. Z.B.: idg. *m[t(r)öm .Tod' (S. 70) > urgerm. *murö(r)a > ahd., nhd. mord, got. maürpr [morOr] : ai. mrtä- .Tod'; idg. *uiros .Mann' > urgerm. *uira- > ahd., ags. wer .Mann' > nhd. Wer( wolf) .Mann, der als Wolf umgeht', aisl. verr, got. wair [wer] : lat. vir .Mann', air. fer .Mann' (mit air. «-Umlaut!). In diesen Beispielen hat auch das Got. [o] und [e], doch ist dies nach einem innergot. Lautgesetz durch das folgende r hervorgerufen (got. Brechung; S. 111), dage¬ gen: idg. *bhudhonös Verbaladjektiv (S. 140) zu *bheudh- .bieten' > urgerm. *budana- > ahd. (gi)botan > nhd. geboten aber got. ana-budan .entboten'.

4 Urgerm. /-Umlaut (Tonerhöhung, Palatalisierung, gelegentlich veraltet: Vokalharmonie) und Nasal-Umlaut: urgerm. e (< idg. e) 88

wird vor /, 1 der Folgesilbe, aber auch ganz allgemein vor Nasal (N) + Konsonant, der auch N sein kann (= gedeckter oder tautosyllabischer [= zur selben Silbe gehöriger] Nasal) > /; also eKi > iKi, eKi > iKi, eNK > iNK. Ein Sonderfall des /-Umlautes ist wohl urgerm. ei > ii > i (S. 92, § 13). Zeit: urgerm. Periode, viell. 1. Jh. n. Chr. Z.B.: idg. *medhios ,mittel1 > urgerm. *meöia- > *miöia- > ahd. mini ,der mittlere1 (S. 83); idg. *krengho- ,Ring‘ > urgerm. *hrenga- (> finn. rengas .Ring1; Entlehnung aus dem Urgerm.!) > *hringa- > ahd. (h)ring > nhd. Ring, as., ags. hring, aisl. hringr : abg. krggi,,Kreis1 (abgetönte Vollstufe; S. 133f.).

5

Ersatzdehnung: Urgerm. inh, anh, unh > Th, äh, üh; urgerm. enh konnte es wegen (4) nicht geben (es war zu inh geworden), urgerm. onh konnte es nach (3) («-Umlaut von u durch NK verhindert) und nach (1) nicht geben. Zeit: urgerm. Periode nach (1), (2), (3), (4). Idg. *tenkö ,werde fest1 > urgerm. *jjenha > *Jjinha > *piha > ahd. (gi)dThu > nhd. (ge)deilie: lit. tänkus,dicht1 (Abtönung, S. 133 f.); idg. *pak- ,festmachen' > urgerm. *fa-n-h-an (Nasalinfix!) > *fähan > ahd., nhd. (veraltet) fahen ,fangen1 : lat. pac-Tscö ,mache einen Vertrag fest1 (ohne Nasalinfix), päx friede1 (< *pdiks)-, vorgerm. *tnktö > urgerm. *{mnhta > got. frühta, ahd. dühta > mhd. dühte (dazu der Optativ diuhte [’dy^ta], der nhd. deuchte ergab). Wie -nliwirkt auch -nh~.

6

Ahd. /-Umlaute: Hier werden gewöhnlich mehrere Phasen un¬ terschieden: Primärumlaut, Sekundärumlaut und Restumlaut. Primärumlaut: Urgerm., ahd. a > ahd. e vor ahd. /, j, T (jeder Herkunft) der Folgesilbe. Dieses neue e ist geschlossener als urgerm. e. In Grammatiken und Wörterbüchern wird dies durch diakritische Zei¬ chen zum Ausdruck gebracht: urgerm. e (< idg. e, i) > ahd. e [e], aber urgerm. ci > ahd. a > ahd. e [e] (Primärumlaut): ahd. cisti > ahd. esti (> nhd. Äste mit „etymologischer Schreibung11 des [e]; S. 296). Von diesem Umlaut sind vor allem die /-Stämme (/-Deklination), bestimmte Personalformen des Verbs und ganz allgemein jene Fälle betroffen, wo vor Suffixen ein altes oder durch Abschwächung (s. 53.6) entstandenes / als Bindevokal vorhanden war. Verhindert wird der Primärumlaut durch die Lautgruppen ht, hs, Kw, im Bair. und Alem. auch durch IK, rK, hh (< germ. k). Zeit: Der Umlaut kommt in den schriftlichen Quellen ab etwa 750 zum Ausdruck. Sekundärumlaut: Seit Beginn des 10. Jh.s tritt der /-Umlaut a > e [as] in jenen Fällen ein, in denen der Primärumlaut verhindert worden war bzw. auch dort, wo aus a, u, o in der Mittelsilbe durch Abschwächung zusätzlich / entstanden war: ahd. mahti > ahd. mehti (>

89

nhd. Mächte), obd. haltit > obd. heltit (> nhd. hält). Natürlich tritt der Sekundärumlaut nicht in allen Dialekten und Lautkombinationen gleichzeitig auf. Für solche Einzelheiten wird man die Grammatiken zu Rate ziehen müssen. In der Fachliteratur steht für dieses e oft ä. Restumlaut: Ungefähr gleichzeitig mit dem Sekundärumlaut wer¬ den alle noch umlautsfähigen Vokale (auch die Langvokale; S. 94) und Diphthonge umgelautet (palatalisiert), sofern sie vor i,j, gleichgül¬ tig welcher Herkunft, standen. Ausgenommen sind davon nur die durch Primär- und Sekundärumlaut entstandenen e sowie /, f, die nicht mehr palatalisiert werden konnten. Ahd. e (< idg. e, i und < lat. e in Lw.n) wurde > e gehoben: lat.fenestra > *fenistra (Mittelsilbe abgeschwächt) > (früh)mhd. venster [’venjtar]. 7 Ahd. «-Umlaut: Ahd. e wird vor « der Folgesilbe > ahd. i: lat. secürus > *securus > ahd. sichur > nhd. sicher; vorahd. *nemu ,ich nehme* > ahd. nimu > nhd. (ich) nimm; vorahd. *felu > ahd.///« > nhd. viel. Der Lautwandel ist jedoch oft unterblieben: ahd. ebur > nhd. Eber.

8

Die noch, wie der Reim zeigt, im Mhd. streng auseinandergehaltenen e-Laute (e, c, e) fallen im Nhd. in e zusammen, für das nach etymologi¬ schen Prinzipien auch ä geschrieben wird. Die nhd. Aussprache ist nach der Silbenstruktur geregelt. In den Dialekten leben freilich die alten Qualitäten vielfach weiter. 9 Die im Nebenton und in unbetonten Silben (S. 108fif.) im Mhd. entstandenen e wurden schon mhd. als [a] gesprochen, jedoch als e geschrieben: vorahd. *sebun (< vorgerm. *sepm) > ahd. sibim > mhd. siben > nhd. sieben ['si:ban].

90

Langvokale und Diphthonge im Hauptton (Idg. > Nhd.): eu eu

idg. vorurger.

urgerm.

anh

urgerm.

a

10

Die idg. Langdiphthonge erscheinen in den meisten Sprachen (doch S. 75 und 78) in gleicher Weise wie die Kurzdiphthonge. Man hat jedoch mit einem gelegentlich auftretenden Lautwandel gerechnet, bei dem der halbvokalische Zweitteil des Langdiphthongs vor allem vor m schwindet. Für das Germ, scheinen sichere Beispiele zu fehlen. Von einem idg. schleiftonigen Langdi¬ phthong ei (S. 80) stammt nach Einigen urgerm. ej. Mir scheint jedoch Erklä¬ rung (12) richtiger.

91

11 Idg. ä > urgerm. ö < idg. ö. Der gleiche Lautwandel tritt im Balt. ein, und ein ähnlicher Vorgang findet im Kelt. statt, der dort allerdings zu ä führt. Wann dieses Lautgesetz wirkte, ist nicht sicher festzustellen; vgl. (1). Z.B. idg. *bhrater ,Bruder4 > urgerm. *bröfrer > ahd. bruoder > nhd. Bruder : ai. bhratar-, gr. (ion.) (ppf)rr|p, lat.fräter, abg. bratrh ,Bruder4; idg. *plö-t- > urgerm. *ßö-ö- > got.ßodus, ahd.ßuot > nhd. Flut : gr. 7ika)TÖ<; ,schwimmend4. 12 Sonderfall des Ö-Umlautes: Idg. ei > urgerm. ei vor a und ö der Folgesilbe > ee (ö-Umlaut des Diphthongzweitteils) > e2 (Kontraktion); aber oft analogisch beseitigt. e2 (bzw. seine einzelsprach¬ lichen Fortsetzungen) tritt in verhältnismäßig wenigen Wörtern auf, wenn man von den finiten Präteritalformen der ehemals reduplizieren¬ den Verben (S. 143 f.) absieht. Einige Appellativa sind Lw. aus dem Lat. (S. 246f.), in einem Fall ist e2 als Ergebnis der Ersatzdehnung von späturgerm. -ezd- (idg. *mizdlw- .Lohn, Sold' > urgerm. *mizdö [vor (2)] > got. mizdo .Lohn', aber mit ahd. meta, miata > nhd. Miete: ai. mldhä- .Kampfpreis4 [S. 76, § 11.2], gr. piaöot; ,Sold‘) entstanden. Die „reguläre" Entwicklung liegt wohl vor in: vorgerm. *steighä (zu idg. *steigh,gehen') > *ste2gö > ahd. stiaga > nhd. Stiege. Die Annahme, daß e2 auch vor a entstanden ist, beruht auf der Theorie van Coetsems über die Entstehung der Präterita der VII. Ablautreihe (S. 143 f.). Sie findet unter den Appellativen keine Stütze: vorgerm. *steighos (zu idg. *steigh-) > *stlga- (nicht: ste2ga- !) > ahd. stig > nhd. Steig. Trotz dieser Schwäche ist van Coetsems Erklärung des e2 als Sonderfall des ö-Umlautes den früheren Erklärungsversuchen ( < idg. ei [10]; als Nachwirkung eines Laryngals [S. 72]) überlegen.

13 Sonderfall des /-Umlautes: Idg. ei > urgerm. ei > ii (/Umlaut durch Diphthongzweitteil, also tautosyllabisch!) > späturgerm. /“(Kontraktion): *steighos > nhd. Steig s. (12). Zeit: vielleicht 1. Jh. n. Chr. (?). 14 Urgerm. nordgerm., westgerm. ä. Im Got. bleibt e erhalten und wird im Spätwestgot. > [i:]. Zeit: nordgerm. ä um 200 n. Chr., alem. ä im 4. Jh., fränk. ä im 6. Jh. Es ist umstritten, ob in den Sprachen mit „anglofries. Aufhellung44 (= ags., afries.), wo für a ein ce erscheint, dieses sekundär aus ä entstand oder direkt das alte e, fortsetzt. Z.B. idg. *me-ro- .groß' (abgetönt [S. 134] *mö-ro- > gr. -pcopoq, gall. -märus .groß' in Personennamen) > urn. (runenschriftlich) märiR .der Große = Be¬ rühmte4 (Südschleswig um 200), in Namen wie Had(u)mär, Volkmär... bis 92

heute erhalten; dagegen got. Vala-mer, Theude-mer (: dt. Dietmar), später -mir, -mil in westgot. Namen Portugals und Spaniens (z.B. Teomil) ; abg. in z. B. (Vladi-)meru usw.

15

Ahd. Monophthongierung: Urgerm. ai und au werden spontan > as. e und 5 (oft a geschrieben). Im Ahd. ist dieser Lautwandel kontextsensitiv: urgerm. ai (über eine Zwischenstufe ei) > e vor (uri¬ gem. /?, ahd. r (< urgerm. r, z; [38]) und ahd. w: Idg. *k’oiros ,grau' > urgerm. *haira- > ahd. her > nhd. hehr ,grau -> alt -> erhaben', so auch im Komparativ ahd. heriro > her(r)o > mhd. her (re) > nhd. Herr eigentlich ,der Ältere', vgl. vlt. seniore > italien. signore, span, sehor, frz. seigneur.

Urgerm. au (über eine Zwischenstufe ou) > ö vor urgerm. h und allen ahd. Dentallauten (<7//x t, z, zz, s, n, r, l)\ idg. *roudh- ,rot‘ > urgerm. *rauö- > ahd., nhd. rät: lat. rüfus ,fuchsrot1 (mit dial. -/- statt -h-), air. rüad, abg. rudb, lit. raüdas ,rot‘. Zeit: urgerm. ai > ahd. e ab 7. Jh.; urgerm. au > ahd. 5 ab 8. Jh. Beide Lautgesetze beginnen im Frk.

16

Ahd. Diphthongierung: Urgerm. ö > ahd. uo (auch ua, oa geschrieben): ahd.fluot (11). Zeit: dial. sehr verschieden: rheinfrk. Mitte 8. Jh., dann alem., zuletzt bair. (9. Jh.). (Spät)urgerm. e2 > ahd. ia (auch ea, später ie geschrieben): ahd. stiaga (12). Zeit: ab dem 8. Jh. zuerst alem., frk., zuletzt bair. Im 9. Jh. ist überall ia erreicht. Zusammenfall mit ahd. ie (< io [17]) im 10/11. Jh.

17

Umlaute des urgerm. eu: urgerm. eu > ahd. eo > ahd. io > ahd. ie geht unter ähnlichen Bedingungen wie der urgerm. a-Umlaut (3) vor sich, d.h. vor a, e, ö der folgenden Silbe. Manche Forscher setzen eu > eo daher schon in die urgerm. Periode. Im Obd. ist die Entwicklung aber nur dann eingetreten, wenn zwischen eu und a, e, ö Dental oder gern. h stand. Zeit: io ist ab der 1. Hälfte des 9. Jh.s erreicht. In allen übrigen Fällen wird urgerm. eu > ahd. iu (vielleicht im Zusammenhang mit [7]: idg. */eugh-,lügen' > urgerm. *leugan- (Infini¬ tiv) > ahd. (frk.) liogan > mhd. liegen ,lügen', aber: > ahd. (obd.) liugan\ vorahd. *Ieugu ,ich lüge1 > ahd. (frk. + obd.) liugu > mhd. liuge ['ly:g3]; idg. *bheudh- ,bieten' (S. 88) > urgerm. *beuöan- (Infinitiv) > ahd. (frk. + obd.) beotan > biotan > mhd. bieten > nhd. bieten. Der Übergang des ahd. iu zum mhd. Monophthong [y:] (geschrieben iu) ist um 1000 eingetreten. Zusammenfall des ie (< eu) mit ie (< ahd. ia [16]) im 10/11. Jh. 93

18 Ahd. Diphthonghebung: Auch in jenen Fällen, in denen die ahd. Monophthongierung nicht eintrat, nehmen die urgerm. Diphthon¬ ge ai und au deren Durchgangsstadium ei und ou ein (15).

19

Ahd. /-Umlaute: als Ergebnis des Rest um lautes (6) ergibt sich am Ende der ahd. Periode eine Spaltung von ä, ö, ü, ou, uo in die umgelauteten Phoneme ce, a, iu [y:], öu [00], üe [ya] und ihre Ausgangs¬ formen. Dieser Zustand herrscht im Mhd. Dazu kommt noch, daß auch ahd. iu (17), wenn es vor /, j stand, umgelautet wurde (> iü), doch kommt dieser Lautwandel in der Schreibung nicht zum Ausdruck. Mhd. iu kann also dreierlei Herkunft sein: iu < ahd. iu < urgerm. eu (reguläre Entwicklung), iu als Restumlaut von ahd. iu < urgerm. eu, iu als Restumlaut von ahd. ü. Die Restumlaute tauchen i.a. seit dem 10. Jh. in der Schrift auf. Sie müssen aber wesentlich früher entstanden sein, da sich das j im Verlauf des 9. Jh.s allmählich in der Schrift verliert. Daß die Restumlaute nicht geschrieben wurden, ist vielleicht nur eine orthogra¬ phische Eigenheit des Ahd. Doch ist dies nur eine der möglichen Ansichten. Es ist in diesem Buch nicht möglich, die Problematik des Restumlautes im Detail darzustellen. Z.B. urgerm. *hauzian- (> got. hausjan .hören') > frühahd. *haurjan > ahd. *hörjen und gleich darauf Restumlaut und j-Schwund > ahd. hören (das ö aber wohl mit [0:]-ähnlicher Aussprache) > spätahd.-frühmhd. hören > mhd. harren (mit [0]). Wie hätte man im 12. Jh. etwas vom umlautbedin¬ genden, längst abgefallenen j „wissen“ können?

20

Ahd. io nach (17) aus eu und ahd. ia nach (16) aus e2 fallen in mhd. ie [ia] zusammen: bieten (17), stiege (16). Zeit: 10. Jh.

21

„Nhd.“ Diphthongierung: Sie beginnt im 12. Jh. in Kärn¬ ten, hat sich Ende 13. Jh. in Baiern durchgesetzt, im 14. Jh. in Ostfran¬ ken, Schwaben, Böhmen, im 15. Jh. in Obersachsen-Thüringen, im 16. Jh. im Westmd. Die mhd. Längen f, ü, iu > nhd. ei (ai), au, eu (äu) und fallen somit mit den aus mhd. ei, ou, öu ererbten D zusammen (S. 60,

62). 22

Monophthongierung: Sie beginnt im 11. Jh. (!) im Md. (uo > u, üe > ü; ie > i im 12. Jh.) und verbreitete sich über das Rheinfrk., Teile des Süd- und Ostfrk. und das Ostmd. Von dort ist sie auch in die nhd. Schriftsprache gekommen. Das Obd. hat sie bis heute nicht erfaßt: mhd. liep [liap] > nhd. lieb [li:p], aber dial. (z.B. bair.) [liap].

94

„Nhd.“

Vorbemerkung: Es gibt noch eine Reihe von Lautübergängen, die sich auf den schematisierenden Tafeln I und II kaum darstellen lassen, aber dennoch für das Nhd. von größter Bedeutung sind. Meist sind es Merkmale jener Dialekte, aus denen das Nhd. entstanden ist, die sich aber nicht auf der ganzen Linie durchgesetzt haben, sondern eben nur in jenen Wörtern, die aus diesen Dialekten gewissermaßen in das Nhd. „entlehnt" wurden (S. 262), erscheinen.

23+

Entrundung: Mhd. ü, iu, ö, oe, üe, öu > spätmhd. ü, eu, ö, ü, eu > nhd. i, ei, e, i, ei. Die Entrundung ist vorwiegend bair., strahlt aber in das übrige Obd. und ins Ostmd. aus. Freilich sind nicht alle diese Entrundungen durch in die Schriftsprache eingedrungene Formen re¬ präsentiert. Besonders häufig ist ii > i: mit. boletus > bulitus > ahd., mhd. bülez > Pilz (P ist hyperkorrekt; S. 193f.); mhd. slöufe > nhd. Schleife, das zu Schlaufe, Schlupf und schliefen gehört (< idg. *sleub, gleiten4).

24+

Rundung: Mhd. e > nhd. ö in der Nachbarschaft von l, sch, Labial und Affrikata: mhd. helle > nhd. Hölle. Sporadisch mhd. i > nhd. ü, mhd. ie > ü: mhd. finf > nhd. fünf, mhd. liegen > nhd. lügen. Gelegentlich in der Nachbarschaft von Dental, Nasal, Labial und h mhd. ä > nhd. o : mhd. mänöt > nhd. Monat', mhd. quät > nhd. Kot; mhd. tähe > nhd. Torc(erde).

25+ Festsetzung der nhd.

Quantitäten: Sie wird im Nhd. auf Grund der Silbenstruktur vorgenommen. Die „nhd. Dehnung“ erfaßt alle mhd. Kurzvokale in offener Silbe (mhd. tragen ['tragon] > nhd. ['tra:g9n]), es sei denn, der folgende Silbenanlaut ist -/-, -m-, -sch-, -eh- (< urgerm. k). In diesem Fall ist die Dehnung häufig un¬ terblieben; bei -m- immer, wenn -er, -el folgten: mhd. wir riten > nhd. wir ritten, mhd. vischcere > nhd. Fischer, mhd. hamer > nhd. Hammer. Die Verdoppelung des Konsonanten bezeichnet die Kürze des vorhergehenden Vokals. Der Etymologe wird natürlich zwischen alten Konsonantenverdoppelungen (Geminationen; S. lOlff.) und den Doppelschreibungen der nhd. Orthographie zu un¬ terscheiden haben. So ist z.B. -mm- in nhd. hemmen alte Gemination (: mnl. hemmen, ags. hemman, schwed. hämma, aisl. hemja ,zügeln, zwingen1; S. 102), hingegen in nhd. Himmel {< mhd. himel) nur nhd. Bezeichnung der Vokalkürze. Einsilbler werden gedehnt, wenn in den flektierten (obliquen) Formen die Silbe offen war: nhd. Grab [gra:p] wegen Grabes, Grabe, Gräber... Aber auch, wenn sie auf -r (vgl. nhd. der [de:r]), -m (nhd. wem), -n (nhd. wen), manchmal auch, wenn sie auf -/ 95

ausgingen (mhd. wol > nhd. wohl). Vor gewissen Konsonantengruppen (r + Dental) werden besonders a und e gedehnt: mhd. vart > nhd. Fahrt. Die „nhd. Kürzung“, die besonders im Md. auftritt, findet sich besonders vor Konsonantenhäufung: vor mhd. -ht- (mhd. dähte > nhd. dachte...), vor r + Konsonant (mhd. horchen > nhd. horchen) und vor Frikativen, die durch die 2. LV (S. 103) entstanden (mhd. läzen > nhd. lassen). Ferner manchmal vor -er und -en (mhd. jämer > nhd. Jammer) und in Zusammensetzungen. Hier ist die Kürzung meist akzentbedingt (mhd. -lieh > nhd. -lieh). Die Resonanten (= Sonanten ohne Vokale) im Hauptton (Idg. > Nhd.):

In den allermeisten Fällen bleiben die Resonanten bis in das Nhd. in den Haupttonsilben erhalten. Die wenigen kombinatorischen Änderungen sind: 26 Im Ahd. wird geminiertes w (also ww) jeder Herkunft (36.7), (37), (55.3) > uw, wobei das w den Anlaut der Folgesilbe bildet: vorahd. *hauuan > ahd. hau-wan .hauen1. Das zu u vokalisierte w bewirkt nach (7) //-Umlaut eines davorstehenden e: vorahd. *treuua (: as. treuua) > *treu-wa > ahd. triuwa > mhd. triuwe .Treue1. 27

Mhd. w [w] > nhd. w [v].

28 Mhd. vv schwindet im Nhd. nach Langvokal, Diphthong, Konsonant: mhd. triuwe > nhd. Treue. 29

Mhd. w nach r, / > nhd. b: mhd. gerwen > nhd. gerben.

30 Mhd. w nach ä > w. mhd. bläxves, -e, -en (oblique Formen zu Nom. blä .blau1) > nhd. blau.

96

31 Im Ahd. und Mhd. wird dial. für j g geschrieben (vor allem mfrk.). Die Verwechslung kommt vor allem dann zustande, wenn g als ß] gesprochen wird. Doch muß es, wie nhd. Gischt < mhd. gist (//'-Abstraktum [S. 164] zu mhd. jesen ,gären‘) zeigt, auch einen Lautwandel ß] > [g] gegeben haben. 32 Mhd. j als intervokalischer Gleitlaut schwindet im Nhd.: mhd. scejen > nhd. säen.

Die Konsonanten (ohne Resonanten) außer im idg. Auslaut (Idg. > Nhd.): d

idg.

g. g'

gv

s

s

34

frühurgerm.

t

k

kV

t

k

kv

40

40

z

s

r

s [4

41

fremdes

ahd. [ts

s

kx

xL

fremdes

mhd.

b

t

g

w

pf

/[f]

z

zz k

ch

fremdes

nhd.

97

33+ Das Germ, gehört zur Gruppe der Kentumsprachen (s. S. 59f.), d.h., die palatalen (k\ k'h, g’, g’h) und velaren Okklusive (k, kh, g, gh) sind in einer Gutturalreihe zusammengefallen, die Labiovelare (kV, k^h, gV, gVh) bleiben als eigene Reihe erhalten. Vom germ. Stand¬ punkt aus läßt sich also in der Rekonstruktion nicht ent¬ scheiden, ob idg. Palatal oder Velar vorlag. Die Entscheidung ist erst nach Vergleich mit einem satemsprachlichen Etymon möglich. Ferner ist, wie in den weitaus meisten idg. Tochtersprachen, die Reihe der Tenues aspiratae mit den um ein Vielfaches häufigeren Tenues (purae) zusammengefallen. Ob idg. Tenuis oder doch die seltene Tenuis aspirata vorliegt, läßt sich in der Rekonstruktion vor allem mit Hilfe von ved., ai. oder gr. Etyma entscheiden. 34 Für das Germ, ist charakteristisch, daß trotz tiefgreifender Verän¬ derungen im Konsonantismus die Artikulationsstelle i.a. sehr konstant bleibt (im Gegensatz etwa zum Lat.; S. 82ff.). Ein idg. Labial bleibt bis ins Nhd. ein Labial, ein Dental bleibt ein Dental usw., mag sich auch die Artikulationsart (Okklusiv, Frikativ, Stimmhaftig¬ keit...) ändern. Die Erste (oder: Germanische) Lautverschiebung (= LV = Grimms Gesetz, loi de Grimm, Grimm’s law; zu ihrer Erforschung s. S. 47f.) erfaßt alle idg. Okklusive: (1) Die idg. Mediae aspiratae (bh, dh, gh...) > urgerm. homorganen (an derselben Artikulationsstelle gebildeten) stimmhaften Frikativen b, d, g... ([ß, ö, y • • •]), die stellungsbedingt als homorgane stimmhafte Okklusive erscheinen können (b/b, d/d, g/g...). Da es sich bei diesen Varianten lediglich um Allophone, nicht um Phoneme han¬ delt, ist es zulässig, aus satztechnischen Gründen die Verschlußlautzei¬ chen zu verwenden (b, d...). (2) Die idg. Tenues und Tenues aspiratae (p, ph, t, th...) > urgerm. homorganen stimmlosen Frikativen (f\ /?...); außer in be¬ stimmten Stellungen (34.4). Das Zeichen für den interdentalen stimm¬ losen Frikativ /? ist dem urnord. Runenzeichen h thorn [Garn] ,Dorn‘ nachgebildet, dessen Namen es auch trägt. (3) Die idg. Mediae (purae) (b, d...) > urgerm. homorganen stimmlosen Okklusiven (Tenues). (4) Idg. st, sp, sk bleiben unverschoben: urgerm. st, sp, sk (und nicht etwa: sjj, sf, shl). In den Lautgruppen idg. kt, pt, die z.T. auf Primärberührung zurückgehen (S. 74, § 8), wird nur der erste K ver¬ schoben, also > ht,ft. Unabhängig von der germ. LV: idg. tt > urgerm. ss (S. 74, § 8). Die idg. Verbindung von idg. Media aspirata + Tenuis

98

(z.B. bh + t) scheint im Vorgerm, nur den ersten Schritt des Bartholo¬ maeschen Gesetzes (S. 76) mitgemacht zu haben. Die germ. LV gilt als ein Hauptkriterium des Germ. Wieweit dies berechtigt ist, steht hier nicht zur Debatte. Aus der Definition „Germ, ist, was die germ. LV zeigt“ folgt, daß es in germ. Sprachen keine Wörter ohne germ. LV geben kann, die nicht Fremd- oder Lehnwörter wären (S. 242flf.). Relative und absolute Chronologie der germ. LV sind umstritten. Oft rechnet man (ganz vage) mit „Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr.“ und mit einer Dauer von mehreren Jahrhun¬ derten. Auch in anderen idg. Sprachen gibt es ähnliche Verschiebungsvorgänge: im „Pelasg.“, Ap., Arm., Thrak., Spätagr. > Mgr.). Aber keine dieser Lautver¬ schiebungen ist der germ. LV völlig vergleichbar. Ebenso umstritten wie der zeitliche Ansatz ist auch die Ursache der LV, deren Ergebnis phonologisch nicht überbewertet werden darf, das aber in seiner phonetischen Auswirkung revolu¬ tionär gewesen sein und ein starkes Distanzgefühl zwischen den Germanen und anderen idg. Sprachträgern geschaffen haben muß.

An Beispielen besteht natürlich kein Mangel: s.o. nhd. Acker (1), ge¬ boten (3), Ring (4), gedeihen, fahen, deuchte (5), Bruder (11), Stiege, Steig (12), hehr, rot (15), lügen, bieten (17), schliefen (23)+ ; und u.: was (36.6), Locke (37.1). 35 Das Vernersche Gesetz (= VG = loi de Verner, Verner’s law): Noch im Urgerm. werden die in der germ. LV entstandenen stimmlosen Frikative und das ererbte s in stimmhafter Umgebung und wenn der idg. Wortakzent nicht auf der unmittelbar vorhergehenden Silbe lag, zu homorganen stimmhaften Frikativen und urgerm. z. Die neuentstandenen stimmhaften Frikative fallen mit den nach (33.1) ererb¬ ten in jeder Hinsicht zusammen. Also: idg. -VpV- > urgerm. - VfV- (LV), aber: -VpV- > -VfV- (LV) > -Vb/bV- (VG) und auch: -VKVpV- > -VKVJV- > -VKVb/bV- und: - VpVKV- > -VfVKV- > -Vb/bVKV-. Ergänzungen: (1) Idg. 5 war der einzige idg. Frikativ mit dem stellungsbedingten Allophon z. Durch das VG entsteht ein völlig neues urgerm. Phonem z, das sich ganz anders weiterentwickelt als urgerm. 5, aus dem es hervorgegangen ist. (2) Stimmhafte Umgebung bedeutet V oder Resonant vor und nach dem stimmlosen Frikativ. Umstritten, aber meist negativ beantwortet ist die Frage, ob das VG auch im Wortanlaut wirksam sei. Bei enger Bindung des Anlauts an den stimmhaften Wortausgang des vorhergehenden Wortes (Sandhi) können auch sonst oft As¬ similationserscheinungen beobachtet werden, zumal beim schnelleren Sprechen 99

(sog. Allegroerscheinungen). Das VG bedeutete eine starke Ausspracheerleich¬ terung und erfaßte jedenfalls das s-Morphem im absoluten Auslaut (s. u. [38]); vgl. frz. ils ont [il'zö].

Der idg. Wortakzent wird u.a. mit Hilfe des VG bestimmt, da die meisten idg. Tochtersprachen den Akzent in irgendeiner Weise fest¬ gelegt haben: z.B. lat. Roma, Römanus, Römänorum, Römänörümque (Betonung der Paenultima-Silbe [vorletzte S.], wenn natur- oder posi¬ tionslang, sonst Antepaenultima-Akzent [drittletzte S.]): insula. Ein ver¬ gleichbares Prinzip herrscht wohl im Ai. (S. 77). Außer im Ved. zeigen sich die alten idg. Akzentverhältnisse am besten im Balt., Gr. und Slav. erhalten. Aber während der russ. Akzent dem „freien“ idg. zwar nicht gleich, jedoch sozusagen vergleichbar ist, ist der cech. Akzent auf die erste Silbe festgelegt. Die germ. Sprachen und das Air. haben einen sehr ähnlichen Akzent entwickelt. Im Germ, trifft er die erste Silbe (Initialakzent). Ist diese ein Präfix, so wurde es beim Nomen betont, hingegen nicht beim Ver¬ bum, wo der Akzent immer auf der Wurzel lag. Daher zeigen manche Verbalpräfixe abgeschwächte Formen des Nominalpräfi¬ xes: nhd. er-läuben, be-treten neben der unabgeschwächten Form in (jr-laub (Präfix *uz-, S. 188), Bei-tritt (Präfix *bi-, S. 186). Der germ. Initialakzent entstand in urgerm. Zeit, aber nach dem Wirken des VG. Eine Reihe von Lautgesetzen (Umlaute, Endsilbenverfall...) läßt sich auf die Akzentfestlegung zurückführen. In späterer Zeit wurde das germ. Akzentprinzip einzelsprachlich oft aufgeweicht: Beistand, Bestände be¬ stehen., beistehen... Zum idg. Akzent vgl. auch S. 80. Das VG kann gleichzeitig mit oder auch nach der germ. LV einge¬ treten sein (so auf der Tabelle angenommen). Der Zeitpunkt der Akzent¬ festlegung läßt sich bisher (?) nicht gewinnen. (4) Da die nach dem VG stimmhaft gewordenen Frikative eine andere Entwicklung durchmachten als die stimmlosen, ergibt sich im Nhd. bei ein und demselben Etymon ein „grammatischer Wech¬ sel“: (3)

d und t

schneiden : geschnitten (nhd. tt nach [25])

/ und b h und g s und r

Hufe : Hube gedeihen : gediegen (eine Bifurkation, S. 226f.) gewesen : waren (r nach [38]).

Beispiele des VG sind: got. gamunds (2), nhd. Mord (3), sieben (9), Flut (11), und unten: Aue (36.7), waren (38). 36 Die idg. La bi o velare: Nach dem VG spaltete sich frühurgerm. h-u in hv und gu auf. Aber auch aus idg. g^h war ein gu entstanden. 100

das sich verschieden weiterentwickelt hat. Die Geschichte der Labiovelare im Germ, ist recht kompliziert und nicht in allen Punkten gesichert: (1) Idg. g~h > g- > urgerm. g vor dunklen Vokalen und Konsonanten: idg. *g~hnt-,Kampf1 (: gr. (pövo<; ,Mord‘, abg. gonb ,Jagd‘) > urgerm. *gunp- > as. güdea, ags. güp (nordseegerm. Ersatzdehnung vor />!), ahd. gund-fano ,Kriegs¬ fahne1, in vielen Personennamen z. B. Gunt-her < *gunda-hariaz (VG! Akzent¬ variante!) ,Kampf + Heer1. (2) Idg .gVh > gy > urgerm. u vor a und hellem Vokal: idg. *g^hormos ,warm, heiß1 (> lat. formus : gr. ösppöq [Ablaut; S. 133ff.]) > urgerm. *uarmaz (-z nach [35.2]) > ahd., nhd. warm. (3) Idg. g^h > g^ > urgerm. gV nach Nasal > ahd. g : idg. *seng^h-, *song^h-,tönen" (: gr. ög(pf] ,Stimme1; idg. 5 nicht > gr.'wegen Hauchdissimila¬ tion vor

urgerm. ^sing^an (> got. siggwarr, gg = Schreibung für [rj]) > ahd. singan. (4) Idg. g^h möglicherweise unter noch nicht bekannten Bedingungen > urgerm. b [s. Bibliogr. Nr. 348]. (5) Idg. Ar“ und k^h bei unmittelbar vorhergehendem Akzent > /;y(LV; kein VG!) > urgerm. h^ > ahd. h (im Inlaut) : idg. *äk^ä ,Wasser1 (> lat. aqua) > urgerm. *ah-ö > ahd. aha > nhd. Ache, in vielen Flußnamen erhalten (Schwarzach) oder gekürzt (Fuld-a ,Erdbach1). (6) Idg. k~ wie oben > urgerm. h- > ahd. hw- (im Anlaut) > mhd. w-: idg. *k-od,was1 (> lat. quod) > urgerm. *h~at (> ags. hwcet > ne. what) > ahd. hwaz > mhd. waz > nhd. was. (7) Idg. k- und k~h unter den Akzentbedingungen des VG > hV (LV) > g“(VG) > urgerm. u > ahd. w bzw. u nach (26): idg. *ak^ä > urgerm. *ag-ö, dazu mit /-Ableitung die Zugehörigkeitsbildung (S. 154) ,die zum Wasser gehörige; Insel1 > urgerm. *auiö > vorahd. *auuia (mit „Westgerm. Konsonan¬ tengemination11 [37] > ahd. ouwa [26] > mhd. ouwe > nhd. Au(e). Das Entwicklungsstadium auiö ist belegt in Sca(n)din-avia (bei Plinius) > aisl. Skäney > schwed. Skäne ,Schonen‘. (5) und (7) werden zusammen als „Sieverssche Regel“ bezeichnet; sie läßt sich in dem Satz zusammenfassen, daß die (idg.) akzentseitige Komponente des Labiovelars erhalten bleibt. 37+ Geminationen: (1) Germ. Konsonantenlängung (=

«-Gemination, n-As¬

similation): Man hat angenommen und nimmt z.T. noch an, daß jeder idg. Okklusiv

+

n bei folgendem Akzent geminierte Media und

Schwund des n ergab. Diese Mediae sollen die Tenuesverschiebung der LV (34.3) noch mitgemacht haben, also z.B. VpnV, VbnV, VbhnV > vorgerm. VbbV > urgerm. VppV (LV); idg. *lug-nö- ,was gebogen, biegsam ist1 (> lit. lugnäs ,biegsam1) > urgerm. *lokkaz > ahd. loc, locces (Mask.) > nhd. Locke (: aisl. loccr, ags. loc(c) > ne. lock). Dieses Beispiel scheint zugleich eines der wenigen mit zweifelsfreiem idg. An101

Schluß zu sein, für die meisten übrigen Beispiele lassen sich außerhalb des Germ, selbst keine Etyma dieser Bildungsweise eruieren. Diese Gemination ist daher nicht allgemein anerkannt. Die Geminaten treten vorwiegend in Verbalbildungen auf, die zu anderen schon bestehenden primären Verben sekundär entstanden sind und die intensiven Charakter haben: zucken (: ziehen), bücken (: biegen), stutzen (: stoßen)... Soweit hier wirklich «-Bildungen vorliegen (andere Möglichkeiten sekundärer Verbalbildung S. 177ff.), zeigen das Got. und z.T. auch das Aisl. noch unassimiliertes -n- (s. S. 183). Auch in Tiernamen und Appellativen einer bestimmten semantischen Kategorie tritt eine solche Gemination auf, in Tiernamen übrigens auch im Kelt.: nhd. Zicke, Zicklein (: Ziege), Ricke (: Reh), urgerm. *kattö(> nhd. Katze) : akelt. *kattos, -ä; urgerm. *bukkaz (> nhd. Bock) : akelt. *bukkos; nhd. Knopf (: Knauf), mhd. koph [köpf] .Trinkgefäß, Becher1 > nhd. Kopf (S. 221) (: Kufe) usw. Hier wird heute mit „expressiver Gemination“ gerechnet (S. 195ff.). So auch bei Personennamen. (2) Meist nimmt man eine alte Gemination idg. -ln- > urgerm. -IIan: idg. *p]nös (> lit. pilnas, dix.pürnä- ,volP) > urgerm. *fullaz > ahd. fol(l) > nhd. voll (got. fulls, ags. full > ne. full). (3) Westgerm. Konsonantengemination: Nach Kurzvokal (V) wird ein Konsonant (K), auf den i folgte, geminiert, also: VKi- > VKKi- > VKK-. Diese Gemination findet sich in allen westgerm. Spra¬ chen. Im Ahd. geht das j im 9. Jh. verloren (vgl. [19]). Die Gemination betrifft alle einfachen K (r ist aber nur im Alem. und Frk. gelegentlich verdoppelt). Auch germ. -r- bewirkt Gemination, sogar nach Langvokalen, jedoch nur bei den urgerm. Verschlußlauten t, p, k. Germ. / bewirkt gleichfalls Gemination von urgerm. t, p, k. Germ, u bewirkt nur bei Gutturalen Gemination. Gelegentlich begegnet Gemination durch -n- und -m-. Die geminierten Okklusive machen bei der 2. LV andere Lautwandlungen durch als ihre einfachen Entsprechungen (40). So entstehen häufig Differenzierungen bei e. zusammengehörigen Morphemen: urgerm. *sat- > ahd. saz(z) > nhd. saß : urgerm. *satian- > ahd. setzen (as. settian), aber ohne Gemination in ostgerm. (got.) satjan und nordgerm. (aisl.) setia .setzen1; r-Gemination: urgerm. *akra- (S. 88) > ahd. ackar (das zweite a ist sekundärer Sproßvokal), wobei ek = kk (nhd. Abteilungsregel: Ak-ker\), aber got. akrs .Acker1; /-Gemination: urgerm. *apl- > ahd. apful {pf < pp [40], u ist sekundärer Sproßvokal), aber aisl. epli .Apfel1; u-Gemination: got. naqaps .nackt1 {q = [k]): ahd. nackot .nackt1. Zeit des Lautwandels: 3.-4. Jh. n. Chr.

102

(4) Alle Doppelkonsonanten werden in ahd. und mhd. Zeit im Auslaut und vor Konsonant, ferner nach langem Vokal und Konsonant vereinfacht (mhd. boc, Gen. bockes). 38 Rhotazismus: In west- und nordgerm. Sprachen ist urgerm. z (W < idg. 5 [35]) > r [r] geworden, das dann mit idg. ererbtem r [R] zusammenfällt: urgerm. *uezum- > ahd. wärum > nhd. (wir) waren, aber ostgerm. (got.) wesum (Aufhebung des VG ist im Got. häufig). In den westgerm. Sprachen wird -z im Auslaut nur bei Einsilblern im Vollton rhotaziert, ansonsten fällt es ab: got. is ,er‘: aisl. er,Relativpartikel1, ahd., mhd., nhd. er, Abfall der Nominativendung urgerm. -az: urgerm. *dagaz ,Tag‘ > ahd. tag, aber aisl. dagr und got. dags (ohne Rhotazismus). Die Runenschrift unter¬ scheidet genau zwischen den beiden r-Lauten: man transkribiert run. r (< urgerm. r) und run. R (< urgerm. z), z. B. in run. *dagaR. Der Rhotazismus war im 6. Jh. in Skandinavien schon eingetreten (Völkername Fervir bei Jordanes). Einen viel älteren, aber vergleichbaren Rhotazismus hat auch das Lat. (S. 84).

39 Urgerm. h [x] im Silbenanlaut > ahd. h [h] (im 8. Jh. abgeschlos¬ sen). Steht h nach dem silbentragenden V (Wort- oder Silbenauslaut), so scheint es weiterhin die Geltung eines gutturalen Frikativs gehabt zu haben: ahd. aha ,Fluß, Bach1 ['aha], aber ahd. zöh ,zog‘ [tso:x]. Im Anlaut vor K schwindet ahd. h: ahd. hring > mhd. rinc > nhd. Ring.

40 Die „Zweite“ oder „Hochdt. Lautverschiebung“ (ab 6. Jh.): (1) Urgerm. p, t, k werden im intervokalischen Inlaut und im post¬ vokal. Auslaut zu den stimmlosen „Doppelspiranten“ (= Frikativenzz [s], hh [x, <;]. Diese werden im Auslaut vereinfacht,und zz auch im Inlaut, wenn sie auf langen V oder D folgen. Entsprechend den Hss. verwenden viele Grammatiken und Wörterbü¬ cher für zz, z [s] das Zeichen j („geschwänztes Zet“). In der nhd. Orthographie entsprechen gewöhnlich (nicht immer!) ss undß („scharfes s“, „Es-zet“). Z.B. urgerm. *setum- > ahd. *säzzum > ahd. säzum > mhd. säzen > nhd. saßen. Wo die skandinavischen Sprachen, das Got. und das Engl, t haben, gehen nhd. ss,ß auf die 2. LV zurück: ne. great: nhd. groß, aber ne. kiss: nhd. küssen, Kuß. Das neuentstandene hh wird mhd. ch geschrieben und so noch nhd. (vgl. z.B. ne. k in ne. make : nhd. machen). Nhd./ist nur dort Ergebnis der 2. LV, wo es z. B. engl, p entspricht: ne. sleep : nhd. schlafen, aber ne. oven ,Backofen1: nhd. Ofen. Der Verschiebungsakt zur „Doppelspirans“ erfaßte das gesamte hd. Sprachgebiet vom Alem.-Bair. 103

bis zum Md. (vgl. die Unterscheidung der Water- und Wasser-Sprachen, S. 45). (2) Urgerm. p, t, k werden im Anlaut, im Inlaut nach /, r, m, n und in den Geminationen (37) pp, tt, kk zu den Affrikaten pf{auch ph geschrieben) [pf], z (auch tz geschrieben) [ts], cch (auch kh, kch) [kx] verschoben. Diese Verschiebung erfaßt aber nicht das gesamte hd. Sprachgebiet: t > z [ts]: Alem.-Bair. bis Md. P > pf[pf]: dial. stark aufgegliedert. Die Einzelheiten können hier aus Raumgründen nicht dargestellt werden. Sie sind den Grammati¬ ken zu entnehmen. k > kh [kx]: Teile des Alem. und Bair. Unberührt bleiben die Konsonantengruppen: sp, st, sk, ht,ft, tr. (3) Urgerm. b, d, g zeigen eine Tendenz zur Entwicklung in Richtung ahd. p, t, k. Davon ist nur d > t in einem größeren Gebiet durchgeführt und auch hier nach phonotaktischen Bedingungen gestuft. Noch weni¬ ger weit ist b > p verbreitet: dieser „strengahd.“ Lautübergang ist heute schriftsprachlich nur in Sippe < ahd. sippa. Am wenigsten hat sich g > k durchgesetzt. I.a. kann man sagen, daß der alem.-bair. Raum die 2. LV am konse¬ quentesten durchgeführt hat, dann folgt das Ostfrk., dann das Südfrk., Rheinfrk. und zuletzt, am schwächsten beteiligt, das Mfrk. Kartiert man die Grenzlinien (Isoglossen) der Lautverschiebungsstadien, so ergibt sich ein Linienbündel, das wie ein Lächer aussieht („Rheinischer Pä¬ chter“). Der durch die 2. LV bestimmte Grenzverlauf der einzelnen Dialekträume ist für die deutsche Dialektologie das wichtigste Gliede¬ rungselement des Dt. Bei der e. Erklärung von Mundartwörtern wird man also zunächst nach dem Verbreitungsgebiet des Wortes, das sich den Mundartwörterbüchern [s. Bibliographie 283-303] entnehmen läßt, die dialektale Zugehörigkeit bestimmen und sich dann an Hand der Sprachkarten und der Grammatiken zu informieren haben, welche LVStadien das betreffende Wort mitgemacht haben kann. Die 2. LV erfaßte auch das Lgb., das sich damit als hd. Dialekt erweist. Nach O. Höfler hat die 2. LV aber auch ostgerm. Sprachen (Got., Burgund., Vand.) erfaßt. Die Argumentation muß sich auf die Sprachreste dieser Völker in Inschriften, Ortsnamen, Personennamen in Dokumenten und auf Münzen, auf Lw. in roman. Sprachen und Zufallsaufzeichnungen wie das Krimgot. (16. Jh.) stützen. Die Beurteilung der Belege wird noch dadurch erschwert, daß sie z.T. durch spätantike mgr. oder ngr. schreibende Autoren überliefert sind und durch Gewährsleute, die die germ. Sprachen schlecht oder gar nicht verstanden, und noch dazu in einem Gebiet, das Nordafrika, Spanien, Italien, Teile des 104

Balkan und die Krim umfaßt. - Von Th. Vennemann stammt die Hypothese, nach der die 1. und die 2. LV in einen einzigen Verschiebungsakt zusammenzu¬ ziehen seien, dessen Ergebnisse er als „hochgerm.“ (im wesentlichen ahd.) und „niedergerm.“ bezeichnet. 41 Urgerm. k-, im Ahd. qu geschrieben, sofern es nicht „strengahd.“ zu chu, chuu, qliu, quh (alles Schreibvarianten!) verschoben ist, verliert seine labiale Komponente, wenn es im Anlaut und vor e steht. Dabei wird e > o labialisiert: ahd. queman > spätahd. coman > mhd. körnen > nhd. kommen. Doch ist dieser Lautwandel keineswegs durchgehend eingetreten. Im Alem. ist das Lautgesetz am konsequentesten: ahd. (alem.) chuellen > ahd. (alem.) chellen, aber sonst quellen > mhd. queln > nhd. quälen.

42 Urgerm. / > ahd. th > ahd. d. Zeit: ab dem 8. Jh. (bair.), dann alem. und zuletzt frk. (mfr. erst im 10., 11. Jh.). Der Lautwandel ist viel jünger als die 2. LV: idg. *tü ,du‘ (> gr. [dor.] tu, lat. tü) > urgerm. *fyu (> got. pu, aisl. /?ü, ags. pü > ne. thou) > ahd. thu > ahd., mhd., nhd. du. 43 Im Anlaut und intersonoren Inlaut werden urgerm./[f] > ahd./ [v] (> mhd. v [v] > nhd./, v [f]), urgerm. h [x] > ahd. h [h], urgerm. x [s] > ahd. s [z] (> mhd. 5 [z]), wohl im Zusammenhang mit der 2. LV, so daß bis in spätmhd. Zeitv(< urgerm. /) und/(< urgerm.p; 2. LV), x (< urgerm. s) und z (< urgerm. t) in den Handschriften streng geschieden sind und auch nicht gereimt werden. Zu ahd. h und hh s. (39), (40). Da diese Unterschiede im Nhd. weitgehend beseitigt sind (S. 296), ist es bei der e. Arbeit wichtig, soweit es möglich ist, die formale Rekon¬ struktion vom Mhd. her zu beginnen. Der oben beschriebene Vorgang der „Lrühahd. Spirantenschwächung“ (= Lenisierung) ist nur ein Teil der „binnenhochdt. Konsonanten¬ schwächung“, die der 2. LV entgegenwirkt und ähnlich starke dialektale Gliederung zeigt. Sie erfaßt die Tenues (stimmlose Okklusive), die ursprünglich wohl (mit starker Spannung gesprochene =) Lortes-Laute waren, und lenisiert (erweicht) sie zu Semifortes oder Lenes, so daß in großen Teilen des Ostmdt. und des Bair. noch heute zwischen p- und b-, t- und d-, k- und g- nicht unterschieden wird. Auch hier wird der Etymologe ohne genaue Prüfung des dial. Befundes nicht auskommen.

44+ Die Auslautverhärtung: Seit Ende der ahd. Periode er¬ scheinen die Verschlußlaute b, d, g im Wortauslaut als p, t, k (ge¬ schrieben: c), so daß es im Mhd. etwa wec [wek] ,Weg\ weges fwegaz] heißt. Seit dem 13. Jh. wird die Auslautverhärtung im Schriftbild immer mehr durch e. Schreibung beseitigt > nhd. Weg [ve:k]. In der phoneti¬ schen Realisierung ist sie jedoch erhalten geblieben. 105

45 Zusammenfall von mhd. v fv] und/[fj, s [z] und z [s] findet sich im Nhd. in den meisten Stellungen (vgl. [46]). Nur in sehr konservativen Dialekten ist der Zusammenfall nicht eingetreten. 46+ Anlautveränderungen im Nhd.: Mhd. s [z],das ^c/i-artigen Charakter hatte, wurde schon im Mhd. im Anlaut vor t, p, k als [fl gesprochen, wobei [k] schwand, so daß sich st [ft], sp [Jp], sch [fl ergaben. Dieser Lautwert samt der mhd. Schreibung blieb im Nhd. unverändert. In den Anlautverbindungen sl-, sm-, sn-, 5w- wurde mhd. [z] > nhd. [J]: mhd. slange > nhd. Schlange, mhd. smerze > nhd. Schmerz... Anlautendes mhd. tw- > nhd. (westmd. und obd.) zw-, aber nhd. (ostmd.) qu-: mhd. twerh .quer' > nhd. zwerch (in über-zwerch, Zwerch¬ fell) neben nhd. quer (Ausfall des mhd. -h- [47]); vgl. nd. dwars .quer' (Seemannssprache) ohne 2. LV, mit dial. a < urgerm. e und adverbiellem s. 47 Mhd. h, das nach (39) den Lautwert [h] im Silbenanlaut und den eines [x] im Silbenauslaut (auch Wortauslaut) hatte, verschwindet im Nhd. im Wortinneren, im Wortauslaut, im Silbenanlaut und oft nach / und r, im Silbenauslaut vor K wird es ch geschrieben, vor 5 als [k] gesprochen ([fuks]). Im Anlaut bleibt es unverändert. Also: mhd. sehen ['zshsn] > nhd. ['se:an], mhd. brähte ['bra:xt3] > nhd. brachte. 48 Da urgerm. b nur in den für die Schriftsprache nicht maßgeblichen „strengahd.'' Dialekten > p ergab und urgerm. p durch die 2. LV (40) zu pfbzw.f(f) wurde, gibt es eigentlich im Nhd. keine p enthaltenden Wörter, die nicht entlehnt wären, wobei als Quelle der Entlehnungen natürlich auch dt. Dialekte ohne 2. LV bzw. solche mit „strengahd.“ Lautstand in Frage kommen: nhd. Pott .Topf < nd. pot < vlt. pötus (um 600) < *pötus .Trinkgefäß aus Ton' (aus einer nichtbekannten europ. Sprache; nicht < lat. pötus .Trank'!) im Trierer Raum; nhd. Pause < mhd. püse < lat. pausa über roman. Sprachen (afrz. pose, italien. posa) vermittelt. Lediglich in Wörtern lautmalenden Charakters (S. 197) bzw. expressiven Gehalts (Gemination) begegnet p (pp) in jenen Dialekten, aus denen das Nhd. entstand. 49 Kontraktionen von Vokalen bei gleichzeitigem Schwund von intervokal, -b-, -d-, -g- seit Mitte 12. Jh.s ergeben neue -i- und -eiim Mhd.: -igi- > -i-, -egi- > -ei- wirken überall im mhd. Raum (air.-lat. Brigida > mhd. Bride', bi-gihte [zu jehen .bekennen'] > mhd. bihte > nhd. Beichte), -age- > -ei- (mhd. mag et > mhd. meit > nhd. Maid [aus dem Ad. dichtersprachlich entlehnt!]) ist vorwiegend bair., -ibi-, -idi- > 106

-t- sind allgemein. Diese Kontraktionen spielen in der Morphologie eine

große Rolle, weil durch sie scheinbare Unregelmäßigkeiten wie gist < gibist neben geben usw. entstehen. 50+ Zu allen Zeiten der germ. Sprachgeschichte haben Assimila¬ tionen (Angleichungen) stattgefunden: progressive, wie urgerm. sm > urgerm. mm (z. B. bei Flexionsformen des Pronomens), d.h. solche, bei denen der Angleichungsakt von hinten nach vorne geht (die Umlaute sind partielle progressive Assimilationen), und regressive, wie westgerm. ti > vorahd. tt, d.h. solche, bei denen der Angleichungs¬ akt von vorne nach hinten geht (vgl. die Geminationen [37]). Sehr viele der schon erwähnten Lautgesetze lassen sich als Assimilationen ver¬ stehen. Hier soll nur auf einige wenige Assimilationen hingewiesen werden, die den Wortkörper so sehr verändern, daß die Segmentierung Schwierigkeiten macht, oder die das Ergebnis eines Lautwandels auf seine Ausgangsform zurückgeführt haben: (1) Notkers Anlautgesetz: Bei Notker Labeo von St. Gallen (t 1022) wechseln anlautende b:p, d ( Nötker. Die orthogra¬ phische Regelung scheint den ahd. Ausspracheverhältnissen auch sonst entsprochen zu haben, denn es finden sich mehr oder minder deutliche Spuren dieser Assimilation auch außerhalb der St. Galler Traditionen, und deuten darauf hin, daß b, c/, g stimmlose Lenes (43) waren. (2) Im Spätahd. wird das nach (40) aus urgerm. dentstandene t nach n > d; also: urgerm. nd > ahd. nt > spätahd. nd: z. B. in urgerm. *uindiz (: lat. ventus ,Wind‘) > ahd. wint, Gen. wintes (40) > mhd. wint (44), aber Gen. windes mit partieller regressiver Assimilation (Übertragung der Stimmhaftigkeit von n auf /). (3) Mhd. n vor Labial > m: mhd. an(e)böz > mhd. amböz > nhd. Amboß.

(4) mb > mm: ahd., mhd. lamb > lam (Kürzung nach [37.4]). In > II: frühmhd. elene > eine > mhd. eile > nhd. Elle. 51+ Dissimilation (Veränderung eines von mehreren gleichen Konsonanten) begegnet gleichfalls nicht selten: z. B. mhd. parlier, parier, eig. ,Sprecher1 (zu afrz. parier ,sprechen1) > mhd. palier > nhd. Polier (volks-e. Verbindung mit polieren [S. 2291T.]); lat. turtur > ahd. turtul(a)tüba > nhd. Turteltaube; ahd. klobolouh ( mhd. klobeloueh > mhd. 107

knobelouch > nhd. Knoblauch. Ein Extremfall der Dissimilation ist der

dissimilatorische

Schwund: z.B. ahd. cuning > mhd. künec

(u > ü = Restumlaut [6]) > nhd. König.

52+ Metathese (Umstellung) von zwei Lauten kommt nur spora¬ disch vor. Meist sind davon r und V betroffen. Eine relativ große Rolle spielen Metathesen, die z.T. sehr alt sind, in den nordseegerm. Sprachen: ahd. hros (> nhd. Roß) neben ags. hors (ne. horse), mnd. (h)ors > mhd. ors (Kulturlehnwort). Mhd. brinnen, brennen entsprechen mnd. birnen, bernen und so ist nhd. Bernstein < mnd. bernstein ,brennbarer Stein’ herzuleiten. s-/?-Metathese liegt vielleicht im Namen der Wespe vor: idg. *uobhsä ,die Weberin’ (wegen des Nestes) > ahd. wefsa > nhd. (bair.) Wapsn, aber: nl. wesp, ne. wasp usw. Hier ist die Metathese vielleicht sehr alt; vgl. lit. vapsä ,Wespe’ gegenüber lat. vespa ,Wespe*. 53+ Nebenton, unbetonte Silben und Auslaut: Nach der Akzentfestlegung im Urgerm. (35) ergab sich in manchen Fällen eine verschiedene Phonementwicklung, je nachdem, ob ein Phonem in beton¬ ter oder unbetonter Silbe stand. Über die Verteilung von Hauptton. Nebenton und unbetonten Silben läßt sich i.a. sagen (' = Hauptton, = Nebenton, # = Wortende): (a) Der Hauptton lag auf der Erstsilbe (zur Akzentuierung des Präfixes s. [35]): urgerm. *gebanaz .gegeben’, *üzldubaz ,Urlaub’. (b) Der Nebenton lag auf der Erstsilbe von Zweitelemen¬ ten bei Komposita (S. 172ff.) und Ableitungen durch Suffixkonglutinaten (S. 20, 124f., 153 ff.): urn. (run.) hägu-stäldaR = ahd. hagustalt .Besitzer eines Nebengutes, nicht des Haupthofes’ ( = hagu .umfriedeter Besitz’ + staldaz Nom. ag. zu staldan .besitzen’) > nhd. Hagestolz {-stolz durch Volks.-e.; S. 229ff.); got. üfar-ässus .Überfluß’, ahd. finstarnissi .Finsternis’. (c) Kurze oder lange Silben, die weder Haupt- noch Nebenton trugen, sowohl Mittel- als auch Endsilben, sind unbetont: die Silben -banaz, -gu-, -dar-, -far-, -sus- in obigen Beispielen. Im Laufe der germ. Sprachgeschichte werden die V der unbetonten Silben einem ständigen Reduktionsprozeß unterzogen, der letzt¬ lich zu ihrem weitgehenden Schwund bzw. zu ihrer Abschwächung > o führte. Schwund am Wortende wird Apökope, Schwund im In¬ neren Synkope genannt. Die Nebentonsilben sind in viel geringerem Maß abgeschwächt worden, ja z.T. bis heute unversehrt erhalten (: nhd. Finster-nis).

Die Entwicklung der unbetonten Mittel- und Endsilbenvokale ist nicht einheitlich. Da sie vorwiegend die Nominal- und Verbal108

endungen betrifft, gehört sie eig. zur historischen Morphologie des Dt. Sie ist zwar bei der e. Rekonstruktion, wenn sie nicht nur Wz.-E. (S. 127f., 290ff.) bleiben soll, zu bedenken, kann hier aber nicht im Detail dargestellt werden. Nur ganz allgemein läßt sich zu den Reduktionen beim Übergang vom Idg. ins Urgerm. und in die Einzelsprachen sagen: Die Reduk¬ tionen erfolgen: (1) Im vokalischen Auslaut früher als im gedeckten; VKV,Kff : VKV2ff. V2 wird eher reduziert als V, (vgl. [53.11]). (2) Am ehesten in der letzten Silbe. Zum Hauptton zu nimmt die Neigung zur Reduktion ab: in VKV)KV2ff wird V2 vor V) reduziert. Eine Ausnahme machen die Formen des schwachen Prät., in denen heute noch, wenn auch abgeschwächt, der urgerm. Auslautvokal erhalten ist, während der Mittelsilbenvokal synkopiert wurde: urgerm. *salböda > ahd. salböta > nhd. salbten urgerm. *nazida > ahd. nerita > mhd. nerte > nhd. nährte; urgerm. *hauzida > ahd. hörte > nhd. hörte (nhd. ö nach dem Präsens analogisch). Dabei gilt für die schwachen Präteritalformen der/an-Verben (I. Klasse; S. 180f.) im As. und Ahd.: Kurze V der Mittelsilben werden nach langer Wurzelsilbe noch vor Wirken des Primärumlautes (6) synkopiert. Das Ergebnis ist vielfach bis ins Nhd. das Nebeneinander von umgelautetem Präsens und unumgelautetem Präteritum: urgerm. *nämnian > *nemnian (6) > ahd. nennen (progres¬ sive Assimilation [49]) ,nennen1 gegenüber: urgerm. *nämnida > ahd. nan(n)ta > nhd. nannte. Dieselbe Regel gilt auch für mehrsilbige Ver¬ balstämme. Diese Erscheinung wird fälschlich - wenn auch traditio¬ nell - „Rückumlaut“ genannt (s.o. S. 48). Heute ist das Prinzip durch Analogie (nhd. hörte) oder Neubildungen (nhd. wendete) oft durchbrochen.

(3) Nach langer Haupttonsilbe eher als nach kurzer; VKV)ff: VKV2,ff. Vi schwindet eher als V2. (4) Bei kurzen V leichter als bei langen; VKViff : VKV2ff. V2 schwindet leichter als Vj. (5) Am ehesten bei a, dann bei e. Am resistentesten sind i und u. (6) In Mittelsilben urgerm. e > ahd. i, das Primärumlaut bewirken kann. (7) Idg. Längen werden gekürzt und verändern ihre Qualität: z. B. idg. -öNff > urgerm. -ö(-) > ahd. -a\ idg. -öff > urgerm. -ö (?) > ahd. -u (das nach [7] Umlaut bewirkt); idg. -eff > gemeingerm. (d. h. in allen alten germ. Sprachen) -a. (8) Idg. schleiftonige Längen (S. 80) > urgerm. einfache (stoßtonige) Längen. (9) Die idg. Kurz- und Langdiphthonge entwickeln sich z.T. verschieden.

109

Für idg. K im germ. Auslaut gilt: (10) Die konsonantischen Auslautgesetze wirkten i.a. vor den vokalischen (vgl. die Reduktion der Auslautkonsonanten z. B. im Gr.: S. 78). (11) -m§ in einsilbigen Wörtern > -n: idg. *tom .dann' (> lat. tum) > urgerm. jxin > ags. fron > ne. then. Ansonsten gilt: idg. -m > urgerm. -. Durch ehemaliges -m gedecktes urgerm. a blieb länger erhalten: idg. k'rnom > urgerm. *hornam (3) > urgerm., urn. horna ,Horn\ (12) Dentale Okklusive sind in Einsilblern erhalten: idg. *k^od > nhd. was (36.6). Ansonsten werden sie apokopiert. (13) Zur Entwicklung von idg. -s s. (38).

54+ Sekundäre Sproßvokale: In jenen Sprachen, die als „westgerm.“ bezeichnet werden (S. 61), sind sekundär Mittelsilben¬ vokale durch Anaptyxe (S. 102) entstanden. Im Ahd. entsteht vor -ra¬ ein -w-, sonst gewöhnlich -a-: urgerm. *fuglaz > vorahd. *fogl (3) > ahd. fogal > nhd. Vogel; vorahd. *forhta > ahd. forahta, dann unter Synkopierung des neuen Sproßvokals > nhd. Forcht, Furcht. 55

Sonderentwicklungen des Got.:

Das Got., der älteste in einigem Umfang belegte germ. Dialekt, steht dem Urgerm. zeitlich und entwicklungsmäßig so nahe, daß es bei der e. Rekonstruk¬ tion stets eine hervorragende Rolle spielt. Es ist daher nötig, die orthographi¬ schen Eigenheiten und die wichtigsten lautlichen Neuerungen des Got. gegen¬ über dem Urgerm. hier zu erwähnen. Für die Umschrift got. Wörter in Gram¬ matiken und Wörterbüchern gilt: a = [a]. Der Lautwert [a:] kann nur vor -h- bei Ersatzdehnung gelten (5); e — [e:], spät und selten [i:], aber nie [e] oder [e]; i = [i], nie Länge. Kommt nicht vor r, h, hi vor; o = [o:] nie Kürze; u — [u] oder [u:]. Vor r, /?, tu ist es nie [u]; ei — [i:], nie D; zu äi, ai, äu, aü s. (55.2); für h, d, g gilt i.a. das zum Lautwert im Urgerm. Gesagte (34.1); g vor Guttural ist wie das gr. y [rj], außer wenn die Kombination ggiv vorliegt und auf vorgot. uu zurückgeht (s. 55.3); q = labialisiertes k [k]; tu = labialisiertes h [x] = urgerm. z = [z], Got. Lautgesetze: 55.1 Extremvokalismus: Späturgerm. i und e (jeder Herkunft) fallen zu¬ nächst in got. i zusammen: späturgerm. neman- > got. niman .nehmen'. Analog fallen späturgerm. u und o (jeder Herkunft) zunächst in got. u zusammen: späturgerm. *ioka- > got. juk ,Joch‘. 110

55.2

Got.

Brechung: Nach dem Entstehen des Extremvokalismus, aber

vor dem Beginn der schriftlichen Überlieferung des Got. (Bibel des Wulfila) werden vor r, //, hi die Hochzungenvokale i > [s] und u > [o] gesenkt. Diese Allophone von i und u wurden von Wulfila mit den „Digraphen“ ai und au bezeichnet, mit denen er aber auch jene Laute bezeichnet, die im Got. urgerm.

ai und au entsprechen. In den Grammatiken und Wörterbüchern ist es vielfach üblich, die Digraphen, wo sie einem urgerm. D entsprechen, durch äi, äu, dort wo sie Brechungsergebnis sind, durch ai, aü zu bezeichnen. Während die Aus¬ sprache von ai [e] und aü [o] feststeht, ist die von ai ([ai] oder [s:]) und äu ([au] oder [o:]) umstritten. Diese Darstellung von Extremvokalismus und Brechung ist keineswegs die einzig mögliche. Es läßt sich z. B. annehmen, daß vor r, /?, hj von Hause aus kein Extremvokalismus zustande kam. Auch die oben durch den Einschub „(jeder Herkunft)“ zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß die got. Sonderentwick¬ lungen nach den urgerm. Umlauten lägen, ist weder sicher zu verifizieren noch zu falsifizieren. Hier ist diese Darstellung lediglich aus didaktischen Gründen gewählt. Auch sind diese Fragen, so wichtig sie für die historische Phonologie des Got. sind, für die E. des Dt. von sehr untergeordneter Bedeutung. Bei den „Verba pura“ (d.h. solchen ohne wurzelschließende Konsonanz), wie z. B. saian ,säen' [< *se-an-], stauida ,richtete1 usw.) hatten die Digraphen sicher monophthongische Geltung. Beispiele für die Digraphen: urgerm. *saira- ,Schmerz' (> ahd. ser

[15]

,Schmerz, Wunde' > nhd. sehr) > got. säir, urgerm. *augan- ,Auge' (> ahd.

ouga > nhd. Auge) > got. äugo. Brechung liegt vor in: urgerm. *sih^id- ,er sieht' (> ahd. sihit [36] > mhd. sih(e)t > nhd. sieht) > got. saifiip', urgerm. *burg,Burg, oppidum' (> nhd. Burg) > got. baürg-s ,Stadt'. 55.3

Got.

Verschärfung: Unter nicht sicher bekannten (z.T. auf Ak¬

zentverhältnisse, z.T. auf Laryngal zurückgeführten) Bedingungen wurden ur¬ germ. intervokalische i und u nach kurzer Silbe geminiert

ii und uu („Holtzmanns Gesetz“). Diese wurden in den westgerm. Sprachen als ibzw. w-hältiger D 4- i bzw. u behandelt (26). Im Got. aber ergab ii > ddj und uu > ggw (nicht als [rjw] zu sprechen). In den nordgerm. Sprachen ergab ii > ggj und uu > ggv (wie im Got.). Das galt und gilt manchen neben anderen >

als Indiz engerer goto-nordischer Verwandtschaft. Vergleichbare Erscheinungen gibt es auch im Gr. (S. 79, § 14.6), im Kymr. und anderwärts. Beispiele: got.

twaddje ,zweier', aisl. tveggja : ahd. zweio; got. triggws ,treu‘, aisl. tryggva-: ahd. triuwi.

(35) ist sehr oft analogisch beseitigt.

55.4

Der „grammatische Wechsel“

55.5

Got. Auslautverhärtung: Im Auslaut und vor -s werden die ur¬

germ. stimmhaften Frikative b [ß] und ct [ö] zum homorganen stimmlosen Frikativ. Soweit aber nach

(34.1) schon Verschlußlautallophone bestanden,

blieben diese unberührt: got. stadis,Ortes' (mit cf [ö] < p < t- [VG!]), aber Nom. staps, Akk. stap, dagegen: gards ,Hof, Haus' statt + garps, weil hier schon das Allophon [d] gesprochen wurde. Analog: got. hlaifs (Nom. Sg.) .Brotlaib' : 111

hlaibos (Nom. PI.) mit [ß], dagegen: lamb ,Lamm‘ mit [b], weil nach N schon im Urgerm. die Verschlußlautallophone galten. 55.6

Es gibt noch eine Reihe seltenerer Lautübergänge, wie z. B. urgerm. fl- >

got. fjl-, oder umstrittener Veränderungen, wie die got. Inlauterweichung, ferner spätwestgot. Veränderungen wie der Extremvokalismus [o:] > [u:] und [e:] > [i:] und Spuren einer ostgot. Monophthongierung (analog

[15]). Sie alle können

hier nicht ausführlicher behandelt werden.

56 Synoptische Darstellung der Lautentsprechungen in den wichtig¬ sten agerm. Sprachen und dem Idg.: Die folgende Synopsis soll dem Anfänger die Orientierung über den Lautstand eines Etymons in den wichtigsten agerm. Dialekten erleich¬ tern. Auf Grund des Mischdialekt-Charakters und der z.T. willkürlichen Orthographie des Nhd. wird man bei Erbwörtern womöglich immer vom Mhd. oder noch besser vom Ahd. ausgehen. Das mhd. Etymon kann man mit einiger Übung vom Nhd. her „schätzen“. Durch Konsul¬ tieren der Wörterbücher läßt sich dann leicht verifizieren, ob diese erste „Rekonstruktion“ richtig ist. Läßt sich in den Wörterbüchern kein mhd. Etymon finden, dann kann das zu etymologisierende Wort jünger sein (Neubildung, Fremdwort...), oder es ist zufällig im Mhd. nicht belegt oder erst nach Anlage der großen Standardwörterbücher aufgefunden worden. (In diesem Falle findet es sich dann etwa in den Spezialglos¬ saren zu einzelnen mhd. Werken, wie etwa in den Anhängen der einzel¬ nen Bände der „Texte des deutschen Mittelalters“ usw., ist aber schwer und nur nach langwieriger Sucharbeit aufzuspüren.) Die Entsprechun¬ gen in den modernen Einzelsprachen (wie Ne., Schw., Norw., Dän., Ndl.) können auf der synoptischen Tabelle wegen der Vielfalt der einzel¬ sprachlichen Entwicklungen nicht untergebracht werden. Hat man sich Klarheit über das urgerm. und idg. Etymon in lautlicher Hinsicht ver¬ schafft, so wird man zur Frage der Wortbildung (inklusive Ablaut) - s. u. S. 122 — übergehen.

112

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117

118

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b nach N, Gern.;

/ = v nach V

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strengahd. p < b

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nach N

b im Anl., Gern,

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inlautend in allen Stellungen außer vor s, dann auch im Ausl.

inlautend zw. V und stimmh. Lauten

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kk, kkj, kr kr

k

k

So

g statt gg, ck

■§■ i 4 Or3 0 O’ o ö)

K go ^ II11 t-o o

g (strengahd. k)

-s:

vor u,

cw, c (w-Schwund

tdd3]

kk [ttj]

C3 = gg

cc

[tj]

c, vor palatalen V, die nicht erst durch z-Uml. entstanden,

intersonor./ = v

f = f anl. u. ausl.;

bo

g-h

wie oben + i

kh, k’h

gh, g’h, k, k’

g-

g’hi, khi, k’hi

ki, k’i, ghi,

gl g'i gr, g'r

Guttural +«-?

g, g’

;3 -V «3

-5( bo bc

4

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* * . 3< -3 3«;

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119

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urgerm.

4

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3 3 03 Öd Cu w' -*^T s '

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O-

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Okklusiva +«?

co

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vp i; *cT- i: -q S

stimml. Lauten

d > t, tr ttr dd öd dw, öw tt ttr unverschoben tt tt < dd < fpfp tw {dw), dw < thw z, tz [ts]

52

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aisl.

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Co

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VIII

Wortbildung I: Segmentierung - Wurzel Determinative - Basis - Ablaut

1 Haben wir uns über die historische Lautlehre einen Überblick ver¬ schafft, so sind wir erst imstande, die etymologischen Anschlußmöglich¬ keiten einer Wz. zu beurteilen, in der Regel aber noch nicht die eines gegebenen Morphems, denn dieses tritt uns nur in den seltensten Fällen als reine Wz. („Wurzelwort“, d.h. Wz.-Nomen bzw. Wz.-Verbum; S. 123, 149ff.) entgegen. 2 In der Regel besteht ein freies Morphem (Wort) aus (1) der Ab¬ leitungsgrundlage, (2) dem Ableitungselement (Suffix), (3) dem flexivischen Element (Endung, d.h. Kasussuffix beim No¬ men, Personalsuffix beim Verbum). Die Ableitungsgrundlage kann wie¬ der (a) aus einer Wz. oder (b) aus einem Grundwort bestehen, in letz¬ terem Fall spricht man von sekundärer Ableitung (kind-lich...), während die Ableitung von einer Wz. als primäre Ableitung be¬ zeichnet wird (nhd. Kind < idg. *g’enH, [Wz.] + r-Suffix; H, [ = eigentlich H,\ > a, das in der Mittelsilbe im Germ, verloren geht). Die Ableitungsgrundlage kann auch durch ein Präfix erweitert sein, ebenso das Grundwort: Ge-noss-en-schaft-en (-noss- = Wz., Genosse = Grundwort, dessen PI. der Bildung zugrunde liegt). In der Verbalbildung kann auch ein Infix (S. 20 und S. 189) erscheinen, das in die Wz. integriert wird. Präfixe, Infixe, Suffixe werden als Affixe oder auch Formantien (Sg.: das Formans), Formative bezeichnet. Oft tritt zwischen Wz. und Suffix, meist zwischen Suffix und Endungszeichen ein Bindevokal. In letzterem Fall nennt man die um das Suffix + Bin¬ devokal erweiterte Wz. den Stamm, den Bindevokal zwischen Suffix und Endungszeichen Stamm- oder Themavokal. Ist das Suffix oder das Endungszeichen selbst vokalisch, so kann dieser fehlen. Treten die Endungen, was im Germ, seltener der Fall ist, ohne Vermittlung eines Themavokals an, so spricht man von athematischen Bildun¬ gen. Nach dem Themavokal werden oft die Konjugations- und gewöhn¬ lich die Deklinationsklassen benannt. Es gibt Fälle, in denen Suffix und Themavokal identisch sind, sowie solche, in denen mehrere Suffixe aneinandergereiht erscheinen (Suffixkonglutinate). 3

Beispiele:

Lat. laudabatur: laud (Wz.) -ä (Themavokal, Suffix) -bä (Imperfektsuf¬ fix) -tur (Personalendung). Auf Grund des Themavokals ordnen wir laudäre der ü-Konjugation zu. Nach demselben Prinzip gehört lat. mon122

e-re zur ö-Konjugation. Natürlich kann der Themavokal schon durch

Lautwandel verändert sein, wie in lat. popul-u-m, dessen alat. Entspre¬ chung popl-o-m noch den alten Themavokal des maskulinen o-Stammes zeigt. Lat. rex < *reg (Wz.) -s (Endung, Kasussuffix des Nom. Sg.) zeigt keinen Themavokal und ist also eine athematische Bildung, ein WzNomen. Ahd. biris ,du trägst4 < idg. *bher (Wz.) -e (Themavokal) -si (Ver¬ balendung 2. Sg.) ist eine thematische Bildung. Ahd. ezzan ,essen‘ < idg. *edonom: *ed (Wz.) -o (Themavokal) -n (Suffix des Verbalnomens) -o (Themavokal) -m (Endung; Kasussuffix Nom. Sg. Neutr.). *edonom ist also eine thematische Bildung, *edo- ist der thematische Verbalstamm, *edono- der Stamm des Verbalnomens, ein o-Stamm (der nach der o-Deklination flektiert). Wegen idg. o > urgerm. a (1) spricht man im Germ, von einem a-Stamm bzw. der «-Deklination (analog heißen die idg. «-Stämme im Germ. ö-Stämme

[11])Urgerm. *et-a-n-a- wird entsprechend bestimmt. Die idg. Endung -m ist im Urgerm. nach (53.11) apokopiert; nach Apokope des -« ergibt sich *etan, dessen auslautendes -n nunmehr als Infinitivzeichen gilt. Es ist vom historischen Standpunkt in gewissem Sinne ungenau, wenn man ahd. ezz-an in die Wz. ezz- und die „Infinitiv-Endung“ -an segmentiert. Nhd. winden: wi-n-d (Wz. mit «-Infix [wegen nhd. Weide, Eingeweide, got. gawidan verbinden4 zur idg. Wurzel *uei/ui- .drehen, biegen4]) -e (Bindevokal < urgerm. a) -n (neues Infinitivzeichen < urgerm. -na- < idg. -nom). Mhd. (ich) tuon < idg. *dhö (Wurzel) -mi (Endung 1. Sg.). Idg. *dhömi ist, wie das zugehörige gr. xidripi, ein athematisches Verbum, ein Wz.-Verbum, ein ra/-Verbum (nach der charakteristischen Endung). Noch im Mhd. ist dies aus der Form tuon ersichtlich, während nhd. tue sich an die thematischen Verba wie trage, binde, suche... analogisch angeglichen hat. Was Suffix und Bindevokal betrifft, so ist die grammatische Terminologie gelegentlich nicht ganz einheitlich, da man den Bindevokal bald zum Suffix rechnet, bald nicht. Man spricht also von einem -ti- und -«/-Suffix, aber auch von einem Dentalsuffix -t-, das zur Bildung von Ableitungen verwendet wird, die als i- und «-Stämme flektieren. Ernste Verständigungsschwierigkeiten erge¬ ben sich hier jedoch nicht.

4 Tritt ein Suffix an einen vokalisch auslautenden Stamm an, so er¬ scheint dieser Themavokal als Bindevokal zwischen Wz. und Suffix: z. B. got. salba .Salbe4 < urgerm. *sa/b (Wurzel) -ö (Themavokal) -0 (Endung „Null“ des Nom. Sg. [auch „Null“ kann eine Endung sein, die eine 123

bestimmte grammatische Form im Gegensatz zu anderen Formen mit Endungen wie -5, -m usw. kennzeichnet!]); dazu die suffixale Ableitung got. salbofs ,gesalbter1 < urgerm. *salb (Wz.) -ö (Themavokal) -d (< idg. t = Dentalsuffix; VG!) -a (Themavokal) -z (Endung Nom. Sg. Mask.). Auch in solchen Fällen spricht man bald von einem Dentalsuffix idg. -t- (-to-), bald von einem Suffix -ät- (-äto-). Letzteres ist natürlich dann eher berechtigt, wenn Stämme mit anderem Themavokal als -ä(urgerm. -ö-) oder athematische Stämme mit diesem -ü/o-Suffix weiter¬ gebildet werden; z.B. ahd. hoferöt,bucklig1 (e = [3] = abgeschwächter Sproßvokal nach [54]), gebildet zu ahd. hofar, hovar .Buckel1 < urgerm. *hufr-a-z, also einem mask. a-Stamm. Ein Suffix (eher ein Suffixkonglutinat), das solcherart neue Ab¬ leitungen schaffen kann, also noch „lebendig11 und frei verfügbar ist, nennt man „produktiv11. In diesem Sinn ist das „Suffix11 -öt-, das aus einer Verbindung des Themavokals der germ. ö-(idg. ü-)Stämme mit dem Verbaladjektiva bildenden -r-Suffix stammt, im Ahd. und Frühmhd. noch produktiv, wie mhd. geseginöt .gesegnet1, ermorderöt .ermordet1 usw., zeigen. Natürlich wäre es unzulässig, diese Formen sozusagen „stur11 mit Hilfe der Lautgesetze ins Idg. zu transponieren und ihre idg. Existenz zu behaupten; sie sind erst im Dt. mit Hilfe des „produktiv gewordenen“ -ot-Suffixes gebildet. Heute könnte man For¬ men wie + verßuchot, + verdammot... nicht mehr bilden: -öt ist „un¬ produktiv“ geworden. Produktiv sind heute Suffixe wie -(i)sier- (histori¬ sieren, problematisieren, verbalisieren) oder -(i)stisch (historistisch, psychologistisch, militaristisch, gaullistisch). Beim Etymologisieren stellt sich uns häufig die Frage, ob man zu einem bestimmten Zeitpunkt noch mit der freien Verfügbarkeit („Pro¬ duktivität“) eines Suffixes rechnen darf. Die Frage ist oft außerordent¬ lich schwer, manchmal gar nicht zu beantworten. Die Kriterien sind mannigfaltig und verlangen vom Etymologen ein gewisses Einfühlungs¬ vermögen: man muß z.B. die Bildungen im Hinblick auf die bezeichneten „Sachen“ befragen. Im Falle von mhd. geseginöt ist es klar, daß diese Bildung erst aus der christlichen Zeit stammen kann. Bei ahd. hoferöt ist wieder das formale Argument der Grund, daß die Ableitung dem a-Stamm von Haus aus „nicht angemessen“ ist. Auch das Zeugnis der anderen verwandten Sprachen ist oft sehr wichtig (S. 290). 5

Wie die Bildung historistisch im Vergleich mit historisch und Hi¬ storist zeigt, können Suffixe zu Suffixkonglutinaten aneinander¬ gereiht werden (Ganz-heit-lich-keit). Auch Präfixhäufung ist nicht selten (Vor-unter-sucli-ung). Sekundäre Ableitungen ähnlicher Art kön¬ nen auch in scheinbar primären Ableitungen versteckt vorliegen, wenn 124

sich zeigt, daß die sog. Wz. selbst schon ein Element enthält, das in einem früheren Sprachzustand einst ein produktives Suffix war. Der Laie wird geneigt sein, kind- in kind-lich für die unerweiterte Wz. zu halten, und vom synchronischen Standpunkt aus ist das ja auch berechtigt. Der Sprachhistorikererkenntjedochdiemit -/- erweiterte Wz. idg. *g’en-H,. Hier bewegen wir uns auf sicherem Terrain, denn wir kennen durch viele andere Beispiele das idg. -t-Suffix, wir kennen die Bedeutungsmodi¬ fikation, die dieses Suffix bewirkt, und wir kennen auch *g’enHr in unerweiterter oder anders erweiterter Form (lat. gen-u-s ,Geschlecht4 < *g’enH,os, gen-u-i-t ,(er)zeugte4 usw.).

6

Eine einfache (unerweiterte) Wz. begegnet uns z.B. in idg. *dhe- (in erweiterter Form in der Abstraktbildung *dhe-t- i-s ahd. tat ;> nhd. Tat), eine erweiterte Wz. dagegen in idg. *ualdh- (diese in urgerm. *ualda-n- > ahd. waltan > nhd. walten), denn ein Vergleich mit lat. val-e-re ,kräftig sein4 zeigt, daß es noch eine kürzere Wz. als *ualdh- gibt. Das Germ., das Balt. (lit. valdyti) und das Slaw. (abg. vladp) haben die längere Wz. weitergeführt, die ital. Sprachen und das Kelt. (air. fal-n-) die kürzere. Von *dhe-t- unterscheidet sich aber *ual-dh- dadurch, daß wir -t- als Abstraktsuffix semantisch genau bestimmen kön¬ nen, -dh- in *ualdh- hingegen nicht. Diese voreinzelsprachlichen wur¬ zelerweiternden Suffixe, deren semantische Funktion gewöhnlich nicht mehr feststellbar ist, werden Wurzeldeterminative oder kurz Deter¬ minative genannt. 7 Bei der Rekonstruktion steht man oft vor der Frage, ob es sich bei den vermuteten Etyma um determinativische Wz.-Erweite¬ rung handelt oder eben doch nur um zufällig ähnliche, aber e. nicht zusammengehörige Wzn. Entscheidungskriterien sind z.B. die se¬ mantische Verwandtschaft (lat. valere ,stark sein4 : nhd. walten herrschen4), der Nachweis, daß die gleichen Determinative auch sonst begegnen (z.B. idg. *uer- sprechen4 ohne -c/Zi-Determinativ in gr. eipco < *Fepjco gegenüber lat. verbum ,Wort4 < idg. * uer-dh-o-m, ahd., nhd. wort < idg. *ur-dh-o-m [schwundstufig, S. 132]) und daß sie womöglich in einer Gruppe benachbarter Sprachen (z. B. bei *ual-dh- im Balt., Slaw., Germ.) begegnen, was auf ehemalige dial. Geltung der Determinativbildung hinweisen könnte. Es ist leicht einzusehen, daß das Rechnen mit Wz.-Determinativen die Zahl der e. Anschlußmöglich¬ keiten stark vergrößert, zumal ja für die Determinative kein semanti¬ scher Gehalt feststellbar ist; aber um so wichtiger ist die Prüfung der genannten Entscheidungskriterien, wenn man Willkürlichkeiten ver¬ meiden will. 125

Z. B. in nhd. Weich(bild) < mhd. wich (bilde) findet sich das dt. Etymon zu got. weihs .Dorf, Flecken1 (Weichbild ist ursprünglich ein die Gerichtshoheit eines Marktes - mhd. wich - bezeichnendes Bildwerk, dann die Bezeichnung des Rechtsbezirkes selbst). Außergerm. Etyma von got. weihs sind u.a.: lat. vicus .Dorf, gr. olxoq .Haus1 (< *Foixo<;), abg. vbsb .Dorf1 (zum Ablaut S. 134), die idg. Wz. muß also *ueik'-juoik’-/uik'- gelautet haben. Man könnte nun an eine Determinativerweiterung der Wz. *uei- .drehen, biegen, flechten1 (> lat. vieö, viere .flechten1, abg. vbjp .flechten1) denken, die besonders auch in der Hausbauterminologie wichtig ist (z. B. idg. *uoi- > got. waddjus = aisl. veggr .Wand, Mauer1; ..gotonordische Verschärfung11 S. 111). Da das Haus der Urzeit aus Rutengeflecht mit und ohne Lehmverputz besteht, desgleichen die Umzäunung der Siedlungen, wäre die Verbindung von *uei- und *ueik'- seman¬ tisch leicht möglich. Da es aber keinen zweifelsfreien Fall eines -k ’-Determinativs zu geben scheint, bleibt die Verbindung von *ueik - und *uei- lediglich eine Vermutung, die nicht weiter abgesichert werden kann. Umgekehrt gibt es natür¬ lich auch Fälle, in denen der Annahme eines Wz.-Determinativs aus formalen Gründen nichts im Wege steht, die aber an der semantischen Unvereinbarkeit von einfacher und erweiterter Wz. scheitern. 8 Die Ableitung mittels Wz.-Determinativen führt zu Wz.-Varianten hinsichtlich des Auslautes. Es gibt aber auch solche hinsichtlich des An¬ lautes. Die Probleme, die sich daraus beim Etymologisieren ergeben, lassen sich am folgenden Beispiel aufzeigen: ahd. farah (: nhd. Ferkel; S. 156) < idg. *pork’- (> lat. porcus .Schwein1, lit. parsas .kastrierter Eber1, abg. prasp .Schwein, Ferkel1) steht gegenüber ahd. barug, barah (> nhd. Barch .kastrierter Eber1), das auf idg. *bhorkx- (verschieden akzentuiert, daher VG in ahd. barug, aisl. bprgr .Eber1, ags. bearg > ne. barrowl) zurückgehen müßte. Da nur im Germ. Etyma dieser zweiten Wz. vorhanden sind, läßt sich über die Qualität des Gutturals, ob palatal oder velar, keine Aussage machen. Einer Verbindung von *pork'- und möglichem *bhorksteht also nur der Anlaut im Weg. Da es noch einige weitere Fälle von Wz.-Variation dieser Art gibt, dachte man an ein Relikt eines idg. Lautwandels (p > bh oder bh > p unter bestimmten, aber nicht bekannten Umständen). Da es sicher unrichtig wäre, sich das Idg. als genormte Einheitssprache vorzustellen, könnte das Nebeneinander von *pork'- und *bhorkx- auf einstige dial. oder soziolektale Gliederung (z. B. bäuerliche Fach¬ sprache) weisen. Da aber die zweite Wz. nur germ. ist, könnte sie auch auf urgerm. Neubildung zurückgehen; es wäre dann unberechtigt, urgerm. *barh-j barg- ins Idg. zurückzuführen. Man hat also an Kontamination (S. 228) des ererbten *farh- (< idg. pork ’os) mit urgerm. *borön .bohren1 (< idg. *bher- .mit scharfem oder spitzem Werkzeug bearbeiten1) im Sinne von .kastrieren1 gedacht, weil auch im Slaw. ein von idg. *blior- abgeleitetes Morphem *borvh einzel¬ sprachlich .kastrierter Eber1 bedeutet. Die Annahme idg. Anlautvarianten ist sehr häufig überflüssig, da die „anstoßerregenden11 Morpheme gewöhnlich auch als einzelsprachliche Neuerungen erklärt werden können.

126

9

In einem gewissen Ausmaß sind jedoch Anlautvarianten gesichert: z. B. k : - in idg. *kost-: *ost- .Knochen1 (lat. costa ,Rippe1: gr. öoreov, ai. asthi, lat. os .Knochen1), was mit Hilfe der Laryngaltheorie (S. 71 ff.) erklärt wurde, ferner das Nebeneinander von Velar- und Labiovelaranlaut (idg. *geleb(h),ballen1 > ahd. (wazzar)kalb .Wassersucht1 > nhd. (dial.) Kalb .Muskel1, dazu auch ahd., nhd. kalb [eigentl. .Anschwellung der Gebärmutter1 -> .Fötus1] : idg. *g~elbh .Gebärmutter, Tierjunges1 > gr. Ö£?opa^ .Ferkel1, Setapiq .Delphin1) und einiges andere. Insgesamt läßt sich sagen, daß die idg. Anlautvarianten um vieles seltener sind als die auf Determinative zuriickführbaren Auslautvarianten der

Wz. 10 Der Anfänger im Etymologisieren möge sich immer vor Augen halten, daß die „Wurzeln“ sprachwissenschaftliche Abstrak¬ tionen sind, die zwar den idg. Wörtern zugrundeliegen, aber keines¬ falls mit ihnen verwechselt werden dürfen. Eben deshalb darf sich auch die E. nicht damit begnügen, lediglich die Wz. des untersuchten Mor¬ phems zu rekonstruieren, sondern hat auch zur Wortbildung und zur Flexion Stellung zu nehmen. Die Zerlegung der Wz. in die „eigentliche Wz.“ und das Determinativ ist im Grunde ein weiteres Zurückgehen ins Frühidg., das zwar nicht unberechtigt sein muß, aber von der germanist. E. nicht mehr gefordert werden kann. In den e. Wörterbüchern des Idg. werden in der Regel in deutlich erkennbaren Fällen die Determinative abgetrennt und die Determinativerweiterungen unter der Rubrik der einfachen Wz. gesondert aufgeführt. Wo es möglich ist, gibt man aller¬ dings lieber idg. Wörter (z.B. *pork’os Schwein1) als Wzn. an. Die Wzn. sind als Lemmata der idg. e. Wörterbücher, wenn keine Wörter angege¬ ben werden können, weil die Vielfalt der Etyma in den Tochtersprachen nicht die Rekonstruktion eines (einzigen) Wortes erlaubt, als die größte allen verglichenen Etyma gemeinsame Einheit im Sinne eines WortKernes anzusehen. Wir werden noch beobachten, daß ganz Analoges auch von der semantischen Rekonstruktion gilt (S. 207ff.).

11 Die Suche nach kleinsten Wz.-Kernen nach Abtrennen aller Deter¬ minative wurde vor allem auch durch die Auffassung, daß jede ur¬ sprüngliche Wz. eine Verbal-Wz. sein müsse, ein den indischen Grammatikern entnommenes Prinzip, gefordert. Wenn dem so wäre, dann müßten wir allerdings jene idg. Wörter, deren älteste Bedeutung als Nomina feststeht (z.B. *pster, *eudher ,Euter1, *po(s ,Fuß‘...), so lange weiter segmentieren (zerlegen), bis Ur-Wzn. (vom Typus **p>, **eu-, **po-...) übrigbleiben. Das könnte in einigen Fällen berechtigt sein: z.B. *pater zu idg. *pä-/pd- in lat. päscö .füttere, weide1, ahd.fuotar > nhd. Futter. Der Später wäre dann der ,Ernährer1. Aber in den 127

allermeisten Fällen dieser schon idg. Nomina ist es auch bei großzügig¬ ster Annahme von Determinativen nicht möglich, zu den geforderten verbalen Ur-Wzn. vorzudringen. Man ist daher heute der Auffassung, daß zwar ein großer Teil der Nomina durch Ableitung von Verbal-Wzn. gebildet ist, aber keineswegs alle. Damit aber entfallt auch der Zwang, mehr oder minder krampfhaft unter Zugeständnissen an die Semantik und in Gefahr, der Willkürlichkeit zu verfallen, Wz.-Determinative zu suchen - und zu finden.

12

Wir müssen nunmehr fragen: Wie muß ein rekonstruiertes Mor¬ phem aussehen, um sich überhaupt in den Rahmen der sonst „bekann¬ ten“ idg. (und urgerm.) Morpheme einzufügen? Dies setzt eine Theorie der idg. Silben- und Wz.-Struktur voraus. Da eine allgemein aner¬ kannte Definition der Silbe bisher fehlt, möge der Leser im folgenden unter „Silbe“ die Sprechsilbe im landläufigen Sinn verstehen, also: Vci-ter. Wenn auch gesagt werden kann, daß die idg. Wzn. meist einsilbig sind, so ist dennoch Wz. und Silbe nicht unbedingt identisch; z.B. lat. laud- ist eine einsilbige Wz.; der Gen. Sg. zeigt jedoch das Auseinander¬ fallen von Silbengrenze (lau-dis) und Wz.-Grenze (laud-is). Im folgenden soll nur von der Wz.-Struktur die Rede sein.

13

Die bekannteste Wz.-Theorie (von E. Benveniste) geht von ei¬ ner dreiphonemigen Standard-Wz. K,eK2 aus. e ist e, K ein Nicht-V (also: Geräuschlaut, Sonant [inkl. Halbvokal], Laryngal). Dabei gilt: (1) K, und K2 dürfen in einer nichterweiterten Wz. nicht identisch sein, wobei zwischen r und / nicht unterschieden wird. Es gibt also keine Wurzeln vom Typ + tet-, + kek-, + dhedh-, + ler-, +/
Wir können Regel (1) und (2) an zwei Beispielen erproben: Nhd. deutsch < ahd. diutisk enthält das Morphem ahd. diut- (auch in ahd. diuten ,deuten4), in umgelauteter Form (17) ahd. diot(a) /Volk1 < urgerm. *peudö (> got. piuda) < idg. *teuta. Außerhalb des Germ, finden sich genaue lautliche Entsprechungen in air. tüath ,Volk‘, kymr. tud ,Land‘ < idg. *teutä. Auch im keltisierten Völkernamen der germ. Teutones sowie in „illyr.“ PN wie Teuta, Teutana kommt das Morphem vor. Auf Grund der Regel (1) kann *teutjedoch keine unerweiterte Wz. sein, sondern muß ein /-Determinativ oder /-Suffix enthalten. Da wir also *teu-t- segmentieren müssen - der zweite Teil des Diphthongs gilt als Halbvokal und wird in Zukunft u geschrieben (analog: ou, ei, oi, ei...) -, ergibt sich für das Idg. die Möglichkeit, an *teu- ,im freundlichen Sinn die Aufmerksamkeit zuwenden‘ oder an *teu- (teu-) ,schwellen; mächtig, kräftig1 zu denken. In der Regel wird *teu-tä zu ,mächtig.. / gestellt. Ob dies berechtigt ist, können wir auf dieser Stufe noch nicht beurteilen. Nhd. Zeichen < ahd. zeihhan < urgerm. *taikna- (got. taikn, ags. täc(e)n > ne. token) < idg. *doig’-no-m. *doig’- verstößt gegen (2). Da ein idg. -g'-Suffix kaum in Frage kommt (S. 156), müssen wir -g’- als Determinativ fassen. Wir können *doi- dann zu *dei- (zum Ablaut s. S. 134) ,sehen lassen1 stellen; lat. digitus ,Finger, Zeiger1 und dlgnus ,würdig1, eigentlich ,worauf man hinzeigt1 enthalten dasselbe Determinativ. Die üblichere Wz.-Erweiterung *deik’- lebt in lat. dicere ,sagen1, gr. Selxvupi,zeige1, urgerm. *tihan- > got. teihan, ahd. zihan > nhd. zeihen weiter.

14 Wie wir sehen, läßt sich das abweichende Erscheinungsbild idg. Wzn. durch die Annahme determinativischer und suffixaler Erweiterun¬ gen erklären. Die Suffixe haben die alternierende Struktur -eK/K-. Dabei gilt: (1) Behält die Wz. das e, so hat das Suffix die Form -K-: also idg. *petr- > lat. acci-pit-r-is (Gen. von accipiter ,Habicht1, eigentl. ,Schnellflieger‘), urgerm. *fep-r-ö > ahd. fedara > nhd. Feder - aus Gründen der Flexion und durch Sproßvokale (ahd.fed-a-r [54]) ist die ursprüngli¬ che Phonemfolge -tr- oft erweitert. (2) Behält das Suffix das -e-, so hat die Wz. die Form K/K2. also idg. *pt-er- > gr. Tttepöv ,Schwungfeder1. Es gibt noch die Möglichkeit weiterer Suffigierung an die nach (1) oder (2) erweiterte Wz. Dem Problem vokalisch anlautender Wzn. läßt sich dadurch begeg¬ nen, daß die Faryngale (S. 71 ff.) Hh H2, H3 als Konsonanten aufgefaßt werden: idg. *ag’~ ,treiben1 < **H2eg’- usw. 15 Diese 1935 entwickelte Theorie wird in ihrer Gültigkeit heute z.T. bestritten, sie ist aber noch durch keine andere ersetzt, die allgemeine Zustimmung gefunden hätte. Wenn im folgenden die Möglichkeiten der idg. Wz.-Struktur im Hinblick auf das Germ, zusammengefaßt werden. 129

so ist dabei im Auge zu behalten, daß die vorausgesetzte Entwicklung der Laryngale bereits als vollzogen gilt und daß die idg. V in allen Stellungen einen bestimmten regelhaften Wechsel hinsichtlich Quantität und Qualität zeigen (Ablaut), mit dem wir uns noch eingehender be¬ schäftigen werden (S. 132ff.). Jedenfalls läßt sich immer eine im Rahmen dieses Wechsels variierte Normalform feststellen, die als Basis be¬ zeichnet wird. Man unterschied bei der Normalform der Wz. einsilbige und zweisilbige sowie leichte und schwere Basen. Durch die Laryngaltheorie hat sich allerdings das Bild ganz entscheidend verändert, nämlich insofern, als der Begriff der einsilbigen schweren Basis wohl überhaupt wegfällt, die zweisilbigen Basen aber auf die sog. Set-Basen eingeschränkt werden. Da die traditionellen Begriffe aber noch gang und gäbe sind, werden sie auch dieser Darstellung zugrunde gelegt. An entscheidenden Stellen aber werde ich auf die Unterschiede, die sich nun aus laryngalistischer Sicht ergeben, hinweisen. 16

Die einsilbige Basis:

16.1 Leicht: Vokalismus: Kurzvokal (V) oder Kurzdiphthong, wobei die halbvokalischen Zweitelemente der Diphthonge (D) neben / und u auch Nasale (n, m) oder Liquide (/, r) sein können. Hier zählen el, er, en, em als Diphthonge wie ei, eu, oi, ou. Konsonantismus: Die leichten einsilbigen Basen haben die Struktur der „Standardwurzel“ K,VK2 (*sed-,sitzen4, *nas- ,Nase4, *H,es > *es,sein4). Lür K, und K2 gelten die oben angegebenen Regeln. K2 gehört im eigentlichen Sinn zur Wz., d.h. ist kein Determinativ. Die diphthon¬ gisch leichten Basen haben entweder die Lorm DK (*eis- .ungestüm bewegen4, *elk- .Geschwür4), D (*ei- .gehen4, *er- .Erde4 [noch in ahd. ero ,Erde4; sonst im Germ, mit Dentalsuffix!]), KD (*nem- .zuteilen; nehmen4, *leu- .trennen, lösen4) oder die Lorm K,DK2 (*leubh- ,lieb4, *uert- .wenden4), wobei für K, und K2 wieder die oben angeführten Regeln gelten. Nur ist jetzt K2 gewöhnlich Determinativ. Der Typus KD ist im Germ, kaum mit den Diphthongzweitteilen/ und u belegt. Germ. Wzn. mit solchen D sind wohl immer erweiterte Wzn. Diphthonge mit Liquid oder N als Zweitteil wurden im Germ, in VK uminterpretiert, so daß z.B. idg. KD *nem- im Germ, als K, VK: behan¬ delt wurde. Schon im Idg. können Wzn. vom Typus K,DK2 (D = en) aus K/VK2 durch Infigierung von -n- entstehen; in einem solchen Lall ist K2 kein Determinativ. 16.2 Schwer: Vokalismus: Langvokal (V) oder Langdiphthong (D). Konsonantismus: bei monophthongischen einsilbig schweren Basen gelten dieselben Strukturformeln wie für die diphthongisch leichten 130

Basen, also VK (*eg’- ,sprechen4 < **He,g’-), V (dies nur als Interjek¬ tion), KV (*re- berechnen, zählen4 [< **reHr] in lat. reor ,rechne4), K,VK2 (*deg-,berühren4 > got. tekan: aisl. taka > ne. take [skandinavi¬ sches Lehnwort!], *möd-,begegnen4 > aisl. möt,Begegnung4, ne. meet). Für K, und K2 gelten die obigen Regeln. K2 kann zur Wz. gehören (*led-) oder Determinativ sein (*re-dh- ,berechnen4 > urgerm. *redan> ahd. rätan > nhd. raten; wohl auch *de-g-). Die diphthongischen einsilbigen schweren Basen scheinen nach denselben Prinzipien gebildet worden zu sein wie die diphthongisch leichten Basen, also: DK (*eudh> lat. über, nhd. Euter), D (nur Interjektionen), KD (*g’ei- ,keimen4 > ahd. chimo > nhd. Keim; Langdiphthong wegen der balt. Belege ange¬ setzt!), K,DK2 (*leig- > ahd. lih ,Körpergestalt, Aussehen, Leib, Leiche4 > nhd. Leiche). Hier ist die Sicherheit und damit die Zahl der Beispiele am geringsten. Da im Germ, die Langdiphthonge mit den Kurzdi¬ phthongen zusammengefallen sind, bedarf es in der Regel (S. 91, 135) außergerm. Etyma, um zu erkennen, daß ein idg. Langdiphthong vor¬ liegt. Aus laryngalistischer Sicht ergibt sich die Identität der einsil¬ big-schweren Basen mit V mit den einsilbig-leichten Basen mit D. Dabei gilt H als Diphthongzweitteil, also: *eg*re*led-

< **HeH,g’< **reHr < **leH,d-

wie **Helk- oder **Heisoder **nemwie **leuwie **uert- oder **leubh-

Lediglich über die diphthongisch einsilbig-schweren Basen besteht noch keine Einigkeit. Doch scheinen auch hier die langvokalischen Diphthongerstelemente ursprünglich laryngalisiert gewesen zu sein (Laryngalmetathese; S. 132f., § 19). 17

Die zweisilbige Basis:

Die Regel ist der Typus (K,)V,K2V2-. Je nach der Quantität des V2 unterscheidet man leichte und schwere Basen. 17.1 Leicht: (K,) V,K2 VT. Bezeichnen wir wie in der Metrik den Kurz¬ vokal e als eine Mora (x) und a als eine halbe Mora (w), so läßt sich sagen, daß die zweisilbig-leichte Basis 1, 1 lA oder 2 Moren haben kann: also KjV,K2V2-, K,K2V2-, K,V,K2-, K,V,K2-, K,K2V2-, K,V,K29~. 17.2 Schwer: Die schwere zweisilbige Basis kann 1 Yi, 2 oder 3 Moren umfassen. Also: K,V,K2V2-, K,V,K2o-, K,K2V2. Diese Bildungsregeln kommen in dieser Form jedoch kaum jemals vor, sie sind vielmehr aus morphologischen Gründen, durch analogi¬ schen Ausgleich usw. meist irgendwie durchbrochen. 131

Aus laryngalistischer Sicht sind zweisilbige Basen solche mit wurzelschließendem Laryngal, also etwa frühidg. **g'enH, > spätidg. *g’ena-. Wzn., die ein solches 5 (< ///), das im Ai. als i erscheint, enthalten, heißen Set-Wzn. (Set < ai. sa ,mif -|- i-t), solche ohne die Möglichkeit eines 5 Anit-Wzn. (Anit < ai. an ,ohne‘ -1- i-t). Diese Ausdrücke begegnen häufig in der Fachliteratur.

18

Um die Vokalisierungsmöglichkeiten der Wz. zu verstehen, ist die Kenntnis der Grundprinzipien des Ablauts nötig. Unter Ab¬ laut (engl, vowel gradation, vowel alternation, ablaut, apophony; frz. alternances vocaliques, apophonie) versteht man einen regelmäßi¬ gen, schon in idg. Zeit bei e. und morphologisch verwandten Formen auftretenden Vokalwechsel. Dieser erfaßt den Wz.-Vokal bzw. bei zweisilbigen Basen die Wz.-Vokale, die (Binde-)Vokale der Affixe, der Kasussuffixe und Verbalendungen. Als quantitativer Ablaut be¬ stimmt er die Vokallänge, als qualitativer Ablaut bestimmt er Artikulationsart und -stelle der Vokalbildung, d.h. er färbt die V um (Umfärbung) bzw. tönt sie ab (Abtönung). Der Ablaut ist eine charakteristische Erscheinung des Idg. - etwa im Gegensatz zur Vokalharmonie der finno-ugrischen und Turksprachen. Sicher scheint zu sein, daß der idg. Akzent bei der Entstehung des Ablautes beteiligt war. Einzelheiten sind umstritten.

19

Quantitativer Ablaut: Gegenüber der als Normalstufe (Hochstufe, Vollstufe = Vo) geltenden Basis kann ein V gedehnt (Dehn¬ stufe = De) oder geschwunden sein (Nullstufe, Tiefstufe, Schwundstufe = S). Ausschlaggebend ist die Quantität der Basis: Leichte Basis: monophthongisch diphthongisch

Vo *sed*leus*bhendh-

De *sed*leus*bhendh-

S *sd*lus*bhndh-

Gelegentlich wurde auch für die leichten Basen mit einer Reduktionsstufe ( = Re) gerechnet: also Vo *seug- .saugen' : Re *sbug-, wobei b (Schwa secundum) + u schon in idg. Zeit > ü (bzw. bi > i) ergeben hätte. Die Re einer mono¬ phthongischen Basis sollte gleichfalls b enthalten. Die Entwicklung dieses b wurde einzelsprachlich verschieden angenommen. Fürs Lat. wurde oft Zusam¬ menfall mit p (Schwa primum) vermutet: z. B. gr. pcvro ,bleibe' (Vo) : lat. maneo ,bleibe' (Re); urgerm. *geban- ,geben' (Vo): lat. habere .haben' (Re). In Wörter¬ büchern und Grammatiken ist das angenommene Schwa secundum teils wie oben mit dem Zeichen des abg. Jerj, teils auch durch ein verkleinertes und tiefgestell¬ tes e bezeichnet. Die Alternanz eu : ü läßt sich besser laryngalistisch erklären. 132

wenn man für ü mit Laryngalmetathese rechnet: frühidg. **seHuk-: **sHuk- (S) > **suHk- > spätidg. *sük-. Im übrigen kommt auch „Ablautentgleisung“ in Frage.

Schwere Basis (traditionell): Vo S monophthongisch *led- *laddiphthongisch *lei- *hi-

laryngalist. Vo S **leH,d- > *led- **lH,d- > *ldd**leH,i- > *lei> *bi-

Die schweren Basen bilden nach traditioneller Anschauung weder Dehn¬ stufen noch Reduktionsstufen. Meist bleiben die Basen innerhalb ihrer Ordnung. Es kann aber ge¬ legentlich eine ,,Ablautentgleisung“ Vorkommen (S. 144f.), u.a. dann, wenn die De als Vo einer schweren Basis aufgefaßt wurde, so daß etwa als Reduktionsvokal a entstehen konnte. Das ist vielleicht in Fällen wie urgerm. *geban (idg. De: *ghebh-) : lat. habere (< idg. S *ghdbh-l) geschehen und kann erst im Spätidg., nach Schwund von H, passiert sein. Das Prinzip des Ablauts wurde bereits von den alten Indern weitgehend richtig erkannt. Sie gingen jedoch in ihrer Terminologie nicht von der Vo, sondern von der S, die sie als Grundstufe ansahen, aus. Die Vo bezeichneten sie dann als Guna-Stufe (guna Vorzug, hoher Grad‘) und die De als Vrddhi-Stufe (vrddhi Vermehrung1). Wenn wir beachten, daß ai. e < ei, oi, ai. o < eu, ou, ai. ai < äi < ei, öi, ai. au < äu < eu, öu (S. 75), so ergibt sich: Grundstufe (S): iju - Guna (Vo): ejo - Vrddhi (De): ai/au. Analog bei Diphthongen mit Liquid oder Nasal als Zweitkomponente: Grundstufe: r,lGuna: ar, al... - Vrddhi: är, äl ... Nicht-diphthongische Wzn. konnten mit diesem System nicht erfaßt werden. Die Termini Guna und Vrddhi begegnen auch in der neueren Fachlite¬ ratur sehr häufig.

20

Qualitativer Ablaut: Der Normalform e steht als abgetönte Form o gegenüber, so daß man von e-Stufe (= Normalstufe, unabgetön¬ te Vollstufe = Vo)und o-Stufe(= abgetönte Vollstufe = aVo) sprechen kann. In der germanist. Literatur wird gewöhnlich auch noch mit einem analogen Ablautverhältnis zwischen ä und o gerechnet. Im Licht der Laryngaltheorie ist diese Annahme überflüssig geworden.

21

Abtönung und Abstufung treten gemeinsam auf (aDe = abgetönte Dehnstufe), z. B. im Suffixablaut im gr. Vater-Wort: Ttaxepa, Akk. Sg. (e = e-Stufe), (su)7raxopa, Akk. Sg. (o = o-Stufe = aVo) zu (eu)7i:axcop, Nom. Sg. ,gut als Vater1 (oo = aDe), naxfip, Nom. Sg. (p = De), 7iax-poq, Gen. Sg. (- = S). 133

In traditioneller Weise schematisiert ergibt sich also: Monophthongisch aVo Vo 0 e e ö a(l) 0(7) a 0 Diphthongisch aVo Vo oi ei oi ai au ouV. ou eu ol el öi ei äi öi

De e

aDe ö

-

-

äC)

0(7)

-

-

De ei äi äuV. eu el

aDe öi öi öu ?? öu öl



-

-

-

Re b,e (> el)

S -

3 -

-

3

bu(> W?)

S i i u u

-

1

Re bi (> T?) bi(> f?)

?

3i, bi? 3i, bi?

0

-

-

und ähnlich für die übrigen diphthongischen Grundstufen: eu, äu, er, em, en, el, er, em, en. Der in der S erhaltene Diphthongzweitteil ist natürlich silbentragend, so daß sich / > i, u > u, r > r, l > 1, m > m, n > n ergibt. Man wird bemerken, daß die Re höchst unsicher ist. Die Mehrzahl der Indogermanisten hat sie daher aufgegeben. In laryngalistischer Sicht tritt das Systemhafte des Ablauts wesentlich stärker hervor: „Langvokalische Vo“: a/o-Ablaut: ä/ö-Ablaut:

Vo eH, > e H2e > a eH2 > ä

aVo oHl > ö H:o > o oH2 > ö

H, (d.h. H,) >

3

H2 (d.h. H2) > 3

Wenn H in der S silbentragend wird, so wie sonst u > u, i > i, n > n usw., so wird es-spätidg. > 3 vokalisiert. 22 Wenden wir das Ablautsprinzip auf einige der oben besprochenen Wz.-Strukturen an! Dabei ist zu beachten, daß (1) die idg. Ablautvokale in ihren einzelsprachlichen Vertretungen selbstverständlich die einzel¬ sprachlichen Lautgesetze (z. B. idg. o > urgerm. ä) mitmachten, (2) daß in der Regel nicht alle im Idg. möglichen Ablaute einer bestimmten Wz. in den Einzelsprachen belegt sind und vielleicht auch gar nicht gebildet wurden.

134

22.1

Einsilbige, leichte Basis (Anit-Basis):

(a) K,VK2 Vo: *sed- (lat. sed-ere, urgerm. *set-ian- ,sitzen1). aVo: *sod- (*sod-iom > lat. solium ,Thron1; auch urgerm. *sadula [> nhd. Sattel], dessen Ableitung noch unklar ist [keine LV!], gehört hieher). De: *sed- (lat. sedi ,ich saß1, urgerm. *set-um- > ahd. säzum > nhd. saßen). aDe: *söd- (ags. söt > ne. soot ,Ruß‘, eigentlich ,was sich absetzt1). Re: S: *-sd- (*ni-zd-os ,Ort zum Niedersitzen1 > lat. nldus, urgerm. *nestaz > nhd. Nest. (b) D (< K,VK2, Ki = 3h K2 = Halbvokal, Nasal oder Liquid) Vo: *ei- (vorlat. *ei-o > lat. eö ,ich gehe1, gr. (hom.) dpi ,ich werde gehen1). aVo: *oi- (*oitos > air. öeth ,Eid‘ = urgerm. *aipaz > ags. äp > ne. oath, ahd., nhd. eid [ursprünglich ,Gehen (zur Eidesleistung)1]; formal und bedeutungsmäßig eine auffällige kelt.-germ. Entspre¬ chung; S. 248f.). De: aDe: Re: S: */- (lat. i-ter ,Weg\ i-tus ,Gang\ in-i-tium ,Eingang1; urgerm. *frai-piaz ,der Fortgegangene1 > ahd. freidi,flüchtig, kühn1). (c) K,D(-K2) (K2 = Determinativ) Vo: *k’ei-m- ,Lager, Heimstätte1 (gr. xeipf)>aov ,aufbewahrtes Gut1). aVo: *k’oi-m- (urgerm. *haima- > ahd., nhd. heim ,Haus, Wohnung; was einem lieb ist1; urgerm. *aua-haimaz [Juxtaposition, S. 171] ,lieber Ahn (= Großvater)1 -> ,Mutterbruder1 > nhd. Oheim. De: aDe: *k’öi-m- (ßk’öimä > gr. xropp ,Dorf‘). Re: S: (d) K/D(-K2)', wie zuvor Vo: *seu-b- ,Feuchtes; schlürfen1 (lebt in keiner Tochtersprache wei¬ ter). aVo: *sou-b- (urgerm. *saupa- > aisl. saup Muttermilch1, ahd. souf ,Suppe1). De: aDe: 135

Re: S:

22.2

*sü-b < *sbu-b-; bzw. Laryngalmetathese (S. 132f.) (urgerm. *süpan- > ahd. süfan > nhd. saufen). *su-b- (urgerm. *sopp- [3] und [37.1] > ags. sopp, fern., ,einge¬ tunkter Bissen‘ > mnd. soppe, suppe > mhd., nhd. Suppe mit Bedeutungsveränderung durch Einfluß von frz. soupe, das auch aus dem Germ, stammt). Einsilbige „schwere“ Basis:

(a) K,V (< K,VK2; K2 = Laryngal) Vo: *dhe- ,setzen; machen1 (gr. xi-ffr|(ii ,ich setze4, lat.feci ,ich mach¬ te1, urgerm. *dedum- > ahd. tätum > nhd. (wir) taten). aVo: *dhö- (urgerm. *döm-a-z > ahd. tuom ,Urteil = Setzung, Sat¬ zung1 > nhd. Suffix -tum [Reich-tum...]). S: *dho- (lat. facere ,tun‘). (b) sK/V; wie zuvor, jedoch mit s'-mobile Vo: *stä- ,stehen1 (lat. stä-re ,stehen1, gr. [dor.] i-cxä-(ii ,ich stehe1, urgerm. *stö-d- [mit dentalem Determinativ idg. -t-] > got. stop, ags. stöp > ne. stood, ahd. stuot [Nebenform von stuond, das Nasalinfix hat] ,stand1). aVo: keine sicheren Belege; die urgerm. *stö-Formen (wie *stöla- > nhd. Stuhl) können wegen (11) auf idg. *stä- und *stö- zurückge¬ hen. S: *std- (ai. sthiti- ,stand1, gr. axaxoq, lat. sta-tus; urgerm. *sta-n-dan- [mit dentalem Determinativ und Nasalinfix] > ags. standan > ne. stand, > ahd. stantan, standan [50.2], nhd. ge-standen). Besser (mit Laryngaltheorie): **steH2- > *stä- (Vo) : (**stoH2- > *stö- [aVo]) : **stH:- > *sto- (S). Man beachte die Tenuis aspirata in ai. sthiti- (S. 72)! 22.3 Zweisilbige Basis (Set-Basis): K/V,K2V2 (K, kann Laryngal sein, V, ist gewöhnlich vollstufig oder schwundstufig, K2 ist Halbvokal, Nasal oder Liquid. V,K2 sind also eigentlich ein Diphthong. Wegen der Zweisilbigkeit und der Silbengren¬ ze wird aber K2 gewöhnlich als Konsonant angesehen. V2 kann auch Diphthong mit oder ohne laryngalem Zweitelement sein). Beispiele: Formel Vo-S aVo-S S-Vo 136

Wz. Belege g’eneH,- ,(er)zeugen‘ g’enH,gr. yevexcop, ai. janitär- ,Erzeuger1 (Set-Form!) g’onH,gr. yövoq ,Geburt1 < **g’onHros g’neH,gr. (5iö)yvr|xo<; ,zeusentstammend'

S-aVo S-S

g’noHr g’nHr

ahd. knuot ,Geschlecht1 < idg. *g’no-tlat. gnätus, got. -kunds (S. 73)

und peleHj- ,füllen‘ Vo-S pelHr ahd. filu ,viel‘ < **pelHru- (w-Stamm) aVo-S polHr gr. nokb ,vief O^-Stamm wie ahd. filu) S-Vo pleHr gr. 7upn:X,r||ii ,ich fülle1 S-aVo ploHr ■dis\. fleistr ,meist1 < **ploH/-ist-o (S. 161) S-S ai. pürna ,voll\ urgerm. *fullaz (37.2) > nhd plHr voll. Dieses Gleichgewichtsspiel von Vo und S der beiden Silben wird auch öfters „Schwebeablaut“ genannt. Der Germanist wird selten in die Lage kommen, bei der Rekonstruktion einer zweisilbigen Basis in absolutes Neuland vorzustoßen. Jedenfalls wird er seine Rekonstruktion durch möglichst nahe, schon „anerkannte“ Rekonstrukte ab¬ sichern müssen. Das Empfehlenswerteste ist freilich, einen Indogermanisten zu Rate zu ziehen.

23

Öfters stößt man bei der Rekonstruktion auf eine Wz., die insofern der Standard-Wz. K,VK2 widerspricht, als sie zwischen K, und V noch einen Sonanten (Halbvokal, Liquid, Nasal) enthält. Solche Fälle wird man in der Regel als zweisilbige Basen mit S der ersten Silbe aufzufassen haben: z.B. *bhrou-s- > ags. briesan ,etwas zerbrechen, zerschlagen1 (Re(?): urgerm. *brüsian- > ags. brysan > ne. bruise ,quetschen1), ahd. brösma (zum Suffix S. 157) > mhd. brösem > nhd. Brosame. Die Annahme liegt nahe, daß hier idg. *bher- ,schneiden, reiben1 (S. 126) in einer zur zweisilbigen Basis erweiterten Form (*bhrou- = S-aVo) vorliegt. Schwieriger ist die Entscheidung, wenn die Wz. mit s- anlautet, weil dann auch ^-mobile vorliegen kann: z. B. mhd., nhd. schliefen (wozu auch Schlaufe, Schleife [23], schlüpfen und schlüpfrig gehören) < ahd. sliofan < urgerm. *sleupan- (> got. sliupan ,schleichen1) < idg. *sleub,gleiten, schleichen1. Lat. lübricus ,schlüpfrig, glatt1 ist doppeldeutig; da idg. sl- > lat. /-ergibt, kann es von *sleu-/slou-, aber auch von *leu-jlou(falls die germ. Etyma v-mobile enthalten) abgeleitet werden. Den Aus¬ schlag gibt aber die Tatsache, daß auch ein idg. *sel- ,schleichen, krie¬ chen1 nachgewiesen ist (z.B. ai. srvant- schleichend1 < idg. *sfu-ontviell. S-S von idg. *seleu-). Es liegt dann nahe, *sleu-b- als Determinativ¬ erweiterung zur zweisilbigen Wz. *se/eu- zu stellen. Die Vo-S-Form dieser Wz. liegt vielleicht in dem mit dem in TN vorkommenden A'-Suffix abgeleiteten urgerm. *selhaz Seehund1 > ags. seolh (> ne. seal), ahd. selach > mhd. seleh, sele > nhd. See(l)hund (Volksetymologie; S. 229ff.) vor. 137

24 Für den Anfänger verwirrend ist die Rolle, die die Sonanten in der idg. Wz. spielen, da sie bald als Flalbvokale (d.h. Zweitelemente von Diphthongen: eu, ei, en, em, el...), bald als Konsonanten (in den zweisil¬ bigen [!] Wzn. wie *bhle-, *dhuer-, *aueg-), bald als silbentragende Vokale (r, 1, m, n, i, u) und nach Laryngalschwund auch gelängt (f, /, m, n, i, Ü) erscheinen. 25 Der Ablaut bestimmt nicht nur die Wz.-Vokalisierung, sondern auch die Binde- und Themavokale. Da sie sehr oft, im Germ, immer (53), unbetont sind, erscheinen sie in den Einzelsprachen häufig in sekundär abgeschwächter Form. Bindevokale (zwischen Wz. und Affix) vor dem -n- der -«-Deklination: Vo: aVo: De: aDe: S:

idg.

-e-n-es\

lat. (hom)-i-n-is, got. (gum)-i-n-s .des Mannes' -o-n-m: gr. (f|yep)-ö-v-a ,den Führer', got. (gum)-a-n ,den Mann' -e-n-Null: gr. (7ioi(i)-f]-v ,der Hirt', got. (gum)-a ,der Mann' -ö-n-Null: gr. (fiyep)-cb-v ,der Führer', ahd. (gom)-o ,der Mann' - -no-^o-Dekl.): urgerm. *et-un-a-z > aisl. jgtunn ,der Riese' o

Daneben gibt es noch andere Bindevokalablaute, etwa: -ei(-n)-, -oi(-n)-, -i(-n)-, -i(-n)-. 26 Auch die Themavokale vor dem eigentlichen Kasussuffix (En¬ dung) sind dem Ablaut unterworfen: ei/oi/i-Ablaut zeigen die /-Stämme: Vo: idg. -ei-es: idg. *ghost-ei-es .die Fremden' > lat. hostes, got. gasteis (ei = [i:]) aVo: -oi-s: got. anstäis (Gen. Sg.) ,der Gunst' S: -i-s: idg. *ghost-i-s ,der Fremde' > lat. hostis, urn. (run.) gastiR eu/ou/u-Ablaut zeigen die «-Stämme: Vo: idg. -eu-es: idg. *sun-eu-es > got. sunjus .die Söhne' aVo: -ou-s: idg. *sun-ou-s > got. sunaus ,des Sohnes' S: -u-s: idg. *sun-u-s > got. sunus ,der Sohn' e/o-Ablaut zeigen die o-, io-, uo-Stämme : Vo: idg. -e-so: urgerm. *dag-e-sa > *dagisa > got. dagis, ahd., nhd. tages 138

aVo:

-o-m:

alat. servom > lat. servum, urgerm. *stain-a-(m) > urn. (run.) staina ,den Stein1.

De und aDe ist nur in spärlichen Resten bei adverbiell gebrauchten Pronomina belegt. Die fl-Stämme zeigen nicht etwa «/ö-Ablaut, sondern lassen in den Fällen, wo sie nicht Null-Endung haben, die selbst wieder ablauten¬ den Endungen (z. B. Gen. Sg. -es/-os; Dat. Sg. -ei; Nom. PI. -es; Akk. Sg. -m [= S!]; Akk. Sg. -ns [S!]) an den Themavokal ä antreten, wobei es bei vokalisch anlautender Endung zu Kontraktion (und Schleifton; S. 109) kommt: vorgerm. *ghebhä-es > *ghebhäs (vgl. gr. 0eä-e<; > Oeäc; ,der Göttin") > got. gibos (Gen. Sg.) ,der Gabe".

27 Der Wz.-Ablaut wurde im Germ, in ganz charakteristischer Weise systematisiert, indem man ihn zur Grundlage der starken Verbal fl exion machte (nhd. reiten-geritten, geben-gaben, bindenband-gebunden usw.). Auch spätere einzelsprachliche Entlehnungen aus dem Lat., wie ahd. scriban < lat. scribere, mhd. phifen < westgerm. *pTpcm < lat. pTpäre ,pfeifen", sind noch per analogiam in das Ablaut¬ schema einbezogen worden; desgleichen auch bestimmte schwache Ver¬ ben, die an starke anklingen, wie nhd. fragen, frag nach dem Vorbild von tragen, trug... Innerhalb dieses Systems ist es üblich, 6 Reihen ererbter Ablauttypen und eine erst im Germ, aus den 6 ererbten neugebildete 7. Ablautreihe zu unterscheiden. Die Anordnung und Bezifferung dieser Reihen ist durch Konvention festgelegt. Wenn die Ablautreihen auch am starken Verbum vorgeführt werden, so ist dennoch im Auge zu behalten, daß sie, wie die Beispiele (S. 145ff.) zeigen, keineswegs auf das starke Ver¬ bum beschränkt sind. Die für die Zuordnung in Ablautreihen charakteristischen Leit¬ formen der Verba heißen Averbostufen (< a verbo ,vom Ver¬ bum"!). Dabei gilt; Averbostufe 1: Form der 1. Pers. Sg. Ind. Präs. bzw. Form des Verbalnomens (Inf.) Präs. Da die idg. thematische Endung -ö im West¬ germ. als -u erscheint, ist im Dt., soweit möglich, mit «-Umlaut nach (7) zu rechnen. Der Inf., der auf idg. -onom > urgerm. -an(a-) zurückgeht, unterscheidet sich in seiner Vokalisierung dadurch von der 1. Sg. Ind. Präs., daß er mit einer entscheidenden Ausnahme (Reihe I), soweit dies möglich ist, «-Umlaut (3) zeigt. Averbostufe 2: Form der 1. und 3. Pers. Sg. Ind. Prät. (idg. Endung -a, bzw. -e). 139

Averbostufe 3: Form der 1. Pers. PI. Ind. Prät. (idg. Endung -me, daher VG!). Averbostufe 4: Form des Part. Prät. (passiv) ohne Kasusendung. Das Part, flektierte ursprünglich nach der o-, bzw. «-Deklination: Nom. Sg. Mask. idg. -onös > urgerm. -anaz. Daher ist auch hier mit «-Umlaut (Ausnahme Reihe I) und wie bei der 3. Averbostufe mit VG zu rechnen.

28

Die Erörterung der germ. Ablautreihen reicht bereits weit in die Formenlehre (Morphologie) hinein, die nicht Gegenstand dieses Buches ist. Da weiters in allen germ. Sprachen die verschiedenartigsten analogi¬ schen Ausgleiche zustande kommen, insbesondere das Nhd. stark ge¬ neuert hat, scheint es sinnvoll, sich hier auf grobe Umrisse zu beschrän¬ ken. Ich gebe also im folgenden die vorgerm., die urgerm. und die mhd. Form an, wobei sich der Zusammenhang natürlich aus den schon be¬ kannten Fautgesetzen ergibt:

Averbostufe:

1

2

3

4

Reihe I ,steigen' vorgerm. urgerm. mhd.

Vo

aVo

S

S

steigh-onom (-ö) stlgan- (stlgö) stigen (stige)

stöigh-a staig steig

stigh-me stigum stigen

stigh-onös stiganaz ge-stigen

Vo

aVo

S

S

geus-onom (-ö) keusan- (keusö) kiesen (kiuse)

gö us-a kaus kös

gus-me kuzum kuren

gus-onös kozanaz ge-koren

Reihe II ,kiesen-wählen' vorgerm. urgerm. mhd. Reihe III ,finden' vorgerm. urgerm. mhd.

Vo

aVo

S

S

pent-onom (-o) finpan- (-0) vinden (-e)

pönt-a Jan p vant

pnt-me fundum vunden

pnt-onös fundanaz ge-vunden

,helfen' vorgerm. urgerm. mhd.

k’elb-onorn (-0) helpan- (helpö) helfen (hilf[e\)

k ’ölb-a halp half

k Jb-me hulpum hülfen

k ’Jb-onös holpanaz ge-holfen

Vo

aVo

De

S

nem-onom (-o) neman (-ö) nemen {nim[e\)

nöm-a nam nam

nem-me ne/mum nämen

nip-onös nomanaz ge-nomen

Reihe IV ,nehmen' vorgerm. urgerm. mhd.

140

Averbostufe:

1

2

3

4

Reihe V ,(be)wegen‘ vorgerm. urgerm. mhd.

Vo

aVo

De

Vo

ueg’h-onom (-ö) uegan- (-ö) wegan (wige)

uög ’h-a Vag wac

ueg ’h-me ueigum wägen

ueg ’h-onös ueganaz ge-wegen

Reihe VI ,fahren1 vorgerm. urgerm. mhd.

(a)Vo, Re

aVo, aDe

aVo, aDe

(a)Vo, Re

pör-onom (-ö) faran- (-ö) var(e)n (var[e])

pör-a för vuor

pör-me förum vuoren

por-onös faranaz ge-var(e)n

,stehen1 vorgerm. urgerm. mhd.

sto-n-t-onöm (-o) standan (-o) (ahd. stantan [-w])

stät-ä stöd stuo(n)t

stät-me st9-n-t-onös stödum standanaz stuo(n)den ge-stande(n)

Erläuterungen und Ergänzungen: (1) Das VG ist durch Analogie in allen Reihen in seiner Auswirkung (Grammatischer Wechsel) oft beseitigt: mhd. sähen ,sahen1 statt + säwen (: ags. säwon), wie nach (36) zu erwarten wäre, ebenso geschähen ge¬ schahen1 neben seltenerem und historisch berechtigtem geschägen (idg. *skek,springen; lebhafte Bewegung1) usw. (2) In Reihe I würde man in Averbostufe 1 <7? (nach [12]) und in Averbostufe 4 e (nach [3]) erwarten. Aus unbekannten Gründen ist der o-Umiaut nicht eingetreten oder wieder beseitigt worden. (3) In Reihe I und II tritt je nach Wz.-Struktur in der 2. Averbostufe Monophthongierung der Diphthonge urgerm. ai und au ein (15): z. B. mhd. gedihen : gedech neben mhd. stigen : steic und kiesen : kos neben liegen : louc ,log‘. Im Nhd. sind in der Regel die nach (25) gelängten Vokale der 4. Averbostufe eingesetzt worden. (4) In Reihe II gibt es eine kleine Untergruppe mit „Re“ in der 1. Averbo¬ stufe: mhd. süfen ,saufen1, sägen ,saugen1 u.a. Zur Re ü s. S. 132. (5) In Reihe III tritt bei Diphthongen mit nasalem Zweitelement urgerm. e > i (4) auf. Der ö-Umlaut in der 1. und 4. Averbostufe unterbleibt dann. (6) In den Reihen IV und V ist die 3. Averbostufe dehnstufig (Vrddhi): vgl. lat. sedi ,ich saß1, edi ,ich aß1 (entsprechen der germ. V. Reihe) und lat. veni ,ich kam1 (entspricht der germ. IV. Reihe). (7) Die 4. Averbostufe der Reihen IV und V wird verständlich, wenn man annimmt, daß auf Grund der Wz.-Struktur des Germ., das Anlaute wie +nmund + ug- grundsätzlich meidet und sie aus Gründen der paradigmatischen Analogie (S. 50f.) auch nicht vereinfacht (also etwa + ugonos > +uganaz), in der IV. Reihe ein Svarabhakti-w (dann > o; a-Umlaut) und in der V. Reihe die Vo eintrat. Diese Auffassung ist nicht unbestritten: bei Reihe V erwog man auch 141

Re b (Schwa secundum) > urgerm. i > urgerm. e (a-Umlaut). Diese letztere Erklärung ist in älteren Handbüchern recht verbreitet. (8) Zwischen den Reihen III, IV und V kamen Übertritte vor: z. B. urgerm. *brekan- .brechen1, das auf Grund seiner Wurzelstruktur (s. oben) in die Reihe V gehören müßte, erscheint in IV, weil in der 4. Averbostufe urgerm. *brkanaz, als *brkanaz aufgefaßt, einen Svarabhaktivokal entwickelte, der allerdings we¬ gen des sonstigen 6r-Anlautes des Paradigmas hinter dem r zu stehen kam, so daß sich (statt + burkanaz) *brukanaz > *brokanaz > nhd. (ge)-brochen ergab. Manche Grammatiken nehmen tatsächlich eine Form *burkanaz an und lassen sie mit Metathese (52) zu *brukanaz werden. So stehen im Mhd. u.a. rechen ,rächen1, sprechen, trechen ,schieben1, treffen, dreschen, leschen ,erlöschen1, bresten = bersten (52!) ,brechen1 in Reihe IV, zusammen mit vlehten .flechten1 und seinem Reimwort vehten .fechten1, die jedoch im Md. als Verben der III. Reihe behandelt werden (z. B. vuhten, gevohten). (9) Reihe VI ist eine Mischgruppe: das zitierte urgerm. *faran .fahren1 gehört zur idg. Wz. *per/por ,das Hinausführen über...1 (dazu auch nhd. fern, First, vor, lat. per, pro... gr. Ttspdto .dringe durch1, rcöpog .Durchgang...1 usw.), also nach germ. Ablautskategorien eigentlich in Reihe IV. Da jedoch im Vor¬ germ. die Vo mit e-Vokalismus nicht in der Verbalbildung verwendet wurde und idg. o urgerm. a ergab und die aDe idg. 5 > urgerm. ö, so fiel im Germ, dieses Verbum mit solchen, die den idg. ofaj/öfäj/a-Ablaut (S. 134) enthielten (wie urgerm. *sta-n-dan- .stehen; mit «-Infix im Präs.), zusammen. So auch urgerm. *graban- > nhd. grciben (< idg. *ghrebh/ghrob-), *suar-i-an- (/'-Präs. S. 183) > ahd. swerien, swerren > mhd. swern > nhd. schwören (< idg. *suer- .spre¬ chen, reden1) u.a.

29 Zur Wz.-Struktur der Reihen I-VI läßt sich sagen: Reihe I—III zeigt Diphthong und durch Wz.-Determinativ geschlossene Wz. Reihe I beruht auf der Basis K/ei-Ki. Reihe II beruht auf der Basis Kteu-K2. Reihe III beruht auf der Basis K,er-K2 oder K,el-K2 oder K,em-K2 oder K/en-K2. Dabei kann der Diphthong en auch durch Infigierung eines Nasalinfixes entstanden sein (z. B. bei nhd. wi-n-den, das aus der S der Wz. *uei- stammt, aber nach dem Wirken des Nasalumlautes [4] nach dem Muster von finden u.a. als Verbum der Reihe III behandelt wurde). Reihe III läßt sich also vom germ. Standpunkt als durch „Nasal oder Liquid + Konsonant“ bestimmt ansehen, wobei Konsonant (Kf) selbst wieder Nasal oder Liquid sein kann (nhd. sinnen, klimmen, schwel¬ len, mhd. werren .verwirren4...). Reihe IV beruht auf der Basis Ker-, Kel-, Ken-, Kern-, hat also Diphthong mit liquidischem oder nasalem Zweitelement in offener Wz. Reihe V enthält keinen Diphthong, sondern nur e in der Wz.K,eK2, wobei K2 einfache Muta (d.h. Geräuschlaut, Nicht-Sonant) ist. 142

Reihe VI zeigt als Mischklasse die Konsonantenstrukturen der Reihen III-V, ist aber durch „symmetrischen“ Bau abgehoben: *faran - *för*förum - *faranaz. Zwischen die 2. (för) und 3. Averbostufe (förum) läßt sich eine Symmetrieebene legen.

30 Das gilt auch für die VII. Ablaut reihe. Sie ist aus Verben, die ihrer Struktur nach in die anderen Ablautreihen gehören, erst in einem Teil des Germ, (im West- und Nordgerm.) gebildet worden. Im Got. zeigen diese Verben im Prät. Reduplikation, die auf die idg. Perfektreduplikation (vgl. ai. tu-toda ,ich habe gestoßen1, lat. tü-tüdi,ich habe gestoßen1 [die beiden Formen sind nicht identisch: ai. -tod- ist (a)Vo, lat. -tüd- ist S!], gr. Xk-Xoina ,ich habe zurückgelassen') zurückge¬ hen. Die meisten dieser reduplizierten Verba zeigen im Got. keinen Ablaut, was wohl der Grund dafür war, warum man die Reduplikation, die sonst im germ. Prät. aufgegeben ist, zunächst beibehielt. Vom germ. Standpunkt gehören z. B.: in Reihe I: got. häitan ,heißen' - haihäit - haihäitum - häitans (< *haitanaz); zur Aussprache s. S. llOf. in Reihe II: got. stäutan ,stoßen' - staistäut - stcüstäutum - stäutans\ (,stai-stäut < idg. *s-te-s-töud-a entspricht ai. tu-tod-a, wenn wir davon absehen, daß das germ. Etymon 5-mobile und das ai. Etymon den Reduplikationsvokal u in tu- hat!) in Reihe III: got. haldan ,halten' - haihald - haihaldum - haldans in Reihe V: got. slepan ,schlafen' - saislep - saislepum - slepans (e = [e:] = ej) in Reihe VI: got. hropjan ,rufen' Q-Präsens S. 183) - haihrop haihropum - hropans. Nur ganz wenige Verben zeigen Reduplikation + Ablaut: z.B. got. letan ,lassen' - lailot - lailotum - letans (< idg. schwere Basis *led-). Im West- und Nordgerm, ist die Reduplikation verloren gegangen und gleichzeitig ein neuer Ablaut entstanden, und zwar: bei den Verben der Reihen II und VI der Diphthong eo, in allen übrigen Fällen der Monophthong e2. Fürs Ahd. ergibt sich also: VII. Ablautreihe: Reihe I: heizan - hiaz (< *he2t) - hiazum - gi-heizan Reihe II: stözan - stioz (< *steot) - stiozum - gi-stözan Reihe III: haltan - hialt (< *he2ld) - hialtum - gi-haltan Reihe V: släfan - sliaf (< *sle2p) - sliafum - gi-släfan Reihe VI: hruofan - hriof (< *hreop) - hriofum - gi-hruofan Reduplikation + Ablaut: läzan - liaz (< *le2t) - liazum - gi-läzan 143

Als dann im Spätahd. io und ia in mhd. ie zusammenfielen (20), ist das Prät. der VII. Ablautreihe vereinheitlicht: mhd. heizen - hiez - hiezen geheizen; stözen - stiez - stiezen - gestözen; halten - hielt - hielten gehalten; släfen - slief- sliefen - gesläfen; rüefen (Restumlaut [19] wegen des alten /-Präsens! Aber analogisch auch: ruofen) - rief - riefen geruofen; läzen - liez - liezen - geläzen. Die Entstehung der VII. Ablautreihe ist hier stark vereinfacht dargestellt. Über den Verlust der Reduplikation und die Entstehung der neuen Ablaute gibt es eine Vielzahl von Theorien, die hier nicht einmal andeutungsweise vorgeführt werden können.

Während die VII. Abi aut reihe als Neubildung an Stelle der auf¬ gegebenen Reduplikation nur bei Verben begegnet, lassen sich in die übrigen 6 Reihen auch Vokale einordnen, die nicht Wz.Vokale starker Verben sind. Das soll noch einmal ausdrücklich betont werden, denn die Regelhaftigkeit des Ablautes ist eines der Hauptinstrumente der e. Rekonstruktion. Die Einord¬ nung in die 6 Ablautreihen hat nur im Germ. Sinn, weil nur hier der Ablaut so streng systematisiert ist. Die Indogermanisten sprechen nicht von „Ablautreihen“! 31 Nicht ganz selten beobachtet man Unregelmäßigkeiten des Ab¬ lauts, die als „Ablautentgleisungen“ bezeichnet werden (S. 133). Solche Entgleisungen kommen durch die Mehrdeutigkeit bestimmter Ablautformen zustande. Ein idg. Langvokal kann einerseits Vo einer langvokalischen Wz. (schwere Basis), andererseits De einer kurzvokalischen Wz. (leichte Basis) sein. Dadurch kann es zu Verwechslungen kommen, bei denen sich i.a. per analogiam die häufigsten Reihen durch¬ setzten. Im Germ, wird die Möglichkeit der Ablautentgleisung noch verstärkt durch den Zusammenfall von idg. ä und ö, idg. a und o, urgerm. Th (< idg. *eikx) und Th (< idg. *inkx und *enkx) usw. Wir haben beobachtet, daß die gerrn. VI. Ablautreihe sich zu einem Gutteil aus entgleisten Verben anderer Ablautreihen rekrutiert. Auf diese Weise ist z.B. auch nhd. gedeihen (< urgerm. *pinhan < idg. *tenk- .fest werden1) in die I. Ablautreihe gelangt: as. gi-thungan .vollkommen' zeigt noch die ursprünglich in die III. Reihe gehörige Wz. in der S. Zu Nasalschwund und Ersatzdehnung ist es hier wegen des VG (h > g; *pinh- : *pung~) nicht gekommen. Idg. *trenk- .drängen, stoßen' ergibt bei Akzentuierung auf der Wz.-Silbe urgerm. *prinh- > *prTh-, das im Got. wegen des T in die I. Ablautreihe gestellt wird und völlig neue Averboformen entwickelt: got. preihan - präih praihum - praihans. Lag jedoch der idg. Akzent nicht auf der Wz.-Silbe, so ergab sich mit VG 144

urgerm. *pringund dies wurde als Verb der III. Ablautreihe behandelt: ahd. dringan - drang - drungum - gi-drungan, nhd. dringen... (zur Ablautentgleisung von winden S. 142, § 29). 32 Es gibt weitere Vokalvariationen im Germ., die nicht so leicht zu erklären sind wie die Ablautentgleisungen. Mehrfach handelt es sich um e/-eu-Dubletten, d.h. um semantisch gleiche und im Kon¬ sonantismus gleiche oder sehr nah verwandte Wzn., die sich nur dadurch unterscheiden, daß die eine zur I., die andere zur II. Ablautreihe gehört, z. B. urgerm. *praigian- ,bedrohen4 > as. thregian gegenüber urgerm. *praugian- ,bedrohen4 > ags. öreagian. In der Regel sind diese Formen auf verschiedene Dialekte verteilt. Manche der Varianten dürften laut¬ symbolisch bedingt sein (z.B. got. leitils, aisl. litil ,klein4 neben mhd. lützel ,klein4 < westgerm. *luttila (S. 195); manche der Bildungen haben ein niederes Wortethos (S. 201). Im nordseegerm. Sprachraum treffen die Varianten am häufigsten aufeinander: im NI. finden sich die meisten Dubletten. Vermutlich ist der Großteil dieser Varianten erst im Germ, entstanden, weshalb es nicht sinnvoll wäre, sie mechanisch ins Idg. transponieren zu wollen, es sei denn, daß sich in anderen idg. Sprachen Entsprechungen finden. Im Ganzen scheint diese Unregel¬ mäßigkeit noch wenig erforscht. 33 Versuchen wir die Bestimmung der Ablautreihen von einigen nhd. Wörtern: Nhd. Hand: Die Wz.-Struktur (Nasal + Konsonant) deutet auf Reihe III. Wir erschließen über mhd. hant ein ahd. *hant oder *hand (44) (50.2). Die Wörterbü¬ cher zeigen uns, daß hant das üblichere ist; got. handus stimmt dazu. Wir gewinnen also fürs Urgerm. einen Ansatz *hand-. Die Frage der Deklination überfordert uns noch; wenn wir aber wegen zu Händen und vorhanden bedenken, daß der geläufige Plural Hände, der auf einen z'-Stamm weisen würde, nicht alt zu sein braucht, und got. handus danebenhalten, liegt die Annahme eines alten w-Stammes am nächsten. Urgerm. *hand-u-z kann auf idg. *kondh-, *k’ondh-, *kont-, *k’ont- (wegen VG!) zurückgehen. Die lautlich gleichfalls mögliche Annahme eines idg. Wz.-Vokals a oder a(wie in urgerm. *standan) ist wegen der relativen Seltenheit dieser Bildungen weniger wahrscheinlich, muß aber zur Sicherheit durchgeprüft werden. Gehen wir aber von der wahrscheinlicheren Annahme aus, so müßten wir mit möglichen Etyma wie idg. *kendh-, *kndli-, *k’endh-, *k’ndh-, *kent-, *knt-, *k’ent:, *k’nt: und bei allen auch mit ^-mobile (also *skendh-, *skndh- usw.) rechnen. Für das Urgerm. werden die Möglich¬ keiten reduziert auf: *hind-, *hund-, *hinp-, *hunp-, *skind-, *skund-, *skinp-, *skunp-. Kommen wir so nicht zum Ziel, dann müßten wir auch unter Annahme eines Nasalinfixes mit idg. *ket-, *k’et-, *sket-, *sk’et- rechnen (nicht aber mit + kedh-, +k’edh-, + skedh-, +sk’edh~; wegen o. S. 128). Als letztes werden wir Ab¬ lautentgleisung ins Auge fassen (etwa urgerm. *hinp- < idg. *kint- < *ki-n-t-, also S von *kei-, *k’ei- usw. mit Nasalinfix und /-Determinativ). Wir können 145

unsere Ansätze nur durch Nachschlagen in den einzelsprachlichen Wörterbü¬ chern verifizieren. Wir finden z. B. ein got. fra-hinpan ,gefangennehmen, er¬ beuten, fassen1, das mit ags. hüp(< *hunfj-),Beute' auf idg. *kent- oder *k’entweist (über das Nachschlagen in Wörterbüchern S. 308ff.). Idg. *kontüs oder *k ’ontüs (fern.) wäre also ,die Ergreiferin, die Fasserin'. Diese Vermutung müßte durch semantische Parallelen abgesichert werden, auch die Wortbildungslehre ist noch zu befragen. Weitere Anschlüsse, z. B. an das Zahlwort hund-ert (< idg. *k’rptöm), an gr. -xovxa in xpiäxovxa ,30' in Zusammenhang mit dem Finger¬ rechnen, sind verlockend, können hier aber nicht weiter verfolgt werden. Nhd. Liebe: Die obd. Aussprache [liap] zeigt schon, daß mhd. liebe zugrunde¬ liegen muß (nicht etwa mhd. + libe\). Da das Wort fern, ist, wird es auf ahd. *lioba zurückgehen, das aus urgerm. *leubö stammen muß. Die andere Möglichkeit, über ahd. *liaba auf urgerm. < *leibö zurückzugehen, ist in Anbetracht der Seltenheit des h außerhalb der VII. Ablautreihe sehr unwahrscheinlich (12). Ein Blick in die ahd. Wörterbücher zeigt uns, daß wir mit unserer Rückführung auf urgerm. *leubö das Richtige getroffen haben. Ohne Schwierigkeit erkennen wir die Zugehörigkeit zur II. Ablautreihe. Daraus folgt, daß wir mit urgerm. Formen wie *laub-, *lub-, *lob- (mit a-Umlaut, falls z.B. < *lub-a) zu rechnen haben. Man erkennt nun, daß nhd. Glaube (< mhd. ge-loube, also aVo), Gelübde (< mhd. ge-lübe-de; S mit Restumlaut), Lob (< mhd. lop, lobes: S mit a-Umlaut) und der Personenname Hadlaub (< mhd. Hadloup ,Kampflieb') hierhergehören. Warum sollte nicht auch nhd. Laub (< mhd. loup, loubes) dazugehören? Die formale Seite ist problemlos, aber die semantischen Zusammenhänge sind nicht einsichtig (S. 282). Wir halten vorderhand nur fest, daß die idg. Etyma der ganzen „Sippe“ *leubh-, *loubh-, *lubh- bzw. vielleicht auch *Ieup:, *loup:, *lup- gelautet haben müssen (möglicherweise auch mit s-mobile). Bei der Rekonstruktion kommt man häufig in die Situation, daß für eine germ. Wz. ein idg. Etymon mit Tenuis (und Tenuis aspirata) und eines mit Media aspirata angesetzt werden können. Da vielfach die Entstehung der S im quantitativen Ablaut auf Unbetontheit zurückgeführt wird (und zwar nicht nur wegen der Verhältnisse im Germ. [VG]!), bewegen wir uns nicht im Zirkel, wenn wir schließen, daß in jenen Fällen, wo im Germ, in der Vo und S der gleiche Konsonantismus herrscht, eher mit idg. Media aspirata zu rechnen ist als mit Tenuis und VG. Da mhd. lop, -bes und loben ebenso b haben wie liebe und geloube, ist nach dieser Faustregel liebe eher auf idg. *leubhä als auf *leupä zurückzuführen. Diese Regel, nach der S der Wz. auf ihre Unbetontheit weist, ist oft zu beobachten, aber keineswegs ausnahmslos (z.B. nhd. Furche < ahd. furuh (54) < idg. *pQc’ä, das S zu *perk'/pork’- ist, u.a.). Sie kann also nur zu einer ersten Beurteilung der Sachlage herangezogen werden, und die Möglichkeit einer wurzelschließenden Tenuis und unbetonter Wz. ist immer am Befund der anderen Tochtersprachen zu prüfen. Im Falle von *leubh- wird diese Form der Wz. durch ai. lübhyati empfindet heftiges Verlangen', lat. libet ,es beliebt' < alat. lubet, lubens .gern', lubido, libido .Begierde', abg. I’ubb zweifelsfrei bestätigt. Nhd. sehr: Wir können vom Nhd. her nicht ohne weiteres beurteilen, ob sehr auf mhd. *ser oder *ser zurückgeht. Ein Blick in das Wörterbuch zeigt, daß mhd.

146

ser(e) die rechte Form ist. Mhd., ahd. e kann es nur in der I. Ablautreihe geben,

wo es aus urgerm. ai nach (15) entstand. Damit können wir urgerm. *saira- oder *saiza- (wegen [38]) rekonstruieren. Daß *sair- allein berechtigt ist, entnehmen wir dem Got., das keinen Rhotazismus kennt und wo sair (neutr.) ,Schmerz' bedeutet. Nhd. sehr ist also mit nhd. (archaisierend) Sehr und ver-sehren iden¬ tisch. Der semantischen Seite werden wir uns später zuwenden. Innerhalb der I. Ablautreihe müßten wir noch urgerm. *slr- (< *seir-) und *sir- erwarten, denn *sair- (< *soir-) ist dort aVo. Ein Blick in die Wörterbücher zeigt, daß es weder Vo *sir- noch S *sir- gegeben zu haben scheint. Als Alternative bietet sich der Ausweg, daß urgerm. *saira- idg. *sair- oder *sair- fortsetzt. In der Tat rechnet man mit einer schwerbasigen Grundform idg. *säir-, die entweder direkt oder deren Re in urgerm. *saira weiterlebt. Dem IEW (877) entnehmen wir, daß nur das Germ, eine Primärableitung mit -r- kennt. Nhd. gut: Der dial. obd. Lautung entnimmt man, daß es mhd. guot hieß. Der Gen. guotes zeigt, daß -t in guot nicht nur Auslautverhärtung ist. Die urgerm. Vorstufe muß also wegen (16) und (40) *gödaz (vgl. ne. good) gelautet haben. Damit ist die Zugehörigkeit zur VI. Ablautreihe geklärt, und man darf neben *göd- das Vorhandensein eines *gad- erwarten. Wir erwägen daher vorsichtig, ob nicht nhd. Gatte (< mhd. gute), (be)gatten, Gatter (< mhd. guter), mhd. gater ,gleich', gete-linc ,Genosse, Verwandter' dazugehören. Die Entscheidung hängt von semantischen Überlegungen ab (S. 205: ,gut' = ,zusammenpassend'). Nach dem, was wir über den Mischcharakter der VI. Reihe wissen, müssen wir für das Idg. mit einer Fülle von möglichen Wzn. rechnen: *gliadli-, *ghodh-, *ghädh-, *ghödh-, *ghedh-, *ghodh-, ferner alle diese Wzn. mit palata¬ lem Anlaut *g’h... In den schweren Basen vom Typus KV (z.B. *ghö-) kommt noch determinativische r-Erweiterung in Frage. Als Wz. vom Standardtyp K/eK; ist freilich +ghet: nicht zulässig (S. 128). Die „richtige“ Form ist laut IEW (423f.) *ghedh/ghodh/ghödli-. Auch hier ist also anscheinend wieder ein Mor¬ phem der c/o-Reihe in die a/ö-Reihe übergewechselt.

147

IX

Wortbildung II: Nomina - Nominalsuffixe - Verba Verbalsuffixe - Präfixe - Reduplikation - Nasalinfix

1 Die große Bedeutung der Affixe in der Wortbildung ist schon öfters erwähnt worden. Für die e. Arbeit ist die Beurteilung der präfigalen und suffigalen Verhältnisse von größter Wichtigkeit. Durch sie sowie durch den schon besprochenen Ablaut entstehen die Wortsippen oder Wortfamilien wie z.B. Band, Bändchen, anbändeln, Bund, bündig, Bündler, bündlerisch, Bündigkeit, binden, Verbindung..., die aus formalen und semantischen Gründen immer mitbefragt werden müssen, wenn eines ihrer Glieder e. untersucht werden soll. Im folgenden will ich versuchen, diese Wortbildungselemente in Form einer kurzen Übersicht darzustellen. Wegen der Fülle des Materials ist es nicht möglich, jede Bildungsweise durch ein Beispiel zu belegen und dies aus dem Idg. herzuleiten.

2

Nomina (Substantiva und Adjektiva):

Zunächst ist zwischen vokalischen Suffixen, die zugleich die Themavokale der Deklinationsklassen bilden (S. 122ff., 138f.) und die schon im Mhd. nicht mehr erkennbar sind, und konsonantischen Suffixen, die besser bewahrt blieben, zu unterscheiden. In der über¬ wiegenden Zahl der Fälle treten die vokalischen Suffixe mit den kon¬ sonantischen kombiniert auf. Daneben gibt es auch jene Suffixe, die erst in jüngerer Zeit aus ursprünglich freien Morphemen entstanden sind, wie nhd. -heit, -schaft..., und die natürlich, da sie ja gleichfalls Deklina¬ tionsklassen angehören, mit Themavokalen versehen waren. Diese Suf¬ fixe wird auch der Anfänger leicht erkennen, mit einiger Übung auch die älteren konsonantischen, die Beurteilung der vokalischen wird ihm je¬ doch beträchtliche Schwierigkeiten bereiten. Es ist schon vom mhd. Standpunkt aus in vielen Fällen unmöglich, die ehemalige Zugehörigkeit eines Nomens zu den Deklinationsklassen ohne e. Untersuchung (etwa auf Umlauterscheinungen) festzustellen, da z.B. die PI.-Formen der neutralen ez/oz-Stämme gewuchert haben und auf andere Stämme über¬ tragen wurden: z. B. nhd. Wald : Wälder nach dem Beispiel von Lamm : Lämmer (< ahd. lamb : lembir). Die //-Stämme sind schon in ahd. Zeit fast zur Gänze in anderen Deklinationsklassen aufgegangen: die langsilbigen Maskulina traten zu den a- und /-Stämmen über, die langsilbigen Feminina gingen bis auf wenige Reste (vgl. den umlautlosen Dat. PI. vor¬ handen-, s. S. 227) in den /-Stämmen auf, die kurzsilbigen //-Stämme, die ihr -//- im Ahd. noch in einigen Formen bewahrt hatten, glichen sich 148

schon in vormhd. Zeit den /-Stämmen an. Die ehemalige Zugehörigkeit zur «-Deklination ist also einem nhd. Wort nicht mehr anzusehen. 3 Grundsätzlich beginnt man die Rekonstruktion bei der altertümlich¬ sten Form eines Morphems. Ist es im Ahd. nicht greifbar, so muß man sich natürlich an das Mhd. halten und das Flexionsparadigma des zu untersuchenden Wortes mit Hilfe einer mittelhochdeutschen Gram¬ matik zu bestimmen suchen. Dabei ist zu bedenken, daß die Flexion vieler mhd. Substantiva schwankt (man vgl. Angaben im Lexer wie: gran, grane stswf [ = starkes und schwaches Fern.] oder hengel stmfn [= starkes Mask., Fern., Neutr.]). Hier können nur einige Hinweise allgemeiner Art zur Geschichte der Nominalflexion gegeben werden: (1) Zu den Begriffen Themavokal und Deklinationsklasse s. oben. (2) Konsonantenstämme sind solche, bei denen die Kasus¬ endung ohne Themavokal an einen Konsonanten antritt. Gehört dieser Konsonant zur Wz., so spricht man von Wz.-Nomina (z.B. urgerm. *burg-s ,Burg‘, urgerm. *man-s ,Mann‘). (3) Konsonantenstämme, die mit einem -«-Suffix (mit ab¬ lautendem Bindevokal; s. S. 138) gebildet sind, bei denen also im Gegen¬ satz zu urgerm. *man-s das -«- nicht zur Wz. gehört, gehören zur «-Deklination. Die Flexion dieser «-Stämme nennt man „schwache Flexion“ (z.B. nhd. Hase mit -« in allen Kasus außer Nom. Sg.). Dabei lassen sich vom urgerm. Standpunkt mask. und neutr. ««-Stäm¬ me, fern, ön- und /«-Stämme sowie eine Weiterbildung der idg. io/iäStämme durch -«-, die mask. ian- und die fern. /««-Stämme unter¬ scheiden. Die fern. /«-Stämme gelten manchen als eine Ablautsvariante der /««-Stämme. (4) Was nicht „schwach“ flektiert, flektiert „stark“. Die sog. „ge¬ mischte“ Flexion (Biegung) mit schwachem PI. und starkem Sg. ist erst eine Neuerung des Nhd. (5) Von den 3 Numeri des Idg. Singular (Sg.), Plural (PI.) und Dual (Zweizahl) ist der Dual bei Substantiven und Adjektiven im Germ, untergegangen. (6) Es gibt 3 Genera: Maskulinum (Mask.), Femininum (Fern.), Neutrum (Neutr.), wobei beim Neutr., wie in allen idg. Sprachen, Nom. und Akk. jeweils des gleichen Numerus formal gleich sind. (7) Von den 8 Kasus des Idg. sind im Germ, erhalten: Nomina¬ tiv (Nom.), Genitiv (Gen.), Dativ (Dat.), Akkusativ (Akk.), Vokativ (Vok.), Instrumental (Instr.) (die letzten beiden nur in Spuren). Der idg. Ablativ und der Lokativ sind verloren gegangen. (8) Die Grenze zwischen Adj. und Subst. ist nicht so scharf wie im Nhd. Noch im Mhd. können manche Subst. gesteigert werden (mhd. 149

zorn, zörner). Das idg. Adj. unterschied sich in der Flexion nicht vom

Subst. Das Germ, hat insofern geneuert, als jedes Adj. grundsätzlich auch nach der n-Deklination, also „schwach“, flektiert werden kann und daß in die „starke“ Flexion des Adj. auch Endungen der Pronominal¬ flexion aufgenommen wurden. (9) Wegen (53) wird im Germ, bei manchen Deklinationen zwischen kurz- und langsilbigen Subst. unterschieden: z.B. wird -ii- nach langer Silbe zu /", während es nach kurzer erhalten bleibt. Dies ist ein vom Sievers-Edgertonschen Gesetz beschriebener Vorgang, der, da er sich besonders in der Morphologie auswirkt, hier nicht behandelt wird. (10) Die Geschichte der idg. Deklinationen im Germ, läßt sich in folgender Übersicht stark vereinfacht darstellen:

Mask. Idg.

Urgerm.

Ahd. a (tag\ Sg. gast)

UO-

i

ia (kurzsilbig) ia (langsilbig) uai (kurzsilbig) i (langsilbig) u (kurzsilbig). u (langsilbig)

Diphthong_ es/os_i er/or_e -nt (Partizipia praes,)—nd en/on_an Andere Konsonanten¬ stämme; Wurzelnomina_Wurzelnomina (selten)^ i-en/i-on_ian

150

ja (hirti, fiskäri) wa (sneo Gen. snewes .Schnee' i (PI. gesti)

u (situ ,Sitte')

er (fater) an (hano, hauen ,Hahn')

-jan (scerio ,Scherge')

Neutr. Idg. o_ io_

Urgerm. a_ ia (kurzsilbig) ia (langsilbig)

uo. _ i__ u__ es/os_

ua i (selten) u (selten) iz/az

Ahd. a {wort) ja {nezzi ,Netz‘) wo (horo Gen. horwes .Schmutz' u (nur: fihu ,Vieh‘) ir/ar {lamb, lembir)

r/n-Heteroklitika_ r/n-Heteroklitika ? (S. 175 f.) en/on _ an

an (herza ,Herz‘)

Andere Konsonanten¬ stämme; Wurzelnomina Fern. Idg. Urgerm. ä_ ö_ iä. . iö (kurzsilbig). .iö (langsilbig). ua uö (selten) _

Ahd. 5 jö {suntea ,Sünde4) wö {drawa ,Drohung1) i {anst ,Gunst4)

er (imuoter) ön (zunga ,Zunge4) in {höhi,Höhe4)

Wurzelnomina in Resten {naht ,Nacht4) jön {mucca ,Mücke4)

4 In der nominalen Stammbildung unterscheiden wir bestimmte se¬ mantische Typen, je nachdem ob die Nomina konkrete Dinge (Kon¬ kreta), Personen und Lebewesen (Personalia) oder „Abstraktes44 wie Röte, Prüfung, Lust usw. (Abstrakta) bezeichnen. Wir unter¬ scheiden: Nomina agentis (Nomina actoris), die den Verrichter einer Handlung bezeichnen und primär (z. B. nhd. Ferge < ahd. ferio < urgerm. *farian zu *faran ,fahren4) oder sekundär (z. B. nhd. Tischler 151

zu Tisch) abgeleitet sein können. Die Nomina agentis können von Personalien zu Konkreta werden, d.h. zu Sachnamen übergehen, die etwa Instrumente (nhd. Bohrer, Schraubenzieher...) oder auch das Er¬ gebnis von Handlungen (nhd. Schnaufer, Schreier ,Schrei'...) bezeich¬ nen. In der Mehrzahl der Fälle liegen den Nomina agentis Verba zu¬ grunde. Nomina actionis, die als Abstrakta die Handlung selbst be¬ zeichnen, werden Verbalabstrakta genannt (z.B. ahd. toufi(n) ,Taufe' zu ahd. toufen ,taufen'). Ein Sonderfall ist die Bezeichnung eines Zustandes als Ergebnis eines Vorganges durch Nomina acti (mhd. gedinge ,Zuversicht; Hoffnung' zu mhd. gedingen ,fest hoffen'; nhd. Verwirrung).

Adjektivabstrakta leiten das Abstraktum von einem Adj. ab (ahd. tiufi[n\ ,Tiefe' zu ahd. r/o/,tief‘). 5 Das Verhältnis von Nomen zu Verbum ist komplex. Viele der Abstrakta und die meisten Nom. ag. sind de verbal, das gilt auch von vielen (aber nicht allen; S. 127f.) Konkreta (z. B. Trank ist zu trinken, Bund und Band sind zu binden gebildet). Verben können aber gleichfalls abgeleitet (sekundäre Bildungen) sein (S. 177f.). Und von diesen abgeleiteten Verben können wieder Nomina postverbalia abgeleitet werden, die man auf den ersten Blick für die Grundlage der abgeleiteten Verben halten könnte (z.B. lat. pügna ,Kampf ist von pügnäre ,kämpfen' abgeleitet und nicht umgekehrt, pügnäre ist jedoch von pügnus ,Faust' abgeleitet; nhd. Handel, Unterricht, Schwindel, Ar¬ ger, Flirt sind Nomina postverbalia zu handeln, unterrichten, schwindeln, ärgern, flirten...).

6 Das logische Verhältnis der Bedeutung des erweiterten zu der des unerweiterten Nomens läßt sich als exozentrisch oder endozentrisch bezeichnen (vgl. S. 174). Endozentrisch ist eine Ableitung dann, wenn das Suffix die Bedeutung der Ableitungsgrundlage nur modifiziert, aber dem Wesen nach unverändert läßt. Das gilt von den Deminutivsuffixen (Verkleinerungssuffixen) wie bei Buch - Büch¬ lein - Büchelchen... Exozentrisch ist eine Ableitung dann, wenn durch sie etwas wesensmäßig Neues gegenüber der Grundlage entsteht (Hirt im Verhältnis zur Ableitungsgrundlage Herde). Unter den exozentrischen Ableitungen sind vor allem die Zugehörigkeitsbildun¬ gen wichtig. Sie betreffen etwa die Abstammung (mhd. Amel-ungen zum Anherren des ostgot. Königshauses Amat), den Wohnort (in Herkunftsnamen wie Schweizer, Berger, ahd. burgio .Bürger'...), die Zugehörigkeit eines Fern, zu einem Mask., die durch Mo152

Vierung (sekundäre Fern.-Bildung) zum Ausdruck gebracht wird (.Königin zu König, Wilhelmine zu Wilhelm, Petra zu Petrus...). Der Vorstellung der Zugehörigkeit steht die der Zusammengehörig¬ keit im Sinne eines Kollektivs nahe. Bildungen, die dies ausdrücken (Gemäuer, Gewölk, Gewürm...), werden Kollektiva genannt. 7 In den folgenden Tabellen stelle ich zunächst die suffixalen Bildungs¬ mittel des Dt. nach (a) vokalischen und (b) konsonantischen Suffixen getrennt zusammen. Die folgende Gruppe (c) umfaßt die aus freien Morphemen entstandenen und als solche noch erkennbaren Suffixe, soweit sie schon auf vormhd. Zeit zurückgehen. Zuletzt (d) füge ich eine tabellarische Übersicht über die seit mhd. Zeit und im Nhd. entstan¬ denen oder entlehnten Suffixe an. Die häufigen Suffixkonglutinate finden sich nach dem jeweiligen Erst¬ element der Verbindung. Um bequemes Nachschlagen zu ermöglichen, bediene ich mich der alphabetischen Reihenfolge, wobei r, /, m, n auch in jenen Fällen als Konsonanten gerechnet werden, wo sie Diphthongzweitelemente sind (-en-, -er-). Bei bindevokalisch antretenden Suffixen (z. B. -e-ro-) bleibt der vor dem Suffix -ro- stehende Bindevokal -e- in der alphabetischen Reihung unberücksichtigt. Die erste Spalte enthält die rekonstruierte (oder auch konstruierte) idg., die zweite die urgerm. Form, dann folgen die mhd. und nhd. Etyma. Die letzte Spalte enthält Hinweise zur Semantik, auf Ablaute usw., gelegentlich auch Beispiele. Alle Einzelheiten durch Beispiele zu belegen, wäre schon aus Raumgründen nicht möglich gewesen. Der Benützer sei in diesem Zusammenhang auf die germ. Wortbildungslehren (vor allem auf die W. Meids, auf die ich mich hier weitgehend stütze) verwiesen.

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7.4 Suffix a abel än fr¬ äse, aise ade age

Tabelle d (Suffixe, die erst ab dem Mhd. belegt sind) Herkunft gr.-lat.-italien.span. frz. able frz. aine frz. aire frz. aise frz. ade frz. age < lat. aticum

aille al

frz. aille frz. al, lat. alis

Wortart Subst. Adj.

Beispiel Adv. Prokura

/ / / /

diskutabel mondän regulär Polonäse-, Mayonnaise

/ /

Maskerade Blamage

/ /

Journaille

/

pauschal zu obd. Pausch neben Bausch (Bausch und Bogen)

an and ant anz

lat. lat. frz. frz.

anus and(us)

ast aster at (a)tion ei ell(e) end ent enz (er)ie esk

eske

et ett

Doktorand

ance < lat.

lat. aris gr.-lat. Misch¬ bildung gr.-lat.-italien. Mischbildung lat. atus, atum lat. ationafrz. ie > mhd. ie > nhd. ei frz. eile, it. ella lat. endus lat. entlat. entia, frz. ence frz. (er)ie germ. isk > roman. isco, esco, esque, aber auch < lat. iscus frz. esque, italien. esca

esse

/

rasant

/

ant

antia ar

/

human

frz. esse lat. etus frz. ete, italien. et( t)a

Diskrepanz

/ /

elementar

/

Phantast

/ / /

Kritikaster

/ /

/

delikat-, Plakat Kanalisation; Bastion Sau-er-ei

/ / /

formell; Bagatelle stupend dezent Dezenz

/ /

Prüderie; Bürokratie

/

grotesk ,grottenartig‘ Arabeske ,Ornament

wie arabische Schrift'

/ /

/

Fadesse

/

diskret

/

komplett', Korsett 169

Suffix

ezza halben ibel id ie

(i)ent ier(e) ik iker ikos ikus il die in ine ion isse ist

istisch (i) tät (i) um iv ive ([ i\z)ismus lei

Herkunft

span.-italien. ezza halb (Dat. PI.) frz. ible frz. id(e) lat. ia, iae

lat.-roman. (i)ent frz. ier(e) frz. ique gr.-lat. Misch¬ bildung ik + gr. ydbq lat. icus lat. ilis, frz. il(e) lat.-frz.-italien. lat. inus gr.-lat.-roman. lat. ion gr.-lat.-roman. frz. iste < lat. < gr. (Gelehrten¬ bildung) ist + dt. isch mhd. iteit < frz.lat. lat. frz. ive, lat. ivus frz. ive lat.-gr. Misch¬ bildung afrz. ley < lat.

Wortart Subst. Adj. /

Grandezza



/

meinethalben disponibel

/ /

morbid Quisquilie', Lappalie

/

zu nhd. (dial.) Lapp ,Dummkopf Skribent; Inspizient

/ /

Garderobier (e) antik

/

Graphiker

/

burschikos

/

Pfiffikus

/

subtil

/

Pupille

/

genuin

/ / / /

Latrine

/

Realist

Religion Diakonisse

realistisch

/

moraliteit (Gotfrid)

/ /

Albunr, Medium operativ

/ /

Defensive

/

Austriazismus

legem

vielerlei

/

lings

ling (adv. Gen.)

ma

gr. |ia

maßen

frühnhd. masze in schwacher Flexion, adv. Dat. Sg. lat.-frz. ment /

ment

Beispiel Adv.

/

ärschlings Paradigma

/

/

erwiesenermaßen Instrument', Appartement

o, eau ör, eur ös, euse

170

frz. eau frz. eur frz. euse

/ / /

Büro', Plateau Friseur

/

skandalös', Friseuse

Suffix OS

rieh se, sis üre ur

wärts weg wegen weise

Herkunft lat. osus PN-Zweitglied gr. oiq frz. ure lat. üra mhd. -wertes (Gen.) mhd. wec ,,Weg“ Dat. PI. v. Weg Gen. Sg. v. Weise

Wortart Subst. Adj.

Beispiel Adv. dubios Wüterich; Enterich Base; Basis Allüre Schraffur

/ / / / / / / / /

himmelwärts vorweg meinetwegen logischerweise

8 In den zuletzt vorgelegten Listen fanden sich Beispiele für suffixale Verwendung von Personennamenelementen (mhd. ammolf, wänolf, nhd. Gänserich ...). Ob es sich dabei um Suffixe oder um Suffixoide (s. S. 23) handelt, ist von untergeordneter Bedeutung. Den Übergang vom auto¬ nomen Morphem zum Suffix oder Suffixoid können wir auch an nhd. Beispielen wie -fritze in Filmfritze, Fernsehfritze, Bummelfritze, Trödel¬ fritze..., -berger in Schlauberger, Drückeberger u.a. beobachten. Bei diesen Bildungen handelt es sich um zweigliedrige Komposita. Damit begegnen wir einem weiteren Typ der nominalen Wortbildung, die uns im Rahmen der E. - im Gegensatz zur Suffixableitung deshalb nur am Rande zu beschäftigen braucht, weil sie in der Regel durchsichtig ist und dem Segmentierungsvorgang wenig Schwierigkeiten macht. So¬ bald diese Bildungen nicht mehr durchsichtig sind, sind sie auch willkür¬ lichen sprachlichen Veränderungen (Volksetymologie; S. 229ff.) ausge¬ setzt. Die Komposition, die Zusammensetzung freier Morpheme (vgl. o. die Kompositionssuffixe), kann echt oder unecht sein. 9 Die unechte Komposition oder Zusammenrückung (Juxtaposition) ist dadurch gekennzeichnet, daß die Elemente dieselbe Form aufweisen, die sie bei syntaktischer Aneinanderreihung hätten, z.B. Waldesrand = (des) Waldes Rand, Langeweile = lange Weile, Muttergottes = Mutter Gottes. Dieser Kompositionstyp wird in der Regel für das Idg. nicht angenommen. Er ist in den meisten Sprachen sekundär entstanden. In neuester Zeit gibt es darüber hinaus eine Fülle von Bildungsmöglichkeiten (z. B. Zusammenrückungen und Augen¬ blicksbildungen wie Schauspieler-Regisseur), die einer eigenen „Wortbil¬ dungslehre“ Vorbehalten bleiben müssen. Die echte Komposition, die in Spuren zumindest in allen idg. Sprachen als ein altes Bildungsmittel begegnet, ist grundsätzlich 171

zweigliedrig, verwendet als Erstglied (Bestimmungswort) ei¬ nen Nominalstamm (der auch ein Verbalnomen sein kann), der an der Stelle, wo er mit dem Zweitglied (Grundwort) zusammentrifft, in der sog. Kompositionsfuge, oft das charakteristische Kennzei¬ chen des Bestimmungswortstammes zeigt: Gehört das Bestimmungs¬ wort einer vokalischen Deklination an, so erscheint als Fugenvokal der Kompositionsfuge der Themavokal der betreffenden Deklination, also bei germ. «-Stämmen -«-, bei /-Stämmen -/-, bei «-Stämmen -w-, bei /«-Stämmen wohl ursprünglich -/- nach langer, -/«nach kurzer Wz.-Silbe. Eine Ausnahme machen nur die germ. ö- und /ö-Stämme, die wie «- und /«-Stämme behandelt werden. Von den kon¬ sonantischen Stämmen zeigen nur die germ. iz/az-Stämme das -5- in der Fuge, die anderen Konsonantenstämme werden als a-Stämme behan¬ delt, wobei das -n- der schwachen Deklination verlorengeht. Da germ. PN i.a. früher überliefert sind als Appellativa (= Nicht-Eigennamen), aber in der Komposition den gleichen Gesetzen unterstehen, ist es sinnvoll, auch Namen zur Veranschaulichung des Fugenvokals heran¬ zuziehen: Stamm

Fugenvokal

Beispiel

a 5 ia/iö

a a ia

ahd. glas-a-faz ,Glasgefäß' : urgerm. *glasaz got. alrlp-a-kunds ,erdgeboren' : urgerm. *erpö urn. al-ja-markiR ,aus einer anderen Mark stammend' : urgerm. *aliaz (kurzsilbige Wz.!) agerm. Hild-i-bertus ,Kampf + glänzend' : ur¬ germ. *hildiö (langsilbige Wz.) ahd. sel-i-hüs ,Wohnhaus' : urgerm. *saliz ,Halle' urn. hag-u-staldR, ahd. hag-u-stalt (S. 108) germ. Sig-is-merus ,Siegmar' : urgerm. sigiz got. gum-a-kunds ,männlichen Geschlechts' : urgerm. *guman got. naht-a-mats : mhd. nahtmaz ,Nachtmahl' : urgerm. *nahts

i i

i

u iz/az an

u is a

K

K + a

Da die Fugenvokale in späterer Zeit abgeschwächt wurden und meist verlorengingen, ist allerdings vom synchronen Standpunkt zwischen einer echten und unechten Komposition in späteren Sprachstufen oft schwer zu unterscheiden, wenn das Bestimmungswort nicht die Gen.Endung zeigt, die bei unechter Komposition vom Typ Subst. + Subst. zu erwarten wäre (nhd. Taglohn < mhd. tagelon [echtes Kompositum] gegen nhd. Tageslohn). Aber natürlich ist nicht jedes anscheinend echte 172

Kompositum ins Urgerm. zurückzutransponieren, da ja analogisch auch in jüngerer Zeit Neubildungen nach alten Mustern möglich waren (z.B. Tagtraum [G. Keller]).

10

Werden mehr als zwei Wörter komponiert, so entsteht Dekom¬ position, bei der gewöhnlich das letzte Kompositionselement als Grundwort angesehen und dem davorstehenden Kompositum, das nun als Bestimmungswort fungiert, gegenübergestellt wird: ein Lebensmittel-geschäft ist ein Geschäft für Lebensmittel und nicht ein „Mittel¬ geschäft“ des Lebens (doch vgl. dagegen Sprachkunstwerk).

11 Während es, wie erwähnt, für die unechte Komposition im Nhd. eine Fülle von Typen gibt, läßt sich die aus dem Idg. ererbte Form der echten Komposition in wenige Grundtypen einteilen:

echte Komposita Kompositionsglieder parataktisch (bei¬ ordnend)

Dvandva (taubstumm)

Tatpurusa (Vatermord)

Kompositionsglieder hypotaktisch (unter¬ ordnend)

Endozentrisches Kompositum (= Determinativkompositum)

Karmadhäraya (Großfürst)

BahuvrThi (Dreiäuglein, Fettwanst)

Exozentrisches Kompositum

„Typus Habenichts“

Anmerkung: Wenn auch im folgenden zur Veranschaulichung der Komposi¬ tionstypen das Verhältnis zwischen Grund- und Bestimmungswort ganz formal bestimmt wird, so muß doch beachtet werden, daß die wirkliche „Bedeutung“ in der Regel nicht nur aus der Funktion beider Glieder im Wortganzen besteht: z. B. ein Bergsteiger ist einer, der gewohnt ist, Bergtouren zu machen, nicht einer, der - vielleicht ohne „Bergsteiger“ zu sein - gerade auf einen Berg steigt. Bezeichnenderweise besitzt das Dt. für einen, der gerade einen Berg besteigt, gar keine Bezeichnung, sondern muß erst durch Paraphrase (Umschreibung) einen Ausdruck bilden. Das ist für die semantische „Feinarbeit“ in der E. nicht unwichtig!

12 Unter den echten

Komposita gibt es solche, in denen die beiden Kompositionselemente semantisch gleichgeordnet sind: dreizehn = drei (und) zehn. Wie der Terminus der ai. Grammatiker Dvandva ,Paar‘ besagt, handelt es sich um einen Ausdruck für eine 173

Zweiheit. Lichtblau ,ein lichtes Blau1, ist also keine Dvandva-Bildung, schwarzweiß und Werwolf ,Mann, der zugleich Wolf ist‘ (3), hingegen wohl. Autor-Regisseur ist zwar genetisch kein echtes Kompositum, aber logisch gesehen eine Dvandva-Bildung. Eine weitaus größere Gruppe zeigt jedoch Unterordnung des Erstgliedes unter das Zweitglied. Während bei den Dvandvas zumindest theoretisch die beiden Glieder austauschbar sind (+stummtaub und +zehndrei würden nichts anderes besagen als taubstumm und dreizehn), ergäbe + Mordvater einen völlig anderen Sinn als Vatermord. Entspre¬ chend der Unterscheidung bei der Suffixableitung können wir auch bei der Komposition zwischen endozentrischer und exozentrischer Be¬ deutung unterscheiden. Das Bestimmungswort des endozentrischen (Determinativ-)Kompositums bestimmt die Aussage des Grundwortes enger: ein Vatermord ist immer ein Mord. Das Bestim¬ mungswort hebt ihn nur schärfer von anderen Morden (Muttermord, Meuchelmord, Schreibtischmord) ab. Wie die Beispiele zeigen, können bei dem Typus des Tatpurusa zwischen Grund- und Bestimmungswort verschiedene funktionelle Beziehungen bestehen. In Vatermord ist Va¬ ter- das Mordobjekt. Dieses Objektverhältnis drückten die alten Inder durch den Terminus Tatpurusa ,dessen Diener1 aus. Genauer noch entspricht ihm das Dat.-Verhältnis in Brautgabe. Bei Meuchelmord und der Dekomposition Schreibtischmord herrscht ein adverbielles Verhält¬ nis. Karmadhärayas (das Wort ist nicht gedeutet) sind Komposita, bei denen das Grundwort durch das Bestimmungswort attributiv be¬ stimmt wird (ein Großfürst ist ein großer Fürst). Den endozentrischen Komposita, die wir durch das Prädikat „seiend" kennzeichnen könnten, stehen die exozentrischen mit dem Prädi¬ kat „habend“ gegenüber. Das Dreiäuglein des Märchens „ist“ nicht drei Augen, sondern hat sie, d.h. die Bedeutung des ganzen Kompositums ist eine auch wesensmäßig andere als die des Grundwortes. Der ai. Terminus Bahuvrlhi .viel Reis (besitzend)1 drückt dies deutlich aus. Der Typus Habenichts, Wage¬ hals, ne. pick-pocket .Taschendieb' hat zwar in einigen anderen idg. Sprachen Entsprechungen, gilt aber i.a. als einzelsprachliche Neuerung. Im Dt. tritt er erst im hohen Mittelalter, vor allem in Spitznamen, auf. Das erste Glied ist reiner Verbalstamm, das zweite Objekt oder Adv. Diesen Bildungen stehen Zusammenrückungen in Pflanzennamen wie Rühr-mich-nicht-an, Vergißmeinnicht... nahe. 12.1 An kategoriellen Kombinationsmöglichkeiten der echten Komposition gibt es: 174

Subst. + Subst.: z. B. Bräuti-gam < ahd. bruti-gomo ,Braut-Mann" (der Fugenvokal weist noch im Nhd. auf den urgerm. /-Stamm *brüdiz ,Braut' zurück!). Adj. + Subst.: Junker < ahd. junc-herro ,jung-Herr". Subst. + Adj.: weintrunken < ahd. win-trunchan ,trunken vom Wein‘ Adj. + Adj.: ahd. ala-wäri ,all-wahr, durch und durch wahr1 —> ,freundlich" > mhd. alware ,allzu freundlich" -> ,dumm" > nhd. albern (-n aus den schwach flektierten obliquen Kasus). 12.2 Nach denselben Prinzipen werden übrigens auch die alten zweigliedrigen PN gebildet: Subst. + Subst.: Wolf-grim ,der eine Wolfsmaske (Helm?) hat". Adj. + Subst.: mhd. Hart-muot ,„hart“ 4- Sinn, Verstand...". Subst. + Adj.: ahd. Hugi-peraht ,Verstand + glänzend". Adj. + Adj.: ahd. Berht-kuon ,glänzend + kühn". Dazu gibt es drei Zusatzregeln, die sog. Schröderschen Gesetze (nach Edw. Schröder): (1) Steht als Zweitglied eines Männernamens ein Subst., so darf es nur mask. grammatisches Geschlecht haben. Movierungen (S. 152f.) gibt es also nur bei Frauennamen. (2) Die Anlaute von Erst- und Zweitglied sollen nicht gleich sein (allitterieren, „staben“). (3) Zweitglieder mit vokalischem Anlaut werden gemieden. Diese Regeln sind i.a. recht genau beobachtet worden, Ausnahmen kommen aber vor.

13 Ein interessanter, schwer einzuordnender Spezialfall der nominalen Wortbildung ist die Heteroklisie. Sie liegt dann vor, wenn bei ein und demselben Morphem innerhalb des Paradigmas (der Flexion) die Wortbildung wechselt oder dieser ursprüngliche Wechsel so beseitigt wurde, daß ein und dasselbe Morphem je nach Dialekt bald mit diesem, bald mit jenem Wortbildungselement auftritt. Gewöhnlich handelt es sich um den Wechsel r : n. Die Heteroklisie gilt als Altertümlichkeit in den idg. Sprachen, und es ist auffällig, daß von ihr eine Reihe neutr. Wörter betroffen ist, die ganz primäre Lebensbereiche wie die Elemente, bestimmte Körperteile usw. bezeichnen. Solche Heteroklitika sind z. B.: lat. femur,feminis (später: femoris), neutr., ,Oberschenkel; Penis"; iecur, iecinoris (auch: iocur, iocineris und iecur, iecuris), neutr., ,Leber (auch Sitz der Affekte und des Verstandes)": gr. f|7tap, qrarcoc; (< *r|7ty-TO<;) ,Leber" : ai. yäkrt, yakn-äs ,Leber". Im Germ, sind die verschiedenen Stämme meist dial. verteilt: got. wato («-Stamm), neutr.,,Wasser", aber ahd. wazzar (ursprüngl. r-Stamm). Nur im Aisl. stehen vatr und vatn nebeneinander wie in gr. übtop, öbonxx; (< *Fo5y-Toq) und heth. uatar, uetenas ,Wasser". Ähnlich bei got. fon («-Stamm), neutr., ,Feuer", aber 175

ahd. fiur (> mhd. viwer, viuwer > nhd. Feuer). Der /7-Stamm liegt ahd. funko (> nhd. Funke) zugrunde. Das Aisl. hat wieder beide Stämme, ebenso das Gr. Auch das Nebeneinander von /: n in ahd. himil und got. himin- (ags. heofon > ne. heaven) wird oft auf Heteroklisie zurückge¬ führt. Da diese Erscheinung auf sehr wenige altertümliche Wörter be¬ schränkt ist, spielt sie für die e. Arbeit selbst kaum eine Rolle. Der Etymologe wird aber im Zusammenhang mit Sakralwortschatz, Tabu¬ formen (S. 225) usw. in der Literatur öfters auf den Begriff der Hetero¬ klisie und der Heteroklitika stoßen.

14

Auf Morphologie und Bildung der übrigen Nominalkategorien wie Pronomina und Numeralia wird in diesem Buch nicht eingegangen.

15

Verba:

Die Verbalbildung vollzieht sich nach anderen Gesetzen als die Nomi¬ nalbildung. Scheinbare Komposita von Verbal- und Nominalstämmen er¬ weisen sich gewöhnlich als z.T. alte Juxtapositionen, in denen al¬ lerdings das erste Element gekürzt sein kann (lat. vendere ,verkaufen' < venum dare wie nhd. wahr nehmen < mhd. war nemen < ahd. wara neman ,in Aufsicht nehmen'). Auch das bindevokalhältige Prät. der schwachen Verben ist nach der Meinung vieler so entstanden (ahd. nerita ,nährte', got. nasida ,rettete' < *nasiam ,Rettung' + eine im einzelnen umstrittene Form von idg. *dhe- ,machen, tun'; im got. PI. nasi-dedum ,wir retteten' entspricht das Zweitglied exakt ahd. tätum .wir taten'). Allerdings rechnen einige auch mit echter Komposition, denn während Juxtapositionen wie wahrnehmen, seligpreisen, achtgeben... trennbar sind (nehme wahr...), ist es got. nasi-dedum nicht.

16

Von größerer Bedeutung für den Etymologen ist die suffixale Wort¬ bildung. Zu ihrem Verständnis ist einiges über Aktionsart und Aspekt vorauszuschicken: 16.1 Unter den Aktionsarten einer Verbalhandlung unterscheidet man zwischen punktueller (einmaliger) und durativer (an¬ dauernder) Verbalhandlung. Punktuelle Aktionsart haben z.B. die Ver¬ ben treffen, erblicken, wegschauen, abreisen, durative die Verben wohnen, bleiben, reisen, scheinen... Parallel zu dieser Unterscheidung der Aktionsart läuft die des Aspekts, nämlich so, daß die durative Handlung dem imperfektiven („nicht abgeschlossenen“) Aspekt entspricht, dagegen die punktuelle Aktionsart dem perfektiven (weil eine punktuelle Verbalhandlung einmal zum Abschluß kommen 176

muß). Der Leser muß die Ausdrücke imperfektiv und perfektiv ganz wörtlich nehmen und möge keineswegs an die Tempusbezeichnungen der dt. und engl. Grammatik denken, denn z.B. das ne. Perfekt / have been ist in dem dargelegten Sinn gerade nicht perfektiv, sondern imper¬ fektiv-durativ. Der imperfektive und der perfektive Aspekt wurden im Idg. durch zwei morphologische Kategorien ausgedrückt, dem Präs, („gegenwärtig“) und dem Aorist („unbegrenzt“), wobei der letztere Ausdruck lür das Punktuell-Perfektive ausgesprochen irreführend ist. Streng genommen konnte von einem Verbum mit perfektivem Aspekt kein Präs, gebildet werden und von einem Verbum mit imperfektivem Aspekt kein Aorist. Deshalb bestehen in Sprachen, in denen die alten Verhältnisse noch gut bewahrt sind (wie dem Gr.), Suppletiv¬ systeme, d.h. Verbalparadigmata, in denen Aorist und Präs, von verschiedenen Verbal-Wzn. gebildet werden: gr. Präs, epxopai ,ich gehe1 : Aorist rjÄDOov ,ich ging weg; kam an\ Vielleicht erklärt sich auch das Suppletivsystem von ,sein' (*es- in ist, *ues- in ne. was) auf diese Weise. Neben dieser Unterscheidung von Aktionsart und Aspekt entstand auch das Bedürfnis nach zeitlicher Einordnung einer Verbalhandlung, und so erscheint in den idg. Einzelsprachen neben Aktionsart und Aspekt ein diese teils ergänzendes, teils durchkreuzendes Tempussystem. Im Lat. entstand so als Vergangenheitstempus für durative Handlungen das Impf., für punktuelle, abgeschlossene das „historische“ Perf. Das präsentische Perf. hingegen ist ein Tempus der Gegenwart, indem es eine vollendete Handlung, deren Auswirkung aber in die Gegenwart fort¬ dauert, bezeichnet. Spätere einzelsprachliche Neubildungen sind das Fut., das Plusquamperfekt und das Fut. exactum. Ferner unterschied man Modi (Aussageweisen, wie Indikativ, Konjunktiv, Optativ...) und Verbalgenera (= Diathesen, wie Aktiv : Mediopassiv), deren Erörterung aber in den Bereich der Morphologie und nicht so sehr in den der E. gehört. Um nun eine zwar punktuelle Handlung doch imper¬ fektivisch darstellen bzw. um noch weitere Differenzierungen vorneh¬ men zu können, bediente man sich verschiedener Möglichkeiten: z. B. ein immer wieder unternommener (erfolgloser) Versuch wird im Lat. durch das Imperfectum de conatu ausgedrückt, man könnte aber die Wieder¬ holung auch durch ein Suffix oder durch Wiederholung der Wz.-Silbe (Reduplikation) - immer zusammen mit den Möglichkeiten des Ab¬ lautes! - zum Ausdruck bringen. 16.2

Je nach der Akzentsetzung der semantischen Funktion unter¬

scheidet man: (1) Iterativa drücken eine wiederholte Einzelhandlung oder eine Gesamthandlung aus, die aus vielen Teilakten besteht: lat. cursare Tort 177

und fort laufen, umherrennen‘ (: currere ,laufen1), nhd. beben, wackeln, stottern, flattern, flimmern (im Gegensatz zur durativ-einheitlichen Ver¬ balhandlung in glimmen). (2) Intensiva bezeichnen die erhöhte Intensität oder das Ge¬ waltsame einer Handlung: nhd. zucken, zücken {: ziehen), schnitzen (: schneiden), ritzen {: reißen), stutzen ,stehenbleiben, zurückschrecken1 (: [an]stoßen). Diese Intensiva sind heute in ihrer Bedeutung meist abge¬ schwächt. (3) Deminutiva bezeichnen eine Abschwächung, gelegentlich auch eine Abwertung (Pejorisierung) der Handlung: nhd. hüsteln {'.husten), streicheln {'.streichen), lächeln {'.lachen), (dahin)forschein

(: forschen), südd. (dial.) kommerln (in: „Ja, wer kommerlt denn da?“ zu Kindern). (4) Desiderativa bezeichnen den Wunsch nach einem Ge¬ schehen. Sie sind im Germ, nicht mehr produktiv, ein Rest ist: ahd. wison ,besuchen1 < idg. *uid-s- ,zu sehen wünschen1 > lat. visere ,besuchen1, wie lat. quaesö ,bitte1 zu quaerö ,suche1. (5) Inkohativa dienen dazu, ein Verbum durativer Aktionsart punktuell einsetzen zu können: lat. convalescö ,erstarke1 (: valeö ,bin stark1), nhd. erbleichen {: bleich sein), erwachen (: wach sein). (6) Kausativa (Deverbativa) sind zu Verben, deren Handlung sie veranlassen, gebildet: nhd. schwemmen ,machen, daß etwas schwimmt1, tränken ,machen, daß etwas trinkt1, legen veranlassen, daß etwas liegt1. (7) Faktitiva (Denominativa) stehen den Kausativen, mit denen sie gelegentlich terminologisch verwechselt werden, sehr nahe. Sie be¬ zeichnen die Veranlassung einer Handlung oder eines Zustandes, die durch ein Nomen ausgedrückt werden: nhd. röten (: rot), nennen < urgerm. *namnian {: zu *namn- ,Name‘), ächzen ,„Ach!“ machen1, duzen Jemanden zu einem Du machen1. Es gibt auch „negative“ Denominati¬ va: nhd. köpfen ,enthaupten1, got. kapillon ,scheren‘ (< lat. *capilläre), ne. to dust ,abstauben1.

17

Das idg. Verbalsystem hat im Germ, starke Reduktionen erfahren, die darzustellen Aufgabe der Morphologie ist. Es sei nur erwähnt, daß die Tempora auf zwei reduziert wurden: das Präsens (Präs.), das auch Futur-Bedeutung hat, und das Präteritum (Prät.), das ver¬ gangene Handlungen ausdrückt {ich gehe - ich ging). Die übrigen Zeiten sind erst sekundär periphrastisch (umschreibend) mit Hilfszeitwörtern gebildet worden. Wir unterscheiden schwache und starke Ver¬ ben. Die schwachen Verben sind heute noch durch die Endung -e in der 1. und 3. Pers. Sg. Ind. Prät. gekennzeichnet (ich/er legt-c), während 178

die starken endungslos sind (ich/er ging). Darüber hinaus bilden die schwachen ihr Prät. mit Hilfe eines Dentalsuffixes bzw. durch Juxtaposition mit Formen des idg. Verbums *dhe-mi ,ich mache, tue, setze...1 (,leg-t-e). Eine eigene Kategorie sind die Verba praeterito praesentia, ehemals starke Verba, deren Präteritalform Präsensbe¬ deutung angenommen hat und die ihren Infinitiv von der 3. Averbostufe bilden. Das Prät. wird gebildet, indem das idg. Dentalsuffix -to- bin¬ devokallos an die Wz. der 3. Averbostufe gefügt wird. Solche Verba sind z.B. nhd. wissen, können, dürfen, taugen, mögen, müssen, wobei aller¬ dings im Nhd. der Sonderstatus dieser Bildungen durch Analogie z.T. verwischt ist.

18

Ich lasse nun, analog der nominalen Wortbildung, Tabellen folgen. Tabelle e enthält die vokalischen, Tabelle f die konsonantischen Suffixe. Tabelle g enthält Präfixe, die ja meist für Nomina und Verba gemeinsam gelten. Dabei ist das oben (35.3) zum germ. Akzent Gesagte zu beachten. Präfixe, die auch als autonome Morpheme (Präpositionen und Adver¬ bien) fungieren, sind in der Regel nicht aufgenommen.

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Bemerkungen

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20

Reduplikation:

Die idg. Perfektreduplikation mit dem Reduplikationsvokal e lebt, wie erwähnt, im Got. als System weiter. Die starken Verben der Ablautreihe I-VI haben sie, soweit ihr Prät. auf reduplizierte Per¬ fektformen zurückging, schon im Vorgot. eingebüßt (S. 143 f.). Neben der Perfektreduplikation gab es im Idg. auch eine Präsensredu¬ plikation, deren Vokal i war (z. B. lat. si-st-ö : gr. i-crcr|-(ii ,stelle1 u.a.). Im Germ, ist etwas Vergleichbares nur in wenigen onomato¬ poetischen (S. 196f.) Verben bewahrt: ahd. bi-ben > mhd. biben > nhd. beben (dial. auch mit /Vö-Weiterbildung bibern ,vor Angst oder Kälte zittern4) und ahd. zitterön (< *ti-tr-ön > ne. dial. to titter, aisl. titra).

21

Nasalinfix:

Das Nasalinfix des Präs., das im Idg. inkohativen Gehalt hatte, lebt in einigen Fällen im Dt. bei eher durativen Verben fort. Mit Aufgabe des inkohativen Gehaltes konnte es auch im Prät. beibehalten werden, was mit Ausnahme von urgerm. *standan (S. 136, 141) überall geschah, und auch bei *standan wurde später zugunsten der -/7-haltigen Formen aus¬ geglichen. Die Nasalinfixe wirken sich besonders auf die Einordnung in bestimmte Ablautreihen (S. 142, 144) aus.

189

X 1

Nicht-lautgesetzliche Veränderungen des Wortkörpers Kontamination: s. S. 228.

2

Ellipse: Bei echten und unechten Kompositionen treten Kürzun¬ gen verschiedener Art ein. Die Ursache ist in der semantischen Funktionslosigkeit des ausgestoßenen Elements zu sehen. Zu die¬ ser kommt es z. B. durch akzentbedingte Abschwächung, die ein Mor¬ phem so sehr reduzieren kann, daß die Komposition nicht mehr moti¬ viert erscheint, oder dadurch, daß angesichts der Sprachökonomie ein Morphem als redundant empfunden wird. Redundant (für die In¬ formation überflüssig) kann ein Phonem vor allem durch die Fre¬ quenz (Häufigkeit) seiner Verwendung werden. (Es ist ein universel¬ les Gesetz [ein Universale, engl, universal], daß i.a. die häufigsten Wör¬ ter die kürzesten sind, z. B. im Nhd. in absteigender Reihenfolge: die, der, und, zu, in, ein, an, den, auf, das, von, nicht, mit, dem, des, am, sie, ist, so...). Auch euphonische Gründe (des Wohlklanges) wirken mit.

2.1 Akzentbedingte Abschwächung liegt vor in: mhd. adelar ,Adel-Aar1 > nhd. Adler (S. 161), mhd. nachgebür .nahe wohnender Bauer4 > nhd. Nachbar, mhd. wibes name ,was den Namen „Frau“ trägt" > nhd. Weibsen, mhd. schuoch-sütare > nhd. Schuster, mhd. drit¬ ten > nhd. Drittel, ahd. niwäri > mhd. newcere > neur, nuor, nhd. nur. 2.2 Akzentbedingte Abschwächung und Verschiebung der Wortgrenze führen zur Prosthese (Agglutination), bei der der Auslaut eines Ar¬ tikels oder einer Präposition zur Wz. gezogen wird, so daß letztlich keine Kürzung, sondern eine Erweiterung das Ergebnis ist. Sie begegnet häufig in Namen von Örtlichkeiten, z.B.: Meysenborn (Kreis Gießen) < (a)m Eisenborn, Nassau < (i)n Assau, Naschmarkt (Markt in Wien) < (auf de)n Asch(en)markt .Markt, auf dem die Wäscherinnen Pottasche kauften" (hier wirkt auch Volksetymologie mit; S. 229ff.), hamburgisch Morsch < (a)m Arsch; bei Verben: mhd. zöugen .zeigen" < urgerm. *ataugian- (> got. ataugjan) ,vor Augen führen", nhd. zagen < ahd. zagen < urgerm. *at-agen- (: air. ad-ägur ,ich fürchte"). E. Segmentierungsvor¬ gänge, die mit Prosthesis rechnen, nennt man gelegentlich me tana¬ lytische. 2.3 Aphärese (Deglutination) liegt vor, wenn der als Artikel oder Präposition empfundene Anlaut wegfällt. Dieser Vorgang, in den Mundarten öfters belegt, begegnet in der Schriftsprache selten: nhd. (ostmd.) Otter .Schlange" (zuerst bei Luther) < (ein Njatter, (den, einen 190

N)achen > rheinisch äche(n), spätmhd. (ein n)ürz > steirisch irz

,Fischotter1, bair. [dial.] [ubJ] < mhd. (den, einen n)uosch ,Sautrog\ So auch im Ne.: lone < (a)lone, ne. apron ,Schürze‘ < (an)apron < afrz. naperon ,großes Tuch\ In Ortsnamen: (Casteilum Z)uisila > Wisilburg (1104) > Wieselburg (Niederösterreich), slov. Zagrab wurde von Deutschsprachigen als z(u) Agr ab interpretiert > Agr ab > Agram. Solche Erscheinungen treten besonders häufig an Sprachgrenzen auf. Selten ist Deglutination am Wortende; immerhin verdanken wir ihr die Präposition während (mit Gen.): die „absoluten Genitiven“ wie währendes Krieges, währendes Druckes ,solange der Krieg, Druck währ¬ te4 segmentierte man als während des Krieges, Druckes. Allerdings hat das Vorbild von frz. durant, italien. durante, ne. during mitgewirkt. 2.4 „Scheinbare Redundanz“ liegt dann vor, wenn das bei der Kürzung eingesparte Morphem mitassoziiert werden muß, weil das Kürzungsergebnis für sich semantisch unsinnig wäre: nhd. Fernsprech¬ amt > Fernamt, Polizeihundezüchterverein > Polizeihundeverein, Öl¬ baumzweig > Ölzweig. Solche aus Dreiwortkomposita gekürzte Zwei¬

wortkomposita heißen auch „elliptische Bildungen“, namen“, „Klammerformen“ oder „Ölzweig-Typus“.

„Schrumpf¬

2.5 Elliptische Bildungen kommen aber im Dt. überaus häufig auch dadurch zustande, daß Komposita und andere längere Wörter am An¬ fang oder Ende mehr oder minder willkürlich gekürzt werden. So ent¬ stehen „Kopf-“ und „Schwanzformen“: z.B. Automobil > Auto (Kopfform), Automobil > schwed. bil (Schwanzform), Oberkellner, -leutnant > Ober, ne. fashionable > südd. fesch, mit. sarcophagus > ahd. sarc > nhd. Sarg, Lokomotive > Lok, Blindschleiche > Schleiche, Krankenkassenarzt > Kassenarzt, Wasserleitungswasser > Leitungswas¬ ser. Wichtig ist das Prinzip für die Kurznamenbildung: Alexander > Alex... Gelegentlich wird die Kürzung vom historischen Standpunkt aus

an falscher Stelle vorgenommen: ahd. egidehsa (< westgerm. *agi-dehsa, eigentlich ,Schlangen-Spindef) > mhd. eidehse (49) > nhd. Ei-dechse. Da die Bildung nicht mehr motiviert war, konnte sich als Schwanzform Echse ergeben. Ähnlich unorganisch ist auch die Schwanzform Hörn¬ chen < Eichhörnchen.

Akronymien (S. 20, 23, 42) kommen zustande, wenn freie Morpheme mehr oder minder willkürlich aus den Anfangsbuchstaben von echten oder unechten Komposita, Wortgruppenlexemen u.dgl. ge¬ bildet werden. Die Grenze gegenüber den Kopfformen verschwimmt. Die eigentliche Ursache für dieses heute so wichtige Bildungsprinzip (sprachhistorisch gesehen wohl die merkwürdigste Neuerung des 2.6

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20. Jh.s) scheint mir noch nicht genügend erforscht. Wichtig zu sein scheinen u.a. Rationalisierungsbestrebungen (vor allem im Verwaltungsbereich, besonders bei autoritärer, zentralistischer Verwal¬ tung mit stark sprachnormierender Tendenz), Wohl klang (Eu¬ phonie), Notwendigkeit verhüllender Benennung (Tabu; S. 223), Lautsymbolik, unterschwellige Assoziationsmög¬ lichkeit (bei Firmennamen und Bezeichnungen von Artikeln), leichte Einprägbarkeit, vielleicht auch Komik. Bei der „Etymologisierung“ dieser Gebilde hat man in der Art des Thomas Cisterciensis (S. 42) vorzugehen. Da die Bildungsprinzipien im einzelnen nicht ohne weiteres verallgemeinert werden können, läßt sich auf rein linguistischem Weg hier nicht viel erreichen. Soweit die ungekürzten Formen nicht neben den Akrononymien präsent sind („Sozialdemo¬ kratische Partei Deutschlands“ > SPD) oder wie bei einem Handelsar¬ tikel aus der Sache selbst erschlossen werden können (Sinalco < sin[e] alco[hol]), muß man bei den namengebenden Institutionen (Ämtern, Firmen...), in Zeitungen usw. recherchieren. Beispiele sind: H(amburg)A(merikanische) P(aketfahrt) A(ctien-)G(esellschaft) > Hapag, Hit¬ ler-Jugend > Hajot (HJ), Ge(heime) Sta(ats)po(lizei)

> Gestapo

(Tabuform?), Stu(rz)ka(mpfflieger) > Stuka, K(ritisch) e(ngagierte) S(tudenten)s(chaft) > KESS, Per(borat-)Sil(ikat) > Persil, Fewa (S. 20), Ge(meinnützige) O(rganisation) R(uhrkohle) G(es. m. b. H.) > GEORG, K(raft)rad (nach Kraftwagen) > Krad. Diese Buchstaben¬ wörter erscheinen manchmal wortbildungsmäßig und morphologisch integriert: SPD-ler, Kräder. 2.7 Neigung zur Euphonie (Wohlklang) und zur Ausspra¬ cheerleichterung führt öfters zur Ausstoßung einer von zwei glei¬ chen oder ähnlichen einander berührenden Lautgruppen oder Silben (Silbenschichtung, Haplologie), wenn sie als kakophonisch (übel klingend) oder schwierig empfunden wurden: mhd. zoubererinne > nhd. Zauberin, mhd. vivalter (lautsymbolische Reduplikation) > nhd. Feifal¬ ter > Falter, vorahd. *alia-landia- ,im andern (fremden) Land seiend —> verbannt -»• unglücklich' > ahd. elilenti > mhd. eilende > nhd. elend, tragikokomisch > tragikomisch. Die ältesten Belege solcher Haplologien stammen aus der Nominalflexion: got. hanans (Akk. PI.) ,die Hähne' < urgerm. *han-an-uns, ahd. andero (Gen. PI.) ,der anderen' < *ander-ero. Da es sehr subjektiv ist, ob etwas als Kakophonie oder schwierig emp¬ funden wird, lassen sich für das Eintreten oder Ausbleiben der Haplolo¬ gie keine Regeln angeben (z. B. Haplologie statt +Haplogie!). Ja, es gibt sogar Dittologien in Form „unorganischer Erweiterungen“ wie nhd. dial. Balbierer < Barbier, Glaserer < Glaser u.a. 192

2.8 Die Redundanz wird nicht immer vermieden, sondern im Fall der pleonastischen Bildungen sogar gesucht. Dabei ergeben sich Häufungen von Bildungselementen, die nicht immer durch Streben nach größerer Deutlichkeit erklärbar sind; z. B. wahr-haft-ig(-lich), leib-haftig(-lich) und aus solchen Bildungen abgeleitete Subst. wie Lebhaftigkeit u.a. Besonders bei den Deminutiven tritt der Pleonasmus gerne auf: die SufFixe-c/zen und -lein, selbst schon Konglutinate (S. 122), werden noch einmal kombiniert (z. B. Büchelchen, Sächelchen...). Diese Art von Pleo¬ nasmus beruht ebenso auf besonderer Affektbeteiligung wie die Häufung von Komparativen und Superlativen: ahd. meriro ^meh¬ rerer1“ (got. maizo würde ahd. mero entsprechen), ersterer, einzigster, in keinster Weise... Echtes Streben nach Verdeutlichung ist dann anzuneh¬ men, wenn das verstärkte Morphem einen nur kleinen Wortkörper besitzt: nhd. dial. (bair.) habts es1? ,habt ihr?‘ und es habts ,ihr habt1 (das -5 von habt-s ist bereits das Personalpronomen der 2. PL), nhd. ihrer, ihnen ist aus mhd. ir, in mit Verdoppelung der Endung entstanden. Die Neigung zur Verdeutlichung hat im Bair. ein eigenes Suffix des Optativ Prät. ergeben: [das i: ’moxut], [das mir 'moxntn] ,daß ich machte, daß wir machten1 usw. 3 Mit Hyperkorrektheit muß immer dann gerechnet werden, wenn zwei Sprachen oder Sprachschichten (also Interferenz; S. 240) vorhanden sind, von denen die eine als die höherwertige angesehen wird, und wenn eine gewisse Bewußtheit lautlicher Entspre¬ chungen herrscht, nach denen die hyperkorrekten Formen analogisch gebildet sind. So kommt es zu hyperkorrekten Formen, die jedem Volks¬ schullehrer als orthographische Fehlleistungen geläufig sein dürften. Weil man ['se:an] spricht, aber sehen schreibt, ist der orthographisch Unsichere versucht, auch für säen + sähen zu schreiben. So betrachten auch viele ih heittu im Hildebrandslied (Vers 17) als eine hyperkorrekte Verniederdeutschung eines ih heizzu der angenommenen ahd. Vorlage. An der hd.-nd. Sprachgrenze wußte man, daß ahd. z as. t entsprach (z. B. zuo : tö nach [40]). Bei der Übernahme von ahd. zins (< mit. census; S. 246 f.) verniederdeutschte man das Wort in hyperkorrekter Weise zu as., mnd. tins. Meist bleibt die Hyperkorrektheit auf die Aussprache be¬ schränkt. In den Dialekten, die gerundete Vokale entrunden, spricht man „feun“, indem man die Entrundung auch dort „rückgängig11 macht, wo nie gerundete Vokale zugrunde lagen. Als im 2. Jh. n. Chr. klassisch-lat. au zu plebejisch ö geworden war, wurde Kaiser Vespasian von Mestus Florus dahingehend korrigiert, daß man in gebildeter Sprechweise statt plöstra Lastwagen1 plaustra sagen müsse, worauf der Kaiser anderntags den Florus hyperkorrekt als Flaums angeredet haben

193

soll (Sueton, Vesp. 8,22). Hyperkorrekte Schreibungen sind auf antiken Inschriften - das Setzen eines Inschriftensteines war ja ein feierlicher Akt - nicht selten. Man muß daher auch bei germ. PN, die aus solchen Inschriften stammen, immer mit der Möglichkeit hyperkorrekter For¬ men rechnen. Für die Germanen war das Lat. die Prestigesprache, für die Römer das Gr., und so herrschte eine Zeitlang in gebildeten Kreisen Roms die Marotte, die lat. Tenues nach Art von gr. 0, cp, % zu aspirieren. Auch im Dt. gibt es als analoge Erscheinung die französisierende Aus¬ sprache dt. Wörter, die als Snobismus gerne karikiert wird. Besonders häufig begegnen hyperkorrekte Formen in Familiennamen: z. B. bair. Käszporer, Kässporer geht auf Kasparer (zu Kaspar) zurück, dessen erste Silbe man wegen bair. [ka:s] für schriftsprachlich Käse hyperkorrekt der Norm anpaßte (-bohrer ist Volksetymologie; S. 229ff.).

194

XI

Lautsymbolik und Schallnachahmung (Onomatopöie)

1 Sie spielen eine große Rolle bei primären Bildungen, insbesondere auch in der Kindersprache, wo die schallnachahmende Bildung auch als Onomatopoesie bezeichnet wird: Wauwau, Wuff,Hund4 usw. Dabei ist zwischen der Nachahmung von Schällen wie Kikeriki, Kuckuck, muh(kuh), plumpsen ,schwer hinfallen, „plumps“ machen4, klirren usw. und im engeren Sinn lautsymbolischen Bildungen, die kei¬ nen Schall wiedergeben, zu unterscheiden. Die Lautsymbolik be¬ ruht auf der Ausdruckswirkung bestimmter Laute, die weithin als Universale gelten kann, weil sie in allen oder zumindest sehr vielen - auch nicht verwandten - Sprachen auftreten kann. Schon im Kratylos-Dialog wird ja überlegt, ob nicht [r] eine besondere Affinität zum „Fließen“ und „Flüssigen“ habe, nicht umsonst heißt der Laut in der Phonetik „Liquid“, und statistische Tests haben gezeigt, daß [r] und [1] tatsächlich stärker mit „flüssig“ assoziiert werden als etwa [t] und [k] und daß selbst gehörgeschädigte Sprecher dieselbe Ausdruckswirkung der Laute verspüren wie normalhörende. Psychologische Versuche ha¬ ben ergeben, daß schwere, große, runde Gebilde vorwiegend durch die Laute [o], [u], [m], [b]... bezeichnet werden, leichte, kleine, spitze Gebilde dagegen eher durch die Laute [i], [p], [k], [t], [ts]... Der Leser möge sich selbst fragen, wie ein [omo'longu] genanntes und wie ein [pitsi'kiti] genanntes Ding auszusehen haben. In einer Reihe von Sprachen wird der Begriff ,klein4 durch lautsym¬ bolische Neubildungen bezeichnet: z.B. got. leitils, aisl. litell neben westgerm. *lüt(t)il- (> ags. lytel > ne. little) > ahd. luzzil, liuzzil > mhd. liitzel, das in nhd. ON wie Litzelberg usw. weiterlebt. Analog auch die lautsymbolischen Wörter italien. piccolo, span, pequeno, frz. petit, vlt. pitinnus u.a. Lautsymbolisch sind wohl auch die Deminutivsuffixe urgerm. ikina, ila, inklina... Es ist anzunehmen, daß viele der lautsymbolischen Bildungen kindersprachlicher Herkunft sind. Das heißt natürlich nicht, daß diese Bildungen nur von den Kindern selbst stammen, vielmehr handelt es sich vielfach um Morpheme, die ihnen von den Ammen und Müttern bereitgestellt wurden. Dabei gelten die Krite¬ rien der Expressivität der Lautgebärde (Ausdruckswirkung), die die Zuordnung des Zeichens zum Gemeinten dem Kind einleuchtend er¬ scheinen läßt und das Kriterium der leichten Reproduzierbarkeit durch das Kind, dessen artikulatorische Fähigkeiten anfangs sehr beschränkt sind. So kommt es zu weltweit belegten Wörtern für Vater und Mutter {papa, tata, atta...; mama, nana, anna...), die als Lall Wörter be¬ zeichnet werden. Wenn sich diese Morpheme ständig die kindlich unent195

wickelte Artikulation zur Norm nehmen, bleiben sie vom Lautwandel scheinbar verschont. Finden sie aber auch außerhalb der Kindersprache als Appellativa Verwendung, so machen sie auch den Lautwandel mit: Neben dem nur kindersprachlichen papa ,Vater' gab es auch ein christ¬ liches Lehnwort vorahd. papa, das im Gr. einen niedrigen Kleriker (nanäf) bezeichnete und vermutlich durch die Goten vermittelt wurde (S. 255). Dieses Wort stand der Kindersprache, aus der es freilich stammte, schon so fern wie lat.-nhd. Pater, italien. padre usw. und wurde mit der 2. LV (40) zu ahd. pfaffo > nhd. Pfaffe (das papa der Kinder¬ sprache blieb daneben unberührt). So stehen auch nebeneinander nhd. Zitze und Titte, Zutzel und Tuttel. Dabei sind Titte und Tuttel im Obd. nicht etwa unverschobene Entlehnungen aus dem Nd., sondern kinder¬ sprachlich immer wieder erneuerte, sozusagen infantile Formen. 2 Ein wesentliches Bildungsmittel lautsymbolischer und onomatopoe¬ tischer Morpheme ist die Reduplikation im weiteren Sinn, d.h. Verdoppelung der ganzen Wurzel oder einzelner Elemente. Aus der Kindersprache: Mama, Papa (die endbetonten Formen Mama, Papa stammen aus dem Frz.), nhd. Kuchen < mhd. kuoche < ahd. chuohho < urgerm. *kökön (dazu mit a/ö-Ablaut aisl. kaka, ne. cake\ der PI. ne. cakes > nhd. Keks), nhd. Bube < mhd. buobe ,Bube', im PI. auch ,Brüste4 < ahd. Buobo (als Männername gebraucht) < urgerm. *böbön (mit a/ö-Ablaut, dazu ne. babv), Pipi, Luhi, Titti, Tiktak u.v.a. Stilbil¬ dend wurden Reduplikationen nicht-kindersprachlicher Formen wie grübel-grübel u.a. in der Sprache der Mickey-Maus-Hefte. Nicht auf die Kindersprache eingeschränkt, ja ihr sogar fremd, sind viele lautsymbolische und schallnachahmende Bildungen mit Reduplikation, ganz be¬ stimmter Vokal Verteilung und rhythmischer Struktur; einen großen An¬ teil haben daran Scherzbildungen und Interjektionen, die substantiviert erscheinen können: quisi-quasi ,quasi‘, klippklapp, schnick-schnack, schnippschnapp, lirumlarum, bimbambum, klingklang, Singsang, Hickhack, Mischmasch, Wirrwarr, Wischiwaschi, zickzack. Daneben gibt es Reimbildungen wie Kuddelmuddel, hoherdipolter u.v.a. Lautmalend sind reduplizierte Bildungen wie lat. turtur{> nhd. Turteltaube [51]), lat. murmur ,Gemurmel, Brausen, Getöse4, nhd. murmeln < ahd. murmulön (vermutlich nicht aus dem Lat. entlehnt, sondern eine spontane Parallel¬ bildung), gr. ßapßapoq ,wer unverständlich (nur [bar-bar]) spricht oder gar nicht richtig reden kann -> Nicht-Grieche' > lat. barbarus > nhd. Barbar (aber vlt. brabus [< lat. barbarus] > italien. bravol ,trefflich4 [> nhd. bravol im 18. Jh. durch die italien. Oper], frz. brave ,wacker; ordentlich4 (<- ,unbändig, wild, kräftig4) > nhd. brav. Diffiziler ist die Lautsymbolik in mhd. wiwint .Wirbelwind4, urgerm. *ßfaldrön > ahd. 196

fifaldra > mhd. vivalter > nhd. Falter (S. 192), das bezüglich Redupli¬

kation in lat. päpilio Schmetterling; Zelt‘ (> frz., nhd. Pavillon) und sogar in aztekisch papalotl Schmetterling4 Elementarparallelen hat. Solange ein schallnachahmendes oder lautsymbolisches Wort als sol¬ ches verstanden wird, bleibt es i.a. vom Lautwandel verschont. Nimmt es aber doch einmal teil und wird es so sehr verändert, daß seine spontane Motivierung leidet, so wird es durch eine neue, motiviertere Bildung ersetzt. Das verdrängte Morphem kann dann mit veränderter Bedeutung erhalten bleiben: die einzelsprachlichen Na¬ men des Kuckucks (ahd. gauh, ags. geac, urnord. gaukaR) gehen auf urgerm. *gaukaz zurück, das wohl aus älterem *go-uk-, vielleicht *\goPuk], stammt. Der Übergang o > a (1) hat den Wortkörper so verändert und ihn vom Kuckucksruf entfernt, daß die in ahd. guckön ,kuckuck rufen4, mhd. kukuk usw. vorliegenden Neubildungen entstehen „mu߬ ten“. Gleichzeitig hat ahd. gauh > mhd. gouch > nhd. Gauch, seine Bedeutung über ,Narr4 zur heutigen verändert, da sich das Interesse der Sprecher von der als Zeichen der Dummheit geltenden Monotonie des Rufes auf das seltsame Fortpflanzungsverhalten verschob. Die frühnhd. Formen guekgauclt und gutzgauch .Kuckuck4 vermitteln zwischen den schallnachahmenden Neubildungen und der lautgesetzlichen Form. 3 Das Nhd. verfügt über eine reiche Fülle von schallnachah¬ menden und lautsymbolischen Wörtern (vor allem Verben), deren Bildungsprinzip nicht leicht auf einen Nenner gebracht wer¬ den kann. Besonders bevorzugt werden Labiale, kn-, qu-, sch- und zAnlaute; oft kommt „Verschärfung“ des wurzelschließenden Kon¬ sonanten („expressive Gemination“ vgl. [37.1]) vor. Merkwürdig ist ferner die Neigung, runde knollige Gegenstände mit kn-Anlaut zu be¬ zeichnen. Einige Beispiele aus der Fülle des Materials: bammeln, bum¬ meln, bimmeln, platzen, plauschen, plätschern, plaudern, blubbern, plap¬ pern, ballern, poltern, pumpern, bumsen, puffen, fummeln, flattern, flink, flirren, Flitter, flunkern, flüstern, gackern, glucksen, humpeln, hätscheln, holpern, huschen, kichern, klatschen, klimpern, klirren, knabbern, knakken, Knacks, knarren, knirschen, knurren, knistern, knutschen, knaut¬ schen, knattern, knittern, knüllen, knuspern, kollern, krabbeln, kreischen, lallen, lullen, mucken, mucksen, munkeln, murren, pfuschen, pimpelig, plumpsen, prasseln, prusten, quabbeln, quaken, quengeln, quiecken, quiet¬ schen, rascheln, raspeln, räuspern, rempeln, schlabbern, schlampen (zu schlampampen S. 268), schlottern, schlürfen, schmettern, schrill, schum¬ meln, schwab(b)eln, schwappen, stolpern, summen, surren, tätscheln, tor¬ keln, watscheln, wimmeln, wimmern, zirpen, zischen, zischeln, zwitschern

u.v.a. 197

kn-Anlaut bei runden Gegenständen, vor allem Holz und Bein: Knabe, Knappe, Knüppel, Knüttel, Knecht, Knebel (zu all diesen S. 222), ferner: Knäuel, Knauf, Knobel, Knödel, Knobbe, Knopf, Knorpel, Knorren, Knorz, Knospe, Knoten und viele weitere Morpheme mit nur dialektaler Gel¬

tung. 4 Die allermeisten der angeführten Verben begegnen erst im Nhd., wenn auch die Wz. scheinbar oft bis ins Idg. zurückverfolgt werden kann: z.B .flattern findet lautlich seine nächste Entsprechung in mhd. vlatertasche ,Plaudertasche1 (eine lautsymbolische Bedeutung anderer, wenn auch gleichfalls einleuchtender Art). Unter den germ. Sprachen steht schw. fladdra Rattern' gewiß am nächsten. Ne. toßutter ,flattern1 gehört als Iterativbildung zu ne.float schwimmen1 und scheidet aus. Im IEW (800f.) wird ahd. fledarmüs und nhd. flattern zu idg. *pel-edgestellt, was wegen des Dentals lautlich unmöglich ist. Ahd.ßedirön, das ohne Bedeutungsangabe an der gleichen Stelle zitiert ist, kommt in Wirklichkeit (Graff III, 773) nur einmal als Part. Präs. fledironter ,discinctus‘ (losgegürtet) vor. Das im IEW nicht zitierte mhd. vlederen wird (Benecke-Müller-Zarncke III, 338) vom Bayern Suchenwirt mit Bezug auf das Flattern einer Fahne gebraucht. Wenn wir also beachten, daß sich ahd. flediron auf das Fliegen des aufgegürteten Gewandes bezieht, mhd. vlederen auf das Flattern einer Fahne, dann liegt der Gedanke nicht so fern, daß im Namen der Fledermaus das Häutige des Flügels ausschlaggebend ist. Wir werden also vorsichtig erwägen, ob wir nicht besser an „3 b. pel-, peb-, ple- .verdecken, verhüllen; Haut, Fell; Tuch, Kleid1; ...pel-to ,Hülle1“ (IEW 803f.) anschließen sollten, aber auch „3a. pel- .falten1“ kommt in Frage. Keine dieser Wzn. begegnet sonstwo in einer erweiterten Form *plet-/plöt-, wie wir sie brauchen würden. Wir können auch noch an weitere Wzn. denken, die von der Bedeutung her für einen Anschluß in Frage kämen. Nirgends sind die formalen Mög¬ lichkeiten für eine saubere Rekonstruktion gegeben. Und selbst wenn wir einen Anschluß gefunden hätten, so wäre noch immer nicht zwischen mhd. vlederen und nhd .flattern vermittelt. Und so geht es uns wohl bei fast allen diesen Verben. Sie sind schon auf Grund ihrer Bedeutung in den älteren Sprachstufen kaum belegt, und die lautgesetzliche Rückführung endet gewöhnlich bald in einer Sackgasse.

198

XII

Semantik

1 Auf die Wichtigkeit der Semantik als der Lehre von der Bedeutung der Morpheme, Morphemverbindungen, Wortgruppen¬ lexemen und Idiomen für die E. wurde schon oft hingewiesen, und auch auf die Tatsache der Bedeutungsveränderung sind wir schon öfters gestoßen (z.B. S. 27). In der Tat ist die semantische Erklärung einer e. Herleitung ebenso unentbehrlich wie die formale Stimmigkeit. Dabei ist nicht nur das zu etymologisierende Morphem, sondern die ganze Wortsippe (S. 148), der es zugehört, im Auge zu behalten. Der komplexe Charakter des Bedeutungswandels bringt es allerdings mit sich, daß sich kaum spezielle Gesetze des semantischen Wandels auch nur mit annähernd gleicher Schärfe wie im Fall der Lautgesetze ableiten lassen. Immerhin gibt es eine Anzahl von Tendenzen des Bedeutungswandels, die aus einer so großen Zahl von sicher beobachteten Bedeutungsveränderun¬ gen abstrahiert sind, daß man bei der e. Rekonstruktion sich stets die Frage vorlegen muß, ob der angenommene Bedeutungswandel sich einer dieser Tendenzen zuordnen läßt. 2 So wie wir die formale Veränderung der Morpheme durch die Opera¬ toren > und < bezeichneten, so bezeichnen wir die Bedeutungsverän¬ derung durch —>■ ,(Bedeutung) verändert sich zu...‘ und <— ,entsteht durch Veränderung (der Bedeutung) von...‘. Die Bedeutung eines Mor¬ phems heißt Semem. Man hat analog zu den distinktiven Merkmalen, die das Phonem konstituieren, auch distinktive Merkmale des Semems, Seme eingeführt: z.B. /[/ =

+ vorne und so z.B. auch bei ,Pflanze1 = + belebt + hoch —tierisch — gerundet — menschlich

Aber während diese Merkmalsaddition bei der von Haus aus schon begrenzten Zahl der Phoneme möglich ist, weil sich dadurch die Aus¬ wahl der distinktiven Merkmale von selbst ergibt, deren Anzahl gering und überschaubar bleibt, ist bei der „offenen Liste“ denkbarer Sememe eine Auflistung der Seme, die die einzelnen Sememe bestimmen könnten, natürlich unmöglich. Die oben angeführten Seme ( +belebt, —tierisch, — menschlich...) bestimmen ja nicht nur ,Pflanze1, sondern auch ,Gott\ ,Elfe\ ,Bakterie4, ,Pfifferling4, Schlüsselblume4... Eine eindeutige se199

mantische Bestimmung durch Sem-Auflistung würde die Absurdität einer Definition von allem gegenüber allem anderen bedeuten, und wie die Sememe eine „offene Liste“ bilden, so würden auch die Seme jedes einzelnen Semems eine „offene Liste“ ergeben. Nur wenn man sich vom Strukturgedanken leiten läßt und sich mit einer sehr kleinen Gruppe von bedeutungsmäßig ganz nahe verwandten Lexemen, einem „Wortfeld“, begnügt, zu dem natürlich auch die Antonymen (Gegenteil-Begriffe) gehören, ist eine sinnvolle Auflistung von Semen des dem Wortfeld entsprechenden Sinnbezirks (Bedeutungsbereich) möglich. Auf diese Weise läßt sich die Bedeutungsveränderung, die mit mhd. vrouwe > nhd. Frau verbunden ist, auf verhältnismäßig einfache Weise als Verlust des Merkmals (+ Standesperson) darstellen: ,vrouwe‘ =

+ menschlich + weiblich -(-Standesperson

>

,Frau' =

+ menschlich + weiblich —Standesperson

Ähnlich wie in der Phonologie gilt auch hier: die Funktion (= Be¬ deutung) eines Elementes wird nur kraft der Mitgliedschaft dieses Ele¬ mentes in einem System verwandter und doch unterschiedener Elemente konstituiert, so wie das Gelb der Verkehrsampel nur durch das Vorhan¬ densein von Grün und Rot seinen spezifischen Sinn erhält. Die Be¬ deutungsveränderung eines Feldelementes ist nur im Gesamtzusammen¬ hang der Felder vor der Bedeutungsveränderung und nach der Be¬ deutungsveränderung („komparative Statik“) verständlich. Das einem Wortfeld übergeordnete Lexem (Archilexem) ist selbst sehr oft Mitglied des Wortfeldes. Das Wortfeld „kalt - lauwarm - warm heiß“ kann z. B. dem Archilexem „Temperatur“ untergeordnet werden. Das Wortfeld „Temperatur - Helligkeit - Schwere - Lautheit“ ist dem Archilexem „Sinneswahrnehmung“ untergeordnet. De facto ist das Archilexem eine willkürliche Festsetzung, für die man sich meist eines Mitgliedes des Wortfeldes der „Mittellage“ bedient. Man spricht eher vom Wortfeld „warm“ als von den Wortfeldern „heiß“ oder „kalt“ und eher vom Wortfeld „Frau“ als von den Wortfeldern „Weib“ oder „Herrin“.

Behält man den Strukturgedanken im Auge, so zeigt sich, daß auch die übrigen Glieder des Wortfeldes „Frau“ eine semantische Verschiebung durchgemacht haben. So erhielt etwa mhd. wip, das ,Frau' bedeutete, im Nhd. eine negative oder erhaben pathetische Note, verließ jedenfalls die neutrale Mittellage, in die nhd. ,Frau' nachrückte, während die ,Frau' als Standesperson lange Zeit durch das neueingeführte (2. Hälfte 17. Jh.) ,Dame‘, dann aber auch durch ,Herrin\ ,Gnädige' usw., jedenfalls durch Entlehnungen und Neubildungen, bezeichnet wurde. 200

Nur in einzelnen Relikten sind die mittelalterlichen Verhältnisse noch sichtbar: z. B. der Pflanzenname Frauenmantel (Alchemilla vulgaris) enthält noch, entspre¬ chend dem älteren Sprachgebrauch, ,Frau im auszeichnenden Sinn' für Maria („Unsere hebe Frau“).

Heute ist das Wort Dame so allgemein im Gebrauch, daß man keines¬ wegs behaupten kann, es bezeichne eine Standesperson. Und dennoch hat es einen auszeichnenden Neben-Sinn: wir sprechen von Damenbe¬ kleidung, nicht von /raaaabekleidung und - besonders interessant, weil einem stark affektbezogenen Bereich angehörig - von der Damenbinde. Wo hingegen das Geschlechtsspezifische hervorgehoben wird, steht ge¬ wöhnlich Frau (Frauenarzt, Frauen feind...). 3 Die sog. Bedeutung eines Wortes ist also mehrschichtig. Wir können öfters bei Bedeutungsverschiebungen beobachten, daß sie zu¬ nächst nicht schon in der definierbaren „Bedeutung“, die man De¬ notat nennt, in Erscheinung treten, sondern sich zuerst in einem oft schwer bestimmbaren emotionalen Moment äußern. Manche Autoren unterscheiden zwischen Haupt-Bedeutung (Denotat), Nebenbedeutung oder Nebensinn und dem emotionalen Moment (Gefühlswert). Da Ne¬ benbedeutung und Gefühlswert in der Praxis erfahrungsgemäß schwer zu scheiden sind, fasse ich hier beide als Konnotat zusammen und stelle sie dem Denotat gegenüber. Dieses konnotative Moment, man spricht auch von positivem (hohem) oder negativem (niederem) Wortethos, kann so sehr hervortreten, daß das eigentliche Denotat völlig zurückgedrängt wird: ich lese in der Zeitung, jemand friste ein Stiefmütterchendasein, und nehme zunächst an dieser Wendung keinen Anstoß. Der Sinn dieser Aussage ist meinem Verständnis nach der, daß es dem armen Kerl eben schlecht gegangen ist. Erst durch den Brief eines „Sprachpolizisten“ werde ich daraufhingewiesen, daß Stiefmütterchendasein in diesem Zusammen¬ hang unsinnig sei. Es müsse vielmehr Stiefkinddasein heißen, was natürlich logisch richtig ist. Offenbar ist das Konnotat in Stiefmütterchen so stark - wohl unter Einfluß von Wendungen wie stiefmütterlich behandeln usw. - in Richtung ,armselig‘ festgelegt, daß es zur Bildung eines „Ersatzdenotats“ armseliges Dasein' kam. Dabei wirkt noch mit, daß ich weiß, daß das Stiefmütterchen (Viola tricolor) eine Veilchenart ist und daß das Veilchen nicht nur in meinem Idiolekt als notorisch „bescheidenes Blümchen“ gilt. Stiefmütterchen hat heute wohl meist ein positives Wortethos, darauf deutet schon die Deminutiv¬ form. Die Blume ist deshalb liebenswert, weil sie keine Anforderungen an Boden und Klima stellt, vielmehr das ganze Jahr über vom zeitigen Frühjahr bis in den Spätherbst blüht. Diese positive Konnotation bestand aber nicht immer: der Blumenname ist wohl Lehnübersetzung des italien. viola con viso di matrigna ,Veilchen mit dem Stiefmuttergesicht' und heißt auch dial. Fratzengesicht. Die Bezeichnung nach der Stiefmutter für die damals allerdings viel unscheinbarere 201

Blüte muß ziemlich alt sein (im Dt. seit etwa 1600 belegt), denn sie hat sich über fast alle germ. und slaw. Sprachen ausgebreitet. Sie deutet aber im Hinblick auf die Benennung nach der Stiefmutter (vgl. die Volksmärchen) auf ursprünglich negative Konnotation. Weitere Beispiele für die Verdrängung des Denotats durch das Konnotat finden wir in Fülle unter den ideologisch-politischen Schlagworten und in der Werbesprache.

Es ist eine gängige Auffassung, daß der Bedeutungswandel beim konnotativen Gehalt einsetzt und erst nach und nach zu einer Veränderung des Denotats führt. Das ist bei Beispielen wie Stiefmütterchendasein leichter vorstellbar als etwa im Falle von Hahn —> (Wasser-)Hahn und mhd. gerwen ,gar machen, zubereiten4 -> nhd. gerben. 4 Der naheliegendste Grund für Bedeutungswandel ist natürlich der, daß sich die bezeichneten Dinge selbst ändern, etwa durch technische Verbesserung, oder gar abkommen, wodurch die Lexeme für neue Sememe frei werden. Man nennt diese Fälle Nomina ante res. Ein Beispiel ist -feder in der im wörtlichen Sinn genommen un¬ sinnigen Zusammensetzung Füllfeder. Erst als das Schreiben mit Vogel¬ federn nicht mehr allgemein üblich war, wurde solch eine Bildung mög¬ lich. Nhd. Kohle (< mhd. kol < ahd. kolo < urgerm. *kolan) hat ursprünglich nur die Holzkohle bedeutet. Erst als man am Ende des MA die fossile Kohle zu verwenden begann und diese die Holzkohle immer mehr verdrängte, mußte das verdeutlichende Kompositum Holzkohle gebildet werden. Nhd. Plombe bezeichnete ursprünglich wie auch heute noch im Zoll- und Handelswesen ,Bleiplombe4 (< lat. plumbum ,Blei4). Als mit der Verfeinerung der Zahnkonservierung Goldplomben angefer¬ tigt wurden, verwendete man den alten Terminus auch für die Bildung Goldplombe, ohne daß das Oxymoron (= unsinnige Bildung wie hölzer¬ nes Eisen...) Anstoß erregt hätte. 5 Ganz allgemein ist zu bedenken, daß die Gegebenheiten der „Wirk¬ lichkeit44 und die damit verbundenen Vorstellungen zu komplex sind, als daß sie durch die Sprache ganzheitlich erfaßt werden könnten. Ein geläufiges Bild vergleicht die Sprache mit einem weitmaschigen Netz, das über einen vieleckigen Gegenstand geworfen wird, dessen Ecken und Spitzen immer wieder durch die Maschen des Netzes hervorstehen. Die Sprache begnügt sich also damit, ein subjektiv als dominierend empfundenes Merkmal herausund zum Symbol des Ganzen zu erheben.

Im Falle von gerben müßte man sich die Bedeutungsentwicklung etwa so vorstellen: Die Fertigungsprozesse (das Gar-Machen) bei verschiede¬ nen Tätigkeiten und Handwerken haben so verschiedene Formen - und neue Technologien tragen ständig dazu bei , daß das Gemeinsame all 202

dieser Vorgänge allmählich nicht mehr als ausreichend empfunden wird, um diese Verfahren mit einem Morphem zu bezeichnen. Aus einem bestimmten kulturgeschichtlichen Grund, der hier nicht zu erörtern ist, bleibt das Wort als Terminus der Lederzubereitung in seiner alten Bedeutung erhalten. In anderen Tätigkeitsbereichen stirbt es aus bzw. wird durch andere Lexeme wie zubereiten, garkochen, rüsten, ausrüsten, kleiden, schmücken, beizen, Getreide enthülsen (d.h. dreschen), Geräte mit Stahl belegen und schweißen, polieren, glätten, durchkneten... ersetzt. Und gar erst etwas so Komplexes wie die Sprache selbst wird nicht ganzheitlich erfaßt, sondern z.B. nur die am Sprechakt beteiligte Zunge: lat. lingua, gr. ykcoxxa ,Zunge; Sprache1. Bekanntlich unterscheidet das Frz. mit langue, langage, parole ganz verschiedene Aspekte der Sprache. Nicht sicher erklärt ist die Wortsippe dt. sprechen. Möglicherweise gehört sie zu einer Schallwurzel, die in aisl., schw. spraka ,knistern, prasseln1 vorliegt. Jedenfalls wurde auch hier Sprache von der motori¬ schen Tätigkeit des Sprechens abgeleitet. Das ist nicht so selbstverständ¬ lich, denn man könnte ,Sprache1 ja auch als ,Verstehen‘, ,sprechen1 als ,zu verstehen geben, verstehen machen1 auffassen. 6 Sehen wir nun von den Ursachen des Bedeutungswandels, deren es noch eine ganze Reihe gibt, und den Veränderungen der Konnotation ab und fassen wir den denotativen Wandel ins Auge, so können wir bestimmte Veränderungstendenzen bzw. -typen unterscheiden. Diese werden im folgenden durch Beispiele von Einzelwortschicksalen veran¬ schaulicht, die aber keineswegs für „Wortgeschichte“ genommen werden dürfen. Erstens, weil sie außerordentlich knapp dargestellt sind, zweitens, weil jeweils nur die Seite, die veranschaulicht werden soll, in den Vordergrund gerückt wird und etwa gegenläufige Bewegungen unerwähnt bleiben, drittens, weil eine Wort¬ geschichte nicht atomistisch vorgehen kann, sondern die semantischen Verän¬ derungen stets innerhalb eines Wortfeldes (einschließlich der Antonymen) dar¬ zustellen hat. Hier kommt es nur auf Beispiele für die verschiedenen Typen des Bedeutungswandels an, die den Erfahrungshorizont des Etymologen so weiten sollen, daß er möglicherweise analoge Erscheinungen in seinem Arbeitsbereich unter schon beobachtete Typen des Bedeutungswandels subsumieren kann.

7 Zunächst lassen sich die Sememveränderungen nach logischen (eig. quantifizierenden) und axiologischen (qualifizierenden, wer¬ tenden) Gesichtspunkten ordnen. 7.1 Vom logisch-quantitativen Standpunkt aus kann sich der Be¬ deutungsumfang eines Lexems erweitern (Bedeutungserweiterung), verengen (Bedeutungsverengung) oder gleichbleiben: z.B. mhd. vrouwe ,Frau als Standesperson1 > nhd. Frau, mhd. ser(e) ,wund‘ > 203

nhd. sehr (vgl. den Übergang spezieller Bedeutungen über die Verwen¬ dung als „Kraftausdruck“ zu elativer [steigernder] Bedeutung in nhd. irrsinnig, wahnsinnig, furchtbar, frz. vachement ,kuhmäßig'...), mhd. sache und mhd. dinc (beides ursprünglich Rechtstermini ,Casus, Causa' und Rechtshandlung, Gericht', deren Bedeutung schon im Mhd. „ver¬ blaßte“, d.h. erweitert wurde) sind Beispiele für Bedeutungserweiterung. Dagegen sind Beispiele für Bedeutungsverengung etwa: mhd. gerwen ,fertig machen, gar machen' > nhd. gerben, mhd. hochzit ,Fest‘ > nhd. Hochzeit, mhd. lip Reben, Leib, Person' > nhd. Leib, mhd. gift ,Gabe' > nhd. Gift (in Mitgift ist die alte Bedeutung erhalten!), mhd. gast ,Fremder' (S. 27) > nhd. Gast, mhd. muot ,geistige Regung' > nhd. Mut u.v.a. Gelegentlich läßt sich Bedeutungsverengung konkret beob¬ achten: seit dem Dritten Reich kann man nicht mehr jedes Staatsober¬ haupt als Führer bezeichnen. - Ein wirkliches Gleichbleiben des Be¬ deutungsumfanges wird sich verhältnismäßig selten an Appellativen und Verben beobachten lassen. 7.2 Vom axiologisch-qualitativen Standpunkt aus kann sich die Be¬ deutung ethisch und/oder ästhetisch verbessern (Bedeutungs¬ verbesserung), verschlechtern (Bedeutungsverschlechterung, Pejorisierung) oder gleich bleiben. Bedeutungsverbesserung, die im ganzen seltener zu sein scheint als ihr Gegenteil, liegt vor in mhd. marschalc, ursprünglich ,Pferdeknecht' > nhd. Marschall, nhd. Dame (laut Stieler 1691 in anrüchiger Bedeutung) > nhd. Dame (18., 19. Jh.; heute noch in: Dame des Hauses...), nhd. Mord und Kerl haben in Mordskerl ihre Bedeutung stark verbessert. Bedeutungsverschlech¬ terung begegnet in: mhd. dierne ,Dienerin, Magd. Mädchen' > nhd. Dirne (im Sinn von ,Hure'), idg. *kärä ,Geliebte' > urgerm. *hörö ,Ehebrecherin' > ahd. huora > nhd. Hure, mhd. (afrz.) amie ,höfische Geliebte' -> ,Hure', mhd. kneht .Knabe, Jüngling, Junggeselle' (: ne. knight .Ritter') > nhd. Knecht, mhd. karl, kerl (auch der Name Karl\) ,Mann, Ehemann, Geliebter' > nhd. Kerl, mhd. wän .Vermutung, Er¬ wartung, Hoffnung' —> ,unbegründete Hoffnung' > nhd. Wahn. Nicht immer läßt sich über die axiologisch-qualitative Wertigkeit eine Aussage machen: Bei mhd. veic-heit .Unheil' > nhd. Feigheit ist vielleicht der Bedeutungsumfang quantitativ gleichgeblieben; ob sich die Bedeutung verschlechtert hat, darüber ließe sich streiten. Das Adj. mhd. veige jedenfalls hatte eine Fülle von Bedeutun¬ gen, wie .todgeweiht, verwünscht, verdammt, unselig, todbringend; biegsam, schlank', die alle untergegangen sind. Lediglich die auch schon im Mhd. ge¬ legentlich vorkommende Bedeutung .feige' ist erhalten: also eindeutig Be¬ deutungsverengung; ob Pejorisierung, ist unklar. 204

Natürlich treten wie im letzten Beispiel logisch-quantitative und axiologisch-qualitative Sememveränderungen oft gemeinsam auf: Mhd. Wirtschaft,Tätigkeit des Hausherren, des Wirtes, Bewirtung und was dazu gehört, Gastmahi, Schmaus, Fest, Festesfreude, Eucharistie und deren Einset¬ zung1 hat gegenüber nhd. Wirtschaft einen größeren Bedeutungsumfang. Nhd. hat sich einerseits eine generellere Bedeutung im ökonomischen Sinn entwickelt, andererseits, ausgehend von der mhd. okkasionellen Bedeutung ,Gastwirtschaft, Wirtshaus1, auch die sehr pejorative Bedeutung ,Schweinerei1 („Was ist das für eine Wirtschaft/“ eig. „ Was ist das für ein schlechtes Wirtshaus!“). Also einerseits Bedeutungsverengung, dann, wohl ausgehend von bestimmten Redensarten, eine Bedeutungserweiterung in einem bestimmten Bereich mit gleichzeitiger Pejorisierung. Wir sehen, daß wir mit den beiden bisher genannten Kriterien nicht immer auskommen werden: etwa die Zunahme von Abstraktheit bei nhd. Wirtschaft läßt sich mit ihnen nicht fassen.

Wir brauchen weitere Typen des Bedeutungswandels, und deren gibt es in meist dichotomischer Form eine ganze Reihe; es ist bisher jedoch noch nicht gelungen, diese in ein logisches und einheitliches System zu brin¬ gen, so daß wir uns mit Oppositionen zufriedengeben müssen, die Aspekte des Bedeutungswandels betreffen.

8 Konkret : Abstrakt: Wir haben in der nominalen Wortbil¬ dungslehre diese Begriffe letztlich nach dem Vorbild der antiken Gram¬ matiker naiv und unreflektiert verwendet. Dabei hat sich gezeigt, daß sich die Verwendungsweise gewisser Suffixe mit diesen unreflektierten Begriffen weitgehend deckt. Wir wollen diesen naiven Sprachgebrauch hier aus praktischen Gründen beibehalten, obwohl sich bald zeigen wird, daß die Frage der Abstraktheit in der historischen Semantik größere Probleme aufwirft. Abstraktion beruht auf dem Vergleichen ähnlicher Sachen. Bei mhd. Wirtschaft, das eine Fülle von Verwendungs¬ möglichkeiten hatte, in denen der Aufwand und die Fröhlichkeit im Vordergrund standen (,Schmaus, Gasterei...1), ergab sich schon im Mhd. als tertium comparationis all dieser Anlässe die generalisierende, „abstraktere“ Bedeutung ,Fest‘. Im Nhd. dagegen erwuchs aus anderen zur Wirtschaft gehörigen Verhaltensweisen als tertium comparationis die auf Wirtschaftlichkeit bedachte vernünftige Sparsamkeit des Hausvaters (mhd. wirtes) und der Regierung und damit die heutige „abstrakte“ Bedeutung von Wirtschaft, natürlich im Zusammenhang mit spätmit¬ telalterlichen Haushaltslehren und in Anlehnung an den letztlich antiken Ökonomiebegriff. Aber wie „abstrakt“ ist Wirtschaft in einem Satz wie „Die Wirtschaft des Landes ist ruiniert“? 205

Die Abstraktion muß keineswegs immer zu einem semantischen oder auch wortbildungsmäßigen Abstraktum führen: gegenüber ,der Apfel¬ baum links hinter unserm Haus mit den großen Äpfeln1 beruht .Apfel¬ baum' und dem gegenüber wieder das Semem .Baum' sicher auf einem Abstraktionsvorgang, obwohl wenige nur bereit wären, .Baum' als Ab¬ straktum anzuerkennen. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller, von einem „generalisierenden“ Bedeutungswandel zu sprechen, aber der Be¬ griff „abstrakt“ hat sich nun einmal festgesetzt. Solch generalisierende Bedeutungsveränderungen beob¬ achten wir nicht selten im Alltag bei Firmen- und Markenbe¬ zeichnungen. Man ist geneigt, eine bestimmte Suppenwürze auch dann Maggi zu nennen, wenn sie nicht von der Firma Maggi stammt, und das Liebstöckel (Ligusticum levisticum) wird von vielen Gärtnereien als Maggikraut verkauft, was sich übrigens die Firma Maggi ausdrück¬ lich verbeten hat. 9 Generalisierend ist die Sememveränderung, die zu frz. arriver .an¬ kommen1 (< vlt. *arripäre ,ans Ufer kommen') führte, dagegen setzt nhd. landen in der konkreten Bedeutung Schiffahrt oder Flug voraus. Einen Extremfall an Generalisierung kann man bei nhd. kaputt (S. 258) beobachten. Ein klassisches Beispiel ist ferner idg. *dereu-/dreu/dru-. Es bedeutete vielleicht ursprünglich ,Eiche' (gr. öput;, kymr. derwen ,Eiche' usw.), dann auch ,Föhre' (aisl. tyrr), dann das allgemeine Semem .Baum' (ne. tree), das aber auch den Weinstock bezeichnen konnte (got. weinatriu), also eigentlich jedes verholzte Gewächs, wofür wir heute im Nhd. kein einfaches Lexem besitzen. Wir beobachten hier, daß die als konstant vorausgesetzte „außersprachliche Wirklichkeit“ nicht in allen Sprachen und Sprachstufen in gleicher Weise durch Bedeutungsträger segmentiert wird, was bei der e. Rekonstruktion stets im Auge zu behalten ist. Man rechnet damit, daß die Bedeutungsveränderung eher vom Konkreten zum Generellen geht als umgekehrt und führt als Beispiel etwa das Lappische an, in dem es eine Vielzahl von Wörtern für .Rentier' gibt, je nach Alter, Geschlecht, Farbe des Fells, Form der Geweihe, jedoch kein Lexem für .Rentier schlechthin'. Auch gibt es australische Sprachen, die kein Lexem für ,Arm' besitzen, sondern nur für .rechter Arm' und .linker Arm'. Auf Grund dieser und ähnlicher Belege kann man wahrscheinlich mit einer gewissen Berech¬ tigung sagen, daß i.a. die konkretere, speziellere Bedeutung älter sein dürfte als die allgemeinere (doch S. 211 f.). Dieses Prinzip müßte für die e. Rekonstruktion von entscheidender Bedeutung sein.

10 Wenn wir uns die den idg. Wurzeln beigegebenen erschlossenen Sememe im IEW ansehen, so werden wir erkennen, daß es sich dabei sehr oft um nichts anderes als das tertium comparationis der späteren 206

einzelsprachlichen Bedeutungen handelt, das oft gezwungen genug aus¬ sieht; ja wenn die einzelsprachlichen Sememe zu weit auseinandergehen, finden sich sogar (notgedrungen) mehrere tertia comparationis. Nun ist dies nicht unbedingt ein Einwand gegen die erschlossenen Sememe, denn wie wir schon gesehen haben, gliedern nicht alle Sprachen die „außer¬ sprachliche Wirklichkeit“ in gleicher Weise wie das Dt. (oder andere moderne europäische Sprachen). Wir könnten auf idg. Bedeutungen stoßen, für die wir keinen einfachen dt. (oder ne., frz....) Bedeutungs¬ träger als Äquivalent finden werden. Aber dennoch nimmt der Etymolo¬ ge mit Einbehagen zur Kenntnis, daß die Verfahrensweise bei der Rekonstruktion der Ur-Bedeutung, indem sie von den Ein¬ zelbedeutungen abstrahiert, dem Gang der sprachgeschichtlichen Ent¬ wicklung vom Konkreteren zum Generelleren genau zuwi¬ derläuft. 10.1 Exkurs zur Sememrekonstruktion und zur „Grundbedeutung“ der „Wurzel“ im IEW.: Im IEW finden sich über 20 Wzn. der Bedeutung ,glänzend, leuch¬ tend, heiß, z.B.: *aisk-, *albh-, *arg’-, *aues-, *aug-, *bhä-, *bheig^-l, *bhel-, *bher-, *dei-, *dhel-, *dheu-, *el-... Für solch sprachlichen Luxus gibt es sonst keine Parallelen. Es wird daher heute angenommen, daß diese Wzn. ganz verschiedene Arten von Helligkeit und Glanz bezeichneten, daß also etwa *dei- mit Bezug auf das Tageslicht gebraucht wurde, *ghel- für gelbe Farben, andere Wzn. wurden vielleicht nur für die Farbe bestimmter Tiere, Pflanzen oder Steine verwendet, was zuge¬ gebenermaßen oft schwer oder gar unmöglich festzustellen sein wird. Ähnliches gilt für die vielen Wzn. mit den Sememen ,scharf,,brennend4, ,spitz4, ,anschwellen4 usw. Auch bei Morphemen mit scheinbar allge¬ meinerer Bedeutung wie ,fahren4, ,gehen4 usw. ist anzunehmen, daß sie ursprünglich in ihrer Verwendung bestimmten Restriktionen unterstan¬ den, wie ja auch heute noch fahren in nicht-metaphorischer Verwendung ein Fahrzeug, gehen den Fuß voraussetzt. Man hat diese im Wort liegen¬ de, über die engere Bedeutung hinausweisende Mit-Bedeutung mit dem etwas pompösen Terminus „wesenhafte Bedeutungsbeziehung“ (Kollokation) bezeichnet. Sie ist selbst in einem Fall wie dt. machen greifbar, das ursprünglich auf Lehmarbeit bezogen war (zu gr. payfivai ,kneten4). Auf die im IEW so augenfällige Schwäche der tertium coniparationis-Bedeuiungen wird in Fachkreisen oft hingewiesen. Aber gerade diese Schwäche sollte Anreiz zu konkretisierender Forschung bieten. Wichtig ist, daß dies nicht ohne eine gute Kenntnis auch der „Sachen“, d.h. der „außersprachlichen Wirklich¬ keit“ seitens des Lesers möglich ist. Auf die Methode der „Wörter und Sachen“ komme ich noch zurück (S. 281 ff.). 207

Betrachten wir die „berüchtigte“ Wz. *bhel-, *bheb-, die mit den ver¬ schiedensten Ablautvarianten und Wz.-Determinativen auftritt, so fin¬ den wir im IEW (118 ff.) folgende erschlossenen Sememe: (1) *bhel- ,glänzend, weiß1, auch von weißlichen Tieren, Pflanzen und Dingen, wie Schuppen, Haut usw. (2) *bhel- in Bezeichnungen des Bilsenkrautes, wohl mit (1) *bhelidentisch. (3) *bhel- ,aufblasen, aufschwellen, sprudeln, strotzen4. (4) *bhel- ,Blatt, Blüte, blühen; üppig sprießen4, wohl aus (3) *bhel,schwellen4 im Sinne von pflanzlicher Üppigkeit4 und ,Schwellung = Knospe4. (5) *bhel- meist mit -g’-(-k’-)Suffix ,Bohle, Balken4. (6) *bhel- ,schallen, reden, brüllen, bellen4; Schallwurzel. Das ist nun nicht so zu verstehen, als ob es im Idg. 6 Homonyme *bhelgegeben hätte. Es handelt sich lediglich um den Versuch der Indoger¬ manisten A. Walde und J. Pokorny, innerhalb der Fülle von Hunderten einzelsprachlicher Belege zu semantischen Gruppen zu gelangen. Die angegebenen Sememe sind dabei als tertia comparationis aller Einzelbe¬ deutungen innerhalb einer Gruppe herausgehoben worden, ganz ent¬ sprechend dem Verfahren, das zur formalen Abstraktion der Wz. führt (S. 127). Wenn wir sagen, daß z. B. Bläßhuhn (Fulica atra) konkreter ist als .grauer Wasservogel mit weißer Stirn4 und dies wieder konkreter als .etwas Weißgefleck¬ tes4, so könnten wir die Vorgangsweise des Etymologen im Bild etwa mit der arithmetischen Suche nach dem „größten gemeinsamen Teiler" vergleichen. So wie dieser von 91 (13x7), 35 (5x7) und 28 (4x7) die Zahl 7 ist, so ist .Bilsenkraut4 (2. *bhel-), das „konkreteste44 heraushebbare Semem, gleichsam der größte gemeinsame Teiler der Belege. In anderen Zahlen (z.B. 6, 10, 22, 34...) ist der größte gemeinsame Teiler, der herausgehoben werden kann, eben nur die Zahl 2. Das entspricht, um im Bild zu bleiben, der wenig konkreten Bedeutung .etwas Graues4, einem Sememtypus, dem wir nur zu oft begegnen.

Da das Kelt., Germ, und Slaw. in der /?-Ableitung von *bhel- (wenn auch mit verschiedenen Ablautvarianten) in der Bedeutung .Bilsenkraut4 übereinstimmen, hat diese Bedeutung gute Chancen, jedenfalls für einen Teil der idg. Sprachen alt zu sein. Wir würden uns gerne damit be¬ gnügen, aber da ja *bheleno- leicht in *bhel-e-no- segmentiert werden kann, *bhel- in vielen einzelsprachlichen Wörtern mit dem semantischen Gehalt des Weißen weiterlebt und die dichte weißlichgraue Behaarung für das Bilsenkraut höchst charakteristisch ist, so sind wir doch auf die Wz. *bhel- .glänzend, weiß4 verwiesen. Wenn wir beobachteten, daß sich das Bilsenkraut-Wort nur im Kelt., Germ, und Slaw. vorfand, so kann 208

man bei *bhel- feststellen, daß es in dieser allgemeinsten Bedeutung in allen idg. Sprachen in den verschiedensten Ablautvarianten, Erweiterun¬ gen und Ableitungen vorkommt. Ganz allgemein läßt sich für die weit¬ aus meisten E. sagen: je charakteristischer und spezifizierter im Hinblick auf seine formale Struktur eine Wz. ist, desto konkreter, „informationshältiger“ ist ihre Bedeutung und desto weniger weit ihre Verbreitung. Je allgemeiner, kürzer, weniger charakteristisch und spezifiziert eine Wur¬ zel ist, desto „blasser“, „informationsärmer“, genereller ist ihre Be¬ deutung und desto weiter ihre Verbreitung. All jene ganz blassen tertia-comparationis-Bedeutungen, die wir im IEW so oft vorfinden, sind nur Eingeständnisse, daß hier keine größeren gemeinsamen Teiler gefunden wurden oder vorhanden sind. Man darf mit den abstrakten Bedeutungen ebensowenig rechnen wie damit, daß das Idg. aus „abstrakten“ Wzn. bestand. Warum begnügt man sich nun nicht damit, die formal und semantisch konkreteren, informationsreicheren Wurzeln oder gar Morpheme zusammenzustellen? Weil dann die Auflistung möglichst aller einzelsprachlichen Belege, die ja das Ziel bleiben muß, entweder überhaupt nicht möglich wäre (wenn etwa eine charakteristische Bildung in einer Einzelsprache isoliert dasteht) oder zu einer noch unübersichtlicheren Sammlung von kleinen und kleinsten Gruppen führen würde, die dann sogar zu Fehlbeurteilungen über die Verwandt¬ schaftsbeziehungen einzelner idg. Sprachen führen könnte.

10.2 Wir müssen auch bedenken, daß uns die Rekonstruktion des Idg. doch kaum einen Einblick in die zeitliche und räumliche Erstreckung des Idg. vermittelt: Nehmen wir an, *bhel- hätte in einer bestimmten „Ur¬ heimat der Indogermanen“ einmal eine bestimmte, weißbehaarte Pflan¬ ze bezeichnet. In einem Teil des „Volkes“, das nach der Abwanderung in Gebiete, in denen diese Pflanze nicht vorkam, nun auch andere mehr oder minder ähnliche Pflanzen mit *bhel- bezeichnete, wurde dann nach und nach *bhel- zur Bezeichnung auch hellblühender Pflanzen i.a. ver¬ wendet, so wie wir ein Pferd bestimmter Farbe nach dem Fuchs benen¬ nen, und dann überhaupt abgeleitet oder unabgeleitet, abgelautet oder unabgelautet als Farbadjektiv verwendet, so wie wir orange verwenden. Eine andere Gruppe hat *bhel- als Heilpflanze in Verwendung, ja sie nennt sogar den Gott der Heilkunst nach ihr. Man beobachtet vielleicht auch, daß *bhel- Schwellungen heilt oder hervorruft und benennt ähn¬ lich wirkende Pflanzen als ,Schwellpflanzen‘, die nun nicht mehr weißbe¬ haart zu sein brauchen. Man differenziert auch hier vielleicht mittels Ablaut und Ableitung. Man beobachtete, daß die eine oder andere dieser Pflanzen auch fiebersenkend wirkt. Der noch immer die Wurzel *bhelenthaltende, aber vielleicht mit einem Pflanzennamensuffix weitergebil¬ dete Name kann nun auch als ,Fieberkraut4 verstanden werden. Dazu trägt vielleicht der Anklang an ein Wort anderer Herkunft, das von 209

Anfang an .glühen1 bedeutete, bei. Die beiden auseinandergewanderten Gruppen kommen nach Jahrhunderten wieder zusammen, tauschen Kulturgüter und Lehnwörter aus... Wir können ein solches Gedan¬ kenexperiment beliebig fortführen. 10.3 Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß alles, was über Jahrhunder¬ te und Jahrtausende bei Seßhaftigkeit und Wanderungen zwischen Turkestan und Irland, zwischen dem Polarkreis und Indien, bei komplizier¬ ten Kulturkontakten mit verwandten und nichtverwandten Völkern, bei Wechsel von Religion und Gesellschaftsform, bei sich ändernden sozioökonomischen Bedingungen an Wörtern entstand, soweit es nicht wieder verlorenging, im IEW auf eine einzige zeitliche Ebene projiziert erscheint, so werden wir uns wundern müssen, daß noch immer soviel Übereinstimmendes vorhanden ist, und wir werden das IEW als das einschätzen, was es ist: eine Fundgrube idg. Sprachmaterials, das seine Sammler zur besseren Übersicht nach besten Kräften, aber doch nur notdürftig, in semantische Gruppen ordneten. Man stelle sich ein riesiges Puzzle-Spiel vor, dessen Steine durcheinandergeraten sind, dessen Bildvorlage verloren ist oder nur ganz dunkel erinnert wird und das nun, bevor es wieder zusammengesetzt werden kann, in Kästchen vorgeordnet werden soll. Bei manchen Steinen erkennen wir, daß sie zusammengesetzt ein Motiv ergeben, andere Steinchen können wir nur nach ihrer Farbe und ihrer Form zunächst in Kästchen sortieren, wieder andere könnten möglicherweise ein Motiv ergeben, aber es fehlen überall Verbindungselemente. Ob diese nun im Laufe der Zeit, in der das Spiel im Gebrauch war, verlorengingen oder ob wir sie noch nicht gefunden oder verkannt und sie anderswo falsch eingeordnet haben, das können wir vielleicht erst feststellen, wenn wir alle die Tausende Steine durchgeprüft haben, wobei alles im Fluß ist, denn unsere Mitspieler reden durcheinander und jeder äußert seine Vermutungen über das herzustellende Bild.

10.4 Daraus folgt für unsere praktische Arbeit, daß wir uns nie mit einer als Lemma angegebenen Wz. zufrieden geben dürfen, selbst wenn sich die von uns erschlossene Bedeutung scheinbar unschwer mit der im IEW angegebenen tertium comparationis-Bedeutung verbinden läßt. Wenn wir z.B. nhd. bald (vgl. S. 166), den Götternamen Baldr, got. balpei,Kühnheit1 usw. zusammenstellen und zu etymologisieren suchen, so darf es uns nicht genügen, daß diese Morpheme im IEW unter „(3) *bhel- ,aufblasen, aufschwellen../“ mit der Bedeutungsentwicklung „,geschwollen = hochfahrend, kühn1“ eingereiht sind. Wir müssen auch „(6) *bhel- ,schallen, reden...1“ mit aisl. bulda ,drohen, dröhnen1, norw. dial. baldra ,lärmen1, nl. balderen, mhd. buldern .poltern1 in Er¬ wägung ziehen und etwa an die so häufig belegten Kampfreden als 210

Imponiergestus der Helden der alten Epik denken. Ob diese Verbindung tragfähig ist, hängt von formalen Gegebenheiten der Wortbildung ab; wir stellen hier nur fest, daß seitens der Semantik diese E. mindestens ebenso einleuchtend wäre wie die e. Erklärung im IEW. hinter „(1) *bhel-,glänzend, weiß1“ finden sich immer wieder balt. und slaw. Lexeme, die ,Sumpf, Moor, Pfuhl, See‘ bedeuten. Sollten diese Landschaftsformen nach ihrem Glanz oder ihrer Weiße benannt sein? Wir sprechen von einem Wasserspiegel, gibt es aber den Fall, daß ein Gewässer schlechthin ,Glanz‘ oder ,Spieget heißt? Das ist keine semanti¬ sche, sondern eine onomasiologische Frage (S. 273ff.). Hat das Moor seinen Namen nach dem hellen Sphagnum-Moos? Oder sollte man eher die „Schwellwurzel“ „(3) *bhel-,...aufschwellen1“ bemühen und an aisl. bali ,Erhöhung entlang dem Uferrande; kleine Erhöhung auf ebenem Boden" anschließend an die Moospolster des Moors denken? Wie sehen und sahen die Moore im baltischen und slawischen Siedlungsgebiet aus?

11

Es wurde gesagt, daß die Bedeutungsentwicklung sich häufig oder meist vom Konkreten zum Allgemeineren, Abstrakteren vollzieht und nicht umgekehrt, obwohl die rekonstruierten Sememe vielfach diesen Eindruck erwecken. Es gibt auch Beispiele für den gegenteiligen Vor¬ gang: Die zünftigen Bremenser Zimmerleute trugen, um sich von den nicht im Ausland gewesenen „Vogtländern“ zu unterscheiden, ein rotes oder blaues Halstuch, das Ehrbarkeit hieß. Wir sprechen von einer Schreibkraft und meinen damit eine Person (ähnlich das Kollektivum Streitkräfte). Treue hieß im älteren Nhd. dial. der Verlobungsring, aber auch im 16. Jh. eine aus kostbarem Material gestickte Borte. Schon ahd. gimaht, mäht bezeichnen das männliche, später auch das weibliche Ge¬ nitale, hier liegt verhüllende, vielleicht durch lat. potentia angeregte Bedeutungsentwicklung vor. In einem Fall wie Mahd läßt sich die Be¬ deutungsübertragung von ,Mähen" auf,Gemähtes" -> ,Heu" (vgl. auch Grummet ,Grünmahd") Schritt für Schritt verfolgen: ,das Mähen" -> ,Mähpensum für einen Mann" -»• ,Gemähte Reihe oder Zeile" -► .Ge¬ mähtes schlechthin, Heu". Mitgewirkt hat, wie Rechtsformeln zeigen, das reimende Saat. Während Geburt, das schon im ahd. (gaburt, giburt) auch konkret das Neugeborene und den Embryo bezeichnete, heute i.a. diese Bedeutung wieder eingebüßt hat, behielt das später nach lat. secundina gebildete (innere Entlehnung; S. 237f.) Nachgeburt .Mutter¬ kuchen" seine konkrete Bedeutung. Der Konkretisierung verwandt ist die singulative Bedeutung von Kollektiven wie Gehäuse, Gebäude, Getreide (< mhd. getreide < getregede [49] ,das was getragen wird: Bodenertrag, Nahrung, Kleidung, Gepäck, Last, Tragbahre" < ahd. gitregidi .Ertrag, Einkünfte, Besitz"; mit dem Übergang egi > ei wird der Zusammenhang 211

mit tragen dissoziiert und die Bedeutung auf,Körnerfrucht1 eingeengt). Auch die Individualisierung ist verwandt: nhd. Bursche < lat. bursa ,Geldbeutel1 —► ,Gemeinschaftskasse1 —> ,Studenten- und Handwerker¬ verband, der aus der Gemeinschaftskasse zehrt1 —> ,der einzelne Ange¬ hörige eines solchen Verbandes‘ —> jedes männliche Individuum einer bestimmten Altersgruppe1; ähnlich ist es bei Rat .Mitglied einer Ratsver¬ sammlung1 und Frauenzimmer .Gesamtheit der Frauen in einem Ge¬ mach4.

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Transgressiv : Remanent: : Die oben erwähnten Beispiele von Konkretisierung zeigen einen sehr wichtigen Unterschied: während Treue und Ehrbarkeit von einer ethischen Bedeutungssphäre in eine rein dinghafte überwechselten, blieben Mahd, Saat und Getreide in ihrer ursprünglichen Begriffssphäre. Wechselt eine Bedeutung ihre Sphäre, indem sie von einer sinnlich-wahrnehmbaren-dinghaften zu einer seelisch-geistigethisch-ästhetischen übergeht oder umgekehrt, so spricht man von transgressivem Bedeutungswandel; verbleibt die neue Be¬ deutung im alten Bereich, so nennen wir den Bedeutungswandel re¬ manent. Oft, aber nicht immer, wird der seelisch-geistig-ethische Be¬ reich als Ergebnis von Generalisierung und Abstraktion aus dem sinnlich-wahrnehmbar-dinghaften erreicht. Beispiele für Ausdrücke des seelischen Affekts oder einer geistigen Einstellung, die von sinnlich-wahrnehmbaren Grundbedeutungen abge¬ leitet sind: hinter nhd. Trauer < trüre, Nomen postverbale zu trüren, steht letztlich ahd. trüren ,die Augen niederschlagen4, das zu ags. drüsian .schlaff sein; trauern4, got. driusan .fallen4 gehört; nhd. Freude < mhd. vröide, zu froh < mhd. vrö gehörig, wird heute meist mit aisl. frär .hurtig4 zu idg. *prouö- .flattern, springen' gestellt. In nhd. frohlocken < spätmhd. vröloeken (< *vröleeken\ das Zweitglied zu urgerm. *laika:, S. 231) ist die Bedeutung ,vor Freude springen4 noch erhalten. Nhd. Neid < mhd. nit, nides .feindselige Gesinnung, Grimm. Mißgunst4 läßt sich mit air. mth .Kampf verbinden. Die Bedeutung von nhd. gut < mhd. guot (S. 147) wird oft als Ergebnis transgressiven Bedeutungs¬ wandels von .passend, was sich zusammenfügt4 erklärt. Das berühmteste Beispiel ist vielleicht nhd. Treue < mhd. triuwe < urgerm. *treuuö (26), das als uö-Stamm zur schon erwähnten zweisilbigen Wz. *deru- (in der Form S - Vo; S. 136f.) gebildet ist. Wie läßt sich .Eiche4 mit .Treue4 verbinden? Man hat angenommen, daß sich schon sehr früh neben der dinglichen Sphäre (-> ,Föhre4 -> .verholztes Gewächs4) auch eine über .hart4 (ags. trum .fest, kräftig, gesund4) vermittelte seelisch-ethische Be¬ deutungssphäre herausbildete (allerdings nur im Germ.!), die -► .fest4 ->• 212

,fest vertrauend' —> ,verläßlich' -*■ ,treu' ergab. Als Parallele zum ersten Schritt läßt sich alat. robus (dazu robustus), lat. robur ,Eichenholz, Hartholz, Kernholz' -> ,Kraft, Festigkeit' anführen, als Parallele zum zweiten Schritt gr. iaxüpöt; ,fest‘ : iaxopl^opai ,zeige mich fest' -+ ,verlasse mich auf etwas' —► ,vertraue'. An dieser Treue-E., die etwas nach Wilhelminischem Zeitalter schmeckt, sind allerdings in Frankreich Zweifel lautgeworden! Freilich wäre es sehr unrealistisch, anzunehmen, daß die Indoger¬ manen keine Fexeme für seelische Regungen besessen hätten. In vielen Fällen ist deren Bedeutung bis ins Nhd. remanent geblieben: bei nhd. Haß < mhd.hazzeigen fast alle einzelsprachlichen Belege für idg. *k’äd-: k'sdes-: k’od-s die Sememe ,Kummer, Haß'. Die Wz. idg. *Ias-, auf die mhd., nhd. lust zurückgeführt werden, wird wohl zu Recht mit den Sememen ,gierig, lasziv, mutwillig, ausgelassen' verbunden. Auch für die Wz. von nhd. Leid < mhd. Zeit (< idg. *loito-) läßt sich mit einer Grundbedeutung ,Abscheu, Frevel' rechnen. Nhd. Mut (S. 204) geht mit ne. mood,Stimmung' auf urgerm. *mööa-,heftige Erregung' zurück, dessen Wz. idg. *me/mö- im IEW zu gr. paiopai .strebe heftig' gestellt wird. 13 Partiell : Total: Wir dürfen nicht damit rechnen, daß ein Be¬ deutungswandel gleich den gesamten semantischen Bereich erfaßt und die älteren Sememe restlos von den jüngeren ersetzt werden. 13.1 In der Regel bleibt, zumindest regional, sondersprachlich (z.B. in Fachsprachen; S. 266ff.), in Komposita oder in erstarrten Wendungen (wie Redensarten, Sprichwörtern) die ältere Bedeutung res t ha ft er¬ halten. Wir gewinnen aus solchen Archaismen oft wertvolle Hinweise für die Bedeutungsrekonstruktion: z.B. nhd. haben, das zu lat. capiö ,fasse' gehört, wird im Bair. dial. als Imp. [hob'o:] hab an\ im Sinne von ,faß an!‘ gebraucht. Mhd. gast bedeutet in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ,Gast', gelegentlich aber doch auch ,Fremder; Feind' (S. 27). Nhd. Garten bedeutet ursprünglich die Einfriedung, mittels derer ein Raum abgeschlossen wird (alat. hortus, kymr. garth ,enclosure‘), dann, gemeinidg., den abgeschlossenen Raum selbst (so lat. hortus ,Garten', gr. xöpxoq ,Hof; von Bäumen umgebenes Weideland', nir. gort ,Feld‘, mit sekundärer Verengung oft ,Haferfeld') und die in ihm wachsenden Früchte (gr. xöpioc; ,Gras, Heu, Viehfutter' -> ,Lebensmittel'). Im Nhd. hat sich i.a. die Bedeutung .Gartenland; intensiv bebaute Kulturfläche' durchgesetzt („den Garten bestellen, umgraben''). Aber in den Kom¬ positionen Tiergarten und Totengarten hegt noch durchaus der Akzent auf der Einfriedung und nicht auf der Bebauung, so auch in den alten 213

Bezeichnungen für eingehegte Stätten der Rechtsfindung Rosengarten (auch ,Friedhof für Nichtkatholiken') und Kosegarten (zu mhd. kosen sprechen, plaudern' <- .beraten'). Das Nord, hat die alten Sememe ,Zaun, Gitter, Mauer, Wall' in aisl. garör, norw. gard, schw. gärdsgärd, dän. gjerde noch erhalten. Man wird natürlich bei dieser Belegsituation Garten nicht zu (1) *g’her- ,begehren, gernhaben' oder zu (2) *g’her,kratzen, scharren' (Garten als Kulturland?) noch auch zu (6) *g’her,klein, gering' (relative Kleinheit im Vergleich zu Acker und Feld?) stellen, sondern natürlich zur Wz. (4) *g’lier- ,umfassen, einfassen', zu der dann auch Gürtel und Gurt gehören. - Daß unser nhd. Schrecken eigentlich das ,Aufspringen, Emporfahren' meint, können wir dem Simplex, d.h. dem einfachen Wort, nicht entnehmen (denn es könnte auch ,zusammenfahren' bedeuten; vgl. empor sehr ecken, aber auch zu¬ sammenschrecken), wohl aber dem Kompositum Heuschrecke ,die aus dem Heu aufspringt'. Oft haben idg. Tochtersprachen in Randlage wie Kelt., Ai., Germ. Reste ursprünglicher Bedeutung erhalten. Das gilt übrigens auch für den Wortschatz (S. 285). 13.2 Totaler Bedeutungswandel ist verhältnismäßig selten zu be¬ obachten. Ich nenne hier: nhd. Schläfe fern. < nhd. Schlaf mask. (bis Ende 18. Jh., dann entsteht durch Pluralverwendung von Schlaf, Schläfe die Umdeutung als Fern, die Schläfe und ein neuer PI. Schläfen) < mhd. släf ist eigentlich ,Schlaf' und nimmt die neue Bedeutung an, weil man beim Seitlichliegen auf der Schläfe schläft und diese als Sitz des Schlafes galt. Gott < mhd., ahd. got < urgerm. *goda(m), in der heidnischen Zeit ein Neutr.(l), < idg. *ghu-tö-m ,das Angerufene' (: gall. gutuater Angehöriger einer Priesterklasse' < urkelt. *gutu-(p)ater .Vater [Mei¬ ster] des Anrufs' zu air. guth .Stimme', auch ved. puru-hütä- .viel ange¬ rufen' [von Indra]) oder < idg. *g’hu-t-öm ,das Begossene' (bei Gießop¬ fern). Sakrament .christliches Gnadenmittel' < kirchenlat. sacrämentum .religiöses Geheimnis, Mysterium' <- klassisch-lat. .Soldateneid'.

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Am leichtetsten tritt natürlich der totale Bedeutungswandel bei Lehnwörtern auf: Der Name des Schachspiels, mhd. schach, geht auf pers. säh .König, Schah' zurück. Er ist als Kurzform für den Ausruf säh mät ,der König ist tot' (> nhd. schachmatt) entstanden. Auch wenn heute Schach als das „Königliche Spiel“ bezeichnet wird, ist einem in der Regel die Identität mit dem Schah-Namen nicht bewußt. - Der italien. Ruf all’arme\ ,zu den Waffen!' hat im Spät-MA unser Alarm ergeben. - Manchmal bleiben auch die ursprünglichen Bedeutungen nach der Entlehnung noch länger erhalten und gehen erst allmählich unter: arab. al-kohl .Bleiglanz zum Färben der Brauen' (der heute durch 214

orientalische Läden bei uns in Mode kommt) wird von deutschen Al¬ chimisten als ,sehr feines Pulver1 —► ,das Feinste einer jeden Sache1 übernommen und aus alcool vini ,das Feinste (= Destillat) des Weines1 (= ,Branntwein1) elliptisch unser Alkohol gebildet. - Unser lila geht auf arab. lilak ,Flieder4 (dies wieder aus dem Pers.) zurück - nhd. Flieder bezeichnete vor der Einfuhr des Zierstrauchs Syringa vulgaris wie auch heute noch vielfach dial. den Hollunder (Sambucus nigra) In ne. lilac sind Färb- und Pflanzenbedeutung erhalten. Im Nhd. ist lila nur noch Farbbezeichnung, an deren Herkunft nur das Kompositum lilafarben erinnert (+gelbfärben, + blaufarben... gibt es nicht) sowie die Tatsache, daß es nicht flektiert wird (vgl. rosa).

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Sinnstreckung und Bedeutungsspaltung:

Die schon oben erwähnte (S. 203) Bedeutungsausweitung etwa bei ,Zunge4 oder ,Sprechbewegung4 —► ,Sprache4 nennt man oft Sinn¬ streckung, im Vergleich mit der ursprünglichen Bedeutung können wir Bedeutungsspaltung beobachten. Die beiden traditionellen Begriffe lassen sich selten sauber auseinanderhalten. Ein gutes Beispiel ist nhd. Reise < mhd. reise, das in erster Linie ,Aufbruch4, dann erst ,Zug, Reise4 bedeutet. Wenn wir das bedenken, wird es uns nicht schwerfallen, den Zusammenhang mit ne. rise ,aufstehen, sich erheben4 herzustellen. Das formal genau dazustimmende mhd. Etymon risen (dazu mhd. risel ,Regen4, nhd. rieseln) zeigt gleichfalls Sinnstreckung. Uns mutet die Seg¬ mentierung der außersprachlichen Wirklichkeit, bei der ,steigen4 und ,fallen4 durch dasselbe Lexem ausgedrückt werden, fremd, vielleicht widersinnig an. Wenn wir aber die im IEW (330f.) zusammengestellten Etyma betrachten, so fällt auf, daß mit ihnen häufig das Denotat gie¬ ßen4 verbunden ist. Wir könnten uns also vorstellen, daß vorgerm. *reisursprünglich vom Überkochen (z.B. der Milch) gebraucht wurde. Das Überkochen hat zwei Abschnitte , die durch Sinnstreckung weiterent¬ wickelt werden können: (1) ,sich erheben4 -> ,aufmachen, aufbrechen4 -» ,reisen4 und (2) ,überfließen4 -> ,fallen4 -» ,tröpfeln, rieseln4 -> seg¬ nen4. Angenommen, die vermutete Bedeutung ,überkochen4 träfe das Richtige, so könnten wir hier zwei verschiedene Vorgänge beobachten: zunächst Bedeutungsspaltung bzgl. der Zeitlichkeit der Vorgänge in ,sich erheben4 und ,überfließen4, sodann Sinnstreckung jedes der beiden Sememe -» ,Reise4 und -> ,rieseln4, bzw. ,Regen4. Ein weiteres Beispiel ist nhd. lesen. Die ursprüngliche Bedeutung dürfte ,aufklauben, sam¬ meln4 gewesen sein. Generalisierende Sinnstreckung ergibt im got. lisan ,ernten4, verengende Sinnstreckung aisl. lesa ,stricken (= Aufnehmen von Maschen)4. Nach Einführung der Schriftkultur tritt, unter Einfluß 215

von lat. legere ,sammeln, auflesen, auslesen; lesen1, Bedeutungsspaltung in ,Schrift lesen1 und ,klauben, pflücken, aussortieren1 ein. Das generali¬ sierende ,ernten1 ist i.a. auf Beerenobst beschränkt. Got. sokjan ,suchen1 (dazu ahd. suochen > nhd. suchen) entspricht genau gr. fjyeopai,führe; vermute1, lat. sägiö ,wittere, spüre auf. Als ursprünglicher Bedeutungs¬ bereich ergibt sich für *sägei- die Jagd mit dem Jagdhund. Der Hund ,wittert‘,,spürt auf,,sucht1 (Sinnstreckung), er ,führt1 den Jäger, der auf Grund der Spur das Wild ,vermutet1 (Bedeutungsspaltung im Gr.). Bedeutungsspaltung beobachten wir auch bei der germ. Benennung des Hais: nhd. Hai < nl. haai < nisl. hai < aisl. här ,Hai; Ruderdolle1 < urgerm. *hanhaz ,Haken1. Der gefährliche Fisch ist vielleicht nach der hakenförmigen Schwanzflosse tabuistisch (S. 223) benannt. Das Ergebnis der Bedeutungsspaltung ist die Polysemie (mehrfa¬ che Bedeutung eines Etymons). Man kann oft beobachten, daß der Eintritt oder die Wiederholung eines Vorganges Ansatz zur Sinnstreckung werden kann. So stammt die Bezeichnung Mensur für den studentischen Zweikampf vom Ausmessen des Kampfplatzes. Der Turnvater Fr. L. Jahn ersetzte Gymnastik durch, wie er meinte, deutsches turnen, das er aus ahd. turnen ,wenden1 (< lat. tornäre ,runden1) übernahm, weil die „Wenden“ viele turnerische Übun¬ gen kennzeichnen. Auch das Turnier ist nach der häufig vorkommenden „Wende“ benannt. 16

Ein Sonderfall der Sinnstreckung ist die pars-pro-toto-Be¬ zeichnung (eine Form der Synekdoche .Mitverstehen1): mhd. kiel bedeutet nicht nur ,Kiel‘ (den „Teil“ [pars]), sondern auch das .Schiff (das „Ganze“ [totum]). Die Pars-pro-toto geht leicht in die Metony¬ mie („Namensvertauschung11) über. Sie liegt dann vor, wenn bei ih¬ rer Auflösung die metonymische Bezeichnung als Attribut (im weitesten Sinn) zur umschriebenen Bezeichnung stünde: mhd. isen .Eisen1 (s.u. S. 249), aber gemeint sind .Waffen1, aufgelöst; .eiserne Waffen1; ahd, asck (im Hildebrandslied 63) .Esche1 für .Speere (aus Eschenholz)1; mhd. kröne im Sinne von .Herrschaft1. Metonymien entstehen natürlich aus Adj. + Subst.-Ausdrücken, wenn das Subst. weggelassen wird (Wortellipse): mit. Persicum (malum) .persischer (Apfel)1 > nhd. Pfirsich. 1 n diese Gruppe gehören die vielen Benennungen von Tieren und Pflanzen nach ihrer Herkunft oder auffälligen Eigenschaften: nhd. Weizen < mhd. weize < ahd. (h)weizi < urgerm. *huaitiaz (> got. hiaiteis, ne. wheat...) < idg. *k'uoid-ios etwa ,der weiße...1 zu *k’ueid-os .weiß1 (> ahd. hwiz > mhd. wiz > nhd. weiß), nach dem weißen Mehl; nhd. Forelle < mhd.forheljorhe(n) < ahd.forhana < idg. *prk’nä,die gesprenkelte...1. Die Annahme von Metonymien scheint eine der Mög216

lichkeiten zu sein, die tertium comparationis-Rekonstruktion des IEW glaubhaft erscheinen zu lassen. 17 Man wird bemerken, daß die Übergänge zwischen pars-pro-totoBenennung und dem generalisierenden Bedeutungswandel, der Sinn¬ streckung und der Bedeutungserweiterung nicht nur nicht klar abgrenzbar sind, sondern daß vielfach dieselbe Erscheinung bald so, bald so bezeichnet werden könnte. Wie vielschichtig die Bewertung der Semem¬ veränderung darüber hinaus noch ist, ersehen wir wieder an nhd. gerben: einerseits ist es ein typischer Fall von Bedeutungsverengung (S. 203 f.), andererseits auch ein Fall von Bedeutungserweiterung, da man ja den gesamten Prozeß der Lederherstellung als gerben bezeichnet und nicht nur den letzten Schritt des „Gar-Machens“, von dem als dominierenden Aspekt allerdings die Sinnstreckung, deren Ergebnis die Bedeutungser¬ weiterung ist, ausging. Und wenn wir sagen „die Haut des Seemanns ist von Wind und Wetter gegerbt“, so verwenden wir gerben wieder in generalisierender Weise, diesmal metaphorisch (S. 219f.).

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Synästhetischer Bedeutungswandel:

Was die Synästhesie ausmacht, nämlich die Miterregung eines Sin¬ nesorgans bei Reizung eines andern, drückt sich auch in der sprachlichen Bewältigung der „außersprachlichen Wirklichkeit“ aus, d.h. daß sich in einem Sinnesbereich Zuordnungen vornehmen lassen, die auch für einen anderen Sinnesbereich als adäquat empfunden werden. So sprechen wir von einem ,scharfen1 Messer, Licht, Ton, Geschmack, Geruch und Frost. Qualitätsbezeichnungen wie ,stumpf, ,hart", ,leicht‘, ,dumpP, ,greif, ,durchdringend", ,stechend", ,beißend", ,samtig", ,weich" sind jeweils auch auf andere Sinnesbereiche anwendbar als auf jene, denen sie ursprünglich zugehörten. Solche Übertragungen finden dann wohl nicht oder seltener statt, wenn die die Sinneswahrnehmungen bezeichnenden Morpheme von bestimmten Eindrücken von Gegenstän¬ den abgeleitet sind und diese Zusammengehörigkeit noch erkennbar ist (z.B. es brandelt, es fischelt, es duftet... bleiben auf den Geruchsinn beschränkt). Die den Sinneswahrnehmungen zuordnenbaren sprachli¬ chen Angaben aus den Bereichen Gesicht, Gehör, Tastsinn, Tempera¬ turgefühl, Gewichts- und motorisches Bewegungserlebnis können nicht nur als remanente Generalisierungen innerhalb dieser Bereiche über¬ tragen werden, sondern können auch transgressiv in geistig-seelisch¬ ethische Sememe übergehen: nhd. bitter ist von der S der in beißen vorliegenden Wz. idg. *bheid- ,spalten" gebildet. Das haptische Erlebnis des Beißens wird also auf die Geschmackssphäre übertragen und von da 217

auf den seelischen Bereich („bittere Pflicht“). Nhd. hell < ahd. hei „laut, tönend1 zeigt synästhetische, remanente Bedeutungserweiterung (< idg. *kel- ,rufen, schreien1), gleichzeitig hat hell im auditiven Bereich seine Bedeutung verengt (ein „heller Ton“ muß nicht ,laut‘ sein). Als transgressive Erweiterung ergibt sich .klug1 („ein heller Kopß1). Nhd. muffig, dessen e. Verbindung mit idg. *meu/mü- ,feucht, modrig1 im einzelnen ungeklärt ist, wird auch von einem mißmutigen Menschen gebraucht und ist sogar zu einem Suffixoid (EßKrawatten-, Schi-muffel) gewor¬ den. Beobachtungen an den Sprachen von Naturvölkern zeigen, daß die Synästhesien zum Urbesitz der Menschheit gehören und daß sie doch ähnlich, wenn auch nicht ganz gleichartig verlaufen. (Darüber hinaus wird behauptet, daß es in keiner Sprache primäre Benennungen für Sensationen des Geruchsinns gäbe). Die Eigenart der Synästhesien, universal zu sein und in bestimmten Bahnen (Synästhesie-Ketten) zu verlaufen, macht sie für den Etymologen einigermaßen einkalkulier- und nachvollziehbar. Jedenfalls für die idg. Sprachen wird man eher mit den beiden synästhetischen Ketten ,scharf-stechend-schnell-laut-hellleicht../ und .dunkel-herb-schwer-langsam-stumpf...1 rechnen als mit einer Kette ,scharf-langsam-leicht.Dementsprechend würde man eher mit einer synästhetischen Entsprechung (d.h. mit einem Bedeu¬ tungsübergang) ,muffig1 -> ,dumpf, dunkel1 rechnen als mit .muffig1 -*■ .scharf, hell1. Aber schon bei nhd. ranzig, letztlich < lat. raneidus .stinkend, ranzig1 mit unbekannter E„ werden die Meinungen geteilt sein, ob man es eher der ersten oder der zweiten Synästhesie-Kette zuordnen soll. In einem solchen Fall wird man sich in anderen Sprachen umsehen: wir finden z.B. lit. gaizüs .ranzig1, das auch .bitter1 bedeutet und zu idg. *geig’- .stechen, beißen1 gestellt wird und das auch in arm. kc-u .bitter, ranzig1 weiterlebt. Angenommen, es gäbe noch weitere Hinweise in die gleiche Richtung, dann würden wir unter mehreren lautlichen Anschlußmöglichkeiten lieber jene ins Auge fassen, deren Sememe der synästhetischen Kette .scharf-stechend...1 nahestehen, als jene, die zur Kette .dunkel-stumpf...1 gehören. Daß es sich auch hier stets nur um mehr oder minder große Wahrscheinlichkeit handeln kann, muß kaum erwähnt werden.

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Es seien noch einige Sonderformen semantischer Entwicklung er¬ wähnt: 19.1

Personifikation:

Aus dem Vornamen Heinrich entsteht die Kurzform Hein(e), die zur euphemistischen („beschönigenden“) Benennung für den Tod in Freund Hein wird (Tabu; S. 223). Durch Assoziation und Eindeutung (vgl. die 218

Volksetymologie; S. 229 ff.) von Totenhain ,Friedhof1 entsteht in literari¬ scher Sprache Freund Hain. Heinrich, in der Kurzform Heinz(el) dient auch zur Bezeichnung des Hausgeistes > Heinzeimann. Ein sehr brauch¬ barer Gegenstand zum Einspannen von Werkstücken beim Schnitzen usw. heißt bair. dial. ['honntslbonk],Heinzeibank1, ein Sympathiebeweis für das vertraute Gerät. Minna für Geschirrspülmaschine ist ein klassi¬ scher Dienstmädchenname. Eine als Spinat verwendete Pflanze heißt Guter Heinrich (Chenopodium bonus Henricus), eine andere mit aufrech¬ ten Blütenrispen Stolzer Heinrich. Die Mehlsuppe heißt dial. Sanfter Heinrich, die Graupensuppe Blauer Heinrich, das dunkelgrüne Auto für Gefangenentransporte der Polizei in Wien Grüner Heinrich. Die Über¬ tragung von PN auf Dinge ist allen aus der Benennung von Schiffen, Autos u.dgl. geläufig. Analoges gilt von der Benennung der Tiere. Appellativische Funktion von EN kann auch auf umgekehrtem Weg, also durch Ent-Personifizierung oder zumindest Ent-Individualisierung, zustande kommen; z. B. der dumme August, der Kasper(l), Kotzebues Werke studieren ,sich übergeben' mit Eindeutung von kotzen. Sehr viele dieser Bildungen sind aus Scherzbezeichnungen entstanden (vgl. auch PN als Suffixe; S. 166ff.; 171). 19.2 Metaphorischer Bedeutungswandel geht stets von ei¬ nem Bild aus, in dem das tertium comparationis gefunden wird. Die Metapher kommt dadurch zustande, daß ein Wort außerhalb seines Bedeutungsbezirkes (,,wesenhafte Bedeutungsbeziehung“; S. 207) „übertragen“ (= metaphorisch) gebraucht wird. Als translatio similitudinis ist die semantische Metapher schon einer der e. Tropen des Augu¬ stinus (S. 41). Eine glücklich gewählte Metapher ist wirkungsvoll, kommt in Mode und kann so häufig verwendet werden, daß sie zuletzt nicht mehr als Bild empfunden wird. Die semantische Metapher begeg¬ net so oft, daß ihr Vorkommen nicht durch viele Beispiele illustriert zu werden braucht; nhd. Strom für Elektrizität (seit 18. Jh.; vgl. ne. current : frz. courant ,Strom; Elektrizität4) und viele andere Metaphern in der Physik und Chemie. Bes. reich an Metaphern ist auch die Mathematik (z. B. Bruchzahl „innere Entlehnung“ von lat. numerus fractus). Nhd. Schatz kann ein geliebter Mensch, aber auch ein Wörterbuch sein („Altceltischer Sprachschatz“ u.a.), nhd. Grille bedeutet neben dem Tier auch ,Laune4 („Grillen im Kopf haben“), nhd. Laune < mhd. lüne geht auf lat. lüna ,Mond4 zurück (wegen der Wechselhaftigkeit der Stimmung), nhd. Grund < mhd. grünt übersetzt seit dem 13. Jh. lat. fundamentum im Sinn von causa ,Ur-sache4, Kampf wird mit Unwetter verglichen (Hagel, Sturm...), nhd. Star < ne. star ,Stern4 (für einen aufsteigenden, strahlenden Künstler; „kometenhafter Aufstieg“), ganz konkret-bildlich 219

gesehen sind die Astralnamen Großer Wagen, Drachen usw. Meta¬ phorisch ist auch nhd. Muskel (< lat. müsculus ,Mäuschen' im 18. Jh.) und als sehr viel ältere Entlehnung desselben metaphorischen Ausdrucks nhd. Muschel < ahd. muscula < vlt.-roman. muscula < lat. müscula ,Miesmuschel' (nach Form und Farbe als ,Mäuschen' bezeichnet). Das Bestimmungswort Mies- ,Moos' (< mhd. mies < ahd. mios als Vo zu nhd. Moos < mhd., ahd. mos [: ne. moss] < urgerm. *mosa-) ist Metapher für das mengenweise Vorkommen der Miesmuscheln. Nhd. Seele bezeichnet dial. die Fischblase, aber auch die Gummiblase im Fußball. Metaphorisch ist wohl auch mhd. sloz > nhd. Schloß als „Schloß, Riegel des Fandes“ ->• ,Burg, Feste'. 19.2.1 Die Wertlosigkeit einer Sache wird im Mhd. durch Metaphern wie strö ,Stroh', böne ,Bohne', ei ,Ei‘, hast ,Bast‘, her .Beere', hüenervuoz .Flühnerfuß' bezeichnet; Analoga aus dem Nhd. wie Quark, Schmarrn sind geläufig; ebenso Pappenstiel (Klammerform; S.191) < * Pappen¬ blumenstiel ,der hohle Stiel des Föwenzahns', der wegen der Flughaare der Samen lat. pappus .weißhaariger Alter' heißt. 19.2.2 Wir können metaphorische Ausstrahlung und metaphori¬ sche Kettenbildung unterscheiden: Ausstrahlung besteht dann, wenn von einem Denotat immer wieder neue Metaphern gebildet wer¬ den, dabei aber die Beziehung zur Grundbedeutung unmittelbar erhal¬ ten bleibt: z.B. Fuß in „Fuß des Gerätes, des Berges, des Pilzes...“. Dagegen liegt Kettenbildung vor, wenn die metaphorische Verwendung Ausgangspunkt für eine weitere Metapher ist: frz. bureau,grober, grüner Wollstoff —> .Büromöbel, mit diesem Wollstoff überzogen' —► .Schreib¬ tisch' —>• .Raum mit einem solchen Tisch' —► .Personen, die zu diesem Raum gehören' —>• .Amt, zu dem diese Personen gehören' (mehrfache pars-pro-toto-Entwicklung); frz. toilette .Tüchlein' (frz. toile .Tuch'), auf das man Frisier- und Schminkzeug legte' -> .Sich-Waschen, Schminken, Frisieren' -> .Raum, in dem das geschieht' —► .Abort' (Tabuform; S. 223). Sonderformen der Metapher: 19.2.3 Tierbezeichnungen für Geräte begegnen nicht selten, auch wenn die Ähnlichkeit des Tieres mit dem Gerät nicht mehr augen¬ fällig ist. Der (Wasser)hahn hatte früher wirklich die Form eines Hahnes und auch der Kran (< mhd. kreme, kranech) erinnert an einen Kranich. Ein vierbeiniges, starres Gestell, das vielleicht an einen störrischen Bock erinnerte, nennt man allgemein danach, und dies wurde auf den Bock des Kutschers, auf das Turngerät usw. übertragen (Ausstrahlung). Ne. easel, eigentlich .Esel' bezeichnet die Staffelei des Malers, mhd. esel ist 220

u.a. ein Belagerungsgerät (wie der Ramm-Bockl) und Eisbrecher. Im Spätgr. hieß ein scharfkantiges Gestell, auf das der Delinquent mit beschwerten Füßen gesetzt wurde, tt(öÄ,o<; ,Fohlen1 > mlt.-mgr. poledrus, das, beeinflußt (Kontamination; S. 228) von frühnhd. marter, nhd. Folter ergab. 19.2.4 Schimpfnamen, Scheltwörter, Kraftausdrücke be¬ dienen sich im reichen Maß der Möglichkeit der Metapher. Im Gegen¬ satz zu Spitz-, Bei- und Über-Namen, die okkasionell oder usuell sein können, sind die Schimpfnamen wohl stets usuell, d.h. allgemein ge¬ bräuchlich und anerkannt. Nhd. Gans z. B. ist in seiner Verwendung auf Frauen eingeschränkt, im mhd. Parzival-Roman wird jedoch der Held so gescholten (247,27) - auch Gänserich wäre heute als Schimpfname nicht möglich, sehr wohl aber als Spitzname. Auch andere TN wie Kuh, Ziege, Pute, Ochs, Hirsch, Rindvieh zeigen geschlechtsspezifische Ver¬ wendung. In manchen alten Schimpfnamen ist die ursprüngliche Be¬ deutung nicht mehr ersichtlich: nhd. Luder < mhd. luoder ,Fockspeise; in der Fallenstellerei Aas als Köder4; nhd. Schelm (mit starker Be¬ deutungsverbesserung gegenüber dem) mhd. schelm(e) bedeutete ,Pest, Seuche; Aas4 < ahd. seelmo, scalmo ,dass.‘ (mit ungeklärter E.), nhd. Hundsfott ,cunnus canis4. Nach dem schwerfälligen Gang sind die Nomi¬ na postverbalia Trampel (: trampeln), Trottel (: trotten), Depp, Tepp, Taps (: tappen) gebildet. Eine starke Bedeutungsverbesserung hat Pimpf in der Jugendbewegung erfahren: ursprünglich bezeichnete es in Studen¬ tenkreisen einen „Halbstarken44, der noch keinen richtigen Pumpf (,Furz4) zusammenbringt. Auch Dinge können beschimpft werden: ein langsames Auto als (lahme) Ente (was dann als Understatement von der Herstellerfirma akzeptiert wurde). Besonders der Kopf wird gerne de¬ spektierlich bezeichnet: Birne, Kürbis, bair. dial. Plutzer ,ein großes rundes Tongefäß4, Schädel (zu mnl. schedel,Schachtel, Dose4), frz. tete ,Kopf4 (< vlt. testa ,Tongefäß; Tonscherbe4), aisl. kollr (zu aisl. kolla ,Topf4), nhd. Kopf (< mhd. koph ,Becher, Trinkschale; Urne4 < spätlat.-roman. cuppa ,Becher4 > ne. cup ,Schale4), und selbst das Erbwort Haupt < mhd. houbet (ne. head < ags. heafod), das auf formal undurch¬ sichtige Weise mit lat. caput (> italien. capo, frz. chef) zusammenhängt, könnte vielleicht schon ,Schale4 bedeutet haben (ai. kapücchcda- Neutr. ,Schopf, Schale4). 19.2.5 Metaphern stecken vielfach in Scherzbezeichnungen wie Stottertante (im 1. Weltkrieg) ,Maschinengewehr4, Miefquirl Ventila¬ tor4, Knochenmühle ,Turnhalle4, mhd. esel,Penis4, mhd., nhd. dial. zumpf ,Zipfel4 —►,Penis4, so auch mhd., nhd. nagel im EN Wackernagel. Plattd. Pumpernickel ist Spottbezeichnung für ein blähendes Schwarzbrot. Das 221

Bestimmungswort ist das in nhd. pumpern und Pumpf belegte Schallwort (S. 197) .pedere' (vgl. o. Pimpf), das Grundwort die Koseform Nickel zu Nikolaus. 19.2.6 Unter den Metaphern für ,Mensch‘ nehmen Sememe aus dem Bereich des Holzes eine besondere Stellung ein. Manches, aber bei weitem nicht alles, läßt sich unter die Schimpf- und Scherzbe¬ zeichnungen einreihen: mhd. knür (> Knau(e)r, EN) ,knorriges Holz¬ stück1 —► ,grober Mensch1, mhd. zolch ,Klotz1 —► ,grober Mensch1, nhd. Knirps bezeichnet ursprünglich etwas Knorriges, nhd. Knabe und Knap¬ pe gehören zu Knebel,kurzes, dickes Holzstück', nhd. Bengel < mhd. bengel ,Knüppel', nhd., mhd. kneht < westgerm. *knehta-, vielleicht ursprünglich ,Knüppel, Stock' zu schwed. knagg .Knorren; starker Mensch'. Für Kinder gibt es die Bezeichnungen Stift, Stöpsel, Sprößling. Man vergleicht die Nachkommenschaft allgemein mit jungen Trieben am Holz: lat. virgo .Jungfrau' zu lat. virga .dünner Zweig, Reis', gr. tä7.i<; junges, mannbares Mädchen, Braut' zu lat. tälea .Setzreis, Setzling'. Mhd. lotter ,lockerer Mensch', dial. und schriftsprachlich in Bildungen wie Lotterbett, verlottert erhalten, läßt sich mit nd. Lode .Schößling' verbinden, zu dem auch nhd. Leute (< mhd. Hute < ahd. liuti), das Pluraletantum (ein nur im PI. vorkommendes Wort) ist. Der alte gemeingerm. Sing. *leudi- bedeutete .Volk' < idg. * (Hfleudh- (> abg. ljudbje PI. ,die Leute', lat. liben ,freigeborene Kinder'. Hier ist nur ein kleiner Teil der Holz-Mensch-Metaphern erwähnt. Vor allem die Dialekte geben noch wesentlich mehr her. Beachtenswert ist der häufige /r^-Anlaut (S. 198).

222

XIII

1

Auswirkung semantischer Vorgänge auf den Wortkörper

Euphemismus und Sprachtabu:

Sie können sich auf verschiedene Weise auswirken: (a) Ersetzung eines tabuisierten Ausdrucks durch einen andern mit zunächst unver¬ fänglicher Bedeutung, (b) Schaffung eines neuen Lexems, oft un¬ ter Entstellung (nicht lautgesetzlicher Veränderung) des alten. Das nach (a) oder (b) eingeführte neue Lexem wird oft als Noa(-Wort) be¬ zeichnet. Der Ausdruck tabu ,unantastbar1, der aus einer polynesischen Sprache stammt und ursprünglich religiöse Bedeutung hatte (,was dem tatsächlichen oder sprachlichen Zugriff des Profanen entzogen ist1), kommt als Sprachtabu heute im Wesentlichen in Form des religiösen und gesellschaftlichen Tabus zur Geltung. Das religiöse Tabu erstreckt sich auf Bezeichnungen für Gott (Götter), heilige Personen und Gegen¬ stände, aber auch deren negative Gegenbilder (Teufel und Dämonen). Zum gesellschaftlichen Tabu leiten die Noabildungen aus dem Wortfeld ,sterben1 über. Im gesellschaftlichen (sozialen) Tabu sind das Sexual¬ tabu und das Tabu der Analsphäre die wichtigsten. Andere Formen des gesellschaftlichen Tabus berühren sich eng mit dem Bereich der Sonder- und Fachsprachen (z. B. Jägersprache, Seemannssprache u.a.; S. 264ff.). 1.1

Religiöses

Tabu: Ersetzung des Teufelsnamens wie der (alte) Feind (ne. fiend), Fliegengott (Lehnübersetzung von Beizebub) u.v.a.; aber auch die Umschreibungen des Gottesnamens im Alten Testament wie Ich bin der ich bin, Herr usw.; unser Himmelvater, der liebe Gott u.a. Für sterben: heimgehen, verscheiden, von uns gehen, den Geist aufgeben... Das Wort sterben selbst ist schon Euphemismus: es gehört zu starr und heißt eigentlich ,erstarren1 < urgerm. *sterban- < idg. *sterbh- > mir. ussarb ,Tod‘ (< *uks-sterbhä). Konkretisierende Be¬ deutungsverengung ergibt ne. starve ,verhungern; erfrieren1. Das ältere Wort für ,sterben1, mhd. touwen ,mit dem Tode ringen1 < ahd. touwen ,sterben1, aisl. deyja (> ne. die), von dem tot (< urgerm. *dau-daz) und Tod (< urgerm. *dau-puz) abgeleitet sind und das eigentlich .betäubt, bewußtlos werden; dahinschwinden1 heißt, ist im Nhd. untergegangen. Todesfurcht wird häufig durch Aggression und Scherz überspielt: ab¬ kratzen, die Radieschen von unten wachsen sehen... Fast ebensohäufig wie die Euphemismen für ,sterben1 sind jene für .töten1, wobei sich gerade die jüngste Vergangenheit hervorgetan hat: erledigen, abser¬ vieren, liquidieren, Endlösung... 223

Sexual- und Analtabus: Viele verhüllende Bezeichnungen für die Sexualorgane beider Geschlechter und die mit ihnen verbundenen Tätigkeiten kommen durch Prüderie zustande. In der Antike war lat. Cum nos... wegen des Anklangs an lat. cunnus verpönt. Im Engl, wurde das ai. Drama Sacuntalä als Sacontala rezipiert, weil man die Ähnlich¬ keit mit ne. cunt (oft nur c*** geschrieben!) fürchtete. Auch Bedeutungs¬ angaben durch lat. Bezeichnungen in der wissenschaftlichen Literatur sind Ergebnis der Prüderie (S. 221: ,,nhd. Hundsfott ,cunnus canis4 “). Auch in der üblichen Tabuisierung von Geliebte(r) und Ersatz durch Freund(in) oder gar durch Bekannte(r) oder Bekanntschaft wirkt das Sexualtabu (schon mhd. amie, amis [< afrz. amie, ami-s] ,(höfische[r]) Geliebte(r) im außerehelichen Verhältnis1). Andere gesellschaftliche Ta¬ bus: die Euphemismen werden oft mit Negationen gebildet, z. B. ich bin nicht ganz glücklich, ungut, Unregelmäßigkeit des Bankkassiers, Unzukömmlichkeit...

1.2 Religiöses Tabu: Entstellung von Sakralwörtern in Flü¬ chen und Ausrufen: sapperlot, sapperdipix, fixlaudon, himmelfixherrgott, die alle in entstellter Form Sakrament und/oder Crucifixus enthalten. Im Ausruf potz (älter auch botz, bocks, Kotz) steckt frühnhd. gotfejs: potz Leichnam!, potz Blitz\ Auch nhd. egittl dürfte aus oh Gottl entstanden sein. Hieher gehören verdrehte und sonstwie entstellte Teufelsnamen oder Neubildungen wie Deixel, Teuxel, Gottseibeiuns. Auch nhd. Teufel < mhd. tiuvel, tievel < ahd. tiufal, das entweder über got. (diabaülus, diabulus) oder über lat. (diabolus) Vermittlung auf gr. Siaßokoq .Ver¬ leumder4 zurückgeht (S. 255f.), dürfte, wie die Unregelmäßigkeit der Lautentwicklung zeigt, tabuistisch entstellt sein. Zum Zweck des Zauberns sollen die Wandlungsworte hoc est corpus meum zu hokuspokus entstellt sein, nach anderen steckt dahinter die Zauberformel hax, pax, max, deus adimax, deren sich fahrende Schüler im 16. Jh. bedienten. Mhd. got- wird mehrfach weitergebildet: mit dem Kosenamensuffix -izo (S. 162) wie Heinz und Kunz zu Heinrich und Konrad, so auch zu Gotfrit Götz. Dies griff in den appellativischen Bereich über und ergab frühnhd. götz(e) .Heiligenbild4. Die nhd. Bedeutung stammt von Luther. Mit den Deminutivsufifixen -ika- und -ila- (S. 156f.) entstanden die Koboldbe¬ zeichnungen ostmd. Gütchen (dies weiter entstellt > Hütchen) und mhd. güt(t)el. Für das gesellschaftliche Tabu spielt diese Bildungsweise eine geringe Rolle. 1.3 Eine einst vielumstrittene Sonderform des Sprachtabus bestand vielleicht im Idg. darin, daß ein Substantiv in religiöser Be¬ deutung als u-Stamm flektiert wurde. Der Grund dafür wurde im dumpf-unheimlichen Charakter des u gesehen, der es zum Lautsymbol 224

des Numinosen prädestiniere. Dazu wurde z. B. auf das Nebeneinander von lat. icmus, -i (o-Stamm) .Torbogen" und lanus, -üs (zz-Stamm) ,Gott der Türen" hingewiesen. Aber die wirkliche Verteilung von o- und zzStämmen spricht nur z.T. für diese Annahme eines „sakralen zz“. Für das Germ, gibt es nur wenig Hinweise auf analoge Erscheinungen. Am ehesten vielleicht noch aisl. njarö-,Kraft" in njarö-gjgrö ,Kraftgürtel" < urgerm. *nerda- gegenüber dem GN Nerthus (bei Tacitus) > aisl. Njgrör (zz-Stamm). Vieles andere ist problematisch. Gegenwärtig stehen die Etymologen den sakralen zz-Stämmen sehr skeptisch gegenüber. 2 Sprachlicher Archaismus gehört eigentlich zum überwiegen¬ den Teil in die Laut- und Formenlehre, muß aber, da er durch die Bedeutung gesteuert wird, hier mitbehandelt werden. Wir können einen religiösen Archaismus, der sich auf nomina sacra, und einen pathetisch¬ dichterischen, der sich auf nomina solemnia auswirkt, unterscheiden. Der Archaismus kann bewußt sein, indem man etwa ein altes, schon fast oder völlig ausgestorbenes Lexem wieder zu Ehren bringt, oder unbewußt, indem etwa das Lexem scheinbar von den allgemeinen Lautgesetzen der Sprache verschont wird. „Scheinbar“, denn genaugenommen gehört das Wort einer anderen Stilebene (Sprachebene), gleichsam überhaupt einer anderen Sprache an, in der es von den gesetzhaften Phonemwandlungen ausgenommen ist, weil diese in jener überhaupt nicht gelten, wie es etwa bei EN (wo auch die Schreibnorm mitwirkt) und Fremdwörtern der Fall sein kann. Unbewußter religiöser Archaismus begegnet etwa in nhd. Heiland < mhd. heilant < ahd. heilant < urgerm. *hailiand- .der Heilende". Der Bindevokal a vor dem Partizipialsuffix -nd- hätte längst zu e abgeschwächt werden müssen, wie in dem Profanwort nhd. heilend. Freilich ist der Gebrauch der archaischen Form im MA nicht ganz einheitlich, denn selten, aber immerhin doch erscheint der HeilandName im Ahd. in der Form heilem. Im Bair., wo ei als [on] erscheint, bleiben Fleisch, Geist und heilig in der Regel unverändert und sind nicht etwa zu [flonj], [gonst] und [’honlak] geworden. Man erklärt dies unter Hinweis auf die Kirchensprache, in der diese Wörter eine große Rolle spielen. Unbewußter oder bewußter poetischer Archaismus zeigt sich schon in mhd. wigant ,Kämpfer, Held" (> nhd. FN Wiegand, Weigand), gleichfalls eine Partizipialbildung mit erhaltenem a, vor allem aber in vielen feierlichen Wörtern des Nhd., die oft eine dem Mhd. nahestehende Lautform zeigen, weil sie eben künstlich belebt wurden, z.B. nhd. Aue (sonst Au), Recke, Minne, Wonne, Aar, kiesen u.v.a. In bestimmter Stilebene begegnen heute auch umgangssprachlich Archaismen wie sin¬ temalen, von wegen, welchselbiger usw. Entscheidend für den Archais225

mus, gerade auch wenn er in komischer Absicht eingesetzt wird, ist das hohe Wortethos ( +„erhaben“). Nhd. erhaben selbst ist schon eine ar¬ chaische Form gegenüber der analogisch gebildeten Ausgleichsform erhoben. Freilich hat sich hier (wie etwa auch bei Heiland : heilend) die Bedeutung so weit auseinander entwickelt, daß wir von einem Scheide¬ wort sprechen können. 3 Scheidewörter (Bifurkationen, Doppelwörter) sind also durch Bedeutungsdifferenzierung und formale Auseinan¬ derentwicklung phonetischer oder anderer Art gekennzeichnete Doppelformen eines Lexems. Die formale Verschiedenartig¬ keit unterscheidet solche Bifurkationen von den Polysemen (dif¬ ferierende Bedeutung bei formaler Gleichheit und e. Identität, z.B. nhd. Schloß ,Verschließvorrichtung4 = Schloß ,Palast4, beide < mhd., ahd. sloz ,Riegel4) und Homonymen (differierende Bedeutung bei for¬ maler Gleichheit, aber e. Verschiedenheit, z.B. nhd. ['saets] Seite < mhd. site # nhd. [’saets] Saite < mhd. seite). Dabei ist nicht ohne weiteres festzustellen, ob die Bedeutungsdifferenz zu verschiedenartiger formaler (z.B. lautlicher) Entwicklung (etwa als Tabu-Wirkung; S. 223) führte oder umgekehrt oder, was wohl meist der Fall sein wird, die formale Differenzierung mit der semantischen Hand in Hand ging. Die formale Auseinanderentwicklung kann z.B. so vor sich gehen, daß die eine Bedeutung am lautgesetzlich „richtigen“ Wortkörper hängt, die andere an einer analogisch geneuerten Form. Oft bestehen auch später noch Unsicherheiten der Verwendung: während nhd. erhaben (das for¬ mal „richtige“ Part. Prät. der VI. Ablautsreihe) und erhoben (die analo¬ gisch geneuerte Form) in der Bedeutung klar geschieden sind, besteht bei nhd. verwandt (der „richtigen“ „Rückumlautsform44; S. 109) gegen¬ über verwendet (der Neuerung) eine einseitige Unsicherheit: „ich habe das Buch verwendet (verwandt)“ aber „sie ist mit mir verwandt (nie: verwendet!)“; vgl. die Unsicherheit bei nhd. gesonnen (der „richtigen” Form) und gesinnt (der analogischen Neuerung). Genuswechsel kommt oft zustande bzw. wird unterstützt durch Assoziation von Syno¬ nymen oder Bedeutungsverwandten oder auch durch eine bestimmte Verwendungsweise (z.B. bevorzugte Verwendung im PL): z.B. mhd. vluor (nur mask.!),Fußboden; Feldflur4 wird unter Assoziation von „die Erde“ im Nhd. in der Bedeutung ,Feldflur4 zu einem Fern., in der Bedeutung ,Hausflur4 blieb das alte Genus, wohl gestützt durch die Assoziation von Boden und Hausgang. Ähnlich nhd., mhd. geholt (nur mask.!) ,innerer Wert4 gegenüber nhd. Gehalt (neutr.) ,Lohn4 (: „das Geld“). Mhd. se ,See, Meer4 (nur mask.!) wird wohl unter Assoziation von Welle und Woge in der Bedeutung ,Meer4 fern., dazu kommt noch 226

bevorzugte Verwendung im PL, jedenfalls legt der spezifische Gebrauch von „die See“ unter den Anwohnern der Nordsee diese Vermutung nahe. Wenn es schon im Mhd. Doppelformen gab (z.B. eine bodenstän¬ dige und eine aus einem andern Dialektgebiet entlehnte), so verwendet die spätere Sprache diese Doppelheit gerne zu semantischer Dif¬ ferenzierung: z.B. mhd. (strengobd.) rape und rabe, beide ,Rabe\ erst im Nhd. setzt die Bedeutungsdifferenzierung ein (ähnlich: Knappe : Knabe). Unsicherheit der Pluralbildung (z.B. das Wuchern der umge¬ lauteten Pluralformen auf -er im Nhd.) ergab Doppelformen mit im PI. semantischer Differenzierung: Worte : Wörter; Orte : (geometrische) Örter... Nur der nhd. Orthographie nach sind Scheidewörter: das : daß, Stadt : statt, die Eltern : die Altern. In Wirklichkeit sind es Polyseme.

4

Bedeutungsveränderung im Syntagma:

4.1 Im oft reproduzierten syntaktischen Gefüge (Syntagma) kann die Bedeutung einzelner Elemente verändert werden. Paradebeispiele sind die frz. Verneinungspartikel wie ne ... pas, ne ... rien, ne ... point, ne ... mie. Die ursprüngliche Bedeutung von pas (< lat. passum ,Doppelschritt'), rien (< lat. rem , Sache4), point (< lat .punctum Pünkt¬ chen'), mie (< lat. micam ,Krümchen') ist geschwunden, die Lexeme gelten heute als Negation bzw. modifizieren sie. So erklären sich auch im Nhd. die Bedeutungsveränderungen bei adverbiell und präpositional gebrauchten Substantiven: nhd. weg ,von einem Ort entfernt oder sich entfernend' < mhd. enwec, inwec ,auf den Weg' (analog ne. away ,weg‘ < ags. on wej ,auf den Weg'). Mhd. von wegen (Dat. PI.) ,von seiten' > nhd. wegen, mhd. halbe ,Hälfte, Seite', später durch Hälfte verdrängt, ist in erstarrten Formen in nhd. -halben {allent¬ halben...), -halb, {-)halber vom Semem ,halb‘ völlig gelöst. Ähnliches beobachtet man bei kraft, statt, trotz. Parallel mit solchen Bedeutungs¬ veränderungen gehen oft starke Kürzungen des Wortkörpers (z.B. bei nhd. nur', S. 190). 4.2 Reimbildung, Verwendung in dichtersprachlichen und Rechts-Formeln können gelegentlich zu einer Veränderung der Sememe oder/und des Wortkörpers führen: z.B. got. maipms be¬ schenk', das zu idg. *moit- Rauschen' (> lat. mütare ,wechseln') gehört, entspricht formal mhd. meidem ,Pferd; bes. Hengst, Wallach' > nhd. dial. maiden ,Zuchthengst'. Man kann annehmen, daß sich die semanti¬ sche Änderung ,Geschenk' -> ,Pferd' über dichtersprachliche stab¬ reimende Wendungen, wie sie uns im Ags. belegt sind (z.B. meara ond mäöma ,Pferde und Kostbarkeiten'), vollzog. 227

Eine solche nicht sehr häufige Erscheinung wird im dt. Etymologenjargon ein „Leumann“ genannt, nach M. Leumann, der in einer Untersuchung des hom. Wortschatzes auf solche Bedeutungsattraktionen aufmerksam machte.

Aus der Rechtssprache läßt sich die Bedeutungsentwicklung von Mahd (: Saat) in Formeln wie „wer sät, der mäht“ erklären (S. 211). Der umgekehrte Fall liegt dann vor, wenn auf Grund von Bedeutungsver¬ wandtschaft oder leichter Mit-Assoziierbarkeit das eine Glied sich laut¬ lich dem andern angleicht: nhd. Gipfel (zu dial., mhd. gupf ,Spitze, Gipfel4) wurde wohl aus Güpfel als Reimwort zu Wipfel entrundet; vielleicht schon ahd. stän ,stehen4 (statt *stuon) wegen gärt,gehen4 („was geht und steht“ im Sinn von fahrender und fester Habe). 5 Häufig lassen sich Kontaminationen (Wortkreuzungen, blends) beobachten. Sie gehen einerseits auf sprachliche „Fehl¬ leistungen“ (im Sinne der Psychoanalyse), andererseits auf bewu߬ te, geradezu geplante Neubildung zurück. Rein formal sehen die blends oft den Klammerformen des Ölzweig-Typs ähnlich (S. 191). Ihre Entstehung ist aber ganz anders. „Fehlleistungen“ kommen durch Mitassoziation eines seman¬ tisch mehr oder minder verwandten, dem Sinnbezirk nahestehen¬ den Morphems zustande. Für die E. werden diese Bildungen i.a. freilich erst interessant, wenn sie zur Norm erhoben werden: z. B. lat. reddere ,zurückgeben4 x (= gekreuzt [kontaminiert] mit) lat. prendere ,ergreifen4 > vlt. *rendere > frz. rendre (> ne. render), italien. rendere ,zurückgeben...4; ne. smoke ,Rauch4 x ne. fog ,Nebel4 > ne. (USA) smog ,rauchiger Nebel4; mhd. gewon (vgl. nhd. Gewohnheit) .gewohnt4 x mhd. gewent,gewöhnt4 > nhd. gewohnt (mit -t\); zwiefache Kontami¬ nation findet sich bei nhd. flammen x schimmern x glimmen > flim¬ mern. Weitere Fälle von Kontamination: nhd. Barch (S. 126), nhd. heischen (S. 185). 5.1 In welchem Maß die E. mit Kontaminationen zu rechnen hat (wenn diese nicht in rezenteren Sprachstufen direkt literarisch nachweis¬ bar sind), läßt sich nicht pauschal beantworten. Übergroßer Skepsis auf der einen Seite steht eine gewisse Zügellosigkeit gegenüber, die alles formal und semantisch Schwierige auf Kontaminationen zu¬ rückführen möchte. Wahrscheinlich ist Kontamination bei ahd. bim (> mhd., nhd. bin) < *im (: got. im ,bin4 < idg. *es-mi > gr. dpi) x *bium (: ags. biom ,bin, werde sein4) oder, falls dies selbst schon Kontamina¬ tionsergebnis, < *im x *biu (: ags. beo ,bin, werde sein4 < idg. *bhuiiö > lat.fiö ,werde4). In vielen nhd. Dialekten findet sich (wir. sie) seind < dial. sein x schriftsprachl. sind. Man könnte sagen, daß die paradig228

matische Analogie (Formenausgleich; S. 50f.) ein Sonderfall der Kon¬ tamination ist. Nhd. Auge < ahd. ouga (: got. augo) gilt wohl zu recht als Ergebnis einer Wortkreuzung von urgerm. *agV- < idg. *ok^- (> lat. oculus ,Auge‘) x urgerm. *ausan/auzan < idg. *ouso- ( *ousis > lat. auris ,Ohr‘). Auge und Ohr werden oft zusammen assoziiert und auch bis ins Mhd. morphologisch gleich (schwache Neutra!) behandelt. Man hat aber auch mit tabuistischer Lautentstellung („böses Auge“, „böser Blick“) gerechnet. Wenn dagegen nhd.y'a/7 (dial. [ga:x]) < mhd. gcehe < ahd. gähi auf Kontamina¬ tion von idg. *g’hengh- ,schreiten' (: ahd. gangan ,gehen'; VII. Ablautreihe) x idg. *ökus ,schnell' zurückgeführt wird, so ist dies auch lautlich mehr als zweifelhaft (wie hätte ej, das ahd. gähi zugrundeliegt, entstehen sollen?).

5.2 Bewußte Neubildung durch Kontamination kommt oft als Wortspiel vor (Mainzeimännchen < Mainz x Heinzelmännchen, jein < ja x nein), als Bildung der Werbesprache (Sparadies [Bankre¬ klame] < Sparen x Paradies, ne. motel < motor x hotel) oder entsteht dann, wenn bislang unbekannte, durch Kombination entstandene Dinge benannt werden müssen (ne. liger ,Kreuzung von Löwe und Tiger' < lion x liger, Rieslaner ,Kreuzung der Rebsorten Riesling x Silvaner j. 6 Volksetymologie (synchronische E., Paronymie, paronymische Attraktion): Darunter versteht man die durch die Sprecher vorgenommene se¬ mantische Deutung (Motivierung) eines nicht richtig ver¬ standenen Lexems, die zur Veränderung des Lexems führen kann. In diesem Falle ist die Volks-E. eine Sonderform der Kontami¬ nation. Die Volks.-E. ist außerordentlich wichtig, da sie sehr häu¬ fig ist und wohl in allen Sprachen vorkommt. Das Ergebnis der semantischen Umdeutung ist gewöhnlich nicht minder sachadäquat als die ursprüngliche, nicht mehr verstandene Be¬ deutung: Die ursprüngliche Bedeutung von nhd. Friedhof (< mhd. vrithof) war ,eingefriedeter Hof' (zu ahd. vriten ,hegen, einfrieden'), also fast ein Pleonasmus. Als vriten ausgestorben war, betrachtete man vrit¬ hof als ,Hof des Friedens', indem man ,Friede' eindeutete, dementspre¬ chend die heutige Lautform und Schreibung. Ist nun ,Hof des Friedens' weniger adäquat als ,eingefriedeter Hof? Nicht überall hat die Volks-E. gewirkt. Dial. findet sich heute noch im Obd. Freithof{< mhd. vrithof). Dort muß das Bestimmungswort als „dunkel“ (unmotiviert) empfunden werden. Die fehlende Motivierung, die bei nicht-komponierten Mor¬ phemen das Normale ist - denn wer weiß schon, das weil zu Weile, Tisch zu gr. öigxo<; ,Wurfscheibe; Teller; Schüssel', Haus zu Hose gehören? -, 229

stört den Sprecher durchaus nicht, ja fällt ihm nicht einmal auf. Zusam¬ mengesetzte Morpheme jedoch ist er gewöhnt zu durchschauen. Auch wenn man nicht weiß, was Haus und Meister „eigentlich“ bedeuten und woher sie kommen, so glaubt man doch zu wissen, woher das Kompo¬ situm Hausmeister kommt, nämlich von Haus + Meister. Das beob¬ achteten schon die Grammatiker der Humanistenzeit (S. 43), und es erklärt, warum die Komposita i.a. für paronymische Attrak¬ tion anfälliger sind als die einfachen Morpheme (Simplicia). Triebfelder der Volks.-E. ist also der oben erwähnte e. Urinstinkt (S. 37). Die Volks-E. hat unter den wissenschaftlichen Etymologen alter Schule keinen guten Ruf. Sie war seit den Griechen bis zur Entstehung der vergleichenden Sprachwissenschaft fast die einzige Form e. Betätigung und kann natürlich im Licht der Lautgesetze nicht bestehen. Die Relativierung der diachronischen Sprachwissenschaft (die bis dahin als die einzig mögliche wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sprache gegolten hatte) in der ersten Phase des Struktura¬ lismus hat die Volks-E., die man wegen der Entstellung des ursprünglichen Sinnes für lächerlich und töricht gehalten hatte, als allgemein-menschliche Er¬ scheinungsform des Umgangs mit der Sprache wieder etwas aufgewertet. Gar nicht so selten finden sich auch „gelehrte Volks-E.“ in wissenschaftlichen e. Publikationen: ein gutes Beispiel ist die Herleitung von nhd. Snob < ne. snob, die man als Abkürzung für s(ine) nob(ilitate) in den Matrikeln von Eton. Oxford und Cambridge ansah. Diese gelehrte Erklärung ist völlig aus der Luft gegriffen, scheint aber dennoch einleuchtend und wird daher oft zitiert. Die wirkliche E. von ne. snob ist noch nicht geklärt.

Freilich muß nicht jedes unverständliche Wort volks-e. gedeutet werden. Zumal bei Wörtern, die als fremdartig empfunden werden, gibt man sich auch ohne Eindeutung zufrieden: z. B. nhd. Marzipan, das seine Form der „gelehrten Volks.-E.“ verdankt (S. 259), wird im Dt. ohne Versuch einer Eindeutung hingenommen. 7 Zur Unverständlichkeit des Lexems kann es dadurch kom¬ men, daß (1) bei komponierten Wörtern ein Kompositionselement nicht mehr als Simplex vorkam (z.B. in vrithof), (2) daß aus sprachgeschichtlichen Gründen das ganze Kompositum oder seine Ele¬ mente Veränderungen durchgemacht haben, die den assoziati¬ ven Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Simplex-Formen lösten, (3) das in Frage stehende Wort ein nicht verstandenes Fremdwort ist (wohl der häufigste Fall). Beispiele für Volks-E. gibt es in großer Zahl. Die Aufdeckung des Einzelfalles führt gewöhnlich tief in die histoire du mot (S. 25 und S. 280f.) hinein. Hier können nur in aller Kürze einige Beispiele zur Veranschaulichung der genannten Typen gegeben werden: 230

(1)

Nhd. Wetterleuchten < mhd. weter leich , Blitz4; -leich = mhd. leich < ahd. leihh ,Tanz, Spiel1 (s. S. 167 und 212). Mit der im Mhd. vor sich gehenden Bedeutungsverengung von leich auf eine bestimmte literari¬ sche Form, den Leich, wurde weterleich in seinem Zweitglied unver¬ ständlich und in der Zeit vom 15.-17. Jh. immer häufiger in Wetterleucht(en) verändert, das heute fast uneingeschränkt herrscht und, als Nach¬ wirkung der Eindeutung von leuchten seit dem 18. Jh., nur mehr in der heutigen Bedeutung ,Blitze ohne Donner4 verwendet wird. Nhd. Sündflut < mhd. sinvluot, mit „unorganischem“ t-Gleitlaut sintvluot, enthält als Erstglied ahd. sin(a) < idg. *sem- ,eins, in eins, zusammen, ganz, einheitlich4, das auch in Singrün ,Immergrün4 (Vinca minor) und mhd. sinewel ,ganz rund4 in adverbiell erstarrter Form wie¬ derkehrt. Das nicht mehr verständliche sin(t)- wurde im Nhd. in Sündumgedeutet. Nhd. Seehund < mhd. sele (S. 137). Das frühnhd. lautgesetzliche seel(hund) wird durchaus sinnvoll in Seehund umgedeutet (danach: Canis marinus). Das erklärende Grundwort -hund beruht auf dem tertium comparationis des Beilens. (2)

Nhd. Grasmücke (Sylvia hortensis) < mhd. grasemugge < ahd. grasemucca hat, wie die Benennungen des Vogels in den anderen germ. Sprachen zeigen, nichts mit Mücke zu tun. Vorahd. *grasasmukka ,Grasschmieger, Grasschlüpfer4 wurde wohl ,,haplologisch“(?) zu *grasmukka gekürzt und dies, obwohl daneben das Simplex smucken schmie¬ gen4 (Intensivbildung zu smiegen) fortbestand, als Gras-Mücke gedeutet (wohl wegen der Kleinheit des Vogels). Nhd. Einöde < mhd. eincede < eincete < ahd. einöti (neutr. jaStamm), eigentlich Abstraktbildung zu ein-,einsam4 (*ain-ödia-). Nach dem Wirken des Restumlauts (19) wurde die Abstraktbildung nicht mehr verstanden und in mhd. ein-cede umgedeutet. (3) Nhd. Hängematte < nl. hangmat, das volks-e. aus hang-mac gebil¬ det ist. Nl. hang-mac < frz. hamac ,hängende Schlafstelle eines Ma¬ trosen4 < span, hamaca < hamaca, ein Wort der Tainosprache, das ,die Hängebetten der Eingeborenen von Santo Domingo4 bezeichnet. Nhd. bigott (im 18. Jh. auch mask. Substantiv) und Bigotterie stam¬ men aus frz. bigote ,Mann von übertriebener Frömmigkeit4 (zum Neben¬ einander von Subst. und Adj. vgl. nhd. pedant und Pedant). Das frz. Wort geht als BahuvrihI auf span, (hombre de) bigote ,Mann mit Kne¬ belbart4 -» ,Mann von ernster Gesinnung4 zurück. Die nhd. Schreibung zeigt die Eindeutung von Gott. Nhd. Liebstöckel (Ligusticum levisticum) < mhd. liebstuckel, das paronymisch aus ahd. lubestecco umgedeutet ist. Hier wirkte die Volks231

E. zwiefach: lat. -sticum, -stica > ahd. stecco ,Stecken1 wegen des kräftigen Blütenschafts und ahd. lube- > mhd. lieb- wegen der vermeint¬ lich aphrodisierenden Wirkung der Pflanze. Nhd. Vatermörder ,steifer Hemdkragen mit langen Spitzen1 ist Lehn¬ übersetzung (S. 237) von frz. parricide ,Vatermörder1, das volks-e. Umdeutung der älteren Scherzbezeichnung parasite ,Parasit, Mitesser' ist. Die Bezeichnung erfolgte nach der für die Kragenspitzen bestehen¬ den Gefahr, bestimmte Speisen „mitzuessen“. Hier liegt einer der gar nicht so häufigen Fälle anscheinend sinnloser paronymischer Verän¬ derung vor. Nhd. aufdonnern ,sich übertrieben herausputzen' wurde bei der Bil¬ dung an donnern angelehnt. Dahinter steht aber plattd. Dünner ,Dame' < italien. donna. Die synchronische E. findet sich wie erwähnt auch in anderen idg. (und nicht-idg.) Sprachen: lat. accipiter ,Habicht' < *öku-petr- (S. 129) ,Schnellflieger' unter Eindeutung von accipere ,(Beute) aufnehmend'. Das Sauerkraut wurde im 18. Jh. zusammen mit seiner alem. Bezeich¬ nung sü(r)chrüt von den Franzosen übernommen. Das Bestimmungs¬ wort wurde volks-e. > chou ,Kohl‘ umgedeutet, das Grundwort > croüte ,Kruste, Rinde', so daß sich frz. choucroute ,Sauerkraut' ergab. Frz. parasite > parricide (s. oben). 8 Die Volks-E. führt oft zu Aitiologien (S. 37ff.), die dann ihrer¬ seits in einer Art Kettenreaktion neue Lexeme entstehen lassen können: der Ohrwurm heißt auch Ohrkneiper (frz. perce-oreille), weil der gegabelte Schwanz an die Form des Züngleins erinnerte, mit dem früher die Goldschmiede die Ohrläppchen zum Einhängen der Ohrringe durch¬ bohrten. Diese Benennung zog die Vorstellung nach sich, daß der Ohr¬ wurm in das Ohr krieche, das Trommelfell durchlöchere und sich im inneren Ohr verstecke. Das führte zu dial. Benennungen wie schweizerdt. Ohregrübel, bair.-österr. Ohrenschliefer. Nicht immer ist die Volks-E. erfolgreich, den Stein des Anstoßes zu beseitigen. Manchmal überdauert gerade der erklärungsbedürftige Wortteil, und die Veränderung beschränkt sich auf das, was ohnehin klar war: 9

Nhd. Efeu, auch Epheu geschrieben, ist durch am Gr. orientierte Gebildetenaussprache von ph als [f] aus mhd. ebe-höu, ep-höu entstan¬ den. Dies < ahd. eba-hewi, das seinerseits Ergebnis der Eindeutung von hewi ,Heu‘ ist. Die älteste Form ist ahd. ebah, das nicht sicher geklärt ist, aber von manchen als ,Kletterer' zu lat. ibex,Steinbock' gestellt wird. 232

Wie immer dem sei, man hat zunächst das Wort in eb-ah segmentiert, -ah mit dem in Pflanzennamen häufigen Kollektivsuffix -ahi (< -ahia-; S. 156) gleichgesetzt und später durch hewi ersetzt. Die sonst übliche Vorgangsweise der synchronischen E. hätte zur Veränderung des er¬ führen müssen.

233

XIV

Etymologie und sprachliche Interferenz I

Vorbemerkung: Unter Interferenz wird hier das Ergebnis sprachlicher Kontakte verstan¬ den, das in der Übernahme sprachlicher Zeichen und/oder Bedeutungen besteht. Dabei kann es sich um fremdsprachliche Kontakte handeln, also Lehn¬ beziehungen zu Fremdsprachen (s. unten), es können inner-dt. dial. Ausgleichs¬ erscheinungen sein (S. 262f.), als Interferenz kann sich aber auch inner-dt. soziolektaler Ausgleich ergeben (S. 264fF.). Sprachliche Übernahme (Entleh¬ nung) aller Art wird heute oft Transferenz genannt.

1

Lehnbeziehungen zu Fremdsprachen:

Man kann zwischen Übernahme (a) eines fremden Semems zu¬ sammen mit der fremdsprachlichen Realisierung seines Bedeutungs¬ trägers und (b) der Übernahme nur des Semems unterscheiden. Während (a) zu nicht motivierten Morphemen führt, ergeben sich durch (b) motivierte Bildungen.

2

Die Transferenz autonomer und abhängiger fremdsprachlicher Morpheme kann im Dt. und Vordt. Entlehnungen ergeben, die ganz verschieden weit integriert sind. La. gilt natürlich, daß die Integration älterer Übernahmen weiter fortgeschritten ist als die jüngerer, weil die Sprache ein ihr fremdes Element im Laufe der Zeit immer mehr ihrem eigenen Habitus angleicht, indem sie es z.B. in den Lautwandel einbe¬ zieht. Aber natürlich sind keineswegs alle Entlehnungen gleich leicht integrierbar. Nhd. Mathematik, im 15. Jh. aus gr.-lat. (ars) mathematica entlehnt, ist dem allgemeinen Sprachempfmden nach sicher viel weniger integriert als das im 19. Jh. aus dem Ne. entlehnte Sport. 2.1 Je nach Stadium der Integration unterscheidet man meist zwischen Fremd- und Lehnwort. Während das Fremdwort (auch -suffix) in seiner fremdsprachlichen Form erhalten ist, hat sich das Lehn¬ wort (Lehnsuffix) dem phonologischen und phonetischen System der entlehnenden Sprache an geglichen, so daß es nicht mehr ohne e. Überlegung als Fremdling erkannt werden kann. Alle Lehnwörter sind einmal Fremdwörter gewesen. Zum Fremdwort ist zu bedenken, daß es gewöhnlich immer schon - in der Intonation sehr stark, in der Lautform mitunter beträchtlich - der entlehnenden Sprache angepaßt wird. Wir empfinden alle nhd. Journal und Pension als Fremd¬ wörter, obwohl die meisten Sprecher in Journal das anlautende [3] durch [J] ersetzen (Lautersatz, Lautsubstitution) und bei [pä'sjö] die Vokale nicht nasalie234

ren, sondern nach der Schrift [pen'sjoin] oder mit Lautersatz [paqg'sjom] sagen. Bei Journal ist außerdem das frz. mask. Genus durch dt. Neutr. ersetzt.

Die Fremdwörter, die natürlich nicht weniger zum dt. Wortschatz ge¬ hören wie die Erbwörter (!), haben am Wortschatz einen recht beachtli¬ chen und sich immer vergrößernden Anteil. In Heyses Fremdwörter¬ buch (x61908) finden sich gegen 70 000 fremde Bildungen, der Fremd¬ wort-Duden von 1966 umfaßte über 45 000 Stichworte (darunter viele aus Fachsprachen, aber z.B. bei weitem nicht alle in diesem Einfüh¬ rungsband gebrauchten Termini!). Der fachsprachliche Anteil an der Gegenwartssprache ist sehr hoch (S. 265f.). Der gesamte nhd. Wort¬ schatz (inkl. Fremdwörter, Fehnwörter und „innere Entlehnungen“ [S. 237f.], aber ohne Fachtermini) wird gegenwärtig von der Duden¬ redaktion auf 300 000-500 000 Wörter geschätzt. Über die Zahl der Lehnwörter und „inneren Entlehnungen“ scheint es keine Schätzung zu geben. 2.2 Fremdwörter werden oft durch Volks-E. verändert (S. 229ff.). Oft geschehen allerdings auch Veränderungen ohne erkennbare Ein¬ deutung (die zur Volks-E. führen würde), aber auch ohne das Wort schon so weit zu integrieren, daß es zum Lehnwort würde: Während z. B. lat. advocätus mit Aphärese (Deglutination) mit. vocätus > ahd.fogät, fogat > mhd. vogfejt, voit > nhd. Vogt ergab, das wohl die meisten als Lehnwort bezeichnen werden, erscheint nhd.-schriftsprachl. Advokat in bair. Dialekten als [atfi'ka:t] und nhd. Chauffeur als [fa'feir]; frz. bleumourant ,mattblau1 > nhd. umgangssprachl. blümerant ,schwindlig1. Solche „entstellte“ Formen werden wohl noch als Fremdwörter empfun¬ den, sie könnten sich jedoch, wenn sie nicht von der Schriftsprache daran gehindert würden, zu Lehnwörtern entwickeln. 2.3 Es kommt vor, daß ein und dasselbe Morphem mehr als einmal (zu verschiedenen Zeitpunkten oder/und auf verschiedenen Wegen) über¬ nommen wird. In den roman. Sprachen, die ja auf das Lat. zurückgehen, ist dies oft der Fall, nämlich dann, wenn außer dem lautgesetzlich entwickelten vlt. Etymon noch ein dem Lat. näherstehendes Wort ver¬ wandter Bedeutung existiert, das dann auf späterer Entlehnung des gleichen Etymons beruht (Doubletten): frz. loyal rechtschaffen, treu1 < vlt. legälis neben frz. legal ,gesetzlich1 < lat. legälis, als späte Entlehnung der Rechtssprache. Im Dt. kann ein genau vergleichbarer Fall (mit sekundärer Entlehnung aus dem Urgerm.!) natürlich nicht auftreten. Aber Doppelentlehnungen aus Sprachen, die nicht genetische Vorstufen des Dt. sind, gibt es immerhin; zweimal wurde lat. tegula entlehnt: in vorahd. Zeit lat. tegula ,Dachziegel1 > ahd. ziagal (mit Diphthongierung von e2 [16]; S. 246f.) > mhd., nhd. ziegel, in ahd. Zeit 235

lat. tegula ,Tiegel1, eine Nebenform zu tegula, > ahd., mhd. tegel, tigel (7) > nhd. Tiegel; lat. ordinäre > mit. ordinäre > ahd. ordinon > mhd. ordenen > nhd. ordnen; aber später ordinäre > mhd. ordenieren > nhd. ordinieren', nhd. Pferch < mhd. pherrich ,Einfriedung' < ahd. pherrich < mit. pcirricus ,eingeschlossener Raum' > frz. parc (> ne. park) > nhd. Park', nhd. Pfalz < mhd. phalenze, phalz < ahd. pfalanza < vlt. palantia < lat. pcdätium ,Königshof' > afrz. palais > mhd. palas(t) ,Wohnhaus der Burg' > nhd. Palast, frz. palais > nhd. Palais (dreifache Entlehnung desselben Wortes!). 2.4 Transferenz eines Morphems aus einer Sprache oder Sprachfamilie A in die Fremdsprache B und Rückentlehnung desselben Morphems in A fand bei nicht wenigen roman. Wörtern statt, vor allem, die aus dem Frk. ins Afrz. kamen und sekundär nunmehr als frz. Fremdwörter ins Dt. zurückentlehnt wurden: urgerm. *uardö (> ahd. warta > mhd., nhd. Warte) > westfrk. *warda > frz. garde > nhd. Garde', urgerm. *rauba-(> ahd. roub > nhd. Raub) bildete einen westfrk. fern. o-Stamm *rauba ,(geraubtes) Kleidungsstück' > frz. robe > nhd. Robe (zusam¬ men mit dem vorigen: nhd. Garde-robe); urgerm. *uarnian- ,sich mit etwas versehen' (> mhd. wem > nhd. wehren) > frz. garnir > nhd. garnieren', westfrk. *laubja ,Faube' (: mhd. loube > nhd. Laube) > frz. löge > nhd. Loge (dazu frz. loger > nhd. logieren), frz. löge (> ne. lodge ,Häuschen') > italien. loggia > nhd. Loggia. Ähnliche Entlehnungen gibt es auch aus dem Fgb. > Italien. > Dt. 2.5 Man kann beobachten, daß nicht alle semantischen Bereiche des Wortschatzes für Transferenz gleich anfällig sind. Nicht um¬ sonst läßt sich die Verwandtschaft der idg. Sprachen gerade am Wort für ,Vater' (und den anderen Verwandtschaftsnamen), an Körperteil¬ namen, am Zahlwort, an Pronomina und bestimmten Verben, wie etwa für ,sein‘, am sinnfälligsten vor Augen führen. Solche Teile des Wort¬ schatzes, die weder zur Neuerung durch das spracheigene Wortmaterial noch zur Entlehnung aus einer anderen Sprache tendieren, gelten als besonders beharrsamer Grundwortschatz. Die Methode der Glottochronologie meinte sogar, aus dem statistisch bestimmten Alter¬ tümlichkeitsgrad eines gegebenen Grundwortschatzes, der - onomasiologisch (S. 273 ff'.) festgelegt - zum Universale erhoben wurde, das ungefähre Datum der Ausgliederung einer Sprache errech¬ nen zu können. Die Verläßlichkeit der giottochronologischen Methode wird heute stark bezweifelt. Aber selbst wenn sie verläßlich wäre, so wäre sie es nur im statistischen Sinn, im Einzelfall können wir nicht a priori von einem zu etymologisierenden Morphem sagen, daß es deshalb kein Lw. sein könne, weil es seiner Bedeutung nach zum Grundwort236

schätz gehöre. Gerade das beharrsame Vater-Wort zeigt dies deutlich: selbst dieses scheinbar so konstante Morphem wird einzelsprachlich gelegentlich durch Neubildungen ersetzt, seien es nun kindersprachliche Bildungen wie kymr. tad (< urkelt. *tatos) oder got. atta, die die ererbten Vaternamen verdrängten, oder Entlehnungen wie nhd. Papa < frz. papa. Gerade die Verwandtschaftsnamen zeigen im Nhd. eine selt¬ same, mit Veränderungen der Sozialstruktur zusammenhängende Varia¬ bilität: Ersetzung von Base in der alten Bedeutung ,Vaterschwester' und Muhme durch Tante (< frz. tante), Vetter in der Bedeutung Water¬ bruder' und Oheim durch Onkel (< frz. oncle) usw. Als Prinzip kann gelten: die Annahme, ein semantisch zum Grundwortschatz gehöriges Morphem sei entlehnt, sollte zwar besonders sorgfältig abgesichert sein, ist aber nicht von vorneherein unmöglich. 3 Die Übernahme eines Semems unter Bildung motivierter, ei¬ gensprachlicher Äquivalente heißt „innere Entlehnung“ . Bei ihrer Darstellung sind die Operatoren > und < in dem Sinne, wie wir sie bisher verwendeten (S. 21), strenggenommen unzulässig. Da aber in der Regel zwischen dem fremdsprachlichen Vorbild und dem bei der inneren Entlehnung neugebildeten Wortkörper so wenig formale Ge¬ meinsamkeiten zu bestehen pflegen, daß niemand an genetische Her¬ leitung der Wortkörper im üblichen Sinne denken wird, scheint es zulässig, die Operatoren beizubehalten. > heißt also etwa: „ergibt als Ergebnis innerer Entlehnung“ und <: „geht als innere Entlehnung zurück auf“. Folgende Typen innerer Entlehnung lassen sich unter¬ scheiden: 3.1 Lehnübersetzung: das fremde Morphem wird in die Mut¬ tersprache übersetzt: lat. dies lünae > vorahd. * menin- daga- > ahd. mänatac > mhd. mäntac > nhd. Montag, lat. regnum caelorum > ahd. himilrih ,Himmelreich', lat. misericordia > got. armahairtipa, ahd. armiherzida ,Barmherzigkeit'; afrz. Chevalier > mnl. riddere > mhd. ritter (mit mechanischer, nachträglicher „Verhochdeutschung“ dd > tt\ daneben kommt auch das traditionelle Lexem riter ,Reiter' mit Lehnbe¬ deutung (s.u. § 3.3) ,Ritter' vor, gr.-lat. diametrus > mhd. dyameter (Fremdwort!) > nhd. Durchmesser (Lehnübersetzung); ne. free mason > frz. franc-magon > nhd. Freimaurer, ne. voting cattle > nhd. Stimm¬ vieh; ne. television > nhd. Fernsehen. 3.2 Lehnübertragung: Teilweise Übersetzung des fremden Morphems: lat. communio > ahd. kemeinsami (mit strengahd. g > k [40] im Präfix ga- [S. 186]) Gemeinschaft; Abendmahl' > mhd. gemein¬ same (das Präfix in der üblichen Form! Anderer Dialekt, vgl. S. 104) 237

Gemeinschaft, Gemeinde1; gr.-lat. bibliotheca > ahd. buohfaz; lat. purgatorium > mhd. vegeviur > nhd. Feg(e)feuer; lat. ovarium > frühnhd. eierstock', lat. pcieninsula > nhd. Halbinsel; gr.-lat. geographia > nhd. Erdkunde (Erdbeschreibung ist Lehnübersetzung!); ne. sky-scraper Gim¬ melskratzer1 > nhd. Wolkenkratzer. 3.3 Bedeutungsentlehnung: Das Ergebnis, die Lehnbedeutung, kommt durch Übernahme eines fremden Semems für ein schon bestehendes Morphem der eigenen Sprache zustande: lat. creator > ahd. sceffcint ,Schöpfer1, lat. senior, prior ,der Ältere (ehrende Be¬ zeichnung)4 > ahd. heriro, heroro, eigentlich ,der Hehrere1 <- ,der Ältere4, mhd. her (re) > nhd. Herr; lat. regula > ahd. rehtung, rihtunga, eigentlich ein Rechtsterminus; lat. confessio > ahd. plgiht > mhd. bihte > nhd. Beicht(e) (zum ahd. p-Anlaut, S. 104), ahd. pigiht dürfte ursprünglich die Aussage des Angeklagten vor Gericht gewesen sein; nhd. schneiden ,jemanden absichtlich übersehen4 < ne. cut ,dass.4. Um Bedeutungsentlehnung annehmen zu können, muß natürlich das einheimi¬ sche Lexem schon vor dem angenommenen Transferenzvorgang nachweisbar oder wahrscheinlich zu machen sein (z.B. ahd. sceffant ist reguläres Part. Präs, von sceffan ,schaffen4, rihtunga auch sonst ein Wort des germ. Rechts, etwa ,Urteil\ usw.). Für ältere Sprachperioden ist dies oft sehr schwierig.

3.4 Lehnschöpfung: Das Ergebnis, das Ersatzwort, kommt durch Bildung eines neuen Lexems in der eigenen Sprache, aber nicht durch Übersetzung des fremden zustande: nhd. beeinträchtigen als Neubildung nach Eintracht (Fachterminus der Weberei) in der sächs. Kanzlei < lat.-dt. präjudizieren; frz. milieu > dän. omverden ,Umwelt4 (Lehnschöpfung) > nhd. Umwelt (Lehnübersetzung); frz. neglige .der Nachlässige, Saloppe4 —► .Hauskleid4 > nhd. Morgenrock; gr.-lat. Neu¬ bildung (Kunstwort) Automobil > nhd. Kraftwagen. Lehnschöpfungen sind vor allem in der jüngeren Zeit häufig oder jedenfalls leichter nach¬ zuweisen. Auch die Neubildungen (Neologismen), die durch Sprachreiniger (= Lehnübersetzung für Sprachpurist) zur Vermeidung von Fremdwörtern geschaffen werden, gehören oft hieher, z.B. Fahrkarte < dt. Billet < frz. billet u.v.a. Auch dial. und sondersprachliche Mor¬ pheme können nach diesem Verfahren (durch motivierte) ersetzt wer¬ den: bair. dial. Kar > Geröllhalde, alem. dial. Klinge > Gießbach u.a.

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Was die innere Entlehnung und die Entlehnung von Fremdwörtern betrifft, so scheint jedenfalls in den germ. Sprachen zwischen beiden Kategorien das Verhältnis der umgekehrten Pro¬ portionalität zu bestehen: je weniger Fremdwörter eine Sprache entlehnt, desto mehr innere Entlehnungen entstehen in ihr und umge238

kehrt. Das Ne. bildet ein Extrem: es hat im Laufe seiner Geschich¬ te eine solche Fülle von vor allem (normannisch-)frz. und lat. Wörtern übernommen, daß auf Grund eines ne. Wörterbuchs in bezug auf die Lexik (Wortschatz) kaum mehr von einer „germ. Sprache“ gesprochen werden kann. Freilich ändert sich das Bild sofort, wenn wir die Frequenz der Lexeme mitberücksichtigen, denn gerade die häufigsten Wörter (Pronomina, Präpositionen, starke Verba) sind germ. Herkunft. Im gesprochenen Ne. wird man auch eher to begin und to Start (: nhd. stürzen) gebrauchen als to commence (< frz. commencer). Das andere Extrem bildet das Nisi., das beinahe überhaupt keine Fremdwörter und Lehnwörter kennt, aber mit einer außerordentlichen Fülle von in¬ neren Entlehnungen aller Kategorien arbeitet: z.B. nisl. gleraugnsmiöur ,Optiker‘, eigentlich ,Glasaugen-(= Brillen-)Schmied' ist Lehnschöp¬ fung. Nisi, rafmagn ,Elektrizität4, eigentlich ,Bernstein-Kraft' ist Lehn¬ übertragung (: gr. r^exipov ,Bernstein'). Nisi, rafvirki ,Elektro-Monteur', eigentlich ,Bernstein-Wirker', ist wohl Lehnübersetzung. Die übri¬ gen skandinavischen Sprachen und das Dt. nehmen eine Mittelstellung ein, wobei Dän. und Schw. sehr viele Entlehnungen aus dem Dt. oder über dt. Vermittlung vorgenommen haben.

5

Die Zahl der Entlehnungen aller Arten ins Dt. ist sehr groß. Man hat darauf hingewiesen, daß ein so harmloser Satz wie „Meine Vaterstadt (< lat. patria; Lehnübertragung) liegt in einer malerischen (< italien. pittoresco\ Lehnübertragung) Landschaft (< frz. contree ,Gegend'; Lehnschöpfung)...“, bereits drei innere Entlehnungen ent¬ hält, von den offensichtlichen Fremdwörtern in einem Zeitungsartikel oder wissenschaftlichen Text gar nicht zu reden.

6 Natürlich sind auch aus dem Dt. Entlehnungen in andere Sprachen gedrungen: ne. kindergarten, Weltanschauung, rucksack, hootsle < nhd. Hutzel,Dörrbirnen', ablaut u.v.a.; frz. vasistas .Fenster-, Lüftungsklappe, Guckfenster' < nhd. was ist das?, vidrecome ,großes Trinkglas, das beim Ausbringen der Gesundheit die Runde macht' < nhd. Wiederkomml, mhd. biwache ,Feldwache' > frz. biouac (> nhd. Biwak\ Rückentlehnung!), frz. fleischwurst und einige andere aus dem modernen Dt. Die Hauptmasse der dt. Lehnwörter im Frz. (und auch im Italien.) wurde im frühen MA übernommen. I.a. sind die dt. Fremd¬ wörter und sonstigen Entlehnungen in andere Sprachen für die dt. E. belanglos, außer dann, wenn sie ein sonst nicht mehr zugängliches Sprachstadium repräsentieren (urgerm. Lehnwörter im Finn.; S. 255), wenn sie die Sprachformen sonst ausgestorbener germ. Dialekte be¬ zeugen (westfrk. im Frz., lgb. im Italien., got. im Italien., Span., Portug. 239

usw.) oder wenn sich in ihnen die Form der Aussprache zum Zeitpunkt der Entlehnung erhalten hat (mhd. im Slov. und Ung.; S. 255). 7

Zu Transferenzen kommt es auf folgende Weise: (1) als Substrat: Eine herrschende Schicht entlehnt aus der Sprache der politisch unterlegenen Sprachträger. (2) als Superstrat: Die politisch unterlegenen Sprachträger ent¬ lehnen aus der Sprache der herrschenden Schicht. (3) als Adstrat: Die Entlehnung kommt durch nachbarliche Be¬ rührung ohne ausgesprochen politische Abhängigkeit zustande. Ihre Intensität hängt jedoch gewöhnlich vom Prestige der Nachbarn ab. (4) als Entlehnung aus lebenden Sprachen, mit denen kein unmittelbarer Kontakt besteht. Die Transferenzen gehen über vermittelnde Zwischenträger. Ein Extremfall sind die sog. Wander¬ wörter, die so kosmopolitisch sind, daß sich sogar manchmal die Ursprungssprache nicht mehr sicher feststellen läßt. Diese vier Möglichkeiten setzen ein gewisses Maß an Zweisprachigkeit - in (4) nur bei den Erstentlehnern - voraus. Die gebende Sprache ist eine lebende Sprache. (5) Im Zusammenhang mit Neuerungen ideologischer Art wie z. B. Mission, Übernahme von Philosophien und als Bildungsentleh¬ nungen vor allem aus den toten Sprachen, deren Wortgut auch für Neubildungen in Wissenschaft (z.B. Medizin) und Technik verwandt wird. Anmerkung zu (1), (2) und (3): Die Entscheidung, ob Substrat. Superstrat oder Adstrat vorliegt, kann nur auf Grund historischen Wissens getroffen werden. Über den Grad der vorausgesetzten politischen Abhängigkeit läßt sich streiten. Die Dominanz der USA in West- und die der UdSSR in Osteuropa reicht nach üblichem linguistischen Sprachgebrauch nicht aus, die massenhaften engl.-ame¬ rikanischen bzw. russ. Transferenzen in die Sprachen der dominierten Staaten als Superstrat zu bezeichnen. Überhaupt besteht aus politischen Gründen die Neigung, für die Neuzeit auf die Begriffe Substrat und Superstrat zu verzichten; vor vierzig Jahren hat man wohl unbedenklich die slaw. Lw. im Dt. als Substrat eingestuft. - Im übrigen ist man geneigt, politische Überlegenheit mit kultureller und zivilisatorischer zu verbinden, wenn man selbst zur herrschenden Schicht gehört, bzw. den Zusammenhang zu leugnen, wenn man Mitglied der unterlege¬ nen Schicht ist; schon aus diesem Grund verbietet sich für historisch noch einigermaßen relevante Ereignisse die Verwendung der Begriffe Sub- und Super¬ strat.

8 Substratwörter finden sich fast überall im dt. Sprachgebiet, am häufigsten in ON und F1N, andere Morpheme finden sich vor240

wiegend in dial. Geltung. Die Namenkunde, der ein eigener Band dieser Reihe gewidmet ist, braucht hier nur gestreift zu werden. 8.1 Die älteste Schicht bilden Gewässernamen, die historische Umwälzungen wie Wanderungen, soziale Revolutionen usw. am besten zu überdauern scheinen (auch heute kann man eher Chemnitz durch Karl-Marx-Stadt ersetzen als die Elbe umbenennen!). H. Krähe glaubte aus den F1N zwischen Skandinavien und Süditalien, zwischen dem Baltikum und Irland ein Substrat herausheben zu können, das zwar der Herkunft nach idg., aber durch die Vorliebe für bestimmte „Ge¬ wässer-Wurzeln“ und charakteristische Suffixe („Leitsuffixe“ wie Leitfossilien) vom allgemeinen Idg. abgehoben sei. Nur die Balkanhalb¬ insel und die südliche Pyrenäenhalbinsel fallen heraus. Krähe nannte diese Substratsprache „alteuropäisch“. Im Zuge dieser Beobachtung begann eine systematische Erforschung der „alteuropäischen Hydronymie“, die reiches onomastisches (= Namens-) Material ergab. Es hat sich jedoch später gezeigt, daß die gleichen Lexeme und Leitsuffixe auch in Asien, z.B. in ind. F1N, begegnen; und da das „Alteuropäische“ kaum durch spezifische Lautwandlungen vom vor¬ ausgehenden Ur-Idg. abgehoben werden kann, folgte aus dieser Entdekkung, daß das Alteuropäische als linguistischer Begriff kaum tragfähig sein könne, sondern daß es vielmehr mit dem Idg. selbst eins sei. Dabei ist auch damit zu rechnen, daß die Gewässerbezeichnungen z.T. in appellativischer Geltung auf Gewässer in neuen Siedlungsge¬ bieten übertragen werden können (das ist vor allem wichtig, wenn die E. als Hilfswissenschaft der Ur- und Frühgeschichte zur Feststellung von Siedlungsbewegungen herangezogen wird). Der F1N Drau geht auf *Dravos (> lat. Dravus) zurück und gehört nach übereinstimmender Meinung aller Etymologen zu idg. *dreu/drou,laufen1 (ai. drävati ,läuft1). Die Wurzel kehrt z.B. wieder (mit ver¬ schiedenen, aber für F1N charakteristischen Suffixen) in: Trave (Trave¬ münde), in den frz. F1N la Drance, Drouance, Durance, im Namen des Drawen in England, in der pommerischen Drawa und dem Bachnamen Drawe in Ostpreußen. Das Gewässernamensuffix -ant-, das z. B. in la Drance steckt, ist aber nun keineswegs auf den Raum der alteuropäi¬ schen Hydronymie beschränkt, sondern findet sich auch in den ost¬ preußischen F1N Drawantia und Drawanta und auch im ai. F1N Dravanti. Es erweist sich damit als das idg. Suffix des Part. präs. (S. 160), das in F1N, die den Fluß als Raufenden1 bezeichnen, vorkommt, aber eben keineswegs darauf beschränkt ist und auch kein alteuropäisches Leitsuffix sein kann.

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8.2 Greifbarer sind alpenländische Substrate, deren älteste Schichten noch vorrömisch sind. Die Mehrzahl der Forscher hält die älteste Substratschicht auch für vorkelt., manche nennen sie ligurisch (über dessen Verhältnis zum Idg. man sich nicht im klaren ist), manche halten sie sogar für vor idg. und vergleichen das nichtidg. Baskische in den Pyrenäen. Beispiele für die einzelnen Substrat¬ schichten in den Alpen: Vorkelt.: nhd. Gemse (< mhd. gamfejz < ahd. *gamuz), das zu spätlat. camox, italien. camozza, span, camuza, katalan. gamussa, frz. chamois, rätoroman. chamotsch gehört. Anschluß an eine idg. Wz. ist nicht gefunden. Dem gleichen Substrat gehört vielleicht auch lat. ibex ,Steinbock‘ (S. 232) an. Nhd. Lawine (der Akzent ist nur schriftsprach¬ lich; die dt. Dialekte betonen immer die erste Silbe) mit vielen Nebenfor¬ men wie Lahn, Läuen usw. geht auf die roman. Grundform spätlat. labina zurück, das in *lavanca, *lavinca erweitert vorliegt (> frz. lavanche oder [durch volks-e. Veränderung im vermittelnden Provenzal.] avalanche). Das -n/r-Suffix gilt in solchen vorroman. Wörtern als (ligurisches?) Leitsuffix. Nhd. Brente ,auf dem Rücken getragene ovale Butte; Kübel mit ovalem Grundriß4 < spätmhd. brente strahlt weit nach Norden in die Weinbaugebiete aus und geht auf ein nicht näher be¬ stimmbares *brenta zurück. Kelt.: Nhd. Senn(er) < mhd. senncere zu ahd. senno hat in den roman. Alpendialekten Gegenstücke, die auf kelt. *sanion-,Melker4 weisen. Die Wurzel idg. *spn- hat in urgerm. *span- (aVo) ,Zitze, Brustwarze4 eine Entsprechung (> mhd. spen, starkes Fern., ,Brust; Muttermilch4, dazu nhd. Spanferkel ,noch saugendes Ferkel4). Roman.: Nhd. Föhn < mhd. voenne (fern.) < ahd. phönno < vlt. faönius < lat. favönius ,warmer Frühjahrswind; lauer Westwind'. Wir können an diesen und einer ganzen Reihe anderer Morpheme die komplexe Sprachsituation in den Alpen ablesen. Verschieden alte Schichten liegen hier übereinander: über einer vondg.(?)-ligurischen(?) eine kelt., darüber eine ro¬ man., darüber in den Ostalpen stellenweise eine slaw. (S. 251 f.) und darüber als jüngste die germ. (dt.) Schicht in einer Kontinuität von etwa drei Jahrtausenden. Es ist auch leicht verständlich, daß jede neue Besiedelung für die bodenständigen „Sachen“ (Tiere, Pflanzen, ON, Naturereignisse, Geräte und Termini der al¬ pinen Wirtschaft) die schon vorhandenen Namen übernommen hat. Auch die - früher - schwierige Verkehrssituation ergab den stark konservativen Zug der alpenländischen Sprachen und Dialekte.

Die bodenständigen Berg-N und ON sind z.T. übernommen (Tauern; Teriolum [wohl ON der ältesten Substratschicht] > nhd. Zirl [mit 2. LV] und > nhd. Tirol [ohne 2. LV]), nicht selten aber auch, solange Zwei¬ sprachigkeit bestand, „übersetzt44 (Lehnübersetzungen, Lehnüber242

tragungen): z.B. Tobwald, der Name mehrerer Gebirgswälder in den Kantonen Bern und Wallis. Die frz. Bezeichnung dieser Tobwälder ist les Noires Joux. Die Differenz kommt dadurch zustande, daß diese Gegenden gall. *dubos ,schwarz‘, *iüris ,Wald", also ,Schwarz-Wald" hießen und daß bei den germ. Sprachträgern gall. *iüris (das auch im Gebirgs-Namen Jura steckt) übersetzt wurde, während *dubos mit a-Umlaut und 2. LV als Tob- erscheint, die roman. Bevölkerung aber genau umgekehrt verfuhr. Als Kuriosität ist dann noch der „erklärende"" ON Dubenschwarz zu erwähnen. 8.3 „Nordwestblock“ hat Hans Kuhn ein von ihm vermutetes Substrat in Nordwestdeutschland (dem heutigen Westfalen und besonders zwischen Ems und Weser) und einem Teil der Niederlan¬ de (nicht aber an der friesischen Nordseeküste) genannt, dessen sprachli¬ che Relikte im wesentlichen dadurch gekennzeichnet sind, daß sie weder kelt. noch germ. Sprachmerkmale zeigen; z.T. handelt es sich dabei um Morpheme, die man früher als „illyr.“ einstufte. Es wurde erwähnt, daß idg. b sehr selten gewesen sein muß und im Anlaut so gut wie völlig gefehlt hat (S. 74, § 7). Da idg. b- > germ. p- (34), dürfte es eigentlich kaum germ. Lexeme mit /?-Anlaut (bzw. hd. Lexeme mit pfAnlaut [40]) geben. Das trifft aber nicht zu. Nun sind zwar viele der mit pf- anlautenden Lexeme Entlehnungen aus dem Lat., in dem idg. p- ja erhalten blieb (S. 82), wie z.B. lat. porta > mhd. phorze (im ON Pforz¬ heim), aber nicht alle Lälle lassen sich so erklären (z.B. nhd., mhd. pflegen, dazu Pflug, Pflicht, ne. play ,spiel(en)‘, plough ,Pflug", plighl feierliche Verpflichtung" stammen sicher nicht aus dem Lat.). Es gibt nicht viele Lälle dieser Art im Hd., aber je weiter wir im dt. Sprachraum nach Nordwesten gehen, desto zahlreicher werden sie. Im Nd. (aus dem auch nhd. Morpheme mit /^-Anlaut stammen [48]), im NI., Lries., aber auch im Engl, ist die Zahl der mit p- anlautenden Morpheme relativ sehr hoch, und auch das Skandinavische hat Anteil. Das betrifft die nicht ortsgebundenen Appellative und Verben. Bei den stabileren ON zeigt sich jedoch eine bemerkenswerte Häufung der /»-Anlaute im vor¬ her genannten Gebiet des „Nordwestblocks“. Daraus hat Kuhn abge¬ leitet, daß hier Reste einer zwar idg., aber nicht germ. Bevölkerung greifbar werden, die aber auch nicht kelt. gesprochen haben kann, weil ja idg. p- im Kelt. überhaupt schwand. Nun ist allerdings im /?-Kelt. (gall.; S. 58) idg. kv > kelt. p geworden, und daher muß die Annahme des nicht-kelt. und nicht-germ. Nordwestblocks ganz auf der Einsichtigkeit der e. Verbindung der Lexeme mit /»-Anlaut und idg. mit p- (nicht mit k^-) anlautenden Wzn. beruhen. Viele dieser e. Verbindungen gewin¬ nen nur dadurch Überzeugungskraft, daß es eben keine überzeugen243

deren Anschlußmöglichkeiten an das (nur sehr mangelhaft belegte) Gail, gibt. Nach Kuhn blieb die Sprachgemeinschaft des Nordwestblocks konservativ bei der idg. Lautform, von Kelten und Germanen gleicher¬ weise getrennt. Als die Germanen in dem Gebiet Fuß faßten, war die 1. LV schon vorüber, und sie übernahmen die bodenständigen /^-Wörter von der zum Substrat hinuntergedrückten Bevölkerung. Als Indiz für das Substrat gilt auch, daß viele der /»-Lexeme einer niederen Be¬ deutungssphäre (denotativ und konnotativ) angehören. Am überzeugendsten sind wohl jene Fälle, in denen das Nordwest¬ block-Wort in den anderen germ. Dialekten ein lautverschobenes Ety¬ mon zur Seite hat, weil hier die Argumentation nicht allein an dem oft zweifelhaften idg. Anschluß hängt, z. B.: mnl.

palmen ,fassen1 : aisl. fälma ,greifen1, ahd. folma ,Hand' : lat. palma ,flache Hand‘;

mnd. palt ,Lappen4 : aisl. faldr ,Kopfputz4, feldr ,Mantel4; nd. (ostfries.)pink ,kleiner Finger4 (dazu nd. > nhd. umgangssprachl. pinkeln ,urinieren4) : nhd. Finger, ne. finger : idg. *penk^e ,54; mnd. pors ,Gagelstrauch4 (Myrica gale) : ne. furze .Stechginster4 : gr. Tiuppö«;, 7iupaö<; .feuerrot4; nd. prüsten .schnauben4 : schw. frusta .dass.4; nd. purten : nhd .furzen : gr. 7i8pSopai .dass.4; nd. pesel,Penis4 : mhd. vesel .dass.4 : ai. pasah .dass.4; nd. püt(e) .feminal4 : nhd. Fut. Bei den letzten drei Morphemen könnte freilich auch kindersprachliche Entstel¬ lung wie bei Titte und Tuttel (S. 196), möglicherweise auch tabuistische Entstel¬ lung (S. 223) vorliegen.

Als Kronzeuge für Gewässer- und ON gilt der unerklärte N Pader(born), zuerst in der Form Patra und Pathera bezeugt (9. Jh.), den Kuhn nach dem Verfahren der „alteuropäischen Hydronymie44 zu Padus ,Po4 stellt; auch hier gibt es lautverschobene Entsprechungen wie Feder¬ see (9. Jh.) in Schwaben und Federwrt (9. Jh.; heute Feerwerd) in Fries¬ land. Aber das Nebeneinander von d (Padus) und as. t/u t (Patra, Pathera) macht doch Schwierigkeiten. Außerdem ist in letzter Zeit ein mnd. dial. paderkerse .Brunnenkresse4 aufgetaucht, so daß es aussieht, als wäre Pader ein (freilich wieder mit p- anlautendes) Appellativ .Brun¬ nen4, dessen Vorkommen als F1N für die räumliche Festlegung des Nordwestblocks keinen Aussagewert hätte. Paderborn wäre ein tautologischer Übersetzungsname wie Dubenschwarz (S. 243). Auch Leitsuf¬ fixe wurden für den Nordwestblock festgestellt. Das schon erwähnte „ungerm.44 ika/aka/uka-Sufüx (S. 156), das heute noch in der Kurz244

namenbildung eine wichtige Rolle spielt {Hauke, Frauke, Heike, Eike...), kommt dafür besonders in Frage. Die Annahme des Nordwestblocks verliert an Überzeugungskraft durch die z.T. zweifelhaften e. Verbindungen, auf denen sie ruht, z.T. auch deshalb, weil nicht immer die ältesten Belege der F1N und ON herangezogen wurden. Derzeit wächst die Skepsis gegenüber der Nordwestblock-These, deren archäologischer Nachweis versucht wurde, aber nicht entscheidend gelang. Dennoch bleibt die Auffälligkeit der ^-Anlaute und des k-Suffixes, wenn auch die räumliche Abgren¬ zung des Nordwestblockgebietes sowie die Intensität und Art des Substratein¬ flusses noch auszudiskutieren ist.

8.4 Roman. Substrat wird etwa mit dem 4. Jh. n. Chr. in den römisch besiedelten Gebieten Germaniens greifbar (S. 247). Wie lange es dauerte, bis die roman. Bevölkerung in der germ. und dann dt. aufging, ist von Landschaft zu Landschaft sehr verschieden. Für das Moselgebiet rechnen manche mit einer Kontinuität der roman. Sprache bis ins hohe MA. Bei dem Großteil dieser Substratwörter handelt es sich um nur dial. gültige Entlehnungen, die Th. Frings in dem klassi¬ schen Werk „Germania Romana“ erörtert hat. Auf Grund der Substrat¬ wörter ergeben sich bestimmte, sprachgeographisch abgrenzbare Räu¬ me. Die Entlehnungen sind mit jenen, die im Zuge der Missionierung und Diözesanbildung zustande kamen, eng verzahnt. Eine Darstellung dieser sehr komplizierten Verhältnisse wird man in den Bänden „Dialek¬ tologie“ und „Deutsche Wortgeschichte I“ vorfinden. 9 Das Superstrat spielt im Germ, (und Dt.) nur eine geringe Rolle. Das erklärt sich historisch aus der Tatsache, daß die Ger¬ manen, als sie im Zuge der Völkerwanderung das zerbröckelnde Im¬ perium Romanum überzogen, überall die Oberschicht bildeten. So ist es bei den Vandalen, Goten, Burgundern, Langobarden, Angelsachsen und Franken. So ergaben sich Superstratwörter germ. Herkunft in den Spra¬ chen der einheimischen Bevölkerung (Romanen, auf den Britischen Inseln Kelten) und Substrateinflüsse auf das Germ., die natürlich nur dort faßbar sind, wo das Germ, nicht von der bodenständigen Sprache verdrängt wurde (wie im roman. Gebiet). Nur dort, wo Germanen selbst unter die politische Herrschaft anderer kamen, aber diese überdauerten und ihre Sprache beibehielten, kann es Super¬ stratwörter geben. Das ist nach der normannischen Invasion Eng¬ lands der Fall, der das Engl, die starke Überfremdung mit frz. Wörtern verdankt. Für das Dt. kommt wohl nur die Römerherrschaft im römisch besetzten Germanien, also der Nordteil der Germania Superior mit den Agri decumates, die Germania Inferior und ein Teil der Belgica in Frage, und auch hier nur die älteste Schicht der sehr zahlreichen Transferenzen 245

aus dem Lat.; Lehnübersetzungen, wie die der lat. Wochentagsnamen, und die Übernahme der lat. Bezeichnung für die Griechen (lat. Graeci > urgerm. *kre2k- [Anlaut k ist wohl germ. Lautersatz für lat. [g]. Da germ. g- im Anlaut den Lautwert [y] hatte, kam es für die Wiedergabe von lat. [g] nicht in Frage] > got. Krekos, ahd. kriah(h)i [PI.]) und den Kaiser (< urgerm. *kaisar < lat. Caesar) wären auch als Adstratwirkung im Zuge von Handel und Verkehr zwischen Provinzen und dem freien Germanien denkbar. 9.1 Aber die vielen anderen Entlehnungen, vor allem für Wörter, die den Steinbau und die Weinkultur betreffen, müssen wohl an Ort und ’ Stelle ihrer Verwendung übernommen worden sein. Nhd. Beispiele die¬ ser frühen Entlehnungen sind: (a) Bauwesen: Estrich < vlt. astricum, Fenster < fenestra, Kalk < calc-, Kammer < camera, Keller < cellärium, Mauer < mürus, Pfahl < pälum, Pfeiler < pilärium, mhd. phorze < porta (nhd. Pforte ist Kontaminationsform von phorze x porte < porta), Pfosten < postis, Pfütze (ursprünglich ,Brunnen1) < puteus, Schindel < scindula, Söller < sölärium, Straße < (via) sträta, Wall < vallum, Ziegel < tegula. (b) Gartenkultur und Weinbau: impfen .veredeln' < imputäre, pfrop¬ fen < propägäre, Kicher(erbse) < cicer, Kirsche < cerasum. Pflaume < prünus, Pfirsich < persicum, Rettich < rädic- (rädix ,Wurzel1), Senf < sinäp-, Pflanze < planta, Minze < mentha, Winzer < vmitor, Wein < vinum, Most < mustum, Kufe < *cöpa, Essig < *atecum, metathetisch für acetum > schweizerdt. achiss, echiss, Becher < vlt. bicärium. (c) Tiernamen: Esel < *asilus (als Kontamination von asinus x asellus) Katze < catta, Pfau < pävo, Pferd < „lat.“ paraveredus (< gr.gall. Mischbildung napa-ue-redos[red- < idg. *reidh- > urgerm. *ndan,reiten‘]) ,Bei-Pferd (im römischen Postwesen)1. (d) Lebensstandard (Kleidung, Wohnung, Speisen): Flaum, älter Pflaum < plüma, Spiegel < speculum, mhd. zabel .Spielbrett' < tabula, Tisch < discus, Kessel < catillus, Küche < coquina, Pfanne < vlt. panna. (e) Handel und Verkehr: kaufen < cauponäri, Meile < milia, Pfand und Pfund < ponclus, Münze < moneta, Riemen .Ruder' < remus, Unze < üncia, Zins vlt. (germanisiert

246

durch Initialakzent!) *möneta > *münitö (53.6) (Lautersatz urgerm. u für lat. o, weil in der Zeit des ö-Umlautes [= vor dessen Phonematisierung] germ. o nur vor a, 5, ahd. munizza ['mynisa] (6) > mhd. münze (Ausfall des Mittelvokals; [ns] > [nts]; Schreibung des Restumlauts; Abschwächung der Endung). 9.2

Zum Lautgeschichtlichen sei noch bemerkt, daß die angeführten

Lww. die 2. LV mitgemacht haben, sofern sie davon betroffene Kon¬ sonanten enthalten. Wir beobachten, daß lat. c auch vor hellen Vokalen zur Zeit der Entlehnung noch den Lautwert [k] hatte (Kicher- < cicer). Unser Unze und Zins zeigen die ab dem 5./6. Jh. gültige Aussprache von lat. c (S. 82). Das bedeutet aber nicht, daß diese Wörter erst so spät übernommen wurden, denn es handelt sich um derart wichtige Begriffe des Handels- und Steuerwesens, daß ihre Übernahme wohl ganz an den Beginn des röm.-germ. Kontaktes zu setzen ist. Diese Morpheme wur¬ den vielmehr sekundär der herrschenden mit. Lautform angepaßt. Für das Alter der Entlehnung von Zins spricht e > i vor N + K (4); vgl. auch Minze. Lat. e ergibt urgerm. e2 (Spiegel, Riemen...). Lat. o war eher geschlossen [o] (nicht [o]!); vgl. italien. cucina, frz. cuisine. Lat. (via) sträta muß nicht erst im 4. Jh. (wegen urgerm. e, > a [14]) entlehnt sein, sondern kann sich auch der stets gebrauchten lat. Form angepaßt haben. Diese wenigen Beispiele mögen veranschaulichen, daß die Beurteilung von Entlehnungen eine gewisse Umsicht erfordert. Im Auge zu behalten sind: die Chronologie der Lautgesetze in der gebenden und nehmenden Sprache, die Erschließung der Lautformen auch in der gebenden Sprache mittels Rekon¬ struktion der Ausgangsform in der nehmenden (s. *möneta) und mittels Ver¬ gleich (frz. cuisine), phonologische und phonetische Argumente, der Sachbereich der Entlehnung (Arealnorm [S. 279] und etymologie organique [S. 278]). Be¬ sonders wichtig scheint es mir, daß sich der Etymologe möglichst konkrete Vorstellungen zum Entlehnvorgang zu machen versucht, z. B.: „Kann man es sich vorstellen, daß die Germanen jahrhundertelang die gepflasterten römischen Heerstraßen sahen, ohne das Wort sträta zu gebrauchen?“ Sicher nicht! Wenn vor dem 4. Jh. kein ä vor t vorhanden war, sondern erst dann aus ei entstand, so ist Lautersatz anzunehmen: entweder urgerm. *streitö (e/ war ein sehr offener Laut und konnte sich zur Wiedergabe von [a:] als [ae:] eignen), vielleicht auch *strötö (auch urgerm. ö [< idg. ä] wird damals vielleicht noch [o:], nicht [o:] gewesen sein). Da aber die vlt. Lautung sträta weiterhin im Gebrauch blieb, wurde die Lautersatz-Form nach dem 4. Jh. durch die dem Lat. nähere Form *strätö ersetzt. Nicht zuletzt möge man auch bedenken, daß die Zeitangaben für das Entstehen der Lautgesetze nur sehr ungefähr und (notgedrungen wegen Belegmangel) zu pauschal sind: wenn sich im Dekumatland im 4. Jh. ä herausge¬ bildet hat, dann muß das nicht besagen, daß es am Niederrhein und in anderen Sozialschichten nicht auch wesentlich früher oder später hätte geschehen kön¬ nen... 247

Nach dem 4. Jh. kann man kaum mehr von einem römischen Superstrat im politischen Sinn sprechen. 10

Adstra twirkungen kommen überall dort zustande, wo Nach¬

barschaft zu anderen Sprachen besteht. Kulturelle

Überlegen¬

heit und höheres Prestige fördern die Entlehnfreudigkeit, sind aber keineswegs ihre Voraussetzung. I.a. gilt die Regel, daß die Trans¬ ferenzen in der gleichen Richtung wie das Kulturgefalle verlaufen. Die ältesten Adstratentlehnungen der Germanen fallen in die Zeit der 1. LV (sind also sicher vorchristlich), deren Datierung im übrigen schwankt (S. 99) und unter anderem auf eben diesen Entlehnungen beruht. 10.1

Entlehnungen aus dem Kelt. ins Germ, sind die ältesten.

Sie deuten auf Kulturkontakte, in denen die Kelten als die Gebenden erscheinen. Die Entlehnungen finden sich in den Bereichen der Sozial¬ ordnung (des Rechtes) und des Handwerks (vor allem der Metallurgie). (a) Sozialordnung (Recht): Die Kelten treten uns bei den antiken Autoren als ein Volk mit „ritterli¬ cher“, „feudaladeliger“, „gefolgschaftlicher“ Sozialstruktur entgegen. Viele Historiker nehmen an, daß die germ. Gefolgschaft sich dem kelti¬ schen Vorbild verdankt. Kelt. *dünos (neutr. es/os-Stamm) ,Burg‘ -> ,Stadt' (latinisiert in vielen ON erhalten, z. B. gall. Lug-dünum ,Stadt des Gottes Lugus' > frz. Lyon) ist wohl in der Bedeutung ,Einfriedung; eingefriedeter Platz' (vgl. S. 213 f. zu Garten) ins Germ, übernommen worden > urgerm. *tüna (mit 1. LV!) > ahd., mhd. zün > nhd. Zaun (der Genuswechsel neutr. —* mask. ergab sich vielleicht durch Assoziation von *garda: .Einfriedung, eingefriedeter Platz'). In ne. town ,Stadt' ist die kelt. Bedeutung erhalten, ebenso in aisl. tun, das auch Neutr. ist. Gail. Sego-dünum (Name meh¬ rerer Orte in England, Frankreich und Deutschland) entspricht dem anord. ON Sigtünl Die idg. Wz. *dheu- ,Erhebung im Gelände, An¬ häufung' lebt weiter in nd. düne, nl. duin [dy:n], die kontaminiert als nhd. Düne entlehnt werden. Kelt. *riks (mit Primärberührung < idg. *reg'-s ,König' > lat. rex, reg-is ,König') begegnet in vielen gall. PN (z. B. Ver-cingeto-rix u.a.). Da idg. e > nord- und westgerm. ä, müßte idg. *reg'- z.B. ahd. als + rähherscheinen. Statt dessen gibt es nur rihh(e) ,Reich; reich'; -rieh in PN wie Heinrich, Friedrich...', das nur auf urgerm. *reik- oder *rik- zurückge¬ hen kann. Beides ist mit *reg- unvereinbar (auch ablautmäßig). Da Kelt. die einzige Sprache ist, in der idg. e als f erscheint und das Wort *rig- in einer Vielzahl von Belegen für die Zeit der germ.-kelt. Kultur248

kontakte bezeugt ist, scheint es sicher, daß urgerm. *rik- aus dem Kelt. entlehnt ist. Im übrigen hat das Kelt. auch für nhd. Reich, reich < urgerm. *rlkia- < kelt. *rTgio- in ON wie Ico-rigium (zwischen Köln und Trier) eine genaue Entsprechung. Vermutlich bezeichnete urgerm. *riks < kelt. *riks nicht den aus Geblütsadel stammenden Sakralkönig, son¬ dern den auf Grund kriegerischer Leistungen aufgestiegenen König, wie er dann in der Völkerwanderungszeit bei den expansiven Stämmen oft in Erscheinung tritt. Kelt. *amb-aktos (< idg. *mbhi-ag’-tos), eigentlich ,der Herumge¬ schickte4, > gall. ambactus bezeichnet den um den Gefolgsherren, den rix, befindlichen Gefolgsmann. Kelt. *ambaktos > urgerm. *ambahtaz (kt > ht wird noch verschoben, die Verschiebung b > p scheint aber vorbei zu sein) > ahd. ampaht, ambaht ,Diener4. Dazu der neutr. jaStamm ahd. ambahti > mhd. ambe(h)t > nhd. Amt. (b) Handwerk (Metallurgie): Kelt. *lsarno- (mit ungeklärter E.) > urgerm. *isarn > ahd. isarn > nhd. eisern (nhd. Eisen < urgerm. *isanä), mit ehemaliger Endbetonung ergibt sich (VG) ne. iron. Manche Forscher glaub(t)en an Entlehnung aus dem „Illyr.“, da sie in den Illyriern die Träger der Hallstattkultur sahen (S. 57). Angesichts des zurechtgerückten Illyrierbegriffs ist je¬ doch Entlehnung aus dem Kelt. das Wahrscheinlichste. Dafür spricht auch der hohe Stand der keltischen Eisenverhüttung. Kelt. *Tsarno ist durch gall. PN und ON wie Isarnoduros ,Eisentor = Eisenburg4 oder ,Feste des Isarnos4 und auch in den neueren kelt. Sprachen reich bezeugt. Kelt. *brunniä ,Brust4 liegt air. bruinne ,Brust4 zugrunde und geht letztlich auf idg. *bhrus-n-iä zurück (S zu idg. *bhreus- ,schwellen; Brust4, das mit t-Suffix nhd. Brust ergab). Da nur im Kelt. sn > nn, ist es wahrscheinlich, daß got. brunjo, ahd. brunia > mhd. brünne > nhd. Brünne ,Harnisch für Hals und Brust4 auf kelt. *brunniä ,Brust4 zurück¬ geht. Allerdings ist die Bedeutung ,Brünne4 nicht nachweisbar; sie wäre aber Voraussetzung für die Entlehnungshypothese, denn warum sollte man den Namen eines Körperteils entlehnen? Daß Kleidungsstücke nach den Körperteilen, die sie bekleiden, benannt sind, läßt sich oft beobachten: z.B. nhd. (Hosenjbeine, (Frack)brust, nhd. Mieder (< mhd. müeder, das ursprünglich den weiblichen Bauch bezeichnet, aber von muoter ,Mutter4 abgeleitet ist, wie lat. mätrix ,Mutterleib; Gebär¬ mutter4, gr. pijxpa ,Gebärmutter") u.a. Kelt. Eisenbrünnen (Kettenpan¬ zer) sind archäologisch nachgewiesen. Kelt. *loudiom ,das (leicht) Flie¬ ßende4 (zu idg. *pleud/ploud-,fließen4; idg. p- > -; S. 243) > mir. luaide ,Blei4. Aus kelt. *loud- ist wohl urgerm. *lauda- (> ags. lead ,Blei4) > ahd., mhd. löt > nhd. Lot,gießbares Metall; gegossenes Metallgewicht4 249

entlehnt. Die Verwendung des Bleis, das Schweißen, aber auch das Weichlöten war den Kelten bekannt. Daß die Germanen die Kelten, die der mediterranen Welt näher standen, als zivilisatorisch überlegen empfanden, muß angenommen werden. Selbst die Rö¬ mer, denen sie in der Metalltechnik nichts zu bieten hatten, haben von den Kelten Bezeichnungen des Wagenbaus übernommen. Aber auch als kriegeri¬ sches und stark expandierendes Volk haben sie die Germanen beeindruckt (vgl. die Übernahmen im Rechts- und Gefolgschaftswesen). Darüber hinausgehende Übereinstimmungen in Religion und Namenschatz zwischen Kelten und Ger¬ manen gehen aber eher auf gemeinsame idg. Vorformen und auf das heroische Kriegerideal der beiden einander in vielen Punkten ähnlichen Völker zurück. Für die Annahme eines kelt. Superstrats, von dem die historischen Quellen nichts wissen, reichen sie jedenfalls nicht aus. 10.2 Entlehnungen aus dem Thrak., das mehrfach mit dem Germ, in Berührung kam, haben wahrscheinlich stattgefunden und betreffen z.B. vielleicht die Reiterei. Doch ist hier noch so wenig gesichert, daß es in diesem Zusammenhang nicht dargestellt werden soll. 10.3 Entlehnungen aus dem Balt. und Slaw. sind für das Alter¬ tum nicht gesichert. Die Transferenzen sind eher in die umge¬ kehrte Richtung gegangen. Seit dem MA jedoch hat das Dt. auch aus dem Slaw. entlehnt. Freilich haben viele der Lehnwörter nur dial. Verwendung in jenen Gebieten gefunden, in denen Slawen und Deutsche unmittelbar nebeneinander und zusammen lebten. Der Name der Slawen, selbst e. nicht gedeutet, urslaw. *slovenitib, PI. *slovene, gab über byzantinische Vermittlung (mgr. PI. IxXaßr|voj) > mit. Sclaveni ,Slawen1. Die mgr. Neubildung axA.aßo<; nahm vor dem 8. Jh. die Bedeutung .unfreier Slawe' -► .Sklave' an. Mit. sclavus (> italien. schiavo, afrz. esclaf, ne. slave) wurde als mhd. s(k)lave .Sklave' entlehnt. Dahinter steht wohl der Sklavenhandel mit gefangenen Slawen bis ins hohe MA. Bei der Entlehnung slaw. Wörter fallen zwei große Sachgruppen besonders auf: (a) Lexeme aus dem bäuerlichen Umkreis, die auch meist kleine Wildtiere, Pflanzen- und besonders Pilznamen umfas¬ sen, (b) Lexeme aus dem Lederhandwerk und der Kürschnerei. Da in den slaw. Sprachen die Appellativa unmittelbarer als im Germ. FN bilden, die dem Leser geläufig sein könnten, füge ich sie, soweit vorhanden, in der in Wien gängigen cech. oder slowak. Form bei. (a) Bäuerliches: nhd. Gurke, dessen viele Dialektvarianten aus dem Westslaw. stammen (poln. ogörek, cech. okurka); PN Okurka, Vokurka, Wogurka; 250

nhd. Kren Meerrettich" < mhd. ehren, kren < aksl. chrenb; Kren, Krenek;

nhd. Quark < spätmhd. twarc, quarc < russ. tvarogb; Tvaroh, Twaroch; bair. dial. Jause ,Vesperbrot, Zwischenmahlzeit, Brotzeit" < mhd. jüs(en) < slov. jüzina Mittagessen"; nhd. Robot (er), eigentlich ,Fronarbeit(er)‘ < mhd. robcit(e), robolt, rowolt < poln., cech. robota ,Zwangsarbeit" < aksl. rabota ,Knechtsarbeit"; PN Robotka; nhd. Jauche < poln., wend. jucha; nhd. Peitsche < spätmhd. pitsche < sorbisch bic; nhd. Schöps ,Hammel" < mhd. schöp(e)tz < aksl. skopbeb Verschnit¬ tener"; PN Skopec, nhd. Trappe < mhd. trap(pe), der Name des plumpen Vogels dient auch als Schimpfwort für Bauer, < cech. drop\ nhd. Zeisig < mhd. zisic < cech. cizek; PN Ciz, Czisch, Csysek; nhd. Zieselmaus < mhd. ziselmüs < cech. sysel; PN Sysel, Sisl; nhd. Bilch ,Haselmaus, Siebenschläfer" < mhd. bilch < ahd. bilih < aksl. *pilchb', PN Plc Ir, nhd. Preiselbeere < mhd. *briuzelber < cech. bruslina; nhd. Reizker,Pilzart (Lactarius deliciosusY < cech. ryzec ,der Rötliche". (b) Leder und Pelz: nhd. Kürschner < mhd. kürsencere zu kürsen ,Pelzwerk" < aksl. kbrzno ,Pelz" (Entlehnung vor dem 9. Jh.); nhd. Zobel sibirischer Marder" < mhd. zobel ,Zobel; die schwarze Farbe in der Heraldik" < russ. söbol' (nach 600 n. Chr.); PN Sobol, Soboläk; nhd. Nerz < spätmhd. nörz < aksl. norbeb ,Taucher";

nhd. Juchten < poln. jucht, cech. juchta; nhd. Saffian < poln. safian. Nicht einzuordnen sind in diese Gruppen z.B.: nhd. Grenze < mhd. greniz(e), granizze < poln., russ. granica in dial. Lautform; nhd. Krawatte enthält den Namen der Kroaten in dialektaler Lautform und bezeichnet eigentlich ein „Halstuch auf kroatische Art“, wie es die kroatischen Reiter trugen (nhd. Krawatte < frz. cravatte < nhd. [dial.] Krawat). Das ehemals stärker nach Westen vorgeschobene slaw. Siedlungsgebiet hat seine Spuren in vielen Gewässer-, Gelände- und ON im österreichischen Raum hinterlassen. Als westlichster Punkt gilt Aßling im Pustertal (slov. Jesenice ,Eschenbachdorf"), weitere Beispiele sind: 251

ON Schladming (: slov. Slajmica ,Fallbach‘), Semmering (< Semernik zu slov. cemer ,Nießwurz; weißer Germer'); besonders interessant ist der ON Raabs a.d. Thaya (Niederösterreich), der auf den ahd. PN Rätgöz, in „strengahd.“ Form Rätköz, zurückgeht. Der karolingerzeitliche Grenzposten galt den Slawen pars pro toto für die südliche Mark, und so heißt heute noch Österreich nach jenem Rätköz im Cech. Rakouz. 10.4 Die roman. Sprachen umschließen den dt. Sprachraum im Süden und Westen. Sie haben bis vor ganz kurzer Zeit am nach¬ haltigsten unter den lebenden Sprachen auf das Dt. eingewirkt. Erst in jüngster Zeit läuft ihnen das Ne. den Rang ab. Neben vielen Tausenden von Wörtern hat das Dt. aber auch eine ganze Anzahl gebundener Morpheme aus roman. Sprachen bezogen (S. 169fT.). Natürlich werden Affixe nicht als solche entlehnt, sondern nur im Zu¬ sammenhang mit ganzen Wörtern. Wenn aber eine gewisse Häufigkeits¬ schwelle überschritten wird, können sie in der entlehnenden Sprache produktiv (S. 124) werden. Ein solcher Fall liegt bei dem Suffix -ieren vor (S. 185), mit dem eine ganze Anzahl von Verben auch von dt. Wzn. abgeleitet wurden: mhd. wandelieren ,wandeln, variieren1, nhd. grun¬ dieren, hofieren, halbieren, sinnieren, schattieren, stolzieren, irrlichtelieren..., oder bei -ist (< frz. -iste) in Hornist, Harfenist..., oder bei -ismus

(latinisiertes frz. -isme) in Trotzkismus, Arbeitsfanatismus... Entlehnungen autonomer Morpheme fanden schon im MA statt. Dabei handelte es sich v.a. um Begriffe der höfischen Kultur. Manche davon sind nicht direkt aus Frankreich entlehnt, sondern wur¬ den im nfrk. Sprachgebiet (Flandern) mittels innerer Entlehnung über¬ nommen, und diese flandrischen Bezeichnungen gelangten dann ins Mhd.: mhd. ritter (S. 237); afrz. vilains .Bauer“ —> .ungebildeter Kerl' > mnl. dorpere (Lehnübersetzung) > mhd. dörper, törpel (mit Teilverhochdeutschung und Dissimilation) > nhd. Tölpel (mit Assimilation), das hd. Erbwort liegt in nhd. Dorf (< urgerm. *forpa-) vor; nhd., mhd. tanzen (verhochdeutschte Form) von mnl. dansen < afrz. danser, das selbst sicher germ. Herkunft ist, wenn auch über die E. noch keine volle Einigkeit besteht; nhd. hübsch < mhd. hüb(e)sch, hüvesch, höfesch ist Ableitung von mhd. hof, hoves .Hof', also .höfisch', und den mnl. Ableitungen hovesch, hoofsch, hoosch, huefsch usw. von hof(hoof) nach¬ gebildet. Dies aber wieder beruht als Lehnübersetzung auf afrz. cortois ,höfisch', von cor/,Hof'(< vlt. cohorte Abi. Sg. ,Hofraum' = co-hort-; zu hortus S. 213) abgeleitet. Afrz. cortois, courtois ist aber auch direkt als Fremdwort > mhd. kurteis übernommen worden. Viele weitere Belege aus dem Bereich der höfischen Kultur und des verfeinerten gesellschaftlichen Lebens ließen sich hier anfüh252

ren: z.B. nett, kokett, charmant, brillant, Malice, Intrigue... Ein Wort wie nhd. adrett (früher adroitt geschrieben) muß vor der Französischen Revolution entlehnt worden sein, weil es die vorrevolutionäre Ausspra¬ che des oi als [we] voraussetzt, die in der dt. Aussprache und Schreibung konserviert ist, während das zugrundeliegende frz. adroit ,geschickt, gewandt1 heute [a'drwa] gesprochen wird (analog bei nhd. Oboe < frz. hautbois, eig. ,hochklingendes Holzblasinstrument]4 und schon im MA courtois > mhd. kurteis). Weitere Belege finden sich zahlreich in den einschlägigen Abschnitten der Dar¬ stellungen der Deutschen Wortgeschichte. Vor allem die jüngeren Entlehnungen sind für unser heutiges Sprachgefühl noch durchaus als Fremdwörter erkennbar. Daneben und später finden sich auch Entlehnungen aus vielen anderen Berei¬ chen, wie z.B. Mode, Kochkunst, Technik, Postwesen, Militär (vor allem im 30jährigen Krieg), Literatur, Philosophie. Die Zahl dieser Entlehnungen aller Typen ist so groß, daß sie hier nicht einmal andeutungsweise vorgeführt werden kann.

Das Italien, tritt als Gebersprache erst am Ende des MA.s und am Beginn der Neuzeit stärker hervor. Als Sachbereiche lassen sich besonders herausheben: das Handels- und Finanzwesen {Saldo, brutto, netto, Giro...), das Militärwesen, vor allem im 30jährigen Krieg {Kanone, Spion, Marketender, Kavallerie, Granate) und insbesondere der Bereich der bildenden Kunst, der Architek¬ tur und Musik. Verhältnismäßig wenig wurde aus dem Span, übernommen. Im¬ merhin verdankt ihm das Nhd. so wichtige Wörter wie Eldorado, Gran¬ dezza, Infanterie, Neger, Kreole, Mestize, Silo, Vanille, Siesta und Ziga¬ rette.

10.5 Das Engl, tritt als Gebersprache erst in der Neuzeit stär¬ ker hervor; einerseits durch einen Bildungswortschatz, der in Nationalökonomie, Philosophie und Literatur (z.B. sentimental und sentimentalisch) seinen Schwerpunkt hat, andererseits durch Bezeich¬ nungen für Einrichtungen der Demokratie, wie etwa Par¬ lament < ne. parliament, das selbst aus dem Frz. stammt, aus dem auch mhd. pariament,Besprechung, Verhandlung4 entlehnt ist; im vorigen Jh. lieferte es vor allem Bezeichnungen der (Herren-)Mode und des Sports. All diese Bereiche sind nach wie vor von Bedeutung, aber seit der englischen Industrialisierung kommt eine Fülle technischen Vokabulars ins Dt., und dieses Einströmen verstärkt sich unter dem Einfluß der amerikanischen Technik immer mehr, so daß man heute in bestimmten Branchen, wie der Schwachstromtechnik, von einer fast völlig engl. Terminologie sprechen kann {Receiver, Tuner, Hi-Fi...). 253

Die Sprache des Computers (hier auch Eingabe und Ausgabe als Lehn¬ übertragung von input und output) scheint sich auch in gewissen Wen¬ dungen des Alltags durchzusetzen, etwa wenn ein Sportler seinem Trai¬ ner vorwirft, er hätte ihn nicht richtig programmiert. Auf dem Gebiet der Kunst dringt seit dem Aufkommen des Jazz am Beginn des 20. Jh.s eine Unmenge von vor allem auf die Musik bezogenen engl. Termini in das Dt., die schnell in die Umgangssprache übergehen (Boogie, Swing, Sound, Blues, Feeling, Drive...).

Da sich das Engl, immer mehr zu der internationalen Weltsprache schlechthin entwickelt, wird eine durchgreifende Einwirkung auf den dt. Wortschatz nicht ausbleiben. Bereits jetzt läßt sich in verschiedenen Sparten des Alltagslebens von einer starken Anglisierung des Dt. sprechen, die sich allerdings in der Morpholo¬ gie noch kaum auswirkt. 10.6 Aus dem NI. stammt eine beachtliche Zahl von Trans¬ ferenzen, die keineswegs alle dem Sachgebiet der Schiffahrt und Fischerei entstammen (wie etwa Reeder < mnl. reder ,wer Schiffe auf eigene Rechnung „bt-reiC macht und fahren läßt4 < urgerm. *raida-,fahrbereit4 oder Matjeshering < nnl. maatjesharing < mnl. maeghdekens haerinck ,Mädchenhering4, weil noch nicht voll ausgewachsen). Der Vermittlung der nl. Literatursprache verdanken wir Lehnübersetzungen wie wahrscheinlich (< waarschijnlijk, dies wieder durch frz. vraisemblable, dies durch lat. verisimilis ausgelöst), scheinheilig (< schijnheilig, das allerdings durch Wendungen bei Luther angeregt ist) und liebenswürdig (< liefwaardig, durch frz. aimable angeregt). Ein besonders interessantes Wort ist Mannequin, das über frz. und engl. Vermittlung auf südnl. manekm .Männchen4 zurückgeht und ursprüng¬ lich eine Gliederpuppe zum Gebrauch der bildenden Künstler bezeichnete. Bemerkenswert scheint das neutr. oder mask. Genus im Nhd. trotz des Durchgangs durch das Frz. und der dominierenden Bedeutung .Vorführdame4. 10.7 Sehr wenig hat das Dt. aus den lebenden nord. Sprachen übernommen (schw. knäckebröd ,Knack-Brot4 > Knäckebrot; zu Um¬ welt S. 238). Der Entlehnstrom ging in die umgekehrte Richtung. 10.8 Auch aus den nicht-idg. finno-ugrischen Sprachen wur¬ de nicht viel entlehnt, es sei denn einige Wörter zusammen mit den Sachen (aus dem Finn. Sauna; aus dem Ungar. Gulyäs, Csardas...). Hingegen sind die aus dem Germ, in diese Sprachen gedrungenen Lehn¬ wörter für die germ. Sprachgeschichte von großem Interesse, weil sie in entscheidenden Punkten die zur Entlehnungszeit herrschende Lautform beibehielten. So haben die finn. Entlehnungen aus dem Urgerm. noch 254

die sonst kaum belegte Endung -az der mask. a-Stämme (Nom. Sg.) beibehalten und stammen noch aus der Zeit vor dem Nasalumlaut (4): urgerm. *hrengaz > finn. rengas ,Ring4 (S. 89, 103). Daß diese Entleh¬ nungen ins Finn. noch vor der 1. LY stattfanden, wie öfters gesagt wurde, ist trotz Gleichungen wie urgerm. *felf>a- ,Feld4 < vorgerm. *peltom : finn.pelto ,Feld‘ wegen eines innerfinnischen gesetzmäßigen Lautwech¬ sels („Stufenwechsel“) nicht nachzuweisen. Die ungar. Entlehnungen aus dem Dt. im hohen MA sind u.a. für die Kenntnis der mhd. Ausspra¬ che, etwa von germ. 5 als [z], von Wichtigkeit. 11 Entlehnungen im Zusammenhang mit geistesgeschichtli¬ chen Neuerungen und Bildungsentlehnungen sind im Dt. recht zahlreich. Auch sie sind Gegenstand wortgeschichtlicher Dar¬ stellungen und brauchen hier nur andeutungsweise dargestellt zu wer¬ den: Die älteste Schicht ist die der christlichen Missionierun¬ gen. Im hohen MA hat die Wortbildung der Mystik vor allem den dt. Abstrakta-Wortschatz bereichert. Die nächste größere Neuerung im Wortschatz geht auf Reformation und Humanismus zurück. In der Folgezeit haben alle geistesgeschichtlichen Epochen wie Aufklärung, Klassik, Romantik... bis in das gegenwärtige technische Zeitalter durch charakteristische Entlehnungen aller Typen an der Erweiterung und Adaptierung der Lexik mitgewirkt. Aus der Fülle des Materials wähle ich im folgenden nur ganz wenige typische Beispiele aus: 11.1 Die christliche Missionierung ist in mehreren Etappen vor sich gegangen. Die vermutlich erste Etappe brachte Entlehnungen aus dem Gr., die z.T. in der westgot. Bibelsprache eine Entspre¬ chung haben. Ihre Reflexe leben heute fast nur mehr in bair. Dialekten weiter. Man hat daher an eine got. (arianische) Missionierung vor der fränkischen gedacht, die aber durch die Geschichtswissenschaft nicht abgesichert werden kann. Beispiele für diese erste, gr. orientierte Phase sind: nhd. Pfaffe < ahd. pfaffo ,Kleriker1 (im MA noch ohne die heutige niedere Konnotation) < got. papa (4. Jh.) < gr. nanäq ,Geistlicher4 von nänaq, lat. päpa ,Papst4 deutlich unterschieden; nhd. Pfingsten < mhd. phingeste < got. paintekusten (Akk. Sg.) < gr. 7t£VTTixoGTf|v (ppepav) ,den 50. Tag (nach Ostern)4; bair. dial. Irtag, Ertag ,Dienstag4 < mhd. ertac, erintag < got. *areinsdags, dem gr. ’Apeox; ppepa ,Tag des Ares4 (: lat. dies Martis ,Tag des Mars4 > frz. mar di) nachgebildet; bair. dial. Pfinztag ,Donnerstag4 < mhd. phinztac < got. *painte dags < gr. nt\xnxr\ r]|i8pa ,5. Tag (der Woche)4. Diese und noch andere Beispiele, die alle noch die 2. LV mitgemacht haben (!), sind nicht von der Hand 255

zu weisen, wie immer auch die Historiker die Möglichkeit der gotischen Mission beurteilen. 11.2 Die Entlehnungen der zweiten Missionsphase gehen gewöhnlich vom Lat. aus. Wichtig ist, daß sie die 2. LV nicht mehr mitgemacht haben. Die Missionare dieser Missionswelle haben schon die christlichen Wörter der ersten Welle vorgefunden und auch beibehalten (z.B. nhd. Kirche < ahd. kiricha < spätgr. xuptxa [Nom., Akk. PL] ,das, was zum Herrn gehört1 im Sinn von Baulichkeiten und Gemeinde [Kollektivum] < gr. xupiaxöv ,Herren-4; man rechnet mit Übernahme in konstantinischer Zeit im Trierer Raum). Umstritten ist die Auswirkung der iri¬ schen Mission. Beispiele: Lat. feria > ahd. fir(r)a (37.3) > mhd. vire > nhd. Feier(tag); lat. expensa ,Aufwand4 > vlt. spensa > mit. spesa (Ersatzdehnung) > ahd. spisa > mhd. spise > nhd. Speise; lat. (terra) creta ,gesiebte Erde; Kreide4 (volks-e. mit Kreta verbunden) > mit. creda > ahd. krida > nhd. Kreide. In diesen drei Beispielen erscheint lat. e als ahd. T, während in den Superstratwörtern der ersten römischen Besatzungszeit lat. e > urgerm. e2 ergab. Die Übernahme von lat. e als ahd. T wurde auf ir. Aussprache des Lat. durch die missionierenden Irenmönche zurückge¬ führt. Das bleibt jedoch unsicher. Die einzige sehr deutliche sprachliche Hinterlassenschaft der Iren dürfte nhd. Glocke < mhd. glocke < ahd. glocka < air. clocc ,Glocke4 sein. In Konkurrenz mit der irischen Mission und auf diese folgend trat die angelsächsische des Willi¬ brord, Bonifatius u.a. auf. Da im Zuge der Missionierung ja nur dann Fremdwörter verwendet werden, wenn dies unbedingt nötig ist, und man sich lieber schon vorhandener Wörter (innerer Entlehnungen) bedient, so bewegt sich die Zuordnung zu den einzelnen Missionsphasen mangels lautgeschichtlicher Anhaltspunkte vielfach im Rahmen semantischer Argumentation. Freilich ist der genaue denotative und konnotative Bedeutungsumfang so wichtiger Wörter wie Taufe. Trost. Beichte (S. 238) in vorchristlicher Zeit kaum mehr sicher zu ermitteln, so daß alle auf semanti¬ sche Veränderung gegründete Argumentation mit einem großen Unsicherheits¬ faktor belastet ist. 11.3 Die angeführten Beispiele sollen vor allem die Bedeutung des e. Verfahrens in einem besonderen Punkt demonstrieren. Bei den got. Lww. ist es mit Hilfe der lautgeschichtlichen Rekonstruktion möglich, zwischen dem gr. Ausgangspunkt und dem dt. Lw. eine Brücke zu schlagen, welche eine zusätzliche Information einzubringen scheint, die wir aus der historischen Wissenschaft nicht gewinnen können. Das führt dazu, daß die Historiker nun ihrerseits die E. als Hilfswissenschaft in ihre Methoden der Vergangenheitsforschung einbeziehen. Dabei spielt 256

eine entscheidende Rolle, daß die (hier nicht vollständig aufgezählten) Lww. fast ganz auf den bair. Dialekt beschränkt sind, was sich nicht erklären ließe, wenn diese erste Missionierung ohne got. Vermittlung im Raum von Trier stattgefunden hätte. Bei den sprachlichen Zeugnissen für die irische Mission ist das Umge¬ kehrte der Fall: niemand hätte die Wiedergabe von lat. e durch ahd. T mit den Iren in Verbindung gebracht, wenn man nicht auf Grund des historischen Wissens um die Irenmission nach deren sprachlichen Resten gesucht hätte. Hier wird die historische Wissenschaft zur Hilfswissen¬ schaft der Linguistik und zugleich zum Ärgernis: im Air. bleibt in der Regel e erhalten bzw. wird kombinatorisch über eine Zwischenstufe ea > air. ia (etwa [im]). Das erinnert auffällig an das Geschick des e2 im Ahd. und bedeutet, daß lat. e in air. Aussprache eigentlich prädestiniert gewesen wäre, mit germ. e2 zusammenzufallen. Es gibt aber einige (wenige) Fälle, in denen lat. e im Ir. doch /"ergibt, und der Sprachwissen¬ schaftler hat möglichst ohne Seitenblick auf die historische Bedeutung der irischen Mission im ahd. Raum zu entscheiden, ob sie als Stütze für die Annahme ir. Vermittlung bei den genannten Beispielen ausreichen. So erfreulich die Zusammenarbeit zweier Wissenschaften ist, der Etymo¬ loge wird öfters in Gefahr sein, in das Schlepptau der Geschichtswissen¬ schaft zu kommen und die zuweilen dürren linguistisch verwertbaren Belege in irgendeiner Weise falsch zu bewerten (vgl. S. 289). 12 Es ist selbstverständlich, daß, je mehr wir uns der eigenen Zeit nähern und je reicher die sprachlichen und historischen Quellen fließen, auch die Urteile desto sicherer werden. Bereits für die Wortschatzer¬ weiterung in der Mystik sehen wir viel klarer und können sogar schon den Anteil einzelner Personen ausmachen. Über Humanismus und Re¬ formation wissen wir noch wesentlich mehr. Wir können mit ziemlicher Sicherheit A. Dürers Anteil an der mathematischen Terminologie und M. Luthers Anteil an der Erweiterung des Wortschatzes durch Entleh¬ nung bezeichnen. Was dabei noch im dunkeln bleibt, ist oft durch Forschungslücken und nicht durch die Belegsituation bedingt. Und dies gilt natürlich für die folgenden Epochen im verstärkten Maß. Der ange¬ hende Etymologe, der ja keinesfalls um die Wort- und Bedeutungsge¬ schichte herumkommt, wird gut daran tun, zunächst die einzelnen Kapi¬ tel in den Wortgeschichten durchzusehen, um sich auf diese Weise ein gewisses „Gefühl“ anzueignen, welche Sachbereiche in welchen histori¬ schen Epochen besonders durch Entlehnungen erweitert wurden.

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Entlehnungen ohne unmittelbaren Sprachkontakt mit der Gebersprache hat dem Dt. viele Wörter (aus dem Altägypt., aus semitischen Sprachen, aus dem Pers., Türk., aus ind. Dialekten, aus dem Chines., Japan., aus Südsee- und Indianersprachen) vermittelt. Viele dieser Wörter sind heute Allgemeingut der europäischen Sprachen. Sie sind mit der Verbreitung der Sachen, die sie bezeichnen, gewandert (WanderWörter). Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen: Eines der ältesten ist nhd. Sack, das angeblich aus assyr. sakku ,Sack; Büßergewand1 stammen soll und über das Phönikische, Hebr., Gr., Lat. mit der ältesten Schicht der lat. Lehnwörter ins Germ, gewandert ist, wo es sich über alle Sprachen ausgebreitet hat. Nhd. Gummi < spätmhd. gummi stammt letztlich aus altägyptisch kmj.t und hat sich in der Bedeutung ,harzige Pflanzenausschwitzung4 über gr. xö(ipi, lat. cummi > mit. gummi über ganz Europa (sogar in Island) verbreitet. Nhd. Schokolade geht auf aztek. chocolatl .Kakaogetränk4 zurück. Nach Europa wurde das Wort durch die Spanier gebracht (das Suffix nach Limon-ade). Auch aztek. tomatl > span, tomate hat sich die Welt erobert. Nhd. Tee < frz. the < südchines. dial. te. Das hochchines. tschhä lebt in den slaw. Sprachen und im Orient. Nhd. Schampun, in Österreich Shampoon, heute meist rückanglisiert > Shampoo ist eigentlich Imp. von hindustanisch chhämpnä .massieren4. In England entstand die Bedeutungsverengung .kopfwaschen4 und ,Kopfwaschmittel4. Aus dem Engl, gelangte das Wort in die übrigen europäischen Sprachen. Ein geradezu klassisch internationales Wort ist kaputt. Zu frz. caput (< lat. caput ,Kopf4) .Vorderteil des Schiffes4 bildete man capoter .ken¬ tern4. Aus dem Kartenspiel (zusammen mit den frz. „Farben“-Namen Pik < pique ,Lanze, Spieß4, Treff < treße .Kleeblatt4, Karo < carreau .Kachel4) werden die Ausdrücke für .stechen4 faire (etre) capot > nhd. kaputt machen (sein) als Lehnübersetzungen generalisiert. Kaputt, das wohl weltweit verstanden wird, konnte lange im Dt. nur prädikativ gebraucht werden, erst in jüngster Vergangenheit beginnt adjektivische Verwendung („ein kaputtes Haus44). Bereits seit dem MA haben die europäischen Sprachen eine Reihe von sem. (arab. und hebr.) Lexemen entlehnt. Hier können wir öfters noch zwei Wege der Vermittlung unterscheiden: einen öst¬ lichen, mit Beteiligung des Mgr. und/oder des Mit. (Kreuzzüge) und einen westlichen Weg, entweder über das maurische Spanien, wo ja jahrhundertelange Kulturkontakte mit Arabern bestanden, oder über den Handel im westlichen Mittelmeer. Allerdings ist eine 258

ganze Reihe der (überraschend zahlreichen) Entlehnungen aus dem Arab. selbst nicht arab. Herkunft, sondern nur von den Arabern vermit¬ telt (zu lila S. 215). Die eigentliche Heimat ist dann Iran oder Indien. Als Beispiel für den östlichen Weg kann nhd. Marzipan dienen, das gleichzeitig die bewegte Geschichte solcher Wörter veranschaulicht: In der Kreuzzugszeit nannten die Araber eine byzantinische Münze mit dem thronenden Christus mautabän ,sitzender König1. Auf Zypern er¬ gab sich dann die Bedeutungsentwicklung ,Münze1 -*■ ,Steuer1 -> ali¬ quoter Anteil von etwas1 -> ,Hohlmaß4 -> ,Schachtel1 („Metaphernket¬ te“, S. 220). Die aus Zucker, Mandelmehl und Rosenwasser hergestellte orientalische Süßigkeit wurde in solchen im Venezianischen matapan genannten Schachteln vertrieben. Die italienischen Händler entstellten (vgl. S. 230) das Wort zu marzapane, und so gelangte es anfangs des 16. Jh.s nach Deutschland, wo es durch gelehrte Volksetymologie als Marcipanis ,Markusbrot1 (weil es aus Venedig kam) verstanden und zu Marzipan gekürzt wurde. Auch nhd. Bluse ist letztlich diesen Weg gekommen. Mit. pelusia nannte man blau gefärbte, in der ägyptischen Stadt Pelusium hergestellte Kittel (dies ist wie Kattun ein Wort sem. Ursprungs und gehört zum Namen der Baumwolle, ne. cottonl), die die Kreuzfahrer über der Rü¬ stung trugen. Mit. pelusia ergab afrz. blouse (das noch vor der ne. Diphthongierung ins Engl, kam > ne. blouse [blauz]) > nfrz. blouse. Erst am Beginn des 19. Jh.s kam das frz. Wort ins Dt. Über Spanien und Frankreich hat das Dt. Chemie und Alchemie übernommen. Die Zusammenhänge zwischen älterem Chymie, Chemie und Alchemie sind etwas verwickelt: Wir können daran einige der schon besprochenen Erscheinungen der Wortgeschichte, mit denen der Etymo¬ loge immer zu rechnen hat, beobachten. Zum gr. Verb xs® ,ich gieße' gehört das neutr. Substantiv xüpa (S) ,das Flüssige, Gießbare4, dazu bildete man xupsta ,die Kunst der Legierung von Metallen4, latinisiert chymia (Itazismus) > nhd. Chymie. Mit der Rezeption der gr. Wissen¬ schaft durch die Araber im frühen MA wurde auch der Begriff der XupeTa übernommen und ergab arab. al-kimija , wobei al- der (bestimm¬ te) Artikel ist (wie auch in Albatros, Alkoven, Almanach u.a.). Über span. Vermittlung wurde das arab. Wort mitsamt Artikel (Prosthese, S. 190) als frz. alchimie übernommen und kam am Ende des MAs ins Dt., wo es alchamie, alchemie, alchimey ergab. Mit Beginn der Chemie als moderne Wissenschaft griff man auf das mit. chymia zurück, und da man den Itazismus (S. 78) kannte, hielt man gr. xupeta [ci:'mi:ja] für eine Fehlschreibung von +x'npeta. Daraus entstand um 1720 unser heutiges Chemie. Der inzwischen mit dem Ablaut vertraute Leser wird leicht erkennen, daß in der Wz. *g’heu- ,gieße4 eine Form +ghe- nicht 259

möglich ist. Nhd. Chemie ist also eine hyperkorrekte Form (S. 193 f.) bzw. eine gelehrte Ablautentgleisung (S. 144f.) Die Orange ist in Deutschland seit der Mitte des 14. Jh.s bekannt. Zugrunde liegt ein pers. näräng ,bittere Orange4 (wie sie heute noch für das engl, marmelade verwendet wird), das arab. närandsch > span. naranja [na'ranxa] > italien. arancia (Aphärese [S. 190f.] des n-, das als unbestimmter Artikel [< (u)n’] empfunden wurde) > spätmhd. aranser (PI.) ergab. Span, naranja > frz. orange (mit paronymischer Eindeutung von frz. or ,Gold‘) > nhd. Orange. Das nordd. Apfelsine, dessen Zweit¬ glied an China als Heimat der süßen Orange erinnert, kam auf anderem Weg. Pers. Wörter sind vor allem auch durch Vermittlung des Türk., mit oder ohne Einschaltung des Slaw. als Zwischenträger (wie bei Saffian [S. 251] < pers. sachtijän ,Ziegenleder4 und Juchten [ibid.] < pers. jucht ,ein Paar [Häute]4) zu uns gelangt: nhd. Tulpe < frühnhd. Tulipan (16. Jh.) und seine Gegenstücke italien. tulipano, frz. tulipe, ne. tulip gehen auf pers.-türk, tülbant, tülbent ,Turban' zurück. Die Benennung stammt von europäischen Reisenden, die die Blüte mit einem Turban verglichen. Aus dem Türk, selbst stammen nur verhältnismäßig wenig Wörter: z.B. nhd. Horde (seit Anfang 15. Jh.) durch slaw. Vermittlung < tartarisch-türk. ordu ,Heerlager, Heer4, das dann als Bezeichnung umher¬ ziehender Turkstämme in den Westen kam. Erst im 20. Jh. fand die Entlehnung von türk, yogurt [jo'mrt] > nhd. Joghurt (Aussprache nach der Umschrift durch Orientalisten) statt. Als Beispiel für die extrem komplizierten Lehnverhältnisse, die bei orientalischen Wanderwörtern herrschen können, gebe ich hier die sche¬ matische Darstellung des Entlehnvorganges bei nhd. Ingwer < mhd. gingebere, ingeber, ingewer < ahd. gingibero, gingiber, inguber < afrz. gimgibre < lat. zingiberi, zingiber < gr. ^lyyißepu; < Pali singiverawieder (nach A.S.C. Ross [Bibliographie Nr. 20] 147):

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XV

Etymologie und sprachliche Interferenz II

1 Wenn wir die starke dial. Gliederung und die doch sehr beträchtli¬ chen dial. Verschiedenheiten im dt. Sprachraum im Auge behalten und die Einheitlichkeit der nhd. Schriftsprache dagegenstellen, dann er¬ scheint diese als Ergebnis interdial. Interferenz, auch wenn es nicht üblich ist, etwa nhd. Lehm (S. 81, § 16.4) als ein ostmd. Lw. zu bezeichnen, so wie man etwa ne. veal ,Kalbfleisch' ein afrz. Lehnwort nennen kann. Der Grund ist leicht einzusehen: Afrz. ist eben im Ver¬ gleich zu Me. eine Fremdsprache, Ostmd. im Vergleich zu Nhd. (aber auch zu Bair., Alem. ...) ein Dialekt. Was jedoch als eigene Sprache und was als lediglich dial. Variante einer Sprache gilt, ist nicht nur eine Frage der Verschiedenheit, sondern auch eine der politischen Entscheidung. So ist z.B. heute das NI. als eigene Sprache längst anerkannt, während das Schweizerdt. oder das Südbair. als dt. Dialekte gelten. In den Augen der historischen Sprachwissenschaft relativiert sich die politisch brisante Frage, ob Dialekt oder Sprache. 2 Beim dialektalen Ausgleich, der zur Herausbildung einer nhd. normierten Schriftsprache führte, lassen sich z.T. die gleichen Beobachtungen machen wie bei der fremdsprachlichen Inter¬ ferenz. Auch hier ist das Prestige einer bestimmten (dial.) Sprachform vorauszusetzen, das die Bereitschaft der Sprachträger zur Über¬ nahme ihnen zunächst fremder Dialektformen nach sich zieht. Solche Vorbilder waren in spätmhd. Zeit die großen Höfe, an deren „Kantzleien“ sich „Herrensprachen“ herausbildeten. Johannes von Soest (um 1480) fragt: „Wass ist em hem besser geschrey, dann ein from eersam kantzel(e)y?“ Und jeder Leser von Literaturwerken des 15. und 16. Jh.s wird das starke Eindringen kanzleisprachlicher Wendungen wie z.B. der obgenant, der obgemeldt, der vorgenant (alles innere Entlehnun¬ gen für das supradietus der Urkundensprache) beobachtet haben. Solche Kanzleisprachen bestanden u.a. in Wien, Innsbruck, Prag und für die weitere Entwicklung am bedeutungsvollsten am Wettiner Hof in Meißen. Wenn wir auch heute schon vorlutherische Ausgleichser¬ scheinungen beobachten, so darf dennoch die Bedeutung Luthers mit seiner Bibelübersetzung nicht unterschätzt werden. Es ist ja gezeigt worden, wie selbst die katholischen Bibelübersetzungen, die als Reaktion auf die Lutherbibel in Ulm und anderwärts entstanden, sich im Wortlaut unverkennbar an die Lutherbibel anlehnen. M. Luther, der in Deutschland sehr weit herumgekommen war, hat durch dialektalen Ausgleich seiner Bibel überregionale Geltung zu verschaffen gewußt. 262

Dazu kam noch die mit Missionierung vergleichbare Verbreitung durch den Protestantismus. So geschieht es nicht selten, daß man erst durch e. Vergleich feststellt, daß ein Wort, das man zunächst für obd. gehalten hätte, dem Md. oder gar Nd. angehört. Als Beispiel eines vorlutherischen Ausgleichswortes kann man nhd.fett anfüh¬ ren. Es entspricht anfrk.feitit, ags. fceted {> nt.fat ,fett‘) und weist damit auf urgerm. *faitidaz (Part. Prät. von *faitian- ,mästen4 < idg. *poi-d- ,fett sein4) zurück. Mit dem Übergang urgerm. ai > as. e (15) ergab sich *ßted, das über *ßtt (Synkope und Assimilation des d) > nd. fett, vett ergab. So erscheint es im Raum von Frankfurt a.M. (also auf hd. Gebiet) ca. 50 Jahre vor Luther. Die hd. Entsprechung ergab *faizzit > ahd. feizzit (18) > mhd. veiz(e)t > nhd. feist.

Ein Luther-Wort ist nhd. Lippe. Der Vergleich mit ne. lip zeigt, daß es nd. sein muß. Die hd. Entsprechung, die/enthalten muß, findet sich in ahd. lefs, mask.,Lippe4 (> mhd. lefs(e) > nhd. dial. Lefze). Lippe muß also auf urgerm. *lepi- zurückgehen (37.3), ahd. lefs aber eine alte Bildung mit unerweitertem ^-Suffix (S. 162) sein (urgerm. *leps-). Vor¬ aus liegt idg. *leb-,herunterhängen4, zu dem lat. läbium, läbrum ,Lippe4 gehört (*leb- als Ablautentgleisung [S. 133] der „schweren44 Basis *leb~). Ein md. Luther-Wort ist nhd. alber(n) < mhd. älwcere (S. 175), das für obd. unweise, närrisch gebraucht wird; weitere Beispiele sind: bange ,ängstlich4 < bi ange (Adv. von enge), beben (: mhd. biben; eine redu¬ plizierte Bildung, S. 189) mit nd. Wz.-Vokal (mnd. beven\ historisch gesehen ist es der Vokal der Reduplikationssilbe) und fühlen (< mhd. vüelen), das Luther häufiger verwendet als obd. empfinden. Zum mischsprachlichen Charakter des Nhd. s.o. S. 60, 62. Auch in späterer Zeit haben Ausgleichserscheinungen stattgefunden. Ich meine nicht nur Fälle wie Schnaderhüpfel, Göre usw., bei denen die dial. Herkunft noch allgemein bekannt ist, sondern Fälle wie Polster (S. 163) und Rahm. Letzteres ist die bair. Dialektform (S. 33f.), die älteres nhd. Raum verdrängte. Man weiß zwar aus der Konkurrenz mit dem nördlichen Sahne, daß es sich um ein südd. Wort handelt; daß dieses aber in der dial. Lautform herrschend wurde, ersieht man erst aus dem Vergleich mit der älteren Form.

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XVI

Etymologie und sprachliche Interferenz III

1 Soziale Gruppen sind in der Regel durch soziolektale Erscheinungen gekennzeichnet. Das gilt für Familien, wo vielfach sondersprachliche, oft auf Anekdoten (aitiologisch) zurückgeführte, meist kindersprachli¬ che Sememe und Lexeme kursieren, für Arbeitsgemeinschaften und Berufsgruppen (Sondersprachen, Fachsprachen), für ideolo¬ gisch bestimmte Gruppen wie Parteien und Religionsgemeinschaften, für Altersgruppen und für geschlechtsspezifische Gruppen (z. B. Frauen¬ sprache). Die Familiensoziolekte brauchen uns hier nicht zu be¬ schäftigen, da ihre Besonderheiten kaum jemals zum Allgemeingut wer¬ den und in der Familie selbst die Entstehung des Bedeutungswandels bzw. der Wortbildung (etwa durch einen „putzigen“ Sprechfehler eines Kindes) i.a. tradiert wird. Im Grunde handelt es sich um Zitate, die selten ohne den ursprünglichen Kontextbezug auftreten. Die ge¬ schlechtsspezifischen Soziolekte, die Frauen- und Männerspra¬ chen, sind gleichfalls von sehr geringer Bedeutung, weil sie in den idg. Sprachen verhältnismäßig wenig zu differieren scheinen. Zwar gibt es bezeichnende Unterschiede etwa im Gebrauch von Flüchen, Schimpf¬ wörtern, vielleicht auch in der Syntax, aber all dies ist wenig erforscht bzw. greift nirgends so sehr in den Wandel der Normbedeutung ein (wie etwa die Frauensprache im Japanischen), daß der Etymologe diese Kategorie ernstlich miteinbeziehen müßte. Die übrigen Soziolekte sind allerdings gerade für Semantik und E. von großer Wich¬ tigkeit. Dennoch können wir nur kurz auf die soziolektale Inter¬ ferenz eingehen, ist sie doch Gegenstand eines eigenen linguistischen Zweiges, der Soziolinguistik, die sich als eigene Disziplin wie Phonetik, Phonologie, Dialektologie usw. etabliert hat. Darüber hinaus gehören viele der soziolektalen Erscheinungen, wie z.B. die Kir¬ chensprache, die Gelehrten spräche, die Sprache politischer Verbände (wie etwa die der Machthaber des Dritten Reiches), be¬ reits in den Bereich der systematischen Deutschen Wortgeschichte und überschreiten somit den Rahmen dieser Einführung. 2 Bei manchen soziolektalen Sprachgemeinschaften können wir von Geheimsprachen sprechen, die darauf angelegt sind, von anderen nicht verstanden zu werden. Das betrifft zunächst alle Sprachen, die von Außenseitern gegenüber einer gewaltausübenden Gruppe gesprochen werden, wie die Gaunersprache (das Rotw.), die Schülersprache (Pennälersprache), z.T. die Soldaten- und Studenten-(Burschen-)Sprache. Hier bedient man sich willkürlicher Wortver264

drehungen, ungewöhnlicher Wortableitungen (bei den Studenten meist scherzhaften Charakters), einer Fülle von Metaphern und anderer Be¬ deutungsveränderungen der schon besprochenen Arten, im großen Aus¬ maß auch der dial. und fremdsprachlichen Lexik. Zumal im Rotw. finden sich viele Entlehnungen aus dem Jidd. (< Hebr.) und auch einiges aus dem Zig. (Romani, S. 55), was nicht verwundert, da Wander¬ händler, fahrendes Volk, aber auch Bettler und andere soziale Außen¬ seiter auf den mittelalterlichen und neuzeitlichen Straßen viel in Kon¬ takt waren. Ein berühmtes Beispiel (17. Jh.) für rotw. verhüllende Ausdrucksweise ist das Idiom er weiß, wo Barthel den Most holt. Dabei ist rotw. Barthel,Brecheisen' < jidd. barsei,Eisen', rotw. Most (Entstellung für heute geläufiges) Moos < jidd. moo .Pfennig', PI. moos. Die Geheimsprachen werden von ihren Sprechern als „Kluge Sprache“ bezeichnet: z. B. jenisch ,rotw.' < zig. dsan .wissend, klug', Kochemer Loschen ,rotw.‘ < jidd. chochom .klug' loschon .Sprache'. Die Außen¬ stehenden bezeichnen sie als „Fremdsprache“: rot-welsch ,rot (im Sinne von .falsch, verbrecherisch'; Rothaarige gelten im Volksglauben als böse und treu¬ los), ne. thieve's Latin .Diebslatein', pedlar 's French .Hausiererfranzösisch'. Die Schülersprache im Berner Stadtviertel Matte wurde als Mattenenglisch, die des Stadtviertels Lorraine als Lorrainerussisch bezeichnet. Unser Jägerlatein hat seine alte Bedeutung durch Sinnstreckung .Aufschneiden' verändert. ->

Geheimsprachlichen Charakter haben in gewissem Ausmaß alle Sondersprachen. Bei den Handwerkern diente die geheim¬ sprachliche Redeweise dazu, Nicht-Zünftige, d.h. nicht in „des alten Handwerks Recht und Gewohnheit“ Unterwiesene, „Pfuscher“, als Außenseiter zu kennzeichnen. Bei den Jägern erklärt man sich die An¬ fänge der Geheimsprache im Sinne echter Tabuisierung (S. 223 f.), näm¬ lich aus der „animistischen“ Auffassung, daß die Tiere es verstünden, wenn man von ihnen unter Verwendung ihres „richtigen“ Namens redete. Auch wer als Landratte auf einem Segelboot halsen und wenden verwechselt, nicht weiß, was der Ruf Rhe! bedeutet oder das Ende eines Seiles Ende statt Tampen nennt, ist ebenso als Außenseiter durchschaut wie ein Nicht-Reiter in Reiterkreisen oder ein Nicht-Marxist in einer Roten Zelle. 3 Der Etymologe muß sich angewöhnen zu fragen, ob ein zu erklären¬ des Wort nicht etwa Mitglied eines sondersprachlichen Wortschatzes ist, in dem es sich in seiner spezifischen Bedeutung nachweisen läßt. Zumal in der Gegenwartssprache ist der fachsprachliche Anteil sehr hoch und ständig im Ansteigen begriffen. Die Größe des fachsprachlichen Wortschatzes wird etwa in der Elektrotechnik auf ca. 60 000, in der Medizin auf ca. 250 000 Lexeme (Termini) geschätzt (von 265

den Namen der chemischen Verbindungen, die auf über 2 Millionen geschätzt werden, ganz zu schweigen). Wie viel dies ist, wird erst klar, wenn man bedenkt, daß ein Grundwortschatz von etwa 3500 Lexemen weitgehend für die alltägliche Umgangssprache ausreicht und der gesamte nhd. Wortschatz (ohne Integrierung der speziellen Fachtermini) von der Dudenredaktion auf 300 000-500 000 Mor¬ pheme geschätzt wird (S. 235).

Die Übernahme eines sondersprachlichen oder fachsprachlichen Wortes in die genormte Allgemein-Sprache geht in zwei Stadien vor sich. Zuerst wird das Morphem (vergleichbar einem Fremdwort) gleichsam unter Anführungszeichen als Zitat oder Metapher ge¬ braucht. Dabei hat es oft eine Konnotation, die sich nach dem Prestige der Gruppe richtet, aus dessen Sprachgebrauch die sonder¬ sprachliche Form stammt, und auch die ursprüngliche Kollokation („wesenhafte Bedeutungsbeziehung“, S. 207) ist noch präsent. Im zwei¬ ten Stadium erscheint die Kenntnis des sondersprachlichen Ur¬ sprungs verdrängt und das Wort in die allgemeine Sprache inte¬ griert. Das Wort feedback, dessen Ursprung aus der Elektro- und Fernmeldetechnik noch präsent ist, befindet sich im ersten Stadium, sich einschalten (< ahd. scaltan ,stoßen, schieben, ein Boot durch Fortstoßen am Grund mit einer Schalt-Stange [nach Art der Gondolieri]1) befindet sich seit langem in der zweiten Phase, Rückkoppelung und dazwischenfunken (beide aus der Fernmelde- und Elek¬ trotechnik) stehen am Übergang von der ersten zur zweiten.

4 Ein formal so durchsichtiges Lexem wie nhd. überhaupt wird nur dann e. ganz verständlich, wenn wir es in seiner ursprünglichen fach¬ sprachlichen Verwendung kennenlernen. Es entstammt der Vieh¬ händlersprache. Frühnhd. überhoubet bedeutet .ohne die Häupter zu zählen4, z. B. über Haupt dingen .über das Ganze einen Vertrag schließen4. Das einzelne Stück Vieh wird dabei als Haupt bezeichnet. Die Verwendung im Sinne von .insgesamt4 läßt sich schon für das 17. Jh. nachweisen. In Mundarten ist die alte Bedeutung in Wendungen wie überhaupt arbeiten .gegen ein Fixum (nicht im Taglohn oder Akkord) arbeiten4, überhaupt verkaufen noch in der jüngeren Vergangenheit be¬ legbar. Wir müssen natürlich beachten, daß überhaupt auch in der Fechtersprache in der Bedeutung .nach oben zu4 vorkam: überhaupt schirmen .sich nach oben zu decken4, über houbet vehten .nach oben zu fechten4, was strategisch ungünstig ist, so daß sich schon im Mhd. die Bedeutung ,wider den Strom schwimmen4 ergab (Generalisierung). Aber von dieser Verwendung führt kein deutlicher Weg zum heutigen Semem. Auch ergibt sich aus der Belegsituation, daß überhaupt in der Handels¬ sprache viel verwurzelter und häufiger war, so daß wir bei der Rekon266

struktion der semantischen Entwicklung von dem Seitenzweig in der Fechtersprache absehen können. Auch nhd. prellen macht, was die formale Herleitung betrifft (< *prallian-), keine Schwierigkeiten, der Zusammenhang mit prallen und Nomen postverbale Prall ist deutlich. Die weitere Rückführung der aus dem Nd. stammenden Sippe macht allerdings große Schwierigkeiten und weist, wenn auch sehr vage, in Richtung „Nordwestblock“ (S. 243 ff.): zu idg. *per-,schlagen1 mit S der Wz. als deverbales Adjektiv mit bindevokalischem /-Suffix (S. 157) ergibt sich *pr-al-,schlagend4, des¬ sen denominative Weiterbildung *pral-ian- > *prallian ergeben müßte. Formal ist dagegen nichts einzuwenden. Aber eine „gesicherte E.“ ist es nicht: es fehlen weitere Zeugnisse für idg. *per- ,schlagen4 im Germ., wodurch die Annahme eines „Nordwestblock-Wortes44 wahrscheinli¬ cher würde. Als denominative Bildung würde prellen ,schlagen machen, stoßen, zurückstoßen4 bedeuten. Wie aber kommt es zur Bedeutung Jemanden um etwas prellen, zechprellen4? Da ist zunächst die frühnhd. Verwendung im Rechtsbrauch zu beachten. Frühnhd. prellen bedeutet Jemanden mit einem prall gespannten Tuch oder Fell in die Höhe schnellen4 (vgl. Don Quijote III, 3). Diebe wurden mittels des Wippgal¬ gens geprellt oder gewippt, Kinder vergnügten sich damit, Frösche zu prellen, indem sie sie immer wieder mit einem kleinen Brettchen in die Fuft schlugen. Besondere Bedeutung aber hatte das Prellen als Jagdge¬ wohnheit: so schnellte man Füchse mit dem Prel/garn oder Prelltuch in die Höhe. Der Sinn dieser jägerischen Belustigung war es, dem Fuchs scheinbar die Freiheit zu geben, um ihn dann doch wieder aufzufangen. Dieses ,Betrügen4 des Tieres wurde auf den angehenden Studenten, den man ja auch Fuchs nannte, übertragen, und so prellte, betrog man die Füchse, indem man sich von ihnen ungebeten bewirten ließ -> ,zechprel¬ len '. Nhd. Abstecher gehört zum Verbum afste(e)ken ,sich entfernen, in¬ dem man sich mittels des Bootshakens abstößt4 der nl. Seemanns¬ sprache, es gehört also zu nhd. stechen, stecken, Stecken und ist Fehnübersetzung (S. 237). Nhd. einen Abstecher machen < nl. een afsteker maken bedeutet eine kurze Fahrt in einem kleineren Beiboot, das vom großen Fahrzeug „absticht“. Die ursprüngliche seemännische Bedeutung wird dann generalisiert und erfährt Sinnstreckung. Eine noch stärkere Bedeutungserweiterung hat das lat. percontari ,erkunden, erfor¬ schen4 (span, preguntar ,fragen4 usw.) mitgemacht, das eigentlich das genaue Abstochern des Grundes mit dem contus , Ruder-, Bootsstange4 zur Feststellung der Untiefe meinte. Auch nhd .flott ist ein Wort der Schiffersprache: nd., nl. vlot schwim¬ mend4 gehört zu nhd. fließen < mhd. vliezen ,schwimmen; fließen4 (wie 267

auch ags.flota, mnl. vlöte, vloot > frz. flotte, italien./7o/ta > frühnhd. flotta > nhd. Flotte). Der seemännische Ausdruck flott werden, flott sein wird auch im Binnenland (vor allem in Studentenkreisen) verbreitet: ein flotter Bursche, flott leben usw. (vgl. die Flüssigkeitsmetaphorik im Geldwesen: etwas flüssig haben, [il] liquid sein...). Nhd. stibitzen, stipitzen hat heute noch ein wesentlich höheres Wort¬ ethos als stehlen. Es ist eine durch eingeschobenes b(p) + Wurzelvokal gebildete Streckform der /^-Sprache für nhd. dial. stizen ,stehlen1, so wie wohl auch schlampampen zu schlampen. Diese Bildungen stammen aus der Studenten- oder aus der Pennälersprache, analog in der Kindersprachc Fritzi > Fitzipitzi, Strumpfi > Strumpfipumpfi u.a. (solche „Kindersprache“ ist natürlich nicht von Kindern gebildet, son¬ dern von Erwachsenen, da sie ja die ohnedies schwierige Lautform noch erschwert). Nhd. Hochstapler stammt aus dem Rotw. Das Grundwort, das vom Verbum nhd. stapeln ,bettelnd herumziehen1 (Iterativ- bzw. Demi¬ nutivbildung zu der in stapfen vorliegenden Wz.) abgeleitet ist, bedeutet ,Bettler4 (die Pfarrhöfe, die Klöster abstapeln ,...bettelnd aufsuchen...‘). Ein Hochstapler gibt sich nicht mit gewöhnlichem Stap(p)eln zufrieden, sondern „bettelt hoch“. Aus der Sprache der „Asozialen“ ist dieses Wort in die Polizeisprache gelangt, wo es den vornehm auftretenden Bettler bezeichnet, und ist erst durch die Gerichtsberichte der Presse allgemein bekannt geworden.

268

XVII

Etymologische Verfahrensweisen und Erklärungsprinzipien

Vorbemerkung: Abgesehen von dem bisher zur Lautlehre, Wortbildungslehre, Semantik und Interferenz Dargestellten bedient sich die E. im Zuge der formalen und semanti¬ schen Rekonstruktion oder beim Aufdecken von Entlehnverhältnissen noch spezieller Verfahren, die hier besprochen werden müssen. Nicht alle diese Me¬ thoden sind von gleichem Wert. Das hängt damit zusammen, daß bei manchen, wenn sie einsetzbar sein sollen, eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein müssen, die nur selten in der vorausgesetzten Weise vergesellschaftet auftreten. Das Verfahren ist also an sich einwandfrei, es läßt sich eben nur selten anwenden. In anderen Fällen sind die empirischen Fakten, die der Konzeption des Verfah¬ rens zugrunde liegen, zu wenig gesichert, als daß man das Verfahren bei jeder Rekonstruktion verwenden könnte. Es gibt aber auch eine Reihe ganz elemen¬ tarer Prinzipien, Anforderungen und Vorgangsweisen, die der Etymologe immer im Auge behalten muß:

1 Man geht grundsätzlich von der altertümlichsten Form des zu etymologisierenden Morphems aus und zieht auch die weiteren Ety¬ ma in ihrer altertümlichsten Form heran. Altertümlicher als andere Formen (A, B, C...) ist eine Form (O) dann, wenn A, B, C... mit Flilfe der Lautgesetze, der Analogie und im Hinblick auf auch sonst belegte semantische Veränderungstendenzen aus O erklärt werden können, nicht aber umgekehrt. Z.B. finn. rengas ist altertümlicher als nhd. Ring, weil die nhd. Lautform (durch [4], [38], [53.13]) aus der durch das Finn. repräsentierten urgerm. Form (S. 255) einwandfrei erklärt werden kann, nicht aber umgekehrt! 1.1 Dieses Prinzip ist ebenso naheliegend und selbstverständlich wie wichtig: z. B. nhd. Bürger, Kiefer 1 (,Föhre‘), Kiefer 2 (,Kinn- und Backenknochen4), Messer, Wimper, Ärger, Schneider enden alle auf -er. Wer nun die altertümlichste Form dieser Morpheme nicht kennt, wird, wenn er die Verschiedenheit der in nhd. -er zusammenfallenden Suffixe (S. 161, 163ff., 168) bedenkt, einigermaßen ratlos sein. Die altertümlich¬ sten Formen klären den Tatbestand schon weitgehend auf: Bürger

Kiefer 1

Kiefer 2

Messer

ahd. burgäri ags. burgware

ahd. kienforha ,Kienföhre4

mhd. kiver

ahd. mezzirahs ,Speisemesser4

269

Wimper

Ärger

Schneider

ahd. wintbräwa ,Windbraue4

Nomen postverbale zu ahd. argirön „schlechter machen4, denominative Bildung zum Komparativ von arg

mhd. snidcere

Bei Kiefer 1, Messer und Wimper liegt akzentbedingte Abschwächung vor: Das scheinbare Suffix -er ist bei Kiefer 1 und Wimper in Wirklich¬ keit ein stark reduzierter Rest des Grundwortes eines Kompositums (S. 190), bei Messer ist es der alte Kompositionsfugenvokal (S. 172) i > [3] + Anlaut des ehemaligen Grundwortes urgerm. *sahsaz „Kurz¬ schwert, Messer4 (S. 292). Messer ist eine elliptische Kopfform (S. 191). Bei Kiefer 2 ist -er als Thematisierung eines r/«-Stammes (Heteroklisie, S. 175f.) entstanden, der in av. zafar- ,Maul‘/Ori-zafan „dreimäulig4 vor¬ liegt. Bürger ist mit dem -uariaz-Suffix (S. 168), Schneider mit dem Lehnsuffix lat. -ärius (S. 161), Ärger letztlich mit dem Komparativsuffix -ira- (S. 161) gebildet. 1.2 Da die EN (= Individualnamen) im Gegensatz zu den Ap¬ pellativen etwas Individuelles bezeichnen, nicht aber wie bei Appellati¬ ven ein allgemeines durch das Morphem bezeichnetes Semem auf¬ weisen, ist auch die Anforderung an die Motiviertheit der Bil¬ dungen z.T. nicht da, oder sie ist jedenfalls andersgeartet. Dadurch können sekundäre Veränderungen des Wortkörpers aller Art (S. 190ff.) gerade bei EN besonders leicht wirken. Umso wichtiger ist es, bei EN im Sinne des hier erörterten Prinzips auf die altertümlichste Namenform zurückzugehen. Der F1N Traisen in Niederösterreich würde zu den lächerlichsten e. Vermutungen Anlaß geben, solange wir nicht die ältestbelegte Form Trigisamum aus dem 4. Jh. n. Chr. zu seiner Deutung heranziehen. Rezente Landkarten und Ortsverzeichnisse sind schon deshalb unzuverlässige Ausgangspunkte der E., weil ihre Sprachformen auf oft unsachgemäße Verschriftlichung durch Geographen und Beamte zurückgehen, während die Namen im Munde der „kompetenten44 Spre¬ cher („native Speakers44) an Ort und Stelle oft ganz anders lauten. Aber auch ihrer Lautform kann oft sekundäre Veränderung, volks-e. Aitiologie (S. 37 u. S. 229ff.) und andere „Unregelmäßigkeit44 zugrunde liegen, so daß man in jedem Fall auf die ältesten urkundlichen Formen, soweit sie eben auftreibbar sind, zurückgehen muß. Natür¬ lich gelten für all diese historischen Belege die Prinzipien der allge¬ meinen Textkritik, die auch in der Literaturwissenschaft gelten (z. B. Prinzip der lectio difficilior u.a.), denn auch die ältesten Urkunden können entstellt sein, sei es durch Unachtsamkeit in der kopialen Tradi¬ tion (d.h. beim Abschreiben), wie z.B. im Falle von Trigisamum (das. 270

wie jeder Kenner der kelt. Namenkunde sieht, * Tragisamum heißen müßte), sei es durch die Schwierigkeit, das lat. Alphabet auf ihm fremde Lautungen (s.o. zu den Umlauten [19]) anzuwenden. Daß die ältesten Namenbelege nicht immer die zuverlässigsten sind, sondern von jünge¬ ren Urkunden nicht selten an Zuverlässigkeit (d.h. Altertümlichkeit im oben definierten Sinn!) übertroffen werden, läßt sich oft beobachten: z.B. Mühlhausen im Kreis Zabern erscheint 884 in der „verderbten“ Form Munilhusn, während die Urkunde von 1004 Mulenhusen hat. Da *Munil- sonst nicht als Namenelement belegt ist, hingegen Mulin(< lat. molinae ,Mühle4; urgerm. u für lat. o, S. 246f.) sehr häufig ist, wird man nicht zögern, die jüngere Form der älteren vorzuziehen. Im übrigen kann auch der nicht keltistisch Gebildete aus den späteren Belegen des F1N Traisen, aber auch der Treisam in Baden, die alle ei oder ai enthalten, entnehmen, daß sie nach (49) aus -agi- stammen müssen, nicht etwa aus -igi-, das ja i ergeben hätte. Hier wird man nicht die jüngeren Formen (Dreisima, Treisama, Dreisma, Treisma, Treisima...) der ältesten Form Trigisamum in dem Sinne vorziehen, daß man nur sie der e. Erklärung zugrundelegt, nein, wir benützen vielmehr die jüngeren Formen zur Kritik der ältesten Form, die wir nun als akelt. *Tragisamä ,die sehr schnell Fließende4 ansetzen können. Aus dem oben gebrachten Vergleich von Handschriften- und Sprachenstamm¬ baum (S. 63) können wir nun auch in bezug auf Etyma in verschiedenen Dialekten sagen, daß die Altertümlichkeit der Etyma keineswegs ausschließlich an der äußeren Zeitstufe des Beleges hängt: Die moderne schweizerdt. Form [vi:p] ist altertümlicher in ihrem Vokalismus als mhd.-bair. [weip] im 13. Jh.! In der Indogermania kann z.B. ein modern-lit. Morphem in mehreren Punkten altertümlicher sein als sein gr. oder heth. Etymon. Betrachten wir jedoch den Anlaut von [vi:p] und [weip], so ist natürlich die Form des 13. Jh.s altertümlicher. Wenn wir also sagen, das Alem. sei altertümlicher als das Bair., ein ahd. Wort sei altertümlicher als ein mhd., die ältere Urkunde altertümlicher als die jüngere, so sind diese Aussagen freilich i.a. richtig, im konkreten Einzelfall jedoch wird man eine solche Aussage nicht vorschnell tun.

2

Innere (interne) Rekonstruktion (Internal reconstruction):

Ausgehend von der Erkenntnis des Struktur- und Systemcharakters der Sprache, der auch in früheren Sprachzuständen gegolten haben muß, können wir mit gewisser Zuversicht die Form von Wörtern er¬ schließen, sobald ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Pa¬ radigma gesichert ist. Wäre der Nom. Sg. rex zufällig nicht belegt, so könnten wir ihn dennoch aus regis, regem, reges nach dem Muster von lex, legis und grex, gregis usw. erschließen.

271

Das Verfahren hat natürlich seine Grenzen: Wäre vom Paradigma nox nur der Nom. Sg. belegt, so würde man auf Grund interner Rekonstruktion für den Gen. entweder + nocis (nach nux, nucis...) oder + nogis (nach grex, gregis...) erwarten. Erst der externe Vergleich z. B. mit urgerm. *ncihts, air. nocht,Nacht würde zum richtigen Rekonstrukt *noctis führen.

Die interne Rekonstruktion wird so oft angewandt, daß sie uns als methodisches Prinzip selten bewußt wird. Sie wird z.B. immer dann durchgeführt, wenn man im Lexikon ein Lemma im Nom. Sg. angibt, obwohl es zufällig nur in obliquen Formen (Nicht-Nominativ-Formen) belegt ist. Diese Rekonstrukte sind so sicher, daß häufig auf das * verzichtet wird; z.B. ahd. *abgot, neutr. Nom. Sg.,Götze , ist auf Grund der übrigen Formen, die auf einen neutralen ö-Stamm weisen, völlig gesichert, obwohl diese Form zufällig in den Quellen nicht begegnet. Aus den obliquen Formen von mhd. se, dem Gen. Sg. sewes, Dat. Sg. sewe können wir das stammhafte w des uu-Stammes (got. säiws ,See‘ < urgerm. *saiuaz) erschließen. Aus ahd. stuot S. 136, 189) neben stuont läßt sich ersehen, daß -n- in standan Nasalinfix sein muß. Externe Evidenz liefert das got. anastodjan ,anfangen‘, Kausativ zu stop (S. 180 f.), Prät. von standan, das die ursprünglich auf das Präs, beschränkte Ver¬ wendung des Nasalinfixes erweist. Gewöhnlich ist dieses Prinzip im Germ, ja nicht bewahrt (nicht nur wi-n-den, sondern auch wa-n-d!). 3

„Umgekehrte Rekonstruktion“ (Inverse reconstruction):

3.1 Diese Verfahrensweise ist immer dann von Bedeutung, wenn wir zu einem erschlossenen Rekonstrukt in den einzelnen Tochter¬ sprachen Etyma suchen. Aus ahd. geiz ,Geiß‘ erschließen wir ur¬ germ. *gait- < idg. *gxhaid- (Rekonstruktion). Ist diese Rekonstruktion richtig? Wir können dies nur dadurch überprüfen, indem wir fragen, ob es in den Tochtersprachen Etyma gibt, die unter der Annahme, daß das Rekonstrukt richtig sei, sich lautgesetzlich aus diesem herleiten lassen. Urgerm. *gait- hätte (s. Lauttabelle S. 116) ags. *gät, aisl. *geit, got. *gait-(s), idg. *gxhaid- hätte lat. *haed-, gr. *xcu§- ergeben („Umge¬ kehrte Rekonstruktion“). Falls urgerm. *gait- aber aus idg. *gxhoidstammt (Rekonstruktion), so hätte man mit lat. *hoed- oder *hüd-, gr. *Xoiö- zu rechnen („Umgekehrte Rekonstruktion“). Überprüfen wir diese Annahme an Hand der Wörterbücher, so zeigt sich, daß ags. gät (> ne. [gout] goat), aisl. geit, got. gaits, lat. haedus ,Böcklein‘ für die Richtigkeit der Rekonstruktion urgerm. *gait- < idg. *gxhaid- spricht. Im Gr. hat die Wz. offenbar keine Fortsetzung gefunden. Damit ist der alternative Ansatz idg. +gxhoid- falsifiziert. Besonders wichtig ist die „Umgekehrte Rekonstruktion“ dann, wenn wir mit ihrer Hilfe sozusagen einen „unbekannten Verwand272

ten“ beibringen, der bei der Erstellung der allgemeinen Genealogie in Form des IEW übersehen wurde. Zum GN urgerm.-latinisiert Nerthus (bei Tacitus) < urgerm. *nerpu-{< idg. *ner-t-,[magische] Lebenskraft; Mann1) überprüfen wir die Möglichkeit einzelsprachlicher Etyma in den germ. Dialekten. „Umgekehrte Rekonstruktion“ liefert uns z.B. ags. *neorö- (< idg. *nert-) bzw. *neord- (< idg. *nert-) mit ags. „Brechung“ vor r + K (s.o. Lauttabelle S. 114). Nun finden wir ein ags. ge-neorö, das lat. contentus ,zufrieden4 glossiert und adj. ö-Stamm ist. Damit gewinnen wir möglicherweise (!) einen Hinweis auf die Richtigkeit unse¬ rer Rekonstruktion und zur semantischen Präzisierung. In gleicher Weise konstruieren wir ein aisl. Etymon (S. 225). 3.2 Damit ist freilich nur der erste Schritt in Richtung einer etymologi¬ schen Verbindung vollzogen. Wir haben noch die Verwendung in den zitierten Textstellen einzusehen und müssen uns um Beispiele umsehen, die einen angenommenen Bedeutungswandel ,kräftig4 -> ,zufrieden4 belegen. Des weiteren müssen wir fragen, in welchem Ver¬ hältnis der ö-Stamm ags. geneorö zum u-Stamm Nerthus, aisl. Njgrör steht (S. 225). Der angehende Etymologe wird vielleicht bei seiner ersten gelungenen „Umgekehrten Rekonstruktion“ ein gewisses Gefühl der Befriedigung empfinden, aber bald ernüchtert sein, wenn er im weiteren findet, daß etwa wie in diesem Fall F. Holthausen schon in den zwanziger Jahren ags. geneorö zu Nerthus stellte und daß schon 1931 W. Krogmann dagegen polemisierte. Er wird nun zwischen beiden Meinun¬ gen zu entscheiden haben, wobei die Möglichkeit im Auge zu behalten ist, daß auch die „gängige“ Erklärung von Nerthus (< idg. *ner-t-) nicht unbedingt richtig zu sein braucht. Bis zu einer brauchbaren Lösung des Problems ist es noch ein langer Weg, und sehr oft endet dieser mit einem non liquet (d.h. der Feststellung, daß mittels Argumenten und Gegenar¬ gumenten keine letzte Klarheit zu erreichen ist).

4

Die onomasiologische Fragestellung wird oft zur Korrektur und Sicherung angenommener semantischer Entwicklungen verwendet. Wenn die Semantik (Semasiologie) fragt: „Was bedeutet dieses Morphem?“, so fragt die Onomasiologie: „Wie wird dieses Semem durch Morpheme bezeichnet?44 Sie ist also im Grunde Synonymenforschung. 4.1 Wichtig ist dabei natürlich, daß das Semem eine möglichst scharf bestimmbare konstante Größe ist, und dies umso mehr, je weiträumiger eine vergleichende Onomasiologie arbeitet. Eine berühmte onomasiologische Arbeit (von V. Bertoldi) beschäftigt sich mit der Benennung der Herbstzeitlose in den roman. Sprachen. Die Pflanze Col273

chicium autumnale ist immer dieselbe, die Wahl der Zeichen für dieses immer gleiche Semem ist aber dial. sehr verschieden. Im Dt. allein gibt es gegen 500 Benennungen, z. B. Zeitblume, Michelswurz, Theklazwiebel, Spinnblume, Sohnvor-dem-Vater (S. 171, § 9), Nackete Hur, Pfaffenhurenkinder, Unkeusche Susanna, Giftblume, Kuhgift, Saublume, Butterwecken, (Wild-) Safran, Kuhschwanz...

In ähnlicher Weise lassen sich onomasiologische Arbeiten über Pilze, Tiere, Geländeformen, Witterung usw. schreiben.

Schwieriger ist schon die Onomasiologie von Artefakten (von Menschen gefertigten Gegenständen) oder gar von sozialen und religiösen Einrich¬ tungen zu erforschen. Eine Arbeit über die Bezeichnungen der ,Ehe4 im eurasischen Raum müßte sich mit einer Vielzahl verschiedener Sememe beschäftigen (die in einem Sememfeld angeordnet werden könnten), da ,Ehe‘ für sibirische Steppenvölker, Hindus, Buddhisten, Mohammeda¬ ner und Christen nicht das gleiche bedeutet. Die onomasiologische Arbeit würde zu einer allgemein-anthropologischen werden, die selbst wieder ohne E. nicht auskäme. Je kleinräumiger jedoch die Vergleiche werden, desto deutlicher heben sich gewisse Konstanten ab: z. B. zeigt sich, daß in den germ. Sprachen der Sinnbezirk des Rechtes (Ehe als rechtlicher Vertrag) dominiert: dt. Ehe, ne. wedlock, aisl. giptung, dän. cegteskab, schw. äktenskap, giftermäl, nl. echt. Ähnlich ist es auch im Lat.: mätrimönium ,Stellung einer Mutter1, cönübium gegenseitiges Hei¬ matrecht4 und schon weniger deutlich im Gr. aü^eu^u;, au^uyia .Verbin¬ dung4 und vielleicht ngr. ürcavöpeia ,Unter-dem-Mann-Sein4. Daneben gibt es ,Ehe4 und .Heirat4 als ,Sich-Beweiben4 (vlt. maritare > frz. marier; maritäticum > frz. mariage : ne. marry, marriage). Wenn man die Dominanz des Rechtsaspektes im Germ, beachtet, so wird man nicht zögern, auch got. liuga .Ehe, Hochzeit' als ein Rechtswort zu verstehen und mit kelt. *lugiom ,Eid‘ zu verbinden. Bei ethischen und „weltanschaulichen" Begriffen weichen die einzelsprachlichen Konzeptionen noch stärker voneinan¬ der ab, und so ist es kein Zufall, daß z.B. gerade nhd. Sünde und Glück noch ohne sicheren e. Anschluß sind.

4.2 Der Etymologe wird dann onomasiologisch arbeiten, wenn er sich um Parallelen für eine vermutete Bedeutungsverän¬ derung zu kümmern hat. Ein dem IEW völlig analoges onomasiologisches Nachschlagewerk gibt es nicht. Für den Einstieg eignet sich am ehesten C.D. Buck, „A Dictionary of Selected Synonyms in the Principal Indo-European Languages“, Chicago 1949. Das Werk ist in Kapitel wie „The Physical World in Its Larger Aspects44, „Mankind: Sex, Age, Family, Relation¬ ship“, „Animals“ ... „Law“, „Religion and Superstition“ eingeteilt, in denen sich dann eine mehr oder minder glückliche Auswahl von Seme¬ men findet. Z.B. im Kapitel „Quantity and Number44 das Semem 274

ENOUGH (adj. or adv.) Grk. NG Lat. It. Fr. Sp. Rum. Ir. NIr. W. Br.

ixavög, äpxwv äpXCTÖQ satis abbastanza assez bastante destul lour döthain, säith, leor digon a-walc’h

Goth. ON Dan. Sw. OE ME NE Du. OHG MHG NHG

ganöhs (g)nögr nok nog genög inoh enough genoeg ginuog(i)

Lith. Lett. ChSl. SCr. Boh. Pol. Russ. Skt. Av.

gana gana dovolinü dosta dost( i) dose dovol’no alam

genuoc genug

Daran schließen sich kurze, etymologische Hinweise. Vollständigkeit ist weder erreicht noch erstrebt. Weder sind alle idg. Sprachen angegeben (es fehlen z.B. toch., alb., heth.) noch jeweils alle dem Semem entspre¬ chenden Morpheme. Zu der (S. 273) aufgeworfenen Frage, ob man mit einem Bedeutungsübergang ,kräftig1 -» ,contentus‘ rechnen dürfe, kön¬ nen wir das Werk nicht direkt befragen. Da das Semem ,content4 nicht behandelt ist, müssen wir uns mit dem nächstverwandten (?) Semem ,enough4 begnügen. Ob dies gerechtfertigt ist, läßt sich freilich in Zweifel ziehen. Schon die syntaktische Stellung {ich habe genug : ich bin zu¬ frieden) ist eine andere. Falls man der Meinung ist, zwischen ,enough4 und ,content4 ließe sich vermitteln, so findet man allerdings in lit. gana eine Parallele zu dem gesuchten Bedeutungswandel. Das stützt im Falle von geneorö Holthausens Auffassung gegenüber der Krogmanns. Aber auch Krogmann konnte seine Erklärung gut absichern. 4.3 Wenn die Angaben Bucks nicht ausreichen, dann bleibt nur noch ein Weg, der allerdings sehr mühevoll, zeitraubend und anspruchsvoll ist, sowohl was den Etymologen als auch die ihm zur Verfügung stehen¬ de Bibliothek betrifft: in möglichst vielen - zunächst nur idg. - Sprachen das semantische Äquivalent zu ,contentus‘ aufzusuchen und dessen Etymologie festzustellen. Darauf sind die Bibliotheken, ja auch die Wörterbuchautoren selbst oft nicht eingerichtet. Wir würden nicht nur dt.-lit., sondern auch dt.-apers., dt.-ved., dt.-toch. ... Wörterbücher brauchen bzw. solche auf der Basis anderer geläufiger Sprachen wie engl., frz., italien., span., lat. usw. So selbstverständlich ein got.-dt. Wörterbuch ist, so überflüssig mutet den Laien ein dt.-got. Wörterbuch [Bibliographie 145] an! Solange wir in der nhd. Schriftsprache ver¬ bleiben, leisten gelegentlich Synonymenwörterbücher wie etwa das von F. Dornseiff oder das von H. Wehrle und H. Eggers gute Dienste. Im übrigen ist man gerade bei der onomasiologischen Fragestellung sehr 275

auf das systematische Durchsehen von einschlägigen Zss. und Monogra¬ phien, auf eine durch Erfahrung mit Sprachen erhöhte Assoziations¬ fähigkeit und - nicht zuletzt - auf glückliche Zufallsfunde angewiesen.

5 Die Homonymenfurcht als Moment der Wörtergeschichte wird man, wenn man sich mit germ. E. beschäftigt, nur verhältnismäßig selten heranziehen können. Unter „Homonymenfurcht" versteht man die Reaktion der Sprachträger auf den lautlichen Zusammen¬ fall (Homophonie) von zwei ursprünglich auch nach ihrer Bedeutung ganz verschiedenen Morphemen. Sie führt u. U. zur Beseitigung eines der Morpheme und zur Ersetzung durch ein anderes (z.B. durch Entlehnung). Ein klassisches Beispiel ist die frz. Benennung des Oberschenkels: lat. femur ,Oberschenkel1 fiel im Spätlat. mit femus ,Mist‘, das durch Kontamination von gleichbedeutenden flmus x stercus entstanden war (S. 228), lautlich zusammen. Dadurch wurde femur für ,Oberschenkel1 ungeeignet und in dieser Bedeutung zunächst durch vlt. coxa ,Hüfte1 ersetzt, das nun den ganzen Bereich von der Hüfte bis zum Knie bezeichnete. Da sich hier häufig semantische Unklarheiten ergaben, entlehnte man endlich germ. (westfrk.) *hanha-, das einen Teil des Beines bezeichnete (in unerweiterter Form mit ^-Ableitung in ahd. hahsa .Knie¬ gelenk am Hinterbein von Tieren1 > nhd. Haxe) > frz. hanche .Hüfte1. In der Romanistik gibt es noch eine ganze Reihe solcher Beispiele, freilich auch Hin¬ weise auf das Fehlen von Homonymenfurcht: frz. cousin .Vetter1 < lat. eönsobrlnus homophon mit cousin .Stechmücke1 < vlt. culicium (zu culex .Stechmükke‘). Im Germ, scheint Homonymenfurcht nur schwach zu wirken. Man könnte immerhin vermuten, daß got. liugan (II. Ablautreihe) .heiraten1 (S. 141) in den anderen germ. Sprachen vor dem Einsetzen der Sprachzeugnisse ausgestorben sei, weil es homophon mit liugan (ebenfalls II. Ablautreihe) .lügen1 war, dessen Etymon in allen germ. Sprachen weiterlebt. Man kann sich vorstellen, daß die Homonymie von .heiraten1 und .lügen1, außer in jenen Fällen, wo sie zu Sarkas¬ men benützt worden sein mag, höchst unerwünscht war. Ein oft zitiertes Beispiel ist das Aussterben von nhd. Schnur .Schwiegertochter1 ( < mhd. snur), nachdem es mit Schnur .Bindfaden1 (< mhd. snuor) zusammengefallen war. Sehr viele Beispiele für Homonymenfurcht scheint es jedoch nicht zu geben, und das Ne. kommt mit einer Vielzahl homophoner Wörter aus.

6 Ein verwandter Vorgang, der Synonymenschub, kann gleich¬ falls Aussterben eines Morphems bzw. Bedeutungsverän¬ derung anderer Morpheme bewirken. Der Vorgang ist wesentlich häufiger als die Homonymenfurcht und besteht eigentlich aus ei¬ nem kettenweisen Nachrücken im Wortfeld, wobei die Frage, ob Schub oder Sog vorliegt (ähnlich wie in der Phonologie push-chain und drag-chainl), oft schwer zu beantworten ist. Wichtigstes aus276

lösendes Moment des Synonymenschubs dürfte die Bedeutungs¬ verschlechterung sein, die i.a. häufiger als die Bedeutungsverbes¬ serung ist (S. 204): mhd. brüten, briuten ,sich vermählen4 -> , „Braut¬ bettbeschreiten“4 (als Rechtsakt) —> ,mit jemandem schlafen4 mit negati¬ ver Konnotation als obszönes Wort. Dadurch wird mhd. brütlouf ,Hochzeit4 als anstößig empfunden und stirbt aus, mhd. hoch(ge)zit ,Fest‘ -> ,Hochzeit4 rückt nach (Verengung; S. 203f.). Die entstehende Lücke ,Fest4 schließt das nachrückende mhd. vest, das ursprünglich nur ,Festtag4 bedeutete (Erweiterung). Man kann natürlich auch fragen, ob der Vorgang nicht auch in umgekehrter Richtung vor sich gegangen sein kann. In diesem Fall wäre die Sememerweiterung von vest (schon im 13. Jh.) das Primäre, die zur Verengung von hochzit führte. Dafür könn¬ te sprechen, daß das niedere Wortethos von brüten, briuten sich erstaun¬ licherweise auf mhd. brüt > nhd. Braut nicht auswirkte. Leider lassen sich diese Vorgänge, die vom 13. bis ins 16. Jh. währen, nicht leicht in eine schematische Abfolge bringen, so daß zwar der Zusammenhang der Bedeutungsveränderungen, nicht aber das auslösende Moment gesichert scheint. Ein weiteres Beispiel für Synonymenschub ist das (S. 200f.) er¬ wähnte Wortfeld ,Frau‘, wo vermutlich die Pejorisierung als Triebfeder wirkte. Mit den Verschiebungen im Wortfeld ,Frau4 hängt sicher auch das Aussterben von mhd. kone ,Ehefrau4 zusammen (in bestimmten Dialekten könnte auch Homonymenfurcht vor mhd. kunne, künne Ge¬ schlecht; weibl. Geschlechtsteil4 mitgewirkt haben). Den Synonymenschub im Wortfeld ,Kopf‘ (S. 221) könnte man sich folgender¬ maßen vorstellen: sowie eine der Gefäßbezeichnungen durch allmähliche Ge¬ neralisierung semantisch „verblaßte“, wurde sie durch eine neue derbere und damit ausdrucksstärkere ersetzt.

7 Die Valenztheorie (Dependenzgrammatik) kann u. U. die se¬ mantische Seite der e. Rekonstruktion zu erhellen helfen: Im Idg. stehen z. B. die Verba dicendi, soweit sie sich ursprünglich auf die konkrete Schallerzeugung des Sprechens beziehen, um eine Valenzstufe tiefer als jene Verben, die von der Bedeutung ,zeigen, folgen, argumentieren, berichten...4 ausgehen. So unterscheidet sich lat. füri sprechen4 (zur Schall-Wz. idg. *bhci-) hinsichtlich seiner niedereren Valenz von lat. dicere ,sagen4 (zur deiktischen [,Zeige-4]Wz. idg. *deik’- ,zeigen4 > nhd. zeihen), ganz analog span, hablar sprechen4 (< vlt.fabulare) gegenüber decir ,sagen4 (vlt. dieere). Wenn wir dementsprechend im Dt. neben obligat 2-wertigem sagen (ich sage etwas) ein obligat nur 1-wertiges sprechen vorfinden, dann ist dies mit ein Anhaltspunkt für die (S. 203) angedeutete Herleitung des Morphems sprechen von einer ursprünglich den Schall und seine Hervorbringung bezeichnenden Wz. Wenn auch die 277

Verhältnisse nicht immer so eindeutig sind, so tut der Etymologe jeden¬ falls gut daran, zumindest bei der verbalen Semantik die Valenz zu beachten. 8 Das Prinzip der etymologie organique bezieht sich auf Ent¬ lehnungen und besagt: Ist bei einem Wort nicht ohne weiteres festzustel¬ len, ob es Erbwort ist oder auf Entlehnung beruht, so läßt sich aus der Bezeichnung der sachlich zugehörigen Dinge oft Klarheit über die E. des fraglichen Wortes gewinnen. Auch dieses Prinzip wurde zuerst in der Romanistik (von B.E. Vidos) formuliert, es ist aber auch für die Beurteilung von Entlehnungen ins Dt. ergiebig. Wenn wir z. B. die E. von nhd. Bratsche feststellen wollten, so hätten wir uns im nächstverwandten Sachbereich umzusehen. Wir finden hier Viola (da gamba), Violine, (Violon-)Cello, denen wir die italien. Herkunft sofort ansehen. Bemer¬ kenswert ist dabei, daß trotz Entlehnung der Instrumentenbezeichnun¬ gen die Teile der Instrumente {Hals, Wirbel, Schnecke, Zarge, Steg, Saite...) durchaus dt. benannt sind. Auch bei nhd. Baß bewährt sich das Prinzip: Zu ihm gehören Bariton, Tenor, Falsett, Alt, Sopran..., die wieder alle auf das Italien, weisen. Diese Beispiele sind freilich allzu klar; es ist daher sinnvoll, an einem weniger deutlichen Fall den Nutzen des Prinzips zu veranschaulichen. Der Alpinist verwendet zur Verknotung von zwei Seilenden den „Spierenstichu. Woher stammt dieses Wort? Um dies zu beantworten, ist zunächst die übrige Knotenterminologie der Bergsteigerei zu beach¬ ten: Sie ist in sich uneinheitlich. Es gibt Knoten, die nach ihrem Erfinder benannt sind (wie Prusikschlinge und Bulinknoten), Benennungen nach Form und Aussehen {Achterknoten, Kreuzknoten), nach ihrer ursprüng¬ lichen Verwendung {Weberknoten, Heuknoten), und unter diesen befin¬ det sich auch der Mastwurf. Dieser Knoten gibt einen wichtigen Hin¬ weis: Lange bevor es ein sportmäßiges Klettern gab, war eine differen¬ zierte Knotentechnik in der Seefahrt entwickelt worden, und noch jetzt sind einige der Bergsteigerknoten mit den Seemannsknoten identisch. Sehen wir uns unter Seemannsknoten etwas um, so treffen wir hier auf Bezeichnungen wie Slipstek, Webeleinstek, Palstek, Schotstek... Die Seemannsknoten können „geworfen“ oder „gesteckt“ werden, je nach¬ dem ob der Gegenstand, an dem festgemacht wird, etwa ein Pfahl, von oben zugänglich ist (so daß man ein Seil darüberwerfen kann) oder nicht (in diesem Fall wird der Knoten „gesteckt“). Der nd. und nl. Terminus dafür lautet steken {: hd. stechen). Die genannten Seemannsknoten sind also „Stiche“ {Palstek „Pfahlstich“, Slipstek „Schlüpfstich“). Und da¬ mit haben wir auch die Heimat des Spierenstichs gefunden. Das Bestim¬ mungswort Spiere macht allerdings größere Schwierigkeiten, denn die 278

verschiedenen Arten Rundhölzer (für Stengen, Rahen usw.), die der Seemann heute Spieren nennt, lassen sich mit dem Spierenstich nicht belegen. Spiere hat vielmehr die ältere Bedeutung ,Ende". Auf weitere Details ist hier nicht einzugehen. Wir haben bisher schon mehrfach mit dem Prinzip der „organischen E.“ gear¬ beitet, nämlich immer dann, wenn wir den Entlehnungen einen bestimmten sachlichen Bereich zuordnen konnten (z.B. die frühen lat. Lehnwörter aus den Sachgebieten des Garten- und Weinbaues und des gemauerten Hauses, S. 246). Die Neigung, ganze Terminologiekomplexe zu übernehmen und nicht nur ein¬ zelne Ausdrücke, zeigt sich außerordentlich häufig: z.B. nhd. Abseits ist schon deshalb leicht als Lehnübersetzung von ne. offside zu erkennen, weil fast die ganze Fußballterminologie aus dem Engl, stammt. Dann ist aber auch Stürmer (< mhd. sturmcere) in der Fußballsprache Lehnschöpfung für engl, forward.

Das Prinzip der areal norm (Y. Malkiel) kommt dann zur An¬ wendung, wenn aus dem Lautstand eines Morphems nicht klar ersichtlich ist, ob es aus einer benachbarten Sprache entlehnt ist oder nicht. Ist nun das als Ausgangsform für die Entlehnung ins Auge gefaßte fremdsprachliche Wort nachweislich noch in eine andere Sprache (oder in andere Sprachen) entlehnt worden, so ist die Wahrschein¬ lichkeit gegeben, daß auch das von uns untersuchte Morphem entlehnt ist: nhd. tanzen < mhd. tanzen könnte Erbwort sein und auf zufällig nicht belegtes * tanzen, *tanzön (< urgerm. *dant- < idg. *dhend/dhond,schlagen, stoßen"; IEW 249) zurückgehen. Eine Entsprechung böte norw. dial. datta(< *dantön),klopfen". Der vorausgesetzte Bedeutungs¬ übergang ,klopfen" —► ,stampfen (?)" oder ,klatschen (?)" -> ,tanzen" könnte durch die Art der alten Reihentänze, wie sie heut noch auf den Färöern (als „Balladen“) gepflegt werden, begründet sein und hätte in abg. pl§satb ,tanzen": russ. pleskath ,klatschen" eine Parallele. Nun gibt es auch afrz. dancer, das über mnd. dansen mit sekundärer Verhochdeutschung (S. 252) als höfisches Bildungswort mhd. tanzen hätte ergeben können. Nach dem Prinzip der Arealnorm ist die Entlehnung aus dem Afrz. wahrscheinlicher als die Annahme eines Erbwortes, weil dancer auch in me. dancen, dauncen (> ne. to dance ,tanzen") entlehnt wurde. Nhd. Boje könnte über mhd. boie, boiye ,Fesselkette" < ahd. *boiia, *boia stammen, das aus lat. boia ,Fesselkette" (auch Name einer Fisch¬ art) entlehnt wäre. Es gibt aber auch ein mnl. bo(e)ye ,Boje". Wir entscheiden uns für die Entlehnung des mnl. Wortes, und zwar nicht nur aus geographischen Gründen (Terminus der Seefahrt), sondern auch nach dem Prinzip der Arealnorm, weil auch afrz. boye (> frz. bouee) und ne. buoy ,Boje" aus dem Mnl. stammen.

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10 Etymologie-origine, etymologie-histoire, histoire du mot: Mit der Erfassung der Lautgesetze, die in den 80er Jahren des 19. Jh.s ziemlich abgeschlossen war, wurde die formale Rekonstruktion gewis¬ sermaßen „mechanisiert“. Das Ergebnis bildeten idg. Wzn. mit oder ohne Wz.-Determinativen (S. 125) und ganz „blassen“ tertium-comparationis-Bedeutungen (S. 207ff.), sogenannte Wz.-E. oder bestenfalls einige wenige idg. Wörter wie *pster ,Vater‘, *eudher ,Euter“, *ouis ,Schaf“ u.a„ sogenannte Wort-E. Trotz vieler ungeklärter Einzelwörter schien die E. im großen und ganzen an einem toten Punkt angelangt. Sie wurde wieder belebt durch die Romanistik. Seit F. Diez (1794-1876), dem Begründer der Romanistik, hat sich dem Romanisten das Problem der E. ganz anders dargestellt als z.B. den Germanisten, Slawisten usw. Denn während letztere bei ihren E. auf eine lediglich erschlossene Ur¬ sprache zurückgehen mußten, lag den Romanisten ihre recht gut be¬ kannte Ursprache, das Lat., ja direkt vor. Die E. des Lat. hingegen, das ja nur einen Zweig der ital. Sprachen darstellt (S. 57), ist nicht Auf¬ gabe der Romanisten, sondern gehört schon in den Bereich der Indoger¬ manistik. Die formale Rekonstruktion der Romanisten kann sich mit dem Brückenschlag zwischen z.B. afrz. und klassisch-lat. Morphemen zufrieden geben. Das Augenmerk der Romanisten und auch der In¬ dogermanisten in roman.-sprachigen Ländern richtete sich daher viel nachdrücklicher auf die Geschichte des Wortes (histoire du mot), sie war dadurch eine „geschichtliche E.“ (etymologiehistoire) und nur in den seltensten Fällen eine „Ursprungs-E. “ (etymologie-origine), nämlich dann, wenn zufällig keine lat. Ausgangsform belegt war (wie z.B. bei frz. aller, span, andar, italien. andare, deren E. bis heute nicht feststeht). Die besonders günstige Situa¬ tion der Romanistik, die eine Konzentration auf die histoire du mot erlaubte, ließ diese Wissenschaft bald zur Lehrmeisterin der übrigen Philologien und auch der Indogermanistik werden. Heute ist die Frage nach der histoire du mot auch in der E. der Einzelphilologien eine unabweisbare Forderung geworden, die natürlich nur für jene Zeitspan¬ ne fruchtbar zu machen ist, aus der wirkliche Belege und nicht etwa nur Rekonstrukte vorhanden sind. Niemand wird sich heute damit begnügen, etwa nhd. (auf)bäumen ,Sich-Aufstellen des Pferdes auf die Hinterhände“ einfach als denominale Bildung zu Baum, also < *baum-ian, abzutun. Die histoire du mot zeigt vielmehr, daß mit (auf)bäumen ursprünglich das ,Sich-Aufrichten des Bären am Baumstamm“ gemeint war, das dann über die Fachsprache der Heraldik auf das Aufbäumen des Pferdes übertragen wurde. Solche Wortschicksale oder Wörtergeschichten (nicht zu verwechseln mit der Wortgeschichte) haben wir schon mehrfach kennengelernt 280

(z. B. Marzipan, Alchemie, prellen u.a.). Sehr oft scheint die histoire du mot interessanter (und nicht nur für Laien!) als die etymologie-origine. Sie ist natür¬ lich in der Regel langwieriger, weil sie u.a. oft genug mühsames Einarbeiten und Interpretieren von Texten (hier berührt sie sich mit der Literaturwissenschaft), Kenntnis sondersprachlichen und dial. Vokabulars und überhaupt eine genauere semantische Entwicklung erfordert. Die romanistische E. hatte u.a. auch den segensreichen Einfluß auf die Indogermanistik, daß man sich die idg. Ursprache nicht nur als Sammlung von Wzn. mit Ablaut und Determinativvarianten vorzustellen begann, sondern als eine komplexe, wohl-organisierte Sprache, wie es z. B. das Lat. ist. Wichtig ist auch die Verbindung der etymologie-histoire als Geschichte eines Wortes mit der Wortsippen- und Wortfeldkonzeption, die zu einer strukturellen Orientierung der e. Forschung führte.

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Wiederholt wurde auf die enge Beziehung zwischen „Wörtern“ und „Sachen“ hingewiesen. Der histoire du mot ist in diesem Sinn eine „histoire de la chose“ zur Seite zu stellen. Wie könnte man auch die Geschichte von aufbäumen (s. oben) schreiben, ohne die Geschichte der Heraldik eingesehen zu haben? Als Reaktion auf das Ungenügen einer bloß formalen Wz.-Rekonstruktion, deren Ziel Rekonstrukte wie *bhel,schwellen..waren, seien sie durch Ablaut und Determinativ auch noch so differenziert, trat am Beginn des 20. Jh.s bei deutschen Etymolo¬ gen eine starke Hinwendung zur Sachkunde (und damit zur Archäologie, Volkskunde, Ethnologie, Zoologie, Botanik...) auf. Sie fand ihren Ausdruck in der 1909 gegründeten Zs. mit dem programmati¬ schen Titel „Wörter und Sachen“ (WuS). Herausgeber waren der Indogermanist R. Meringer, der Romanist W. Meyer-Lübke, der Germanist R. Much und die Slawisten J.J. Mikkola und M. Murko. Den Wortführern des Programmes war die Sprachwissenschaft nicht etwa Selbstzweck, sondern lediglich ein Bereich der Kulturwissenschaft, und sie glaubten, „daß in der Vereinigung von Sprachwissenschaft und Sachwissenschaft die Zukunft der Kulturgeschichte liegt“. Man forder¬ te, „daß die Erklärung der Bedeutungsveränderung nicht auf rein speku¬ lativem Wege versucht wird“, sondern daß man der Tatsache Rechnung trägt, daß die Veränderung des Wortsinnes mit der Veränderung der Kultur zusammenhängt. Typische Aufsatztitel des 1. Bandes der neuen Zs. sind etwa: R. Meringer, „Die Werkzeuge der pinsere-Reihe und ihre Namen [Keule, Stampfe, Hammer, Anke)u mit 35 Abbildungen (!); R. Much, „Holz und MenschJ.R. Bünker, „Das Bauernhaus der Gegend von Köflach in Steiermark“ mit 47 Textabbildun¬ gen (!); W. Meyer-Lübke, „Zur Geschichte der Dreschgeräte...“ mit 40 Abbil¬ dungen und Karte. 281

11.1 Es ist kein Zweifel, daß sich das Programm der „Wörter und Sachen“ höchst segensreich auf die e. Forschung auswirkte. Freilich ist es auf die Dauer selten gelungen, die Wörter und die Sachen gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen. Eine Reihe von ziemlich umfangreichen Abhandlungen Meringers beschäftigte sich z.B. mit Technik und Form der alten Öfen und des Rauchabzugs, ohne daß die Ofenwörter auch nur ansatzweise herangezogen wurden. Auch sonst wurde in der Zs. vielfach die E. zugunsten von Ergologie und Volkskunde zurückgestellt. Das Programm, Wörter und Sa¬ chen gleichermaßen in die e. Untersuchung einzubeziehen, gilt auch heute noch; und wie berechtigt dieser Satz ist, erkennt man, wenn man sich den hohen sonder-(fach-)sprachlichen Anteil des Wortschatzes (S. 265f.) vergegenwärtigt. Allerdings hat sich schon von Anfang an der Akzent auf die „Sachen“ im Sinne räumlicher Gegenstände verlegt, obwohl ursprünglich „ebensowohl Gedanken, Vorstellungen und In¬ stitutionen“ damit gemeint waren. Eine Studie über die E. von Etymologie, die die Konzeption der „Sache“ von der Antike bis in unsere Tage nachzeichnet (vgl. die Andeutungen S. 39ff.), wäre also durchaus im Programm der „Wörter und Sachen“ gelegen gewesen. Die einseitige Verengung von „Sachen“ auf den ergologischen Bereich hat das Programm im Laufe der Zeit für manche Etymologen in Mißkredit gebracht.

11.2 Der bedeutendste Repräsentant der Methode „Wörter und Sa¬ chen“ in der jüngsten Vergangenheit war J. Trier (der Begründer der Wortfeldtheorie, S. 200). In seinen Büchern geht er von bestimmten idg. Arbeitsbereichen aus, insbesondere vom Haus- und Zaunbau und vom „Ausschlagwesen“, dem planvollen Schneiden („Schneitein“) der Ruten, die dann als Baumaterial, in der Gerberei und als Viehfutter („Laubheu“) Verwendung finden. Es ergeben sich oft erstaunliche Aus¬ blicke, indem Trier diesen Tätigkeiten Morpheme zuordnet, deren E. früher mit „Wurzeln“ und tertium compuruf/o/iA-Bedeutungen endeten. Wir erfahren jetzt, daß Glaube, lieb, Liebe (S. 146), Lob, loben, geloben allesamt zu Laub gehören und die verschiedenen Bedeutungsentwicklun¬ gen als transgressive Sinnstreckungen (S. 212, 215) der Urbedeutung der Arbeit mit dem Futterlaub zu verstehen sind. Auch nhd. nehmen gehört in die Hecken- und Niederwaldwirtschaft als generalisierte Ableitung von der in lat. nemus ,Hain\ gr. vspoi; .Weideplatz' vorliegenden Strauchwerkwurzel *nem-. Gr. vepeiv ,zuteilen' bezieht sich auf die primitive Laubheuverteilung in der Gemeinschaft, nach einem bestimm¬ ten vöjioi; .Gesetz' und numerus .Zahl'. Nhd. Lust, sonst auf idg. *las- .gierig, lasziv, mutwillig, ausgelassen' zurück¬ geführt, soll ursprünglich ,Laub(büschel)' - so auch in Lusthaus - bedeuten und 282

erst sekundär - wieder als transgressive Sinnstreckung - ,Lust‘ ergeben haben. Vor allem aus dem älteren Dt. und aus Dialekten lassen sich viele Belege anführen, die Lust in einer mehr oder minder engen Beziehung zu ,Laub, „Maien“1 zeigen (vgl. auch Ortsbezeichnungen wie „Zw grünen Lust u.a.). Im DWb werden solche Stellen, soweit sie überhaupt erfaßt sind, als Metaphern verstanden, wenn etwa P. Fleming von der „verjüngten Lust der Gärten und Auen“ redet. Nhd. Lust ist nach J. Trier nicht zu idg. *las- zu stellen, sondern als schwundstufiges Abstraktum urgerm. *lustuz (S. 134) zu urgerm. *leusanursprünglich Abschlägen1 (der Zweige) -> ,verlieren‘. Dazu gehören auch aisl. lost (neutr. a-Stamm < *lusta-),Schlag1 mit einer Reihe verwandter Formen aus dem Bereich des Baumschälens, Bast- und Rindeablösens usw. Lust ist also , „Abhieb111 und, resultativ gefaßt, das, was abgehauen ist, bzw. das, was nach Wiederaustrieb im nächsten Jahr abzuhauen sein wird. Von der Bedeutung ,Büschel der Loden1 ist die heute herrschende Bedeutung von Lust abgeleitet. So etwa sieht - stark verkürzt - eine Triersche E. aus.

11.3 Es geht hier nicht um die Richtigkeit der Lust-E. Vom germanisti¬ schen Standpunkt aus ist die übrigens schon von J. Grimm vermutete Ableitung von *leusan- zweifellos „elegant“. Andererseits ist Lust im Sinne von ,Laubbüschel, Ausschlag1 so sporadisch und nur in solchen Kontexten belegt, daß das, was Trier für ursprünglich hält, immer auch sekundäre Metaphorik sein kann. Es ist grundsätzlich zu fragen, ob (1) das von Trier den Indogermanen und Urgermanen zugeschriebene Welt¬ bild, das auch die Konzeption seelischer Vorgänge wie etwa ,Lust‘ aus der täglichen Arbeitswelt ableiten will, richtig ist, und ob (2) insbeson¬ dere das „Ausschlagwesen“ jene zentrale Rolle gespielt hat, die ihm hier zuerkannt wird. (1) Daß die Arbeit im sprachlichen Horizont des Bauern und Vieh¬ züchters im Vordergrund stand, wird man sicher zugeben müssen. Übri¬ gens wurde dieser ergologische Aspekt z.B. auch von (marxi¬ stisch orientierter) philosophischer Seite (J. Ritter) begrüßt. Fer¬ ner sind transgressive Sinnstreckungen, wie sie hier vorausgesetzt wer¬ den, sicher möglich und öfters auch nachweisbar (s.o. zu Freude, S. 212). Verfehlt dürfte die latente Neigung sein, alle seelischen Bedeutungen aus den konkreten Arbeitstermini herzuleiten. Sehen wir von Tabuerscheinungen ab (S. 223f.), so scheint es z. B. recht unglaub¬ haft, daß es nicht schon im Idg. Benennungen für sexuell-erotische Affekte gab, jenseits des Bildes „der grobsinnlichen Aggression“, „deren Wortstoff dem handgreiflichen Zupacken (...) beim Laubrupfen entstammen könnte“ (so Trier zum Verhältnis von Laub und Liebe). Für idg. *priH- ,gern haben, lieben usw.1 lassen sich wohl keine Beziehungen zur Arbeitswelt im Sinne Triers herstellen.

(2) Die zentrale Rolle, die Trier dem „Ausschlagwesen“ zuerkennt, bleibt, obwohl man vielfach semantische Beziehungen zwischen 283

,Mensch1 und ,Holz‘ feststellen kann, zumindest fraglich. Man staunt jedenfalls, daß Trier die Archäologie so gut wie unbeachtet läßt, und gewinnt den Eindruck einer gewissen Monomanie, die, auf den Niederwald und seine „Läuber“ fixiert, andere, z.T. ältere, jedenfalls nicht minder wichtige Bereiche der Arbeitswelt außer acht läßt (etwa Jagd und Fischfang, Steinbearbeitung zur Herstellung von Werkzeugen [S. 292], Feuerbohren, Weben, Kochen, Keramik). Trier hat sich nir¬ gendwo gegen die Einbeziehung anderer Arbeitsbereiche ausgesprochen. Der altertumskundlich minder bewanderte Feser kann aber unter dem Eindruck von Triers manieriert-einfacher Rhetorik (die einer Stilunter¬ suchung wert wäre) nur zu leicht den Eindruck einer Urzeit bekommen, in der es überhaupt nur Reiser, „Läuber“ und Schößlinge gegeben habe. Trotz dieser Vorbehalte ist aber zu sagen, daß Triers Bücher zur (kritisch genossenen) Pflichtlektüre des Etymologen gehören.

12 Es ist noch auf die areallinguistische Forschungsrichtung der Neolinguistik, die M. Bartoli 1925 begründete, hinzuweisen. Sie ist ein Zweig der allgemeinen Sprachgeographie, welche für das Dt. vor allem durch die Marburger Schule (Deutscher Sprachatlas, Deutscher Wortatlas) und durch Namen wie F. Wrede, Th. Frings, W. Mitzka gekennzeichnet ist. Die Neolinguistik besteht nun in der Anwen¬ dung sprachgeographischer Prinzipien, wie sie in den einzel¬ sprachlichen Dialektologien erarbeitet wurden, auf die Indoger¬ manistik überhaupt. Zur chronologischen Beurteilung von Mor¬ phemen sind nach Bartoli vier Fragen wichtig: (1) Was hat sich in einem isolierten Gebiet innerhalb eines Sprachraumes erhalten? (2) Was hat sich in den Randgebieten eines Sprachraumes er¬ halten? (3) Was hat sich im größten Teil des Sprachgebietes erhal¬ ten? (4) Was hat sich in Sprachinseln oder in Form von Lehnwör¬ tern in anderen Sprachen erhalten? Diese Fragen, auf das dt. Sprachgebiet angewandt, lassen sich durch Beispiele belegen, die z.T. schon vorgeführt wurden und daher hier nur kurz erwähnt zu werden brauchen. (1) Wir haben an den „got. Lehnwörtern“ der ersten Missionierungs¬ phase (S. 255) schon beobachten können, daß einige von ihnen nur im Bair. weiterleben (Irtag, Pfinztag...). Ein anderes Beispiel ist das Wanderwort bair. dial. Pfaid, fern. Das Morphem ßaitr| wurde aus einer kleinasiatischen Sprache in der Bedeutung .Fellrock (des Hirten)1 ins Gr. 284

entlehnt, dann aber in einer endbetonten Variante (VG!) mit 1. LV ins Germ, übernommen (> got. paida, as. peda, ags. päd, ahd., mhd. pfeit), lebt jedoch nur noch im Bair. weiter ([pfont]). Weitere Beispiele bieten die ,,Nordwestblock-Wörter“ (S. 243 ff.), ferner as. Wörter wie fehmia ,Frau‘, as. radur ,Himmel, Äther1 (: ags. rador), as. rakud,Tempel1 (: ags. rceced ,Haus, Palast, Halle1), as. geban ,Meer‘ (: ags. geofon). (2) An den Rändern eines Sprachraumes finden sich häufig alter¬ tümliche Morpheme, die in zentraleren Regionen untergegangen sind. Solche Randgebiete in bezug auf den germ. Sprachraum sind vor allem das Skandinavische (auch das Got.?), Alem. und Bair.: z.B. lat. ver ,Frühling1 : aisl. vär, lat. arätrum ,Pflug1 : aisl. arör, lat. söl,Sonne1 < **suH2öl (Suffix in aDe!) neben **suH:el-, das mit Laryngalmetathese aus **seH:uel > spätidg. *sauel > got. sauil, aisl. söl ,Sonne1; NurGerm.: norw., schw. dial. flo ,Schicht, Lage1: halem. (schweizerdt.) Fluh ,Fels‘, aisl. Jpekkr ,angenehm1 : bair. tengg Jink(s)1 (zum Euphemismus: link(s) als das ,Bessere, Angenehmere1 vgl. gr. apioxspöq ,der Bessere1 -*■ ,der Linke1). Manchmal haben auch das As. (und Ags.) Anteil: as. flett ,Flur, Diele1 (: ags. ßett ,dass.‘) : aisl. fiel : bair./7etz. Im Grunde gehören hieher alle jene Wörter, die im Registerband des IEW (S. 280-296) mit dem Vermerk „Schweiz.“, „bair.“ versehen sind. Wie es zu dieser Randbildung kommt, läßt sich sehr deutlich an den Wortkarten, z.B. von ,Biene1, ablesen (onomasiologische Fragestellung; S. 273 ff.): Von Anfang an stehen Imme und Biene im dt. Sprachgebiet nebeneinander. Dann dürfte sich Imme ausgebreitet haben, jedoch nicht im Md. und Mittelbair. Nachdem Luther dann das md. Biene durchgesetzt hat, ist Imme auf den obd. (außer Ost-Öster¬ reich) und den nd. Raum zurückgedrängt. (3) Hieher gehört der nhd. Wortschatz, sofern er nicht nur dial. Geltung hat. (4) Neben gewissen durch die umgebenden Sprachen angeregten Neuerungen zeigen die dt. Sprachinseln, die seit dem hohen MA entstanden, viele Archaismen phonologischer, morphologischer und lexikalischer Art. Aus der Fülle des Materials können nur wenige Beispiele angeführt werden: Eine lexikalische Altertümlichkeit der „Sie¬ ben Gemeinden11 (zwischen Trient-Verona-Vicenza-Bassano, die ab ca. 1100 von Westtirol aus besiedelt wurden) ist ['kxödonj ,sagen1 < ahd. quedan ,sagen1 (: ne. quoth ,sagte1, bequeath ,vermachen1); eine der Gottschee (seit dem 14. Jh. südbair. besiedelt) ist ['kxonon] ,Brautleute kopulieren1 (zu mhd. quene ,Ehefrau1: ne. queen). Sprachinselwörter müssen aber keineswegs immer älter und altertüm¬ licher sein als jene Erbwörter, die sich im ganzen Sprachraum erhalten haben, sind doch gerade die Sprachinseln in besonders hohem Ausmaß 285

der Adstratwirkung durch die sie umgebende fremde Sprachgemein¬ schaft ausgesetzt. Die zunehmende Adstratwirkung ist auch einer der Gründe für das Untergehen einer Sprachinsel. In der um 1965 untergegangenen Walser Sprachinsel Saley im Tessin hieß es der [tsi:t] ,die Zeit1. Daraus dürfte man natürlich nicht schließen, daß Zeit ursprüng¬ lich mask. gewesen sei, denn alle germ. Sprachen weisen sonst auf ein urgerm. *tidiz (fern. /-Stamm). Das mask. Genus im waiserischen Saley erklärt sich vielmehr als Auswirkung des italien. Adstrats (// tempo).

Stets müssen zu den areallinguistischen Befunden die übrigen Ergebnisse des Sprachvergleichs hinzukommen, wenn sie als chronologisches Indiz gelten sollen.

13

Wenig ergiebig sind bisher die Bemühungen um eine „trans¬ formationeile E.“ verlaufen. Und das wird sich auch nicht än¬ dern. Diese formalisierende Richtung kann bestenfalls zeigen, daß Jazz im Dt. und NI. nicht bodenständig, sondern ein Fremdwort ist (was niemanden groß wundern wird), hat aber keinerlei Chance im höchst komplexen Bereich der Semantik und schaltet sie auch mit einem auf rein lautliche Rekurrenz zurückgestutzten E.-Begriff a limine aus. Eine so integrative Forschungsrichtung, wie es die E. ist, wird man mit einem auch noch so komplizierten Regelwerk nicht bewältigen können. Da sie auch die historische Konzeption der genetischen Verwandtschaft preis¬ gibt, kann die „transformationelle E.“ höchstens zu Phonement¬ sprechungsregeln wie nl. / : ne. t : nhd. z führen (vgl. S. 32ff. und die Tabellen S. 113fif.). Die E.-Formel hat weniger eine heuristisch-modellhafte Funk¬ tion denn eine didaktische und im besten Fall Kontrollfunktion bei der Abfassung von Artikeln zu e. Wörterbüchern. Der erste Versuch, das e. Verfahren zu formalisieren, stammt wohl von A.S.C. Ross (1962). Gegeben sei ein genetisches Sprachensystem von der Form: A

n

x0 sei ein Wort der Sprache A„ mit der Bedeutung ,z0‘. Die E. von x0 läßt

sich dann nach Ross so umschreiben:

und etwa so zu lesen: 286

Das Wort x0 der Sprache A0 mit der Bedeutung ,z0‘ stammt von dem Wort x der Sprache A, aus der A0 entstanden ist, und hat als Etyma die Wörter x1 mit der Bedeutung ,zf in der Sprache Ah x2 mit Bedeutung ,z2‘ in der Sprache A2 und so fort bis zum Etymon xn mit der Bedeutung ,zn‘ in der Sprache An, wobei A0-An in einem direkten Filiationsverhältnis zu A stehen. Ist das Filiationsverhältnis nicht direkt, wie z. B. bei den Sprachen Got., Nhd., Mnk, Schw. (dial.), Aisl., Urgerm., so sind weitere Indices einzuführen, also etwa Au, Ai2... Aim, AkI, Ak2... Akn... Entlehn¬ verhältnisse werden durch die Einführung von Klammern bewältigt. Über den Wert dieser Darstellung läßt sich streiten. Daß sie beim Auffinden der E. nicht hilft, ist wohl offensichtlich. Bezeichnenderweise macht Ross selbst später bei der Darstellung der e. Arbeit von der Formel nicht mehr Gebrauch. Man hat dieser Formel vorgeworfen, daß sie viel zu sehr verein¬ fache, etwa Kontamination, Synonymenschub, Analogie, Volksety¬ mologie usw. nicht berücksichtigen könne. Wer bisher meiner Darstel¬ lung gefolgt ist und hoffentlich einen Eindruck vom komplexen Charak¬ ter des Etymologisierens gewonnen hat, wird diesen Zweifeln an der Ross’schen Formel zustimmen. Insbesondere die histoire du mot und die Vielfältigkeit semantischer Entwicklungen läßt sich wohl nur verbal, nicht formalisiert, darstellen. Aber selbst einer „formalen“ Angelegen¬ heit wie den idg. Wz.-Determinativen (S. 125) läßt sich nur mit großem Zeichenaufwand beikommen, die Abstufung von Wahrscheinlichkeiten durch (verschiedenwertige) Belege für Parallelen und dgl. nur sehr müh¬ sam oder gar nicht darstellen, so daß die Frage, ob das Ergebnis den Aufwand lohnen würde, mehr als berechtigt erscheint. Nach verschiede¬ nen Verfeinerungen der E.-Formel stammt die letzte Konstruktion die¬ ser Art von dem Slawisten J.B. Rudnickyj. Sie lautet: Av —

CH[ci-\-o-\-(ü-\-o)d-\-s]

AjXjA2x2A2x3 ... A„x„


und ist zu lesen: „The etymology of the word x with its semantic contents in the System of the language A results from the genetic relationship (<) of the Contemporary (C) and historical (H) materials comprising all the appellative (a) and onomastic (o) formations with their derivatives (d) and the semantic sphere (5) confronted with cognates of the other related languages {A,xh A2x2... A„x„) to the source (S).u Diese Formel ist zweifellos viel differenzierter, aber gleichwohl immer noch zu pauschal, als daß sie beim Auffinden von E. eine große Hilfe sein könnte. Welche Möglichkeiten der Bedeutungsverän¬ derung verbirgt sich nicht hinter den Worten „and the semantic sphere Ü)“! ' 287

Der Wert einer E. liegt in der Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit. Die Wahrscheinlichkeit aber resultiert wieder aus der Evidenz und Reliabilität der beibringbaren Parallelen, deren Schlagkraft gegeneinan¬ der abgewogen werden muß. Dies ist nur ein Punkt, dem diese Formel nicht gerecht wird. Was die Formel Rudnickyjs bestenfalls leisten kann und wofür sie auch empfoh¬ len wurde, ist, daß sich an ihr bei der Anlage eines Wörterbuchartikels über¬ prüfen läßt, ob auch die appellativischen und onomastischen (= Namens-) Belege aus allen Sprachen und Sprachstufen aufgeführt sind oder nicht. Aber selbst dafür würde sich eine „check-list“ mit Abhakmöglichkeit oder eine Matrix besser eignen.

288

XVIII 1

Die Anwendung der Etymologie

Etymologie und Geschichte:

Da die E. per definitionem eine historische Wissenschaft ist, ist naturge¬ mäß ihre Affinität zur Geschichtswissenschaft am größten. Wir haben sie schon als Hilfswissenschaft der Geschichte kennengelernt (S. 255 ff.), und sie ist dies insbesondere dann, wenn historische Zeugnisse im engeren Sinn (wie Urkunden und andere Quellen) fehlen, d.h., daß sich am ehesten die Vor- und Frühgeschichte und die mittelalterliche Geschichte der E. bedienen werden. Ein wichtiges Beispiel sind die Siedlungsnamen, die auf Grund ihrer Bildungsweise oft über hi¬ storische Vorgänge Aufschlüsse geben, wie wir sie z.B. aus der Ar¬ chäologie nicht gewinnen können. In diesem Sinn ist die E. oft Kronzeuge für Landnahme- und Besiedelungsvorgänge in der Völkerwanderungszeit und danach. So wird z.B. alem. Besiedelung durch ON auf-weder, -wiler faßbar, während man die bair. Besiedelung in der Regel an „echten“ -mg-Namen, d.h. patronymischen (= vom Namen des Vaters abgeleiteten) und anderen von PN ausgehenden Zugehörigkeitsbildungen (S. 160) erkennt. In vielen Fällen kann nur die E. zwischen solchen bair. Benennungen (wie z.B. Waging bei Laufen vom PN Wago, dies wieder die Kurzform eines komponierten zweiglied¬ rigen PN [S. 175]) und sog. „unechten“ -wg-Namen, wie sie unter paronymischer Eindeutung des -mg-Suffixes z.B. aus slaw. Benennun¬ gen entstehen konnten (z.B. Semmering, S. 252), unterscheiden. Die E. ermöglicht auch Rückschlüsse auf die ethnische Her¬ kunft von Bevölkerungen. So hat L. Weisgerber auf Grund der in¬ schriftlich bezeugten römerzeitlichen PN im Trierer Raum und im Rheinland auf den prozentuellen Anteil von Galliern, Germanen usw. geschlossen. Dazu mußten Tausende von Namen zwar nicht im einzel¬ nen etymologisiert, aber doch in einer Art e. Schnellverfahren nach ihrer sprachlichen Zugehörigkeit sortiert werden. Natürlich gibt nicht jeder Name über die ethnische Zugehörigkeit seines Trägers verläßlich Aus¬ kunft, z.B. ist Arminias, der Name des Siegers vom Teutoburger Wald, wohl ungerm., und sein Bruder führte den lat. Namen Flävus .der Blonde1 - aber bei einer genügend großen Zahl von Namen fallen solche Akkulturationserscheinungen nicht sehr ins Gewicht. Wir erhalten auf diese Weise sehr lebensnahe Aussagen über die Bevölkerungszusammen¬ setzung, die wir den antiken Historikern nie entnommen hätten. Unter Beachtung der Prinzipien der Personennamenbildung (S. 175) und der Vorliebe bestimmter Geschlechter für gewisse Namenselemente kann die E. auch die genealogische Forschung unterstützen. 289

2

Ein Verfahren, das primär auf E. gestützt historische Erkenntnisse zu gewinnen sucht, wird „linguistische Paläontologie“ ge¬ nannt. Ihr verdanken wir gewisse Einblicke in die Kultur der in schriftloser Zeit lebenden Indogermanen, die wir etwa aus der Archäologie nicht gewinnen könnten. Dazu zählen in erster Linie die kulturellen Leistungen der Indogermanen, vorab die Sprache, die ja nach dem vergleichenden Verfahren rekonstruiert wird, und die sonstige materielle und ideelle Kultur. Es kann natürlich nicht Aufgabe dieses Bandes sein, ein Bild der idg. Kultur zu entwerfen. Es genügt, wenn einige Umrisse herausgehoben werden. In der linguistischen Paläontologie wird eine Unterscheidung wichtig, die wir bisher eher vernachlässigt haben, nämlich die zwischen „uridg.“ und „gemeinidg. “. Der Unterschied liegt darin, daß unter „gemeinidg.“ alle jene sprachlichen Elemente zusammengefaßt werden, die in mehreren idg. Tochtersprachen belegt sind, ohne aber deswegen in der idg. „Urzeit“gebildet sein zu müssen. „Uridg. “ hingegen sind jene Morpheme, von denen angenommen werden kann, daß sie schon in der idg. Urzeit bestanden. Das Verhältnis der beiden Termini ist das gleiche wie zwischen „urgerm.“ und „gemeingerm.“ (S. 62); z. B. mit ai. bhr-ti-,Unterhalt' lassen sich lat.fors,fortis ,Zufall4 und ahd. burt (fern. /-Stamm) ,Geburt' vergleichen: < *bhr-ti-s (Abstraktum zu *bher- ,tragen'). Da aber mit dem -ti-Suffix (S. 164) auch einzelsprachlich noch neue Ableitungen gebildet wurden, es also „produktiv“ blieb, beweisen die übereinstimmenden Zeugnisse der drei Sprachgruppen nicht, daß idg. *bhrtis eine „uridg.“ Bildung ist, „ge¬ meinidg.“ ist sie aber. Freilich ist nicht ganz klar, in wie vielen Tochter¬ sprachen (hier: ar., ital., germ.) ein Morphem oder eine Bildungsweise belegt sein muß, um als „gemeinidg.“ gelten zu können. Zur Wz. *per,hinüberführen4 finden sich schwundstufige m-Abstrakta im Ar. (av. paratu-s ,Durchgang4), Ital. (lat. portus, -üs ,Haustüre; Hafen'), Kelt. (gall. *ritu- in ON , kymr. rhyd,Furt4 u.a.) und Germ, (ahd., mhd., nhd. furt). Da das -tu-Suffix einzelsprachlich nicht produktiv war, müssen diese Etyma auf ein „grundsprachliches'' (= uridg.) *prtüs zurückgehen. Wenn wir dagegen den ON Fürth auf urgerm. *furdi- < idg. *pftizurückführen, so behaupten wir damit nicht, daß das Morphem schon in urgerm. oder gar idg. Zeit gebildet worden wäre, sondern die Rekonstrukte sind in diesem Fall bloße Formeln, die etwas formal Mögliches bezeichnen. Es ist freilich nicht ausgeschlossen, daß auch in idg. Zeit schon ein *pftis gebildet wurde, aber wir haben keine Möglichkeit, dies festzustellen, und folgen dem Prinzip des geringeren Risikos, das auch in der wissenschaftlichen Hypothesenbildung gilt, wenn wir es für eine germ. (etwa vorahd.) Neubildung halten. 290

3 Wenn wir nun noch bedenken, daß auch schon in idg. Urzeit sprach¬ liche Interferenz (etwa Adstrat) bestanden haben muß, sofern Kontakt mit nicht-idg. Nachbarvölkern bestand, dann werden wir auch mit nicht-idg. Lehnwörtern im Idg. rechnen müssen, die aber dennoch zum „grundsprachlichen“ Wortschatz gehörten, ohne deswegen „uridg.“ sein zu müssen. Die Bezeichnung „idg.“, die wir bisher einigermaßen unreflektiert verwendeten, kann also viererlei bezeichnen: (1) Ein „grundsprachliches“ = „uridg.“ Erbwort, das wirk¬ lich von den jungsteinzeitlichen Indogermanen gebraucht wurde und wieder aus dem Früh- und Voridg. stammt (*pster, *eudher...) oder in der Grundsprache aus ererbten Mitteln gebildet wurde (*prtüs...). (2) Ein „grundsprachliches“ = „uridg.“ Lw.: z.B. halten manche das „grundsprachliche“ Wort für ,Stern' (gr. aoxr|p, lat. stella, ahd. sterno > nhd. Stern usw.) für eine Entlehnung aus dem Assyr. (.Istar, Astarte ,Venus‘). (3) Ein „gemeinidg.“ Wort, das in mehreren (wichtigen) idg. Sprachzweigen begegnet und mit aus der „Grundsprache“ ererbten Mitteln erst in den idg. Einzelsprachen gebildet wurde (*bhrtis). Wenn solche Bildungen auch oft „grundsprachlich“ sein könnten, so werden sie doch nach dem Prinzip des geringeren Risikos nicht als „grund¬ sprachlich“ angesehen. (4) Ein bloßes Rekonstrukt, das nicht den Anspruch erhebt, „grundsprachlich“ oder „gemeinidg.“ zu sein - es aber auf Grund seiner Struktur dennoch sein könnte -, ohne daß es die Möglichkeit gibt, seine tatsächliche Existenz wahrscheinlich machen zu können. In der Regel wird „idg.“ ohne weitere Präzisierung in allen diesen vier Bedeutun¬ gen gebraucht. Der Leser muß dem Zusammenhang und der jeweiligen Argu¬ mentation entnehmen, in welcher Bedeutung der Terminus „idg.“ gerade ver¬ wendet wird. Es liegt auf der Hand, daß für die „linguistische Paläontologie“ nur „grundsprachliche“ Wörter im Sinne von (1) und (2) von Interesse sein können.

4

Die „linguistisch-kulturhistorische Methode“, wie die „linguistische Paläontologie“ auch genannt wird, beruht auf der Beharrsamkeit der Wortverwendung. Wir können damit Sachgüter neuerer Art vergleichen, bei denen oft noch die Herstellungsweise und das Material der Vorform relikthaft und funktionslos beibehalten oder nachgeahmt werden. Wir beobachten dies an modernen Sachen, wenn z. B. der VW-Käfer noch als Atavismus aus der Kutschen-Zeit Trittbret¬ ter hat (obwohl dadurch der Innenraum beengt wird), oder an vorge¬ schichtlichen Tongefäßen, deren Oberfläche man ornamental nach Art eines Flechtwerks behandelte, eben weil die Vorform früher geflochten 291

war. Die Archäologie gewinnt aus solchen funktionslosen Ata¬ vismen chronologische Argumente. Nicht minder konservativ ist aber vielfach die Sprache (s.o. Feder und Plombe, S. 202). In vielen Gegenden heißt es heute noch, etwas fallt auf die Erde, auch wenn es auf Plastik, Holz oder Beton fällt, weil eben das Idiom aus einer Zeit stammt, in der die festgestampfte Erde üblicherweise den Boden bildete. Das Verbum nhd. blechen ,zahlen1 geht auf eine Zeit dünner Scheide¬ münzen aus Blech zurück. Lat. pecunia ,Geld\ das zu pecus ,Kleinvieh' gehört, stammt aus einer Zeit, in der das Vieh noch das einzige Zah¬ lungsmittel war. Selbstverständlich sind nicht alle grundsprachlichen Morpheme für die linguistische Paläontologie von Interesse. Körperteil¬ bezeichnungen wie idg. *nas ,Nase(nloch)‘, Personalpronomina, Kon¬ junktionen usw. scheiden i.a. aus. Interessanter ist schon das (dekadi¬ sche) Zahlwort, das Aufschluß über das idg. Fingerrechnen geben kann (s.o. Hand, S. 145f.)Beispiele für „linguistische Paläontologie“: nhd. Messer < ahd. mezzira(hs) (S. 269f.) = ags. mete-seax ,Speise-Messer'. Das Zweitglied begegnet noch in ahd. sahs ,Messer' (auch in mhd. scharsahs ,Scher-, Rasiermesser' > nhd. FN Scharsach) und bezeichnete im germ. Altertum ein langes Messer oder Kurz¬ schwert, das auch die Nationalwaffe der Sachsen war. die danach benannt sind (latinisiert Saxönes). Es entspricht formal genau lat. saxum .Fels(stück)' (dazu lat. secäre ,schneiden'). Da weitere Wortgleichungen dieser Art in dieselbe Richtung weisen, darf man annehmen, daß diese Übereinstimmungen auf die Verwendung von (Flint-)Steinen als Messer, d.h. auf die Steinzeit, zurückgehen. Dazu stimmt, daß nur ein Metallwort idg. *aios sicher „grundsprachlich" im Sinne von oben (1) oder (2) sein dürfte. Es lebt in ai. äyas-, av. ayah- .Metall. Eisen', lat. aes, aeris, got. äiz, ahd. er (dazu: erin > mhd. eren > nhd. ehern) ,Erz, Bronze' weiter und bezeichnete wohl das Kupfer, vielleicht auch die Bron¬ ze. Schon die variierenden Bedeutungen zeigen, daß es sich wohl um das einzige Metallwort handelte, das beim Aufkommen neuer Metalle für deren Bezeich¬ nung verwendet wurde. Schon die Morpheme für ,Gold' und ,Silber' (die vielfach nach der Farbe als ,das Gelbe' und ,das Weiße' benannt wurden) sind nicht mehr grundsprachlich und kaum gemeinidg. Nhd. Silber (< urgerm. *silubra- ?) dürfte zusammen mit lit. sidäbras, russ. serebrö .Silber' sehr früh aus einer nichtidg. Sprache entlehnt sein.

5 Wenn idg. *pel- .Haut, Fell, Leder' z.B. in Gefäßnamen (ags. feil .Becher', gr. neXU<; .Schüssel') und Bezeichnungen für Bekleidungsstükke (aisl.feldr .Mantel') vorkommt, so hat man daraus geschlossen, daß die Indogermanen Gefäße und Kleidungsstücke aus tierischen Häuten herstellten und daher über eine Art der Lederbereitung verfügten. Als Ergebnis der linguistischen Paläontologie besteht heute weit¬ gehend darüber Einigkeit, daß die Indogermanen Viehzucht (mit 292

Schwein, Schaf, Ziege, Rind, Pferd, Ente, Gans und dem Hund als Haustier) und Ackerbau (Gerste) mit Hakenpflug betrieben. Feuerbohren, Flechten, Keramik und der Holzbau waren bekannt. Man lebte in Häusern und Wohngruben (nhd. (Schweine-)Ä:oben : gr. yu7rr| ,Erdhöhle, Loch4). Es gab einen „König“ (idg. *reg-s), der auch Repräsentant der Sakralität war, und Großfamilien (Sip¬ pen?) mit reichdifferenzierter Verwandtschaftsterminologie (noch nhd. Vetter, ursprüngl. ,Vaterbruder4, Base, ursprüngl. ,Vaterschwester‘, Oheim ,Mutterbruder4, Muhme ,Mutterschwester4) mit genauer Unter¬ scheidung zwischen Bluts- und Heiratsverwandtschaft. Die idg. Krieger stellt man sich als Wagenkrieger (wie in der gr., ai. und kelt. Hel¬ densage) vor. Besonders interessant ist die schon grundsprachliche dif¬ ferenzierte Wagenterminologie. Geritten ist man wohl nicht. Es gibt Hinweise auf eine heroische und religiöse Dichtkunst in metrischer Form, wobei die Dichter als inspiriert galten. Daß es eine reichdifferen¬ zierte Götterwelt mit vielfältigen Kulten gab, läßt sich aus der verglei¬ chenden Religionsgeschichte erschließen, ebenso eine dementsprechend in drei Funktionen aufgeteilte Sozialordnung (G. Dumezil). Von der E. her kann man die Verehrung des Himmelsgottes als sicher erweisen. Die anderen Götter treten zwar in den einzelnen idg. Völkern mit teilweise verblüffender Funktionsübereinstimmung hervor, ihre Na¬ men sind jedoch nicht grundsprachlich, wenn sich auch öfters bei meh¬ reren Völkern als Namengleichungen aufscheinen. Es gibt ein grund¬ sprachliches Wort für ,Nacht4, jedoch nicht für ,Tag4. Daraus und aus einzelsprachlichen Übereinstimmungen schließt man, daß man den Lichtwechsel nach Nächten zählte (vgl. ne. fortnight ,14-Tage4), nicht nach Tagen; analog die Jahre nach Wintern. Grundsprach¬ lich unterschied man zwischen Winter, Frühling und Sommer. Eine auch nur gemeinidg. Benennung für den ,Herbst4 fehlt hingegen. Das Verfahren der linguistischen Paläontologie ermöglicht also Rückschlüsse auf die Lebensumstände der Indogermanen; allerdings nur insofern, als man mit ihrer Hilfe erschließen kann, was die Indogermanen kannten, wegen der Mög¬ lichkeit des Morphemverlustes jedoch nicht, was sie nicht kannten.

6

Die Frage nach der „Urheimat“ der Indogermanen galt lange Zeit als ein Hauptproblem der Indogermanistik. Da die archäologische Zuordnung der als ein „Volk“ betrachteten Indogermanen (zu diesem Problem vgl. jedoch die „Sprachbundkonzeption“, S. 66) zu einer be¬ stimmten neolithischen „Kultur44 (man denkt meist an die Schnurkera¬ miker) nicht unumstritten ist und überhaupt die Deckungsgleichheit von Sprachgemeinschaft und archäologischer „Kulturgruppe“ in Frage steht, scheint die solid betriebene E. dazu berufen, die Frage nach dem 293

Wohnsitz der Indogermanen zu klären. Wir haben die Vorgangsweise der E. (samt den damit verbundenen Tücken) bei solchen Fragestellun¬ gen schon im Zusammenhang mit der alteuropäischen Hydronymie (S. 241) kennengelernt. Berühmt war in der Indogermanistik lange Zeit das „Buchenar¬ gument“: Das Wort nhd. Buche (< mhd. buoche < buohha < urgerm. *bök- < idg. *bhäg- > lat.fägus ,Buche4, gr. (priyöc;,Eiche1, gall. *bägos in ON) scheint hinsichtlich seiner Verbreitung (und bestimmter morphologischer Eigenheiten) „uridg.“. Wenn wir etwa durch Pollen¬ analyse wissen, wo zur Zeit des Neolithikums die Verbreitungsgrenze der Buche (Fagus silvatica) verlief, so darf man annehmen, daß die Indoger¬ manen innerhalb des Buchengebietes wohnten. Die Griechen hatten nach der Abwanderung in ein Gebiet, wo die Buche nicht vorkam, das Buchenwort auf die Eiche übertragen. Die Buchengrenze verläuft ent¬ lang einer Linie von Königsberg (Kaliningrad) zur Krim. Die Heimat der Indogermanen wäre also westlich dieser Grenze zu suchen. Es ergeben sich die Fragen: (1) Woher wissen wir, daß idg. *bhägos die Rotbuche (Fagus silvatica) und nur diese bezeichnete? Die Buchenart Fagus orientalis kommt auch jenseits der Buchenlinie vor. (2) Woher wissen wir, daß idg. *bhägos mit der vermuteten Bedeutung .Rotbuche' nicht etwa einen Baum bezeichnete, der zwar den Indogermanen im eigenen Land fehlte, aber doch durch Verkehr mit einem Stamm aus dem Buchengebiet geläufig war? Idg. *bhägos wäre dann aus der Sprache jenes nicht-idg. Stammes entlehnt, der Wohnsitz der Indogermanen müßte aber gerade jenseits der Buchengrenze gesucht werden. Aus diesen und weiteren Gründen gilt das Buchenargument heute als irrelevant. Ähnlich hat man auch den Namen des Lachses, aber auch das Wort Meer zur Bestimmung der Urheimat herangezogen, Argumente, die sich als ebensowenig tragfähig erweisen wie das Buchenargument. Heute steht man der mit viel Verve verfolgten Urheimatfrage mit Ernüchterung, ja Resignation gegenüber.

7

Etymologie und Religionsgeschichte:

In besonderem Maße bedient sich auch die Geschichte der heidni¬ schen Religion bei den idg. Völkern der E. Während es bei PN ja nur ganz ausnahmsweise vorkommt, daß der Name über den Charakter und das Geschick seines Trägers etwas aussagt - gewöhnlich nur bei Spitz- und Übernamen (auch im M A, als das Appellativ mhd. ger .Speer' noch vorhanden war, erwartete man nicht unbedingt von einem Gerhart, daß er ein guter Speerkämpfer sei) darf man doch von GN eher annehmen, daß sie Funktionsbezeichnungen sind, bzw. etwas über Herkunft und Charakter des Gottes aussagen. Der germ. Donner¬ gott *{junaraz (> ahd. * Donar in donarestag ,dies Iovis' > Donnerstag) 294

heißt ,Donner1 - und übrigens auch in Skandinavien, wo es kaum Gewitter gibt, was auf den altertümlichen Charakter des GN hinweist. Die im 2. Merseburger Zauberspruch erwähnte Göttin Sinhtgunt, deren Name meist in *Sinthgunt verbessert („emendiert“) wird, enthält wohl ahd. sint ,Weg, Fahrt, Reise‘ + gund ,Kampf1. Da über sie in den übrigen Quellen unserer Kenntnis der heidnischen Religion (z. B. Edda) nichts überliefert ist, ist der Name der einzige (dürftige) Hinweis auf Charakter und Funktion der Göttin. Freilich gibt die E. häufig mehr Rätsel auf, als sie zu lösen hilft: Man sehe nur die umfangreiche Litera¬ tur zu den aisl. GN Baldr, Heimdallr oder gar Hoenir, den man auf Grund seines Namens für einen Lichtgott, Wassergott, Wolkengott, Waldgott, Vogelgott und Totengott gehalten hat. Dennoch: trotz aller Vieldeutig¬ keit der e. Verbindungen gibt es kaum religionsgeschichtliche Untersu¬ chungen, die auf sie verzichten könnten.

8

Etymologie und Sprachwissenschaft:

Die E. als eine sprachwissenschaftliche Disziplin wirkt natürlich auch auf andere sprachwissenschaftliche Disziplinen ein und zurück. Beson¬ ders eng ist das Verhältnis zu den historischen Zweigen, die ihrerseits die E. ermöglichen und gleichzeitig durch E. bedingt sind. Damit ist die diachronische Grammatik i.a., besonders Lautlehre und Mor¬ phologie, gemeint, die ohne den diachronen Vergleich, der aber auf der e. Einsicht der Verwandtschaft beruht, nicht möglich wäre, ganz gleich¬ gültig, ob die Diachronie generativistisch formalisiert oder in tradi¬ tioneller Weise dargestellt wird. Ähnlich verhält es sich mit der hi¬ storischen Semantik. Wie eng die Symbiose zwischen der E. und der diachronischen Linguistik im ganzen ist, wird der Leser aus der bisherigen Darstellung schon ersehen haben. Aber auch für die Areallinguistik, die Soziolinguistik und die diachronische Universalienforschung ist die E. ein direktes oder indirektes Hilfsmittel.

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Etymologie und Sprachnormierung:

Besondere Bedeutung hat die E. für die Sprachnormierung, die zwar nicht Sprachwissenschaft ist, aber ihr nahestehen sollte. Daß die Bildung von Ersatzwörtern und inneren Entlehnungen aller Arten durch Sprachreiniger sich gelegentlich an der E. orientiert, läßt sich immer wieder beobachten: Die berühmt-berüchtigte Neubil¬ dung Treibling für Motor beruht natürlich auf dem e. Zusammenhang von Motor und lat. movere. Eine problematische Rolle spielt die E. in der Orthographie. „Etymologische Schreibungen“, wie sie z.B. im Ne. vorherrschen, ge295

hören eigentlich, da es sich um mehr oder minder mittelalterliche Schrei¬ bungen handelt, die aus Konservativismus weitergeschleppt wurden, obwohl sie der geänderten Aussprache sehr ferne stehen, in den Bereich des sprachlichen Archaismus (S. 225f.): Z.B. night [nait] ,Nacht (: me. night, niht) und knight [nait] ,Ritter (: me. cnight) sind vom me. Stand¬ punkt aus phonetische Schreibungen (ght, ht — [gt]). Nach Ausfall des [ ] (im schottisch-dial. Ne. noch gesprochen), des anlautenden k- und der ne. Diphthongierung sind diese Schreibungen zu verknöcherten Relikten eines früheren Sprachzustandes geworden, die mit der jetzigen Ausspra¬ che nicht mehr viel zu tun haben. Gelegentlich hat sich die Orthographie angepaßt wie in ne. gauge (< afrz. jauge) [geid ] ,Maß; Spurweite4, für das auch gage in „phonetischer Schreibung zulässig ist. Bei night hingegen (und in der Mehrzahl der Fälle überhaupt) hat ein Versuch, die Schreibung nite durchzusetzen, keinen Erfolg gehabt. 4

4

5

3

44

Psychologisch interessant ist die Tatsache, daß in den USA neuerdings ein Gesetz die Werbung mittels „un-etymologisch“ geschriebener Produktnamen wie die Orangenmarke Sunkist (für: sun-kissed) als unlauteren Wettbewerb verbietet. Das Außerordentliche der phonetischen Schreibung prägt sich beson¬ ders ein, möglicherweise weil es auch einer Wunschvorstellung entspricht.

Auch das Frz. schreibt weitgehend „e.44: zwischen (j') etais und (ils) etaient ist in der Aussprache kein Unterschied. Die nhd. Orthographie, obschon einfacher als die ne. und nfrz., ist doch auch stark archaisch und stellenweise inkonsequent: nhd. lieb (: mhd. liep), aber nhd. gut (: mhd. guot); völlig willkürlich und nicht etwa konsequent archaisch ist die Schreibung von [f]: Vogel (: mhd. vogel), aber Feder (: mhd. veder)\ Die bisher erörterten Beispiele der ne., frz. und nhd. Orthographie kann man nicht eigentlich e. nennen. Wirk¬ lich e. Schreibungen, die nicht etwa ältere Schreibungen fortsetzen, sondern aus e. Einsicht heraus neu geschaffen werden, sind die der Umlaute ä und äu (tragen - trägt; Baum - Bäume). Dabei setzt äu nicht etwa, wie man meinen könnte, mhd. öu fort (mhd. boum - bäume), die „reguläre Fortsetzung ist hier nhd. eu (nhd. Freude < mhd. vröude), und äu wird vorwiegend dort geschrieben, wo nach dem e. Empfinden eine paradigmatisch zugehörige Form mit au vorhanden ist. Dadurch kommt es mehrfach zu Unsicherheiten wie z. B. bei Gräuel neben Greuel, je nachdem, ob man das e. dazugehörige Grauen mitassoziiert oder nicht. Die nhd. Norm, die nur noch Greuel zuläßt, hat sich inkonsequenter¬ weise gegen die e. Schreibung entschieden. 44

Der Etymologe, der ein nhd. Wort untersucht, wird gut daran tun, der nhd. Orthographie nicht zu sehr zu vertrauen! Die e. Orthographie bringt für die Schreiber entscheidende Nachteile mit sich, bewirkt aber andererseits, daß die

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e. und paradigmatische Zusammengehörigkeit von Wörtern besser durchschaut wird und stärker im allgemeinen Bewußtsein bleibt. Inkonsequenzen begegnen z. B. auch bei der Schreibung von ei und ai: nhd. Seite (: mhd. site) - nhd. Saite (: mhd. Seite), aber nhd. zeigen (: mhd. zeigen nicht +zigen). Diese bewußt-e. Orthographie des Nhd. hat in der Bühnenaussprache sogar die neuen Laute [s] und [s:] hervorgebracht, die Phonemwert haben: Ehre ['eira] gegenüber Ähre ['s:r3], wobei gerade im Falle von Ähre keinerlei Anlaß für die d-Schreibung besteht (< mhd. eher). Hier wie anderswo geht die orthographische Unter¬ scheidung auf das Bestreben zurück, die Homonymen wenigstens graphisch auseinanderzuhalten, was allerdings eine völlig überflüssige Schikane für den Schreibenden ist.

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Es gibt noch eine Reihe anderer Bereiche, in denen die E. zumindest fallweise herangezogen wird. Gewisse philosophische Richtun¬ gen bedienen sich gerne der E. Wir können dies seit Platon über das MA (S. 38 ff.), wo die E. (oder was man dafür hielt) sicher am höchsten in Kurs stand, bis in die neuzeitliche Philosophie verfolgen. Die Verwen¬ dung von auflieben in der Hegelschen Dialektik verrät eine gewisse e. Einsicht, und das Wörtlichnehmen von Morphemen und Idiomen wie etwa ent-bergen, zu-Grunde-gehen usw. spielt in der Existenzphilosophie M. Heideggers keine unwichtige Rolle.

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In der Werbepsychologie wird bei der Bildung von Neolo¬ gismen und Produktnamen manipulativ auf die Etymologisierbarkeit oder Nicht-Etymologisierbarkeit geachtet. Dabei ist der höhere Prestigewert fremdsprachlicher Elemente von Bedeutung: Z.B. das Waschmittel Presto sollte über das aus der Musik allgemein geläufige italien. Wort die Schnelligkeit der Wirkung und die Kürze des Abwaschvorganges suggerieren, das Waschmittel Sunlicht läßt mit paronymischer Attraktion (S. 229ff.) ,Sonnenlicht4 anklingen und fördert die Zielvorstellung der strahlend weißen Wäsche; Tri-fakt hingegen wendet sich an einen „intellektuelleren“ Abnehmerkreis, der die ,drei Fakten4, die dieses Mittel auszeichnen, zu schätzen weiß, auch wenn er sie nicht kennt. Die Produktnamen appellieren an den „e. Urinstinkt“ (S. 37) und rechnen mit dem Lustgefühl, das eine motivierte Bildung zumal mit fremdsprachigen Elementen beim Hörer auslöst, wenn er sie versteht. Andererseits wurde beobachtet, daß in der Werbesprache oft bewußt „falsche44 Wortbildungen geprägt werden, offenbar weil sie besonders in der Erinnerung haften bleiben (z.B. schwitzwärts in der Werbung einer Wiener Sauna nach dem Vorbild von frischwärts).

297

XIX

Hinweise für die etymologische Praxis

1 Als erstes wird man in den e. Wörterbüchern nachsehen, ob sich für das zu etymologisierende Morphem nicht schon eine Erklärung ßndet (zur Benutzung der Wörterbücher S. 308 ff.)- Befriedigt sie nicht oder findet sich keine (etwa weil es sich um ein Dialektwort oder um ein im Nhd. ausgestorbenes Wort handelt), so wird man sich vielleicht zu einem eigenen e. Versuch entschließen.

2

„Sicherung“ des Morphems:

Zunächst einmal ist möglichst vollständig die Wortsippe (s. S. 148) des fraglichen Morphems zu erheben, sodann die Bedeutung zuerst einmal versuchsweise in ein Wortfeld einzuordnen. Dabei kann es natürlich geschehen, daß das Wort ohne deutlich erkennbare Wortsippe, d.h. „isoliert“ ist und/oder daß seine Bedeutung nicht genau feststellbar ist. In diesem letzteren Fall handelt es sich in der Regel um ein nur einmal belegtes Wort, ein Häpax legömenon (abge¬ kürzt: an. key.), zu dessen Bedeutungsbestimmung freilich der ganze Kontext seiner Verwendung zu befragen ist. Dabei sind natürlich textkritische Überlegungen, wie verschiedene Güte der Hand¬ schriften, Konjekturen und Emendationen, im Auge zu behalten. Hier schon erlebt man gelegentlich Erstaunliches, z.B. daß das Wort an der im Wörterbuch angegebenen Stelle im Text nicht aufzufinden ist. Wenn also die einschlägigen Texte genauer überprüft, die Fehlerberichtigun¬ gen (Errata-Verzeichnisse) der Wörterbücher eingesehen und die Mög¬ lichkeit von Druckfehlern bedacht wurde, das Wort aber tatsäch¬ lich nicht auffindbar ist, so handelt es sich vermutlich um ein sog. „ghost-word“ . Solche gibt es gelegentlich in älteren Wörterbü¬ chern, aber höchst selten in denen germ. Sprachen. Bevor man also mit einem ghost-word rechnet, sollten wirklich alle Such-Möglichkeiten erschöpft sein. Z.B. wären auch die Arbeitsstellen der großen Wörterbuch-Vorhaben anzuschreiben und um Aus¬ kunft zu bitten, ob das gesuchte Morphem nicht etwa in den Exzerpten und Zettelkästen dieser Kommissionen enthalten ist. Beim Aufsuchen der Stellen ist auch darauf zu achten, daß man die z.T. veralteten Ausgaben der Texte verwendet, die der Wörterbuchverfasser sei¬ nerzeit zur Verfügung hatte, da sonst die Auffindung sehr erschwert wird. Gibt es daneben neuere Ausgaben, so sind diese natürlich auch einzusehen. Sehr häufig kommt es bei an. key. vor, daß die im Wörterbuch aufgefundene Form nicht die des Textes ist, sondern vielmehr auf einer Verbesserung des 298

Herausgebers beruht, der aber u.U. den Text nicht richtig verstanden oder die Handschrift falsch gelesen hat. Die Handschrift selbst bietet dann eine abwei¬ chende Form, die jedenfalls nicht außer acht gelassen werden darf. In all diesen Fällen ist es sinnvoll, wenn der Etymologe den Rat eines Handschriftenspeziali¬ sten und eines Literarhistorikers einholt.

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Einsehen der Sekundärliteratur:

Haben wir nun das Wort in seiner Form und seiner Bedeutung, womög¬ lich auch in seiner Wortsippe und seinem Wortfeld gesichert, dann beginnt der zeitraubendste und u. U. frustrierendste Teil der e. Untersu¬ chung, das Einsehen der Sekundärliteratur. Hier werden der Einfallsreichtum und die Kombinationsgabe des Etymologen auf die Probe gestellt. Es soll ja die neue E. gegenüber dem früher Gesagten ein Fortschritt sein. Dazu muß man aber wissen, was schon gesagt wurde, und dies läßt sich oft nur mit großer Mühe feststellen. Auch aus diesem Grund war es wichtig, Bedeutung, Wortsippe und Wortfeld in den Griff zu bekommen, denn es setzt uns nun in Stande, die Suche auch auf onomasiologische Arbeiten auszudehnen. Angenommen, das zu etymologisierende Wort entstammt einem obd. spätmit¬ telalterlichen Text und bezeichnet ein Kleidungsstück der Frauentracht, mögli¬ cherweise nur bei verheirateten Frauen, dann müssen wir unsere Suche auf onomasiologische Arbeiten mit Titeln wie „Die Benennung der weiblichen Kleidung in Bayern und der Schweiz“ oder „Die Namen der Haube, des Kopftu¬ ches und des Haarschmuckes in deutschen und romanischen Mundarten der Alpen“ (beides fiktive Titel!) u.a. ausdehnen.

Wir müssen die dialektologischen, wortkundlichen und volkskundlichen Zeitschriften durchsuchen. Da die Titel zuweilen irreführend sind und Wortregister in den Zeitschriften selten, wird es oft notwendig sein, die einzelnen Jahrgänge durchzublättern. Vielleicht findet sich die gesuchte E. in einem Exkurs oder einer Fußnote versteckt.

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Spätestens jetzt haben wir uns ansatzweise eine eigene E. zu überlegen. Wir glauben ein Suffix abtrennen zu können und bege¬ ben uns auf die Suche nach Arbeiten zu diesem Suffix. Vielleicht findet sich dort als Beispiel der Suffixverwendung unser Wort schon bespro¬ chen. Wenn wir z.B. mhd. zöugen ,vor Augen bringen1 metanalytisch (S. 190) aus *at-augian- herleiten wollen, dann finden wir einen Hin¬ weis, daß dies schon geschehen ist, z. B. in einem kleinen Aufsatz von F. Kluge mit dem Titel „Pflegen“. Kluge versucht dort eine - m. E. verfehlte - Deutung von pflegen und führt en passant als eines der Zeugnisse für Metanalyse mhd. zöugen an! 299

Wir haben nun schon einige Zeit und Mühe investiert und werden dementsprechend wenig erfreut sein, wenn wir nach einer arbeitsreichen Woche mehr oder minder zufällig dann doch noch eine Erklärung auffinden, die so einleuchtend ist, daß wir unseren eigenen Versuch getrost aufgeben können, weil er nichts Besseres liefern würde. Dabei verachte man auch ältere Publikationen nicht. Es ist gar nicht so selten, daß eine E., die uns als besonders geglückter Einfall erscheint, schon in einer der materialreichen junggrammatischen Arbeiten zumindest ange¬ deutet ist oder sich gar bei J. Grimm schon findet, z. B. in den Deutschen Rechtsalterthümern oder in der Deutschen Mythologie, wo wir sie nie und nimmer erwartet hätten. Erfahrene alte Etymologen trösten ihre solcherart enttäuschten jungen Kollegen gerne mit einem Goethe-Wort oder weisen daraufhin, wie schön es doch sei, auf denselben Gedanken gekommen zu sein wie J. Grimm (vor eineinhalb Jahrhunderten) oder seufzen leidvoller eigener Erfahrungen eingedenk, daß wir eben alle in einer Spätzeit leben. 5 Natürlich wird die Auswirkung solcher Funde für unsere erwogene E. im Einzelfall sehr verschieden sein. Da sich die Anforderungen an eine gute E. ja gegenüber der e. Praxis des vorigen Jh.s sehr verändert, d.h. erhöht haben, wird unsere Arbeit vor allem in der histoire du mot auch dann nicht überflüssig sein, wenn sich die Grundgedanken der formalen Verbindung schon in einer früheren Arbeit finden. Das Verhältnis zu anderen Meinungen - insbesondere dann, wenn sie der eigenen ähnlich sind - ist nicht zuletzt auch eine wissenschaftsethische Frage. Jeder Wissenschaftler, der an seiner Arbeit innerlich Anteil nimmt, wird bei intensiver Gewissenserforschung feststellen müssen, daß in ihm Emotionen gegenüber früheren Arbeiten erwachen, die in Gefahr sind, in blinde Gefolgschaft, hyperkritische Einstellung oder in die Neigung, die ältere Auffassung zu bagatellisieren, überzugehen. Es ist selbstverständlich, daß der Etymologe sich mit allen früheren Mei¬ nungen, soweit sie nicht völlig absurd sind, wie Herleitungen aus der Sprache Adams oder aus Affendialekten (s. Bibliographie Nr. 307-309), auseinandersetzen muß. Denn der Fortschritt der eigenen Erklärung besteht ja auch darin, daß aufgewiesen wird, daß und warum früher vorgebrachte Erklärungen nicht mehr akzeptabel sind. Je nach dem Gewicht früherer Ansichten wird man sich in der Widerlegung breiter oder kürzer fassen. Eine seitenlange Polemik gegen eine am Beginn des 19. Jh.s ausgesprochene Meinung wirkt in den meisten Fällen lächerlich und wird wahrscheinlich ohnehin vom Seminarleiter, „Dissertations¬ vater“ oder Zeitschriftenherausgeber gestrichen werden. Verfaßt man einen e. Wörterbuchartikel, dann wird man die Auseinandersetzung mit 300

der Sekundärliteratur natürlich besonders knapp halten. M. E. sollte hier das Prinzip gelten, daß aus einem auch noch so knappen Wörter¬ buchartikel der Benützer möglichst zur gesamten Literatur und zu allen Etyma Zugang gewinnt. Das kann aber natürlich mit¬ telbar geschehen, indem ganz wenige Arbeiten zitiert werden, in denen sich das früher Gesagte zusammengefaßt findet.

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Induktiver Weg: Vertiefte „Sicherung des Wortes“ - Rekonstruk¬ tion:

Wird die E. weiterverfolgt, so beginnt nun eine neuerliche und vertiefen¬ de Sicherung des Wortes, die in die Rekonstruktion übergehen wird. Mit Hilfe der internen und umgekehrten Rekonstruktion versucht man, die Etyma in verwandten Dialekten, dann in verwandten Sprachen aufzufinden, und bemüht sich, gestützt auf Lautgesetze und die Prin¬ zipien der Wortbildungslehre, um die Rekonstruktion. Hat sich gezeigt, daß es sich um eine Entlehnung handelt, und kann das Wort in der Gebersprache nachgewiesen werden, so ist vom Germanisten in der Regel die weitere E. innerhalb der Gebersprache (z.B. dem Lat.) nicht mehr zu verlangen. Wohl aber möge er nochmals prüfen, ob die Mög¬ lichkeit eines Erbwortes wirklich ausscheidet (z.B. aus lautlichen und/ oder semantischen Gründen). Spricht alles für ein Lw., so ist Zeit, Ort und Grund der Entlehnung zu bestimmen, d.h. mit der histoire du mot zu beginnen. 7 Zur Sicherung des Rekonstrukts wird man sich im IEW, aber vorsichtshalber auch in anderen idg. e. Wörterbüchern sowie in den einzelsprachlichen Wörterbüchern umsehen. Geht die lautli¬ che Rückführung nicht glatt auf, so hat man „Unsicherheitsfak¬ toren“ wie Analogie, Kontamination, Ablautentgleisung usw. zu er¬ wägen, wobei aber immer der auslösende Faktor zu suchen ist. Also: in bezug worauf wurde analogisch geneuert und warum? Was wurde wo¬ mit kontaminiert und warum? Wieso lag zu einer bestimmten Zeit die bei Kontamination vorauszusetzende Assoziation des „eingekreuzten“ Morphems nahe? Es ist klar, daß hier die Semantik entscheidend ins Spiel kommt. Findet sich im IEW und auch sonst keine Wz., an die der Anschluß formal und semantisch möglich wäre, so wären mit Hilfe der umgekehrten Rekonstruktion versuchsweise „Etyma“ in den anderen idg. Sprachen zu konstruieren und nochmals die Wörterbü¬ cher der Einzelsprachen zu befragen: „Angenommen meine Rekon¬ struktion idg. *x ist richtig, wie müßte (unter Beachtung des Ablauts und anderer Prinzipien der Wortbildung) ein mögliches lat., gr., ai., lit., air. ... „Etymon“ aussehen? Existiert vielleicht ein solches Morphem in 301

diesen Sprachen?“ Es wäre ja möglich, daß sich das isolierte germ. Wort mit einem gleichfalls isolierten (und daher in den einzelsprachlichen e. Wörterbüchern als „dunkel“ bezeichneten) Wort einer Schwesterspra¬ che oder eines Dialekts verbinden läßt. Schließlich gab es ja vor dem Beginn der vergleichenden Sprachwissenschaft überhaupt nur isolierte Morpheme! Diese Arbeit wird i.a. die Kenntnisse des Germanisten bei weitem übersteigen, und dieser wird sich daher mit Indogermanisten, Gräzisten, Indologen... ins Einvernehmen setzen müssen. Falls die Su¬ che ergebnislos verläuft, so ist es sicher besser, die Frage der Rekon¬ struktion offen zu lassen, als sie übers Knie brechen zu wollen.

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Häufig ergibt sich eine Art Patt-Stellung: sei es, daß mehrere idg. Anschlußmöglichkeiten in Frage kommen oder auch nur eine, für die eben so viel wie dagegen spricht. In diesem Fall ist die formale und semantische Möglichkeit auch als solche und nur als solche zu bezeich¬ nen. Der Etymologe wird sich überhaupt im Konjunktiv und in der Verwendung der Adverbien der Möglichkeit und ihren Abstufungen von „so gut wie sicher“ bis „höchst unwahrscheinlich“ üben müssen. Hat sich eine „brauchbare“ Wz. gefunden, so überlege man deren Verhältnis zu „anderen“ Wzn., nämlich solchen, die im IEW trotz formaler Verbindbarkeit oder gar Identität aus semantischen Gründen (der tertium comparationis-Bedeutung) als eigene Femmata erscheinen (S. 206ff.). Es ist durchaus damit zu rechnen, daß die Grenz¬ linien der Zugehörigkeit zwischen den einzelnen Wzn. anders verlaufen, als sie etwa im IEW angegeben sind. Freilich hat für den Anfänger das IEW eine suggestive Kraft. Um diese zu relativieren, ist es empfehlens¬ wert, einmal die Rezensionen und Pokornys Stellungnahme dazu im Vorwort des Indexbandes zu lesen.

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Deduktiver Weg: Intuition und Evidenz:

Der bisher geschilderte Weg ist nicht der einzige. Ebenso häufig, wenn nicht häufiger, ist, vor allem bei erfahrenen Etymologen, der deduk¬ tive Weg über die Intuition. Mehr oder minder zufällig fallt ihm bei einem Wort ein, ob es sich nicht mit einem andern oder einer Wz., die man schon kennt, verbinden ließe. Er „rechnet“ im Kopf die lautge¬ setzlichen Möglichkeiten durch, kommt zum Ergebnis, daß die Verbin¬ dung möglich wäre, und sieht erst dann nach, ob auch wirklich nichts dagegen spricht. Das setzt natürlich ein großes Wissen, eine ganz bestimmte Assoziationsfähigkeit und ein e. „Gefühl“ voraus, das sich schwer präzisieren läßt, das aber das Ergebnis jahrelangen Umgangs mit E. ist. In diesem Sinne ist E., wie oft behauptet wurde, 302

wirklich mehr Kunst denn Wissenschaft, weitgehend eine Sache einer bestimmten Begabung und kaum lehrbar. Vermutlich sind die meisten ingeniösen E. auf diese Weise zustandegekommen. So begann auch die vergleichende Sprachwissenschaft, lange bevor man auf Grund von Lautgesetzen die Voraussetzungen für ein systematisches Suchen ge¬ schaffen hatte Lautgesetzen, abstrahiert aus den durch Intuition ge¬ wonnenen E. Häufig kann auch der erfahrene Etymologe, der etwa jahrzehntelang an einem e. Wörterbuch gearbeitet hat, dem Anfänger auf Anhieb, bevor er noch die formalen Möglichkeiten im einzelnen überprüft hat, sagen, daß er bei dieser oder jener e. Vermutung kein „gutes Gefühl“ habe oder aber, daß sie ihm prima vista „einleuchtend vorkomme“. Wie sehr die e. Begabung eine Rolle spielt, läßt sich der Tatsache entnehmen, daß es außerordentlich bekannte, ja berühmte Indogermanisten gibt, die souve¬ räne Sprachenkenner sind, ebenso souverän das Arsenal der e. Me¬ thoden und Prinzipien beherrschen und dennoch kaum E. aufstellen können, die allgemeinen Anklang finden, weil ihnen eben „das Gefühl für e. Wahrscheinlichkeit“ abgeht. So wertvoll und im Grunde unentbehrlich die Intuition ist, so birgt sie natürlich auch große Gefahren in sich. Die größte ist die, daß man sich in das Kind seiner eigenen e. Phantasie verliebt und, gestützt auf einseitig ins Spiel gebrachte Erfahrung, für andere e. Möglichkeiten blind wird. Selbst wenn wir glauben, durch Intuition auf die richtige Lösung gekommen zu sein, so haben wir natür¬ lich dafür zu sorgen, daß für den Leser, der nicht über die gleiche Intuition verfügt oder dessen Intuition in andere Richtung gegangen wäre, unsere Er¬ klärung einleuchtend wird. Wir müssen also, und das ist gleichzeitig eine Kon¬ trolle unserer eigenen „Eingebung“, unsere Rekonstruktion evident machen, indem wir sie Schritt für Schritt entwickeln. Dabei darf m. E. als Prinzip gelten, daß man es einer guten E. nicht anmerken soll, ob sie auf induktivem oder deduktivem Weg entstanden ist.

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Synthese:

Haben wir auf deduktivem Weg einen glaubhaften Wurzelanschluß gefunden, so müssen wir uns nun umgekehrt noch einmal fragen, wie sich die Wz. lautlich, wortbildungsmäßig und semantisch zu unserem zu etymologisierenden Wort verhält. Auch für die auf deduktivem Weg gewonnene E. gilt, daß jeder Schritt dieser nun umgekehrten Rekonstruktion durch vergleichbare Beispiele abgesi¬ chert werden soll. Hier möge der Etymologe die Phantasie kurz halten und möglichst kritisch prüfen. Freilich wird es nicht immer möglich sein, für alle angenommenen lautlichen Entwicklungen, Erweiterungen und Bedeutungsveränderungen genau entsprechende Parallelen beizubrin303

gen (Fälle, in denen dies möglich ist, stehen gewöhnlich als Demonstra¬ tionsbeispiele schon in den Grammatiken!). Es ist aber ein großer Unter¬ schied, ob die angenommene Entwicklung den beobachteten Lautgeset¬ zen Hohn spricht und sich deshalb für sie keine Parallelen finden oder ob es sich um einen Spezialfall handelt, der keinem bekannten Lautge¬ setz widerspricht, aber eben so selten vorkommt, daß es Zufall sein kann, wenn er sich nicht oder nur schwer durch Parallelen belegen läßt. Gleiches gilt für Wortbildungslehre und Semantik. Bei letzterer ist man öfters aus Beweisnot versucht, Beispiele aus anderen Sprachen (sogar nicht-idg.) zu Hilfe zu nehmen und zur Absicherung einer Bedeutungsveränderuns eine ung., arab. oder aztekische Parallele, die man irgend¬ wo gefunden hat, zu zitieren. Da die Semantik stärker als andere Diszi¬ plinen von der Kultur der Sprachgemeinschaft geprägt ist, hegt die Bedenklichkeit dieses Verfahrens auf der Hand. Die Beispiele sind desto überzeugender, je näher sie der Sprache stehen, in der etymologisiert wird. Auch beim Absichern durch Parallelen bedarf der Etymologe der Erfahrung, die er am besten durch die Lektüre e. Arbeiten gewinnt, um zu erkennen, welche Punkte durch möglichst viele Parallelen abgesi¬ chert werden müssen, damit die E. glaubhaft erscheinen kann. Fun¬ damentale Prinzipien der Lautlehre, wie die in diesem Buch dargestell¬ ten, und Selbstverständlichkeiten der Wortbildung, wie völlig regelmäßi¬ ger Ablaut, brauchen natürlich nicht durch Beispiele belegt zu werden. Tritt hingegen ein Suffix in der Regel an eine Wz. in der S, in der von uns angenommenen E. jedoch an die aVo, dann wären Parallelen zur Absicherung sehr angebracht. Die Annahme einer Ablautentgleisung müßte nicht nur eigens erwähnt werden, sondern auch zumindest ver¬ mutungsweise ihr Grund angegeben und die Möglichkeit durch Beispiele erwiesen werden. Wir dürfen nicht nur, sondern müssen sogar, wenn Gründe angegeben werden können, mit Analogien, Reimbildungen, hyperkor¬ rekten Formen usw. rechnen, aber eine e. Erklärung, die nur aus Analogiewirkungen, Tabuisierung, Metanalyse usw. besteht, ist eo ipso unwahrscheinlich. Diese Möglichkeiten sind hier dargestellt worden, damit der angehende Etymologe mit ihren Wirkungen rechnen kann; aber gleichzeitig ist zu bedenken, daß es sich oft um zwar nicht vereinzel¬ te, aber doch spezielle Fälle, d.h. um Abweichungen von dem „Regulä¬ ren“ (weil Gewöhnlichen) handelt, mit denen man auch nur in Sonder¬ fällen rechnen sollte. Der Idealfall ist der, daß alle Punkte der Lautent¬ wicklung, der Wortbildung und der Bedeutungsentwicklung, durch Parallelen abgesichert, so ineinandergreifen, daß die e. Erklärung mit einem gelösten Puzzlespiel verglichen werden kann. 304

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Wortgeschichte (histoire du mot) und Sachgeschichte:

Wenn nun das zu etymologisierende Morphem unter Bedachtnahme auf die Semantik formal erklärt ist, so hat die Wortgeschichte zu folgen, soweit sie nicht ohnehin schon in die semantische Über¬ legung eingegangen ist. Wir haben im Fall unklarer Bedeutung etwa bei einem an. Xsy. vielleicht aus der E. selber einen Hinweis für die Modifi¬ zierung des Bedeutungsansatzes gewonnen (in diesem Fall sollte die formale Seite natürlich besonders überzeugend sein) und können diese Erkenntnis am Kontext zu verifizieren suchen. Wir sind jetzt wohl auch imstande, das Wortfeld genauer auszumachen, und können daran¬ gehen, das Schicksal des Wortes innerhalb seines Feldes nachzuzeich¬ nen. Auch soziolinguistische und areallinguistische Ge¬ sichtspunkte sind einzubringen. Handelt es sich um Transferenz, so haben wir nach der Entlehnungsursache auch im Sinne von Kul¬ turneuerung und nach ihrem Umfeld im Sinne von Arealnorm und etymologie organique, ferner nach dem einheimischen Wort, das durch die Entlehnung vielleicht verdrängt und/oder se¬ mantisch verändert wurde, zu fragen. Während der ganzen Untersu¬ chung haben wir die „Sachen“ im Auge behalten, deren möglichst genaue Kenntnis uns auch bei der formalen Rekonstruktion und der semantischen Herleitung die Richtung weisen kann. Wir werden uns spätestens bei der Wortgeschichte, womöglich gleich am Beginn der Untersuchung bemühen, sie in Museen, auf Abbildungen oder in der Landschaft (z.B. bei ON-E.) vor Augen zu bekommen. Das als Anek¬ dote kolportierte Wort Hegels „Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie nicht zu meinem System paßt“ sollte nicht das Prinzip des Etymologen sein! Erst wenn wir uns über Wort- und Sachgeschichte einen Überblick verschafft haben, können wir die E. als geklärt ansehen.

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Die Darstellung der E.

Die Darbietungsform einer E. kann sehr variabel sein und zwi¬ schen wenigen Zeilen in einem Wörterbuch und einer umfangreichen Einzelpublikation schwanken. In dieser für Anfänger bestimmten Dar¬ stellung der E. bin ich davon ausgegangen, daß nicht gleich ein Wörter¬ buch in Angriff genommen wird. Sollte dies doch der Fall sein, so fordert die nötige Knappheit ohnedies ihr eigenes Recht, wenn auch zwischen den einzelnen Wörterbüchern beträchtliche Differenzen bestehen: Man vergleiche die knappe, schon fast die Verständlichkeit gefährdende Dar¬ stellung im Walde-Hofmann (Bibliographie Nr. 83) gegenüber dem stark wortgeschichtlich und areallinguistisch ausgerichteten, beinahe schon epischen Stil des Kluge (Bibliographie Nr. 235). Vom Platz wird 305

es auch abhängen, ob die Parallelen (aber auch Gegenbeispiele und Alternativen!) voll angeführt werden oder ob sich der Verfasser mit Angabe der Literatur (Siglen und Ziffern) begnügt. Kann die Darstel¬ lung einer E. etwas breiter werden, so wird man natürlich möglichst alles zur Sprache bringen, was irgend relevant ist. Es bleibt dann dem Stilge¬ fühl, ja auch dem rhetorisch-forensischen Aspekt überlassen, ob man etwa den Forschungsweg (induktiv oder deduktiv) nachzeichnet oder aber in mehr „auktorialem“ Stil die Geschichte des Wortes „von der Wurzel an“ darstellt. Der Titel sollte so gewählt sein, daß der Leser aus ihm einiger¬ maßen ersehen kann, über welche Wörter gehandelt wird. Der Etymolo¬ ge wird bei der Durchsicht der Sekundärliteratur ohnedies am eigenen Leibe schmerzhaft erfahren haben, wie unangenehm undurchsichtige Titel sein können. Erstreckt sich die Arbeit über mehrere Seiten, so sollte jedenfalls ein Resümee die Hauptgedanken der Untersuchung zu¬ sammenfassen. Für den Leser und Mitforscher ist nichts ärgerlicher, als einen womöglich in mühsamem Stil geschriebenen Aufsatz gelesen zu haben, ohne etwas daraus verwenden zu können. Das gilt insbesondere auch für Seminar- und ähnliche Arbeiten. Der Stil sollte sachlich und nüchtern sein (Gegenbeispiel: der Stil J. Triers!), aber nicht zu abstrakt, weil sonst die Einbeziehung der höchst konkreten „Sachen“ darstellerische Probleme bereitet. Für den Fall, daß es sich um Realien handelt, sind auch Abbildungen und Skizzen beizugeben.

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Anhang

Anhang 1

„Die Schleichersche Fabel“

1 Dt. Text (die im idg. Text nicht vorhandenen Wörter in eckiger, erklärende Umschreibungen in runder Klammer): [Das] Schaf und [die] Rosse. [Ein] Schaf, [auf] welchem Wolle nicht war (ein geschorenes Schaf), sah Rosse, das [einen] schweren Wagen fahrend, das [eine] große Last, das [einen] Menschen schnell tragend. [Das] Schaf sprach [zu den] Rossen: [Das] Herz wird beengt [in] mir (es tut mir herzlich leid), sehend [den] Menschen [die] Rosse treibend. [Die] Rosse sprachen: Höre, Schaf, [das] Herz wird beengt [in den] gesehen-Habenden (es tut uns herzlich leid, da wir wissen): [der] Mensch, [der] Herr macht [die] Wolle [der] Schafe [zu einem] warmen Kleide [für] sich und [den] Schafen ist nicht Wolle (die Schafe aber haben keine Wolle mehr, sie werden geschoren; es geht ihnen noch schlechter als den Rossen). Dies gehört habend bog (entwich) [das] Schaf [auf das] Feld (es machte sich aus dem Staube).

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Idg. Text in Schleichers Version (1868) aus der Zeit vor der Erkennt¬ nis, daß der ai. Vokalismus nicht der ursprünglich idg. ist: Avis akväsas ka. avis, Jasmin varnä na ä ast, dadarka akvams, tarn, vägham garum vaghantam, tarn, bhäram magham, tarn, manum äku bharantam. avis akvabhjams ä vavakat: kard aghnutai mai vidanti manum akvams ag an tarn. Akväsas ä vavakant: krudhi avai, kard aghnutai vividvant-svas: manus patis varnäm avisäms karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varnä na asti. Tat kukruvants avis agram ä bhugat.

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„Junggrammatische“ Version von H. Hirt (1938) mit „Schwa secun-

dum“ (r>): owis ek’wöses-k" e. owis, jesmin wbhnä ne est, dedork’e ek’wons, tom, woghom g"brum weg¬ hont m, tom, bhorom megam, tom, gh’bmonm ök’u bherontrp. owis ek'womos ewbwekwet: k 'erdaghnutaimoi widonteigh ’bmonm ek ’wons ag’ontm. ek ’wöses ewbwekwont: k ’ludhi, owei\, k ’erd aghnutai widontmos: gh 'bmo, potis, wbhnäm owjöm k"rneuti sebhoi glTermom westrom\ owimos-k"e wbhnä ne esti. Tod k ’ek ’ruwos owis ag ’rom ebhuget.

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4 „Laryngalistische“ Version von M. Peters, Wien (1980). Zwei Index¬ zahlen mit Schrägstrich bezeichnen Unsicherheit, welcher der drei Laryngale (h/, h2, h3) vorliegt. H bedeutet „irgendein Laryngal“, Ein¬ klammerung Unsicherheit, ob Laryngal stand. Über die phonetische Realisierung gehen die Meinungen sehr auseinander. Ich setze hier, um den Text überhaupt lesbar zu machen, die von W. Cowgill (1973) vorge¬ schlagenen Realisierungen an: h, [q], h2 [x], h3 [x]. Danach wären also die „Laryngale“ gutturale Reibelaute wie in dt. ich, ach und got. ahia (s.o. S. 71). Die Mediae aspiratae sind durch hochgestelltes h (kein Laryngal!) bezeichnet (bh, dh, g'h...): h2/30uis (hi)ek’uosk^e h2/30uis, (H)iesmin h2ulhi/2neh2 ne (hi)ehiest, dedork’e (hi)ek’uons, tom, uoghom g~erh2um

ueghontm,

tom,

bhorom megoh2m,

tom,

dhghemonm

HoHk’u bherontm. h2/30uis (hi)ek’uobhos (hi)eueuk^e(t): k’erd h2ghnutoi moi uidntei dhghemonm (hi)ek’uons h2egontm.

(hj)ek'uös (hi)eueuk-r:

k’ludhi, h2/30ui! k’erd h2ghnutoi uidntbhos: dhghemö(n), potis, h2ulhij2neh2in h2/3euiom k-meuti sebhoi g-hermom uestrom; h2!3euibhosk-e h2ulhi 2neh2 ne hiesti. Tod k’ek’luuös h2/30uis h2egrom (hi)ebhuge(t).

Anhang 2

Hinweise zur Benutzung von Wörterbüchern (Wbb.)

1 Vorbemerkung: Die in eckigen Klammern stehenden Zahlen be¬ ziehen sich auf die Nummern in der allgemeinen Bibliographie von R. Schrodt (S. 319) und auf die Literaturhinweise im Register von Ingrid Strasser (S. 330). 2 Neben Grammatiken sind die Wbb. die wichtigsten Hilfsmittel für die e. Arbeit. Es ist empfehlenswert, daß der angehende Etymologe sie möglichst bald kennen und handhaben lernt, d.h. zu wissen, welche Auskunft man von einem bestimmten Wb. erwarten darf und wie es zu benützen ist. Die Anlage der Wbb. ist übrigens ebensosehr ein Problem der Wb.-Autoren wie der -Benützer. Gerade zu diesem Punkt sind in letzter Zeit mehrfach Arbeiten erschienen ([17], [395], [396]). 3 Hier soll jedoch nicht das Grundsätzliche im Vordergrund stehen, sondern die praktische Seite, die den Benützer in erster Linie interes¬ sieren wird. Wir unterscheiden hier zwischen (vorwiegend) synchronischen Wbb. und nur diachronischen Wbb. Das sind die e. Wbb.

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3.1 (Vorwiegend) synchronische Wbb. sind solche, die das lexikalische Corpus einer Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitab¬ schnitt darstellen. Manche dieser Wbb. gehen auch auf die Diachronie ein (z.B. [223]), was aber nicht das alleinige Ziel dieser Wbb. ist; das Hauptziel ist vielmehr die möglichst vollständige Erfassung der Lexik. Wichtige Typen sind: (a) Wbb., die die Morpheme in alphabetischer Anordnung vom Wortbeginn her auflisten, mehr oder minder ausführlich, mit oder ohne Stellenangabe, stets aber mit Angabe der Bedeutung. Hieher gehören die weitaus meisten Wbb., seien sie einsprachig oder mehrsprachig. Es ist sozusagen der „normale“ Wb.-Typ (etwa [82], [223], [224] ... einspra¬ chig oder etwa [45], [70], [81], [98], [99], [180], [212], [279] ... mehrspra¬ chig). (b) Wbb., die die Lexik nach Bedeutungsgruppen (Wortfeldern) glie¬ dern (etwa [229], [230]). (c) Wbb., die nach Wortfamilien oder Wortsippen ordnen, wie [228] oder der Benecke-Müller-Zarncke [211], in dem die einzelnen Lemmata, soweit möglich unter dem e. zugehörigen Verbum, das in der 1. Sg. Praes. Ind. zitiert ist, erscheinen. Mhd. ansiune ,Angesicht1 ist also unter dem Stichwort sihe ,sehe‘ zu finden. Die Benutzung dieses Werkes setzt somit schon e. Kenntnis voraus. (d) Onomasiologische Wbb., die die Zuordnung bestimmter Mor¬ pheme und Sememe zu einem möglichst objektivierten darstellen, z.B. in [237] zu einer durch die lat. Nomenklatur eindeutig bestimmten Pflanze. (e) Rückläufige Wbb. (oder besser: Wortlisten), die die Wörter wohl in alphabetischer Reihenfolge, aber vom Wortende her reihen (ähnlich auch Reim-Wbb.); sie ermöglichen z.B. die Auffindung aller mit einem bestimmten Suffix gebildeten Morpheme (z.B. [227]). (f) Frequenz-Wbb., die für den Etymologen fallweise von Interesse sind. Sie bieten nicht nur alphabetische, sondern auch nach der Vorkom¬ menshäufigkeit innerhalb eines bestimmten Corpus geordnete Wort¬ listen (z.B. [326] und das als vollständigste Belegsammlung mit Stel¬ lenangaben besonders wichtige [327]). Bei all diesen (vorwiegend) synchronischen Wbb. kann es sich um solche handeln, die die gesamte Lexik einer Sprache darstellen sollen, oder aber um Spezialwörterbücher zu Dialekten ([247], [254], [255], [256]..., [269], [281] u.v.a.), zu bestimmten Autoren (wie etwa Neidhart von Reuental, Wolfram von Eschenbach, Goethe...; solche Wbb. sind hier bibliogra¬ phisch nicht erfaßt!), zu bestimmten Fachbereichen (mittelalterliche Jagd, Seemannssprache, Kaufmannssprache, Rotw. [303] ...). 309

Anmerkung: Während die schriftsprachlichen alphabetisch geordneten Wbb. dem Benützer keine Schwierigkeit bereiten (sofern er mit den Alphabeten ver¬ traut ist; s. Anhang 31), setzt die Verwendung mancher Mundart-Wbb. gewisse Vorkenntnisse voraus. Die Fülle der einzeldialektalen Lautvarianten erlaubt es nicht, ein bestimmtes dial. Lemma auszuwählen, ohne einer bestimmten Mund¬ art ungebührlich den Vorzug zu geben. Eine Anordnung nach schriftsprachli¬ chen Äquivalenten ist nicht in allen Fällen möglich, weil viele dial. Morpheme kein schriftsprachliches Etymon haben. Man kann nun entweder wie [247] als Lemma eine oft fiktive bair.-mhd. Normalform mit nhd. Diphthongierung (21) und Zugeständnissen an das Schriftdt. ansetzen oder wie [248] und [254] die Lemmata auf Grund der Konsonantenstruktur ohne Rücksicht auf die Vokale nach bestimmten Wz.-Typen („Abtheilungen“) ordnen, was die Benützung für den Anfänger allerdings etwas erschwert. Es finden sich in diesen Wbb. etwa Lab, Laib, Laub, lieb, Lob hintereinander und nicht etwa Lachen und Laden... zwischen Lab und Laib. Das Prinzip ist also die Reihung LVb, LVc, LVd, LVf (nicht etwa LVe\), LVg usw., wobei V jeder dial. Vokal oder Diphthong sein kann, diese allerdings in alphabetischer Reihenfolge. Im Schmeller [248] steht also die Buchsen ,die Hosen‘ vor die Beicht und vor backein ,wackeln' und Beck ,Bäcker1, also BVc-h-s vor BVc-h-t vor BVc-k-, Wurzeln mit anlautender Kon¬ sonantenverbindung folgen auf solche mit einfachem Anlautkonsonanten, also BVtz (z.B. bützeln ,schnitzeln1) vor BIVtz (z.B. Blätzen ,breites Pflanzenblatt1). Um sich zeitraubende Sucharbeit zu ersparen, ist es jedenfalls geboten, vor Benützung die Vorbemerkungen über die Anordnung dieser Wbb. durchzu¬ studieren.

3.2 Diachronische (e.) Wbb. können in einzelsprachliche und grund¬ sprachliche unterteilt werden. (a) Die einzelsprachlichen e. Wbb. sind im Aufbau äußerlich den (vorwiegend) synchronischen Wbb. ähnlich, nur daß sie die Stellennach¬ weise auf ein nötiges Minimum reduzieren, oft überhaupt weglassen und die ganze Aufmerksamkeit der E. zuwenden. Die Anordnung ist die des einzelsprachlichen Alphabetes, gewöhnlich besteht eine Tendenz zur vom e. Standpunkt aus ökonomischen Darstellung nach Wortsippen. Der Typus eines e. Wortfeld-Wb. und der eines e. onomasiologischen Wb. sind bisher noch nicht erprobt. Während manche Wbb. in der Darstellung verhältnismäßig breit sind (z. B. [91], [92], [93], [235]), bieten andere (z.B. [119], [162], [164]) sehr komprimierte Artikel, deren Ver¬ ständnis u. U. einem Anfänger Schwierigkeit bereiten könnte. Ein noto¬ risch schwieriges Werk ist Walde-Hofmann (= W.-H.) [83], aus dem hier der Artikel gabalus interpretiert werden soll: gabalus, -fm. (-äl-, s. Pomp, gramm. V 309, 31) „Galgen, Kreuz“ (seit Varro, rom. nur in einer kelt. Weiterbildung, s.u.): entl. aus dem Kelt. (Holder I 1508; -al- nur röm.-gall., Weisgerber Festlandkelten 185), vgl. air., mir. gabul „Gabel, Marterholz, Verbindungspunkt der Beine, Stelle zwischen den Bei310

nen“, kymr. gafl „Gabel, vulva“, abret. Plur. gablau „Gabel“, nbret. gavl, gaol „Gabelung“ (vgl. die Abltg. gallorom. *gabalaccos „Wurfspeer“, Meyer-Lübke n. 3624; aus air. *gablach [kymr. gaflach] entl. an. gaflak, ags. gafeluc „leichter Wurfspieß“), wozu ahd. gabala, ags. gafol, geafel, mnd. gaffel(e) f. „Gabel“ (Entlehnung aus dem Kelt., Falk-Torp 294, ist nicht erwiesen). Fern bleiben ai. gäbhastih „Vorderarm“ (nicht „Gabeldeichsel“; Fick II4 105, Brugmann IF. 18, 129), gabhäh m. „vulva“ (Zupitza PBB. 23, 238; s. Walde-P. I 533, 674 und zu gäbhastih BSF. 34, 51); auch arm. gavak „Hinterteil, Schwanzgegend bei Pferden“ usw. (Eiden Arm. Stud. 32 mit Heranziehung von russ. gäci PI. f. „Fenden, Hosen“, doch s. Berneker 297) ist besser fernzuhalten, da die Bed. abweicht und die Wz. wohl mit *gh-, nicht gh- anzusetzen ist; denn *ghab(o)-lo- ist wrsch. nach Falk-Torp a. O., Persson Beitr. 8551 als „gespaltener (auseinanderklaffender) Gegenstand“ auf *ghab-, Erw. von *ghe(i)- „klaffen“ (s. hiö, hippitö) zu beziehen (nicht als „Zange“ zu *ghabh- „greifen“ [s. habeö], Thurneysen Festgruß an Ost¬ hoff 7, Berneker 287 usw.). - Walde-P. I 533.

Der ganze Artikel besteht aus zwei Satz-Komplexen, wobei der erste bis Z. 10 reicht. Im ersten Komplex ist die positive e. Verbindung behan¬ delt, im zweiten folgt die Polemik gegen früher vertretene Auffassungen, die nach Meinung der Autoren unrichtig sind. Danach ist also lt. W.-H. lat. gabalus ein kelt. Lw. im Lat., dessen gall. Ausgangsform nicht belegt ist, der aber air., mir. gabul nahesteht (daher das „vgl.“ in Z. 3). Nur die gallo-roman. Weiterbildung *gabalaccos scheint lt. Meyer-Lübke (= [89]) in roman. Sprachen belegt zu sein. (Was übrigens nicht stimmt, weil das bei Meyer-Lübke Nr. 3624 besprochene nfrz. javelot Wurf¬ spieß1 und seine roman. Etyma nicht auf *gabalaccos zurückführbar sind. Meyer-Lübke erwähnt *gabalaccos auch gar nicht.) *gabalaccos ist vielmehr lediglich wegen kymr. gaflach erschlossen. Aisl. gaflak und ags. gafeluk sollen aus air. *gablach entlehnt sein. (Wahrscheinlicher ist Entlehnung aus kymr. gaflach, das im Gegensatz zu air. *gablach ja wirklich belegt ist. Lautlich wäre freilich beides möglich. In welchem Verhältnis gaflach zu *gablach stehen soll, wird nicht klar gesagt, ver¬ mutlich aber ist gaflach in den Augen der Verfasser aus dem Air. entlehnt.) Urverwandt (durch das „wozu“ ausgedrückt) sind ahd. gabala usw. Die bei Falk-Torp [152] vermutete Entlehnung aus dem Kelt. wird mit Recht zurückgewiesen. (Übrigens fehlt in Falk-Torp [136], S. 126, diese Vermutung.) Die im zweiten Satzkomplex „fern zu haltenden“ Verbindungen wer¬ den genannt. Aus Platzgründen wird aber der Grund der Ablehnung nur sehr knapp angedeutet: ai. gäbhastih aus semantischem Grund (Mayr¬ hofer [47] I, 322 f. stellt es zu lat. habere, got. gabei ,Reichtum4), ai. gabhäh wohl zunächst, weil es kein /-Suffix hat (bei Mayrhofer I, 324 311

wird gabhäh zu gämbha ,'Tiefe' gestellt). Erst aus Z. 16 ersehen wir einen zweiten Grund: da nach Falk-Torp [152] und Persson [409] die Wz. „wrsch.“ (= wahrscheinlich) palatalen g’h- Anlaut hatte (die Begrün¬ dung für diese Annahme ist dort nachzulesen!), können die satemsprachlichen (ai., arm., russ.) Wörter nicht zu gaba/us gestellt werden. (In welchem Verhältnis nach Eiden russ. gäci zu arm. gavak stehen sollte, kann man nicht ersehen!) Das in Z. 5 von unten genannte *ghabolowürde man dem Zusammenhang nach für einen Druckfehler (für richtig: *g’habolo-) halten; aus Walde-Pokorny [38a] I, 533 und Falk-Torp [152] folgt jedoch, daß diese Autoren *ghabolo- als eine ur-kentumsprachliche Form ansehen, was aber nicht eigens gesagt wird, sondern überall dem Zusammenhang zu entnehmen ist. Das Verhältnis von *g’hab- zu *g’he(i)- würde man heute wohl laryngalistisch als **g’hHrbh- : **g’heH,-i- fassen. Offen bleibt nach diesem Artikel, was mit der labia¬ len Media aspirata geschehen sein mag, die in *gliabolo- zur Media pura geworden zu sein scheint, aber von ahd. gabala usw. gefordert ist! Also doch ein Druckfehler? Erfreulicherweise sind nicht alle e. Wbb. in ähn¬ lich änigmatischem Stil abgefaßt. Vorbildlich scheint mir in mehr als einer Hinsicht für den knappen Wb.-Stil das got. e. Wb. von S. Feist [146], aus dem ich hier die Artikel blop und bnauan wiedergebe:

bloß n. cdpa Blut; blopa-rinnandei Part. Präs. f. cugoppooßaa blutflüssig M 9,20 (s. rinnan). Krimgot. plut sanguis (mit auffäl¬ ligem p)\ aisl. blöd, ae. afries. as. blöd, ahd. bluot n. Blut. Etymologisch dunkel. Vielfach (z.B. A. Torp - Hj. Falk 283) als Part. Prät. (idg. bhlö-to-) zu idg. Wzl. bhle- quellen, schwellen ma¬ chen (s. u. bloma, uf-blesan) gestellt. Abzulehnen: Th. v. Grienberger, Un¬ ters. 52 (zu lat. fluvus goldgelb, das zu aisl. blür, ac. bläw, ahd. hläo blau, mhd. blä blau, gelb gehört; s. A. Walde3 513 f.); H. Hirt, Abi. 90 (zu gr. peZaq schwarz; ai. malinas befleckt, schmutzig) trotz Zustim¬ mung von C.C. Uhlenbeck, Beitr. 30,269f. (der noch lat. mulleus rötlich; cymr. melyn gelblich heranziehl); R. Meringer, Z l'östr. Gymn. 54,398 f. (zur Sippe von blotun).

bnauan (nur Nom. Plur. Mask. Part. Präs, bnauandans L 6, 1) yobxeiv zer¬ reiben. Wohl aus *b-nauan mit Nullstufe von Präfix bi- (s. d.); vgl. aisl. bnüa, nüa reiben, ahd. niuwan, nüan, mhd. niuwen zerstossen, zerreiben; auch aisl. gnüa (als g-nüa) reiben hierher oder zur Sippe von gr. yvabco schabe (s. u.)? Zum Anlaut vgl. R.C. Boer, Museum 4, 281 f. Keine sichere Etymologie. Vielleicht zu der unter naups (s. d.) be¬ handelten idg. Wzl. näu- quälen. Verfehlt Th. v. Grienberger, Unters. 52 (b-nauan verschrieben für *h-nauan: gr. x-vuco krat¬ ze und A. Torp-Hj. Falk 298 (idg. Wzl. ksncu- in ai. ksnäuti wetzt, reibt; gr. xvcmco schabe, kratze, lat. noväcula Schermesser), ähnlich wie Joh. Schmidt, KZ 26,10, der noch ahd. nöil, nuoil m. runcina, nuol f. Fuge, mhd. nüejen durch Schaben glätten;

gr. xvöoq, Xv°ö? ^uapöq (Hes.) Abschabsel unter Annahme einer Wzl. gh-neu- her¬ anzieht; vgl. zur Sippe P. Persson, Idg. Wortf. 811 ff. Kühne Verknüpfungen bei R. Meringer, 1F 17,150 f. u WuS 1, 22 f. (zu ai. näüs, gr. vau<;, lat. nävis Schiff, eig. ausgehöhlter Einbaum, ahd. nuoil m. Ho¬ bel usw.), die C.C. Uhlenbeck, Tijdschr. 25,261 nicht ablehnt. Fern bleibt (trotz E. W. Fay, KZ 42,86) gr.

inschriftl.

cttio-vaFe

cecTdit(?);

lat.

Glossen na via lignum contractum, navat frangat usw. (P. Kretschmer, Glotta 2,353; Idg. Wb. II, 315), die zweifelhaft scheinen.

Bei blop, das zusammen mit den obliquen Formen 19mal belegt ist, erübrigen sich Stellenangaben, lediglich das Kompositum bloparinnands ist mit Stellenangabe versehen (der zweite Beleg, der den hier genannten Nom. Sg. mask. zeigt, fehlt bei Feist, ist aber in [327] leicht zu finden!). Da die got. Lexeme fast immer aus der Bibelübersetzung des Wulfila stammen, ist zunächst stets das Äquivalent in der Koine angegeben, dann erst die nhd. Übersetzung. Daran schließen sich die germ. Etyma, die im Fall von bnauan bzgl. des Vokalismus nicht so leicht zu verbinden sind (aisl. (b)nua, ahd. nüan würde man wohl heute auf Laryngalmetathese [S. 133] zurückführen). Der nächste Schritt geht zum problemati¬ schen idg. Anschluß über. Die Offenheit, mit der die Unsicherheit jeder idg. Verbindung eingestanden wird, könnte man manchem Etymologen, der partout eine Verbindung erzwingt, ins Stammbuch schreiben. Bei blop treffen wir auf eine alte Bekannte, die Wz. *bhel- ,schwellen4 (S. 208ff.), die hier, wenn die Verbindung richtig wäre, als Set-Wz. (**bhleHr : **bhloHr [S. 136]) auftreten müßte. Im Kleingedruck¬ ten äußert sich Feist zu „verfehlten“ bzw. sehr zweifelhaften e. Versu¬ chen. (Der Anschluß von blop an lat.flävus ,gelb4 ist mehr aus formalen denn aus semantischen Gründen abzulehnen. Gerade bei idg. Farbbezeichnungen bestehen in den idg. Einzelsprachen erstaunliche Be¬ deutungsdifferenzen!) Typisch die Wörter-und-Sachen-(WuS)Erklärung Meringers! Die bisher zitierten Wbb. verzichteten fast ganz auf die histoire du mot. Diese wird aber z.B. bei Ernout-Meillet [84] und vor allem in den e. Wbb. roman. Sprachen (besonders natürlich in [91]) stark in den Vordergrund gerückt. (b) Der andere Typ der e. Wbb. geht von dem grundsprachlichen Morphem aus. Im Falle roman. Sprachen [89] sind es die vlt., galloroman. oder germ. (westfrk., got., lgb.) Morpheme, im Falle der „germ. 313

Spracheinheit“ die (heute z.T. veralteten) urgerm. Ansätze in [136], im idg. e. Wb. die idg. Wörter und Wzn. Die älteren Arbeiten [38a] und [136] reihen - ein Zeichen der hohen Wertschätzung, der sich das Ai. erfreute - die Lemmata nach einem dem ai. Alphabet angenäherten Prinzip (s. Anhang 3). Es setzt einige Übung voraus, sich damit zurecht¬ zufinden. Als Faustregel kann gelten, daß zuerst die Vokale a, e, i, o, u (nicht in der ai. Reihenfolge!) stehen. Dann folgen die Nicht-Sonorlaute in einer Reihenfolge, die sich an der Artikulationsstelle orientiert: von hinten (im Mundraum), also Gutturale, bis ganz vorne, also Labiale. Darauf folgen die Nasale und Liquide, als letztes immer s. Die Halb¬ vokale i und u werden teils nach ai. Vorbild mehr ans Ende des Alpha¬ bets gestellt [136], teils aber auch hinter die Vokale [38a]. Im einzelnen gibt es allerlei Inkonsequenzen, auf die aber hier nicht eingegangen zu werden braucht (s. Anhang 3). Im IEW [38] sind die Lemmata nach dem lat. Alphabet angeordnet. Als Beispiel für einen IEW-Artikel wähle ich *k^el-, das über fast alle idg. Sprachen verbreitet ist:

I. k-el-, kyela- ,drehen, sich drehen, sich herumbewegen, fürsorglich um jemanden herum sein, wohnen1 u. dgl.; k^elo-, k^olo- .Drehung, Rad‘. k^olso- ,Hals' (lat. ir. germ.), k^ek^lo-, k^ok^lo-(l) ,Rad\ Ai. cärati, calati .bewegt sich, wandert, weidet, treibt' usw. (schwere Basis in cäritum, caritä-, cirnä-; caritra- n. ,Fuß, Bein', carcüryämäna-, cürti-, auch wohl tuvi-kürmi- .tatkräftig'), dehnstufig cara- m. ,Gang', usw.; av. caraiti ,versatur, obliegt einer Tätigkeit' usw., caräna- .Feld', apers. parikarä .pfle¬ ge! cole!'; s-Erweiterung in ai. karsü- f. .Furche', kärsati, krsäti .drehen, wenden, pflügen', av. karsa- m. n. .Furche', karsaiti .Furchen ziehen'; gr. ttsX,(ö, 7tskopcu ,bin in Bewegung' (rt Äolismus), Aor. ejiketo, Partiz. 7repircA,6psvoc; .umzingelnd (eine Stadt); sich herumdrehend, den Kreislauf vollendend (eviauxöq)', mit außeräol. xe- = *k^e-: 7T£pixsAA6pevo<; in ders. Bed. (xeAAcö .vollende' Pind.), hom. xsksflco .bin, werde', kret. xs^opai .eaopat', kypr. xsvxai ,er wird sein', auch xkkoc, n. .Ende', eigentl. .Wende' (xD.eet) .vollende', xtAeiot;, xtleoq aus *xskea-Fo-<; .fertig, vollendet, reif, erwachsen', xs^suxf) .Vollendung, Beendigung, Ende'), wozu xskaov (*xeA,aFov, vgl. oben ai. karsu-) .Grenzfurche', d. i. .Wendestelle des Pfluges aut dem Acker'; nokoi; .Achse (Drehpunkt); umgepflügtes (umgewendetes) Land', ttoA-eco .bewege mich herum, verweile', ctpcpinokoi; .Dienerin (Hom.), Diener' = lat. anculus .Diener, Knecht', ctinökoq .Ziegenhirt', Oeorcokeco ,bin Priester' (daneben 9er|-KÖ^og .Priester'); mit x in ßoux6A.o<; .Rinder¬ hirt' = mir. büachaill, cymr. bugail .Hirt' aus *kVol(i)os mit Entlabialisierung nach w; xotaiÜGO .bewege mich herum' (yrjv .pflüge um'), ion. att. E7ii7ioA.fi,auf der Oberfläche', EpTcokfi ,Handelsware'; TtcoAxopai .bewege mich an einem Orte herum, komme häufig hin'; TiaAav .zurück' (Akk. eines 314

*7räA,i<;,Wendung1); xüxkot; s. unten; die gr. x-Formen enthalten wohl z.T. idg. pel- s. unten; alb. sjel ,drehe um, wende, bringe* (*k^el-); daneben kjel ,bringe, trage* (*k-oleiö), a-sul ,Winterweide*, eigentl. ,Zutrift*, per-kul ,biege, krümme* (*k^el-n-), kulp, kulper ,Waldrebe* (*k^el-bh-); lat. colö, -ere ,bebaue, bewohne; pflege; ehre* (*k^elo); colönus ,Landwirt, Bauer*, incolere ,bewohnen*, incola ,Einwohner*, inquilinus ,Insasse*, Esquiliae ,Außensiedlungen'; über anculus s. oben; colus, -üs f. m. oder -f f. Spinnrocken* (*k^elos Spindel*), collus, -f m. (alat.), collum, -F n. ,Hals, Bergjoch* (*k^ol-so-, got. hals); air. cul ,Wagen* (Dual. *k^olö); mir. coli,Haupt* = got. aisl. asächs. hals m., ags. heals, nhd. ,Hals‘; aisl. hvel n. ,Rad* = apr. kelan ,Rad‘, lett. f. PI. du-celes ,zweirädriger Wagen*; aksl. kolo n., Gen. kolese ,Rad‘, PI. kolci ,Wagen* (Mischung von k-olom. und k^eles- n.); bsl. *kelia- ,Knie* in lit. kelys, ostlit. kelias ,Knie‘, lett. celis ds.; lit. kelenas m. ,Knie*, ablaut. aksl. koleno n. ,Knie, Stamm, Geschlecht*, vielleicht weiter zu slav. *celw> m., sloven. clen ,Gelenk, Glied*, klr. celen ,Glied*; toch. A källäs ,bringt', Prät. sei, PI. kalar (Pedersen Tochar. 183). k-ek-lo-, k-ok-lo-{(?) ,Rad* in:

ai. cakrä- m. n. (Akzent sekundär),Wagenrad, Scheibe, Kreis', av. caxram. ,Rad', gr. xüxZoq ,Kreis*, PI. xüxkoi und xüxka ,Räder*, aisl. hjöl, hvel (*k-ek~elon-, germ. *hweh(w)ula-) n., ags. hweol (engl, wheel), daneben hweowol, hweogol (germ. *hweg(w)ulci-), mnd. wel ,Rad‘; auch fries.^üf/ ist wohl eine Dissimil.-Form für *hwewla-; vgl. auch phryg. xixXrjv ,der große Bär* (,Wagen*), lit. käklas, lett. kokls ,Hals* als ,Dreher'; toch. A kukäl, B kokale ,Wagen*. Dehnstufig vielleicht (als ,gedreht, rund*) aisl. hväll und höll m. (letzteres aus dem Dat. PI. hölum aus hvälum) ,rundlicher Hügel*. WP. I 514 f„ WH. I 45, 245 ff., 250, 846, Trautmann 125. Die Anordnung der Einzelsprachen geht zunächst von Ost nach West, vom Ar. (ai.; die mit Akzent versehenen Formen sind ved.!) bis zum Kelt., dann folgt eine Wendung nach Norden (Germ.) und Osten (Balt., Slaw.). Die am Beginn dieses Jh.s neu hinzugekommenen Sprachen toch. und heth. (im IEW heißt es „hitthitisch“) schließen sozusagen den Kreis im Südosten, wobei freilich das Heth. nur sehr sporadisch herangezogen wird (S. 56). Innerhalb der Einzelsprachen werden Dialekte und Sprachstufen wieder nach dem Dignitätsprinzip ihrer Altertümlichkeit geord¬ net. Einzelheiten kann man dem Inhaltsverzeichnis des Registerbandes entnehmen. Gelegentlich wird die Reihenfolge durchbrochen, wenn nämlich auf bemerkenswerte Wortgleichungen hingewiesen werden soll: hier gr. „ßouxoX.o^ ,Rinderhirt*

=

mir. büachaill, cymr. [=

kymr.] bugail 315

,Hirt“‘ und „mir. coli,Haupt1 = got., aisl., asächs. ,Hals“‘ und „aisl. hvel n., ,Rad‘ = apr. kelan ^ad1“. An sich würde das Apr. erst in die viertletzte Zeile (der „bsl.“ = baltoslaw. Gruppe [S. 58]) gehören. Interessant vom Standpunkt der linguistischen Paläontologie ist, daß es ein grundsprachliches Wort für ,Rad‘ gibt. (Bei *k^ek^lo- ist in Zeile 3 und 4 die Sieverssche Regel [36.5, 7] zu beobachten. Das reduktions¬ stufige e in *k^ek^elon ist überflüssig. Ags. hweogol entsteht durch Vokalisierung des u vor /, so daß es wie ein Svarabhakti-w wirkte. Dadurch hatte der Labiovelar seine labiale Komponente verloren, und zwar noch vor dem Wirken der Sieversschen Regel. Daher erscheint -g-. Die „regu¬ läre“ Form ist hweowol). Es ist empfehlenswert, zur Übung einige Wur¬ zeln genau durchzulesen und unter Auflösung der Abkürzungen usw. zu paraphrasieren. Dabei sollte man sich bemühen, die Entstehung der einzelsprachlichen Formen des Ai., Gr., Lat., Abg., vor allem aber des Germ, so weit wie möglich mit Hilfe der S. 87ff. dargestellten Lautge¬ setze zu beschreiben.

Anhang 3

Wichtige Alphabete

a b Ags. a b Aisl. a b Dän.-norw. a b Schw. a b Lit. a b Ai. a ä i i u ü r e [135] [38a]

c c

d e fg h i jk d e fg h i d e fg h i j k c d e fg h i jk c d e fg h i jk c cdefgh i(y) j k a o au k kh g gh ri

a e e i i ö u u a e o ui u

k h k’ k'h q qh ku kuh

316

m n o p qu rs t uvwxyz Imnop r s 1u w y 1 m n o-p rs t|)uv y EC0U9 Imnop rs t uv xyz so Imnop rstuv xyz ääö Imnop rsst uv zz

1

c eh j jh t th d dh t th d dh n p ph b bh m y r g g' g'h g gh gu guh

tpdpfbnmjrlvs t th d dh p ph b bh m n r

1

s

1

v s s s h

Russischer Buchstabe*

Tran¬ skription

Russischer Buchstabe

A E B

a

a b w [v]

n

n

p

r

P c

r

fl E E E

a

g d e

T Y

je jo sch [3] s [z] i

X

X

n

u H UI

JK

3 H H K JI M H O

6 B

e e e 5K 3 H H

c

T

y

0

III

K

i Üi] k

JI

1

M

m n

m Tj bl b 3 IO

0

R

H O

Tran¬ skription

m T> bl b 3 K> H

P r s t u f ch [x] z [ts] tsch sch schtsch b

y b e ju ja

x> dient heute als Trennungszeichen innerhalb einer Lautgruppe, hat aber selbst keinen Lautwert, b dient heute nur als Palatalisierungs- und Trennungszeichen.

Große Schrift

Kleine Schrift

Name

Große Schrift

Kleine Schrift

Name

A B

a

Alpha Beta Gamma Delta Epsilon Zeta Eta Theta Iota Kappa Lambda My

N

V

Ny Xi Omikron Pi Rho Sigma Tau Ypsilon Phi Chi Psi Omega

r A E Z H 0

I K A M

ß y

5 8

c h 9 1 X

X

ß

77 0

0

n p

n

1

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T Y O X T Ü

P

V

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317

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N* cru

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P

"o"

Ä

Ä

^ D W

besonders geschlossenes [e]“). ^ besonders offener Vokal (z. B. [$]).

zierungen: -'Nasalität. . Stimmhaftigkeit. ‘Leichte Aspiration. w Labialisierung. . besonders geschlossener Vokal (z. B. [e] „ein

Akzent. - : (volle Länge), • (halbe Länge), 1 (Hauptakzent, vor dem Beginn der betonten Silbe), , (Nebenakzent). Weitere Differen¬

Aff'rikaten werden gewöhnlich durch zwei Konsonanten bezeichnet (ts, tj, d3 usw.). - Aspirierte Explosiva: ph, th usw. - Länge,

'o'

Offen.

c, s: |

Halb offen.

X

(w)

X

Halb geschlossen.

Velar

00

Geschlossen .



ÜQ

laute und Halbvokale ...

Palatal

M

Nicht-frikativische Dauer-

Alveolopalatal

0^

Frikativ.

-

„Flapped“ .

G

Gerollt .

G*

Nicht-Frikativ lateral.

Dental und Retroflex PalatoAlveolar alveolar

TD

.

£

Nasal.

Labio¬ dental ■u1

Frikativ lateral.

X D.

Explosiv.

Bi-labial

Das Internationale Phonetische Alphabet

o Z

(h) f

Anhang 4

o b

318

CA_

Bibliographie (von R. Schrodt)

Übersicht 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Bibliographien. Linguistische Wörterbücher. Allgemeine Werke, Sammelbände. Indogermanische Sprachen (ohne Germ.). Germanische Sprachen. Dialektologie. Curiosa.

1-4 5-6 7-25b 26-121 122-237 238-302 303-311

1. Bibliographien (besonders zur Auffindung von Zeitschriftenartikeln) 1

2

Indogermanisches Jahrbuch 1 (1913)—30 (1955). Bibliographie der Jahre 1912-1948. Bibliographie linguistique 1949ff. Bibliographie ab 1939; enthält eine Liste der Zeitschriftenabkürzungen, welche auch hier verwendet werden.

3 4

Die Sprache. Ab Bd. 13 (1967) mit „Indogermanischer Chronik“. Germanistik 1 (1960) ff. Bibliogra¬ phie ab 1959.

2. Linguistische Wörterbücher 5 W. Ulrich: Wörterbuch - Linguistische Grundbegriffe. Kiel 31979.

6

R. Conrad (Hg.): Kleines Wörterbuch sprachwissenschaftlicher Grundbegriffe. Leipzig 21978.

3. Allgemeine Werke, Sammelbände 7

8 9

10 11 12

J. M. Anderson / Ch. Jones (Hgg.): Historical Linguistics. 2 Bde. Amsterdam-New York 1974. G. Alessio: L'etimologia. Napoli 1960. R. Anttila: An Introduction to His¬ torical and Comparative Linguistics. New York-London 1972. V. Bertoldi: L’arte dell’etimologia. Napoli 1952. Th. Bynon: Historische Linguistik. Eine Einführung. München 1981. W.H. Christie (Hg.): Current Pro¬ gress in Historical Linguistics. Am¬ sterdam-New York-Oxford 1976.

13 14

15 16 17

18

P. Guiraud: L’etymologie. Paris 21967. R.J. Jeffers / I. Lehiste: Principles and Methods for Historical Lin¬ guistics. Cambridge, Mass.-London 1979. G. Jucquois: La reconstruction lin¬ guistique. Louvain 1976. F. Kluge: Wortforschung und Wort¬ geschichte. Leipzig 1912. Y. Malkiel: Etymological Dictionaries. A Tentative Typology. Chicago-London 1976. V. Pisani: Die Etymologie. München 1975.

319

19 20 21

22

23

O. Reichmann: Germanistische Lexikologie. Stuttgart 1976. A.S.C. Ross: Etymology. London 1958. R. Schmitt (Hg.): Etymologie. Darmstadt 1977 (S. 451-461 Biblio¬ graphie). J. Schrijnen: Einführung in das Stu¬ dium der indogermanischen Sprach¬ wissenschaft. Heidelberg 1921. O. Szemerenyi: Principles of Etymological Research in the Indo-European Languages. In: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sonderheft 15, 1962, S. 175-212 (auch in R. Schmitt [Hg.]: Etymolo¬ gie. Darmstadt 1977, S. 286-346).

24

O. Szemerenyi: Trends and Tasks in Comparative Philology. London 1962. 25 A. Zamboni: L'etimologia. Bologna 1976. 25a E. Seebold: Etymologie. Eine Ein¬ führung am Beispiel der deutschen Sprache. Becksche Elementarbü¬ cher, München 1981. 25b J. Trier: Wege der Etymologie. Nach der hinterlassenen Druckvorlage mit einem Nachwort hg. v. H. Schwarz. Philologische Studien und Quellen 101. Berlin 1981. 25c A. Bammesberger (Hg.): Das etymo¬ logische Wörterbuch. Regensburg 1983.

4. Grammatiken und Wörterbücher indogermanischer Sprachen (ohne Germ.) 4.1 Einführungen, Indogermanisch F. R. Adrados: Lingüistica indoeuropea. 2 Bde. Madrid 1975. 27 A. Meillet: Introduction ä l’etude comparative des langues indo-europeennes. Paris 81937. 28 O. Szemerenyi: Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. Darmstadt 21980. 28a L. Palmer: Descriptive and Com¬ parative Linguistics. London 1978. (Kap. 13: Etymology and Change of Meaning) 29 W. Porzig: Die Gliederung des in¬ dogermanischen Sprachgebiets. Hei¬ delberg 1954. 30 H. Birnbaum / J. Puhvel (Hgg.): An¬ dern Indo-European Dialects. Berkeley-Los Angeles 1966. 31 K. ßrugmann / B. Delbrück: Grund¬ riß der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. Straßburg 1897 1900. Nachdruck Berlin 1967. 32 K. Brugmann: Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen. Straßburg 1904.

35

26

33 34

320

H. Hirt: Indogermanische Gram¬ matik. 7 Bde. Heidelberg 1927-1937. H. Krähe: Indogermanische Gram¬ matik. 2 Bde. Berlin 51969.

36

37 38

J. Kurylowicz: Problemes de linguistique indo-europeenne. Wroclaw usw. 1977. W. Winter (Hg.): Evidence for Laryngeals. London-The Hague-Paris 1965. F.O. Lindeman: Einführung in die Laryngaltheorie. Berlin 1970. J. Pokorny: Indogermanisches ety¬ mologisches Wörterbuch. BernMünchen 1959 (dazu Index Bern 1969).

38a A. Walde J. Pokorny: Vergleichen¬ des Wörterbuch der indogermani¬ schen Sprachen. 3 Bde. Berlin 1930-1932. Nachdruck Berlin 1973. 39 C. D. Buck: A Dictionary of Selected Synonyms in the Principal Indo-Eu¬ ropean Languages. Chicago-Illinois 1949.

4.2 Altindisch 40

41 42

H. Bechert / G. v. Simson (Hgg.): Einführung in die Indologie. Darm¬ stadt 1979 (Kap. 2: Allgemeine und bibliographische Hilfsmittel. Kap. 3: Sprachen und Schriften). T. Burrow: The Sanskrit Language. London 31973. M. Mayrhofer: Sanskrit-Gram¬ matik. Berlin-New York 31978.

43

J. Wackernagel: Altindische Gram¬ matik. 3 Bde. Göttingen 1896-1930 (dazu: L. Renou: Introduction gene¬ rale. Göttingen 1957; A. Debrunner: Nachträge zu Bd. I und Bd. II, 1. Göttingen 1957; R. Hauschild: Regi¬ ster. Göttingen 1964). 44 A. Thumb / R. Hauschild: Hand¬ buch des Sanskrit. I. Teil: Gram¬ matik. 2 Bde. Heidelberg 31958—1959. 45 M. Monier-Williams: A SanscritEnglish Dictionary. Oxford 1899. 46 K. Mylius: Wörterbuch SanskritDeutsch. Leipzig 1975 (Auswahl aus den „Petersburger Wörterbüchern“; mit Literaturangaben). 46a Suryakanta: A Practical Vedic Dic¬ tionary. London 1981. 47 M. Mayrhofer: Kurzgefaßtes etymo¬ logisches Wörterbuch des Altindi¬ schen. 4 Bde. (Bd. 4: Register). Hei¬ delberg 1956-1980.

4.5 Lydisch 56

4.6 Phrygisch 57

49 50

W. Brandenstein / M. Mayrhofer: Handbuch des Altpersischen. Wies¬ baden 1964. H. Reichelt: Awestisches Elementar¬ buch. Heidelberg 1909. Ch. Bartholomae: Altiranisches Wörterbuch. Straßburg 1904.

4.4 Altarmenisch 51

G. R. Solta: Die Stellung des Ar¬ menischen im Kreise der indoger¬ manischen Sprachen. Wien 1960. 52 R. Godel: An Introduction to the Study of Classical Armenian. Wies¬ baden 1975. 53 A. Meillet: Esquisse d’une grammaire comparee de l’armenien classique. Wien 21936. 54 St. E. Mann: An Armenian Historical Grammar in Latin Characters. London 1968. 55 H. Hübschmann: Armenische Grammatik. 1. Theil: Armenische Etymologie. Leipzig 1895-1897. 55a R. Schmitt: Grammatik des Klas¬ sisch-Armenischen mit sprachver¬ gleichenden Erläuterungen. Inns¬ bruck 1981.

R. Gusmani: Studi frigi. Milano 1959. 4.7 Anatolisch

58

B. Rosenkranz: Vergleichende Un¬ tersuchungen der altanatolischen Sprachen. The Hague-Paris-New York 1978. 59 H. Kronasser: Vergleichende Lautund Formenlehre des Hethitischen. Heidelberg 1956. 60 J. Tischler: Hethitisches etymologi¬ sches Glossar. Innsbruck 1977 ff. 60a J. Tischler: Hethitisch-deutsches Wörterverzeichnis. Innsbruck 1982.

4.3 Altiranisch 48

R. Gusmani: Lydisches Wörterbuch. Heidelberg 1964 (S. 30-48 „Gram¬ matische Skizze“).

4.8 Balkansprachen 61

H.W. Schalter: Bibliographie zur Balkanphilologie. Heidelberg 1977. 61a H.W. Schaller: Die Balkansprachen. Heidelberg 1975. 61b G.R. Solta: Einführung in die Bal¬ kanlinguistik mit besonderer Be¬ rücksichtigung des Substrats und des Balkanlateinischen. Darmstadt 1980. 62 R. Katicic: Ancient Languages of the Balkans. 2 Bde. The HagueParis 1976. 63 D. Detschew: Die thrakischen Sprachreste. Wien 1957. 64 K. Vlahov: Nachträge und Berich¬ tigungen zu den thrakischen Sprachresten und Rückwörterbuch. Sofia 1963. 65 LI. Russu: Die Sprache der ThrakoDaker. Bucure§ti 1969.

4.9 Altgriechisch 66 67 68

R. Schmitt: Einführung in die grie¬ chischen Dialekte. Darmstadt 1977. E. Schwyzer: Griechische Gram¬ matik (Bd. I). München 1939. H. Rix: Historische Grammatik des Griechischen. Darmstadl 1976.

321

69

70

71

72

73

W. Pape: Griechisch-Deutsches Handwörterbuch. 2 Bde. Braun¬ schweig 31888. H.G. Liddell / R. Scott: A GreekEnglish Lexicon. Oxford 91940 (dazu: E.A. Barber (Hg.): Sup¬ plement. Oxford 1968). Hj. Frisk: Griechisches etymologi¬ sches Wörterbuch. 3 Bde. Heidel¬ berg 1960-1972. P. Chantraine: Dictionnaire etymologique de la langue grecque. Paris 1968 ff. G. Jucquois / B. Devlamminck: Complements aux dictionnaires etymologiques du grec ancien. Tome I (A-K). Louvain 1977.

4.10 Albanisch 74

G. Meyer: Etymologisches Wörter¬ buch der albanesischen Sprache. Straßburg 1891.

4.11 Illyrisch 75

76

H. Krähe: Die Sprache der Illyrier. Teil 1: Die Quellen. Teil 2: C. de Simone, Die messapischen Inschrif¬ ten; J. Untermann, Die messapi¬ schen Personennamen. Wiesbaden 1955, 1964. A. Mayer: Die Sprache der alten Illyrier. 2 Bde. Wien 1957, 1959.

4.12 Lateinisch 77 78

79

80 81

322

G. R. Solta: Zur Stellung der lateini¬ schen Sprache. Wien 1974. F. Sommer: Handbuch der lateini¬ schen Laut- und Formenlehre, Hei¬ delberg2'3 1914 (dazu: Ds.: Kritische Erläuterungen zur lateinischen Lautund Formenlehre. Heidelberg 1914). Neubearbeitung von R. Pfister (= 4. Aufl.; bisher Bd. 1, Einleitung und Lautlehre. Heidelberg 1977). E. Kieckers: Historische lateinische Grammatik. 2 Bde. München 1930, 1931. M. Leumann: Lateinische Laut- und Formenlehre. München 1977. K.E. Georges: Ausführliches latei¬ nisch-deutsches Handwörterbuch. 2 Bde. Hannover 131972 (Nachdruck der 8. Aufl.).

82 83

84

85

Thesaurus Linguae Latinae. Leipzig 1900 ff. (bisher 9 Bde.). A. Walde / J.B. Hofmann: Lateini¬ sches etymologisches Wörterbuch. 3 Bde. Heidelberg 31938-1956. A. Ernout / A. Meillet: Dictionnaire etymologique de la langue latine. Paris 41959. G. Alessio: Lexicon etymologicum. Napoli 1976.

4.13 Romanische Sprachen 86

B. E. Vidos: Handbuch der romani¬ schen Sprachwissenschaft. München 1968. 87 H. Lausberg: Romanische Sprach¬ wissenschaft. Bisher 3 Bde. Berlin 31969, 21967, 21972. 88 H. Rheinfelder: Altfranzösische Grammatik. 2 Bde. München 41968, 1967. 88a M. Pfister: Einführung in die roma¬ nische Etymologie. Darmstadt 1980. 89 W. Meyer-Lübke: Romanisches ety¬ mologisches Wörterbuch. Heidel¬ berg 31935. 90 E. Gamillscheg: Etymologisches Wörterbuch der französischen Spra¬ che. Heidelberg 21969. 91 W. v. Wartburg: Französisches ety¬ mologisches Wörterbuch. Bonn (später Zürich) 1928 ff. 23 Bde. + Registerbd.; ab Bd. 24 Neuaufl. 92 C. Battisti / G. Alessio: Dizionario etimologico italiano. 5 Bde. Firenze 1975. 93

I. Corominas: Diccionario critico etymolögico de la lengua castellana. 4 Bde. Bern o. J. (1954).

4.14 Keltisch 94

H. Lewis / H. Pedersen: A Concise Comparative Celtic Grammar. Göt¬ tingen 1937.

95

R. Thurneysen: A Grammar of Old Irish. Dublin 1946.

96

K. Jackson: Language and History in Early Britain. Edinburgh 1953. J. Whatmough: The Dialects of An¬ dern Gaul. Cambridge (Mass.) 1970. Dictionary of the Irish Language based mainly on Old and Middle Irish Materials. Published by the Royal Irish Academy. Dublin 1913ff.

97 98

99 Contributions to a Dictionary of the Irish Language. Published by the Royal Irish Academy. Dublin 1939 ff. 100 J. Vendryes: Lexique etymologique de l’irlandais ancien. Bisher: A, M-P, R-S. Paris 1959 ff. 101 E. Campanile: Profilo etimologico del cornico antico. Pisa 1974. 4.15 Baltisch 102 103

104

105

106 107

108

109

110

E. Fraenkel: Die baltischen Spra¬ chen. Heidelberg 1950. Chr. S. Stang: Vergleichende Gram¬ matik der baltischen Sprachen. Oslo-Bergen-Tromsö 1966. J. Endzelin: Comparative Phonology and Morphology of the Baltic Languages. The Hague-Paris 1971. W.R. Schmalstieg: An Old Prussian Grammar. University Park-London 1974. J. Endzelin: Lettische Grammatik. Heidelberg 1923. M. Niedermann / A. Senn / F. Brender (später A. Salys): Wörterbuch der litauischen Schriftsprache. 5 Bde. Heidelberg 1932-1968. A. Kurschat: Litauisch-deutsches Wörterbuch. 4 Bde. Göttingen 1968-1973. K. Mühlenbach / J. Endzelin: Let¬ tisch-deutsches Wörterbuch. 4 Bde. Riga 1923-1932 (dazu: J. Endzelin / E. Hausenberg: Ergänzungen und Berichtigungen. 2 Bde. Riga 1934). E. Fraenkel: Litauisches etymologi¬ sches Wörterbuch. 2 Bde. Heidel¬ berg 1962, 1965.

4.16 Slavisch 111

P. Arumaa: Urslavische Grammatik. Bisher 2 Bde. Heidelberg 1964 ff. 112 A. Vaillant: Grammaire comparee des langues slaves. 5 Bde. Lyon-Paris (später nur Paris) 1950-1977. 113 H. Bräuer: Slavische Sprachwissen¬ schaft. Bisher 3 Bde. Berlin 1961 ff. 114 B. Rosenkranz: Historische Lautund Formenlehre des Altbulgari¬ schen. Heidelberg 1955. 115 V. Kiparsky: Russische historische Grammatik. 3 Bde. Heidelberg 1963-1975. 116 L. Sadnik / R. Aitzetmüller: Hand¬ wörterbuch zu den altkirchenslavischen Texten. Heidelberg-’s-Gravenhage 1955. 117 Slovnik jazyko staroslovenskeho (Lexicon linguae palaeoslovenicae). Bisher 2 Bde. Prag 1966 ff. 118 L. Sadnik / R. Aitzetmüller: Verglei¬ chendes Wörterbuch der slavischen Sprachen. Wiesbaden 1975 ff. 118a A.G. Preobrazhensky: Etymological

119

120

121

Dictionary of the Russian language. New York 1951. M. Vasmer: Russisches etymologi¬ sches Wörterbuch. 3 Bde. Heidel¬ berg 1953-1958. E. Berneker: Slavisches etymologi¬ sches Wörterbuch. Bd. 1 (A-mor, mehr nicht erschienen). Heidelberg 1908-1913. F. Scholz: Slavische Etymologie. Wiesbaden 1966.

5. Germanische Sprachen 5.1 Germanisch 122

123 124

T.L. Markey / R.L. Kyes / P.T. Roberge: Germanic and its Dialects: A Grammar of Proto-Germanic. Bd. 3: Bibliography and Indices. Amster¬ dam 1977 (lückenhaft). W. Streitberg: Urgermanische Grammatik. Heidelberg 1896. H. Hirt: Handbuch des Urgermanischen. 3 Bde. Heidelberg 1931-1934.

125

126 127 128

W. Streitberg / V. Michels / M.H. Jellinek: Germanisch. Berlin-Leip¬ zig 1936. F. Kluge: Urgermanisch. Straßburg 31913. E. Prokosch: A Comparative Ger¬ manic Grammar. Philadelphia 1939. H. Krähe: Germanische Sprachwis¬ senschaft. 2 Bde. Berlin 71969.

323

129

M.M. Guchman et al.: Sravitel'naja grammatika germanskich jazykov. 5 Bde. Moskau 1962ff. 130 F. van Coetsem / H.L. Kufner (Hgg.): Towards a Grammar of Proto-Germanic. Tübingen 1972. 130a P. Ramat: Einführung in das Ger¬ manische. Linguistische Arbeiten 95. Tübingen 1981. 131 R.K. Seymour: A Bibliography of Word Formation in the Germanic Languages. Durham, N.C. 1968. 132 F. Kluge: Nominale Stammbil¬ dungslehre der altgermanischen Dia¬ lekte. Halle 31926. 133 Ch. T. Carr: Nominal Compounds in Germanic. London 1939. 134 W. Flenzen: Deutsche Wortbildung. Tübingen 41975. 135 W. Meid: Wortbildungslehre. (Er¬ schienen als Bd. 3 von H. Krähe: Germanische Sprachwissenschaft.) Berlin 1967. 135a E.C. Polome: The problem of etymological dictionaries: The case of German. Journal of Indo-European Studies 2, 1974, 45-58. 136 Hj. Falk / A. Torp: Wortschatz der germanischen Spracheinheit. Göt¬ tingen 41909. 137 E. Seebold: Vergleichendes und ety¬ mologisches Wörterbuch der ger¬ manischen starken Verben. The Flague-Paris 1970. 138 P. Scardigli / T. Gervasi: Avviamento all’etimologia inglese e tedesca. Firenze 1978. 139 M. Schönfeld: Wörterbuch der alt¬ germanischen Personen- und Völ¬ kernamen. Heidelberg 1911. 140 Thesaurus Palaeogermanicus. Ar¬ beitsstelle der Österreichischen Aka¬ demie der Wissenschaften. A-1010 Wien, Fleischmarkt 22/111.

145 146

147 148

5.3 Nordgermanisch 149

150

151

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154 155 156

142

143 144

324

berg 1971. A. Noreen: Altnordische Gram¬ matik 1: Altisländische und altnor¬ wegische Grammatik unter Berück¬ sichtigung des Urnordischen. Halle 41923. W. Baetke: Wörterbuch zur altnor¬ dischen Prosaliteratur. Darmstadt 21976. H.S. Falk / A. Torp: Norwegisch¬ dänisches etymologisches Wörter¬ buch. 2 Bde. Heidelberg 1910 ff. F. Holthausen: Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch des Alt¬ west-Nordischen. Göttingen 1948. J. de Vries: Altnordisches etymologi¬ sches Wörterbuch. Leiden 21962. A. Jöhannesson: Isländisches etymo¬ logisches Wörterbuch. Bern 1956. E. Hellquist: Svensk etymologisk ordbok. 2 Bde. Lund 31970.

5.4.1 Englisch 156a A. Bammesberger: English Etymology. Heidelberg 1984.

5.2 Ostgermanisch W. Braune: Gotische Grammatik. Tübingen 191981. E. Kieckers: Handbuch der verglei¬ chenden gotischen Grammatik. München 1928. W. Krause: Handbuch des Goti¬ schen. München 31968. W. Streitberg: Die gotische Bibel. 2. Teil: Gotisch-griechisch-deutsches Wörterbuch. Heidelberg 21928.

W. Krause: Die Sprache der urnordischen Runeninschriften. Heidel¬

5.4 Westgermanisch

157

141

O. Priese: Deutsch-gotisches Wör¬ terbuch. Leipzig 31933. S. Feist: Vergleichendes Wörterbuch der gotischen Sprache mit Einschluß des Krimgotischen. Leiden 31939. R.A. Fowkes: Gothic Etymological Studies. New York 1949. B. Devlamminck / G. Jucquois: Complement aux dictionnaires etymologiques du gothique. Tome I (A-F). Louvain 1977.

158 159 160 161

K. Luick: Historische Grammatik der englischen Sprache. 2 Bde. Leip¬ zig 1921, 1940. H.E. Pinsker: Historische englische Grammatik. München 31969. K. Brunner: Altenglische Gram¬ matik. Tübingen 31965. E. Kieckers: Altenglische Gram¬ matik. München 1935. J. Bosworth / T.N. Toller: An Anglo-Saxon Dictionary. Oxford 1882— 1898 (dazu Supplement Oxford 1925).

162

163

164

165

F. Holthausen: Altenglisches etymo¬ logisches Wörterbuch. Heidelberg 21963. A. Bammesberger: Beiträge zu einem etymologischen Wörterbuch des Alt¬ englischen. Heidelberg 1979. E. Klein: A Comprehensive Etymological Dictionary of the English Language. Amsterdam-LondonNew York 1977. W.W. Skeat: An Etymological Dic¬ tionary of the English Language. Oxford 1974.

181

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168 169 170 171 172

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177

178 179

180

5.4.2 Friesisch W.L. van Helten: Altostfriesische Grammatik. Leeuwarden 1890. Th. Siebs: Geschichte der friesischen Sprache. In: H. Paul (Hg.): Grund¬ riß der germanischen Philologie. Bd. 1. Straßburg 21901, S. 1152-1464. P. Ramat: Das Friesische. Innsbruck 1976. K. Freiherr v. Richthofen: Altfriesi¬ sches Wörterbuch. Göttingen 1840. F. Holthausen: Altfriesisches Wör¬ terbuch. Heidelberg 1925. B. Sjölin: Einführung in das Friesi¬ sche. Stuttgart 1969. R.K. Holander / V.T. Jörgensen: Nordfriesland - Nordfriislon. Bräist (Bredstedt) 21973 (wichtig für die Ortsnamen). N. Mungard: Ein inselnordfriesi¬ sches Wörterbuch. Bd. 1 (A-O). We¬ sterland 1974. V.T. Jörgensen: Snaak Friisk! Interfriisk Leksikon. Bräist (Bredstedt) 1977. R. Arfsten: Fering Wurdenbuk. Wyk (Föhr) 1965. J. ten Doornkaat Koolman: Wör¬ terbuch der ostfriesischen Sprache. 3 Bde. Norden 1879-1884. P. Sipma: Phonology and Grammar of Modern West Frisian. Oxford 1913. P. Sipma: Ta it Frysk. 3 Bde. Ljouwert 1948-1949. J. Anglade: Petit manuel de Frison moderne de l’Ouest. Groningen 1966. Chr. Johansen: Die nordfriesische Sprache nach der Föhringer und Amrumer Mundart. Schleswig 1862.

187

188

189

190

5.4.3 Niederländisch M..I. van der Meer: Historische Grammatik der niederländischen Sprache. Bd. 1. Heidelberg 1927. A. van Loey: Schönfelds Historische Grammatica van het Nederlands. Zutphen 81970. W.L. van Helten: Middelnederlandsche Spraakkunst. Groningen 1887. J. Franck: Mittelniederländische Grammatik mit Lesestücken und Glossar. Leipzig 21910. A. van Loey: Middelnederlandse Spraakkunst. 2 Bde. Groningen 71973, e 1971. E. Verwijs / J. Verdam: Middelnederlandsch Woordenboek. 11 Bde. ’s-Gravenhage 1882-1952. J. Verdam: Middelnederlandsch Handwoordenboek. ’s-Gravenhage 21932. J. H. van Dale: Groot Woordenboek der Nederlandse Taal. 2 Bde. ’s-Gra¬ venhage Q1970. Franck’s Etymologisch Woorden¬ boek der Nederlandsche Taal (bearb. v. N. van Wijk). ’s-Graven¬ hage 21912. J. de Vries: Nederlands Etymolo¬ gisch Woordenboek. Leiden 1971. 5.4.4 Deutsch

191 192

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195 196

197

198

5.4.4.1 Altsächsisch und M ittelniederdeutsch J.H. Gallee: Altsächsische Gram¬ matik. Halle-Leiden 21910. E. Sehrt: Vollständiges Wörterbuch zum Heliand und zur altsächsischen Genesis. Göttingen 21966. S. Berr: An Etymological Glossary to the Old Saxon Heliand. BernFrankfurt 1971 (sehr mangelhaft). A. Lübben: Mittelniederdeutsche Grammatik nebst Chrestomathie und Glossar. Leipzig 1852. A. Lasch: Mittelniederdeutsche Grammatik. Halle 1914. K. Schiller / A. Lübben: Mittel¬ niederdeutsches Wörterbuch. 6 Bde. Bremen 1875-1881. A. Lübben: Mittelniederdeutsches Handwörterbuch. Norden-Leipzig 1888. A. Lasch / C. Borchling (fortgef. v. G. Cordes): Mittelniederdeutsches Handwörterbuch. Neumünster 1928 ff.

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199 200

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208 209

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212

213 214

326

5.4.4.2 Althochdeutsch W. Braune: Althochdeutsche Gram¬ matik. Tübingen 131975. A. Szulc: Diachronische Phonologie und Morphologie des Althochdeut¬ schen. Warszawa 1974. E.G. Graff: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. 6 Bde. + Index. Berlin 1834-1846. E. Karg-Gasterstädt / Th. Frings: Althochdeutsches Wörterbuch. Ber¬ lin 1952 ff. (Sächsische Akademie der Wissenschaften, Arbeitsstelle „Alt¬ hochdeutsches Wörterbuch“, DDR701 Leipzig, Goethestraße 3-5). R. Schützeichel: Althochdeutsches Wörterbuch. Tübingen 1969. E. Steinmeyer / E. Sievers: Die alt¬ hochdeutschen Glossen. 5 Bde. Ber¬ lin 1879-1922. T. Starck / J.C. Wells: Althochdeut¬ sches Glossenwörterbuch. Heidel¬ berg 1972 ff. F. Raven: Die schwachen Verben des Althochdeutschen. 2 Bde. Gie¬ ßen 1963, 1967 (darin: Konkordanz der Siglen von Graff und Stein¬ meyer / Sievers). E. Förstemann: Altdeutsches Na¬ menbuch. Bd. 1: Personennamen. Bd. 2: Orts- und sonstige geographi¬ sche Namen (2 Tie.). Bonn 21900, 31913, 31916.

5.4.4.3 Mittelhochdeutsch K. Weinhold: Mittelhochdeutsche Grammatik. Paderborn 21883. O. Mausser: Mittelhochdeutsche Grammatik auf vergleichender Grundlage. 3 Bde. München 1932— 1933. H. Paul: Mittelhochdeutsche Gram¬ matik. Tübingen 211975. G. F. Benecke / W. Müller / F. Zarncke: Mittelhochdeutsches Wör¬ terbuch. 3 Bde. Leipzig 1854 1866. M. Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde. Leipzig 1872-1878. M. Lexer: Mittelhochdeutsches Ta¬ schenwörterbuch. Stuttgart 341974. Frühmittelhochdeutsches Wörter¬ buch (Sammlung der Berliner Aka¬ demie der Wissenschaften. Arbeits¬ stelle für das Frühmittelhochdeut¬

215

sche Wörterbuch. D-2000 Hamburg 13, Von-Melle-Park 6). M. Winder: An Etymological Dic¬ tionary of Middle High German Words Extinct in New High Ger¬ man. Diss. Nottingham 1951 [masch.].

5.4.4.4 Frühneuhochdeutsch H. Moser / H. Stopp (Hgg.): Gram¬ matik des Frühneuhochdeutschen. Bd. 1 (3 Tie.). Heidelberg 1970— 1978. 217 V. Moser: Frühneuhochdeutsche Grammatik. Bd. 1 (1. und 3. Teil). Heidelberg 1929. 1951. 218 A. Götze: Frühmittelhochdeutsches Glossar. Berlin 71967. 218a H. Penzl: Frühneuhochdeutsch. Germanistische Lehrbuchsamm¬ lung. Band 9. Bern-Frankfurt/ Main-New York 1984. 216

5.4.4.5 Neuhochdeutsch W. Wilmanns: Deutsche Gram¬ matik. 3 Bde. Straßburg 1899-1911. 220 H. Paul: Deutsche Grammatik. 5 Bde. Halle/Saale 1916-1920. 221 A. Schirmer: Deutsche Wortkunde. Berlin 51965. 222 F. Maurer / H. Rupp (Hgg.): Deut¬ sche Wortgeschichte. 3 Bde. BerlinNew York 31974-1978. 223 J. und W. Grimm: Deutsches Wör¬ terbuch (= DWb). 16 Bde. in 32 Teilen. Leipzig 1854-1960 (Neube¬ arbeitung 1965 fl'.). 223a W. Pfeifer: Historisch-etymologi¬ sches Wörterbuch der deutschen Sprache. Vorbemerkung und Probe¬ artikel. Berlin 1977 (Linguistische Studien A. Arbeitsbericht 38). 224 DUDEN. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. G. Drosdowski. 6 Bde. Mannheim 1976 ff. 225 R. Klappenbach / W. Steinitz (Hgg.): Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 6 Bde. Berlin 3-91978. 226 H. Paul: Deutsches Wörterbuch. Tü¬ bingen 51966. 219

227

E. Mater: Rückläufiges Wörterbuch

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der deutschen Gegenwartssprache. Leipzig 21967. B. Liebich: Die Wortfamilien der le¬ benden hochdeutschen Sprache. Breslau 1899.

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231 232 233

234

H. Wehrle / H. Eggers: Deutscher Wortschatz. Stuttgart 1961. F. DornseifF: Der deutsche Wort¬ schatz nach Sachgruppen. Berlin 61965. H. Hirt: Etymologie der neuhoch¬ deutschen Sprache. München 21921. DUDEN. Etymologie (= Der große Duden Bd. 7). Mannheim 1963. L. Mackensen: Reclams etymologi¬ sches Wörterbuch der deutschen Sprache. Stuttgart 1966. E. Wasserzieher: Woher? Bonn 171966.

235

F. Kluge: Etymologisches Wörter¬ buch der deutschen Sprache. Berlin 201967 (bearbeitet von W. Mitzka). 235a Knaurs etymologisches Lexikon. München 1983 (Fremdwörter). 236 J.K. Brechenmacher: Etymologi¬ sches Wörterbuch der Deutschen Familiennamen. 2 Bde. Limburg/ Lahn 1957-1963. 237 H. Marzeil: Wörterbuch der deut¬ schen Pflanzennamen. Bisher 2 Bde. Leipzig 1937 ff.

6. Dialektologie 6.1 Einführungen und Gesamtübersiehten 238

239 240 241 242 243

Areale Aspekte der Sprache. In: H.P. Althaus / H. Henne / H.E. Wiegand (Hgg.): Lexikon der Ger¬ manistischen Linguistik. Tübingen 1973, S. 319-387. H. Löffler: Probleme der Dialektolo¬ gie. Darmstadt 1974. J. Goossens: Deutsche Dialektolo¬ gie. Berlin-New York 1977. A. Bach: Deutsche Mundartfor¬ schung. Heidelberg 31969. V.M. Schirmunski: Deutsche Mund¬ artkunde. Berlin 1962. H. Friebertshäuser (Hg.): Dialekt¬ lexikographie. Berichte über Stand und Methoden deutscher Dialekt¬ wörterbücher (Festgabe für Luise Berthold zum 85. Geburtstag am 27.1.1976). ZDL Beiheft NF 17, 1976. Wiesbaden 1976 (enthält u.a. die Anschriften der einzelnen Wör¬ terbuchredaktionen). 6.2 Mundartgrammatiken und Wörterbücher

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6.2.1 Bairisch E. Kranzmayer: Historische Laut¬ geographie des gesamtbairischen Dialektraumes. Wien 1956. K. Weinhold: Bairische Grammatik. Berlin 1867. O. Mausser: Die Mundarten Bayerns. München 1930. Bayerisch-Österreichisches Wörter¬ buch I: Wörterbuch der bairischen

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Mundarten in Österreich. Wien 1963 ff. J.A. Schmeller: Bayerisches Wörter¬ buch. München 21872—21877. J. Schatz: Wörterbuch der Tiroler Mundarten. 2 Bde. Innsbruck 1955, 1956. M. Lexer: Kärntisches Wörterbuch. Leipzig 1862. 6.2.2 Alemannisch H. Bohnenberger: Die alemannische Mundart. Tübingen 1953. L. Jutz: Die alemannischen Mundar¬ ten. Halle/Saale 1931. K. Weinhold: Alemannische Gram¬ matik. Berlin 1863. Schweizerisches Idiotikon - Wörter¬ buch der schweizerdeutschen Spra¬ che. Frauenfeld 1881 ff. L. Jutz: Vorarlbergisches Wörter¬ buch mit Einschluß des Fürstentums Liechtenstein. 2 Bde. Wien 1955, 1960. H. Fischer: Schwäbisches Wörter¬ buch. 7 Bde. Tübingen 1904-1936. E. Martin / H. Lienhart: Wörter¬ buch der elsässischen Mundarten. 2 Bde. Straßburg 1899, 1907. E. Ochs et al.: Badisches Wörter¬ buch. Lahr 1925 ff. 6.2.3 Ostfränkisch Th. Diegritz: Lautgeographie des westlichen Mittelfrankens. Neustadt/Aisch 1971. E. Gerbet: Grammatik der Mundart des Vogtlandes. Leipzig 1908.

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Ostfränkisches Wörterbuch (noch nicht erschienen; Arbeitsstelle: D825 Erlangen, Henkestraße 8/E). 6.2.4 Mittelfränkisch R. Schützeichel: Die Grundlagen des westlichen Mitteldeutschen. Tübin¬ gen 1961. J. Müller: Rheinisches Wörterbuch. 9 Bde. Bonn/Berlin 1928-1971. L. Berthold / H. Friebertshäuser: Hessen-Nassauisches Volkswörter¬ buch. Marburg 1943 ff. F. Maurer / R. Mulch: Südhessi¬ sches Wörterbuch. Marburg 1965ff. E. Christmann / J. Krämer: Pfälzi¬ sches Wörterbuch. Wiesbaden 1965 ff. M.F. Follmann: Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten. Leipzig 1909. Wörterbuch der luxemburgischen Mundart. Luxemburg 1906. Luxemburger Wörterbuch. 5 Bde. Luxemburg 1950-1977. 6.2.5 Thüringisch H. Rosenkranz: Der thüringische Sprachraum. Halle/Saale 1964. O. Kürsten: Die Thüringer Mundar¬ ten. Flarchheim 1930. K. Spangenberg: Thüringisches Wörterbuch. Berlin 1966 ff. 6.2.6 Obersächsisch W. Seibicke: Beiträge zur Mundart¬ kunde des Nordobersächsischen. Köln-Graz 1967. H. Becker / G. Bergmann: Sächsi¬ sche Mundartenkunde. Halle/Saale 21969. K. Müller-Fraureuth: Wörterbuch der obersächsischen und erzgebirgischen Mundarten. 2 Bde. Dresden 1911, 1914. Siebenbürgisch-Sächsisches Wörter¬ buch. Berlin-Leipzig 1908-1931. Berlin- Bukarest 1971 ff. 6.2.7 Schlesisch W. Menzel: Mundart und Mundart¬ dichtung in Schlesien. München 1972. W. von Unwerth: Die schlesische Mundart. Breslau 1908. W. Mitzka: Schlesisches Wörter¬ buch. 3 Bde. Berlin 1961-1965.

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6.2.8 Hochpreußisch W. Tassmann: Kurze Laut-und For¬ menlehre des Hochpreußischen. In: Jahrbuch der Albertus-MagnusUniversität zu Königsberg 19, 1969, S. 115-171. Preußisches Wörterbuch. Bd. 1-8 bearbeitet von W. Ziesemer, Bd. 9 ff. hg. v. K. Riemann. Königsberg 1939-1944. Neumünster 1974ff. 6.2.9 Niederpreußisch W. Mitzka: Grundzüge nordost¬ deutscher Sprachgeschichte. Halle/ Saale 1937 (auch für das Ostpom¬ merische). W. Ziesemer: Die ostpreußischen Mundarten. Kiel 1924. Preußisches Wörterbuch. Bd. 1-8 bearbeitet von W. Ziesemer, Bd. 9 ff. hg. v. K. Riemann. Königsberg 1939-1944, Neumünster 1974 ff. 6.2.10 Mecklenburgisch K. Nerger: Grammatik des meklenburgischen Dialektes älterer und neuerer Zeit. Leipzig 1869. R. Wossidlo / H. Teuchert: Mecklen¬ burgisches Wörterbuch. BerlinNeumünster 1937 ff. 6.2.11 Brandenburgisch K. Bischoff: Sprachliche Beziehun¬ gen zwischen niederdeutschem Alt¬ land und Neuland im Bereich der westlichen Elbe. Berlin 1958. H. Teuchert: Die Mundarten der brandenburgischen Mittelmark und ihres südlichen Vorlandes. Berlin 1964. W. Seelmann: Die Mundart der hin¬ teren Neumark oder das Ostmärki¬ sche. Leipzig 1913. Engelien / Lahn: Der Volksmund in der Mark Brandenburg. Berlin 1868. A. Bretschneider / H. Teuchert / G. Ising: Brandenburgisch-Berlinisches Wörterbuch. Berlin-Neumünster 1968 ff. 6.2.12 Ostfälisch K. Bischoff: Sprache und Geschichte an der mittleren Elbe und unteren Saale. Köln-Graz 1967. 6.2.13 Westfälisch H. Jellinghaus: Westfälische Gram¬ matik. Bremen 1877.

294 295

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H. Niebaum: Westfälisch. Düssel¬ dorf 1977. F. Woeste: Wörterbuch der West¬ falischen Mundart (bearbeitet von E. Nörrenberg), 1930. F. Wortmann: Westfälisches Wör¬ terbuch. Neumünster 1969 ff. 6.2.14 Niedersächsisch, SchleswigHolsteinisch

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299

P. Jorgensen: Zum schleswiger Nie¬ derdeutsch. Kobenhavn 1954. A. Lübben: Das Plattdeutsche in sei¬ nerjetzigen Stellung zum Hochdeut¬ schen. Oldenburg 1846. W. Jungandreas / H. Wesche / G. Keseling / W. Kramer: Niedersächsi¬

300

sches Wörterbuch. Neumünster 1953 ff. G. Mensing: Schleswig-Holsteini¬ sches Wörterbuch. 5 Bde. Neumün¬ ster 1927-1935. 6.3 Jiddisch

301

H.P. Althaus: Die jiddische Sprache. 2 Bde. Köln 1965, 1968. 301a S.A. Wolf: Jiddisches Wörterbuch. Mannheim 1962. 6.4 Rotwelsch 302

S.A. Wolf: Wörterbuch des Rotwel¬ schen. Mannheim 1956 (mit ausführ¬ lichem Literaturverzeichnis).

7. Curiosa 303

304

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306

F. Braun: Die Urbevölkerung Euro¬ pas und die Herkunft der Germanen. Berlin usw. 1922. G. von List: Die Namen der Völker¬ stämme Germaniens und deren Deu¬ tung. Leipzig 1909. Ders.: Die Ursprache der Ariogermanen und ihre Mysteriensprache. Wien 1915. Maria Schön-Pontarra: Terriolis. Etrusca lllyrica. Innsbruck 1937.

307

308 309 310 311

G. Schwidetzky: Rasse und Sprache: 1 = Schimpansisch, urmongolisch, indogermanisch. Leipzig 1932. 2 = Lemurisch, gibbonisch, ureuropäisch. Leipzig 1935. 3 = Pongonisch, urdinarisch, in¬ dogermanisch. Leipzig 1936. F. von Wendrin: Die Entdeckung des Paradieses. Hamburg 1924. K.G. Zschaetsch: Uralte Sippenund Familiennamen. Berlin 41937.

329

Autoren- und Sachregister (von Ingrid Strasser)* Ablaut = vowel gradation, vowel alternation, alternances vocaliques, apophony 132ff., 138 ff. - qualitativer = Abtönung 133 ff. - quantitativer = Abstufung 132ff. - qnregelmäßiger 145 312 J. de Vries, Vokalvariation im Germanischen, PBB (Tübin¬ gen) 80 (1958) lff. 313 F. van Coetsem, Germanic Verbal Ablaut and its develop¬ ment, in: F. van Coetsem/L. R. Waugh (Hgg.), Contributions to Historical Linguistics, Leiden 1980, S. 281-339. Ablautentgleisung 133, 144 f. [126] S. 164ff. mit zahlreichen Bei¬ spielen Ablautreihen 139 ff. Ableitung, primäre 122 ff. - ,sekundäre 122 Ableitungsgrundlage 122 abstrakt 205 f. Abstrakta 151 f., 154ff. Abstufung s. Ablaut, quantitativer Abtönung s. Ablaut, qualitativer Adelung, J. Chr. 44f. Adjektiva 149f., 152, 154ff. Adjektivabstrakta 152, 154 ff. Adstrat 240, 248 ff. Affix = gebundenes Morphem 20, 23, 122 ff., 148 ff., 154 ff. Affixoid 23, 171 Agglutination s. Prosthese Aitiologie 37f., 232 Akronym = Buchstabenwort, Initial¬ wort 23, 42, 191 f. Aktionsart 176 Akut 80 Akzent - , ai. 77 - , balt. 80 - , germ. 99ff, 108f. - , gr. 80 - , idg. 77, 80, lOOf. - , lat. 100 - ,ved. 77 Akzentfestlegung 100 Alba(ne)sisch 57

Allegroerscheinung 99f. Alpenwörter 242 f. Alpha privativum 70 Altbulgarisch = Altkirchenslawisch 59, 84 ff. alteuropäische Hydronymie 241 Altgriechisch = Homerisch 56 Altindisch s. Sanskrit Altirisch 58, 256f. Altkirchenslawisch s. Altbulgarisch Altpersisch 55, 99 Altpreußisch 58 Analogie 50f. Analogisten 40 Anaptyxe s. Sproßvokal anglofriesische Aufhellung 92 Anit-Basis 132, 135 Anlautvarianten, idg. 126f. Anomalisten 40 Antepaenultima 77, 100 Antonym 200, 203 Anusvära 77 Aphärese = Deglutination 190f.. 235 Apokope 108 Appellativa 172 Archaismus 225f., 285 Archilexem 200 Areallinguistik 284ff. 314 O. N. Trubacev, Sprachgeogra¬ phie und etymologische Forschungen, [21] 247 ff. areal norm 279 Arisch = Indoiranisch 54f. Armenisch 55, 99 Aspekt 176f. Aspiratengesetz s. Grassmannsches Ge¬ setz Assimilation 74ff, 107 athematische Bildung s. Wurzelwort Attisch 56, 78 a-Umlaut 88, 92f., 140, 142 Auslaut, germ. 108ff. Auslautvarianten, idg. 125f., 129 Auslautverhärtung 105, 111 f. Averbostufe 139 f. Awesta 55 BahuvrThi 173f. Baltisch 58, 92 Bartholomaesches Gesetz 48, 76f., 99

* Die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf die ab S. 319 vorangehenden Nummern der Bibliographie.

330

Bartoli, M. 284 Basis 130 ff. Bedeutungsentlehnung 238 - erweiterung 203 f. - Spaltung 215f. - Verbesserung 204 f. - Verengung 203 f. - Verschlechterung 204 f. - wandel 199 ff. 315 A. Meillet, Wie die Wörter ihre Bedeutung ändern, in [315] Theorie der Sprachveränderung, hg.v. Gudula Dinser, Skripten Linguistik und Kommunikationswissenschaft 3 (1974) 19ff.; 316 G. Stern, Allgemeine Theorie des Bedeutungswandels, ibid., 67ff.; 317 G. Stern, Meaning and Change of Meaning, 1931 (Kap. 7) Behaghel, O. 49 Benveniste, E. 128 Bestimmungswort 172 ff. Bezzenberger, A. 49 Bifurkation = Scheidewort 100, 226f. Bindevokal = Stammvokal, Thema¬ vokal 122 ff., 13 8 f., 148 ff., 153 Bopp, F. 47 Braune, W. 49 Brechung, got. 111 - , urgerm. s. a-Umlaut Bretonisch 58 Britisch 58 Brugmann, K. 49 Buchenargument 294 Buchstabenwort s. Akronym Bulgarisch 59 Campe, J. H. 45 Cechisch 59, 100, 250ff. Cerebrale 75 f. Chronologie, absolute 54ff., 87ff., 99f., 103, 289, 292ff. - , relative 62f., 72f., 76, 87ff., 99ff., 29 lf. Chrysippos 40 Clauberg, J. 43 Coetsem, F. van 92 Collitz, H. 49 comparative method s. vergleichende Methode Cornisch 58 Dakisch 55 Deglutination s. Aphärese Dehnstufe = Vrddhi-Stufe 13 2 ff., 140, 142 Deklinationsklasse 122, 148 ff.

Dekomposition 173 Delbrück, B. 49 Deminutiva 152, 15 6 ff., 178 Deminutivsuffixe 152, 156ff., 183 denominal = denominativ (s. auch Faktitiva) 122, 154ff., 178, 181 Denotat 201 Dependenzgrammatik s. Valenztheorie Desiderativa 178 Determinativ s. Wurzeldeterminativ Deutsch 48, 60f. deverbal = deverbativ (s. auch Kausativa) 127 f., 151 f„ 154ff., 178, 180f. Diachronie 20, 295 [11] 318 Sprachwandel. Reader zur dia¬ chronischen Sprachwissenschaft, hg. v. D. Cherubim, de Gruyter Studien¬ buch Grundlagen der Kommunika¬ tion 1975 dialektaler Ausgleich 60, 62, 262 f. 319 W. Besch, RhVjBl 143(1979), 323 ff. 320 P. Kretschmer, Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache, 1918 Diez, F. 49, 280 Di-gamma 79 Digraphen 111 Diphthonge 69ff., 130ff. Diphthonghebung, ahd. 94 Diphthongierung, ahd. 93 - ,nhd. 94 Dissimilation 107f. dissimilatorischer Schwund 107 f. Dittologie 192 Doubletten 235 Dumezil, G. 54, 293 durativ(e Aktionsart) 176f. Dvandva 173 f. e2 72, 88, 92f., 143, 246f. Eindeutung (auch Umdeutung) 219, 229 ff. Elativierung = Verstärkung 23, 204 Ellipse 190 ff. endozentrisch 152, 174 Entfaltungstheorie 65 f. Entrundung 95 Epenthese s. Sproßvokal Erbwort = Stammwort 21, 112, 291 Ersatzdehnung 71 f., 89, 92, 144 Etymologie (Bedeutung des Wortes) 39 etymologie-histoire 280f. etymologie organique 278 f. 321 B. Vidos, Revue de linguistique romane 21(1957)93 ff.

331

etymologie origine 25, 280f. Etymologie, transformationeile 286 Etymologie und Philosophie 297 322 M. Wandruszka, Etymologica, 1958, 857ff. Etymologie-Formel 286fF. 323 V. Kiparski, Kratylos 11(1966) 68 ff. 324 L. Kiss, Versuche zur Aufstellung von etymologischen Formeln, [21] 377 ff. etymologische Schreibung 60, 295ff. - Verfahrensweisen s. Methoden, etymologische Etymon 30 Euphemismus 218, 223 ff. Euphonie 192 exozentrisch 152, 174 Extremvokalismus llOf.

Fachsprache 235, 264ff. 325 H.-R. Fluck, Fachsprachen, 1976 Faktitiva 178, 181 Falk, Hj. 51 Feist, S. 51 Formans = Formativ 122 Französisch 57, 235ff., 239, 252f. Frauensprache 264 325a F. Pusch, Das Deutsche als Män¬ nersprache, Frankfurt/M. 1984 freies Morphem 20, 122 Fremdwort 21, 234ff. 325b P. Braun (Hg.), FremdwortDiskussion, München 1979 Frequenz = Häufigkeit 190 326 F. W. Kaeding, Häufigkeitswör¬ terbuch der deutschen Sprache, 1898; 326a H. Meier, Deutsche Sprachstatistik, Hildesheim/New York 21978; 327 F. de Tollenaere, R. F. Jones, Word-Indices and Word Fists to the Gothic Bible and Minor Fragments, 1976 Frings, Th. 245, 284 Friulanisch 58 Fulda, F. K. 44

Gabelentz, G. von der 52 Gä'isch 58 Galatisch 58 Gallisch 58, 248 ff. Gamkrelidze, Th. 74, 128 Geheimsprachen 264 f. gemeingermanisch 62 Gemination 67f. - , expressive 102, 195 ff.

332

- , germ. (n-Gemination) 101 f. - , westgerm. 102f. Generalisierung 206ff. 328 E. Benveniste, Problemes semantiques de la reconstruction, Word 10 (1954) 251 ff. Germanisch 48, 59ff., 99 Geschichte der Etymologie 37 ff. 329 Klinck, Die lateinische Etymolo¬ gie des Mittelalters, 1970; 330 W. Sanders, Grundzüge und Wandlungen der Etymologie, Word 17(1967)361 ff. (auch [21] 7ff.) Gesner, C. 45 ghost-words 298 331 R. A. Fowkes, Fg 27 (1951) 146ff.; 332 M. Niedermann, Museum Helveticum 2 (1945) 123ff.; 333 W. W. Skeat, TPhS 1885-87, 350ff. Glottochronologie 236 334 J. Tischler, Glottochronologie und Fexikonstatistik, IBSprw. 11, 1973 Goidelisch = Irisch-Gälisch 58 Gotisch 45, 48, 61, 110ff., 255f. grammatischer Wechsel 48, 100, 111, 140 Grassmansches Gesetz = Aspiratenge¬ setz, Hauchdissimilation 48, 76f., 79 Gravis 80 Griechisch 56, 77ff., 255f. Grimm, J. 47f. Grimms Gesetz s. Fautverschiebung, erste Großrussisch 59 Grundwort 172 ff. Guna-Stufe s. Vollstufe Habenichts-Typus 173 f. 335 N. Törnqvist, NeuphilM itt60( 1959) 12 fF. Hapax legomenon 298 Haplologie 192 Hauchdissimilation s. Grassmannsches Gesetz Hauptton 87, 91, 96, 108ff. Hellqvist, E. 51 Heteroklisie 175 f. Hethitisch 55 f., 72 Hirt, H. 51, 307 histoire du mot 25, 280f. 336 F. Maurer, F. Stroh, Deutsche Wortgeschichte 1-3, 21959ff.; 337 O. Reichmann, Deutsche Wort¬ forschung, 1969 (Slg. Metzler);

338 J. Untermann, Etymologie und Wortgeschichte, in: H. Seiler, Linguistic Workshop III, 1975, 93ff.; 339 W. Wissmann, Skop, SB d. dt. Ak. d. Wiss. Berlin, Kl. f. Sprache, Lit. u. Kunst, 1954, 2 Höher, O. 65f., 104f. Holthausen, F. 51 Holtzmanns Gesetz s. Verschärfung, got. Homerisch = Altgriechisch 56 Homonym 226f., 276 Homonymenfurcht 276 homorgan 98 Hrabanus Maurus 42 Hyperkorrektheit 95, 193 340 E. Öhmann, Über hyperkorrekte Lautformen, 1960 Idiom = syntagmatische Verbin¬ dung 20, 227 Illyrisch 57, 243 imperfektiv(er Aspekt) 176 f. Indisch 54f„ 75ff. Indoeuropäisch s. indogermanisch Indogermanisch = indoeuropäisch 21, 48, 53 f., 59, 66, 69ff. und passim; bes. auch 291 ff. 341 Wissmann, Der Name der Buche, Dt. Ak. d. Wiss. Berlin, Vor¬ träge und Schriften 50, 1952, 8ff.. Indoiranisch s. Arisch Infix 20, 89, 122, 136, 141 f., 189, 272 Initialakzent 100, 108 Initialwort s. Akronym Inkohativa 178 innere Entlehnung 237 ff. Intensiva 102, 178, 181 f. Interferenz 234 342 E. Haugen, The Analysis of linguistic Borrowing, Lg26( 1950)21 Off. 343 U. Weinreich, Languages in Contact: Findings and Patterns, 71970 Iota adscriptum 78 Iota subscriptum 78 Iranisch 55 Irisch-Gälisch s. Goidelisch Isidor von Sevilla 40ff. 344 J. Engels, Studi Medievali Ser. 3, 3, 99ff. Italienisch 58 Italisch 57 Itazismus 78, 259 Iterativa 177 f., 196 ff. /-Umlaut, ahd. 89f., 94 - , urgerm. 88 f., 92

Jahn, Fr. L. 216

jan-Ve rba 102, 109, 180f. Jär 84 Jerj 69, 84 Jones, Sir William 46 Junggrammatiker 49 Juxtaposition 171, 176

Kakophonie 192 Karmadhäraya 173 f. Kaschubisch 59 Katalanisch 57 f. Kausativa 178, 180 f. Keltisch 58, 248ff. Keltiberisch 58 Kentum-Sprachen 59f., 98 Klaproth, J. H. 48 Kleinrussisch 59 Kluge, F. 51 Koine 56 Kollektiva 153, 154, 156, 159, 162, 164 Kollokation 207 Komposition 20, 166ff., 171 ff. Kompositionsfuge 172 Konglutination 20, 122, 124, 153. Konjugationsklasse 122ff., 180ff. Konkreta 151 f„ 205 Konnotat 201 f. Konsonantenschwächung, binnenhoch¬ deutsche 105 Konsonantenstamm 149 ff. Kontamination 126, 228 f. 345 W. Meid, Beziehungen zwischen äußerer und innerer Sprachform: ver¬ schränkte Zeichen und fusionierte In¬ halte, Anz. phil. hist. Kl. d. Öst. Ak. d. Wiss. 114(1977)294ff. 346 H. Paul, Prinzipien der Sprach¬ geschichte, 71966; 347 J. Vendryes, BSL51(1955)1 ff. Kopfform 191 Kratylos-Dialog 38 ff. Kroatisch 59 Kurdisch 55 Kurylowicz, J. 74 Kurzdiphthong 69f., 75, 91 ff., 128ff., 142 ff. Kymrisch = Walisisch 58 Kyrill und Methodius 59 Kurzvokale 69f. und passim; 128ff., 148 ff., 172

7, epenthetisches 86 Labiovelar 56, 70, 79, 83, 100f., 105 348 E. Seebold, Etymologie und

333

Lautgesetz, in: Lautgeschichte und Etymologie, Akten d. 6. Fachtagung der Idg. Gesellschaft Wien 1978, 1980, 431 ff., 450ff. Lachmannsche Regel 81 Ladinisch 58 Lallwörter 195 f. Langdiphthong 69f., 75, 78, 91, 130ff. Laryngal(theorie) 56, 71 ff., 128ff. 348a Alternatives Konzept zur her¬ kömmlichen Lehre: W. Merlingen, Laryngaltheorie und Laryngale, Ab¬ lauttheorien und Ablaut, Wien 1983 Lateinisch 57, 80ff., 234ff. Latino-Faliskisch 57 Lautgesetz 50, 66 und passim - , Ausnahmslosigkeit des 50 ff. Lautsymbolik, lautsymbolisch 38, 43, 46, 195 ff. 349 S. Ertel, Psychophonetik. Unter¬ suchungen über Lautsymbolik und Motivation, 1969 Lautverschiebung, erste = Grimms Ge¬ setz 47f., 98 f., 101, 105, 242f., 248 350 R. Schrodt, Die germanische Lautverschiebung und ihre Stellung im Kreis der indogermanischen Spra¬ chen, Wien 21976; 350a T. Vennemann, Hochgerma¬ nisch und Niedergermanisch, PBB (West) 106, 1984, 1-45 Lautverschiebung, zweite = hochdeut¬ sche Lautverschiebung 103 ff., 193, 247, 255f. Lautwandel 51 f., 67 und passim Lehnschöpfung 238 - Übersetzung 237 - Übertragung 237 f. Lehnwörter - , engl. 253f. - , exotische 258 ff. - , frz. 252f. - , got. 255f. - , italien. 253 - , kelt. 248ff. 351 H. Birkhan, Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römer¬ zeit, Wien 1970 Lehnwörter, lat. 234ff., 245 ff. - , mnl. 252 - , nl. 254 - , oriental. 214f., 258 ff. 352 K. Lokotsch, Etymologisches Wörterbuch der europäischen (ger¬ manischen, romanischen und slawi¬ schen) Wörter orientalischen Ur¬ sprungs, Heidelberg 1927

334

Lehnwörter, slawische 250ff. 353 G. Bellmann, Slavoteutonica, 1971 Lehnwörter, spanische 253 - , urgerm. im Finnischen 255 Leibnitz, G. W. 45f. Leitsuffix 241, 244f. Lemma = Lexikoneintrag 20 Leskien, A. 49 Lettisch 58 Leumann, M. 228 Lexem 20 Ligurisch 242 Lingua Adamica 44f. linguistische Paläontologie 46, 291 ff. 354 G. Cardona, H. M. Hoenigswald, A. Senn (Hg.), Indo-European and Indo-Europeans, 1970; 355 W. Dressier, Methodische Vor¬ fragen bei der Bestimmung der «Ur¬ heimat», Die Sprache 11 (1965) 25 ff.; 356 H. Krähe, Sprache und Vorzeit, 1954; 357 O. Schräder, Reallexikon der in¬ dogermanischen Altertumskunde, hg. v. A. Nehring, 1. 2, 1917-1923; 357a P. Bosch-Gimpera, Les IndoEuropeens, Paris 1961; 357b H. Heucken,Indo-European languages and archeology, American Anthropologist 57 (1955) 6/3, Memoir 84; 357c M. Buchvaldek, Die Schnur¬ keramik in Mitteleuropa, Pamätky Archeologicke 57 (1966), S. 126ff.; 357d M. Zäpotocky, Streitäxte und Streitaxtkulturen, Pamätky Archeolo¬ gicke 57 (1966), S. 172 ff.; 357e Palaeontologia Linguistica. Atti del 6 Convegno Internazionale di Linguisti, Brescia 1977 Litauisch 58, 80, 100 Luther, M. 60f., 262f. Luwisch 55 Lydisch 55 Lykisch 55 Malkiel, Y. 279 Manx 58 Meringer, R. 281 metachronisch 52 metanalytisch 190 metaphorischer Bedeutungswan¬ del 219 ff. Metathese 84, 86, 88, 108 - Laryngal- 133, 136, 285 - Liquid- 84, 86, 88

Metonymie 216 Methoden, etymologische, allgemein, s. auch Sprachvergleich 269ff. 358 K. Baidinger, Ruperto-Carola Mitt29( 1961 )29ff., bes. 37; 359 A. Brückner, Über Etymologien und Etymologisieren, KZ45 (1913)24ff.; KZ48( 1918) 161 ff. 360 H. Schuchardt, ZfRPh26( 1902)385 ff. Meyer-Lübke, W. 281 «Mission, got.» 255 f. - , ir. 256ff.

Mitanni-Indisch 54 mittelalterliche Etymologie (s. auch Ge¬ schichte der E.) 40ff. Mittellatein 58 Mittelpersisch = Pehlevi 55 Mitzka, W. 284 mf-Verbum 22, 123, 136 Monophthongierung, ahd. 93 - , nhd. 94 Morphem, autonomes = freies Mor¬ phem 20, 122 - , gebundenes s. Affix motiviert = «durchsichtig», Motivie¬ rung 23, 43, 171, 229 Movierung 152 ff. Much, R. 281 Mutae = Konsonanten ohne Resonanten 142

Nasalumlaut 88f., 255 Naturlänge 67 Nebenton 108 ff. Neolinguistik 284 ff. Neologismus = Neubildung 20, 23 f., 191 f., 297 Neugriechisch 56 Neuhochdeutsch 60ff., 262ff. Neupersisch 55 Noa 223 Nomina 148 ff. - acti 152 - actionis 152, 154, 157, 161, 165 - agentis = Nomina actoris 151 f., 154, 156, 164 - ante res 202 - postverbalia 152 Nominalflexion 149 ff. Nordwestblock 243 ff. (s. auch unter „Substrat“) Normalstufe s. Vollstufe Notkersches Anlautgesetz 107 n privativum 70 Nullstufe s. Schwundstufe

oblique Formen 95, 272 Ölzweig-Typus 191 Onomasiologie 273 ff. 361 F. Dornseiff, Bezeichnungswan¬ del unseres Wortschatzes, 1955; 362 H. Gipper, H. Schwarz, Biblio¬ graphisches Handbuch der Sprachinhaltsforschung, 1,1 = A-G, 1962; [237]^ 363 S. Ondrus, Acta Univ. Debreceniensis 7(1961)131 ff. onomastisch 241 Onomatopöie 195 ff. Oskisch-Ümbrisch 57 Ossetisch 55 Osthoff, H. 49f. Ostiranisch 55 Ostslawisch 59 Oxymoron 202 Paenultima 77, 100 Paläisch 55 Palatalgesetz 75 f. Palatalisierungen im Slaw. 85 f. Päli 54 Palindrom 42 Paronymie s. Volksetymologie pars-pro-toto 216 Paul, H. 49, 51 Pehlevi s. Mittelpersisch «Pelasgisch» = Vorgriechisch 56 perfektiv(er Aspekt) 176f. Periphrase 178, s. auch Streckformen Personalia 151 Personifikation 218 f. Peters M. 308 Phonemwandel 21, 67 Phrygisch 55 Pleonasmus 192f. Pluraletantum 222 Pokorny, J. 208 Polabisch 59 Polnisch 59 Polysemie 216 Portugiesisch 57 Positionslänge 67 Präfixe 20, 100, 122, 186ff. Präfixhäufung 124 Präfixoid 23 Präteritopraesentia 179 Präteritum 178f. Prakrit 54 Primärberührung = primärer Berüh¬ rungseffekt 48, 74, 83, 98 Primärumlaut 89 Produktivität von Suffixen 124, 290 progressiv 107

335

Prosthese = Agglutination 190 Provenzalisch 58 punktuell(e Aktionsart) 176

Quantitäten, nhd. 68, 95f.

Rätoromanisch 58 Rask, R. Chr. 47 Reduktionsstufe 69, 132, 134fF., 140 Redundanz 190f. Reduplikation 143 f., 189, 196 f. regressiv 107 Rekonstrukt(ion), rekonstruieren 21, 32ff., 53, 269ff. Rekonstruktion, interne (innere) 271 f. 364 C. Hj. Borgström, Word 10(1954)275 ff. Rekonstruktion, semantische 199ff., bes. 207ff., 281 ff. Rekonstruktion, umgekehrte 272 f. Rekurrenz, formal und semantisch 30 f. remanent(er Bedeutungswandel) 212f. Resonant 96 f. Restumlaut 90, 94 Rheinischer Fächer 104 Rhotazismus 84, 103 Romani 55 romanische Sprachen 57 f. Romanistik 49, 58, 280 365 Y. Malkiel, Word 6( 1950)42ff.; 366 H. Meier, Herrigs Ar¬ chiv 201 (1965)81 ff. Ross, A. S. C. 260, 286 Rotwelsch 264 f. Rudnickyj, J. B. 287 «Rückumlaut» 48, 109, 181, 226 ruki-Regel 76 Rumänisch 58 Russisch 59

Sandhi 99 Sanskrit = Altindisch 54, 75 ff. Sardisch 58 Satem-Sprachen 59 f. Saussure, F. de 49, 52, 71 Scaliger, J. J. 45, 63 Schimpfnamen 221 367 F. Goldberger, Kraftausdrücke im Vulgärlatein, Glotta 18 (1930)8ff.; 20(1932)101 ff. Schlegel, Fr. 46 f. Schleicher, A. 49 Schleifton 80, 92, 109, 139 Schmidt, Joh. 65 Schottisch-Gälisch 58

336

Schrödersche Gesetze 175 Schülersprache 264, 268 368 R. Eilenberger, Pennälersprache, 1910 Schwa-Laut 69, 122, 132ff., 142 schwache Flexion 149ff., 172 Schwanzform 191 Schwebeablaut 137 Schwundstufe = Nullstufe = Tief¬ stufe 132 ff. sekundäre Veränderungen des Wort¬ körpers 190 ff. 369 Luise Berthold, Verstöße gegen die Lautgesetze und ihre Gründe, Deutsche Dialektgeographie 21(1933)55 ff. Sekundärumlaut 89 f. Sem 199 Semantik 199 ff. 370 H. Kronasser, Handbuch der Se¬ masiologie, 1952; 371 E. Struck, Bedeutungslehre, 21954; 372 St. Ullmann, Grundzüge der Se¬ mantik. Dt. Fassung v. Susanne Koopmann, 1967 Semem 139 Serbisch 59 Serbokroatisch 59 Set-Basis 132, 136 Sievers, E. 49 Sievers-Edgertonsches Gesetz 150 Sieverssche Regel 101 Silbe 67, 128 Silbische Nasale und Liquide 70. 73, 88, 132, 138, 142 Sinnstreckung 315 ff. Slawisch 59, 250ff. Slovenisch 59 Slovinzisch 59 Slowakisch 59 s mobile 128 Sorbisch 59 Soziolekt 264ff. Soziolinguistik 264 Spanisch 57, 253 Spirantenschwächung, frühahd. 105 Spiritus (gr.) 78 f. Sprachvergleich = comparative method, vergleichende Methode 25ff, 37ff„ 47f. 373 Y. Malkiel, Essays on Linguistic Themes, 1968; 374 ders., Lingua 36(1975)101 ff.; 375 ders., Romance Philol 8(1954) 187 ff. [348]; 376 J. Untermann, Theorie, Methode

und Didaktik der historisch-verglei¬ chenden Sprachwissenschaft, 1973 Sproßvokal = Anaptyxe, Epenthese, Svarabhäkti-Bildung 70, 73, 84, 88, 110, 140 ff. Stamm 122 Stammbaum = Stemma 61, 63 ff. Stammvokal s. Bindevokal Stammwort s. Erbwort starke Flexion 149 f. Stemma s. Stammbaum Stoßton 109 strengahd. 104 Studentensprache 264f., 267 f. 377 F. Kluge, Deutsche Studenten¬ sprache, 1895; 378 J. Meier, Hallische Studenten¬ sprache, 1894 Substantiva 148 ff. Substrat 240 ff. 379 H. K. J. Cowen, Prae-indo-europese relicten in de Nederlanden, LeuvBijdragen60( 1971)159ff.; 63 (1974)215 ff.; 380 G. Neumann, Die Sprachverhältnisse in den germanischen Provinzen des Römischen Reiches, in; H. Temporini/W. Haase (Hgg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Bd. 29/11, Berlin/New York 1983, S. 1061-1088. 381 P.-G. Scardigli, Elementi non indoeuropei nel germanico, 1961 Substrat, alpenländisches 242 f. - , romanisches 245 382 Th. Frings, Germania Romana, 1, 2, 1932; 1968; Südslawisch 59 Suffixe 20, 122ff., 148 und passim, 180 und passim, 290 Suffixkonglutinat 122, 124, 153, 156 ff., 193. Suffixoid 23, 171 Suffixstruktur, idg. 129 Superstrat 240, 245 ff. 383 E. Gamillscheg, Romania Ger¬ manica, 1 ff., 21970Ff. Suppletivsystem 177 Svarabhäkti-Bildung s. Sproßvokal Synästhesie 217 f. Synchronie 52, 229 Synekdoche 216 Synkope 108 Synonymenschub 276f. Tabu 223ff., 265 Tatpurusa 173 f.

tautosyllabisch 89 Tenues aspiratae 70, 72, 98 Themavokal s. Bindevokal Thomas Cisterciensis 42 Thrakisch 55 Tiefstufe s. Schwundstufe Tierbezeichnungen für Geräte 220f. 384 W. Hering, Über den Zapfhahn und seine Namen in Frankreich, in: Fs K. Jaberg, 1937, 259ff. Tocharisch 55 Torp, A. 51 Transferenz 234ff. 385 H. H. Munske, Germanische Sprachen und deutsche Gesamtspra¬ che, in: Fexikon der Germanistischen Linguistik, Tübingen 21980, S. 661-672. transgressivfer Bedeutungswandel) 212 f. Trier, J. 52, 282 ff. Tropen 41 Tschechisch s. Cechisch Umfärbung 71 f., 134 ff. Universale, panchronisches Gesetz 26, 190, 195 urgermanisch, proto-germanic, pre-germanic 62 Urheimatfrage, idg. 293 [355]; 386 A. Scherer (Hg.), Die Urheimat der Indogermanen, 1968 „Ur-Wurzel“ 43f., 127f. „« sakrales“ 224 f. «-Umlaut, ahd. 90 Valenztheorie = Dependenzgrammatik 277 f. 387 H. Vogt, „Sagen“ und „Spre¬ chen“ - ein verbales Wortfeld des Althochdeutschen, Diss. Hamburg 1953 388 R. Schrodt, Valenz und Modus in der Diachronie der deutschen In¬ haltssätze, in: A. Greule (Hg.), Va¬ lenztheorie und historische Sprach¬ wissenschaft, Tübingen 1982, S. 231-257 Varro, M. Terentius 40 Vedisch 54 Venetisch 57 Vennemann, Th. 105 Verba 139 ff., 176 ff. - pura 111 Verbalabstrakta 152, 154, 157 ff. vergleichende Methode s. Sprachver¬ gleich

337

Verner, K. 49 Vernersches Gesetz 48, 99 f. Verschärfung, got. = Holtzmanns Ge¬ setz 111 Visarga 77 Vokalkontraktion 80, 106f., 139 Volksetymologie = Paronymie 229ff., 235 389 C. G. Andresen, Über deutsche Volksetymologie, 1883; 390 K. Baidinger, Zum Einfluß der Sprache auf die Vorstellungen des Menschen (Volksetymologie und se¬ mantische Parallelverschiebungen, SB Heidelberg, Ak. d. Wiss., phil.-hist. KL, 2. Abh. 1973; 391 O. Panagl, Aspekte der Volks¬ etymologie, 1982 ( = Innsbrucker Bei¬ träge zur Sprachwissenschaft, Vorträ¬ ge und Kleinere Schriften 30) Vollstufe = Guna-Stufe, Normalstufe, Hochstufe 132 fif. Vorgriechisch s. „Pelasgisch“ Vulgärlatein 57 Vrddhi-Stufe s. Dehnstufe Walde A. 74, 208 Walisisch s. Kymrisch Wallonisch 57 Wanderwörter 258 ff. Weisgerber, L. 289 Wellentheorie 65 Wendisch 59 westgermanisch 64, 102, 110 Westslawisch 59 Wörter und Sachen 281 ff. 392 V. Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere, 1870; 393 C.-P. Herbermann, Etymologie und Wortgeschichte. Die idg. Sippe des Verbums strotzen, 1974; 394 J. Trier, Venus. Etymologien um das Futterlaub, 1963 Wörterbücher, Anlage von 308 ff. 395 G. Drosdowski, H. Henne, H. E. Wiegand, Nachdenken über Wörter¬ bücher, 1977; 396 M. Mayrhofer, Zur Gestaltung des etymologischen Wörterbuches ei¬ ner «Großcorpus-Sprache», Wien 1980 (Österr. Akad. d. Wiss., phil.hist. KL, SB 368) Wortbildung 42ff.; 122ff. 397 W. Henzen, Deutsche Wortbil¬ dung, 31965; 398 H. Meier, RF 68(1956)1 ff.

338

Wortethos 201 Wortfamilie s. Wortsippe Wortfeld 52, 200, 203, 276f. 399 E. Coseriu, Einführung in die strukturelle Betrachtung des Wort¬ schatzes, 1970; 400 P. Guiraud, BSL52( 1956)265ff.; 401 J. Mattausch, Synonymenfelder im alphabetischen Wörterbuch, PBB(Halle)88( 1967)425 ff.; 402 L. Seiffert, Wortfeldtheorie und Strukturalismus, 1968; 403 I. Strasser, Bedeutungswandel und strukturelle Semantik, 1976; 404 L. Schmidt (Hg.), Wortfeldfor¬ schung. Zur Geschichte und Theorie des sprachlichen Feldes, 1973 Wortgruppenlexem 20 Wortsippe = Wortfamilie 148 405 W. Luther, Weltansicht und Gei¬ stesleben, 1954, 13 ff.; 406 Y. Malkiel, Etymology and the Structure of Word Families, Word 10(1954)265 ff. Wrede, F. 284 Wurzeldeterminativ = Determinativ 51, 125 ff., 129 407 H. Lommel, Etymologie und Wortverwandtschaft, [21], 120ff.; 408 A. Noreen, Abriß der urgermanischen Lautlehre, 1894, 181 ff.; 409 P. Persson. Beiträge zur indoger¬ manischen Wortforschung, 1, 2, 1912; 410 ders., Studien zur Lehre von der Wurzelerweiterung und Wurzelvaria¬ tion, 1891 Wurzelstruktur, idg. 128 ff. Wurzeltheorie 128 f. 411 E. Benveniste, Origine de la formation des noms en indo-europeen, 1, 1935 Wurzel Variante 126 f. [408] Wurzelwort = athematische Bildung 122 f., 149

Zarncke, Fr. 49 Zeuss, C. 49 Zirkumflex 80 Zufall 31 412 J. Friedrich, IF 60 (1959) 156ff.; 413 E. Littmann, ZDMG 76 (1922) 270 ff.

Wortregister (von Ingrid Strasser)

Das folgende Register soll kein etymologisches Wörterbuch ersetzen. Das Auswahlprinzip war, dem Leser die Orientierung zu erleichtern und für möglichst alle Kapitel dieser Darstellung zumindest ein einprägsames Beispiel zu geben.

Neuhochdeutsch Aar 161, 225 Abstecher 267 Ache 101, 103 Acker 88 Adler 161, 190 adrett 253 Ärger 270 Alarm 214 Alb 155 alber(n) 175, 263 Alchemie 259f. Alkohol 214 Alm 155 Amethyst 155 Amt 249 Angst 77 Anke ,Butter' 81 Antlitz 186 Aschaffenburg 166 Au(e) 101,225 aufbäumen 280 aufdonnern 232 Auge 111, 229 Baiern 168 Balg 163 bange 263 Bankert 167 bannen 184 Barbar 196 Barch 126 (wo der) Barthel (den Most holt) 265 beben 178, 189, 263 Beichte 106, 238 Bernstein 108 Besen 163 bewegen 83 bieten 88, 93 bigott 231 bitten 182 blechen 292 bleiben 182, 186 Blitz 183 Bluse 259

Bock 102 Boje 279 Braut 277 brav 196 bravo 196 Bremse 162 Brente 242 Br ödem 165 Brosame 137 Bruder 92, 163 Brünne 249 Bube 196 Buche 294 Büro 220 Bursche 212 Chemie 259f. denken - dachte 181 deuchte 89 deutsch 129, 159 Dirne 161, 204 Drau 241 drei 82 Duell 83 Düne 248 Efeu 232f. ehern 292 Eid 135, 165 Eidechse 191 Einöde 231 eisern 249 elend 192 elf(e) 155 Eller 162 Eis (beere) 162 Ems 162 Enkel 160 ent- 22 Erle 162 essen 123, 140 Essig 246 Euter 127, 131, 161

339

fahen 89 Falter 192, 197 Feder 292 Feg(e)feuer 238 Feier 256 feist 263 Ferkel 126 fett 263 Feuer 161, 175 f. flattern 198 flechten 86, 185 Flieder 215 flott 267f. Flut 92 Föhn 242 fördern 184 Folter 221 fordern 184 Forelle 216 forschen 185 Frage 185 fressen 188 Freude 212 Freund 160 Friede 164 Friedhof 229 froh 212 fromm 157 Frosch 162 führen 181 fünf 81 Furt 290 Futter 127 gähnen 83 Garde 236 garnieren 236 Garten 213, 248, 252 Gas 23 f. Gast 27, 138, 204, 213 Gauch 197 ge- 99 f„ 186 f. gebären 82, 290 gedeihen 89, 144 geil 86 Geiß 272 geizen 185 gelb 155 Gemse 242 gestanden 136, 142, 189, 228, 272 Getreide 211 gewiß 83 gießen 83 Glaube 282 Glocke 256 Götze 224 Gott 214

340

Grasmücke 231 Grenze 251 Gummi 62, 258 Gurke 250 gut 147 Flängematte 231 Flagestolz 108, 172 Hai 216 Hand 145, 156 Hapag 192 Haxe 276 hehr 93, 238 heil 86 Heiland 225 f. Heinz 162, 219 heischen 185 hell 218 Herde 85 Herr 93, 238 Hochstapler 268 hören 94 Hokuspokus 224 Horde 260 Hort 155 hübsch 252 Hure 204 Husten 165 Ingwer 260 Ir (Er) tag 255, 284 Jahr 79 Joch 79, 110 Joghurt 260 Kaiser 86 Kalb 127 Kamm 85 kaputt 258 Katze 102, 246 Keim 131 Keks 196 kerben 85 Kiefer .Backenknochen' 269f. Kiefer .KienfÖhre' 269f. Kind 122, 165 Kirche 256 Knabe 198, 222, 227 Knäckebrot 254 Knecht 198, 204, 222, 296 Knie 154 Kohle 202 Kopf 102, 221 Krad 192 Krawatte 251 Kreide 256

Kuchen 196 Küche 246 Kürschner 251 laden 185 lang 83, 88 Laub 282 Laune 219 Lawine 242 leben 182 Lefze 263 Lehm 81, 262 Leiche 131 leiten 181 Leiter 165 lesen 215 f. Leute 222 Liebe 146, 154, 282 Liebstöckel 206, 231 f. liegen 182 hla 215 Lippe 263 Lob 282 Locke 101 Loge 236 Lot 249f. lügen 93, 276 Lust 282 f.

Mahd 211, 228 Maid 106 Mannequin 254 Marzipan 259 Mast ,Fütterung' 77 Matjeshering 254 Messer 269 f., 292 Met 155 Miete 92 Minze 246 83, 89 Mord 84, 88 Münze 246 f. muffig 218 Muschel 220 Mut 204, 213

Nacht 163 nähren 181 Naschmarkt 190 Nebel 82 nehmen 282 Neid 212 Nest 84, 135 neun 81 Nisse 155 Nuß 155

Oheim 135, 237 Ohr 229 Orange 260 ordinieren 236 ordnen 236 Paderborn 244 Palais 236 Park 236 Pause 106 Pavillon 197 Persil 192 Pfaffe 196, 255 Pfaid 284 Pfalz 236 pfeifen 139 Pfennig 160 Pferch 236 Pferd 246 Pfifferling 157 Pfingsten 255 Pfinztag 255, 284 Pfirsich 216, 246 pinkeln 244 Polier 107 Polster 163, 263 /’o/r 106 Potz! 224 prellen 267 ranzig 218 rase/; 162 rate« 131 raunzen 183 74 reden 184 Reeder 254 reich 154, 248 f. rieseln 215 Ring 89, 103, 255 Ritter 221, 252 Robe 236 Roboter 251 Rose 31 Roß 162 rot 93 Ruder 165 Sack 258 Sattel 135 saufen 136, 140 Schach 214 schalten 266 Scheusal 162 Schläfe 214 Schleife 137 schliefen 137

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schnarchen 183 Schnur ,Schwiegertochter' 85, 276 Schokolade 258 Schwaben 156 Schwein 159 Schweiß 82 Schwieger (mutter) 155 schwören 142, 182 Seehund 137, 231 sehr 111, 146f., 203 seltsam 168 Senn 242 setzen 102 Shampoo(n) 258 sicher 90 Silber 292 Sinalco 192 singen 101 Sitte 156 sitzen 182 Sklave 250 Snob 230 Sohn 138, 161 solch 167 Spanferkel 242 Speise 256 Spierenstich 278 sprechen 142, 203, 277f. Stadel 164 Stall 155 Steig 92 sterben 223 Stern 291 stibitzen 268 Stiefmütterchen 201 f. Stiege 92 Straße 246 f. suchen 216 Siindflut 231 süß 83 Suppe 136 Syphilis 23 tanzen 279 taumeln 183 Tee 258 Teufel 224 Tiegel 236 Tirol 242 Tod 223 Tölpel 252

Toilette 220 Tomate 258 Traisen 270 Trauer 212 TVewe 96, 212f. (ich) tue 123, 179 Tulpe 260 -tum 136, 167 turnen 216 überhaupt 266f. Vater 21, 77, 88, 163, 280, 291 Vatermörder 232 verlieren 185 viel 137 Vogt 235 voll 102, 137 Vorwitz 187 wacker 161 walten 125 warm 101 was 76, 101 waschen 185 Wasser 161, 175, 185 Weichbild 126 (ich) weiß 79 Wein 27, 29, 246 Weizen 216 welch 167 Wer(wolf) 88, 174 Wespe 108 Wetter 156 Wetterleuchten 167, 231 Wimper 270 winden 123, 272 Wolle 31, 73 Wort 83, 125 Wotan 159 Wunder 165 Wurm 157 zählen 181 zagen 190 Zahn 160 Zaun 248 Zeichen 129 zeihen 129 Ziegel 235, 246

Alt- und Mittelhochdeutsch dielt 163 diehter 163 ern 84

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ero 130 freidi 135 gihuct 76

guggaldei 168 knuot 137 lütze l 195 meidem 227 souf 135

stuot (von Standern) 136 tila 83 vridel 163 Ziu 82 zöugen 190, 299

343

Germanistische Lehrbuchsammlung

Herausgegeben von Hans-Gert Roloff (Berlin)

Abteilung I • Sprache 1 Grundbegriffe der Sprachwissenschaft. Ein Nachschlagewerk (Hrsg. Herbert Penzl, Berkeley, und Hans-Gert Roloff, Berlin)

15 Wortforschung III: Etymologie des Deutschen (Helmut Birkhan, Wien) Erscheint 1985

2 Der Weg zur deutschen Sprache. Von der indogermanischen zur Merowingerzeit (Piergiuseppe Scardigh, Firenze)

16 Angewandte Linguistik des Deutschen I: Soziolinguistik (Matthias Hartig, Frankfurt a.M.) Bern, 1985. 209 S. Brosch. s.Fr. 36-

3 Geschichte der deutschen Sprache (Ingo Reiffenstein, Salzburg) 4 Historische Laut- und Formenlehre des Deutschen (Alfred Kracher, Graz)

17 Angewandte Linguistik des Deutschen II: Psycholinguistik (Eis Oksaar, Hamburg)

5 Historische Syntax des Deutschen I: Von den Anfängen bis 1300 ' (Paul Valentin, Paris)

18 Angewandte Linguistik des Deut¬ schen III: Sprachkontakte und Mehr¬ sprachigkeit (Eis Oksaar, Hamburg)

6 Historische Syntax des Deutschen II: Von 1300 bis 1750 (Robert Peter Ebert, Princeton/N.J.)

19 Linguistische Theorien der Moderne (W.P. Lehmann, Austin/Texas) Bern 1981. 173 S. Brosch. sFr. 26-

7 Althochdeutsch (Herbert Penzl, Berkeley/CA) Erscheint 1985

20 Dialektologie des Deutschen (Peter Wiesinger, Wien)

8 Mittelhochdeutsch (Herbert Penzl. Berkeley/CA)

21 Namenkunde des Deutschen (Gerhard Bauer, Mannheim) Erscheint 1985

9 Frühneuhochdeutsch (Herbert Penzl, Berkeley/CA) Bern 1984. 203 S. Brosch. sFr. 54-

22 Geschichte der deutschen Sprachwissen¬ schaft (Herbert Kolb. München)

10 Neuhochdeutsch I: Phonetik und Phono¬ logie des Deutschen (Günter Lipoid, Wien)

23 Probleme des Übersetzens aus älteren deutschen Texten (Bernhard Sowinski, Köln)

I 1 Neuhochdeutsch II: Formenlehre und Wortbildung (Paul Valentin, Paris)

24 Die gotischen Sprachreste. Überblick und Einführung (Piergiuseppe Scardigli, Firenze)

12 Neuhochdeutsch III: Deutsche Syntax. Eine Einlührung (Johannes Erben, Bonn) Bern 1984. 128 S. Brosch. sFr. 24.80

25 Die nordischen Sprachen. Übersicht und Einführung (Ulrich Groenke, Köln)

13 Wortforschung I: Semantik des Deut¬ schen (Marthe Philipp, Strasbourg) 14 Wortforschung II: Lexikologie des Deut¬ schen (Lexikographie, Wortgeschichte, Wortgeographie) (Gilbert A.R. de Smet, Gent)

26 Niederdeutsche Sprache (Dieter Stellmacher, Göttingen) 27 Jiddisch. Eine Einführung (Josef Weissberg, Jerusalem)

Abteilung II • Literatur Reihe A • Literaturgeschichte 28 Deutsche Literatur vom achten bis zehn¬ ten Jahrhundert (Roswitha Wisniewski, Heidelberg)

38 Deutsche Literatur im neunzehnten Jahr¬ hundert (Gerd Müller, Kiel)

29 Deutsche Literatur im elften und zwölf¬ ten Jahrhundert (Ursula Hennig, Berlin)

39 Deutsche Literatur der Jahrhundert¬ wende (1880-1910) (Franz Norbert Mennemeier und Horst Fritz, Mainz)

30 Deutsche Literatur im dreizehnten Jahr¬ hundert (Volker Mertens, Berlin) 31 Deutsche Literatur im vierzehnten Jahr¬ hundert (Dietrich Schmidtke, Berlin) 32 Deutsche Literatur im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert (Hans-Gert Roloff, Berlin) 33 Deutsche Literatur im siebzehnten Jahr¬ hundert (Marian Szyrocki, Wroclaw) 34 Deutsche Literatur im Zeitalter der Auf¬ klärung I: Frühaufklärung - Hochaufklä¬ rung- Empfindsamkeit (1720 bis 1770) (Gonthier Louis Fink, Strasbourg) 35 Deutsche Literatur im Zeitalter der Auf¬ klärung II: Sturm und Drang - Spätauf¬ klärung (1770 bis 1795) (Gonthier Louis Fink, Strasbourg) 36 Deutsche Literatur im klassisch-romanti¬ schen Zeitalter I: 1795 bis 1805 (Hans Eichner, Toronto) 37 Deutsche Literatur im klassisch-romanti¬ schen Zeitalter II: 1805 bis 1830 (Helmut Koopmann, Augsburg)

40 Deutsche Literatur des Expressionismus (Wolfgang Paulsen, Amherst/Mass.) Bern 1983. 234 S. Brosch. sFr. 47.90 41 Deutsche Literatur zwischen den Welt¬ kriegen I: Die Literatur der Weimarer Republik (Gerhard Schmidt-Henkel, Saarbrücken) 42 Deutsche Literatur zwischen den Welt¬ kriegen II: Literatur im Exil (Frithjof Trapp, Berlin) Bern 1983. 250 S. Brosch. sFr. 46.80 43 Deutsche Literatur zwischen den Welt¬ kriegen 111: Literatur im Dritten Reich (Herbert Knust und Karl-Heinz Schoeps, Urbana/Illinois) 44 Deutsche Literatur nach 1945. Teil I: Er¬ zählende Literatur - Teil II: Lyrik Teil III: Dramatische Literatur (Hrsg, von Eberhard Mannack, Kiel) 45 Germanische Heldenepik von der Urzeit bis ins Spätmittelalter (Carola Gottzmann, Heidelberg) 46 Mittellateinische Literatur (Fidel Rädle, Marburg/Lahn) 47 Neulateinische Literatur (Georg Roellenbleck, Köln)

Reihe B • Literaturwissenschaftliche Grundlagen 48 Praxis der Literaturermittlung Germani¬ stik Teil I: Grundbegriffe und Methodik Teil II: Systematisches Verzeichnis (Carl Paschek, Frankfurt a.M.) Erscheint 1985 49 Germanistische Handschriftenkunde (Petrus W. Tax. Chapel Hill/N.C.) 50 Druckkunde (Hans A. Halbey, Mainz) 51 Buch und Verlagskunde (Hans-Albrecht Koch, Bremen) 52 Deutsche Bibliotheksgeschichte (Wolfgang Schmitz, Köln) Bern 1984. 257 S. Brosch. sFr. 42-

53 Die philologische Methode in der Germanistik (Bernhard Sowinski, Köln) 54 Editionswesen (Hans-Gert Roloff, Berlin/Hans Szklenar, Göttingen) 55 Deutsche Metrik a) Ältere deutsche Metrik (Ursula Hennig, Berlin) b) Neuere deutsche Metrik (Leif Ludwig Albertsen, Aarhus) Bern 1984. 188 S. Brosch. sFr. 2856 Rhetorik (Samuel Jaffe, Chicago)

57 Poetik (bis 1750) (Ferdinand van Ingen, Amsterdam) 58 Literaturästhetik (ab 1750) (Karo! Sauerland, Warszawa)

62 Literarische Semiotik und Kommunika¬ tionstheorie (Emst W.B. Hess-Lüttich, Bonn) 63 Die deutsche Artes-Literatur (William Crossgrove, Providence/Rhode Island)

59 Stilkunde (Richard Thieberger, Nice)

64 Gelegenheitsdichtung (Joseph Leighton, Bnstol)

60 Literarische Textanalyse (Joseph Strelka, Albany/N.Y.)

65 Methoden der Literaturwissenschaft

61 Rezeptionsgeschichte (Roland D. Heine, Hayward/CA)

66 Grundbegriffe der Literaturwissenschaft. Ein Nachschlagewerk

Reihe C • Interdisziplinäre Aspekte 67 Literatur und Medien (Harry Pross, Berlin)

74 Literatur und Volkskunde (Dietz-Rüdiger Moser, Freiburg i.Br.)

68 Literatur und Geschichte (Hinrich C. Seeba, Berkeley/CA)

75 Literatur und Theater (Thomas Koebner, Köln)

69 Literatur und Politik (Urs Jaeggi, Berlin)

76 Literatur und Kunst (Reingard Nethersole, Johannesburg)

70 Literatur und Gesellschaft (Gerhard Sauder, Saarbrücken)

77 Literatur und Musik (Carl Dahlhaus und Norbert Miller, Berlin)

71 Literatur und Schule (Uwe Grund, Saarbrücken)

78 Literatur und Recht (Heinz Müller-Dietz, Saarbrücken)

72 Literatur und Psychologie (Albert Reh, Amherst/Mass.)

79 Literatur und Religion (Gert Hummel, Saarbrücken)

73 Literatur und Linguistik (W. Frier, Amsterdam)

80 Literatur und Antike (Werner M. Bauer, Innsbruck)

Reihe D • Deutsche und europäische Sprache und Literatur (Herbert Penzl, Berkeley/Daniel Brink. Tempe)

81 Komparatistik (Armand Nivelle, Saarbrücken) 82 Geschichte der englischen Sprache. Vom Westgermanischen zum Neuenglischen

83 Geschichte der niederländischen Sprache (H.W.J. Vekeman, Köln)

Bitte, richten Sie Ihre Bestellung an Ihre Buchhandlung oder direkt an den Verlag Peter Lang AG, Jupiterstrasse 15, CH-3000 Bern 15

Verlag Peter Lang

Bern • Frankfurt am Main • New York

r Günther Pflug Honorarprofessor für Philosophie

Die Bibliothek im Umbruch Studien aus zwei Jahrzehnten Frankfurt/M., Bern, New York, 1984. 266 S. Arbeiten und Bibliographien zum Buch- und Bibliothekswesen. Bd. 1 ISBN 3-8204-8068-4 br. sFr. 57.Zwanzig Jahre Bibliotheksentwicklung - eine kurze Zeitspanne in der mehr als tausend¬ jährigen Geschichte der Bibliotheken. Doch stellen die letzten zwanzig Jahre eine be¬ sonders fruchtbare Zeit in dieser Entwicklung dar. Strukturen, die in zwei Jahrhunderten bei der Herausbildung moderner Bibliotheken entstanden sind, wurden zu Beginn der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts in Frage gestellt. Von der weltweiten Bewegung, in die zu dieser Zeit die Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen geraten waren, wurden auch die Bibliotheken mitgerissen. Eine Neubestimmung des öffentlichen Bildungs¬ auftrags der Universitäten konnte nicht ohne Einfluss auf die Standortbestimmung der Bibliotheken bleiben. Dieser Mutationsprozess lief nicht ohne schmerzliche Brüche, ohne Aufgabe bewährter und vertrauter Strukturen und Institutionen ab. In der ersten Hälfte der sechziger Jahre wurde auf fast allen Gebieten des Bibliothekswesens geplant, es wurden Fundamente für ein neues Konzept gelegt. Die folgenden Jahre zeigten, dass die Wandlungen in der Bildungsplanung, in der Informationspolitik, in der technischen Welt oft die vor wenigen Jahren formulierten Planungsziele überholt hatten, so dass sich die Bibliothekare in diesen Aufbau- und Umbruchjahren immer wieder vor neue Auf¬ gaben gestellt sahen, auf die sie reagieren, die sie in ihre Konzepte einbeziehen mussten. Heute hat sich die Heftigkeit dieser Bewegung deutlich abgeschwächt: der grosse Bil¬ dungsimpetus ist schwächer geworden, die Informationsströme haben neue, zusätzli¬ che Kanäle gefunden, die technische Entwicklung ist überschaubarer. Damit hat auch die Bibliotheksentwicklung einen ruhigeren Fluss angenommen. So scheint es an der Zeit, sich dieser Periode rückschauend zu versichern. Vielleicht ist die Zeit für eine retro¬ spektive Darstellung noch verfrüht. Eine Sammlung von Dokumenten erscheint jedoch lohnend, da sie über ihren Informationswert hinaus etwas von der Spontaneität dieser Jahre vermitteln kann. Im Vordergrund steht natürlich die Einführung der elektroni¬ schen Datenverarbeitung in die Bibliotheken bis hin zu der durch sie mit initiierten Bil¬ dung von Verbundsystemen und Informationsnetzen. Doch enthält der Band auch Beiträgezu Fragen bibliothekarischer Ausbildung, des Bibliotheksbaues und der Biblio¬ thekstheorie. So bietet dieser Band - wenn auch aus der Sicht eines einzelnen Autors - ein breites Bild moderner Bibliotheksentwicklung. Günther Pflug, 1923 in Oberhausen (Rh Id.) geboren, studierte an den Universitäten Köln, Bonn und Paris. Er promovierte 1950 bei Erich Rothacker in Bonn. 1953 trat er in den höheren Biblio¬ theksdienst ein und war an der Universitätsbibliothek Münster, der Bibliothek der Technischen Hochschule Aachen, der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, der Universitätsbibliothek Bochum und dem Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. 1976 wurde er zum Generaldirektorder Deutschen Bibliothek Frankfurt ernannt. Er ist Honorarprofes¬ sor für Philosophie an den Universitäten in Bochum und Frankfurt. Die International Federation of Library Associations (IFLA) ernannte ihn 1981 zu ihrem Ehrenmitglied.

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Wolfgang F. Michael

DAS DEUTSCHE DRAMA DER REFORMATIONSZEIT Bern, Frankfurt/M., Nancy, New York, 1984. 439 S. ISBN 3-261-0338Ü-0 geb./lam. sFr. 89.ISBN 3-261-03245^6 br./lam. sFr. 78.-

Dieses Werk über das deutsche Drama der Reformationszeit ist das Resultat jahrzehntelanger Arbeit in Bibliotheken und Archi¬ ven der USA und Europa. Es gelingt Wolfgang F. Michael, das deutsche Drama der Reformationszeit zu gliedern, zu ordnen und dem Ganzen ein Gesamtgesicht zu geben. Der Autor, Pro¬ fessor für deutsche Sprache und Literatur an der University of Texas, Austin, macht sich die bereits vorliegenden Untersuchun¬ gen zunutze und erfasst die dramatischen Dokumente aus der Zeit vor und während der Reformation. Erstmals liegt hier eine Gesamterfassung und -einordnung, ein Bild des Dramas der Reformationszeit vor, zu dem auch ein Nachweis der reichen Primärliteratur mit einer erschöpfenden Zusammenstellung der Angabe der Fundorte sowie ein ausführlicher Literaturnachweis gehören, wodurch dieses Werk für den Forscher auf diesem Gebiet unerlässlich wird.

Der Autor, Professor für deutsche Sprache und Literatur an der University of Texas, Austin, USA, begann seine Lautbahn als Cermanist und Theaterwissen¬ schattier. Sein spezielles Interesse kam in seiner Dissertation zum Ausdruck, die Michael über das Theater und Drama seiner Heimatstadt, Freiburg/Br., verfasste. In zwei Forschungsberichten, veröffentlicht in der DV (1957, 1973) versuchte der Autor, die gesamte, wissenschaftliche Literatur über das frühe deutsche Drama zu erfassen. Auf diesen beiden Artikeln basierten Michaels Arbeiten Frühformen der deutschen Bühne und Das deutsche Drama des Mittelalters.

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